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14.02.2002
13.02.2002
Preisgabe eines bewährten Erfolgsmodells
Mein Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung vom 13. Februar 2002 In der Auseinandersetzung über einen Beitritt der Schweiz zur Uno hat sich die Neutralität als zentrale Argumentationsfront der Gegner herauskristallisiert. Nationalrat Christoph Blocher zeigt hier, wieso für ihn eine Uno-Mitgliedschaft mit der Neutralität nicht vereinbar ist. Von Nationalrat Christoph Blocher (svp.), Herrliberg Der Grundsatz "Dabei sein ist wichtiger als gewinnen" ist zum offiziellen Leitprinzip der schweizerischen Aussenpolitik geworden. Darum kommt es zum Konflikt mit dem jahrhundertealten Erfolgsmodell der schweizerischen Neutralität, denn ein neutraler Staat darf dieses "Dabeisein" für Politiker und Funktionäre nicht ins Zentrum stellen. Freiheit der Bürger nebst Weltoffenheit ohne Einbindung ist das erfolgreiche Rezept des Kleinstaates Schweiz. Mit dem Uno-Beitritt soll davon abgewichen werden. Die immerwährende bewaffnete Neutralität hat wenig zu tun mit Ideologie oder Idealismus, aber sehr viel mit der Lebenswirklichkeit. Sie ist auch heute noch das modernste Schutz- und Selbstbehauptungsmittel für den Kleinstaat und erfüllt einen mehrfachen Zweck: Die Neutralität hindert die Regierenden, ihr Volk in Konflikte hineinzuziehen, und ist Schutz vor Krieg und Terrorismus für den Kleinstaat. Sie hindert jeden von uns vor unkontrollierten Emotionen, vor Gewalt- und Kriegsbereitschaft. Auch verhindert die Neutralität, dass unser mehrsprachiges Land mit vier Kulturen wegen Parteinahmen in internationalen Konflikten dauernden Zerreissproben ausgesetzt wird. So wenig die Schweizer eine Gesinnungsneutralität dulden, so wenig wollen sie es dem Bundesrat überlassen, sich in ihrem Namen in fremde Händel einzumischen. Neutralitätsmüde Eliten Trotz der eindrücklichen Erfolgsbilanz von zweihundert Friedensjahren erfreut sich die Neutralität bei den Eliten gegenwärtig keiner grossen Beliebtheit. Dies ist wohl kein Zufall, denn sie zu handhaben, erfordert ein gehöriges Mass an Kreativität, Standfestigkeit und Grundsatztreue. Zahlreiche führende Persönlichkeiten leiden denn auch an der Schicksallosigkeit des neutralen Kleinstaates; sie sehnen sich nach dem Dabeisein, nach grossen Worten und pathetischen Gesten. Die Neutralität schränkt ihren Handlungsspielraum und die aussenpolitischen Aktivitäten unserer Regierung in einer für sie ärgerlichen Weise ein; sie gewährt ihnen kaum Heldentaten und selten glanzvolle Auftritte. Das Mittun in internationalen Organisationen ist verlockender als das Tragen von Verantwortung im eigenen Land. Vollbeitritt widerspricht schweizerischer Neutralität Die Unterzeichnung der Uno-Charta zwingt die Schweiz, sich dem mächtigsten Organ der Uno - dem Sicherheitsrat - zu unterstellen. Die Uno-Mitglieder haben diesem von fünf Vetomächten dominierten Gremium "die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (Art. 24) übertragen. Würde die Schweiz voll beitreten, würde der Sicherheitsrat auch im Namen der Schweiz handeln. Der Sicherheitsrat ist das einzige Uno-Organ, das für die Mitgliedstaaten verbindliche Beschlüsse fassen kann. Er allein entscheidet über die Hungerwaffe, Boykotte und kriegerische Massnahmen. Bei einem Uno-Beitritt muss sich die Schweiz seinem Kommando von Wirtschafts-, Diplomatie- und Kommunikationsboykotten bis hin zum Stellen von Streitkräften beugen. Wer hier mitmacht, ist gegenüber den betroffenen Staaten in keiner Weise mehr neutral. Er wird zur Kriegspartei mit all ihren Folgen. Die politische Uno ist keine Rechts-, sondern eine Machtorganisation, denn sie schafft für die Mächtigen Sonderrechte. Die Unterzeichnung der Uno-Charta bedeutet ein offizielles Einverständnis mit einer Machtordnung, die für den Kleinstaat Schweiz von grossem Nachteil wäre.
