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18.09.2011

50 Jahre schweizerische Landeshymne

Jubiläums-Ansprache am Bettag, Sonntag, 18. September 2011, 17 Uhr in der Klosterkirche Wettingen Meine sehr verehrte Festgemeinde, I. Geburtsstunde Der 14. November des Jahres 1841 war kein Tag wie jeder andere. An diesem Tag sang eine Zürcher Sängerrunde in privatem Kreis zum ersten Mal den „Schweizerpsalm“. Fast ein halbes Jahr lang hatten Pater Alberik Zwyssig und der Freizeitdichter Leonhard Widmer Melodie und Verse aufeinander abgestimmt. Zwyssig und Widmer – so ungleich sie von Herkunft, Überzeugung und Lebensumständen waren –, hatten sich zusammengetan, um etwas Harmonisches, Weihevolles, Patriotisches und Naturfrommes zu schaffen. Und es gelang. Der „Schweizerpsalm“ eroberte im Sturm die Chorliteratur, gehörte bald zum Repertoire geistlicher wie weltlicher Konzerte und fand Aufnahme im katholischen wie im reformierten Kirchengesangbuch. 1961 – vor fünfzig Jahren – wurde der „Schweizerpsalm“ zur provisorischen, zwanzig Jahre später zur definitiven schweizerischen Nationalhymne. II. Feier am Eidgenössischen Dank-,Buss- und Bettag Die heutige Feier verdanken wir der Initiative von ebenso kunstsinnigen wie heimatliebenden Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Und es ist eine glückliche Idee, die Würdigung der schweizerischen Landeshymne am heutigen nationalen Feiertag vorzunehmen. Denn der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag wurde vor über zweihundert Jahren als äusseres Zeichen der Verbundenheit aller Landesteile, Sprachen und Konfessionen geschaffen. Nachdem der Sonderbundskrieg um 1847 – eine Mischung zwischen Religions-, Bürger- und ein Bruderkrieg unter den Eidgenossen –erhebliche Wunden ins eidgenössische Zusammenleben geschlagen hatte, galt es durch einen gemeinsamen Akt die Wunden im noch jungen Bundesstaat zu heilen! III. Geboren in stürmischen Zeiten Versetzen wir uns zurück ins Jahr 1841, ins Jahr, als der "Schweizer Psalm" erstmals in einem privaten Kreis gesungen wurde. Die Zeiten waren stürmisch, die eidgenössischen Orte zerstritten, das politische Klima in der Schweiz war vergiftet, der Hass zwischen Konservativen und Liberalen so tiefgreifend, dass es sogar zu bewaffneten Freischarenzügen mit Toten und Verletzten kam. Vor diesem Hintergrund erscheint es uns fast wie ein Wunder: Über kaum unüberwindliche, schmerzvolle Gräben hinweg trafen sich zwei gleichaltrige Männer und schufen ein vaterländisches Lied, das nach über hundert Jahren zu unserer Nationalhymne werden sollte. Pater Zwyssig übertrug einen früher von ihm komponierten lateinischen Messgesang auf den Text von Leonhard Widmer. Die Gegensätze hätten nicht grösser sein können: Die beiden Schweizer verkündeten nicht prahlerisch und selbstgerecht Toleranz und Solidarität. Aber sie handelten entsprechend. – Hier der liberale Feuerkopf Leonhard Widmer – dort der konservative Zisterzienser Alberik Zwyssig. – Hier der Reformierte und dort der Katholische – Hier der Zürcher und dort der Urner. – Hier der Geschäftsmann und dort der Geistliche. – Hier der Heftige und dort der Sanftmütige. – Hier der umtriebige Städter und dort der zurückgezogene Mönch. – Hier der kraftvoll Gesunde und dort der ständig Kränkliche. – Hier das Vaterlandslied und dort der Messgesang. – Hier die deutsche und dort die lateinische Sprache. All diese Gegensätze sind in diesem Schweizerpsalm – gleichsam unfreiwillig als Symbol gestaltet – heute in der Landeshymne vereint. Ganz ähnlich geschah es übrigens in jener Zeit mit dem Lied „O mein Heimatland, o mein Vaterland!“, das zeitweise ebenfalls als schweizerische Nationalhymne diskutiert wurde. Dichter des Textes war der junge Zürcher Gottfried Keller. In Töne setzte die Verse sein damals wohl bester Freund, der früh verstorbene Thurgauer Katholik Wilhelm Baumgartner. Beide bedeutungsvollen Schweizerlieder sind nicht die Frucht selbstgerecht gepredigten und prahlerisch verkündetem Bekenntnis für billige Toleranz und schwächlicher Solidarität. Nein, es sind die Früchte von tiefsinnigem und echt freund-eidgenössischem Denken und Handeln. IV. Entstehung des Schweizerpsalms Die Entstehungsgeschichte des Schweizerpsalms ist kurz. Leonhard Widmer kannte und schätzte Pater Alberik Zwyssig, der gelegentlich Musikalien aus dessen lithographischer Anstalt bezog. Im Sommer 1841 schickte ihm Widmer seinen Liedtext. Noch waren die Strophen etwas breiter, zerdehnter und holpriger. Doch die Kraft, der Glaube und der Patriotismus des Textes müssen Zwyssig tief beeindruckt und inspiriert haben. Er erinnerte sich an einen sechs Jahre zuvor komponierten Messgesang auf den Psalmtext „Diligam te Domine“ – Dich will ich lieben, Herr! Nun galt es, diese feierliche Melodie dem Text Widmers rhythmisch anzugleichen. Wie genau sich Töne und Text, in welchem Hin und Her sich Widmer und Zwyssig zusammenfanden, ist nicht mehr zu klären. Aber jedenfalls: Ende gut – alles gut. Und so kam es: Etwa gleichzeitig, wie in Zürich Widmers Freunde den Psalm sangen, waren es in Buonas am Zugersee bei Zwyssig vier Zuger Stadtbürger, die das Lied als Quartett mit erstem und zweitem Tenor sowie mit erstem und zweitem Bass intonierten. 1843 figurierte der Schweizerpsalm erstmals in einem Festheft der Zürcher Studentenverbindung Zofingia. Im gleichen Jahr wurde er am Eidgenössischen Sängerfest in Zürich vorgetragen, und die Männerchöre überlieferten Melodie und Text fortan über Generationen. Bald schon erfolgte die Übersetzung ins Französische, und es war denn auch ein Genfer Gesangslehrer, der 1894 den Schweizerpsalm erstmals als Nationalhymne vorschlug. Doch vorerst überwogen die Bedenken: Die Komposition sei zu schwierig, der Schluss zu wenig straff, der religiös-hymnische Charakter ungeeignet. Am 12. September 1961 beschloss der Bundesrat nach einer Befragung der Kantone, den Schweizerpsalm einstweilen als Nationalhymne einzuführen. Nach dreijähriger Versuchsperiode erfolgte eine erneute breite Befragung. Schliesslich am 1. April 1981 der erneute, unbefristete Beschluss. Positiv gewürdigt wurde vor allem, dass diese Hymne im Gegensatz zum etwas martialischen „Rufst Du mein Vaterland“ keine Gewalt und Waffentaten verherrliche, sondern die Liebe zu Gott, Heimat und Naturschönheit. Denn der Schweizerpsalm – so meinte der Bundesrat – sei „ein rein schweizerisches Lied, würdig und feierlich, so wie eine Grosszahl unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger sich eine Landeshymne wünschen“. V. Ein Feldmeilemer als Texter Doch erinnern wir uns etwas eingehender der beiden denkwürdigen Männer, denen wir den Schweizerpsalm verdanken. Der Textdichter, Leonhard Widmer, wurde 1808 in Feldmeilen am Zürichsee geboren. Jenem Ort am rechten Zürichseeufer übrigens, wo ich mit meiner Familie über zwanzig Jahre gelebt habe und die zusammen mit meiner heutigen Wohngemeinde Herrliberg den Bahnhof teilt. Der Gedenkstein, der 1908 zu Leonhard Widmers 100. Geburtstag gesetzt wurde, ist allerdings kaum mehr sichtbar. Er steht zwischen Bahnschienen eingeklemmt, von Efeu überwachsen unweit des Bahnhofgebäudes Herrliberg-Feldmeilen, wo sein Geburtshaus dem Bahnbau weichen musste. Wer den Gedenkstein nicht sucht, findet ihn auch nicht! Familie Widmer lebte am Zürichsee in ärmlichen Verhältnissen, bis der Vater in Hirslanden recht erfolgreich eine Gärtnerei betreiben konnte, aber früh verstarb. Der Berufsweg von Leonhard Widmer entsprach den unruhigen Zeiten: Er