Articles
Institutions
03.12.2003
01.12.2003
Eröffnungsrede vom 01.12.2003
von Nationalrat Christoph Blocher, Alterspräsident Liebe Ratskolleginnen, liebe Ratskollegen, Chers amis de la Suisse romande, Cari amici della Svizzera italiana, Cars amitgs dalla svizzera romontscha Saal ohne Fenster Wir Volksvertreter haben uns auch dieses Jahr wieder zusammen mit dem Bundesrat zur Eröffnung der Legislatur in diesem Saal eingefunden. In einem Raum, der mir in all den Jahren vertraut geworden ist. Doch ehrlich gesagt, so richtig wohl fühlte ich mich hier nie. Warum? War es das viele Papier, die bürokratische Betriebsamkeit, das dauernde Herumwühlen in toten Paragraphen, die oft monotonen Reden? Erst in diesen Tagen wurde mir klar, woran es liegt: Wir Nationalräte tagen in einem Saal ohne Fenster. Wir sind nicht die einzigen. Fast alle Parlamentarier der Welt politisieren in Ratssälen ohne Fenster! Sehen Sie sich um. Wir sind abgeschottet. Von Kunstlicht beleuchtet. In einem Saal ohne Fenster. Damit ist es unmöglich, aus den Ratssitzungen hinaus zu schauen ins Land, ins Leben, zu den Leuten, die doch unmittelbar von unserer Politik betroffen sind. Dafür muss die Wirklichkeit in zahlreichen Berichten, Botschaften, Bulletins zur Türe herein auf unsere Tische getragen werden. Und schwarz auf weiss stapelt sich dann diese papierene Wirklichkeit auf unseren Tischen. Kein Blick ins Innere Aber auch das Umgekehrte gilt: Kein Blick von aussen dringt in die Welt des Parlaments. Kein helles Fenster erlaubt den Blick auf die viel beschworene "Würde des Parlaments". Wir Parlamentarier leben abgeschirmt von der Öffentlichkeit, abgeschirmt vom Alltag, abgeschirmt von der oft rauen Wirklichkeit. Die Gefahr ist gross, dass wir Politiker die Wirklichkeit vergessen und nur noch unsere Papierwelt sehen. Eine Welt, die um sich selber rotiert und - weil sie nicht gestört wird durch die Wirklichkeit des Alltags - in eigenartiger Selbstzufriedenheit ruht. Das Bild von Giron Dazu passt das monumentale Bild von Giron, das wir ständig vor Augen haben. Der Maler musste seinen Engel mit einer Wolke bedecken, als ob man dem Parlament die nackte Wirklichkeit nicht hätte zumuten können. Dies wurde dem Künstler - so wird berichtet - befohlen. Diese Gefahr des Abgehobenseins ist nicht nur der politischen Führung eigen, sondern überall, wo geführt wird. Besonders auch in der Wirtschaft. Die Führungsspitzen der Unternehmen wohnen gerne in der obersten Etage, fern ab von den Niederungen des Alltags. Und die Geschäftsleitungen laufen - vor allem in guten Jahren - Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren. Darum sollten die leitenden Leute der Unternehmen mindestens einen halben Tag pro Woche hinaus durch die Betriebe schlendern und nichts tun als schauen und hören. Hinaus! Meine Damen und Herren, ich rufe uns - namentlich den neu gewählten Kolleginnen und Kollegen - in Erinnerung: Entfliehen wir der Gefahr, uns in der Abgeschiedenheit der Ratsäle und Sitzungszimmer behaglich einzurichten. Gehen wir hinaus ins Volk, zu den Menschen. Reden wir mehr mit den "gewöhnlichen Menschen" als mit den Eliten, wenn wir die Wirklichkeit erfahren wollen. Denn die "Unteren" wissen und sagen uns, wie es ist. Die "Oberen" sagen uns stattdessen, dass es so sei, wie sie meinen, dass es sein sollte. Der Gang hinaus lohnt sich, denn draussen in unserem Lande finden wir - ich zitiere - "ein opferwilliges und im Grunde nicht schwer zu regierendes Volk". "Nur gibt es einige Dinge, welche die Leute nicht ertragen. Dazu gehört vor allem eine gewisse Überschlauheit, die glaubt, auf den einfachen Untertanenverstand herabsehen zu dürfen." (Karl von Schumacher). Grundsatzdiskussionen Meine Damen und Herren, Der wohligen, windstillen Abgeschiedenheit der Ratssäle mag es zuzuschreiben sein, dass viel Grundsätzliches gesprochen und versprochen, aber wenig Konkretes beschlossen und erzielt wird. Grundsatzdebatten So habe ich in den vergangenen 24 Jahren unzählige Grundsatzdebatten erlebt und oft und vielen Grundsätzen zugestimmt, die leider ohne Wirkung blieben. Wie oft haben wir doch schon in diesem Ratssaal mit Reden, Vorstössen und Papieren die Bürokratie abgeschafft? Stets waren wir einig: Es braucht weniger Bürokratie, denn darunter leidet der Mittelstand, leiden die Bürgerinnen und Bürger. "Jetzt geht es der Bürokratie an den Kragen" so titelten die Zeitungen nach diesen Debatten. Nur: Die bürokratischen Lasten und Hindernisse sind nicht kleiner, sondern grösser geworden. Wie oft haben wir hier grundsätzlich die Schulden bekämpft, den Missstand der Schuldenwirtschaft angeprangert. Wie oft haben wir grundsätzlich beschlossen und versprochen, die Schulden seien zu senken. Doch die Schulden sind gestiegen. Wie oft haben wir in Grundsätzen beschlossen, es sei wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger weniger Steuern und Abgaben entrichten müssten, weil diese hohen Abgaben Arbeitsplätze vernichten. Und die Folge? Die Bürgerinnen und Bürger bezahlen immer mehr Zwangsabgaben. Wahlen Meine Damen und Herren, am 19. Oktober 2003 hat das Volk gewählt. Wir sitzen hier, weil uns das Volk als seine Stellvertreter nach Bern geschickt hat, um für sein Wohl zu sorgen. Viele Menschen in unserem Land fragen sich heute besorgt, ob in diesem Saal ohne Fenster die mit den Wahlen zum Ausdruck gebrachte neue Wirklichkeit überhaupt wahrgenommen werde, oder ob alles im gleichen Tramp weitergehe wie bisher. Viele Leute haben den Eindruck, die politische Führung sei weit weg von der Wirklichkeit und habe den Bürger und seine Probleme vergessen. "Lappi tue d'Augen uuf" So möchte ich die kommende Legislatur eröffnen in der Hoffnung, dass wir alle die mit den Wahlen zum Ausdruck gebrachte Wirklichkeit auch ernst nehmen. "Lappi tue d'Augen uuf!" - so heisst es am Schwabentor meiner Geburtsstadt Schaffhausen et pour mes amis de la Suisse romande, j'ai cherché la traduction du mot allemand "Lappi", mais il n'existe pas. Alors, c'est clair: Le "Lappi" existe seulement en Suisse allemande, mais le principe: "Lappi tue d'Augen uuf", est nécessaire aussi pour les Suisses romands, parce qu'elle veut dire "Ouvre les yeux", "regarde le monde". Sie sehen, grundsätzlich sollten die Ratssäle Fenster haben - auch dieser. Aber selbstverständlich nur grundsätzlich und im Prinzip. So verlange ich denn auch nicht, diesen Ratssaal zum Saal mit offenen Fenstern umzubauen. Jetzt ertappe ich mich, dass auch ich nur für etwas Grundsätzliches bin, was ich im Konkreten ablehne. Schade! Ich bitte Sie, machen Sie es in dieser Legislatur besser, auf dass wir unser Land und unser Volk bis 2007 gut vertreten. Liebe Ratskolleginnen, liebe Ratskollegen, Chers amis de la Suisse romande, Cari amici della Svizzera italiana, Cars amitgs dalla svizzera romontscha In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gute Session und eine erfolgreiche Legislatur 2003 bis 2007 zum Wohle unseres Landes und unseres Volkes. Ich danke Ihnen.
