28.04.2008
Heute beginnt Christoph Blocher den Kampf für die Einbürgerungsinitiative. Über Widmer- Schlumpf zu sprechen, findet er langweilig.
Interview mit "punkt.ch" vom 28. April 2008
Von David Schaffner und Jessica Pfister
Es ist bekannt, dass Sie früher nur fünf Stunden schliefen. Gönnen Sie sich mehr Ruhe seit Sie nicht mehr im Bundesrat sind?
Christoph Blocher: Vorläufig nicht. Ich arbeite voll und stehe sehr früh auf. Fünf bis sechs Stunden Schlaf genügen.
Nehmen Sie sich gar keine neuen Freiheiten?
Doch. Ich muss nicht pünktlich an so vielen Sitzungen sein wie als Bundesrat. Meine Arbeitseinteilung ist freier.
Mussten Sie etwa stempeln als Bundesrat?
Nein, das nicht gerade. Aber in einer grossen Organisation kann man die Zeit nicht so frei einteilen wie als Unternehmer.
In den letzten Wochen war es verdächtig still um Sie.
Nach meiner Abwahl habe ich mich im Stillen vorbereitet. Ab heute führen wir den Kampf für die Einbürgerungsinitiative. Ich trete fast täglich auf und erkläre den Leuten, warum sie Ja stimmen sollten.
Was hätten Sie als Bundesrat gemacht? Hätten Sie wie Widmer-Schlumpf die SVP-Initiative bekämpft?
Ich hätte die Meinung des Bundesrates vertreten. Ich hätte zum Ausdruck gebracht: Der Bundesrat ist dagegen. Meine Meinung hätte ich verschwiegen. Leider hätte ich dann gegen meine Überzeugung nicht für die Initiative kämpfen können. Das darf ich jetzt wieder.
Wieso wollen Sie bei den Einbürgerungen die Uhren zurückdrehen?
150 Jahre lang haben die Gemeinden das Gemeindebürgerrecht verliehen. Ihr Entscheid galt. Die Bürger kennen die Umstände ja besser. Plötzlich hat das Bundesgericht entschieden, dass ein Ausländer, dem das Bürgerrecht verweigert wird, vors Gericht gehen kann und dieses die Gemeinde zwingen kann, dem Ausländer das Bürgerrecht zu erteilen. Die Gemeinden müssen die Ablehnung bis ins Detail begründen. Das führt zu erleichterten Einbürgerungen mit allen Missständen.
Wenn es keine Begründung braucht, öffnen wir der Willkür Tür und Tor.
Die Bürger sind verantwortungsvolle Menschen. Aber sie sind bei den Einbürgerungen zurückhaltend. Sie verlangen Integration. Schon heute gibt es kaum ein Land, das so viel einbürgert wie die Schweiz. Wer bei uns eingebürgert wird, kann nicht nur wählen, sondern auch abstimmen.
Die Bedingungen für Einbürgerung sind in vielen EU-Ländern weniger hoch. Diese Länder haben viel weniger Ausländer als die Schweiz und bürgern daher viel weniger ein. Kennen Sie Fälle, in denen es zu leichtfertigen Einbürgerungen kam?
Ja natürlich. Aber die Sache ist doch klar: Die Behörden haben neuerdings Angst, dass aus einem ablehnenden Einbürgerungsentscheid ein Gerichtsfall wird. Deshalb bürgert man im Zweifel ein, um keine Probleme vor Gericht zu haben. Viele Personen werden kriminell, kaum sind sie eingebürgert. Sind sie eingebürgert, können wir sie nicht mehr ausweisen.
Ein überparteiliches Komitee unterstützt die Initiative. Ärgert Sie das? Sie würden doch gerne gegen alle anderen kämpfen.
Nein, ich bin glücklich darüber. Das hilft, dass die Einbürgerungsinitiative angenommen wird. Seit meiner Abwahl im Bundesrat gewinnt die SVP Mitglieder und Wähler. Die Gegner merken, dass die Leute unzufrieden sind mit der Ausländerpolitik. Darum müssen jetzt auch andere Parteien reagieren. Deshalb unterstützen sie nun die Initiative. Gut so.
Wie lange spielt der Effekt, dass die SVP allein wegen ihrer Abwahl gewinnt?
