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09.12.2000
08.12.2000
«Jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten»
Christoph Blocher über den Axantis-Deal, seine Nachfolge und die von ihm befürchtete Rezession. Interview mit CASH vom 8. Dezember 2000 Chefstratege Christoph Blocher schwimmt wieder obenauf - als Unternehmer, nicht aber als Politiker. Relaxed geht er auf den Axantis-Deal ein und schildert, wie seine Nachfolge geregelt werden könnte. Er befürchtet, dass eine Rezession vor der Tür steht. Vom neuen SVP-Bundesrat Samuel Schmid distanziert er sich. Autor: Victor Weber, Marcel Odermatt Ist das nun ein verspätetes Geschenk zu Ihrem Geburtstag oder ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, das Sie sich da gemacht haben? Christoph Blocher: Nun, wenn Sie damit die Chance meinen, Axantis zu übernehmen, so wäre dies ein teures Geschenk. Zum 60. Geburtstag darfs ja wohl ein grosszügiges Geschenk sein. Blocher: Sagen wir es so: Gelingt der Plan, die ehemalige Attisholz zu übernehmen, geht ein alter Wunsch in Erfüllung. Schon zu Beginn der Neunzigerjahre versuchten wir, der damaligen Führung eine neue Strategie schmackhaft zu machen. Vergebens. Erst Jahre später ist eine neue Strategie verwirklicht worden. Jetzt könnten wir mit unserem Knowhow und mit unseren Managementkapazitäten helfen, den eingeleiteten Wandel zu vollenden, nämlich vom traditionellen Hersteller von Zellulose für die Papierindustrie hin zum spezialisierten Produzenten polymerer Werkstoffe auf der Basis von Zellulose. Wie kommen Sie darauf, von einem teuren Geschenk zu reden? Bei Ihrer Offerte gehen Sie von einem Firmenwert von 570 Millionen Franken aus. Da Axantis 400 Millionen an liquiden Mitteln besitzt, kommen Sie zum Schnäppchenpreis von netto 170 Millionen zu den modernsten Anlagen dieser Art in der Schweiz. Blocher: 170 Millionen Franken sind viel. Man muss bedenken, dass Axantis eben erst mit der Herstellung der neuen Produkte angefangen hat und dass in den nächsten drei Jahren noch Investitionen von insgesamt 50 Millionen nötig sind, um die Umstellungen auf Zellulosespezialitäten abzuschliessen. Zudem ist das Risiko des Scheiterns gross. So gross kann das Risiko nicht sein, sonst würden Sie als gewiefter Unternehmer keine Offerte unterbreiten. Blocher: Wenn es um neue Produkte geht, stehen die Chancen immer 50 zu 50. Kommt hinzu, dass es in der Regel doch immer länger geht und teurer wird, als ursprünglich angenommen. Der Substanzwert wird gross sein. Blocher: Was heisst da Substanzwert? Da sind die alten Anlagen ... ... und daneben die nagelneuen ... Blocher: Die sind aber erst angefahren worden und nur um die 100 Millionen Franken wert - vorausgesetzt, sie bringen das, was man von ihnen erwartet. Ein hoher Preis, ein hohes Risiko - warum sind Sie denn heute Morgen so gut gelaunt? Blocher: Wir Industrielle sind uns das Risiko gewohnt. Ohne Risiko keine Chance. Ich freue mich auf die schwierige Aufgabe. Sie müssten Daniel Model eigentlich dankbar sein. Erst sein feindlicher Versuch, Axantis einzusacken, hat für Sie eine günstige Konstellation geschaffen. Blocher: Vielleicht. Ich bin aber gezwungen, sein Angebot von 310 Franken pro Aktie auf 330 zu erhöhen. Ich bin ihm aber darob nicht bös. Das Gespräch zwischen uns verlief denn auch ruhig. War das ein abgekartetes Spiel zwischen Ihnen und Daniel Model, wie manche argwöhnen? Blocher: Nein. Ich habe ihn zu seiner Überraschung angerufen und unsere Strategie dargelegt. Wir