29.11.2003
«Alles Sektiererische liegt mir fern»
Interview im "Tages Anzeiger" vom 29. November 2003 Bundesratsanwärter Christoph Blocher verspricht, Kompromisse mitzutragen, glaubt, seine Partei werde sich im Stil mässigen und mag frühere Aussagen nicht zurücknehmen. von Hannes Nussbaumer und Gaby Szöllösy Tages Anzeiger: Ihr Bruder Gerhard verglich Sie mit dem Rheinfall. Der frage auch nicht, ob er über die Klippe stürzen wolle, er müsse. Gehorchen Sie mit Ihrer Kandidatur einer höheren Gewalt? Christoph Blocher: Er hat das Bild gebracht, weil ich ein intuitiver Mensch bin. Was ich mache, tue ich, weil ich das Gefühl habe, ich muss es tun. Das kommt vielen Leuten vor wie der Rheinfall, der halt einfach seinen Lauf nimmt. Mit höherer Gewalt hat das nichts zu tun. Ich habe ein natürliches Gottvertrauen, aber alles Frömmlerische und Sektiererische liegt mir fern. Aber Sie beten zu Gott? Blocher: Ich habe Hemmungen, darüber zu sprechen, denn der Mensch ist nicht ein guter Mensch, weil er regelmässig betet. Aber selbstverständlich bete ich auch. Fühlen Sie sich mit Zwingli, dem Zürcher Reformator, wesensverwandt? Blocher: Wesensverwandt nicht, aber er ist eine interessante Gestalt. Er hat ja nicht mit Politisieren begonnen, sondern hat das Matthäus-Evangelium ausgelegt. Aber er hat gesellschaftlich und wirtschaftlich viel bewirkt zum Wohl der Bevölkerung. Zwingli wollte damals die Gesellschaft von religiöser Scheinheiligkeit, von Nichtstuerei und Verschwendung befreien. Haben Sie dasselbe vor? Blocher: Die Morallehre von Zwingli ist mir ziemlich fremd, ich finde, der Staat soll nicht in die Moral reinreden. Auch kann man die damalige Zeit nicht mit heute vergleichen. Ich setze mich für mehr individuelle Freiheit ein. Ich möchte die Menschen von den vielen Vorschriften und den hohen Steuern, Abgaben und Gebühren an den Staat befreien. Der Staat soll also sparen. Das Sparziel des Bundesrates - insgesamt sechs Milliarden - dürfte Ihnen gefallen. Wo setzen Sie an? Blocher: Erst sind Alternativen zu erarbeiten, bevor man sagen kann wo. Sparen muss man sicher in der Bundesverwaltung. 10 Prozent müsste man die Verwaltungskosten im Minimum senken - und könnte es auch. Der Bundesrat hält dies für nicht realisierbar: Das führe zum Abbau von 6000 Stellen, damit könnte die Verwaltung die gesetzlichen Aufträge nicht mehr erfüllen. Blocher: Der Bundesrat sagt, es gehe nicht, weil er es nicht tun will. Ich bin sicher, dass man dies ohne Leistungsabbau bewerkstelligen könnte. Angenommen, Sie wären schon im Bundesrat und überstimmt worden. Würden Sie Ihre abweichende Meinung publik machen? Blocher: Nein. Ich hätte im Bundesrat massiv Widerstand geleistet, müsste den Entscheid dafür nachher loyal mittragen. Ich stehe zum Kollegialprinzip, ich hatte noch nie Mühe damit und sass schon in vielen Kollegialgremien. Wo soll man sonst noch sparen? Blocher: Zum Beispiel in der Forschung und Bildung. Wir müssen Prioritäten setzen. Bei den Schwerpunktthemen müsste man wohl die Mittel noch massiv aufstocken, anderes ganz fallen lassen. Zum Beispiel glaube ich nicht, dass wir in nächster Zeit ein Kernkraftwerk bauen. Also müssen wir diese Technologie nicht mehr erforschen. Die Sozialwerke stecken in Schwierigkeiten. Soll man das Rentenalter erhöhen? Blocher: Nein, in nächster Zeit nicht. Die 11. AHV-Revision verlangt dies nicht. Wenn sich die Wirtschaft positiv entwickelt, so reicht das mindestens für die nächsten 15 Jahre. Natürlich kann Bundesrat Couchepin über eine Erhöhung des Rentenalters nachdenken, aber er muss sich doch jetzt noch nicht festlegen fürs Jahr 2015. Sie wollen bei der staatlichen Krippenförderung sparen . . . Blocher: . . Kinderkrippen sind keine Aufgabe des Bundes . . . . . . und Sie sind gegen eine Mutterschaftsversicherung. Wer zahlt die Altersvorsorge, wenn die Frauen immer weniger Lust haben, Kinder zu gebären? Blocher: Das sind arme Kinder, die nur auf die Welt kommen, weil es eine Mutterschaftsversicherung gibt! Es ist nicht Sache des Staates, Geburten zu fördern, um Arbeitskräfte zu erzeugen. Ich staune, wie Linke nun Geburten fördern wollen. Das haben früher rechte Diktatoren gemacht, um den Nachschub von Soldaten zu garantieren. Das erinnert mich an völkische Aussagen. Werfen Sie jetzt der Linken völkisches Gedankengut vor, nachdem Sie sie schon in die Nähe des Faschismus gerückt hatten? Blocher: Nein. Die Begründung, der Staat müsse dafür sorgen, dass Frauen Kinder kriegen, um Arbeitskräfte zu sichern, erinnert mich daran. Zudem: Ich habe nie gesagt, Sozialdemokraten seien Faschisten, sondern das Gegenteil. Aber es ist philosophisch erwiesen, dass der Sozialismus und der Faschismus dieselben Wurzeln haben, nämlich den Etatismus und den Kollektivismus. Zurück zur Sachpolitik: Vor einem Jahr noch haben Sie den Abbruch der Bilateralen II gefordert. Bleiben Sie dabei? Blocher: Das Schengen-Paket, das heisst eine Schweiz ohne Grenzen, ist abzulehnen. Das bereits ausgehandelte Zinsbesteuerungsabkommen soll man gesondert verabschieden. Dazu wäre die EU bereit. Wenn man Schengen ausnähme, sagen Sie dann Ja zum Rest der Bilateralen II, auch zum Erstasylabkommen Dublin? Blocher: Gegen Dublin - das heisst einen besseren Informationsaustausch im Asylwesen - stemme ich mich nicht. Doch man darf die Wirkung nicht überschätzen. Dublin rechtfertigt keinesfalls die Übernahme des ganzen Rests. Wenn man Ihnen so zuhört, fällt auf: Sie lassen sehr vieles offen. Blocher: Ich lasse nichts offen, das ich heute entscheiden kann und muss. Gewisse Dinge kann nur der Bundesrat beantworten. Etwa wo die Kosten des Bundes gesenkt werden können. Der Parlamentarier sagt wie viel - die Regierung muss sagen, wie man das machen könnte. Ausserhalb kann man nicht die