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08.04.2003

Blochers Ratschläge an die FDP

Interview mit dem "Tagesanzeiger" vom 8. April 2003 Die Präsidenten von SVP und FDP streiten auch nach den Wahlen wie ein eingeübtes Schauspielerpaar. Wenn sie ihre Rolle nicht wechseln, kommts bei den Herbstwahlen zum Eclat. Mit Christoph Blocher und Markus Hess sprach Ruedi Baumann Herr Blocher, Ihre Widersacher Hösly und Hess aus der FDP sind abgewählt, die "Weichsinnigen" haben eine Schlappe erlitten. Haben Sie Ihr Ziel erreicht? Christoph Blocher: Menschlich ist das zu bedauern. Doch von der Sache her wird dies viel lösen. Herr Hösly war eines der grössten Hindernisse, dass SVP und FDP zu konstruktiven Lösungen kamen. Sie, Herr Hess, schwenkten bald auch auf diese Linie ein. Doch das ist nicht nur ein personelles Problem, es geht auch um eine Klärung der sachlichen Positionen, um einen gemeinsamen Nenner einer bürgerlichen Zusammenarbeit. Markus Hess: Zuerst muss sich die SVP einmal entscheiden, ob sie weiterhin Frontalopposition betreiben oder endlich Verantwortung in der Parlamentsarbeit übernehmen will. Sollte Letzteres der Fall sein, haben wir keine Probleme. Wir haben mit der SVP immer dann gut zusammengearbeitet, wenn sie nicht nur Wahlkampf machte. Wenn man sich zum Beispiel in der Finanzpolitik einigen könnte, statt nur absurde Steuersenkungen zu propagieren, wäre das schon mal gut. Doch jetzt haben wir die Quittung: Der Wahlsieger heisst nicht Christoph Blocher, sondern Wahlsieger sind Dominik Schaub und Regine Aeppli. Die SVP als Wahlverliererin? Ihre Fraktion ist zwei Sitze kleiner, die Kampfkandidatur in die Regierung gescheitert, SVP und FDP haben die Mehrheit im Rat verloren. Blocher: Die Konstellation war klar: Alle gegen die SVP. Trotzdem ist die SVP mit dem besten Resultat ihrer Geschichte und erstmals über 30 Prozent Wähleranteil wieder die grösste Fraktion. Und dies mit einer betont bürgerlichen Politik. Die FDP hat mit ihrer Anlehnung an die linke Politik die Wahlen verloren. Die FDP muss dringend einmal ihre Positionen klären. Zum Beispiel: Wie halten wir es mit dem Staat? Diktieren Sie nun der FDP ein neues Parteiprogramm? Blocher: Tatsache ist, dass die FDP keine klaren Positionen hat. Hat sie diese, so kann man darüber verhandeln. Doch diese fehlten bisher. Hess: Ihre alte Platte wird nicht spannender. Wir haben in den letzten anderthalb Jahren mit klaren Positionen zu einer grossen Geschlossenheit gefunden, zum Beispiel beim Budget oder bei der Volksschulreform. Nun kann die SVP mit ihrem Finanzdirektor beweisen, wie sie beim Sparprogramm mehrheitsfähige Lösungen findet. Mehrheiten zu finden, das ist die hohe Kunst der Politik. Und nicht bloss eigene Positionen zu diktieren. Blocher: Wenn ich Sie so höre, haben Sie alles recht gemacht. Aber die Wahlen verloren. Die FDP braucht eine personelle Veränderung. Herr Blocher, übernehmen Sie nun für die FDP auch die Personalpolitik? Blocher: Die FDP hat die Wahlen verloren, und ihr Präsident lobt sich für die Erfolge der letzten Jahre. Alle anderen sind an der Niederlage schuld, nur nicht Sie selber. Hess: Ich habe nur gesagt, dass die Fraktion in letzter Zeit sehr geschlossen auftrat, was uns allerdings keinen Wahlerfolg bescherte. Blocher: Man spricht von bürgerlicher Zusammenarbeit. Aber die FDP setzt ihr ursprüngliches Parteiprogramm und ihre bürgerlich-liberale Denkweise nicht mehr durch. Als die Freisinnigen die Grossen waren und wir die Kleinen, arbeiteten wir noch sehr gut zusammen. Jetzt, wo es umgekehrt ist, klappt es nicht mehr. Jetzt ist es Zeit für eine Bereinigung. Sie laden die FDP also ein, Ihnen zu folgen? Doch Sie geben bereits thematische Richtlinien vor und fordern personelle Veränderungen. Blocher: Ich fordere nicht, aber ich empfehle. Tatsache ist, dass wir zwei selbstständige Parteien sind. Doch in den grossen Fragen muss man sich einfach zusammenraufen. Jetzt geht es vor allem darum, gemeinsam den grossen und schädlichen Linkseinfluss einzudämmen. Wie wollen Sie beide, die kaum