09.02.2002
Ziegler: Der UNO-Beitritt erlöst uns aus der Lethargie
Streitgespräch mit Jean Ziegler in der Basler Zeitung vom 9. Februar 2002 Christoph Blocher, Zürcher SVP-Nationalrat und Symbolfigur der national-konservativen Schweiz, im Streitgespräch mit Jean Ziegler, Genfer alt Nationalrat und Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf Nahrung, über den UNO-Beitritt: Blocher warnt vor Abhängigkeit, Ziegler hofft auf den Beginn aktiver Schweizer Aussenpolitik. Moderation und Bearbeitung: Lukas Schmutz und Niklaus Ramseyer Herr Ziegler, warum ist es so wichtig, dass die Schweiz jetzt der UNO beitritt; und warum erscheint Ihnen dieser Beitritt derart gefährlich, Herr Blocher? Ziegler: Der UNO-Beitritt der Schweiz ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ich begründe diesen Schritt dennoch kurz. Alle sieben Sekunden verhungert auf diesem Planeten ein Kind unter zehn Jahren. Alle vier Minuten erblindet ein Mensch an Vitamin-A-Mangel. 100 000 Menschen sterben jeden Tag an Hunger oder den Folgekrankheiten des Hungers. 800 Millionen Menschen sind auf der Erde permanent unterernährt. Kurzum: Die ganze Weltordnung ist kriminell, ist mörderisch. Das ist die Situation. Und was hat das mit der UNO-Abstimmung vom 3. März zu tun? Ziegler: In dieser Situation gibt es eine und nur eine Organisation, die massiv und wirksam helfen kann: die UNO! Das UNO-Ernährungsprogramm versorgt 93 Millionen Menschen mit Lebensmitteln und bewahrt sie so vor dem Tod. Und nun sehe ich dieses stumpfsinnige SVP-Plakat, das sagt (liest vor): "Rotes Kreuz ja, Entwicklungshilfe ja, aber politische UNO nein." Afghanistan zeigt, wie falsch diese Unterscheidung ist. Dort bringt die UNO mit grossen Lastwagen Tausenden verhungernden Menschen Nahrung. Aber das braucht Truppen, welche diese Hilfe absichern. Es braucht auch diplomatische Verhandlungen um Wegrechte. Das alles kann nur die politische UNO. Zu behaupten, man sei für Ernährungsprogramme, aber gegen die UNO, ist darum eine totale Falschmeldung. Und darum ist es wichtig, dass die Schweiz der UNO beitritt. Blocher: Herr Ziegler sagt, es gehe bei der UNO um den Kampf gegen den Hunger und gegen Krankheit, es gehe um Bildung, es gehe um Millionen von Menschen, die in Afghanistan Hunger leiden. Bei allen UNO-Organisationen, die sich mit diesen Problemen befassen, ist die Schweiz jedoch längst dabei und hilft. Jahrelang war der Generaldirektor der UNO-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation ein Schweizer, der spätere SVP-Bundesrat Wahlen. Überall dort ist die Schweiz dabei. Die Schweiz redet dort mit, engagiert sich und zahlt jährlich etwa 500 Millionen an diese UNO-Organisationen. Und warum sollen wir denn nicht auch gleich in der UNO-Generalversammlung als Vollmitglied mitreden? Blocher: Am 3. März geht es um die politische UNO, also um den Sicherheitsrat. Diese Unterscheidung in eine politische UNO mit dem Sicherheitsrat und eine technische oder humanitäre UNO der Unterorganisationen stammt nicht von mir, Herr Ziegler; die hat der Bundesrat geprägt. Und warum sind wir bis heute zwar bei allen Unterorganisationen der UNO dabei - nicht aber bei der politischen UNO? Weil es bei der Frage um den Beitritt zur politischen UNO am 3. März darum geht, ob wir uns dem mächtigsten und wichtigsten Organ der UNO, dem Sicherheitsrat, unterwerfen sollen. Das hat auch der Bundesrat bis vor wenigen Jahren immer klar abgelehnt, weil es mit der schweizerischen Neutralität unvereinbar ist. Es geht also nicht um unser Mitmachen bei UNO-Organisationen, die Hilfe leisten, sondern um die Unterstellung der Schweiz unter den Sicherheitsrat, in dem fünf Siegermächte des Zweiten Weltkriegs über Krieg und Frieden entscheiden. Diese fünf Mächte, USA, China, Russland, Frankreich und Grossbritannien, entscheiden darüber, ob die Schweiz auf Befehl des UNO-Sicherheitsrates mithelfen soll, ein anderes Land auszuhungern. Herr Ziegler, dieser UNO-Sicherheitsrat hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun, er ist ein reines Machtorgan. Die Schweiz darf sich darum diesem Sicherheitsrat nicht unterwerfen und schon gar nicht als neutrales Land der UNO beitreten. Die Wirtschaftssanktionen der UNO gegen den Irak werden auch von UNO-Unterorganisationen wie dem Unicef scharf kritisiert. Ist die UNO da nicht tatsächlich auf einem Irrweg, Herr Ziegler? Ziegler: Die Schweiz ist ja ein grosszügiges Land, die Schweizerinnen und Schweizer spenden viel, sie sind sehr grosszügig. Wenn aber alle Länder so argumentieren würden wie Herr Blocher, der nur die Caritas oder das Rote Kreuz finanzieren will, würden die betroffenen Menschen genau gleich verhungern. Es braucht nämlich immer auch die so genannt politische