gleiche Verantwortung übernehmen wie in der Regierung selbst. Sie haben das Parlament vor die Wahl gestellt: Blocher in den Bundesrat oder die SVP geht in die Opposition. Würde das im Bundesrat im selben Stil weitergehen: Der Entscheid fällt so wie Blocher will, oder die SVP geht in die Opposition? Blocher: Nicht ich, sondern die SVP-Fraktion hat das Parlament vor die Wahl gestellt. Für mich ist klar: Wenn ich in den Bundesrat gewählt werde, so bleibe ich mindestens vier Jahre dort, besser aber länger. Nichts könnte Sie zu einem früheren Rücktritt bewegen? Blocher: Theoretisch könnte es sein, dass mich die andern sechs ausgrenzen, dass sie Mobbing betreiben. Dann wäre die Situation natürlich anders. Aber das werden die andern Bundesräte nicht tun. Sie sagten am Wahlsonntag, Sie wollten enger mit den andern Parteien zusammenarbeiten, auch mit der SP. Wo kämen Sie denn den andern entgegen? Blocher: Ich zeige Ihnen doch jetzt noch nicht die Kompromisse auf. Aber ich bin bereit, Kompromisse mitzutragen, so wie ich das alljährlich in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften tue. Keine Angst, dass Sie den Wählerauftrag unterminieren mit Konzessionen? Blocher: Es wird Enttäuschte geben. Sie geschäften mit China, obwohl dort Menschenrechte verletzt, die Demokratie missachtet wird. Kein Problem für Sie? Blocher: Nein. Wir verkehren auf der Welt mit sehr vielen sündigen Menschen. Ich bin für die Demokratie in der Schweiz, für die Staatsform in China bin ich nicht verantwortlich. Man muss investieren, dann wird auch in China vieles freier. Sie waren auch Präsident der Arbeitsgruppe südliches Afrika, welche während der Apartheid Verständnis zeigte, dass Weisse und Schwarze getrennt unterrichtet wurden und es ihnen verboten war, untereinander sexuelle Beziehungen einzugehen. Blocher: Die Arbeitsgruppe kämpfte dafür, dass das südliche Afrika nicht in die Hände der Sowjetunion fiel, das war damals ausserordentlich gefährlich. Diesen Kampf gebot die Freiheit! Die Arbeitsgruppe war eine Vereinigung von Politikern und Militärs, denen die geostrategische Lage von Bedeutung war, nicht Fragen der Apartheid, die ich stets ablehnte. Finden Sie immer noch, die Frau sei dem Manne untergeordnet, wie Sie das vor rund 20 Jahren beim Referendum gegen das neue Eherecht vertraten? Blocher: Einen solchen Unsinn habe ich nie vertreten. Ich bin noch heute der Meinung, dass bei Uneinigkeit der Eheleute der Mann die finanzielle Verantwortung für den Unterhalt der Familie tragen soll. Wenn Sie diese Verantwortungszuweisung als Überordnung verstehen, ist das nicht mein Problem. Einst erklärten Sie: «Die jüdischen Organisationen, die Geld fordern, sagen, es gehe ihnen letztlich nicht ums Geld. Aber genau darum geht es.» Der Satz kann Juden verletzen. Als Bundesrat wären Sie aber auch Regierungsvertreter der Schweizer Juden. Distanzieren Sie sich von der Aussage? Blocher: Nein. Es war so: Diese Organisationen in Amerika haben die Schweiz in gemeinster Weise ums Geld erpresst. Wenn ich die Gefühle von Schweizer Jüdinnen und Juden verletzt habe, so tut es mir Leid. Aber der Kampf gegen solche Erpressungen muss geführt werden. Die Schweizer fühlten sich durch die Erpressungen auch verletzt. Unvergessen Ihre Messerstecher-Inserate. Würde die SVP auf derlei Kampagnen verzichten, wenn Sie im Bundesrat sind? Blocher: Ich denke nicht, dass die SVP weiterhin solche Plakate schalten müsste, wenn wir eine vollwertige Regierungspartei wären. Als Oppositionskraft muss man sich Gehör verschaffen, man muss provozieren, zuspitzen, stark kritisieren. Die politische Auseinandersetzung in der Schweiz würde also anständiger? Blocher: Sicher langweiliger. Wäre Rita Fuhrer die schlechtere Bundesrätin als Sie? Blocher: Das müssen Sie die Fraktion fragen. Vor drei Jahren sagten Sie noch, Rita Fuhrer sei die bessere Bundesrätin als Sie. Blocher: Was damals auch zutraf. Aber seither hat sich die Konstellation geändert. Damals wäre Frau Fuhrer die Geeignetere gewesen - doch das Parlament hat einen Dritten gewählt. Samuel Schmid. Für diesen Fall hatten Sie damals schon einen noch schärferen Oppositionskurs angekündigt. Gemerkt hat man nicht viel davon. Blocher: Ja? Warum hat man uns denn stets diese heftige Opposition vorgeworfen? All die Inserate, Kritiken, die Asyl-Initiative, die Gold-Initiative - und jetzt soll man plötzlich von all dem nichts gemerkt haben? Sie würden heute in der Opposition auch mithelfen, das Sparpaket zu bodigen, sagt der SVP-Pressesprecher. Tatsächlich? Blocher: Der Gebührenbeschluss im Sparpaket passte uns zwar nicht, aber deswegen würden wir kaum das ganze Paket bekämpfen. Auch das Steuerpaket und die 11. AHV-Revision würden wir mittragen. Die Opposition sagt nicht einfach zu allem Nein. Herr Blocher, wollen Sie eigentlich in den Bundesrat? Eben sendete die SP noch zarte Signale, dass sie Sie per Stimmenthaltung eventuell unterstützen könnte - und schon brüskieren Sie sie mit der Attacke auf den SP-Sitz von Micheline Calmy-Rey. Blocher: Das ist keine Attacke. Weil wir für die Regierungsbeteiligung nach Wählerstärke sind, stehen der SP zwei Sitze zu. Wir müssen deshalb - auch wenn es uns schwer fällt - Herrn Leuenberger und Frau Calmy-Rey auf den Zettel schreiben. Sofern die Konkordanz beibehalten wird. Wenn aber die SP hilft, die CVP-Übervertretung zu sichern und somit gegen den klaren Wählerwillen verstösst, dann hat die SP die Konkordanz gebrochen. Dann können auch wir uns nicht mehr daran halten - leider. Sie könnten mit einem Bundesrat ohne SP ganz gut leben? Blocher: Ich glaube, wir würden in der heutigen Situation mit einer echten Konkordanzregierung mehr erreichen. Wenn Sie ganz generell die Wahl hätten: Eine Konkordanzregierung mit zwei SP-, zwei