ein konstruktives Wort wechseln können, je wieder gemeinsam politisieren? Hess: Tatsache ist, dass die Stimmbürger den Hickhack im bürgerlichen Lager satt haben; wir haben die Quittung dafür bekommen, die Linken haben gewonnen. Blocher: Wegen Ihres Linkskurses. Hess: Diese Behauptung wird durch Wiederholung nicht wahrer. Tatsache ist, dass der SVP-Vormarsch gestoppt ist und die Linken die Wahlen gewonnen haben. Nochmals: Wie bringt man Sie beide zu einem vernünftigen Gespräch? Hess: Wir fordern den bürgerlichen Schulterschluss seit Jahren. Das funktioniert aber nur mit gegenseitigen Gesprächen und nicht mit Befehlsausgaben aus Herrliberg. Blocher: Ich habe nichts dagegen, Konflikte auszutragen. Wenn zwei sich finden, haben sie zuerst oft gegensätzliche Positionen, die sie entschieden vertreten. Daran muss gearbeitet werden. Die FDP erklärt uns stets, sie möchte die Ausgabenflut auch senken, aber sie wollte nie über Zahlen sprechen. So geht es nicht. Sie haben gemeinsam die Steuern gesenkt. Doch nun fehlt Ihnen im Rat die Mehrheit zum Kostensenken. Blocher: Das ist nicht neu. SVP und FDP hatten nur vier Jahre lang die absolute Mehrheit. Jetzt ist halt auch die CVP gefordert. Sie kann nicht mehr erwarten, dass wir ihr zu einem Regierungssitz verhelfen, und dann politisieren sie wieder wie aufgescheuchte Hühner. Jetzt nehmen Sie auch noch die CVP unter Ihre Fittiche? Blocher: Wir brauchen nur einen einzigen CVPler, der sich tapfer gegen Ausgabensenkungen einsetzt, dann haben wir die Mehrheit. Die CVP muss auch bedenken, dass sie bei der nächsten Vakanz in der Regierung wieder antritt und Unterstützung braucht. Hess: Diesmal haben Sie der CVP nicht geholfen. Blocher: Wenn wir ein Fünferticket unterstützt hätten, wäre Ihr Herr Jeker abgewählt worden. Hess: Vor allem wäre der Wahlkampf ganz anders gelaufen. Immerhin ein erfreuliches Resultat bringen diese Wahlen: Die FDP ist von links und rechts begehrt. Für welchen Weg entscheiden Sie sich? Hess: Es geht nicht um eine Richtung, wir müssen weiterhin unsere eigenen Positionen vertreten. Immerhin haben wir neun von zehn Volksabstimmungen gewonnen. Für uns sitzt der politische Gegner weiterhin links. Der Umgarnungsversuch der SP ist fruchtlos. Blocher: Über dieses allgemeine Bekenntnis freue ich mich. Doch wir müssen nun ein paar zentrale Themen konkret klären, damit wir im Herbst gemeinsam in die Nationalrats- und Ständeratswahlen ziehen können. Streiten Sie nun noch ein halbes Jahr um Bedingungen oder sind Sie primär gewillt, die beiden Ständeratssitze zu verteidigen? Hess: Wir möchten auf jeden Fall die ungeteilte Standesstimme erhalten. Doch wenn Herr Blocher wieder in staatsmännischer Pose Offerten macht und dann die Bedingungen diktiert, sehe ich schwarz. Blocher: Natürlich sind die Steuern ein wesentliches Anliegen. Auch die EU-Frage müssen wir klären. Und der Asylrechtsmissbrauch gehört ebenfalls dazu. Ist es denkbar, dass Sie bei den Ständeratswahlen ein Päckchen schnüren, bei den Nationalratswahlen aber verzichten? Hess: Von uns aus ist das durchaus eine Möglichkeit. Wenn die beiden Standesvertreter immer gegenläufig stimmen, nützt das einem Kanton nichts. Blocher: Stände- und Nationalratswahlen sind miteinander anzuschauen. Wie will eine Wählerschaft verstehen, dass man bei den Ständeratswahlen mit den Bürgerlichen geht, bei den Listenverbindungen für die Nationalratswahlen aber die Stimmen an die Linken verschenkt? Zum letzten Mal: Was braucht es, damit Sie sich endlich finden? Warum lädt der Hess den Blocher nicht zu einem Bier ein? Hess: Das mache ich gerne. Ich bin immer zu einem Gespräch bereit. Wenn Herr Blocher seine Positionen nicht wieder zum Voraus über die Medien bekannt gibt. Blocher: Ich würde vorschlagen, dass nicht wir beide zusammensitzen. Es müssten je eine Gruppe von vier Leuten in Ruhe Verhandlungen führen und Positionen erarbeiten, ohne dass man sich gleich an den Grind springt. Hess: Da müssten wir auch unsere Kandidaten Hans Hofmann und Trix Heberlein miteinbeziehen. Blocher: Nicht unbedingt.