Der Effekt ist anfangs sicher stärker. Ganz abflauen würde er nur, wenn wir nichts täten. Aber diese Freude werden wir den Gegnern nie bereiten.
Wie viel Handlungsraum besteht noch? Im Bereich der Migration haben sie mit dem neuen Asyl- und Ausländergesetz und der Einbürgerungsinitiative bereits aufgeräumt.
Oh es gibt noch vieles zu tun. Das Asylgesetz ist erst auf dem Papier da, es muss noch umgesetzt werden. Im Bereich der Kriminalität müssen wir Druck auf den Strafverfolgung und die Richter ausüben, damit sie die Gesetze rasch und wirkungsvoll anwenden. Dann steht die Ausschaffungsinitiative für kriminelle Ausländer auf dem Tapet. Bei den Sozialmissbräuchen sind wir erst bei den Anfängen. Die Unabhängigkeit der Schweiz ist bedroht. Die Verwaltung will immer noch in die EU, sie will es aber nicht offen aussprechen. Aber sie unterwandern die Unabhängigkeit mit allerlei Verträgen und der Übernahme internationalen Rechts.
Sind Sie immer noch der Meinung, dass es keine weiteren Abkommen braucht?
Überlebens- und lebensnotwendig sind sie für die Schweiz nicht, auch wenn sie da und dort kleinere Erleichterungen bringen werden. Wenn wir immer wieder etwas von der EU wollen, setzt sie uns immer wieder unter Druck. Am Schluss geht es schliesslich ums Bankgeheimnis und gegen unsere Steuervorteile. Ohne unseren Widerstand wird die Schweiz still und leise von der Verwaltung in die EU geführt.
Lohnt es sich noch, für das Bankgeheimnis zu kämpfen? Die Amerikaner haben doch längst über die SWIFT Einblick in unsere Datenbanken.
In der SWIFT melden alle Länder die Bilanzbewegungen der Bankkonten. Die Amerikaner brauchen die Daten aber nicht für den Fiskus, sondern für die Bekämpfung von Terrorismus. Natürlich ist es problematisch, dass die Amerikaner einen Zugang haben. Wir haben aber bis jetzt festgestellt, dass sie die Daten nie missbraucht haben, zum Beispiel für den Fiskus.
Gerade deshalb müsste die Schweiz doch vorausschauen und sich auf eine Zukunft nach dem Bankgeheimnis vorbereiten.
Ach, alle zehn Jahre kommt der Angriff aufs Bankgeheimnis. Es besteht und wird weiter bestehen. Schliesslich hat das Volk darüber abgestimmt.
Die Schweizer Politik war in den letzten Wochen sehr emotional. Nimmt Sie das mit?
Die hinterhältige Bundesratswahl musste doch jeden bewegen. Über den Parteiausschluss von Frau Widmer-Schlumpf will ich nicht reden. Es ist doch langweilig, hundert Mal das Gleiche zu sagen. Ich bin in den Ausstand getreten, finde es aber richtig, dass die Partei den Ausschluss nun durchzieht.
Droht eine Aufspaltung der Berner SVP?
Ich glaube nicht, auch wenn es dort viele Unzufriedene gibt. Eine Spaltung ist im Bündnerland möglich.
Die SVP ist schnell gewachsen. Droht die Partei zu gross zu werden?
Die Gefahr besteht, wenn das Programm verwässert. Wir haben aber ein klares Programm. Kaum jemand tritt bei, der nicht dahintersteht. Einige Mitglieder sind dank unserem Erfolg etwas schnell vorwärts gekommen. Sie sind etwas verwöhnt. Selbstzufriedenheit ist die grösste Gefahr für eine Partei.
Der SVP ist fast alles gelungen. Nur die grossen Städte haben sie noch nicht erobert. Dort hat die SVP keinen einzigen Regierungssitz.
In den Städten kommen wir gut voran. Vor zwanzig Jahren bildeten wir in der Stadt Zürich noch nicht einmal eine eigene Fraktion. Heute sind wir die zweitgrösste Partei im Gemeinderat. Weil gleichzeitig alle anderen Parteien verloren haben, sind alle anderen Parteien gegen die SVP. Um in die Exekutive zu kommen müssen sie Majorzwahl gewinnen. Das braucht Zeit. Wir konzentrieren uns zurzeit auf das Parlament.