sind dann schnell einig geworden. Ende September verpassten Sie der Ems-Gruppe eine neue Führungsstruktur und gliederten den Bereich Ems-Chemie in verschiedene Profitcenters auf. Das liess sich als Indiz für eine bevorstehende Weichenstellung deuten. Blocher: Damals war Attisholz noch kein Thema. Heute ist aber klar, dass alles etwas einfacher ist: Axantis kommt als zusätzlicher selbständiger Unternehmensbereich zur Ems-Gruppe hinzu - sofern wir die Mehrheit bekommen. Der Deal muss demnach sehr schnell abgewickelt worden sein. Blocher: Am Mittwoch vorletzter Woche trat Axantis-Präsident Guido Patroncini an mich heran und sagte, dass ein 10-Prozent-Paket zu haben sei. Wer wollte verkaufen? Blocher: Das weiss ich nicht. Auf jeden Fall bin ich so auf die Gelegenheit erst richtig aufmerksam geworden. Ich sagte ihm, dass ich nicht ein Paket, sondern die Mehrheit des Unternehmens übernehmen möchte. Ich würde aber erst handeln, wenn die Aussicht bestünde, eine Zweidrittelmehrheit zu erwerben - zumal ich überzeugt bin, dass wir für Axantis das bessere Konzept haben als Daniel Model, der zur ehemaligen Zwei-Pfeiler-Strategie zurückkehren wollte, also zu etwas, das Attisholz mit dem Verkauf des Hygienepapiergeschäftes - Hakle und Tela - abgestreift hatte. Am Freitag letzter Woche konnte ich dann von der Bank Julius Bär ein 10-Prozent-Paket kaufen. Könnte es sich dabei um das gleiche Paket gehandelt haben, das Sie zuerst ausgeschlagen haben? Blocher: Das kann ich nicht ausschliessen. Ihre Übernahmeofferte ist in den Medien sehr gut aufgenommen worden. Jetzt sind Sie geadelt worden, indem die Kommentatoren Sie zum weissen Ritter geschlagen haben, welcher der bedrängten Axantis zur Hilfe eilt. Blocher: Mal ist man weisser Ritter, dann plötzlich wieder schwarzer Ritter. Ich kann darum solche Etiketten nicht ernst nehmen. Anderseits macht die breite Zustimmung die Sache einfacher. Lonza hat in aller Stille eine ähnliche Reorganisation durchgeführt wie Ems. Sie sagen zwar, dass ein Zusammengehen von Lonza und Ems keinen Sinn ergeben würde. Doch sind Sie allenfalls an einzelnen Sparten von Lonza interessiert, etwa an den polymeren Zwischenprodukten und Additiven? Blocher: Nein, die kommen für uns nicht in Frage, da wir uns mit unseren polymeren Stoffen auf einer höheren Spezialisierungsstufe bewegen. Und die biochemischen Wirkstoffe? Blocher: Auch nicht. Axantis ist für uns auch darum interessant, weil sie in den Bereich der biochemischen Werkstoffe vordringen will, doch das ist etwas ganz anderes als biochemische Wirkstoffe für die Pharma. Haben Sie Ihre Nachfolge geregelt? Blocher: Meine älteste Tochter, Ökonomin und bei Rivella zur Marktingexpertin gereift, nimmt im Januar ihre Arbeit in der Ems-Gruppe auf. Mein Sohn hat Chemie studiert und sammelt nun nach seinem Doktorat bei McKinsey Erfahrungen. Eine Tochter ist als Lebensmittelingenieurin bereits in der Industrie tätig. Und die Jüngste studiert Ökonomie in St. Gallen. Doch Privilegien gibt es auch für meine älteste Tochter nicht. Sie wird sich wie alle anderen Mitarbeiter bewähren müssen. Bereits im letzten Sommer kündigten Sie an, dass Sie die Ems-Gruppe mit einem Kostentrimmprogramm und einem antizyklischen Investitionsverhalten auf die nächste Rezession vorbereiten wollen. Wie beurteilen Sie die Konjunkturlage heute? Blocher: Die Situation sieht nun noch schlechter aus, als ich sie damals einschätzte. Damals sagte ich, die nächste Krise komme nicht vor 2002/2003. Jetzt beurteile ich dies