SVP-, zwei FDP- und einem CVP-Vertreter oder eine bürgerliche Regierung ohne SP. Was würden Sie bevorzugen? Blocher: Wenn in unserem System eine Koalitionsregierung besser verankert wäre, so würde ich eine rein bürgerliche Regierung vorziehen, heute aber eindeutig die Konkordanz. Werden die Entscheide des Bundesrats eher im Sinne der SVP ausfallen, wenn Sie innerhalb oder wenn Sie ausserhalb des Bundesrats politisieren? Blocher: Das haben wir uns auch überlegt. FDP und CVP werden stark auf unsere Seite tendieren müssen, wen wir in der Opposition sind, weil sie sonst in den nächsten Wahlen noch mehr verlieren würden. Vermutlich hätten wir mit der Opposition in den grossen Fragen mehr Einfluss. Warum wollen Sie denn in den Bundesrat? Blocher: Weil man mit dem Einfluss der Oppositionspartei nur in der Verhinderung etwas erreicht. Kreativ können wir nicht viel einbringen, weil wir die Vorlagen nicht selber erarbeiten können. Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Haben Sie nicht einfach genug vom Kläffen? Blocher: Ich bin kein Kläffer. Ich bin ein hoch angesehener, respektierter Kritiker (lacht). Wenn ich Bundesrat werden muss, will ich. Wenn ich’s nicht werden muss, dann nicht.
16.11.2003
Explodiert ist noch kein Gremium, weil starke Persönlichkeiten drin waren
Christoph Blocher über seine Rolle im Bundesrat oder die unerbittlicher Opposition bei einer Nichtwahl Interview in der "Sonntags Zeitung" vom 16. November 2003 von Christoph Lauener & Denis Von Burg Sonntags Zeitung: Herr Blocher , vor kurzem sagten Sie noch, es wäre eine Strafe für Sie, Bundesrat zu sein. Warum wollen Sies nun trotzdem als Bundesrat nach Bern gehen? Christoph Blocher: Fragen Sie nicht, was ich will, sondern was ich muss. Das Schlimmste wäre, wenn die SVP zwei Bundesräte in Bern hätten, die - nach dem Wahlerfolg nicht das tun, was unsere Wähler verlangen oder wegen Unfähigkeit nichts fertig bringen. Damit würde sich nichts verändern, unsere Wähler wären enttäuscht. Schon vor den Wahlen wurde ich gedrängt: "Deine grosse Erfahrung in der Wirtschaft und der Führung ist jezt gefragt. Du musst es tun." Schliesslich sagte ich dazu ja. Kurz vor den Wahlen schien es noch nicht so klar. War Ihre Kandidatur ein Schnellschuss, eingefädelt von der Parteispitze um möglichst viel Aufmerksamkeit zu haben? Blocher: Keineswegs. Der Entscheidungsprozess dauerte Monate. Unzählige Gespräche gingen dem Entscheid voran. Zuerst galt es, über die Konkordanz zu entscheiden: Regierungsbteiligung nach Wählerstärke oder Regierungs- und Oppositionssystem. Die SVP hat sich dann für Konkordanz entschieden:. Die kleinste Partei hat einen Sitz, die grossen zwei. Dann: Welche Bedeutung hat eigentlich eine Bundesratswahl? Sind die Spielchen, die auch wir in der Vergangenheit mitgemacht haben, und die in guten Zeiten vielleicht noch erfolgreich sind, richtig, nämlich den anderen Parteien Nicht-Vorgeschlagene ins Nest zu legen? So ist es uns mit Samuel Schmid passiert, der SP mit Francis Matthey oder Otto Stich. Wir kamen zur Überzeugung, dass damit Schluss sein muss: Nur die stärksten Figuren, hinter denen die Parteien voll. Nur voll in die regierung oder voll in die Opposition macht Sinn. Hat Ihre Kandidatur wirklich nichts mit persönlichem Ehrgeiz zu tun? Blocher: Überhaupt nicht. Natürlich ist das Bundesratsamt in den Augen vieler Menschen der Höhepunkt einer Karriere und zudem finanziell interessant und mit Ansehen verbunden. Leider. Mir fällt es schwer, dieses Amt anzustreben, ich muss auf vieles verzichten: Auf ein selbst aufgebautes Unternehmen zum Beispiel. Es gilt, mir lieb gewordene Fabrikhallen gegen die dunklen Gänge im Bundeshaus eintzuauschen. Bin ich ein Mensch, der ab sofort immer fragen muss, ist das gemäss Gesetz erlaubt oder nicht? Aber es muss jetzt sein. Und wenn die anderen Parteien nicht wollen, kommt eine ebenso schwere Aufgabe auf mich zu - jene in der Opposition. Trotzdem: Mit dem Ultimatum "Ich oder keiner" haben Sie Ihre Ihre Wahlchancen massiv verringert. Blocher: Es gibt kein Ultimatum. Die Bundesversammlung hat die Wahl: Sie wählt den Doppelvorschlag der Fraktion, oder sie weist die SVP in die Opposition. Jede Partei kann festlegen, unter welchen Voraussetzungen und mit wem sie in die Regierung will. Das will die SVP den anderen zugestehen, beansprucht es aber auch für sich selbst. Wir müssen - immer vom Wählerauftrag ausgehend - in diesem land vieles verbessern. Wir haben endlich dafür zu sorgen, dass nicht in erster Linie die Schulden, sondern die Wirtschaft wächst. Das hoffen wir mit Schmid und Blocher im Bundesrat zu erreichen. Nur ein bisschen reingehen und ein wenig Opposition betreiben wie bisher, das bringt mit 27 Prozent Wähleranteil nichts mehr. Wir müssen konsequent sein, denn in Bern will man schon wieder Schlaumeierlösungen: Wir geben der SVP zwei, aber nicht die, die sie will. Es ist alles darauf angelegt, dass wir in diesem Land nicht vorwärtskommen. Dazu dürfen wir nicht Hand bieten. In den Augen der anderen bleibt das ein Diktat. Damit kommen Sie nicht durch. Blocher: Ein Diktat ist es nicht. Das Parlament kann entscheiden, ob es uns in einer Konkordanzregierung oder in der Opposition will. Die Aufregung ist nur darum gross, weil man keine klaren Entscheide will. Am liebsten wäre vielen eine halbe Lösung, bei der man Kandidaten der SVP wählt und hofft, und dass sie formell Regierungsverantwortung trägt, aber nichts erreicht. Dann würde es weitergehen wie bisher. Das ist gegen den Wählerauftrag. Wir müssen das Ganzebeachten, nicht nur den 10. Dezember. Sie könnten ja wenigstens einen Zweiervorschlag bringen. Blocher: Ein Zweiervorschlag würde heissen, dass die SVP sich nicht entscheidn kann; also stünde sie nur halb hinter dieser