Will die SVP denn gar nicht wirklich in die Stadtregierung?
Natürlich wollen wir. Deshalb stellen wir immer Kandidaten. Wenn wir es nicht schaffen, geht die Welt aber nicht unter. Es ist zudem sehr schwierig, dem Programm in einer Regierung treu zu bleiben. Da braucht es einen sehr starken Charakter. Ich konnte im Bundesrat das klare Profil der SVP nur deshalb behalten, weil mich die Linken und die Grünen ohne Pause angegriffen haben. Damit haben sie mein Profil geschärft
Verspüren Sie keinen Trieb, die letzte Bastion zu erobern?
Es war nie das prioritäre Ziel, dass die SVP eine grosse Partei wird. Wir wollten einfach gegen Missstände antreten. Meine Devise war stets: Je weniger eine Partei an sich selbst denkt desto mehr denken die Bürger an die Partei. So ist es auch gekommen. Deshalb sind wir die erfolgreichste Partei. Das gilt übrigens auch für die einzelnen Politiker.
17.03.2008
Interview mit der "Thurgauer Zeitung" vom 17. März 2008
von Ursula Fraefel und Marc Haltiner
Christoph Blocher gibt sich kämpferisch – und bekräftigt die Oppositionsrolle der SVP: Der Bundesrat dürfe im Steuerstreit mit der EU nicht nachgeben, andernfalls werde die SVP gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit antreten. Den Agrarfreihandel mit der EU lehnt der abgewählte Bundesrat vehement ab. Die Vorlage gefährde bis zu 100 000 Arbeitsplätze und opfere die Schweizer Landwirtschaft.
Nach dem Dok-Film des Schweizer Fernsehens ist die Diskussion über den Parteiausschluss von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf neu entbrannt. Ihre Meinung?
Christoph Blocher: Viele Bürger sind sehr aufgebracht. Denn aus dem Film geht hervor, dass Frau Widmer-Schlumpf eng mit der SP konspirierte, um einen SVP-Bundesrat aus dem Amt zu drängen. Es wird auch klar, dass es anders war, als es Frau Widmer-Schlumpf dem Schweizervolk nach der Wahl zum Bundesrat dargestellt hatte. Auch hat sie die Parteispitze hinters Licht geführt. Was die Folge ist, muss die Partei entscheiden. Ich rede da nicht mit.
Ihre Prognose?
Keine. Ich werde auch in der Partei bei diesen Entscheiden in den Ausstand treten. Wichtig ist, dass Samuel Schmid und Frau Widmer-Schlumpf nicht die SVP-Bundesräte sind. Das war das eindeutige Abstimmungsergebnis in der SVP-Fraktion und an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz. Damit bleibt die SVP vertrauenswürdig.
Kann das die SVP auf die Länge durchhalten? Im Bundesrat hat man mehr Gestaltungsmöglichkeiten.
Gestaltungsmöglichkeiten hat eine Partei nur, wenn sie Gewähr hat, dass ihre Vertreter im Bundesrat dort auch ihr Gedankengut vertreten.
Und Sie persönlich? Was überwiegt, das Bedauern über die Abwahl oder die Freude über die politische Narrenfreiheit, die sie wieder haben?
Nicht dass Sie meinen, ich hätte diese Abwahl gesucht. Ich hatte mich entschieden weiterzumachen, weil ich noch viel bewegen wollte, in weiteren vier Jahren.
Im Rückblick hat die SVP aber Fehler gemacht, die zu Ihrer Abwahl führten, zum Beispiel der Ausschluss einzelner Nationalräte aus den Kommissionen.
Die SVP hat niemanden aus einer Kommission ausgeschlossen. Ich war als Bundesrat an der entscheidenden Fraktionssitzung zufällig dabei. Der Bündner Nationalrat Hassler wollte in die sozialpolitische Kommission, obwohl er der Einzige in der Fraktion ist, der die Mehrwertsteuer erhöhen will, alle anderen Fraktionsmitglieder lehnen dies ab. Es ist doch verständlich, dass eine Fraktion ihre Meinung in der Kommission vertreten muss.
Und der Film mit Ihrem Bruder?
Das ist der Film meines Bruders. Übrigens: Was er darin drastisch sagt, in Bern sei ein «Sauladen», hat sich als Wahrheit bestätigt. Er ist Pfarrer und kann die Wirklichkeit aussprechen.