pessimistischer. Warum? Blocher: Die unerwartet hohen Ölpreise wirken sich negativ aus. Da sind Konjunktur-Frühwarnindikatoren wie die rückläufigen Autoverkäufe in den USA und das lahmende Textilgeschäft, die auf eine baldige Rezession hinweisen. Ihr Unternehmen ist also bereits für den kommenden Wirtschaftsrückgang vorbereitet? Blocher: Wir haben den Personalausbau weniger stark forciert, als nötig gewesen wäre. Ausserdem lancierten wir ein Kostensenkungsprogramm. Sehen Sie: Rechnen wir bei einer schweren Rezession mit einem Umsatzrückgang von 20 Prozent, müssen wir die Kosten ebenfalls um 15 bis 20 Prozent runterfahren können. Und Kostensenkungsprogramme müssen sinnvollerweise noch in der Hochkonjunktur-Phasen eingeleitet werden. Die können nicht auf einen Schlag realisiert werden. Wir befinden uns erst seit vier Jahren in einer Aufschwungphase. Und jetzt droht bereits wieder eine Rezession. Die USA dagegen erleben das zwölfte Jahr einer Hochkonjunktur. Was machen die Schweizer falsch? Blocher: Wir haben in den letzten Jahren die Staatsquote wie kein anderes Land erhöht. Und der Grossteil der neuen Steuern wie der CO2-Abgabe oder der LSVA kommen erst noch auf uns zu. Das lähmt unsere Wirtschaft. Und wie sieht das blochersche Wirtschaftsprogramm aus, um uns die nächste Rezession zu ersparen? Blocher: Die Staatsquote und die Steuern müssen gesenkt werden. Zudem sollten wir den ganzen Staatsinterventionismus minimieren. Und der Bund sollte alle seine Beteiligungen, wie die an der der Swisscom, sofort verkaufen. Was hat die Mehrheitsbeteiligung des Bundes mit einer sich anbahnenden Rezession zu tun? Blocher: In allen liberalisierten Märkten muss der Staat seine Betriebe in die Freiheit entlassen. Der Bund schränkt die unternehmerische Freiheit der Swisscom ein. Ausserdem wissen die Manager, dass bei einem Versagen ihrerseits der Bund helfen würde. Sie predigen wirtschaftlichen Liberalismus. Ihnen wäre es wohl auch egal, wenn die Swissair von einer ausländischen Gesellschaft übernommen würde. Blocher: Was die Schweiz braucht, sind gute Verkehrsverbindungen und gute Gesellschaften, die die Schweiz anfliegen. Ob das mit oder ohne Swissair passiert, ist eigentlich egal. Der Flughafen Zürich ist auch für ausländische Fluggesellschaften eine attraktive Destination. Doch gerade die Swissair wird als nationales Symbol empfunden. Kommt da der bekennende Patriot Blocher nicht in den Clinch mit seinen Wählern? Blocher: Seit zwanzig Jahren heisst es immer wieder, ich hätte Probleme mit meinen Wählern. Trotzdem erzielte ich im letzten Jahr das beste Resulat aller Nationalräte. Trotzdem: Unternehmen wie die SBB, die Swissair und die Post wirken auch identitätsstiftend. Blocher: Das stimmt. Obwohl die Swissair nicht mehr in Staatsbesitz ist, haben immer noch viele Schweizer das Gefühl, das sei "ihre" Fluggesellschaft. Eine privatisierte Post würde kaum Briefe in die entlegenen Regionen des Landes senden, oder doch nur zu massiv höheren Preisen. Blocher: Diesen Service public können wir uns leisten. Das ist kein Problem. Da sehe ich keinen Widerspruch zu meiner Haltung. Viele Schweizer Traditionsunternehmen wurden in den letzten Jahren ins Ausland verkauft, wie kürzlich Feldschlösschen an den dänischen Bierbrauer Carlsberg. Was machen Schweizer Manager falsch? Blocher: Feldschlösschen wurde ein Opfer des Bierkartells. Diese Firma war es sich nicht gewohnt, sich in einem hart umkämpften Markt durchzusetzen. Fliegt ein Kartell auf, kommt es zu