absolvierte eine kaufmännische Ausbildung in einem Seidenhandelsgeschäft, wechselte in eine Musikalienhandlung, lebte in Lausanne als Hauslehrer und in Morges als Pensionatslehrer, kehrte zurück, verlor wegen politischer Heftigkeit eine gute Stelle in einer konservativen Druckereifirma. Widmer gab zeitweilig das kämpferisch liberale „Neumünster-Blatt“ heraus. Er, der uns im Schweizerpsalm so innig naturfromm und gottvertrauend entgegentritt, war ein begeisterter Anhänger des 1839 aus Deutschland berufenen Theologen Friedrich Strauss, den konservative Reformierte schlicht als Unchristen bekämpften. Später betrieb Widmer selber ein Lithographiegeschäft und versuchte in jeder Art, seine Familie und sich wirtschaftlich über Wasser zu halten. Schliesslich pflegte er die Geselligkeit als Gastwirt „Zum schönen Grund“ in Oberstrass. Widmers Leidenschaft galt der Politik. Er vertrat mit Energie die liberal-radikale Richtung und folgte ihr auch in den extremen Auswüchsen. So verehrte er den Aargauer Klostergegner Augustin Keller und pflegte dennoch Freundschaft mit dessen Opfer, Pater Alberik Zwyssig. Als sich der von Widmer mitbegründete Grütliverein immer mehr sozialistischen und gar kommunistischen Gedanken annäherte, kam es zum Bruch. Am meisten aber liebte Leonhard Widmer den Gesang und die Verskunst. Er beteiligte sich begeistert am 1841 gegründeten liberalen Sängerverein „Harmonie“ und später im Sängerbund Zürich. Viele seiner Texte sind vergessen. Der Schweizerpsalm aber ist geblieben und etwa noch das Lied „Wo Berge sich erheben“, doch leider auch dieses nur noch der älteren Generation bekannt. Es war damals die ganz grosse Zeit des vierstimmigen Männerchorgesangs. Ausgezeichnete Musiker vertonten die Verse ausgezeichneter Dichter. Die eidgenössischen, kantonalen und regionalen Sängerfeste vereinigte Tausende von Sängern und bildeten machtvolle Demonstrationen vaterländischer Gesinnung. Leonhard Widmer war stets eifrig dabei, sang im Quartett, im grossen Chor, verfasste Sängerzeitungen und gab Liedersammlungen heraus. Im Alter von sechzig Jahren verstarb der merkwürdige Mann, dessen Gesichtszüge kraftvolle Energie und kluge Aufmerksamkeit ausstrahlen. VI. Alberik Zwyssig: Melodie aus dem Kloster Wettingen Ganz anders verlief der Lebenslauf des Komponisten Alberik Zwyssig. Als „Johann Josef Maria“ 1808 in Bauen am Urnersee, mitten in der Wiege der Eidgenossenschaft, geboren, verlor er früh seinen Vater, dessen Spur sich in holländischen Kriegsdiensten verlor. Schon seine Mutter war Novizin gewesen, und vier ihrer fünf Kinder wählten später den Ordensstand. Nach einer Ausbildung in Menzingen trat Zwyssig im 13. Altersjahr ins 1227 gegründete Zisterzienserkloster Wettingen ein. Neben der theologischen spielte hier die musikalische Ausbildung eine bedeutende Rolle; Alberik wurde zum vielseitigen Instrumentalisten und vorzüglichen Kantor. Im alten Klostergemäuer ging es durchaus auch fröhlich zu; Zwyssigs erste musikalische Schöpfung war ein Trinklied. Sein humorvolles, heiteres und mildes Wesen liess den begabten Mönch später Freunde auch ausserhalb des Klosters, ja ausserhalb seiner eigenen Konfession gewinnen. Er wurde Novize und nach einem Jahr mit dem Namen „Alberik“ nach Ablegung der Profess freudig als Mönch aufgenommen. Nach weiteren theologischen und musikalischen Studien erfolgten 1832 in Luzern die Priesterweihe und danach war er manche Jahre als Stiftskapellmeister und Sekretär von Abt Alberik Denzler tätig. Es wird bezeugt, dass der junge Zisterzienser äussert unzufrieden war mit der alten Klosterorgel. Darum habe er die altersschwachen Tasten so sehr traktiert, um sie vollends zu ruinieren… Bald schon nahmen die politischen unruhigen Zeiten Zwyssig mehr und mehr in Beschlag. Die Wahl des neuen, eher entscheidungsschwachen Abtes Leopold Höchle machten seine Sekretärspflichten nicht leichter. Am 13. Januar 1841 verfügte schliesslich der Grosse Rat die Aufhebung der aargauischen Klöster, und Pater Zwyssig hat diesen rechtlich gewiss fragwürdigen Akt mitsamt militärischer Besetzung für die Nachwelt aufgezeichnet. Die vertriebene Klostergemeinschaft fand zuerst im Schloss Buonas eine neue Bleibe. An eine Rückkehr war nach der Einrichtung eines Lehrerseminars in den Wettinger Konventsgebäuden im Jahr 1846 nicht mehr zu denken. Vorübergehend in Werthenstein bei Wolhusen untergebracht, vertrieb der Sonderbundskrieg 1847 die Klostergemeinschaft erneut. So folgten weitere sechs Jahre im Kloster Wurmsbach in Jona am Obersee. Alberik Zwyssig leitete am dort neu gegründeten Töchterinstitut den Musikunterricht und schuf zahlreiche geistliche und weltliche Werke. 1854 bezog er mit sechs anderen Patres und drei Brüdern das wiederbelebte Benediktinerkloster Mehrerau in Bregenz. Zwyssig aber – stets von schwächliche Konstitution und nach grossen Anstrengungen meistens längere Zeit leidend – verstarb schon ein halbes Jahr nach dieser letzten Umsiedlung im Alter von erst 46 Jahren. VII. Nationalhymne in unserer Zeit Meine Damen und Herren, wir haben hier unseren Schweizerpsalm und dessen weitgehend vergessene Urheber gewürdigt. Erlauben Sie mir zum Schluss ein Wort über das Wesen und die Bedeutung einer Nationalhymne in unserer Zeit ganz allgemein. Eine Nationalhymne hat ja eine Bedeutung, die heute weit über die Repräsentation der Staaten bei Staatsbesuchen und ähnlichen diplomatischen oder militärischen Ereignissen hinausgeht. Sie ist – ähnlich wie die Flagge – ein äusseres Zeichen der Einmaligkeit von jedem einzelnen der immer noch zahlreichen Staaten dieser Welt. Gerade in Zeiten der Vermassung und Gleichmacherei entsprechen solche Unterscheidungsmerkmale einem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Verwurzelung und Heimatgefühl. Gerade bei Sportveranstaltungen und deren Übertragung für ein Millionenpublikum am Fernsehen bildet die Nationalhymne ein wichtiges emotionales Mittel der Identifikation. Die jungen Fussballfans singen zumindest die erste Strophe kräftig mit und man schaut genau hin, ob die Stars bei Spielbeginn kräftig mitsingen oder wenigstens die Lippen ein bisschen dazu bewegen. Beim gegenwärtig feststellbaren, neu erwachenden Patriotismus der jungen Generation spielt die Nationalhymne eine nicht zu unterschätzende Rolle. So vielfältig und unterschiedlich die Staaten sind, so verschieden sind auch ihre Nationalhymnen. Länder wie Grossbritannien, Dänemark, Schweden oder Norwegen würdigen ihre Monarchen und wünschen ihnen ein langes, gesundes Leben. Wieder andere Hymnen haben einen kriegerisch-militärischen Charakter, etwa jene der Grossmacht Amerika, das irische „Soldatenlied“ oder – besonders bekannt – die französische „Marseillaise“ aus blutiger Revolutionszeit. Die Schweiz aber besitzt eine Nationalhymne mit ausgeprägt sakralem, chorartigem Charakter, die sogar Aufnahme in die kirchlichen Gesangbücher unseres Landes fand. Ist es nicht bemerkenswert und Grund zur Freude, dass unsere Schweiz auch diesbezüglich von der Norm abweicht und einen Sonderfall darstellt? Wir verdanken diesen Sonderfall den dichterischen Versuchen eines idealistisch gesinnten, kleinbürgerlichen Zürcher Freiheitsfreundes. Und den musikalischen Fähigkeiten eines begabten, empfindsamen „grauen Mönchs“, der in dieser Wettinger Klosterkirche zur Ehre Gottes musizierte. So ungleich die beiden Schöpfer unseres Schweizerpsalmes waren: Wir sind ihnen zutiefst dankbar, dass es ihnen gelang, bleibend Ergreifendes für eine ganze Nation zu schaffen.