Person. Und übrigens haben wir das vor vier Jahren gemacht, Mann und Frau, mit Roland Eberle und Rita Fuhrer. Das Parlament wählte Samuel Schmid mit der Folge, dass er nicht den vollen Rückhalt unserer Partei hatte und wir nur halb vertreten fühlten. Jetzt stehen wir voll hinter Schmid, die Positionen sind bereinigt. Jetzt geht aber ein neues Spiel los: Statt der SVP gemäss Konkordanz einen Sitz der CVP zu geben, wollen SP und CVP einen SVPler auf den freien Freisinn-Sitz hieven. Auch Sie liebäugeln damit? Blocher: Nein. Wegen der echten Konkordanz muss die CVP einen Sitz abgeben. Die FDP muss mit zwei Sitzen in der Regierung bleiben, sonst ist sie halb in der Opposition. Falls Sie gegen die CVP scheitern, könnten Sie auch versuchen, eine bürgerliche Regierung zu erzwingen? Blocher: Wir könnten uns dann vorstellen, Samuel Schmid zu unterstützen und dann gegen Micheline Calmy-Rey anzutreten. Eine rein bürgerliche Regierung wäre möglich, wenn die Parteien trotz ihrer Zusage die Konkordanz nicht mehr einhalten wollen. Jetzt drohen Sie der SP, damit diese den Weg für Ihre Wahl freimacht. Blocher: Ich drohe nicht. Ich sage nur, das Parlament muss jetzt entscheiden, was es will. Sie belasten die Konkordanz, in dem Sie nur sich selbst als Kandidaten zulassen. Blocher: Nein, wir wollen die Konkordanz, aber die Zeit für schwache Konsensfiguren in der Regierung ist endgültig abgelaufen. Etwas anderes kann sich die Schweiz nicht mehr leisten. Sonst geht es gleich weiter wie bisher: Seit Jahrzehnten versucht man alle Probleme einfach mit Geld aus der Welt zu schaffen. Beispiel: 2,5 Milliarden für die Swiss, ohne dass das Problem untersucht und gelöst wurde. Beispiel: Die Expo drohte zu scheitern, um dieses Problem zu lösen, zahlte man hunderte von Millionen. Nie wurden die Probleme diskutiert, es wurde einfach bezahlt, und alle waren zufrieden. Jetzt hat der Staat kein geld mehr, nun werden die Bürger ausgeplündert. Sie plädieren für radikale Figuren, damit solche Probleme im Bundesrat mehr diskutiert werden? Blocher: Ja, Leute, die radikal - originär - denken, können mit solchen, die eine andere Ideologie vertreten, aber ebenfalls radikal denken, zu sinnvollen Kompromissen kommen. Ein Bundesrat mit lauter solchen Alpha-Tieren könnte explodieren. Blocher: Das glaube ich nicht. Ich habe Erfahrung mit dem Kollegialitätsprinzip. Ich war im Gemeinderat und in vielen Verwaltungsräten mit starken Figuren. Nur in einem extremen Fall habe ich ein solches Gremium verlassen, weil die Grundausrichtungen allzu unterschiedlich waren. Explodiert ist noch kein Gremium, weil starke Persönlichkeiten drin waren. Vorausgesetzt es handelt sich nicht um ausgeprochene Egozentriker. Im Bundesrat sitzen zu viele schwache Figuren? Blocher: Sie verstehen, dass ich als Kandidat diese Frage nicht beantworte. Aber ich glaube, dass das Problembewusstsein zu wenig vorhanden ist. Die wählerstärkste Partei muss sich jetzt einbringen. Probleme erkennen und Varianten erarbeiten ist mehr als die halbe Lösung! Zu isoliete Lösungen können viel verhindern. Nehmen Sie Couchepin und das AHV-Problem: Er geht auf die Petersinsel und sagt: Arbeiten wir bis 67. Alternativen - mit Vor- und Nachteilen - fehlen. Also wird der Vorschlag zersaust und die ganze Frage ist wieder blockiert. Wie wollen Sie das ändern? Blocher: Die grossen Probleme des Landes können doch nicht die Sache eines einzelnen Bundesrates sein. Die Sanierung des Bundeshaushaltes und der Bundespensionskassen und die zunehmende illegale Einwanderung: Das sind Problem, die einer allein nicht schafft. Das Verhältnis zur EU kann nicht Sache eines departementsvorstehers sein. Ich würde die Frage aufbringen, egal welches Departement ich habe. Leute, die von Anfang an dem Widerspruch ausweichen, erträgt es in der Führung von Wirtschaft und Politik nur in guten Zeiten. In schlechten In schlechten sind sie schnell weg. Und wenn Sie im Bundesrat nur an Wände laufen? Blocher: Sie meinen, wenn sich sechs Bundesräte in ein Zimmer einschliessen würden, um zu beschliessen, Blocher auszugrenzen, ganz gleich, was er bringt? Das würde nicht geschehen, denn der Bundesrat kann sich vor den Problemen dieses Landes nicht verschliessen. Er muss daran interessiert sein, sie zu lösen, und dabei müsste und würde ich helfen. Bei grossen Problemen kann es nur eine gemeinsame Lösung geben. Unter vier Augen haben mir mehrere Bundesräte auch schon ihre Sympathie für dieses Vorgehen bekundet. Man sagt, dass Sie es nach drei Tagen Session kaum mehr im Bundeshaus aushalten. Wie wollen Sie vollamtlich in dieser langsamen Politmaschinerie ausharren können? Blocher: Im Parlamentssaal habe ich oft das Gefühl, das ganze sei eine realitätsferne Papierwelt. Dann muss ich wieder für einen Augenblick in die realität hinaus. Es ist eine der grossen Gefahren in der Führung - auch in der Wirtschaft - den Bezug zur realität zu verlieren. Dieser Gefahr bin ich mir bewusst. Von meinen Direktoren verlange ich immer, dass sie jede Woche einen halben Tag durch den Betrieb gehen, ohne etwas Bestimmtes zu wollen. Ich kann Ihnen heute nicht sagen, wie ich mit dem fertig werde. Ich muss es können. Auch in der Verwaltung zittert man. Chefbeamte drohen bereits mit Kündigung. Blocher: Ich würde von jedem veralngen, dass er voll und ganz seine Pflicht tut, seinen Auftrag erfüllt. Wenn das jemand nicht verträgt, soll er gehen. das ist überall so. Haben Sie Ihre Entourage beisammen? Bleibt Nationalrat Christoph Mörgeli Ihr Berater? Blocher: Nein. Ich werde mit jenen arbeiten, die dort sind. Wie soll der Staat aussehen, wie Sie ihn sich denken? Die Linken sehen in Ihnen den grossen Staatsabbauer. Blocher: Ich bin weder Anarchist noch extremer Liberalist. Aber der Staat ist in den letzten Jahren zu stark gewachsen. Es gibt immer mehr neue Vorschriften, der Bürger wird von der Wiege bis zur Bahre immer enger begleitet. Die Selbstverantwortung wird untergraben, das muss man ändern. Das heisst konkret? Blocher: Es gibt im Bund viel unnötige Dinge. Ich werde im Bundesrat für eine Arbeitsplatzwert-Analyse eintreten. Da wird viel Leerlauf eliminiert, und das Betriebsklima wird sofort besser. Hier verfüge ich über Erfahrung. Wir müssen auch den Mut haben zu verzichten. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Bereich Forschung und Entwicklung: Wir müssen uns entscheiden, was wir vorantreiben wollen und was nicht. Nachdem wir uns entschlossen haben, keine neuen Kernkraftwerke mehr zu bauen, müssen wir vielleicht diesen Forschungsbereich aufgeben, andere aber ausbauen. Wieso sollen wir selber erforschen, was andere besser können? Man kann nicht auf allen Hochzeiten tanzen. So würde die Schweiz erfolgreich - abgespeckt und konzentriert auf Schwerpunkte. Also doch: Überall abspecken? Blocher: Nicht überall, aber dort, wo es zuviel Speck hat. Wo die freie Konkurrenz spielt, setze ich mich fürs Privatisieren ein. Aber nur dort. Wenn etwas von Natur aus nur ein Monopol ist, wie das Eisenbahnschienennetz oder Stromleitungen, trete ich für eine staatliche Gesellschaft ein. Die Landwirtschaft ist auch teuer? Blocher: Wir müssen die Landwirtschaft von den unnötigen Vorschriften befreien. Die enorme Bürokratie in diesem Bereich treibt bloss die Produktionskosten in die Höhe - ein Horror für die unternehmerisch denkenden Bauern und die Steuerzahler. Soll der Staat Kultur fördern? Blocher: Meiner Meinung nach nicht. Der Kulturartikel ist bereits zweimal abgelehnt worden. Wenn der Staat das tut, gibt es nur eine Kultur, nämlich die, welche die Politiker für gut befinden. Wir sind schon auf diesem Weg. Als wir 1798 feierten, schlug ich vor, den grossen Dichter dieser Zeit, Ulrich Bräker, zu würdigen. In Bern gabs für das Projekt keinen Rappen, weil es keine Kultur sei. Ich habe s dann finanziert. Ich bin für Vielfalt, für privates Mäzenatentum; staatliche Förderung führt zur Einseitigkeit. Ich selber möchte als Politiker nicht entscheiden, was gut und schlecht ist. Es gibt auch zeitgenössische Kultur. Junge Künstler beklagen sich über den kleinen Markt, in dem es sich nicht überleben lässt. Blocher: Es ist auch eine Folge der staatlichen Förderung, dass das private Mäzenatentum praktisch verschwunden ist. warum sich man sich engagieren, wenn der Staat zahlt? Grundsätzlich gilt doch: Wer keine Unterstützung bekommt, der sucht seine Chance selber, ist eigenverantwortlich. Frauenförderung? Blocher: Auch das ist keine Aufgabe des Staates. Das tut die Gesellschaft selber. Aber das ist für mich nicht prioritär. Man muss nicht in etwas verbeissen, das nichts bringt und niemand ändern will. Was Sie vorhaben, braucht Kraft. Sie sind aber bereits 63. Wie fit sind Sie wirklich? Blocher: Es wurde geschrieben, ich sei nicht gesund. Wer das behauptet, erliegt Wunschvorstellungen. Wie man behaupten kann, ich sei zweimal notfallmässig ins Spital eingeliefert worden, ist mir schleierhaft. Vor genau 40 Jahren war ich letztmals in Spitalpflege - wegen Blinddarm. Als ich mich nach dem EWR-Wahlkampf 1992 erschöpft drei Wochen in die Berge verkroch, hängte der "SonntagsBlick" Affichen hinaus: "Blocher: Herzinfarkt!" Ich habe diese bei meiner Rückreise kerngesund gelesen. Nein, zum Leidwesen meiner politischen Gegner darf ich sagen: Ich verfüge über viel Energie und Kraft. Haben Sie ein Attest beim Arzt geholt, bevor Sie sich zur Kandidatur entschlossen? Blocher: Warum auch? Die Bundesratsarbeit würde mich nicht stärker beanspruchen können als das, was ich heute mache. Und wissen Sie: In schwierigen Zeiten ist das Alter Nebensache; man nimmt die, die man braucht. Übrigens: Adenauer hat in diesem Alter erst angefangen. Wie sieht denn ein Tagesablauf bei Ihnen aus? Blocher: Ich stehe in der Regel um halb sechs auf, renne ein wenig, höre Mozart und Haydn, habe Zeit zum Nachdenken. Gegen acht gehe ich ins Büro. Montag bis Freitag wird es jeweils fast Mitternacht, bis ich ins Bett komme, samstags arbeite ich bis fünf Uhr. Das tue ich seit vielen Jahren. Am Sonntag arbeite ich nicht. Der ist für die Familie? Blocher: Ja, und für die Ruhe. Nach einem Sonntag mit Auftritten, habe ich Mühe, die Woche mit 18-Stunden-Tagen physisch durchzustehen. Wie entspannen Sie sich? Blocher: Ich habe manchmal das Problem nicht schlafen zu können. Dann stehe ich halt auf, gehe spazieren. Das kostet mich in zeiten grosser Entscheidungen zwei bis drei Stunden pro Nacht, aber ich brauche wenig Schlaf. Was sagt Ihre Familie zu Ihrer Kandidatur? Blocher: Meine Frau war nicht erfreut, hat dann aber eingesehen, dass es sein muss. Die jüngste Tochter hat mir ein SMS geschrieben und gewitzelt: "Hoffe, dass du nicht Bundesrat wirst." Haben Sie Enkel? Blocher: Ja, zwei. Zweijährig und neun Monate alt. Spielen Sie auch mal mit Ihnen? Blocher: Wenn sie sonntags auf Besuch kommen, schon. Wobei der Jüngere noch etwas klein ist zum Spielen. Ich habe beide sehr gern. Die Zweijährige kann stundenlang kleine Steine aneinander reihen und mir die Werke immer wieder zeigen. Dann spielen wir Fangis, das Übliche halt. Es sind die besten Enkel der Welt. Das sagen zwar alle Grosselterm, aber bei uns stimmts (lacht). Was bedeutet Ihnen Liebe? Blocher: Alles. Sie sind intuitiv, voller Saft, aggressiv: Wo in der Tierwelt sehen Sie Artverwandte? Blocher: Sie wollen den Tiger hören, oder? Sie haben die Wahl. Blocher: Die Intuition, der Instinkt spielem bei mir für Entscheidungen eine grosse Rolle und kann daher ans Tierreich erinnern. Ich habe oft gespürt, auch wirtschaftlich, wenn etwas in der Luft