UNO, welche mit Friedenstruppen Minen räumt, Transporte sichert und die Lagerhäuser bewacht. Darum braucht es diese UNO einfach. Und darum gilt es am 3. März Ja zu stimmen. Unser Land basiert auf Demokratie, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit. Das sind auch die Werte der UNO. Aber nicht im Sicherheitsrat, mit dem Vetorecht für die fünf Siegermächte. Ziegler: Wegen des UNO-Sicherheitsrats hat Herr Blocher natürlich schon recht... Blocher: ...und es geht ja nur darum... Ziegler: ...aber Herr Blocher ist nicht der liebe Gott und ich auch nicht, und das ist ja auch besser so... Blocher: (lacht) ...es ist wirklich gut so! Ziegler: Ja. Und wir haben diese Welt ja nicht gemacht. Und die UNO auch nicht. Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs haben sie gegründet. Und sie haben festgelegt, dass es keine UNO-Entscheide geben soll, ohne dass die fünf Siegermächte einverstanden sind. Das ist das Vetorecht der fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates, USA, China, Russland, Frankreich und Grossbritannien. Und das Vetorecht dieses Steinzeit-Imperialisten George Bush, der Afghanistan zusammenschlägt, oder auch das Vetorecht dieses Putin, der Tschetschenien verwüstet, gefällt mir ja auch nicht - das gefällt keinem Schweizer, wir sind ja nicht blöd. Blocher: Ja eben, den Beschlüssen dieser Mächte müssten wir uns aber unterstellen. Ziegler: Aber! Aber das Vetorecht kann nur Entscheide verhindern. Mit dem Vetorecht können uns hingegen auch die Grossmächte nicht zwingen, etwas zu tun - etwa Truppen zu stellen. Schweizer Truppen kann auch der UNO-Sicherheitsrat nicht einfach aufbieten. Das kann nur der Bundesrat. Und seit der Abstimmung vom letzten 10. Juni, die Sie verloren haben, Herr Blocher, setzt ihm Artikel 66 des Militärgesetzes dabei enge Grenzen. Will der Bundesrat mehr als 100 Mann länger als drei Wochen ins Ausland schicken, muss das Parlament zustimmen. Das bleibt auch so, wenn die Schweiz der UNO beitritt. Herr Ziegler meint, die UNO habe mit dem Sicherheitsrat eine Art Zauberformel und diese gelte es zu ändern. Kann man Zauberformeln nicht ändern, Herr Blocher? Blocher: Natürlich wäre ich für die Abschaffung des Vetorechts. Aber schon vor der letzten Volksabstimmung 1986 hat man uns weismachen wollen, das Vetorecht werde abgeschafft. Geschehen ist gar nichts. Und ich muss Ihnen sagen, da ändert sich auch nichts. Die Grossmächte mit ihren Vorrechten im UNO-Sicherheitsrat vertreten ihre Interessen und geben nie nach. Und sie können machen, was ihnen passt. Nehmen wir mal das Beispiel Terrorismus. Nach den Anschlägen gegen die USA vom 11. September haben die Amerikaner die UNO nicht gefragt, sondern sofort erklärt, das sei Terrorismus aus Afghanistan, und allein einen Krieg gegen dieses Land geführt. Dabei fiel auf, dass die Russen und die Chinesen dagegen nichts einzuwenden hatten. Und bald wurde auch klar, warum: Die Russen sagten nämlich sofort, in Tschetschenien kämpften sie auch gegen Terroristen. Die Israeli bezeichnen die Palästinenser als Terroristen - sogar Friedensnobelpeisträger Arafat nennen sie nun plötzlich einen Terroristen. Dabei ist der Unterschied zwischen einem Terroristen und einem Freiheitskämpfer oft gar nicht so einfach auszumachen. Und was hat das mit dem UNO-Beitritt der Schweiz zu tun? Blocher: Daran sieht man eben, in welche unsäglichen Streitigkeiten wir uns mit einem Beitritt zur politischen UNO einlassen würden. Die fünf Veto-Staaten im UNO-Sicherheitsrat bestimmen eigenmächtig und ihren Machtinteressen entsprechend, wer ein Terrorist sei und gegen welche Staaten sie Krieg führen wollen. Es ist sogar so, dass ein Thema oder ein Problem, das die fünf Siegermächte im Sicherheitsrat besprechen, in der UNO-Generalversammlung nicht mehr behandelt werden darf. Sie entscheiden willkürlich, welche Länder sie mit ihren Boykotten aushungern wollen. Und wir müssten uns beteiligen. Herr Ziegler, man muss ja nicht ein Prophet sein, um vorauszusehen, dass bei solchen Embargos die Ärmsten und die Kinder verhungern und der Diktator eher noch gestärkt wird. Im Irak sind bisher 500 000 Menschen verhungert, und der Diktator ist immer noch im Amt. Da dürfen wir als neutrales Land doch nicht mitmachen, sonst werden wir mitverantwortlich. Was ist denn Ihre Alternative? Wollen Sie mit einem Menschen wie Saddam Hussein Handel treiben? Blocher: Erstens wird da ja mit dem Segen der UNO nicht der Mensch Saddam ausgehungert, sondern ein Volk. Zweitens liefert die Schweiz ohnehin kein Kriegsmaterial in Krisengebiete und darum auch nicht in den Irak. Und unser Handel mit diesem Land ist auch sonst unbedeutend. Wenn aber der Bundesrat mehr Mut gehabt hätte, hätte die Schweiz als