05.04.2003

Auf zum letzten Gefecht

Artikel aus dem "Magazin" vom 5. April 2003 Dieses Wochenende sind im Kanton Zürich Wahlen. Die SVP dürfte als Siegerinhervorgehen. Wird es ihr auch gelingen, zur führenden Stimme des Bürgertumszu werden? Text Miklós Gimes «Wir hatten noch nie so ruhige Wahlen», sagt Christoph Blocher eine Woche vor dem kantonalen Urnengang, mit einem Gesichtsausdruck, als sei ihm nicht ganz wohl dabei. Als verberge die Ruhe etwas Unheimliches. «Die Leute haben andere Sorgen», sage ich, «Arbeitslosigkeit, Krankenkassen, den Krieg. Die Stimmbürger können sich nicht vorstellen, wie ihnen die Politik helfen soll.» «Trotzdem bezahlen sie ihre Steuern, die dann die Politiker ausgeben», antwortet Christoph Blocher lachend. Wir sind am Ende des Gesprächs und schauen über den Zürichsee. An schönen Tagen kann man von hier aus die Berner Alpen sehen. Eine Privatseilbahn führt zum Parkplatz von Blochers Anwesen, der unterhalb des Gartens in den Hang gehauen wurde. «Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen», sage ich. «Die SVP wird bei den Wahlen zulegen.» «Ich bin nicht so sicher», sagt Blocher. Die jüngste nationale Umfrage rechnet für seine Partei mit einem weniger stürmischen Wachstum als noch im Januar. Ungeachtet dieses Trends hat die SVP letzten Sonntag in Basel Land und Genf starke Gewinne gemacht, und auch für die Zürcher Kantonalwahlen von diesem Wochenende wird ein Stimmenzuwachs prognostiziert. Dieser Triumph wird die Partei noch stärker mit der Frage konfrontieren, wohin ihr Alleingang führen soll. Bleibt sie eine Kampfpartei, oder stellt sie sich der Regierungsverantwortung? Und welche bürgerliche Partei ist bereit, in Grundsatzfragen mit der SVP Kompromisse einzugehen? Hinter Christoph Blochers unheimlicher Vorahnung könnte die Erkenntnis stehen, dass die Stunde der letzten Schlacht gekommen ist. Von den 180 Sitzen des Zürcher Kantonsrats hält die Schweizerische Volkspartei 61, sie ist mit Abstand die grösste Fraktion vor den Sozialdemokraten mit 44 und den Freisinnigen mit 36 Sitzen. Holt die SVP am Sonntag die erwarteten 70 Sitze, rückt sie in die Nähe einer regierungsfähigen Mehrheit. Will sie ihr Profil nicht verlieren, läuft sie Gefahr, ausgegrenzt zu werden, falls es ihr nicht gelingt, eine konservative Mehrheit zu zimmern. Entscheidend ist das Verhalten der FDP. Deshalb ist nicht erstaunlich, dass Christoph Blocher sein Verhältnis zum Freisinn in ganzseitigen Zeitungsinseraten oder mit Angriffen gegen den angeblichen Filz thematisiert. Diese Strategie, sagt Blocher, diene im Grunde genommen der Schadensbegrenzung, denn die FDP könne somit nicht zur Angriffsfläche der Linken werden. Was Blocher vorschwebt - und das ist das Entscheidende -, ist nichts anderes als eine Neuformierung der bürgerlichen Reihen. Und seit Wirtschaftsverbände und führende Bankiers den EU-Beitritt ablehnen, fühlt er sich in seinem Vorhaben erst recht bestärkt. Bruderkampf Der Aufstieg der SVP ist keine zehn Jahre alt. In der Stadt Zürich war es eine Hand voll junger Patrioten, die nach dem EWR-Nein von 1992 mit einem Aktivismus und einer Medienpräsenz, die sie der Jugendbewegung der Achtzigerjahre abgeschaut hatte, das rechte Feld beackerte und die Stadtzürcher SVP aus einer marginalen Partei, die eher durch den Alkoholkonsum ihrer Stadträte als durch politisches Profil Aufsehen erregt hatte, zu einer dynamischen Kraft machte. Seither hat sich die Zahl ihrer Gemeinderäte fast verfünffacht. Gleichzeitig hielt ein aggressiver Stil in der Politik Einzug, der Stil des permanenten Protestes und der Obstruktion. Zürich wurde zum Modell einer gesamtschweizerischen Entwicklung. In Sankt Gallen machte Toni Brunner die vorher inexistente SVP zur dritten Kraft im Kanton. Das Durchschnittsalter der Parteiaktivisten liege bei 28 