Zusammenbrüchen. Das erlebten wir früher in der Uhrenindustrie und heute in der Strombranche. Ganz klar, dass aus kartellisierten Bereichen keine starken Managerpersönlichkeiten kommen können. Ich glaube aber nicht, dass Schweizer Manager schlechter sind als andere. Die Schweiz ist hoch industrialisiert, hat viele potente Firmen und braucht entsprechend viele Führungskräfte. Erleben wir im Moment in wirtschaftlicher Hinsicht den Ausverkauf der Heimat? Blocher: Nein. Alle ins Ausland verkauften Firmen haben weiterhin die Schweiz als Basis. Kein Manager gibt es zwar zu, aber jeder Führungskraft liegt doch die eigene Heimat am nächsten. Als Unternehmer argumentieren Sie in neoliberaler Art rein rational und gefühlskalt, als Politiker appellieren Sie ans Heimatgefühl und damit an die Solidarität. Zwei Seelen wohnen in Ihrer Brust. Blocher: Ich bin liberal. Im Beruf, der Wirtschaft und der Politik haben Gefühl und Emotionen viel Platz. Auch Nationalgefühl hat bei einer weltweit tätigen Firma Platz
21.11.2000
Der Auftrag ist das entscheidende Element
Keine Führungsunterschiede nach gesellschaftlichen Bereichen Mein Beitrag für die Neue Zürcher Zeitung vom 21. November 2000 Wie oft hört man: "So kann man in der Politik nicht führen, das kann man allenfalls in der Wirtschaft" oder: "Der führt die Partei wie ein Unternehmen" und meint damit etwas Verwerfliches. Neuerdings höre ich im Militär, das über die älteste und durchdachteste Führungsphilosophie verfügt: "Die Führung muss ziviler werden." Es herrscht offenbar die Auffassung vor, in Wirtschaft, Politik und Armee gelte es unterschiedliche Führungsgrundsätze zu befolgen. Davon halte ich nichts. Wo richtig geführt wird, bleibt das Grundsätzliche und damit das Erfolgsentscheidende überall gleich. Führung misst sich am Erfolg Wo heute über Führung gesprochen, gelernt oder doziert wird, spricht man - oft ohne es zu merken - vor allem über Führungshilfsmittel wie Kommunikation, Umgangsformen, zwischenmenschliche Beziehungen, Grundsätze der Teamarbeit und Motivation. So wichtig solche Hilfsmittel sein mögen, sie machen nicht das Wesentliche der Führung aus. Auch der viel zitierte Wandel in der Führung bezieht sich mehr auf Äusserlichkeiten, Nebensächlichkeiten und Hilfsmittel. Wenn Führung bedeutet, mit Mitarbeitern, Kollegen, Mitstreitern, Soldaten oder wie immer man Untergebene nennen will, ein vorgegebenes Ziel zu erreichen, so ist klar, dass sich die Qualität der Führung und der Führenden an einer einzigen Grösse zu messen hat, nämlich am erreichten Ziel, am Erfolg. Und weil jeder Führende stets sowohl Vorgesetzter als auch Untergebener ist - und damit stets einen Auftrag hat - ist seine Führungsqualität an der Erfüllung seines Auftrages zu messen. Das hat überall, wo geführt wird, zu gelten! Wird diese Grundwahrheit in der Wirtschaft weitgehend anerkannt, so ist sie in der Armee - vor allem in Friedenszeiten - verwässert worden und in der Politik fast vollständig verschwunden. Oft ist die Beliebtheit, die Anerkennung, die eigene Karriere wichtiger als die Erfüllung des Auftrages: Unternehmensleiter profilieren sich auf Kosten des Unternehmens, Parteipräsidenten sonnen sich in der Beliebtheit, während die Partei von Misserfolg zu Misserfolg eilt, militärische Kommandanten vergessen vor lauter Karrieredenken Auftrag und Soldaten. Unnötige Begründungen von Misserfolgen Es kann nicht genug betont werden: Allein die Erfüllung des Auftrages, die Erzielung des Erfolges ist in der Führung entscheidend. Der