neutrales Land mit Lebensmittelhilfe und Medikamenten gezielt die Ärmsten im Irak unterstützen und verhindern können, dass viele von ihnen dann verhungert sind. Das wäre ein spezieller Weg für einen unabhängigen, neutralen Kleinstaat wie die Schweiz. Mit einem Beitritt zur politischen UNO verbauen wir uns den. Mehr noch: Wir würden einen Vertrag unterschreiben, der uns zu solchen verheerenden Sanktionen zwingt. Ziegler: Das ist Unsinn. Niemand zwingt die Schweiz zu Sanktionen. Die Schweiz hat jetzt vielmehr ein eigenes Embargogesetz... Blocher: ...es ist noch nicht in Kraft, und wir sind dagegen... Ziegler: ...ja, die SVP war dagegen, sie ist aber unterlegen. Und der Bundesrat hat vorher schon beschlossen, dass die Schweiz Embargos, welche die Völkergemeinschaft beschliesst, mitträgt. Das war die logische Konsequenz aus dem üblen Verhalten von Schweizer Profiteuren, welche das Embargo der ganzen Welt gegen den Unrechtsstaat Südafrika jahrelang unterlaufen haben. Da haben ja diese Geldsäcke von der Zürcher Bahnhofstrasse das rassistische Regime regelrecht am Leben erhalten... Blocher: ...jetzt sind diese so genannten Geldsäcke auf deiner Seite... Ziegler: Nein! Blocher: Doch! Die wollen ja auch, dass die Schweiz der UNO beitritt, und bezahlen sogar die Propaganda. Ziegler: Ja, was kann ich denn dafür, wenn die Geld ausgeben? Und zum Irak-Embargo ist jetzt in der UNO die Debatte über die sofortige Aufhebung im Gang. Und ich weiss auch, dass es auf Druck der USA 1990 verhängt worden ist. Ich war und bin gegen dieses Embargo. Aber ich folge auch dem Prinzip der Realität. Und ich stelle einfach fest, dass gegen die Arroganz der Raubtierkapitalisten in Amerika, dass es gegen den Imperialismus der USA, wie er sich heute wieder zeigt, nur eine Verteidigungslinie gibt: das Prinzip der kollektiven Sicherheit, der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und der Durchsetzung der sozialen, ökonomischen und kulturellen Menschenrechte. Kurz: die multilaterale Diplomatie der UNO. Und darum hat die Schweiz als kleines Land grosses Interesse daran, diese UNO als Vollmitglied zu unterstützen. Die Situation ist doch klar: Da ist die UNO, die tut, was sie kann gegen den Imperialismus der USA. Wer gegen diesen Imperialismus ist, und das ist jeder Demokrat - auch Herr Blocher -, muss für die UNO sein und Ja stimmen. Blocher: Eben gerade nicht. Damit würden wir nämlich einen Vertrag unterschreiben und uns einem Sicherheitsrat unterwerfen, den ausgerechnet jene Weltmacht USA kontrolliert, vor der uns nun Herr Ziegler gerade gewarnt hat. Die Amerikaner führen Krieg, wann und wo sie wollen - mit oder ohne UNO. Sie sind jetzt die einzige Weltmacht und kontrollieren darum auch den UNO-Sicherheitsrat. Und diesem ausländischen Organ müssten wir uns nach einem UNO-Beitritt unterwerfen. Das Schweizervolk hätte sowieso nichts mehr zu sagen. Herr Ziegler, so wie Sie den US-Imperialismus anprangern, fragt man sich, warum Sie für den Schweizer UNO-Beitritt und nicht für den Austritt unseres Landes aus der WTO und der Weltbank plädieren. Ziegler: Ich bin für die Aufhebung der meisten Bretton-Woods-Institutionen. Ich bin persönlich - wie ein grosser Teil der sozialistischen Internationalen - für die Auflösung des Internationalen Währungsfonds und auch der Welthandelsorganisation WTO. Blocher: Ja gut, punkto Weltbank sind wir ja mal gleicher Meinung. Ziegler: Das ist gut. Und ich höre Herrn Doktor Blocher immer gerne zu - das war schon im Nationalrat so -, weil er rhetorisch begabt ist. Was er aber sagt, ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil davon stimmt. Zu den Sanktionen darum noch dies: 1920 stimmte das Schweizervolk für den Beitritt unseres Landes zum Völkerbund. Dieser Völkerbund hatte jedoch überhaupt keine Sanktionsmacht. Was geschah? Acht Jahre später ergriff Mussolini die Macht - dreizehn Jahre später Hitler. Es folgte der Zweite Weltkrieg mit Massenmord und 52 Millionen militärischen und zivilen Opfern. Der ganze Kontinent war wieder verwüstet. Ich frage: Wäre es nicht besser gewesen, wenn dieser Völkerbund, gestützt auf Artikel, wie sie jetzt in der UNO-Charta stehen, Sanktionsmacht gehabt und so das Völkerrecht hätte durchsetzen können? Blocher: Der Völkerbund ist ein gutes Beispiel. Nur gerade umgekehrt! Die Schweiz ist ihm beigetreten. Sie hat damals jedoch einen Vorbehalt gemacht, dass sie die Charta des Völkerbunds nur so weit erfüllen werde, als diese mit ihrer frei gewählten und bewaffneten Neutralität vereinbar sei. Das hat der Bundesrat diesmal beim UNO-Beitritt ausdrücklich abgelehnt, weil er die UNO-Charta in allen Punkten einhalten will. Aber trotz dieses Vorbehaltes gab es damals im Völkerbund für die