Jahren, erzählt Blocher stolz. Obwohl 1994 die rotgrüne Ära im Zürcher Gemeinderat vorbei war, liess sich die SVP nicht in eine bürgerliche Politik einbinden. Im Gegenteil: Je stärker die SVP wurde, desto näher rückten Freisinn und Sozialdemokraten. Ergebnis dieser Entwicklung ist eine SVP, die sich vom Freisinn abgrenzt. «Die Jungen wollten immer gegen die FDP los, «das sind doppelzüngige Cheibe», haben sie gesagt», erzählt Blocher. «Ihr müsst nicht die FDP angreifen wegen ein paar Leuten, ihr müsst den Sozialismus bekämpfen», hat er ihnen entgegnet. Doch als die Delegierten der SVP gegen Blochers Einwände für die kantonalen Wahlen drei Regierungsratskandidaten aufstellten, mochte der Parteipräsident nicht streiten, obwohl ihm klar ist, dass der dritte Mann vermutlich keine Chance hat. Die FDP, inzwischen von der SVP als stärkste bürgerliche Partei überholt, konnte in der Stadt einen Teil der an die SVP verlorenen Wähler durch liberale Stimmen ersetzen. Einer der Architekten dieser Strategie der Öffnung ist Urs Lauffer, Fraktionschef der Freisinnigen im Gemeinderat, der in der Zwischenzeit in den Kantonsrat gewechselt hat. Anfänglich habe er gestaunt, wie kollegial und zugänglich die Kantonsräte der SVP gewesen seien, erzählt Lauffer. In 90 Prozent der Abstimmungen im Rat habe der Bürgerblock auch funktioniert. Umso mehr habe ihn befremdet, dass in den wirklichen Fragen die SVP auf Fundamentalopposition gemacht habe. «Die SVP hat jedes Budget zurückgewiesen und ihren eigenen Regierungsrat im Regen stehen lassen.» Die SVP habe sich vier Jahre lang um die Verantwortung gedrückt, dem Volk zu sagen, wo und wie viel man sparen müsse. Deshalb machtUrs Lauffer ein Wahlsieg der SVP keine Angst, obwohl er auf Kosten der FDP gehen kann. «Die SVP wird in die Verantwortung gedrängt werden. Niemand wird mehr bereit sein, ihr die Kohlen aus dem Feuer zu holen.» «Und was bedeutet das  für die FDP?» «Dass sie unbeirrt ihren Weg geht und sich für ihre Politik dort Partner sucht, wo sie sich ergeben.» Christoph Blochers politische Karriere begann vor rund dreissig Jahren, als der frisch promovierte Jurist vor der Gemeindeversammlung in Meilen gegen die Zonenplanung wetterte. «Die Jungen haben Heuchelei nicht gern» sagt er, «das war immer schon so. Ich war in den Sechzigerjahren nicht auf der linken Seite, aber auch wir haben uns gegen die Doppelzüngigkeit in der Politik aufgelehnt. Das ist wahrscheinlich der hinterste Grund, warum ich bei der SVP bin und nicht bei der FDP.» Blocher ist der letzte wahre 68er der Schweizer Politik. Mit derselben Radikalität, die ihn bei linken Studenten, «die mit dem roten Büchlein hinter Mao hergerannt sind», herausforderte, hat er seine Ziele verfolgt. Anfänglich habe er mehr Freunde in der FDP gehabt, sagt er. FDP-Nationalrat Otto Fischer, mit dem er die Auns gegründet und den Kampf gegen den EWR durchgezogen hat, sei sein engster Kampfgefährte gewesen. «Doch die FDP hat am Internationalismus festgehalten, und es ist zum Bruch gekommen. Dann kam die Ära Steinegger mit all den Mehrausgaben. Das konnten wir nicht mehr mitmachen. Aber wenn wir zulegen und die Freisinnigen verlieren, wird sich das ändern. Dann wird die freisinnige Basis sagen, wir wollen eine andere Politik. Dann werden die Leute abtreten müssen, die den Freisinn mit ihrer Linkspolitik in den Keller geführt haben.» Und mit der Radikalität des alten 68ers wird Blocher dem Freisinn die Europafrage stellen. «Da müssen sich die Freisinnigen entscheiden. Sie haben immer noch einen Parteitagsbeschluss, dass sie in die EU wollen. Jetzt wollen sie vor den Wahlen das Thema ausklammern. Das geht nicht.» Christoph Blocher nimmt einen Schluck Wasser und schaut aus dem Fenster über den Zürichsee. «Sie müssen sich entscheiden», sagt er. «Sonst werden sie zerrieben.»