17.09.2011

Hütet Euch am Morgarten

Rede anlässlich des «Morgarten-Treffen» vom 17. September 2011 Sehr geehrte Herren Regierungsräte Herren Nationalräte Damen und Herren Kantonsräte, Gemeindepräsidenten und Gemeinderäte Liebe Zugerinnen und Zuger, liebe Freunde der Zuger SVP Liebe Frauen und Männer Sie hatten die gute Idee, das 20-jährige Jubiläum der SVP des Kantons Zug hier an dieser historischen Stätte, beim Schlachtgelände von Morgarten, zu begehen. Kapelle, Denkmal und Schützenhaus sind Orte der Erinnerung: Erinnerung an den Kampf um Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Genau dafür haben die Eidgenossen am 15. November 1315 gegen eine riesige Übermacht von Gegnern gekämpft. Und dafür kämpft die Zuger SVP seit zwanzig Jahren – ebenfalls gegen eine riesige Übermacht von Gegnern! Gewiss: Die Schlacht am Morgarten war eine blutige Auseinandersetzung, bei der es um Leben oder Tod ging. Die politische Arbeit im Kanton Zug ist glücklicherweise friedlich und gewaltlos. Und dennoch musste der Kanton Zug vor nicht allzu langer Zeit erleben, dass die Politik auch heute noch eine ungeheuer ernsthafte, gefährliche Sache sein kann: Und im Extremfall Tod, Verletzung und Traumatisierung bedeutet. Das schreckliche Attentat im Rathaus von Zug vom 27. September 2001 – vor ziemlich genau zehn Jahren also – hat die Menschen weit über die Schweiz hinaus erschüttert. I. Eidgenossenschaft gegen Grossmachtmachtpolitik Im Jahre 1291 schlossen die Urschweizer ihren ewigen Bund gegen die Ansprüche des machtbewussten, zunehmend europäisch herrschenden Hauses Habsburg. Ziel des Adelsgeschlechts war es, ein einheitlich organisiertes, geschlossenes, zentralistisch regiertes Herrschaftsgebiet durchzusetzen. Schon damals ging es um die Beherrschung der Nord-Süd-Verbindung des Gotthardpasses. Doch die Eidgenossen von Uri, Schwyz und Unterwalden beriefen sich auf ihre alten Freiheitsrechte. Sie bekräftigten im besiegelten Bundesbrief zu Anfang August 1291 ihren Willen, dass sie keine fremden Richter dulden und sich gegenseitig beistehen wollten. In den folgenden Jahren rüsteten die Habsburger vorerst noch nicht zum bewaffneten Krieg. Die Habsburger führten aber einen wirtschaftlichen und kirchlichen Kampf gegen die Urschweiz. Wegen Grenzstreitigkeiten und einem Überfall der Schwyzer auf das Kloster Einsiedeln verhängte der Bischof von Konstanz den Kirchenbann über Schwyz, Uri und Unterwalden. Weil aber die Gottesdienste nur „auf“ der Erde verboten waren, grub man in Schwyz einen Teil der alten Dorfkirche zwei Meter unter den Boden und feierte so munter weiter die heilige Messe… Als die Habsburger seit 1314 mit den bayerischen Wittelsbacher um die deutsche Königswürde stritten, stellten sich die Eidgenossen auf die Seite der Wittelsbacher, weil sie sich so Unterstützung gegen die habsburgischen Ansprüche erhofften. Der Habsburger König Friedrich sprach die Reichsacht gegen die Waldstätte aus und beauftrage seinen jüngeren Bruder Leopold, gegen die widerspenstigen Eidgenossen vorzugehen. Dieser bot nun ein Heer von etwa 9000 Mann auf, darunter etwa 2000 Ritter aus dem süddeutschen Adel und Abordnungen der damals habsburgischen Städte Zürich, Winterthur, Luzern – und auch aus Zug. Die Zuger kämpften also damals noch auf der falschen Seite. Bis Zug dann 1352 ebenfalls der Eidgenossenschaft beitrat. Leider ein volles Jahr später als wir Zürcher! II. Ein Zuger als Warner Und dennoch hat ein Zuger am Morgarten eine rühmliche Rolle gespielt und die Eidgenossen rechtzeitig gewarnt. Ritter Heinrich von Hünenberg soll ihnen mit einem Pfeil über die Befestigung von Arth folgende Warnung geschickt haben: „Hütet Euch am Morgarten am Tage vor St. Othmar!“ Die Landleute von Uri, Schwyz und Unterwalden erwarteten nämlich die habsburgischen Eindringlinge unter Herzog Leopold bei Arth, bei Rothenturm oder am Brünigpass und hatten dort die Zugänge durch Schutzmauern gesichert. Auch ein Einfall vom Vierwaldstättersee her war durch Palisaden bei Brunnen, Stansstad und Buochs verunmöglicht. Ungesichert aber blieb der Weg von Ägeri über den Sattel zwischen dem Rossberg und Morgarten. Das blieb den österreichischen Angreifern und deren Spionen nicht unbekannt. Doch Ritter von Hünenberg sagte voraus, wann genau der weit übermächtige Feind zu erwarten sei. Zu Sankt Othmar – am 15. November. Die Hauptmacht des habsburgischen Heers startete in Zug und zog entlang des Ägerisees in einer mehrere Kilometer langen Kolonne Richtung Morgarten, die Ritter an der Spitze, das Fussvolk dahinter. An der engen Stelle zwischen Hang und versumpftem Ufer des Ägerisees hatten die Schwyzer mit den befreundeten Urnern einen Hinterhalt errichtet und fielen mit Steinen, Baumstämmen und Hellebarden über die Ritter her. Diese hatten im engen Gelände kaum Möglichkeiten zur Gegenwehr, so dass schliesslich 2000 Tote auf der habsburgischen Seite liegenblieben. Die Eidgenossen sollen nur gerade 12 Mann verloren haben. Sie hatten alle entscheidenden Faktoren einer erfolgreichen Kriegsführung auf ihrer Seite: Ortskenntnis, Überraschungseffekt, geschickte Ausnützung des Geländes, infanteristischer Nahkampf. So verhinderten sie mit unglaublicher Kampfkraft diese unfriedliche habsburgische „Masseneinwanderung“. „Hütet Euch am Morgarten!“ – Dank der Warnung eines befreundeten Zugers standen die Eidgenossen am 15. November 1515 genau am richtigen Ort. Sie vermochten das feindliche Ritterheer vernichtend zu schlagen und die junge Eidgenossenschaft zu retten. „Hütet Euch am Morgarten!“ – möchte man heute den Schweizerinnen und Schweizern zurufen, wenn wir die Politik in Bundesbern betrachten. Da wird unentwegt versucht, das Volk mit nebligen Erklärungen über wahre Absichten zu täuschen, mit unbestimmten Begriffen die Tatsachen zu verschleiern und in Verhandlungen fortwährend Positionen preiszugeben – bis wir die von den alten Eidgenossen erkämpfte Unabhängigkeit und Freiheit verloren haben. III. Hütet Euch vor der Masseneinwanderung! Es gibt heute viele Gründe, sich am Morgarten zu hüten. „Hütet Euch vor der Masseneinwanderung!“ ¬– sollte man unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern zurufen. Wenn ein Land die Zuwanderung nicht mehr selber steuern kann, ist es nicht mehr unabhängig. Heute gibt es keine wirksamen Instrumente mehr, um die Einwanderung zu steuern und zu begrenzen. Die nachteiligen Folgen werden immer offensichtlicher. Die Schweiz hat immer grosszügig, aber kontrolliert Zuwanderer aufgenommen. In den letzten fünf Jahren sind beinahe 400‘000 Menschen mehr in die Schweiz ein- als ausgewandert. Der Ausländeranteil hat sich seit 1950 um ein Vierfaches vermehrt – trotz jährlichen Einbürgerungen von gegen 50‘000 Personen. Geht es so weiter, müssen wir in den nächsten Jahrzehnten mit einem weiteren massiven Bevölkerungswachstum rechnen; möglicherweise mit zehn Millionen Einwohnern schon in zwanzig Jahren. Alle drängen in die angeblich so abgeschottete, isolierte Schweiz. Die Armen, die hier ein besseres Leben suchen, die Arbeitswilligen, die hier berufstätig sein wollen, die Reichen, die hier ihr Vermögen in Sicherheit bringen wollen, die Asylsuchenden und Flüchtlinge, ja selbst die fernen Afrikaner finden die angeblich so isolierte „Insel“ Schweiz. Hier gibt es höhere Löhne und Renten, bessere Sozialwerke, ein bestens ausgebautes Gesundheits- und Bildungswesen, mehr Sicherheit. Die Folgen der ungebremsten Zuwanderung sind überlastete Infrastrukturen, verstopfte Strassen, überfüllte