liegt, wenn etwas passiert. Aber in der Zoologie kenne ich mich zu wenig aus, um das jetzt auf eine bestimmte Gattung umzumünzen. Sie werden Ihren Kampfgeist womöglich bald brauchen. Was passiert, wenn Sie nicht gewählt werden und die SVP in die Opposition geht? Blocher: Ein Oppositioneller kann leider kaum Konstruktives zur Entwicklung des Landes beitragen, aber dafür Fehlentwicklungen verhindern. Darin werden wir aber unerbittlich sein. Für die Schweiz wäre unsere Regierungsbeteiligung besser, für die SVP die Opposition dankbarer. Das müssen sich die anderen Parteien gut überlegen: Wenn wir draussen sind, werden CVP und FDP, aber auch die SP erneut verlieren. Diese Mitte-Links-Regierung würde wohl sehr viel geld ausgeben, und die SDchweizer würden noch unzufriedener. Wie wird Ihre Opposition aussehen? Blocher: Wir haben ein klares Regierungsprogramm bis hin zur prozentgenau festgelegten Staatsquote. Was unserem Programm widerspricht, müssen wir ablehnen. In der Opposition gibt es keine Kompromisse. Bisher haben wir trotz allem immer auch Rücksicht genommen. Es wird mehr Referenden geben, das steht fest. Aber wir werden weniger Initiativen machen. Die helfen der Regierung, weil sie in der Regel konstruktive Prozesse auslösen. Und welche Referenden? Blocher: Bei jedem Ausbau des Sozialstaats, bei jeder Steuererhöhung wie zum Beispiel der CO2-Abgabe. Und immer mehr haben wir die Wirtschaft auf unserer Seite. Man hat dort genug. Das alles wird ihre Partei auch bekämpfen, wenn Sie in der Regierung sind. Blocher: Wenn wir uns im Bundesrat gar nicht durchsetzen, dann wird das so sein. Aber wenn wir einen Kompromiss erreichen, dann können wir die Partei überzeugen, etwas mitzutragen. Werden Sie als Oppositionspartei noch härter provozieren? Blocher: Die Opposition hat einen eigenen Stil, sie muss provozieren. Eine Regierungspartei hat andere Mittel. Das letzte Beispiel war das Inserat zur Drogenkriminalität. Unsere Bedenken wurden überall vom Tisch gewischt, also brachte die SVP die Zahlen des offiziellen Sicherheitsberichtes, aus dem hervorgeht: "Drogenhandel in den Händen der Albaner-Mafia". Nicht der Inhalt gab zu reden, sondern der Stil. Aber endlich wurde der Inhalt zur Kenntnis genommen. Leider muss die Opposition provokativ auftreten, damit sie gehört wird. Und das müssen wir im Interesse der Sache tun. Umgekehrt üben Sie schon ziemlich penetrant das Nett-Sein, sowohl Sie wie Ihre Partei. Blocher: Es wird uns vorgeworfen, dass unser Wandel schon fast peinlich sei. Aber wir haben einen Wähleranteil von 27 Prozent, und deshalb treten wir tatsächlich weniger provokativ auf. Man hört uns heute auch, wenn wir weniger aggressiv auftreten. Angenommen, Sie erhalten den zweiten Sitz im Bundesrat: Können sie dafür garantieren, dass Ihre Partei sich mässigt und auf Provokationen wie das Soldatenfriedhofplakat mit dem sie gegen die Auslandseinsätze kämpften, verzichtet? Blocher: Das war kein provozierendes Plakat. Es hat gezeigt, was Krieg bedeutet, nämlich sterben können. Aber Plakate wie "Das haben wir den Linken und Netten zu verdanken" oder das Plakat gegen den EU-Beitritt mit dem Stiefel, der die Schweizer Fahne zertritt, werden wir als Regierungspartei kaum mehr machen. Wäre die SVP voll in der Regierung sind, hätten wir das auch nicht mehr nötig. Dann würde die Meinung gehört - und hoffentlich auch viel verwirklicht. Wir merken das schon jetzt. Die Medien schreiben zwar immer noch mehrheitlich gegen die SVP und Blocher, aber sie nehmen die SVP und unserer Themen und Forderungen auf. Opposition ist kein Kinderspiel für eine Partei. Sind sie denn in der Lage, vier Jahre Opposition zu machen? Blocher: Wir haben das gut durchdacht und uns genau überlegt. Wir sind personell, organisatorisch und finanziell dazu bereiut, wenn das Parlament das Duo Schmid/Blocher nicht will. Das heisst? Blocher: Wir haben ein klares Konzept. Sie werden verstehen, dass ich hier nicht alles preisgebe. Ich werde meine ganze Kraft statt in den Bundesrat in meine Funktion als Oppositioneller stecken. Werden Sie auch als Oppositionsführer die Führung ihrer Firma abgeben? Blocher: Es ist alles vorbereitet, aber es muss nicht sofort sein. Klar ist aber, dass ich mir auch für die Opposition zeit nehmen muss, denn die würde mich ebenso fordern. Würde es die SVP gut machen, wäre sie 2007 so stark, dass es zu einer rein bürgerlichen Regierung käme. Würden sich die anderen Parteien dann endlich zu einer echten Konkordanz entschliessen, hätten wir 2007 wohl drei Sitze. Kompromisslose Oppositionspolitik kostet viel Geld... Blocher: Ja, das ist so, das ist teuer... ... und das Geld stellen Sie zur Verfügung? Blocher: Wir werden die Mittel haben. Nicht nur von mir. Wir werden in der Zukunft wesentlich mehr Geld von der Wirtschaft erhalten. Bis jetzt waren wir nicht sehr verwöhnt. Wir wurden von der Wirtschaft zum Teil auch abgestraft. Als wir gegen die Solidaritätsstiftung antraten, hat ein Teil der Unternehmen uns die Mittel entzogen, ebenso als wir gegen die 2,5 Milliarden Steuergelder für die Swiss kämpften. Inzwischen stellen wir fest, dass man uns wieder Geld gibt. Wir hören, dass uns Wirtschaftskreise in der Opposition unterstützen wollen, weil wir die einzige seien, die eine konsequente Politik betreiben. Wenn Sie als Bundesrat keinen Erfolg haben, verliert die Partei und ihr Nimbus geht verloren. Wollen Sie ihr Lebenswerk riskieren. Blocher: Manche haben vor der Kandidatur gewarnt, weil sie fürchten, ein SVP-Zugpferd zu verlieren. Wir müssen uns aber fragen, ob wir es für die Partei oder für die Schweiz tun wollen. Das Risiko ist riesengross, das stimmt. Und möglicherweise sind wir in vier Jahren als Partei nicht mehr so stark. Vielleicht müssen wir aber auch nicht