01.03.2003

Lappi tue d’Augen uf

Meine Entgegnung auf den sir-Artikel in der "NZZ" vom 1. März 2003

11.02.2003

Welches ist die liberalste Partei im Lande?

Streitgespräch im "Tagesanzeiger" vom 11. Februar 2003 Was liberale Politik ist, definierte einst die FDP. Nun macht ihr die SVP diesen Anspruch streitig. Christiane Langenberger und Christoph Blocher in ihrem ersten direkten Schlagabtausch.Jeder Einzelne ist für sich selbst verantwortlich, sagt Christoph Blocher. Nein, findet FDP- Präsidentin Christiane Langenberger, der Staat muss für Chancengleichheit sorgen.Mit Christiane Langenberger und Christoph BlocherVon Helmut Stalder und Matthias Baer Herr Blocher, verstehen Sie sich als Liberaler? Christoph Blocher: Selbstverständlich. Liberalismus ist das Gegenteil von Sozialismus. Die Freiheit und die Selbstverantwortung des Bürgers stehen im Mittelpunkt, nicht das Kollektiv. Auch Wohlfahrt ist nur in einem liberalen Staat möglich. Ich bin also ein Liberaler im ursprünglichen Sinne. Auch Sie, Frau Langenberger, beanspruchen das liberale Etikett für sich. Was meinen Sie damit? Christiane Langenberger: Wir wollen den Menschen Freiraum geben, aber wir verlangen von ihnen auch Verantwortung. Davon habe ich bei Ihnen, Herr Blocher, nichts gehört. Wir sind für so wenig Staat wie möglich, aber für so viel wie nötig. Beide bekennen Sie sich als Liberale. Deshalb die Gegenprobe: Finden Sie, Frau Langenberger, Herrn Blocher liberal? Langenberger: Er ist weniger liberal als wir Freisinnigen. Sie, Herr Blocher, schränken den Staat auch dort ein, wo es ihn braucht, beispielsweise in der Aussenpolitik. So verhindern Sie, dass wir auf die vielen Probleme reagieren können, die von aussen auf uns zukommen. Beim Terrorismus, bei der Umweltbedrohung und in der Migrationspolitik muss die Schweiz international zusammenarbeiten. Wir stehen dafür ein, dass der Staat hier handlungsfähig bleibt. Gegenprobe auf die andere Seite: Finden Sie, Herr Blocher, Frau Langenbergers Positionen liberal? Blocher: Nein. Frau Langenberger, wenn ich sehe, was Sie alles vertreten, gehören Sie zum linken Flügel der SP. Sie waren für eine Mutterschaftsversicherung, bei der jede Mutter staatliche Unterstützung erhalten sollte, unabhängig von einer Notlage. Die anderen Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Beim Krankenversicherungsgesetz bauten Sie den Grundkatalog aus. Nun bezahlen die Bürger jedes Jahr mehr Prämien! Für einen Liberalen ist das alles unerträglich - auf Schritt und Tritt wird sozialistisch umverteilt. Und die FDP ist eine treibende Kraft dieser Entwicklung. Langenberger: Der Staat soll und darf nur dort eingreifen, wo es um Chancengleichheit und den Schutz der Schwächsten geht. Für die höheren Einkommen hätte es keine Mutterschaftsversicherung gegeben. Bei der Krankenversicherung sind unsere Positionen mit der SVP nahezu deckungsgleich. Die FDP fordert seit Jahren die Aufhebung des Vertragszwangs und verlangt eine Überprüfung des Grundkatalogs. Drängen Sie uns also nicht in die linke Ecke! Ist für Sie, Herr Blocher, Liberalismus vor allem Wirtschaftsliberalismus? Blocher: Nein. Der Liberale wehrt sich grundsätzlich dagegen, dass die Bürger von der Wiege bis zur Bahre vom Staat betreut werden. Der liberale Bundesstaat, wie er 1848 verankert wurde, war ein schlanker Staat und lange Zeit die Grundlage von Freiheit und Wohlfahrt der schweizerischen Bürger. Wollen Sie zu einem Nachtwächterstaat zurück, der sich nur noch um das Nötigste kümmert? Das Gemeinwohl ist doch ein zentraler, liberaler Wert. Blocher: Der Staat garantiert das Gemeinwohl am besten, wenn er seine Bürger machen lässt. Wo der Staat den Bürgern viel wegnimmt, geht es allen schlechter. Ein Nachtwächterstaat wäre nur für die Sicherheit zuständig, also für Polizei, Justiz und Armee. Das genügt mir nicht: Wer zu schwach ist, sein Leben zu fristen, soll fürsorglich betreut werden - aber nur die Not Leidenden. Sind Sie, Frau Langenberger, in Abgrenzung hierzu für einen Ausbau des Sozialstaates? Langenberger: Ich will nicht, dass der Staat dauernd interveniert und die Bürger völlig unter seine Fuchtel nimmt. Aber der Staat muss dafür