Sagen Sie das auch mit Ihrer vierjährigen Erfahrung im Bundesrat?
Sprechen Sie den koordinierten Putschversuch vom 5. September an, wo Bundesanwaltschaft, Bundesrat und vor allem die Geschäftsprüfungskommission zusammenspannten, um mich aus dem Bundesratsamt zu drängen? Das waren DDR-Verhältnisse.
Wie stehen Sie zum Agrarfreihandel, den der Bundesrat jetzt will?
Wir haben den Freihandel mit der EU. Was jetzt darüber hinaus gemacht wird, schadet der Schweiz, kostet viele Arbeitsplätze und opfert die Landwirtschaft.
Den österreichischen Bauern nützt der freie Handel aber.
Österreich hat keinen Freihandel, sondern ist in der EU. Die österreichischen Bauern sagen, die Situation sei schlecht. Auch die Schweiz könnte den Freihandel schon lange haben, wenn sie ihn wollte. Er schadet aber nicht nur den Bauern, es geht auch um die Qualität und um die nachgelagerten Betriebe. Es betrifft über 100 000 Arbeitsplätze.
Die Landwirtschaft könnte aber international konkurrenzfähiger werden.
Das schon. Aber sie kann im völligen Freihandel nicht überleben. Natürlich könnte sie unternehmerischer werden. Aber dann müssen Sie vor allem die wettbewerbsbehindernden Auflagen streichen, etwa im Umweltschutz. Und wer will das? Es ist auch nicht die Wirtschaft, die auf dieses Abkommen drängt, sondern klar die Bundesräte und Beamten, die die Schweiz in die EU führen wollen.
Aber da geht es doch um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und nicht um politische Integration.
Das angestrebte Abkommen greift tief in die politische Integration ein. Die Regeln der Wirtschaftspolitik kann man nicht von der Politik trennen.
Wirtschaft ist Freihandel. Wirtschaftliche Zusammenarbeit ist das, was wir mit den Bilateralen machen. Das, was auch im EWR vorgesehen war.
Wirtschaft ist doch nicht Freihandel. Freihandel ist ein kleiner Teil davon. Der EWR war ein klarer Kolonialvertrag. Die EU hätte über ein fremdes Staatsgebiet – die Schweiz – Recht gesetzt. Wir haben seit 1972 Freihandelsverträge. Aber eigene Qualitätsnormen.
Die Schweiz müsste auf ihren Perfektionismus verzichten.
Freut mich, das Sie das sagen. Gerade die perfektionistischen Normen bekämpft die SVP seit zwanzig Jahren schon bei der Einführung. Die Mitte-links-Mehrheit hat uns überstimmt. Sie wollte diese Sondernormen. Die Produzenten – namentlich kleine und mittlere Betriebe – haben ihre Produktion so einrichten müssen. Bestimmt haben sie Vorschriften, die unsinnig sind. Diese sind für alle abzuschaffen.
Der Freihandel wäre im Interesse der Konsumenten. Die Preise sinken.
Das ist die nächste Illusion. Ein Land, das einen so hohen Lebensstandard hat, hat einfach höhere Preise. Aber – da haben Sie recht – wenn Sie alle Qualitätsnormen abschaffen, dann haben Sie tiefere Preise, aber schlechtere Qualität. Aber Qualität macht die Schweiz aus.
Zu den Bilateralen: Sie wollen den Steuerstreit mit der EU mit der Personenfreizügigkeit verknüpfen. SVP-Nationalrat Peter Spuhler wehrt sich dagegen.
So hat er mir dies nicht gesagt. Es geht bei dieser Frage einerseits um die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit mit Rumänien und Bulgarien. Die brauchen wir nicht, auch die Wirtschaft braucht sie nicht. Wenn wir Hunderttausende von Rumänen als Arbeitskräfte wollten, würden wir sie morgen schon erhalten – auch ohne Personenfreizügigkeit. Die EU hingegen braucht sie dringend, auch um zu zeigen, dass die Schweiz mitmacht, obwohl sie nicht in der EU ist. Das verstehe ich. Aber wenn wir ihr das geben, dann müssen die EU-Steuerforderungen zuerst vom Tisch.