Schweiz bald Probleme. Nach der Besetzung Abessiniens durch Italien verlangte nämlich der Völkerbund auch von der Schweiz ein Embargo gegen Italien. Darauf drohte Italien der Schweiz umgekehrt mit der Besetzung des Tessins. Da versuchte der Bundesrat etwas ganz Verrücktes: Er sagte, wir boykottieren Italien und Abessinien - also auch den angegriffenen Staat. Bevor es jedoch hart auf hart ging, fiel dann der Völkerbund auseinander. Aber der Bundesrat hat daraus die Lehre gezogen, dass die neutrale Schweiz solche Verträge nie mehr unterschreiben dürfe. Darum sind wir nie der politischen UNO beigetreten. Und ich sage: Unterschreibt keinen solchen Vertrag, der nicht gleiches Recht für alle, sondern ein Sonderrecht für die Mächtigen festschreibt. Ziegler: Wenn Herr Blocher sagt - oder seine Marketingfritzen, welche diese blöden Broschüren entwerfen... Blocher: ...welches sind denn deine Marketingfritzen? Ziegler: Ich habe keine, ich habe ja gar keinen Rappen Geld. Blocher: Doch, Steuergelder. Wir hingegen müssen alles selber zahlen. Ziegler: Meinetwegen. Aber ich möchte noch einmal auf den Artikel 43 der UNO-Charta zurückkommen, den du zitiert hast. Die UNO kennt zwei Arten von Militäraktionen. Erstens die Friedenserhaltung, wenn zwei Konfliktparteien einen Waffenstillstand geschlossen haben wie in Zypern. Und zweitens Friedensschaffung, wenn mit Waffengewalt das Völkerrecht durchgesetzt wird gegen einen Missetäter, wie in Ost-Timor. Du behauptest, die Schweiz könne gezwungen werden, in Verletzung ihrer Neutralität Truppen für einen Krieg zu stellen, den die Amerikaner in ihrem Interesse beschlossen hätten. Das ist faktisch und objektiv falsch - ist Unsinn. Gezwungen wird niemand, und unsere Neutralität wird nicht verletzt. Blocher: Doch. Wenn dieser Vertrag einmal unterschrieben ist, der besagt, dass alle UNO-Mitglieder Sanktionen einhalten und Truppen stellen müssen, dann wird der Druck in einem entsprechenden Ernstfall auf den Bundesrat enorm, auch mitzumachen. Und der Bundesrat hat sich in letzter Zeit ja nicht gerade dadurch ausgezeichnet, dass er sich dem Druck aus dem Ausland mutig entgegengestellt hätte. Ziegler: Es ist heute Abend schlimm für mich, weil ich immer wieder mit Herrn Blocher einverstanden bin. Wenn er sagt, dass unser Bundesrat absolut schwach und mittelmässig sei, dann bin ich - mit Ausnahme der beiden SP-Leute natürlich - leider mit ihm einverstanden. Aber das Militärgesetz, das du erfolglos bekämpft hast, setzt diesem Bundesrat gerade beim Truppeneinsatz enge Schranken. Und natürlich kannst du sagen, der Bundesrat hält das Gesetz nicht ein. Es kann immer Schlimmes passieren - Bundesrat Villiger kann sich mit der Bundeskasse auf die Bahamas absetzen; etwas Verrücktes ist ja immer denkbar... Blocher: ...die Kasse ist ja leer, und mit den 110 Milliarden Bundesschulden soll er nur ruhig auf die Bahamas verschwinden. Ziegler: Gut, also. Aber meine Erfahrung ist eben eher, dass in Bern nichts passiert - vor allem keine Aussenpolitik. Blocher: Keine Aussenpolitik ist manchmal noch die beste. Ziegler: Ich habe in Bern immer nur Wirtschaftspolitik und Aussenhandelspolitik beobachtet oder Investitionspolitik - aber nie eine Aussenpolitik. Und die Abstimmung vom 3. März ist für dieses Land und dieses Volk die historische Chance, sich endlich auch eine Aussenpolitik zu geben. Aber dann muss der Bundesrat in der UNO eine schweizerische Politik der Solidarität mit den Ärmsten machen. Dann fängt der Kampf für uns erst an. Und wir werden schon schauen, wie sie in der UNO stimmen, der Herr Deiss und seine Diplomaten. Aber es gibt nur die UNO, wo wir unsere eidgenössischen Werte weltweit durchsetzen können. Und wir gewinnen diese Abstimmung, weil wir in einem vernünftigen Land leben. Es tut mir leid, aber davon musst du ausgehen, es ist einfach so. Blocher: Dein Idealismus in Ehren! Aber schon bei der letzten Volksabstimmung waren die Befürworter so zuversichtlich. Und das Volk sagte mit 75 Prozent Nein. Herr Blocher, wenn Sie Hunderte von Millionen in eine Firma investieren, wollen Sie doch auch mitbestimmen. Warum soll denn die Schweiz weiterhin jedes Jahr 500 Millionen an die UNO zahlen und nicht mitbestimmen? Blocher: Was denn mitbestimmen? Wir müssten 75 Millionen mehr im Jahr bezahlen und einen Vertrag unterschreiben, der uns den Grossmächten unterordnet - und Sie reden noch von Mitbestimmung! Dort, wo die Schweiz heute schon 500 Millionen jährlich bezahlt, stimmen wir ja mit. Nein, die Schweiz ist weltoffen, sie hat mit allen Staaten wirtschaftlich, kulturell und politisch Beziehungen. Sie leistet Hilfe auf dem Boden der Neutralität mit allen Staaten und darum ist das Rote Kreuz bei uns entstanden. Auch aus diesem