sorgen, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben, ihre Freiheiten wahrzunehmen. Es darf nicht sein, dass schwächere Menschen ausgegrenzt werden, dass sie keine Chance auf Bildung oder eine anständige Arbeit haben. Chancengleichheit herbeizuführen, ist eine zentrale Aufgabe für eine liberale Gesellschaft. Wir sind für den Steuerabbau, doch kann man dem Staat auch zu viele Mittel entziehen. Sie erwähnen den liberalen Wert der Chancengleichheit: Soll der Staat beispielsweise Krippen fördern, um allen Müttern und Vätern gleiche Berufschancen zu eröffnen? Blocher: Kinder haben ist Privatsache . . . Langenberger: Ach, wirklich? Was machen wir denn, wenn in der Schweiz keine Kinder mehr zur Welt kommen? Wollen Sie etwa mehr Ausländer holen? Wir müssen doch Rahmenbedingungen schaffen, die es Frauen und Männern erleichtern, Kinder zu haben. Blocher: Der Staat ist nicht für das Kinderkriegen verantwortlich. Wenn eine Frau zu arm ist, arbeiten muss und sich keine Krippe leisten kann, soll der Staat durch die Fürsorge eingreifen. Heute wird aber gefordert, dass alle ihre Kinder in staatlichen Krippen abgeben können. Andere sollen dies bezahlen - auch Kinderlose. Das ist sozialistische Umverteilung. Sie propagieren die Krippen unter dem Titel Chancengleichheit, dabei behindern Sie gleichzeitig die Chancen anderer, denen Sie das Geld wegnehmen! Langenberger: Herr Blocher, der Staat tut viel dafür, dass sich Frauen besser ausbilden und auch Kaderstellen erreichen können. Deshalb muss sich der Staat dafür interessieren, dass Beruf und Kinder in Einklang gebracht werden können. Das ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Die Arbeitgeber wollen Frauen in ihren Betrieben. Blocher: Dann sollen diese Unternehmen doch selber Krippen einrichten. Langenberger: Damit dies passiert, muss der Staat Kinderkrippen finanziell ein bisschen anschieben. Blocher: Ja, immer ein bisschen, ein bisschen, darum haben wir 200 Milliarden Schulden . . . Langenberger: Es geht um eine Anstossfinanzierung. Auch Tagesschulen mit Mittagstischen sind eine positive Massnahme, damit all die gut ausgebildeten Mütter arbeiten können. Selbstverständlich müssen sich die Eltern nach ihren Möglichkeiten beteiligen. Blocher: Geht es nach Ihnen, bezahlen die anderen Bürger eine Mutterschaftsversicherung, dann die Krippen, die Schulausbildung, das Studium und schlussendlich das Salär für die Doktoranden. Das ist Ihr Programm der staatlichen Kindererziehung. Es ist ein sozialistisches Erziehungssystem, bei dem die Wohlfahrt der Schweiz auf der Strecke bleibt: Andere sollen für die anderen sorgen, nur niemand mehr für sich selbst. Man kann die Kinder nicht auf Staatskosten abgeben, um sich dann selbst zu verwirklichen. Langenberger: Warum sagen Sie im Zusammenhang von arbeitenden Frauen so abschätzig, es gehe nur um Selbstverwirklichung? Selbstverwirklichung ist etwas Positives. Auch für Frauen. Und deshalb soll der Staat dies ermöglichen. Frauen, die arbeiten gehen können, bezahlen schliesslich auch Steuern. Ein weiterer Grundwert, der zum liberalen Denken gehört, ist Toleranz gegenüber anderen Meinungen. Frau Langenberger, lebt die SVP diesem Wert nach? Langenberger: Nein. Ihre Intoleranz zeigt die SVP vor allem im Stil. Sie macht Plakate, die an der Grenze des Anstands sind. Sie leistet sich gegenüber ihrem eigenen Bundesrat Samuel Schmid abschätzige Qualifizierungen. Und sie redet dauernd das System schlecht und macht den Staat lächerlich. Von diesem antiliberalen Teil der SVP möchte ich die FDP stärker abgrenzen. Blocher: Wir machen nie den Staat lächerlich, wir kritisieren Regierende. Sie tun so, als seien Regierende der Staat. Darin zeigt sich die Arroganz der Macht. Gerade ein Liberaler darf dies niemals akzeptieren. Der einzelne Bürger steht im Zentrum, nicht die Regierung. Die SVP stellt die FDP in die linke Ecke und spricht von der "vereinigten Linken". Das tönt nach einem wenig liberalen Absolutheitsanspruch. Blocher: Auch ein Liberaler hat eine Position, eine Überzeugung. Der Staat muss die Meinungsfreiheit garantieren, auch die Freiheit des politischen Stils. Die Grundfrage jedes politischen Handelns lautet: mehr Staat oder mehr