Züge, explodierende Mieten und Bodenpreise. EU-Zuwanderer verdrängen Arbeitnehmer aus Drittstaaten, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren, sondern unsere Sozialwerke belasten. Die Löhne geraten unter Druck. Asylmissbrauch und Ausländerkriminalität steigen. Die SVP will mit ihrer Volksinitiative „Gegen die Masseneinwanderung“ wieder eine Zuwanderung, die sich nicht nur am Interesse der Zuwanderer, sondern auch am Gesamtinteresse der Schweiz orientiert. Wir wollen wieder selber bestimmen, welche Ausländerinnen und Ausländer für wie lange in unser Land kommen dürfen. IV. Hütet Euch vor dem EU-Beitritt! Gegenwärtig, vor den Wahlen, sagen die Politiker aller Parteien, sie wollten nicht der EU beitreten. Nach den Wahlen sieht die Sache dann wieder ganz anders aus. Hütet Euch vor dem EU-Beitritt! Hütet Euch vor schlauen Abmachungen, die dem EU-Beitritt nahe kommen! Betrachten wir den realistischen Zustand der heutigen EU: Das Euroland ächzt unter der hohen Staatsverschuldung, den darob wankenden Banken und der Euro-Fehlkonstruktion. und den Nachteilen einer gemeinsamen Währung. Die Tüchtigen zahlen und jene, die über ihre Verhältnisse leben, werden belohnt. Die Empfänger verliessen sich immer mehr auf die Geber, tricksten und fälschten Statistiken und Bilanzen, arbeiteten immer weniger, gingen immer früher in Rente und schufen statt Arbeitsstellen in der Wirtschaft ständig neue Staatsstellen. Kommt es selbstverschuldet zum Kollaps, werden Unsummen gesprochen, die niemand besitzt. Auch unser Land musste sich – obwohl nicht EU-Mitglied – an diesen Rettungsaktionen beteiligen. Dies ist umso sinnloser, als ein brauchbares Konzept zur nachhaltigen Gesundung der Staatsfinanzen nicht vorliegt. Die EU verlangt von der Schweiz, dass diese in Zukunft – ob als EU- oder als EWR-Mitglied oder als bilateraler Vertragspartner – mit neuen "institutionellen" Einrichtungen unbesehen das EU-Recht übernimmt. Sollte unsere Regierung auf die Forderungen der EU eintreten, hiesse das: Die Schweiz muss künftiges, heute noch nicht bekanntes EU-Recht übernehmen. Und in Streitfällen würde ein EU-Gericht entscheiden. Was die Eidgenossen in ihrem Bundesbrief von 1291 nicht wollten, ja der eigentliche Grund, weshalb sie den Schweizer Bund gründeten, würde dann Tatsache: Wir bekämen fremde Richter! Da können wir nur sagen: „Hütet Euch am Morgarten!“ "Hütet Euch vor fremden Richtern! Die zwangsweise Übernahme von noch unbekanntem Recht entspricht einem Kolonialvertrags-Verhältnis. Die Schweiz würde zur Kolonie der EU. Der Bundesrat muss der EU endlich klarmachen, dass die Schweiz nicht beitreten will, weil das mit der Souveränität unseres Landes und den Rechten seines Volkes nicht vereinbar ist. Wie will man gegenüber der EU die Interessen unseres Landes glaubwürdig vertreten, wenn seit bald zwanzig Jahren ein Beitrittsgesuch der Schweiz in Brüssel liegt? Und wie soll die EU verstehen, warum wir bei Verträgen hartnäckig um Details feilschen, wenn die Regierung ja längst beitreten möchte? Warum zieht denn der Bundesrat nicht endlich dieses Beitrittsgesuch zurück? Aus einem einzigen Grund: Weil der Bundesrat – ohne es dem Schweizer Volk zu sagen – in die EU drängt. Wir sollten nicht nur hören, was sie sagen, sondern vor allem, was sie denken. „Hütet Euch am Morgarten!“ "Hütet Euch vor "institutionellen Bindungen"! "Hütet Euch vor Kolonialverträgen!" Die besondere Stellung der Schweiz verdanken wir allein der besonderen Staatsform der Schweiz. Einer Verfassung, die dank der direkten Demokratie den Bürgern die letzte Entscheidungsmacht überlässt. Es war das Volk, das in der wichtigsten Volksabstimmung des letzten Jahrhunderts, am 6. Dezember 1992, mit dem Nein zum EWR den Eintritt in die EU versperrte. Wir verdanken die bessere Situation also einzig dem Sonderfall Schweiz mit der weltweit einzigartigen direkten Demokratie. Durch einen EU-Beitritt und neuen bildenden Verträgen soll gerade diese direkte Demokratie geopfert werden. V. Hütet Euch vor den Antidemokraten! Auch hierzulande gibt es leider zunehmend Leute, denen die direkte Demokratie nicht passt. Im blütenreinen Mantel von Gutmenschen, Moralisten und Rechtsstaatlern verkünden sie, sie wüssten besser als das Volk, was dem Volk dient. Hütet Euch vor den Antidemokraten! Sie wollen lieber selber bestimmen, statt sich vom Volk dreinreden zu lassen. Sie verhindern die Umsetzung von gültigen Volksabstimmungen wie etwa der SVP-Ausschaffungsinitiative. Darum muss die SVP eine neue Volksinitiative starten, die den Volkswillen wie in einem Gesetz im Wortlaut in der Verfassung festsetzt. Diese Antidemokraten wollen Warnungen bei Volksabstimmungen anbringen, damit die angeblich dummen Bürger nicht falsch abstimmen. Sie wollen Volksinitiativen möglichst frühzeitig für ungültig erklären. Sie fordern „Wahrheitskommissionen“, die beurteilen sollen, ob die Propaganda bei Abstimmungen richtig oder falsch sei. Eigentlich müssten Regierung, Parlament und Richter laut Verfassung die Rechte des Volkes schützen. Doch in Wirklichkeit schränken sie die Rechte des Volkes immer mehr ein. Die Einbürgerungen werden zum reinen Verwaltungsakt degradiert. Weil bei Steuererhöhungen die Bürger mitbestimmen können, werden immer mehr Abgaben, Gebühren und Prämien erhoben, um den Bürgerwillen zu umgehen. Das sogenannte Völkerrecht wird immer mehr über den verfassungsmässigen Gehalt hinaus ausgeweitet, ebenso der Kerngehalt der Grundrechte. Dies widerspricht zunehmend dem verfassungsmässigen Gehalt der direkten Demokratie. Zum Gehalt unserer Demokratie gehört das Vertrauen in die Bürger. Wir müssen über alles reden, debattieren, streiten – und abstimmen können. Doch heute stösst auch das verfassungsmässige Initiativrecht immer mehr an Schranken von internationalen Konventionen, Vereinbarungen und Staatsverträgen. Unzählige internationale Paragrafen führen dazu, dass berechtigte und mehrheitsfähige Volksinitiativen nicht mehr gemäss dem Willen des Souveräns umgesetzt werden. So geschah es bei der Verwahrungsinitiative und bei der Unverjährbarkeitsinitiative; bei der siegreichen Minarett- wie auch bei der SVP-Ausschaffungsinitiative werden völkerrechtliche Einwände erhoben, um sie nicht gemäss Wortlaut umsetzen zu müssen. Kurz: Die Richter stellen sich über Volk und Volksvertreter. Da gilt für die Bürgerinnen und Bürger die Devise: Hütet Euch vor dem Richterstaat VI. Schweizer wählen SVP! Wer verhindern will, dass die Schweiz schleichend der EU beitritt, hat nur eine Wahl: Er oder sie muss am 23. Oktober 2011 SVP wählen. Denn es geht weniger um Wahlen als um eine Sachfrage: Wie hältst Du es mit der Schweiz? Bist Du für oder gegen die Schweiz? Ein EU-Beitritt zerstört die Schweiz. Wer das will, den bezeichne ich nicht als Schweizer. Denn der Schweizer wird zum Schweizer durch die Schweiz. Und die Schweiz ist undenkbar ohne Freiheitsrechte der Bürger, ohne direkte Demokratie, ohne Föderalismus und Neutralität. Wer für die Schweiz ist, muss SVP wählen. Schweizer wählen SVP! Nur wer SVP wählt, hat die Gewähr, dass die Personenfreizügigkeit mit ihrem gewaltigen Zuwanderungsdruck und sofortigem Zugang zu den Sozialwerken neu verhandelt wird. Nur wer SVP wählt, hat die Gewähr, dass die direkte Demokratie und die Rechte der Bürger gegen die Anmassung von Antidemokraten verteidigt werden. Dafür kämpfen die Vertreter der SVP – vor und nach den Wahlen. Wir kämpfen mit voller Überzeugung, kraftvoll und wenn nötig auch listig – wir dereinst die Ahnen am Morgarten!