Grund ist diese Schweiz so erfolgreich. Und diese Weltoffenheit wollen wir hochhalten - aber uns nicht einbinden lassen in eine Organisation, welche über uns bestimmen könnte. Wir sind das einzige Volk, das über den UNO-Beitritt abstimmen kann. Überall sonst haben Regierung und Parlament das Volk in die UNO eingebunden. Und wenn wir keine Volksabstimmung hätten, hätten Bundesrat und Parlament unser Land schon lange in die UNO geführt - und in die EU und die Nato auch gleich. Darum braucht es am 3. März ein Nein. Herr Ziegler, was geschieht, wenn das Volk den UNO-Beitritt erneut ablehnt? Was, Herr Blocher, wenn es Ja sagt? Ziegler: Die UNO-Abstimmung wird mit einem klaren Ja endlich eine aussenpolitische Wende bringen und uns aus der totalen Lethargie und aus der Heuchelei der Neutralität hinausführen - hin zu einer solidarischen Aussenpolitik. Aber es ist eine demokratische Abstimmung. Und es passiert sicher so oder so nicht viel - in Bern schon gar nicht. Der absurde Beton-Konsens der Bundesratsparteien lähmt unser Land seit einer Generation - und so wird es noch 100 Jahre weitergehen. Ich höre nun Spekulationen, wenn das Volk Nein sage, verliere die CVP Herrn Deiss und mit ihm auch noch gleich seinen Sitz im Bundesrat. Das ist Unsinn - da passiert gar nichts. Aber auch umgekehrt nicht. Herr Blocher redet von Unterwerfung unter die Supermacht USA. Auch das ist Unsinn - er malt da einfach einen neuen Gessler an die Wand... Blocher: ...nur dass der neue Gessler eine etwas grössere Kanone hat als der historische. Sollte die Schweiz am 3. März auch noch der politischen UNO beitreten, so würde künftig eine fremde Macht in Sachen Krieg unserem Land befehlen. Die Schweiz gäbe ein Stück Freiheit und Sebstbestimmung ins Ausland. Es würden dem Steuerzahler Millionen abgeknöpft für nichts. Die Neutralität würde unglaubwürdig und verletzt, wodurch Krieg und Terrorismus ins Land gezogen würden. Wer für die Schweiz und eine friedliche Welt ist, stimmt Nein zum UNO-Beitritt.
31.01.2002
UNO: Gibt es ein Ausserhalb?
Streitgespräch mit Bundesrat Pascal Couchepin im St. Galler Tagblatt vom 31.Januar 2002 Die Schweiz ist ein kleines Land, das neutral und unabhängig bleiben will. Darin sind sich Bundesrat Pascal Couchepin und Nationalrat Christoph Blocher (SVP/ZH) einig. Trotzdem will der eine in die UNO und der andere nicht. Ein Streitgespräch. Gesprächsleitung: Denis Barrelet ("24 heures") und René Lenzin, St. Galler Tagblatt Herr Blocher, weshalb ist Ihr Bild der Schweiz nicht mit dem UNO-Beitritt vereinbar? Christoph Blocher: Die Schweiz ist ein kleines Land, das grossen Wert legt auf Freiheit, Selbstbestimmung, direkte Demokratie und die integrale, das heisst umfassende Neutralität. Das Erfolgsrezept der Schweiz im Bezug auf die Welt ist, dass sie weltoffen und mit allen befreundet ist, sich aber nicht einbinden lassen will. In der UNO sind wir überall dabei, wo es nicht um Kriegsfragen geht. Wir zahlen, reden und beschliessen dort mit. Beschlüsse in dieser technischen UNO sind jedoch nicht verbindend. Am 3. März geht es um die politische UNO und um die Frage, ob wir uns den verbindlichen Beschlüssen der UNO-Charta unterwerfen sollen, was gegen unsere Neutralität ist. Herr Couchepin, weshalb verträgt sich Ihr Bild der Schweiz mit dem Beitritt? Pascal Couchepin: Die Schweiz ist ein kleines, unabhängiges Land, das selbstsicher und stolz auf seine Eigenheiten ist. Sie ist aber auch ein realistisches Land, das weiss, dass es Freunde und ein Solidaritätsnetz braucht, um in der Welt zu existieren, dass man dort präsent sein muss, wo Weltpolitik gemacht wird. Stichwort Neutralität. Was ist an der Schweiz anders als an neutralen Ländern wie Schweden oder Finnland? Blocher: Die Schweiz ist umfassend und dauernd neutral. Schweden und Finnland haben eine Neutralität von Fall zu Fall, und da mag der Beitritt möglich sein. Weshalb unsere Neutralität dem Beitritt widerspricht? Lassen Sie mich den Bundesrat zitieren, der von 1945 bis in die 80er-Jahre stets erklärt hat: Der Beitritt in die politische UNO und das Unterschreiben der Charta ist nicht kompatibel mit der Neutralität, insbesondere nicht die Artikel 41 bis 43. Und in den 80er-Jahren hat der Bundesrat einen Schwenker vollzogen, indem er beschloss, der politischen UNO beizutreten, dann dem EWR, dann als strategisches Ziel den EU-Beitritt verkündete, damit musste er die Neutralität über Bord werfen. Weder der Beitritt in die politische UNO noch der EU-Beitritt ist mit der schweizerischen Neutralität vereinbar. Couchepin: Was Sie aus der Charta zitieren, ist ein isoliertes Element. Im Beitrittsbrief, den wir vorbereitet haben und der von der UNO akzeptiert ist, wenn Volk und Stände Ja sagen, behalten