Stellen Sie mit Ihrer Forderung nicht alle bilateralen Verträge mit der EU in Frage?
Niemand in der EU wird doch im Ernst Verträge kündigen, die ihm nützen. Das Transitverkehrsabkommen zum Beispiel, der Nord-Süd-Verkehr kostet die Schweiz viel Geld, nützt aber der EU. Und dieses soll dahinfallen? Wenn dieser Vertrag nicht mehr wäre, könnte die Schweiz wieder machen, was sie will. Das weiss die EU. Jeden bilateralen Vertrag will der Bundesrat mit Drohungen erpressen. Das führt zu Kleinmut. Letztlich führt man mit stets neuen Verträgen und kleinmütigem stetigem Akzeptieren der EU-Forderungen die Schweiz zum EU-Beitritt.
Ein Nein zur Personenfreizügigkeit würde die Exportwirtschaft schädigen.
Warum auch? Natürlich hätten die Rumänen und Bulgaren nicht gerade Freude. Aber die Einmischung der EU in die Schweizer Steuerhoheit ist eine ganz gefährliche Sache, die auf uns zukommt. Die EU fordert, dass die Kantone ihre Steuergesetze ändern und droht bereits mit Sanktionen. Nur die Schweiz ist so naiv und gewährt Zugeständnisse ohne Gegenleistung.
03.03.2008
Interview mit "Der Sonntag" vom 2. März 2008
von Patrik Müller und Flurina Valsecchi
Sonntag: Herr Blocher, Sie kamen eben aus Ihren Ferien in Chile zurück. Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Christoph Blocher: Die Weite, die Grösse und die Vielfalt der Natur – und die Einsamkeit. Meine Frau und ich sahen zum erstenmal eine Wüste, und wir waren auf einem 5700 Meter hohen Berg, ohne Sauerstoffmaske. Es war wunderbar, unerkannt durchs Land zu reisen, und das gleich vier Wochen lang.
Waren Sie noch nie so lange in den Ferien?
Nein, als Unternehmer konnte ich das nicht verantworten, als Bundesrat ebenso wenig. Zum Wandern verbrachten wir die Ferien meistens in der Schweiz, sie bietet viel. Beim Rückflug, als wir über die Alpen flogen, dachte ich: Unser Land ist halt schon das schönste. Es lohnt sich, sich dafür einzusetzen.
Auf Reisen kommt man ins Philosophieren. Hatten Sie in Chile neue Erkenntnisse?
Ich habe viel nachgedacht – und verdaut. Ja, ich habe erst in den Ferien meine Zeit im Bundesrat wirklich verdaut. Erst jetzt wurde mir klar, wie hinterhältig diese vier Jahre waren: Ich stand unter Dauer-Bespitzelung, war in einem Haifischbecken und Gegenstand unzähliger Intrigen. Die letzte Intrige war dann die Abwahl. Und trotzdem bin ich immer noch da!
Aber ist es nicht so: Die Ära Blocher ist vorbei. Für immer.
Weil es nie eine Ära Blocher gab, ist sie auch nicht vorbei. Und wenn ich schaue, wie viele Interviews ich diese Woche hätte geben können, scheint es so, dass offenbar die Journalisten Entzugserscheinungen haben. Zum Leidwesen meiner Gegner: Ich fühle mich fit, abgesehen von einer gebrochenen Rippe – das geschah, als ich am Schwimmbadrand ausrutschte.
Die Schweiz hat ganz gut funktioniert, als Sie weg waren. Es geht auch ohne Blocher . . .
Das können Sie bei jedem Menschen sagen. Aber wie funktioniert es? Der Bundesrat ist nun wieder ein geschlossener, harmoniesüchtiger Klub, und er verteidigt die Schweiz nicht gegen die ungeheuerlichen Eingriffe der EU in die Steuerhoheit der Schweiz. Er missachtet die Neutralität, indem er das in völkerrechtswidriger Weise abgetrennte Kosovo vorschnell anerkennt, stockt bereits wieder das Personal im EJPD auf. Nein, nein, es gibt viel zu tun!
Sie behaupten, im Bundesrat herrsche Harmonie? Zwischen Moritz Leuenberger und Eveline Widmer-Schlumpf liegen Welten.