01.08.2011

1. August-Rede 2011 auf dem St. Gotthard-Pass

Ansprache von a. Bundesrat Christoph Blocher, gehalten am 1. August 2011 –  Liebe Mit-Landsleute –  Cari amici del Cantone Ticino –  Liebe Urner, Walliser und Bündner Freunde –  Verehrte Geburtstagsgäste Geburtstag auf dem St. Gotthard Heute am 1. August 2011 - sind wir hier auf diesem geschichtsträchtigen Punkt – zusammengekommen, um den 720. Geburtstag unseres Landes - unseres Heimatlandes zu feiern. In Dankbarkeit feiern wir unseren Geburtstag. Dankbar, dass unser Land ein weiteres Jahr in guter Verfassung bestehen konnte. Heute dürfen wir – und das ist auch für mich ausserordentlich – diesen Geburtstag an einem besonderen Ort feiern: –  auf 2018 Meter über jedem Meeresspiegel, wo sich gegenwärtig wohl viele Schweizerinnen und Schweizer am Strand erholen. –  auf der Passhöhe des St. Gotthard, des San Gottardo –  mitten im Alpenmassiv, –  mitten in der Schweiz, –  mitten in Europa: (Sie haben recht gehört: nicht mitten in der EU, sondern mitten in Europa) Ja dieser Gotthard! Dieser Gotthardpass! Jedes Mal, wenn ich über diesen Pass fahre, habe ich Herzklopfen angesichts dieses Gebirges. Was wäre wohl die Schweiz, was wäre wohl Europa ohne diesen Nord-Süd-Übergang? Zentralalpiner Kreuzpunkt Heute also feiern wir unseren Nationalfeiertag am zentralalpinen Kreuzpunkt der nordsüdlichen und der ostwestlichen Alpenfurche, am Kreuzpunkt von Reusstal-Leventina einerseits und Vorderrhein und Rhonetal anderseits. –  Hier entspringen vier wichtige Flüsse Europas –  der Rhein fliesst nach Norden und ergiesst sich in die Nordsee –  die Reuss, die sich mit der Aare und dem Rhein verbindet, –  die Rhone, fliesst nach Südwesten, verbindet uns mit dem Mittelmeer und Marseille, –  der Ticino wendet sich schnurstracks nach Süden zum Po und in die Adria. –  Es ist schön, dass wir auf dem neugeschaffenen 4-Quellen-Weg die vier Quellen des Wasserschlosses Europa durchwandern können. Gotthard: Nomen est Omen Wir benennen dieses Gebirgsmassiv und den Alpenpass als Sankt Gotthard, lateinisch Monte Sancti Gottardi, nach dem 1131 heilig gesprochenen Benediktiner Gotthard, dem einstigen Bischof von Hildesheim – eine Stadt, die heute in der EU liegt. (Doch dafür kann der gute Bischof St. Gotthard nun wirklich nichts!) Der Name Gotthard stammt aus dem Althochdeutschen. Wenn wir heute abend hier oben stehen, sehen und spüren wir, wie sehr dieser Name passt. In Schillers „Wilhelm Tell“ lesen wir: „So immer steigend, kommt Ihr auf die Höhen Des Gotthards, wo die Ew’gen Seen sind Die von des Himmels Strömen selbst sich füllen.“ Man ist hier nahe den Wolken, nahe dem Himmel, nahe bei Gott. Doch die Felsen vermitteln Härte, Unerbittlichkeit und Unbezwingbarkeit. Manche haben den Gotthard als „Dach Europas“ bezeichnet, denn lange glaubte man, der Gotthard sei der höchste aller Alpengipfel. Der St. Gotthard als Symbol und Mahnmal Sie mögen sich fragen, was wohl der Gotthard mit dem Geburtstag der Schweiz zu tun hat. Mehr als vielen in Bundesbern lieb ist! Der Gotthard steht in höchstem Masse für die schweizerische Unabhängigkeit und Freiheit. Er ist Symbol und Mahnmal zugleich. Es ist kein Zufall, dass die Geburtsstunde unseres Landes – der Bundesbrief von 1291 – hier in der Nähe, auf dem Rütli – einer kleinen abgelegenen Wiese – beschlossen und beglaubigt wurde. Der Kaiser hatte den Waldstättern im 13. Jahrhundert hohe Freiheitsrechte eingeräumt. Nicht weil er diese Urschweizer besonders geliebt hätte, sondern vielmehr, weil er sich den Gotthard-Pass – diesen wichtigen Nord-Süd-Durchgang sichern wollte. Mit diesen besonderen Freiheitsrechten band er die Waldstätten an sich, und sie hielten ihm dafür denGotthardpass frei. Doch 1291 – nach dem Tod des Habsburger Königs Rudolf – waren die Machtverhältnisse im Kaiserreich unsicher geworden. Die Freiheitsrechte waren bedroht. Darum war die Zeit gekommen, zusammenzustehen und den Schwur auf den Bundesbrief zu leisten. Der Bundesbrief Und dieser Bundesbrief ist kein Mythos, sondern eine gesiegelte Pergamenturkunde, täglich von uns allen zu besichtigen im Bundesbriefarchiv in Schwyz. Führen wir uns vor Augen, was in diesem Bundesbrief, was in dieser Geburtsukunde der Schweizerischen Eidgenossenschaft geschrieben steht. Auf einer einzigen Seite haben schlichte Innerschweizer Landleute das niedergelegt, was ihrer Ansicht nach wegen der „Arglist der Zeit“ nötig war. Aus einem gemeinsamen Schwur und aus dieser einen Seite Protokoll erwuchs die Idee der Eidgenossenschaft, welcher sich im Laufe der Jahrhunderte immer neue Talschaften und wichtige Städte des Mittelandes anschlossen.Über 700 Jahre hat diese eine Seite ihren Wert und ihre Gültigkeit behalten. Warum? Weil die Väter des Bundesbriefes mit beiden Beinen im wirklichen Leben standen, weil sie spürten, was wesentlich war, was Substanz hatte, was – wie sie ausdrücklich forderten – Wert hatte, ewig zu bestehen. Diese Gründerväter der schweizerischen Eidgenossenschaft waren keine hoch gebildeten Juristen und Staatsrechtler, sie wussten nichts von meterweise erlassenen Gesetzen oder komplizierten Verfassungen mit unzähligen Paragraphen. Die Gründer der Eidgenossenschaft konnten nicht einmal lesen und schreiben. Ein Mönch, ein Geistlicher, kam ihnen zu Hilfe und schrieb ihre Ideen in Latein nieder, einer Sprache, die sie nicht einmal kannten. Der Geistliche setzte die Anfangsworte: „In Gottes Namen, Amen“ Selbstverständlich für den Kirchenmann, selbstverständlich für die damaligen Landleute. Und auch heute steht in unserer Bundesverfassung "Im Namen Gottes, des Allmächtigen". Hier am Gotthard entstand unser schweizerischer Staatsmythos, der sogar ein doppelter ist: Die Geschichte vom Einzelgänger Wilhelm Tell, der zum Tyrannenmörder wurde. Und die Geschichte vom Rütlischwur als Zeichen des Zusammenstehens, der Gemeinschaft - einer echten, der Solidarität. Man kann  viel Abschätziges hören und  lesen über die Gründungsgeschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft. Das seien ja alles nur Mythen. Ja und? Nur eingebildete Leute und Wissenschafter haben nicht gemerkt, dass gerade solche Mythen jedes Land kennt und braucht. In Märchen, Sagen, Legenden oder biblischen Gleichnissen liegt oftmals mehr Wahrheit als im trockenen Sachartikel heutiger Schreiberlinge. So wollen wir es mit der weisen Aussage Gottfried Kellers halten, der über die Gründungsgeschichte sagte: "Ob sie geschehn? Das ist hier nicht zu fragen, Die Perle jeder Sage ist der Sinn, Das Mark der Wahrheit ruht hier frisch darin, Der reife Kern von allen Völker Sagen." Tatsache ist – meine lieben Geburtstagsgäste – in dieser wilden, unwirtlichen Natur des Sankt Gotthard sind und waren die Menschen mit sich, den Bergen, den Felsen, dem Himmel und Gott alleine – ohne Theoretiker und Staatsrechtler. Hier wurde und wird der Blick frei fürs Wesentliche. Geschichtliche Rolle des Gotthards Immer wieder hat der Gotthard eine wichtige Rolle in der Geschichte gespielt. Nicht nur als Pass für den wichtigen Warenverkehr zwischen Nord und Süd. Auch strategisch hat er seine Bedeutung! –  Die Urner haben diesen Übergang nach Süden geschätzt, um dann die Leventina zu erobern. –  Auch die Eidgenossen benützten den St Gotthard, um sich weit im Süden bis nach Mailand zu wagen und sich in fremde Händel zu mischen, was dann