wir uns vor, unsere Rechte in der UNO nach unserer Neutralitäts-Konzeption wahrzunehmen. Es ist eine Beleidigung des Volkes und der von ihm gewählten Politiker, wenn Sie behaupten, dieser Vorbehalt würde nicht eingehalten. Es ist auch eine Unterstellung zu behaupten, der UNO-Beitritt sei der erste Schritt zum EU-Beitritt. Wer das behauptet, lässt die Behörden als Leute erscheinen, die das Volk betrügen. Das ruiniert die Demokratie. Blocher: Wenn man keine Argumente hat, drängt man den Gegner in eine Ecke... Couchepin: Das ist genau die Methode, die Sie beherrschen . . . Blocher: Für den unvoreingenommenen Bürger ist doch klar, was die Neutralitätspolitik besagt: Wir nehmen nicht teil an internationalen Konflikten. Treten wir jedoch der politischen UNO bei, unterschreiben wir einen Vertrag, wonach wir die Beschlüsse des Sicherheitsrats, als mächtigstes Organ der UNO, erfüllen müssen. Das heisst, wir müssen zum Beispiel Boykotte, Nahrungsmittelsperren, Abbruch von Verkehrsverbindungen und von diplomatischen Beziehungen - das sind alles Kriegsmittel - durchführen. Couchepin: Soll die Schweiz das einzige Land der Welt sein, das weiter mit Saddam Hussein Handel treibt? Gibt es Neutralität gegenüber dem Terrorismus, wenn man nicht die Schweiz selbst in Gefahr bringen will? Hätte die Schweiz den Boykott gegen Saddam Hussein nicht mittragen sollen? Blocher: Nicht in dieser Form. Der Boykott richtet sich nicht gegen Saddam Hussein, sondern gegen den Irak. Selbst die UNO hat eingesehen: Hunderttausende sind verhungert, der Diktator ist geblieben. Deshalb mussten die Sanktionen geändert werden: "Oil for food" heisst es jetzt. Ich hatte vorgeschlagen, die Kriegsmaterialausfuhr gemäss Gesetz zu verbieten, ansonsten den Courant normal zu pflegen und als neutraler Staat ein gezieltes Programm im Nahrungsbereich für die Ärmsten im Irak zu lancieren. Couchepin: Gerade solche Sanktionsdebatten können und müssen innerhalb der UNO geführt werden. Wenn man ausserhalb ist, lassen es die realen Machtverhältnisse nicht zu, dass man gegen die Beschlüsse der UNO verstösst. In der Praxis kann die Schweiz gar keine autonome Boykott-Politik betreiben. Mehr noch: Sie hat nicht einmal die Mittel, andere Argumente geltend zu machen. Blocher: Wer in der UNO ist, hat die Sicherheitsbeschlüsse gemäss Vertrag zu erfüllen. Als neutraler Kleinstaat können wir dort nicht eigene Wege gehen. Ausserhalb sind wir frei zu handeln und haben keine Rechtspflicht. Kann man vor dem Terrorismus neutral sein? Blocher: Terrorismus ist kein Staat, sondern eine Kampfform. Wir sind neutral gegenüber Staaten. Wie schützen wir uns gegen Terrorismus? Indem wir uns erstens neutral verhalten und damit den Terrorismus nicht anziehen. Zweitens indem wir mit Armee und Polizei dafür sorgen, dass sich in unserem Land kein Terrorismus und keine terroristischen Organisationen entfalten können. Couchepin: Terrorismus ist tatsächlich eine Kampfform, aber Afghanistan zeigt, dass er zuweilen von Staaten unterstützt wird. In diesem Fall wird klar, dass die Neutralität nicht mehr hilft. Denn den Terrorismus zu bekämpfen heisst auch, die Staaten zu bekämpfen, die ihn fördern. Blocher: Nun zum Brief des Bundesrats. Die SVP-Fraktion hat im Nationalrat einen Antrag gestellt: Wenn man schon in die politische UNO will, braucht es einen Neutralitätsvorbehalt, das heisst einen Vorbehalt, dass die Schweiz die Verpflichtungen des Sicherheitsrates nur erfüllen kann, soweit diese nicht der dauernd bewaffneten, bündnisfreien, frei gewählten, integralen Neutralität widersprechen. Dieser Vorbehalt hätte von der UNO gegengezeichnet werden müssen. Der Bundesrat hat erklärt, das gehe nicht, weil die Schweiz sonst die Charta nicht voll erfüllen könne, was sie jedoch wolle. Trotzdem schreibt er in seinem Brief, die Schweiz trete der UNO als neutraler Staat bei. Couchepin: Wir schreiben auch, dass wir unsere Pflichten konform zu unserer Interpretation der schweizerischen Neutralität erfüllen. Die UNO antwortet, dass die Schweiz unter diesen Bedingungen Mitglied werden kann. Das ist ein Vertrag. Blocher: Nein, das ist ein wertloser Brief, und anschliessend unterschreiben wir einen Vertrag, der das Gegenteil sagt. Couchepin: Es ist ein Vertrag, der nach dem Willen der Vertragspartner interpretiert werden muss. In der Praxis wird es gar kein Problem geben. Es ist fundamentalistisch, wenn Sie die Charta dermassen theoretisch-juristisch interpretieren. Völkerrechtler sehen keinen Widerspruch zwischen UNO-Beitritt und Neutralität. Sind Sie, Herr Blocher, kompetenter als diese Experten? Blocher: Diese Experten sprechen alle vom Neutralitätsrecht gemäss Haager Abkommen und nicht von der Neutralitätspolitik der