Das werden wir sehen. Beide waren für den Beitritt der Schweiz zum EWR, beide machen bei allen aussenpolitischen Dummheiten mit, beide sind für eine höhere Mehrwertsteuer – und und und.
Widmer-Schlumpf ist doch keine Linke.
Die Bündner SVP entstand aus einer Linksabspaltung des Freisinns. Frau Widmer-Schlumpf wurde gewählt, weil sie das Gedankengut der SVP nicht vertritt, ebenso wie Samuel Schmid. Beide sind als SVP-Feigenblätter in den Bundesrat gewählt worden. Sie sind Vertreter der Verliererparteien SP, CVP und FDP. Die SVP ist wegen ihrer klaren Politik von einer 10- zu einer 29-Prozent-Partei geworden.
Wollen Sie die beiden aus der Partei ausschliessen?
Dieser Ansicht sind viele in unserer Partei. Ich persönlich finde einen Ausschluss aber nicht nötig. Ich an ihrer Stelle würde von mir aus austreten. Wenn sich SP, FDP und CVP durch zwei fraktionslose SVP-Mitglieder vertreten lassen wollen, ist das deren Problem.
Der Rauswurf aus dem Bundesrat schmerzt Sie noch immer.
Was heisst schmerzen? Mir ist egal, ob ich im Bundesrat bin oder nicht. Entscheidend ist einzig: Wie kann ich und wie kann die SVP das Beste tun für unser Land, unser Volk? Wie können das Selbstbestimmungsrecht, die Neutralität und Freiheit der Bürger verteidigt werden? Wie die Angriffe aus Europa auf das Bankgeheimnis abgeblockt? Was tun gegen die Abzockerei der Bürger? Was für weniger Kriminalität? Es geht um das Wohl des Landes, nicht um mich oder die Partei.
Das behaupten alle Politiker.
Es gibt solche, die es nur sagen, und solche, die es auch noch machen. Statt sich auch nach den Wahlen für das Land einzusetzen, will man Vorteile für sich selbst auf Kosten der Bürger. Unsere Devise heisst ohne Intrigen die Interessen des Volkes, nicht die Interessen der Classe politique vertreten.
Haben Sie in den Ferien auch darüber nachgedacht, dass Sie selber schuld sein könnten an Ihrer Abwahl?
Natürlich, ich bin der Hauptschuldige! Ich hätte die Wiederwahl problemlos erreichen können und in Missachtung des Wählerauftrages handeln können. Das unerbitterliche Einstehen für die Werte des Landes, der Erfolg meiner politischen Arbeit, die Hartnäckigkeit im Bundesrat, aber natürlich auch die Ecken und Kanten meiner Persönlichkeit, dann vor allem das neue Ausländer- und Asylgesetz, dem das Volk gegen heftigen Widerstand zu fast 70 Prozent zugestimmt hat und schliesslich der Wahlerfolg der SVP – all dies erzeugte Missgunst und Neid bei den politischen Gegnern und Konkurrenzparteien.
Auch CVP und FDP waren für diese Gesetze. CVP-Chef Darbellay lobte ja Ihre Politik, er sagt einzig, Ihnen habe es an staatsmännischem Format gefehlt.
Ja, ja, der Stil, der Stil! Ich hätte etwas netter, etwas freundlicher sein sollen (lacht). Herr Darbellay ringt nach Begründungen für seine von ihm eingefädelten Intrigen und um zu kaschieren, dass die CVP am Gängelband der SP läuft. Er hat nun ein schlechtes Gewissen, entschuldigt sich überall für die Abwahl und schiebt der FDP alleine die Schuld für die Abwahl in die Schuhe. Nach dem Muster: «Ich nicht, aber du auch!» Es lohnt sich nicht, darüber zu philosophieren. Die Abwahl erfolgte, weil ich meine Arbeit zu wirkungsvoll erledigt habe.
Sind Sie da so sicher? Es waren doch Ihre Sprüche wie derjenige über vermeintlich kriminelle Albaner, die das Fass zum Überlaufen gebracht haben.