Freiheit? Früher standen sich die SP und die bürgerlichen Parteien gegenüber. Heute haben wir eine andere Konstellation: die SVP gegen die übrigen drei. Sie nennen diese neue Allianz "Koalition der Vernunft", was gegenüber der SVP kein sehr toleranter Begriff ist. Wir sagen "vereinigte Linke", weil nur noch die SVP gegen die Sozialisten kämpft. Langenberger: Die Zweiteilung in links/rechts, die Sie so forcieren, führt in die Irre. Es geht auch um den Gegensatz zwischen Fortschritt und Bewahren. Zum liberalen Gedanken gehört für mich Weltoffenheit und Modernität. Blocher: Das sind doch leere Floskeln. Langenberger: Nein, das zeigt sich in der Politik. Nehmen Sie die bilateralen Verhandlungen mit der EU, wo Sie ein Moratorium verlangen. Oder die Sicherheitspolitik: Sie wollen zwar eine Armee, sind aber dagegen, dass diese im Ausland üben darf. Blocher: Ihre Politik ist vielleicht zeitgemäss, aber falsch. Denn der Zeitgeist ist nicht das Mass aller Dinge. Die bilateralen Verhandlungen beispielsweise schränken die Selbstbestimmung der Schweiz ein. Frau Langenberger, Herr Blocher, in der Wintersession haben Sie bestens zusammengearbeitet: Sie haben die KVG-Revision abgelehnt, soziale Abfederungen in der AHV verhindert und am Steuersenkungspaket festgehalten. Eigentlich sind Sie ja ein bürgerliches Dreamteam. Blocher: Nein, in der Europapolitik, der grossen Auseinandersetzung der letzten zehn Jahre, stand einzig die SVP für das liberale Gedankengut ein. Es begann mit dem EU-Beitritt, einem Ja oder Nein zur Unabhängigkeit der Schweiz . . . Sie weichen aus. Finanz-, Sozial- und Gesundheitspolitik sind ebenfalls zentrale Themen. Hier arbeiten Sie im Parlament harmonisch zusammen. Blocher: Nein, denken Sie an die Mehrwertsteuererhöhungen, die Schwerverkehrsabgabe, die Tabaksteuererhöhungen, die Eigenmietwert-Initiative, die Asyl-Initiative, die Solidaritätsstiftung, die Swiss, die Expo etc. Wir fordern eine finanzielle Entlastung des Bürgers und sind gegen eine weitere Ausdehnung der staatlichen Macht. In Detailfragen gibt es vielleicht da und dort eine gewisse Harmonie. Vor den Wahlen muss die FDP ja etwas aufpassen. Wo bleibt da die von Ihnen angekündigte Abgrenzung, Frau Langenberger? Langenberger: Ich habe immer gesagt, dass wir in wirtschaftlichen Fragen gerne zusammenarbeiten. Ich grenze mich von einem gewissen Stil und dem antiliberalen SVP-Flügel ab. Die SVP, aber auch die SP polarisieren die Politik und schwächen damit das Land. Es ist gefährlich, wenn man die anders Denkenden, die Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, derart in Bedrängnis führt, dass es schlussendlich nur noch zwei Fronten gibt: einen linken und einen rechten Flügel. Blocher: Das ist halt leider so: SP und SVP sind Gegenpole. Langenberger: Deshalb möchte ich eine starke bürgerliche Mitte aufbauen. Blocher: Machen Sie das. Herr Blocher, was passiert, wenn sich die freisinnige Auffassung liberaler Politik durchsetzt? Blocher: Wenn der Freisinn weiterhin mit der Linken marschiert und den Liberalismus sozialistisch auslegt, wird dies der SVP nützen. Der Freisinn warb ja einst mit dem Slogan: "Mehr Freiheit, weniger Staat." Übrigens wollte damals auch die SVP diesen Satz verwenden. Wir einigten uns dann mit der FDP und wählten: "Mehr Freiheit, weniger Bürokratie." So nahe lagen wir früher zusammen. Ihren heutigen Kurs, Frau Langenberger, goutiert die freisinnige Basis nicht: Nach links hat die FDP keine Chance. Sie haben ihre Position verlassen, nun suchen ihre einstigen Wähler eine neue Heimat bei uns. Wenn sich die FDP aber auf ihre Ursprünge zurückbesinnt, wird die SVP wieder schwächer. Dann wäre sie auch nicht mehr so nötig. Frau Langenberger, was passiert, wenn sich die SVP-Auffassung von liberaler Politik durchsetzt? Langenberger: Wir haben nicht derart unterschiedliche Ansichten von Liberalismus als die SVP. Was die Finanzpolitik oder die Rolle des Staates angeht, sind wir uns wahrscheinlich einig. Aber, nochmals, wir betreiben eine verlässliche, moderne und weltoffene Regierungspolitik. Wenn sich die SVP durchsetzt, wird die Polarisierung noch stärker zunehmen. Das ist schade für die Parteienvielfalt, die wir anerkennen.