Auftrag steht im Mittelpunkt - und zwar der eigene. Deshalb ist erfolgreiche Führung immer auftragsorientiert. Von "menschenorientierter" Führung - die letztlich die eigene Person in den Mittelpunkt stellt - halte ich weder in Wirtschaft, Politik noch Armee etwas. Ebenfalls halte ich nichts von der Unsitte, dass Führungskräfte ihren Misserfolg begründen. Vor allem Politiker neigen dazu, einen Grossteil der Zeit damit zu vergeuden. Ich staune oft über das hohe Mass an kreativer Fähigkeit, das Chefs - vor allem Politiker, die sonst nicht durch besondere Kreativität auffallen - entwickeln, wenn es darum geht, den eigenen Misserfolg, die Nichterfüllung des Auftrages, wortreich zu begründen. Auch die oft gehörte Ausrede, der Grund des Misserfolges liege in der mangelhaften Qualität der Mitarbeiter oder in vorgegebenen Strukturen, ist inakzeptabel. Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, nur schlechte Chefs. Das gilt auch, wenn man seine Untergebenen nicht selbst auswählen kann. Gute Chefs sorgen für gute Mitarbeiter, machen aus schlechten gute oder merzen deren Mängel aus, indem sie intensiver führen oder die Schwachen umgehen. Völlig abzulehnen ist die verbreitete Meinung, in der Politik gebe es Sachzwänge, gegen die man nichts unternehmen könne. Auch unfähige Manager berufen sich häufig darauf, um nichts machen zu müssen. Das Vorschieben von Sachzwängen ist nichts anderes als die Begründung des Misserfolges auf Vorrat. Das Laster der Gefallsucht Wenn ich erfolgreiche Führungspersönlichkeiten der Gegenwart und Vergangenheit analysiere, stelle ich fest, dass sie trotz verschiedensten Charakteren vor allem eine gemeinsame Eigenschaft auszeichnet: eine - manchmal fast unheimliche - Verpflichtung gegenüber der Sache, ein Ernstnehmen ihres Auftrages. Alles - auch und gerade die eigene Person - ordnen sie diesem unter. "Image", "gute Presse" und Beliebtheit haben in der Führung nichts zu suchen. Wenn man ganz bei der Sache ist, bleibt weder Kraft noch Zeit für Selbstverwirklichung, wenig Interesse an Selbstdarstellung, keine Lust, sich mit dem Beklagen eigener Mühsal und Sorgen zu beschäftigen. Wo erfolgreich geführt wird, steht die Auftragstreue im Mittelpunkt. Diese ist das eigentliche Geheimnis erfolgreicher Führung. Aus diesem Grund verlange ich in unserem Unternehmen von allen Vorgesetzten, dass sie nie einen Auftrag erteilen, ohne die Untergebenen über den eigenen Auftrag zu orientieren. Auf diese Weise gibt man sich als Vorgesetzter einerseits vor der Auftragserteilung nach unten Rechenschaft über den eigenen Auftrag, andererseits sieht, spürt und erfährt der Untergebene, dass auch der Vorgesetzte einen klar bestimmten Auftrag zu erfüllen hat. Dies hat auch in der Politik zu gelten, und darum halte ich es auch als Parteipräsident so. Verantwortung ist unteilbar Wer leitet, wer führt, wer "das Sagen hat", ist in unserem Kulturkreis traditionsgemäss in erster Linie verantwortlich. Der Verantwortliche ist einem Auftrag unterworfen, untertan. Gerade Politiker sprechen verdächtig oft und leichtfertig von dieser Verantwortung. Worin besteht denn diese Verantwortung? Sie besteht darin, die Konsequenzen für Erfolg oder Nichterfolg persönlich zu tragen. Das gilt ausdrücklich auch dann, wenn man am Misserfolg keine Schuld trägt. Deshalb sind Positionen mit höherer Verantwortung auch besser bezahlt. Das heisst aber auch, dass die Zuständigen im Falle des Misserfolges verantwortlich gemacht werden. Es geht nicht an, unbrauchbare