Ein kleiner Versprecher in der mündlichen Fassung einer Rede, den ich korrigierte und bedauerte, soll trotz «guter Arbeit» der Grund für eine Abwahl sein? Wenn Herr Couchepin – als Bundespräsident – einen Parlamentarier mit einem Nazi-Massenmörder vergleicht, und das dann öffentlich noch bestreitet, bis ihn das Protokoll überführt, ist das offenbar guter Stil. Hätte ich mir als Bundesrat so etwas geleistet, hätte man wohl eine Sonderkommission zur Absetzung eingesetzt. Alle schweigen. SP, Grüne, CVP und FDP: «Sauhäfeli-Saudeckeli». Welche Zersetzung der politischen Kultur!
Für die SVP war Ihre Abwahl ein schwerer Schlag. Ist der Aufstieg der Partei nun gestoppt?
Im Moment haben wir grossen Auftrieb. Mehr als 10 000 Menschen sind neu in die SVP eingetreten – eine solche Sympathiewelle gabs noch nie. Viele legen gleich das Austrittsschreiben – vor allem aus FDP und CVP – bei. Zudem stelle ich fest, dass der Einfluss der SVP auch in Bern zunimmt. In Bern haben sie eine Riesenangst vor uns! Deswegen trauen sie im Moment nicht, grosse Dummheiten anzustellen. Zum Glück.
Was ändert sich konkret? Die SVP machte ja vorher schon auf Opposition.
Wir können die Probleme nun beim Namen nennen. Ich konnte zum Beispiel die Armee bislang nicht offen kritisieren, weil Samuel Schmid verantwortlich ist. Jetzt ist die Schminke weg: Die Armee ist in einem himmeltraurigen Zustand. Sie ist nicht mehr imstande, unser Land zu verteidigen. Die Sache ist offenzulegen und das Problem zu lösen.
Wurde der junge Toni Brunner zum Präsidenten gewählt, weil Sie mit ihm machen können, was Sie wollen?
So funktioniert Toni Brunner nicht. Er ist kein Kopfnicker. Er ist ein politisches Naturtalent, der im Kanton St. Gallen die SVP von 0 auf 36 Prozent gebracht hat. Er wird seine Sache hervorragend machen.
Sie wollen die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien vom Steuerstreit mit der EU abhängig machen. Ist diese Verknüpfung wirklich klug?
Nicht nur klug, sondern vor allem nötig. Man verhandelt doch nicht über ein Dossier, das allein die EU braucht, ohne dass die EU ihre unhaltbaren Eingriffe auf die schweizerische Souveränität einstellt.
Unserem Land nützt das Abkommen.
Nein. Die EU braucht es unbedingt, nicht wir. Auch ohne Abkommen kann die Schweiz Ausländer anstellen, so viel sie will. Die Rumänen kommen auch ohne diesen Vertrag, wenn wir wollen. Bei internationalen Verhandlungen ist ein Grundsatz wichtig: verknüpfen, verknüpfen, verknüpfen.
Sogar Ihr Parteifreund Peter Spuhler ist gegen diese Verknüpfung. Die bilateralen Verträge sind aus seiner Sicht zu wichtig, als dass man sie aufs Spiel setzt.
Ich weiss nicht, wie sehr er gegen diese Verknüpfung ist. Herr Spuhler ist Unternehmer. Er verkauft seine Eisenbahnzüge auch in diese Länder. Das ist seine Interessenlage. Jetzt geht es aber um die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung unseres Landes. Es geht um unsere Standortvorteile. Und das muss auch die Wirtschaft sehen. Sie darf nicht wegen eigennütziger kurzfristiger Vorteile die Standortqualitäten preisgeben.
Es ist doch nicht geschickt, die EU zu reizen, nachdem Deutschland unsere Steuerprivilegien und das Bankgeheimnis ins Visier genommen hat.
Reizen sollte man sie nicht, aber staatsmännisch und mutig die rechtsstaatlichen Grundsätze und die Werte unseres Landes verteidigen. In Bern schläft man. Man begreift nicht, was da abläuft. Die EU will die Kantone zwingen, ihre Steuergesetze abzuändern. Das ist eine schwerwiegende Souveränitätsverletzung. Das Motiv dahinter ist klar: Die EU will überall in Europa gleiche Steuergesetze. Deutschlands Ex-Finanzminister Eichel sagt offen, man müsse die Steueroasen trockenlegen. Eben komme ich aus den Wüsten Chiles: Oasen sind etwas Wunderbares. Die Leute gehen von der Wüste in die Oase und nicht umgekehrt. Man will in der EU nur noch Steuerwüsten. Das Gegenmodell wäre ein Europa der Steueroasen, dann gäbe es keine Wüsten mehr.