09.01.2003

Für Graubünden ist das eine frohe Botschaft

Interview mit dem "Bündner Tagblatt" vom 9. Januar 2003 Norbert Waser "Bündner Tagblatt": Heute ist mit Sohn Markus das zweite Ihrer vier Kinder erstmals im Zusammenhang mit der EMS-Gruppe in der Öffentlichkeit aufgetreten. Ist es Ihnen also gelungen, die Weichen für die Zukunft des Unternehmens ohne Familienkrach zu stellen? Christoph Blocher (Mehrheitsaktionär Ems-Chemie Holding AG): Ja, bis heute schon. Wir haben darüber offen diskutiert, und es ist ein offenes Geheimnis, dass die aber Kinder für ein "Going private" waren. Sie suchen nicht die Öffentlichkeit und in naher Zukunft braucht das Unternehmen die Börse auch nicht. Aber in Anbetracht aller Eventulaitäten für die Zukunft ist die nun gewählte Strategie doch besser. Die Kinder haben diesen Entscheid akzeptiert. Aber entschieden haben Sie? Christoph Blocher: Den Entscheid habe ich getroffen. Die Kinder haben dies auch erwartet. Die Steuerfrage ist ein zentraler Punkt und Sie haben dabei auch den Wohnsitz im Kanton Zürich angetönt. Liebäugeln Sie mit einem Wohnsitzwechsel nach Graubünden? Christoph Blocher: Es wird sich zeigen, ob Graubünden künftig bessere Bedingungen hat als der Kanton Zürich. Es wäre auf jeden Fall nicht der letzte Kanton, in den in umziehen würde. Im Augenblick mache ich jedoch keine Anstalten in dieser Richtung. Wann ziehen Sie sich aus dem operativen Geschäft zurück? Christoph Blocher: Das passiert sukzessive. Vermutlich werde ich mich in den nächsten Jahren auf das Präsidium beschränken und die Funktion des CEO jemand anderem übergeben. Das hängt nicht zuletzt von der künftigen Führungssturktur für eine Publikumsgesellschaft ab. Wir eines Ihrer Kinder die operative Führung übernehmen? Christoph Blocher: Das ist eine Möglichkeit, die sich im Moment abzeichnet. Aber es muss nicht sein. Im Moment müssen Sie sich noch mit Alltagssorgen beschäftigen. Ist der Verkauf der Kraftwerkanlagen an die NOK eine solche? Christoph Blocher: Der Verkauf der Patvag-Kraftwerke ist per Ende Jahr bereits abgeschlossen worden. Bei den Kraftwerken Reichenau hat der Kanton Graubünden ein Vorkaufsrecht. Mir ist es an und für sich gleich, wer die Kraftwerke Reichenau AG übernimmt, aber jeder Käufer müsste ebenfalls auch eine Lieferverpflichtung für 15 Jahre garantieren. Kanton und Gemeinden möchten aber nur die Aktien, das ist nicht möglich, den Fünfer und das Weggli gibt es nicht. Ihr Kommentar zum Vorgehen der Standortgemeinde Doma /Ems. Christoph Blocher: Sie haben nicht einfach die Türe zugeschlagen, sondern einfach einmal das Interesse an den Aktien angemeldet. Wir sind bereit, darüber zu diskutieren. Ich hoffe, dass die Diskussion bis Ende Januar abgeschlossen sein wird. Welche Auswirkungen hat die künftige Strategie mit einer verstärkten Konzentration auf die Polymeren Werkstoffe für Domat/Ems? Christoph Blocher: In der Tat befinden sich die Produktionsanlagen im Hauptbereich der Polymeren Werkstoffe in Domat/Ems. So gesehen ist der jetzt bekanntgegebene Schritt eine frohe Botschaft für den Werkplatz Graubünden. Diese Bereiche sollen in Zukunft noch stärker gefördert und ausgebaut werden.