oder frühzeitig ausscheidende Führungskräfte mit Millionenbeträgen zu belohnen oder abgewählten oder vorzeitig zurücktretenden politischen Amtsträgern ihre Pension mit fürstlichen Renten zu vergolden. Das Tragen von Verantwortung bedeutet Risiko und darf nicht mit einem goldenen Fallschirm abgesichert werden. Konzentration der Kräfte Wer erfolgreich führt, weiss, dass es entscheidend ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die militärische Führungslehre spricht von "Schwergewichtsbildung". Die Wirtschaft anerkennt dies heute erfreulicherweise auch. Sie spricht von "Fokussierung". Völlig unbeachtet bleibt leider der Grundsatz der Konzentration in der Politik. Hier machen alle alles, aber niemand etwas richtig. Die Politiker meinen, sich überall einbringen zu müssen, weil sie sich nicht die Mühe und Zeit nehmen, Prioritäten zu setzen. Dasselbe gilt auch für die Parteien. Die Vorstellung, Politiker und Parteien müssten sich zu allem äussern, ist falsch. Ich verwende einen Grossteil der Arbeitskapazität in der Zürcher SVP für die Festlegung der Programmschwerpunkte, die auf Grund der bestehenden Hauptprobleme und notwendigen Grundbedürfnisse der Bevölkerung bestimmt werden. Überall die gleichen Grundsätze Es wäre Zeit, endlich anzuerkennen, dass die wesentlichen Führungsgrundsätze überall, wo geführt wird, die gleichen sind. Nachdem man sich in den letzten Jahren in Praxis und Theorie allzu sehr mit Führungsnebensächlichkeiten befasst hat, sollten sich Wirtschaft, Politik und Armee wieder um das Zentrale kümmern: Es geht zuerst und vor allem um den Auftrag, seine Erfüllung und das Tragen von Verantwortung. Missachtet man dies, gehen in der Wirtschaft Unternehmen mit allen daraus resultierenden Konsequenzen für Mitarbeiter, Kapitaleigner und Gläubiger zugrunde. In der Politik trägt der Bürger den Schaden: Er wird das Opfer sinnloser Bürokratie, bezahlt zu viele Steuern für sinnlose Ausgaben und verliert immer mehr persönliche Freiheit an sich selbst verwirklichende und anmassende Politiker. Führungsschwäche in der Armee führt zum Verlust der Sicherheit und letztlich zur Preisgabe der Unabhängigkeit. Würden der Auftrag und die Verantwortung wieder in den Mittelpunkt gestellt, bekämen Erfolg und Niederlage den ihnen zustehenden Stellenwert: Was heute vielfach als Erfolg bezeichnet wird, nämlich das Glänzen einer Person im Rampenlicht, verbirgt oftmals die Niederlage, die Nichterfüllung des Auftrages. Umgekehrt ist die Niederlage oft gerade ein Beweis für die erfolgreiche Auftragserfüllung. Alfred Escher, der in Ungnade gefallene Erbauer der Gotthardbahn, konnte nicht einmal an den Festlichkeiten des Tunneldurchstichs teilnehmen. Es war sein Auftrag, die Nord-Süd-Transversale für unser Land zu verwirklichen, und nicht, sich dafür öffentlich feiern zu lassen. Winston Churchill durfte im Sommer 1945 die europäische Friedensordnung nicht unterzeichnen, weil ihn im Juli 1945 an der Viermächtekonferenz in Potsdam die Nachricht erreichte, er habe in England die Wahlen verloren und müsse abtreten. Dies zeugt von seiner Führungsfähigkeit: Es war sein Auftrag, Europa vor der nationalsozialistischen Bedrohung zu retten, und nicht, die Wahlen zu gewinnen. Als Soldat habe ich gelernt, dass Land und Volk zu verteidigen sind, schlimmstenfalls unter Einsatz und Preisgabe des eigenen Lebens. Gibt es eine grössere persönliche Niederlage, als zu sterben? Gibt es eine grössere Auftragstreue, als das Leben für seinen Auftrag zu lassen?