Bundesrat Merz nimmt es gelassener. Die Schweiz sei nicht in Gefahr, unser Bankgeheimnis habe sieben Leben.
Man kann bei einer Gefährdung des Wohles des Landes leicht den Gelassenen spielen! Es ist fahrlässig, diese Angelegenheit auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir müssen sagen, wo die Grenzen sind. Was in Liechtenstein passiert ist, kann bei uns auch geschehen. Im Moment wird wohl abgewartet, bis das Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen ist. Danach wird der Druck erhöht. Das gilt es zu verhindern!
Wollen Sie das Bankgeheimnis in der Verfassung verankern?
Dies war eine Forderung der SVP. Angesichts der Angriffe auf das Bankgeheimnis wird sie jetzt erneut geprüft.
Was sagen Sie als ehemaliger UBS-Verwaltungsrat eigentlich zur Krise der Grossbank?
Hier wurde schlecht gearbeitet. Dass fast alle Banken dies taten, macht die Sache nicht besser. Aber die UBS ist kein Sanierungsfall. Wenn es stimmt, dass sie 19 Milliarden Franken abgeschrieben hat, aber 4 Milliarden Verlust ausweist, heisst das, dass sie folglich 15 Milliarden in den anderen Bereichen verdient hat. Für das Debakel ist der Verwaltungsrat verantwortlich. Doch dass nach all den guten Jahren die Banken wieder so reingerasselt sind, wundert mich nicht.
Warum nicht?
Weil die Unternehmen in guten Jahren immer übermütig werden und allen Mist mitmachen. Man glaubt stets, die Bäume wachsen in den Himmel. Genau wie die Politiker. Dann laufen sie voll ins Messer, wenn die Konjunktur dreht.
Erwarten Sie eine Rezession?
Wir gehen schlechteren Zeiten entgegen, auch in der Schweiz. Es beginnt wie immer zuerst in Amerika.
Was raten Sie Ihren Kindern, die alle selber Unternehmen führen?
Wie immer in der Hochkonjunktur, wenn alle investieren, das Gegenteil tun. Schon das Alte Testament spricht von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren. Ein Unternehmer sagt dazu: «Heute hat man sieben magere Jahre und sieben fette Monate.»
Sprechen Sie über die Wirtschaft, blühen Sie auf. Möchten Sie selber wieder eine Firma führen?
Mein Auftrag ist es, jetzt meine ganze Arbeitskraft in die Politik und die Arbeit der SVP zu stecken! Aber vielleicht kann ich später wieder Politik und Wirtschaft unter einen Hut bringen. Es würde mich reizen, ein Unternehmen zu kaufen und dieses zu sanieren.
Sie könnten zur EMS-Chemie zurück.
Auf keinen Fall. Die Unternehmen habe ich meinem Sohn und meinen Töchtern übergeben. Da hat sich der Vater nicht mehr einzumischen.
Wie wärs mit dem Posten des UBS-Präsidenten?
Dazu wäre ich nicht fähig: Fürs Bankgeschäft fehlt mir die nötige Kenntnis. Ich selber besitze auch keine Bankaktien, weil ich das Funktionieren der Banken nicht richtig verstehe.
Welchen Rat geben Sie Ihrem Freund, dem UBS-Präsidenten Marcel Ospel?
Ich kann es nur von aussen beurteilen. Aber wenn Herr Ospel als Bankpräsident verantwortlich ist, darf er jetzt nicht gehen. Gemäss meiner Kenntnis wollte er schon 2007 zurücktreten. Aber vielleicht muss er jetzt bleiben und aufräumen. Dass er innerhalb weniger Tage einen seriösen Aktionär gefunden hat, der 13 Milliarden Franken auf den Tisch legt, ist eine Meisterleistung.
Apropos Geld. Werden Sie das Ruhegehalt, das Ihnen als abtretender Bundesrat zusteht, annehmen?
Das entscheidet sich Ende Jahr. Wenn ich ein hohes Arbeitseinkommen habe, dann nehme ich es nicht an, andernfalls gilt die rechtliche Regelung. Wenn ich es nicht beziehe, dann geben sie den Chlotz in Bern für Dümmeres aus.