mehr so stark sein. Wenn wir etwas bewirken können in der Regierung, spielt es doch am Ende keine Rolle mehr, welche Partei am meisten Wählerprozente hat. Sie wollen uns weismachen, dass es ihnen egal ist, wie stark die SVP ist? Blocher: Nein, aber die Partei ist kein Selbstzweck. Es ist doch Blödsinn, sich am Wahlabend über ein paar Wählerprozente zu freuen und sich wegen jedem Sitzgewinn gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. deshalb hat die SVP am Wahlabend auch gleich die Konsequenzen des Wählerauftrags auf den Tisch gelegt, um zu zeigen, wie es weitergehen muss. Wenn wir zuerst an Wählerprozente denken statt an den Wählerauftrag, stellen wir die Sache auf den Kopf. Das geschieht in der Politik viel zu oft. Deshalb verlieren die Leute das Vertrauen in die Politik. Auch Sie haben mit ihren permanenten Attacken auf die gewählten Politiker, das Vertrauen in die Politik geschwächt. Blocher: Kritik kann Vertrauen in eine gute Sache nicht zerstören. Wer etwas richtig macht, der kann Attacken ertragen. Das Ansehen wird vielleicht leiden, das Vetrauen geht nicht verloren. Es gibt wohl keinen anderen Politiker, der soviel angegriffen wurde wie ich. Habe ich deswegen das Vertrauen der Leute verloren? Nein. Deshalb wehre ich mich dagegen, dass man Kritik unterbinden will. Dölf Ogi hat jeden morgen alle Artikel über sich gelesen und jedes Mal die betreffende Redaktion angerufen, wenn er kritisiert worden ist. Ich habe ihm oft geraten, lass dies laufen; so was wäre mir nie in den Sinn gekommen. In den 70 und 80er Jahren war die gesamte Presse bundesratsfeindlich, vielleicht mit Ausnahme der Neuen Zürcher Zeitung. Das Vertrauen in die Politiker war damals viel grösser als heute. Das Vertrauen geht dann verloren, wenn man sich dauernd gegenseitig schützt und alles unter dem Deckel hält. Sie treten zuweilen so resolut und bedingungslos gegen Andersdenkende auf, dass Ihnen totalitäre Züge vorgeworfen werden. Für den Freisinnigen Yves Guisan sind Sie sogar ein Faschist. Blocher: Guisans Partei hat die Wahlen verloren, und jetzt versucht er mich einfach mundtot zu machen. Der Vorwurf kommt mir vor wie ein letzter Hilfeschrei. Er konnte seine Beschuldigung ja nicht einmal begründen. Den Gegner einfach mit Dreck bewerfen, bringt uns nicht weiter. Ich kritisiere scharf, aber Verleumdungen und Beschmutzungen sind mir fremd. Sie haben die Sozialdemokraten mit Faschisten verglichen. Blocher: Das habe ich nie getan und würde es auch nie tun.So was wäre mir peinlich, auch wegen der Verhamrlosung der faschistischen Massenmörder. In einer Schrift "Freiheit statt Sozialismus" habe ich bloss die Sozilisten in allen Parteien aufgefordert über die gemeinsamen geistigen Wurzeln von Sozialismus, Nationalsozialismus und Faschismus nachzudenken, die zum Totalitarismus führen. Hitler, Stalin und Mao gehören in die gleiche Reihe, Die Überbetonung des Etatismus und Kollektivismus ist eben allen diesen totalitären Regimes gemeinsam. Ich habe in der Schrift ausdrücklich anerkannt, dass Sozialdemokraten gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben. Zudem war meine Schrift eine Entgegnung auf die ständigen Vorwürfe der Linken, die SVP bestehe aus Faschisten und Rechtsextremen. das sind und bleiben Verleumdungen. Wegen Ihrem Vergleich will die SP Sie nicht wählen. Blocher: Das sind doch Tarnungen. Die SP hat Angst, dass sich nach den Wahlen mit dem Team Schmid/Blocher etwas ändern würde. Weil das Parlament und nicht das Volk wählt, versucht man im Parlament einzelne Köpfe auszuschalten. Abgesehen davon: Ich habe 1968 studiert - unter anderem mit Bundesrat Moritz Leuenberger - und ich weiss, wer damals unkritisch mit dem Mao-Büchlein herumgerannt ist und heute höchste Ämter bekleidet. Ich kann nur sagen: Die Linke hat historisch noch viel aufzuarbeiten. Mit dem Nationalsozialismus haben wir zum Glück abgerechnet. Ich kenne keine leute in Amt und Würde, die noch für die Greueltaten des Faschismus einstehen. Es gibt keine bedeutende politische Kraft, die das tut. Aber mit den Gräueltaten des Kommunismus haben wir nicht abgerechnet. Viele, die heute in Politik und Kultur eine Rolle spielen, haben diese Bewegung damals unterstützt und auch unterschätzt. Ihre Partei haben Sie immer wieder unerbittlich auf Ihren Kurs gebracht. Blocher: Aber nicht durch totalitäres Verhalten. Wir hatten grosse Richtungskämpfe in der SVP, und wir habe diese immer ausgetragen, auch öffentlich. Der Kurs einer Partei muss erstritten werden. Es stimmt: Anfangs, noch als Aussenseiter, habe ich meine Ideen in der Partei durchgesetzt, aber nicht mit Brachialgewalt, sondern durch Überzeugung und anhaltendes Wirken. Ich habe mich bei jeder heiklen Frage dafür eingesetzt, den Konflikt auszutragen und nichts zu überdecken. Dafür sind unsere Positionen dann in der Partei verankert und wir müssen nicht dauernd den Kurs wechseln. Mit ihren kompromisslosen Auftritten und ihrem teilweise provokativen Stil muten Sie ihren Gegenspielern sehr viel zu. Blocher: Nein, eher zu wenig. Im Ernst: Wer die harte Auseinandersetzung nicht erträgt, darf nicht in die Politik. Entscheide müssen errungen werden. Die Linke hält Ihre Politik für unsolidarisch. Für Sie zähle nur, wer Leistung bringen könne. Blocher: Nur die Selbstverantwortung schützt das Land vor der Verarmung. Nur das kann unseren Staat überhaupt retten. Jeder muss zuerst zuerst einmal für sich selbst verantwortlich sein. Nur, wenn jemand nicht im Stande ist für sich selbst zu sorgen, weil er zu schwach oder krank ist, hat der Staat, die Fürsorge, zu helfen. Solidarität kann aber nicht heissen, dass wir einfach allen Geld verteilen, so dass keiner mehr für sich selbst schauen muss. Sonst gehen schlussendlich alle zugrunde.
15.11.2003