16.09.2000
Politkultur im Alpenland
Kolumne für die Zürichsee-Zeitung vom 16. September 2000 von Christoph Blocher, Herrliberg An einem kalten Wintertag des letzten Jahres fragte mich ein SVP-Kantonalpräsident, ob ich bereit wäre, am 1. September anlässlich des Appenzellerfestes einen öffentlichen Vortrag zu halten. Am liebsten hätte man ein Referat über die politische Kultur. "Politische Kultur? Nein, davon verstehe ich nichts!". Der Einladende liess jedoch nicht locker. Da der 1. September noch in weiter Ferne lag und ich für die Appenzeller zudem besondere Hochachtung empfinde, sagte ich zu. Das Thema würden wir später bestimmen. Im Frühling sprach mich einer der Verantwortlichen wieder an: "Wäsch, s'get e chli Chretz wäg ösere Veraschtaltig. Di Obere vom Appezöllerfescht wönd nüd, dass Du chonsch. Sie hönd Schess, dass Du ene d'Lüüt wegnensch." Die Zeitungen - so vernahm ich - hätten das Thema bereits aufgenommen, es sei ein grosses Kesseltreiben im Gange. "Dann komme ich nicht", meinte ich. Das gehe auch wieder nicht, liess man mich wissen, besonders nachdem die Zeitungen bereits ein Politikum daraus gemacht hätten. Man sei mit dem Festkomitee so verblieben, dass ich zwar willkommen wäre, mein Referat und meine Anwesenheit aber nicht öffentlich ausgeschrieben werden dürfe. Aber schön wäre es, wenn ich ein Grusswort an die Anwesenden richten würde. "Ond" - so führte mein Kontrapart maliziös bei - "rede chasch denn, solang dass wetsch". Der Abend war schön. Drei Politiker dreier verschiedener Parteien sprachen - aufgelockert durch melancholisch-ergreifenden Appenzellerjodel - über politische Kultur. Zum Schluss - als ob eine heimliche Sünde begangen werden müsste - forderte mich dann einer unschuldig auf, doch noch ein "Grusswort" an die versammelte Gemeinde zu richten. Ich gab mir Mühe, vor allem "Grüssgott" und "Guten Abend" zu sagen, erzählte, wie ich eingeladen und halb wieder ausgeladen worden war, weil die "Oberen" meine Anwesenheit anscheinend als gefährlich betrachteten. Ich führte aus, wie schön es doch sei, in einer direkten Demokratie, einem Land der Freiheit ein offenes Grusswort an die Versammelten richten zu dürfen und vergass nicht, zwischendurch immer wieder "Grüssgott" zu sagen. Als ich merkte, dass fast ein Vortrag über politische Kultur daraus werden könnte, bekräftigte ich nochmals meinen Gruss und verliess die Bühne - nicht ohne zu erwähnen, dass es sich lediglich um ein Grusswort gehandelt habe. Ich wunderte mich über den heftigen Applaus. Hatten die Leute verstanden? Sagte ich zwischen den Zeilen mehr über die heutige Politkultur, als der Obrigkeit lieb war? Erst nachträglich erfuhr ich, dass die SVP-Vertreter das Organisationskomitee nachdrücklich auf die Folgen der Nichtausschreibung hingewiesen hatten: Dann kämen zu wenig Leute, um das Festzelt zu füllen. Sofort erklärte sich das Komitee bereit, Fr. 5'000.- ans Defizit zu bezahlen. Defizitdeckung oder Schweigegeld? Am Montag berichteten die Zeitungen über das Appenzellerfest. Sie vergassen nicht zu erwähnen, dass Idee und Durchführung des Festes einem honorablen Alt-Ständerat zu verdanken seien. Dieser "liberale" Politiker hätte gewiss keinen Augenblick gezögert, einen Vortrag über die politische Kultur zu halten und dann dem freien Wort, der Offenheit, der Toleranz und der Achtung vor dem Gegner das Wort zu reden...
16.08.2000