aber zu einer bitteren Niederlage in der Schlacht von Marignago 1515 führte. Diese Niederlage führte zu einem Rückzug der noch wenigen, nicht gefallenen Schweizer, zurück in die vertrauten Gefilde der Eidgenossen. Diese Schlacht wurde zum Ausgangspunkt der ewig dauernden Neutralität der Schweiz. –  Im dreissigjährigen Krieg (1618-1648) benutzten die spanischen Truppen den Pass als Verbindung zwischen Mailand und den Niederlanden. –  1799 zog der russische General Alexander Suworow mit seinem Heer von Italien her über den Gotthard. –  Als im 19. Jahrhundert in Italien und Deutschland grosse Nationalstaaten entstanden, richteten sie ihre begehrlichen Blicke wiederum auf den Gotthard. Die Schweiz erbaute darum seit 1886 verschiedene Festungsanlagen. Das Reduit! Die Idee der Alpenfestung fand ihren Höhepunkt im Zweiten Weltkrieg mit dem Konzept des Reduit, welches das Gotthardmassiv ins Zentrum des schweizerischen Abwehrdispositivs rückte. Damit wurde der Gotthard in fast aussichtsloser Situation Bollwerk der Eidgenossenschaft. Fast die ganze Armee wurde hier in diesem Massiv in Festungen unter Boden konzentriert, um diesen Nord-Süddurchgang auf jeden Fall zu sperren. Unzählige Sprengladungen an Strassen, Eisenbahnnetzen und Tunnels bezeugten den unbedingten Willen zur militärischen Verteidigung im Falle eines Angriffs. Als General Henri Guisan in schwerer Zeit, am 12. Juli 1940, dem Bundesrat seinen Entschluss für die Aufträge der Armee mitteilte, beschrieb er den Auftrag der Armeeeinheiten im Reduit wie folgt: "die Truppen halten die Alpen- oder Zentralraumstellung, mit grösstmöglichen Vorräten versehen, ohne jeden Gedanken an Rückzug" Und da spricht sie wieder die Standhaftigkeit: Freiheit – ohne jeden Gedanken an Rückzug! Der Gotthard symbolisiert das Unbezwingbare der Schweiz, das Rückgrat, den Mut. Hier oben gibt es keinen Rückzug, kein Lavieren, kein Wischiwaschi, kein Einlenken, kein Nachgeben. Die Berge machen die Menschen klein und bescheiden. Hier ist kein Platz für menschliche Allmachtsfantasien. Der Gotthard, dieses zentrale Massiv im Herzen der Schweiz, im Herzen Europas, steht für die Selbstbestimmung und die Eigenverantwortlichkeit. Wie ein Klotz liegt dieser Granit mitten in Europa, ein Bollwerk, eine ewige Provokation gegenüber der Umtriebigkeit von Regierungen und Verwal-tungen. Das Symbol der freien Schweiz inmitten Europas! Wenn Europa heute wieder – und einmal mehr! – vor einem etatistischen Scherbenhaufen steht, so gibt uns der Gotthard die Antwort, so offeriert er die Alternative, auf die seit jeher Verlass ist: Freiheit, Unabhängigkeit, Selbstverantwortung! Gotthard als Symbol der freien Schweiz Meine Damen und Herren, Der Gotthard ist auch heute von grösster Bedeutung. Wir bauen jetzt den längsten Tunnel Europas. Und wo? Natürlich am Gotthard! Täglich hören wir von kilometerlangen Autoschlangen, die durch den Gotthard nach Süden kommen. Wer dieses Nadelöhr in den Händen hat, hat auch heute den strategischen Nord-Süd-Uebergang in seiner Macht. Wer weiss: Vielleicht kommt schon bald die Zeit, wo wir von diesen Bergeshöhen, von dieser Innerschweiz aus unseren alten Bund erneuern und den wichtigen Grundsatz auf der Grundlage unseres Bundesbriefes – "Wir wollen keine fremden Richter haben" neu beschwören müssen! Schlusswort Meine Damen und Herren, Öffnen Sie die Augen und Ohren! Schauen Sie hinaus in die Welt! Sie werden sehen, dass Jakob Burckhardt in seinen "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" recht hat: "Der Kleinstaat ist vorhanden, damit ein Fleck auf der Welt sei, wo die grösstmögliche Quote der Staatsangehörigen Bürger im vollen Sinne sind... Denn der Kleinstaat hat überhaupt nichts, als die wirkliche tatsächliche Freiheit, wodurch er die gewaltigen Vorteile des Grossstaates, selbst dieses Machtideal, völlig aufwiegt." Möge unser Wille zur Freiheit und Unabhängigkeit im Vertrauen auf Gott so fest und unbezwingbar bleiben wie der Granit des Gotthards!

31.07.2011

1. August-Rede 2011 auf dem Eggplatz in Unterlangenegg / BE

Ansprache von a. Bundesrat Christoph Blocher, gehalten am 31. Juli 2011 Gruss der Schwarzenegger Bevölkerung, den Bernerinnen und Bernern, Liebe Miteidgenossen, Liebe Geburtstagsgäste, Willkommen zur 720. Geburtstagsfeier Wir sind heute hier auf der Schwarzenegg - einem wundervollen Ort am Übergang vom Berner Oberland zum Emmental - zusammengekommen, um den 720. Geburtstag der Schweiz, unseres Heimatlandes, zu feiern. Und Sie haben mich zur Festrede geladen. Das ist für mich Ehre und Besonderheit, insbesondere, weil dieser kleine Erdenfleck Geburtsort von geschichtsträchtigen, sehr verdienstvollen Persönlichkeiten ist. Ich rede von Ulrich Ochsenbein, dem Erfinder der modernen Schweiz, und Karl Lennart Oesch, 1944 bedeutender finnischer General unter Mannerheim im Grossangriff der Russen. Gut eidgenössische Art Geburtstag zu feiern So also dürfen wir in gut eidgenössischer Tradition den Geburtstag unseres Landes feiern: Bescheiden, in zahllosen Gemeinden der ganzen Schweiz, mit Festansprachen, Höhenfeuern, mit Landeshymne, in Freude und Dankbarkeit. Jede Feier ist stellvertretend die Feier für das ganze Land. Eine zentrale staatliche Feier will die Schweiz nicht. Doch wann ist die Geburtsstunde eines Landes? Länder kommen nicht wie Menschen in einer genau zu bestimmenden Minute auf die Welt. Oft wurden sie "von oben"  konstruiert, gegründet und geschaffen: Durch Beschlüsse und Dekrete von Kaisern, Königen oder andern Staatsoberhäuptern. Nicht so die Schweiz. Sie ist gewachsen, von unten, von Bürgern, die sich selbständig machen wollten. Gleichsam Rebellen, die sich gegen eine sie unterjochende Obrigkeit erhoben. Die Geburtsstunde der Schweiz Aber einzelne geschichtliche Ereignisse sind doch auszumachen. So eben zum Beispiel das Jahr 1291, als mitten im Sommer ein paar einfache Landsleute im Bundesbrief ihren Willen zu Unabhängigkeit und Selbstbehauptung zum Ausdruck brachten. Darum gilt 1291 als Geburtsjahr der schweizerischen Eidgenossenschaft, und darum dürfen wir heute den 720. Geburtstag feiern. Unsere Geburtsurkunde ist äusserlich kein grossartiges Dokument: -  Eine einzige Pergamentseite bloss, 25 cm hoch und 32 cm breit, -  beginnend mit der Anrufung Gottes: "Im Namen Gottes des Allmächtigen" bis heute Überschrift der schweizerischen Bundesverfassung. 1291 gelobten sich in feierlicher Stunde die Landsleute von Uri, Schwyz und Unterwalden: -  In Zukunft keine fremde Herrschaft zu dulden; -  keiner solle sich straflos gegen Ruhe und Ordnung vergehen -  nur noch eigene Richter (Regierung) sollen geduldet werden. Also keine Fremdherrschaft. Dieser Bundesbrief gilt als die Geburtsurkunde unseres Landes, weil damit klar wurde: Die neu gegründete Schweiz -  will Freiheit -  will keine fremden Richter (was damals der Name für die Obrigkeit schlechthin war!) -  will die Zukunft selber bestimmen -  schafft selbst Ruhe und Ordnung -  Nur Gottes Allmacht soll anerkannt werden Meine Damen und Herren, dieses kurze Dokument ist wie in Stein gemeisselt für alle Zeiten gültig. Und stets aktuell. Auch heute wieder. Wir wissen, dass in der Geschichte oft ausländische Mächte den Schweizern diese Freiheit nehmen wollten, aber auch, dass die Freiheit von Innen immer wieder in Frage gestellt wurde und wird. Freiheit, Unabhängigkeit und der Wille zur Selbstbestimmung sind Grundelemente unseres schönen, kleinen, aber freiheitlichen Landes. Und darüber - meine Damen und Herren - diese Grundelemente sind zu wahren. Wer diese preisgibt, gibt das Land preis. Und darüber gibt es nichts zu verhandeln, weder in Brüssel - unter dem Begriff "institutionelle" Anpassung - noch sonst wo. Arglist der Zeit Meine Damen und Herren Der Bundesbrief wurde – so steht es geschrieben – "in der Arglist der Zeit" beschlossen. Es waren 1291 die Habsburger, die den Eidgenossen die Freiheit rauben wollten. Aber in den letzten 720 Jahren hat unser Land viele "arglistige Zeiten" erlebt. Das wusste schon der Bundesbrief, dass dem so sein werde. Darum wurde festgehalten, "sich mit aller Kraft dafür einzusetzen", auch wenn dies gefahrvoll und mit Opfern verbunden is Das musste denn die Schweiz im Laufe der Geschichte auch genügend tun. In den vielen Schlachten - z.Bsp. Morgarten, Sempach, Näfels  und vielen mehr – oder für die Berner - in  den Burgunderkriegen, dann in den Schlachten im Schwabenkrieg, später in den verlorenen Schlachten in der Napoleonszeit, oder auch der Sonderbundskrieg, der leider ein Bruderkrieg im eigenen Land war, im ersten und zweiten Weltkrieg durch ein Grossaufgebot von Land und Armee. Doch leider zeigt sich in der Geschichte auch Anderes: Nicht nur Widerstand, sondern leider auch Anpassung gab es stets im eigenen Land. Persönlichkeiten fühlten sich oft zu fremden Mächten hingezogen  – sei es, dass sie am Erfolg der Schweiz zweifelten oder aber, weil sie sich von Grösse und Macht blenden liessen. Das gilt auch heute wieder: Wie gebannt fühlt man sich -  zur Europäischen Union und andern internationalen Gebilden hingezogen, -  man akzeptiert unbesehen internationales Recht und so genanntes Völkerrecht -  und vergisst, dass auch dies alles fremde Herrscher sind. Sie müssen nicht in Form fremder Heere kommen. Die fremden Vögte kommen auf leisen Sohlen, am leichtesten mit Absprachen von Schweizern in führender Stellung. Druck als Konstante Meine Damen und Herren, die Schweizer Geschichte zeigt eine andere Konstante: Der Druck aus dem Ausland auf die schweizerische Freiheit. Und ebenso konstant waren auch kleinmütige Kreise in der schweizerischen Classe politique, die diesem Druck nachgeben wollten. Aber die Dritte - erfreuliche - Konstante: Stets konnte die Schweiz  diesem Druck – aufs Gesamte gesehen – Stand halten bis zum heutigen Tag. Darum feiern wir hier und heute in Schwarzenegg in Freude und vor allem in grosser Dankbarkeit den 720. Geburtstag unserer Eidgenossenschaft. Am Geburtstag soll der Ruf erschallen: "Hütet Euch vor den Druckversuchen gegen unsere Freiheit." Der Geschichte treu bleiben Dem Schweizervolk und vor allem ins Bundeshaus hinein sei gerufen: Bleibt Euch und Eurer Herkunft treu! Beachtet Eure Geschichte. Wer dem Volk die eigene Geschichte raubt, wer all die Völkersagen, Mythen und Legenden der eigenen Vergangenheit ausrottet, macht das Land heimatlos und bringt ein Volk dazu, sich selbst aufzugeben. Es ist dann ein leichtes, das Volk irgendwo einzugliedern.1291 wäre es ins Reich der Habsburger gewesen. 2011 ins Reich der Europäischen Union. Freiheit, Unabhängigkeit und direkte Demokratie wären dahin. Darum, meine Damen und Herren, die Schweiz verteidigen heisst, dem Druck von Kreisen im eigenen Land und dem Druck von ausländischen Ländern auf die Unabhängigkeit Stand zu halten. Bundesstaatsgründung 1848 (insbesonders das Verdienst des Schwarzeneggers Ulrich Ochsenbein) Meine Damen und Herren, Liebe Festgemeinde, mit dem Bundesbrief von 1291 ist zwar die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung begründet, aber nicht abgeschlossen worden. Mit der wachsenden Zahl der Kantone, vor allem aber auch nach dem Einmarsch Napoleons in die Schweiz von 1798 und nach 50 Jahren dauernder Fremdeinmischung in die Schweiz wollten mutige Schweizer das Heft wieder neu und selber in die Hand nehmen. Es galt, den Bundesbrief aufzunehmen, anzupassen und einen eigenen Bundes-staat mit einerseits der Garantie der Unabhängigkeit, der immerwährenden Neutralität, der Landesverteidigung im Kampf gegen äusseren Druck und anderseits den Föderalismus, die demokratischen Volksrechte und viele Grundrechte der Bürger in der Bundesverfassung von 1848 festzuschreiben und dieselben demokratisch zu beschliessen. Das wurde nicht nur gewollt und gesagt, sondern getan. Es war die Gründung der modernen Schweiz. Ulrich Ochsenbein Und in dieser Situation, meine lieben Schwarzenegger, in dem entscheidenden Augenblick stand ein Mann an vorderster Stelle, der hier in Schwarzenegg 1811 geboren wurde und seine ersten - ich sage die entscheidenden - 7 Lebensjahre hier verbracht hat. Ich spreche von Ihrem hochzuachtenden Mitbürger Ulrich Ochsenbein – hier nebenan im alten Bären geboren, wo sein Vater Gast- und Landwirt und Rosshändler war. Sie können stolz sein auf Ihren Mitbürger, Ulrich Ochsenbein, der zeitlebens den Kampf um Freiheit, Demokratie, Unabhängigkeit und Neutralität  führte. Ohne Ochsenbein gäbe es wohl die heutige Schweiz nicht. Schon als 23-Jähriger schrieb Ochsenbein: "Retten wir die Ehre und das Dasein eines freien und unabhängigen Staates und Volkes!" Ochsenbein wurde Generalstabsoffizier, bedeutender militärischer Kommandant, Bernischer Regierungspräsident, Präsident der Tagsatzung und der vorberatenden Kommission für die neue Verfassung der Schweiz. Er wurde Mitglied des ersten Bundesrates. Dank ihm entstand in nur 51 Tagen eine neue Bundesverfassung, die wohl den stabilsten, friedlichsten, freiheitlichsten, wohlhabendsten und demokratischsten Staat der Welt bis zum heutigen Tag begründete. Natürlich passte dies den europäischen Grossmächten nicht. Sie drohten der Schweiz. Wieder einmal mehr. Frankreich liess sogar Truppen aufmarschieren. Ochsenbein trat entschieden entgegen – mit Erfolg. Meine Damen und Herren, die Schweiz verdankt Ochsenbein viel! Er wird zu Recht als "Erfinder der modernen Schweiz" bezeichnet. Doch je erfolgreicher Ochsenbein die gute Sache vorwärtstrieb, desto stärker wurden die Widerstände seiner Gegner im Landesinnern. Neid, Missgunst und Karrieregelüste führten zu Machenschaften und Intrigen, welche die Anliegen Ochsenbeins zu hintertreiben suchten. (Auch solches ist uns ja nicht ganz fremd: "Es gibt nichts neues unter der Sonne.") Am meisten zu schaffen machten Ochsenbein seine früheren Kampfgefährten aus dem eigenen Kanton und dem eigenen politischen Lager. Diese organisierten denn auch die hinterhältige Abwahl aus dem Bundesrat. Ochsenbein stand da – als 43-Jähriger – mit Frau und acht Kindern. Ohne jeden Lohn. Er musste schliesslich sein Lebensende – für ihn besonders schmerzhaft – als französischer General verbringen, so dass er, gleichsam als Vertriebener, schrieb: "Jedenfalls schmerzt es mich tief, mein Vaterland, das mir stets so teuer war und teuer sein wird, verlassen zu müssen. Schweizer und Republikaner werde ich überall bleiben." General Karl Lennart Oesch (1892-1978) Ochsenbein hatte eine grossartige strategische und militärische Begabung. Wo er eingesetzt wurde, fand er grosse Anerkennung. Diese militärische Begabung scheint dem Schwarzenegger Boden zu entsprechen, denn dieser Ort brachte auch ein anderes militärisches Talent hervor: General Karl Lennart Oesch, von vielen als "Retter Finnlands"  bezeichnet. Sein Vater Christian Oesch hat 1880 mit seiner Frau die Heimat in der Nähe von Schwarzenegg verlassen, um sich als Käser in Finnland eine eigene Existenz aufzubauen. Seinem Sohn Karl wurde 1944 in einer fast aussichtslosen Situation fast zwei Drittel der finnischen Armee unterstellt, um den russischen Grossangriff abzuwehren. Die zahlenmässige Überlegenheit der Russen war unglaublich. Was hat Oesch – der General mit Schweizer (genauer Schwarzenegger) Wurzeln getan? Er tat ähnliches, wie der Schweizer General Henri Guisan. Dieser konzentrierte die ganze Armee in einem Alpenriegel – dem "Reduit". Oesch zog ebenfalls alle Truppen zusammen in ein Reduit in der Südwestecke Finnlands. Und es gelang ihm, die russische Invasion zu stoppen, so dass Finnland am Ende des Krieges eine bessere Friedensordnung erreichte. Auch auf diesen Landsmann Karl Lennart Oesch darf Schwarzenegg stolz sein. Und umgekehrt war Oesch stolz auf sein Land, denn er sagte immer wieder: „Geboren bin ich in Finnland, von der Herkunft aber bin ich eindeutig Schweizer.“ Auch General Oesch erhielt keine Loorbeeren für seine grossartige Leistung, sondern der Dank war 3 Jahre Russische Gefangenschaft. Er hat sich - nach Finnland zurückgekehrt - darüber nie beschwert. Schlusswort Meine Damen und Herren, so wollen wir am 720. Geburtstag unseres Landes all jenen danken und gedenken, die sich in der 720- jährigen Geschichte stets mutig hingestellt haben, um für die Freiheit unseres Heimatlandes, die schweizerische Eidgenossenschaft, zu kämpfen. Also - selbstredend hier: -  den alten Eidgenossen, die 1291 den Bundesbrief besiegelten, -  als auch Ihrem grossen Mitbürger Ulrich Ochsenbein, dem Erfinder der modernen Schweiz. -  aber auch Karl Lennart Oesch, der - stellvertretend für die Auslandschweizer - für unser Land Ehre eingelegt hat. Ich bin überzeugt, dass wir Schweizer, wenn wir den Leitlinien des alten Bundesbriefes und der Bundesverfassung folgen, als ein freies unabhängiges Land bestehen können und so auch den 721. Geburtstag in Freiheit und Unabhängigkeit  feiern können. Ich wünsche Ihnen - liebe Schwarzenegger, - liebe Miteidgenossinnen, - liebe Miteidgenossen, viel Wohlergehen und eine sichere Zukunft in Freiheit.

06.04.2011

Schweizerkönig auf bescheidenem Thron

Besprechung von Mary Lavater- Sloman «Der Schweizerkönig Johann Rudolf Wettstein», Römer-Verlag 2011, Rezension für NZZ „Es ist reichs- und weltkündig, dass die Eidgenossenschaft ein freier Stand ist, so nebst Gott einzig von sich selbst abhängt.“ Mit dieser selbstbewussten, aber der Wirklichkeit entsprechenden Aussage begründete anlässlich der Westfälischen Friedensgespräche von 1646-1648 der Schweizer Abgesandte seine unerschüt-terliche Absicht, für die Schweiz volle Souveränität zu erreichen. In der Reihe ungewöhnlicher Biografien nimmt der Römerhof Verlag in verdienst-voller Weise auch den Basler Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein (1594-1666) auf. Dies geschieht nicht in einer modernen, so genannt „kritischen“ Studie, sondern in einer Neuauflage des 1935 erschienenen Romans „Der Schweizekönig“ von Mary-Lavater-Sloman. Es dürfte manchen Zeitgenossen missfallen, dass neuerdings mit Johann Rudolf Wettstein eine Persönlichkeit gewürdigt wird, die der später so erfolgreichen schweizerischen Unabhängigkeit und Neutralität zum Durchbruch verhalf. Vielleicht darum empfanden es die Herausgeber für nötig, mit Georg Kohler einem Professor das Nachwort erteilen zu müssen, der die Souveränität unseres Landes gerne klein-schreibt und selbstverständlich auch hier als „Mythos“ entlarvt. Etwas naserümpfend wird auch an die 1935 bereits herrschende Geistige Landesverteidigung erinnert, in deren Dienst sich die Autorin gestellt hat. Tatsächlich waren ihre reichs- und diktatur-kritischen Ansichten für das damalige Schweizer Publikum unüberlesbar. Wenn Kohler - wohl in Begeisterung über den heutigen Kongresstourismus - lobend be-merkt, schon früher seien unsere Politiker an jene Orte gereist, wo die europäischen Entscheide gefallen seien, so wäre ihm nach der Lektüre "Der Schweizerkönig" zu entgegnen, dass wir unsere Bundesräte durchaus gerne dorthin reisen liessen – sofern sie wie weiland Bürgermeister Wettstein so zäh und hartnäckig die schweizeri-sche Souveränität verteidigten und mit einem entsprechend besiegelten Dokument zurückkehrten. Ausgangspunkt von Johann Rudolf Wettsteins diplomatischer Mission bildetet ein relativ geringer Anlass, nämlich die Zitierung eines Basler Bürgers vor das Reichs-kammergericht in Speyer. Mit dem weitsichtigen Auge des Staatsmanns erkannte der Basler Bürgermeister, dass anlässlich des Westfälischen Friedenschlusses nach dem Dreissigjährigen Krieg die einmalige Chance bestand, für die Eidgenossenschaft nach der faktischen auch noch die formelle Trennung vom Reich deutscher Nationen zu vollziehen. Zu seinem grossen Kummer erhielt er das Verhandlungsmandat nur von den reformierten Orten, doch kämpfte Wettstein in Münster und Osnabrück für die Unabhängigkeit der gesamten Schweiz. In ihrer packend zu lesenden, roman-haften Schilderung verlässt Mary Lavater-Sloman zuweilen die exakte Chronologie und schiebt auch eine frei erdachte Liebesbeziehung dazwischen. Dennoch hält sie sich im Wesentlichen an Briefe, Tagebücher und offizielle Berichte. Diesen ist zu entnehmen, wie bescheiden der Basler Bürgermeister residierte; anlässlich eines Besuchs des schwedischen Bevollmächtigten konnte Wettstein diesem lediglich einen Stuhl anbieten, an dem eine Armlehne fehlte: „Ich bin übereilt worden“, schrieb er nach Hause, „hätte sonsten die andere zur Erhaltung der schweizerischen Reputation auch noch abgebrochen.“ Mit Überlegenheit und feinem Gespür für das Machbare behielt er die Distanz zu den ihm wohlgesinnten Franzosen, gewann die Gunst der Kaiserlichen und vermochte die anfangs abweisenden Schweden umzu-stimmen. Dies alles gelang ihm bei schwersten körperlichen Leiden, die ihn nicht selten hinderten, seine armselige Herberge zu verlassen. Wettsteins Auftreten war schlicht und sicher und seine Kenntnisse der politischen Verhältnisse so umfassend, dass es ihm schliesslich gelang, die wichtigsten Abgeordneten des Friedenskongres-ses von der eidgenössischen Sache zu überzeugen. Er bewegte sich zwischen den Abgesandten europäischer Monarchien so selbstverständlich und wenig unterwürfig, dass Wettstein bei ihnen bald schon den Namen „Schweizerkönig“ trug. Nach fast einjähriger Abwesenheit kehrte Basels Bürgermeister in seine Heimat zurück. So bescheiden sich sein Gefolge im Vergleich zur Prachtentfaltung der Fürstenhöfe ausnahm, so unermesslich wertvoll war der Vertrag, den er mit sich führte: Die Eid-genossenschaft und deren Gerichte waren fortan in „Besitz und Gewähr völliger Freiheit und Ausgliederung vom Reiche“. Wie würde Wettstein heute urteilen, wenn er zusehen müsste, wie die Abgeordneten der Schweiz an Kongresse reisen, um dabei die schweizerische Freiheit zu verspielen und fremde Richter zu akzeptieren? Unseren Regierungsleuten, Politikern und Diplomaten wäre Mary Lavater-Slomans neu aufgelegter Roman „Der Schweizerkönig“ besonders zu empfehlen. Aber auch alle andern Leserinnen und Leser erhalten mit der leicht überarbeiteten Fassung einen lebendigen Einblick in ein entscheidendes Stück Schweizer Geschichte.