Schweiz. Glaubwürdig ist die Neutralität nur, wenn die Schweiz nicht an fremden Konflikten teilnimmt. Die Völkerrechtler sagen, die UNO sei kein Staat, sondern eine Staatengemeinschaft. Aber wenn wir feindliche Massnahmen gegen andere Staaten ergreifen müssen, widerspricht das unserer Neutralitätspolitik. Das sind zwei verschiedene Ebenen. Couchepin: Es hat keinen Wert, über die grossen Theorien zu sprechen. Was beim Völkerrecht viel mehr zählt als Konzepte, ist die Realität. Die Vereinten Nationen haben die Charta seit 60 Jahren immer so interpretiert, wie wir das tun. Alles andere ist reine Theorie. Wenn wir schon bei der Praxis sind: Die Entscheide des Sicherheitsrats sind doch von den Interessen der Grossmächte geprägt. Stichwort Veto. Couchepin: Das Veto ist nicht Ausdruck von arroganter Macht, die dem Rest der Welt ihr Diktat aufzwingen will, sondern der Entscheid der Grossmächte, welche die Demokratien gerettet haben und welche es nach dem Krieg erlaubt haben, eine Welt ohne Hitler, ohne Mussolini und ohne das imperialistische Japan aufzubauen. Zudem kennen wir das Veto auch im schweizerischen politischen System. Das Ständemehr ist ein Vetorecht der kleinen Kantone gegenüber den grossen. Im Grunde wäre die UNO ohne Vetorecht ein System, in dem es nur das Ständemehr gäbe und in dem Andorra und Monaco ihren Willen den USA aufzwingen könnten. Alle demokratischen Systeme suchen solche Gleichgewichte. Blocher: Das ist nun wirklich eine romantische Darstellung des Vetorechts. Nicht die Mehrheit der Mächte hat ein Vetorecht, sondern ein Einziger kann alles blockieren. Das wäre, wie wenn in der Eidgenossenschaft der Kanton Zürich ein Vetorecht hätte. Für einen Demokraten ist das unerträglich. Die fünf Grossmächte haben die Sache so arrangiert, dass in ihrem Einflussbereich nie eine Massnahme gegen ihren Willen durchgesetzt werden kann. Das zeigt sich zum Beispiel im israelisch-palästinensischen Krieg, bei dem Resolutionen nicht durchgesetzt werden, weil die Grossmächte es nicht wollen. Couchepin: Aber das Vetorecht ist nicht einer einzigen Macht gegeben, sondern fünf verschiedenen, deren Interessen divergieren. Und das ist wiederum ein Schutz für ein Land wie die Schweiz, das nicht in Abenteuer hineingezogen werden will. Wenn alle diese fünf Länder eine Massnahme akzeptieren, ist bewiesen, dass sie von der Gesamtheit der Staatenwelt getragen wird und nicht nur von den Interessen einer Macht. Blocher: Die fünf Mächte können zusammen auch Interessen vertreten, die uns nicht behagen. Nehmen Sie den Terrorismus: Alle haben sofort gesagt: Wir sind gegen den Terrorismus. Die Russen haben gesagt, es ist gut, damit sie freie Hand in Tschetschenien erhalten. Auch China hat ein Interesse daran, dass es frei gegen Terroristen vorgehen kann. Israel hat unverzüglich Ja gesagt, damit es die Palästinenser als Terroristen bezeichnen kann. Der Friedensnobelpreisträger Arafat ist plötzlich ein Terrorist. Man muss nicht naiv sein. Es geht um Interessen. Couchepin: Weder Sie noch ich sind naiv. Aber die Frage lautet: Sind Sie gegen den Krieg gegen den Terrorismus? Sind Sie gegen die Massnahmen gegen Al-Qaida? Blocher: Ich bin für den Kampf gegen Terroristen, aber ich will, dass wir selbst denken und entscheiden, wer Terroristen sind und wie man gegen Terroristen vorgeht. Couchepin: Selbstverständlich wollen wir über die Massnahmen diskutieren können, aber um das tun zu können, müssen wir Mitglied der UNO sein. Wenn nicht, müssen wir gehorchen, ohne mitbestimmen zu können. Beeinträchtigt der UNO-Beitritt die direkte Demokratie? Blocher: Jeder Beitritt zu einer internationalen Organisation wendet die Aktivitäten der Regierung von der Bevölkerung weg. Zwar können wir zu den Beschlüssen der Generalversammlung Ja oder Nein sagen, aber der Druck, die Beschlüsse zu übernehmen, ist natürlich gewaltig. Darum muss man aufpassen, dass man nicht zu viele Kompetenzen weit weg von der Bevölkerung vergibt. Couchepin: Noch nie in der Geschichte der Schweiz war die Aussenpolitik so breit abgestützt wie heute. Der Bundesrat teilt seine aussenpolitischen Kompetenzen mit dem Parlament, mit den Kantonen, es gibt breite Diskussionen in der Öffentlichkeit, es gibt die direkte Demokratie. Wenn das Volk Ja sagt zum UNO-Beitritt, weiss es, dass dieses Ja zusätzliche Verpflichtungen, aber auch zusätzliche Chancen birgt. Der UNO-Beitritt kostet zusätzlich 70 Millionen. Zu viel für die Schweiz? Blocher: Vor der Abstimmung kostet es immer wenig - nachher ist es ganz anders, siehe Expo, Krankenkassenprämien usw. Wir haben 110 Milliarden Schulden. Bei den etwa 70 Millionen Franken wird es nicht bleiben. Es kommen Konferenzen, Reisen und indirekte Dinge dazu, die das Volk bezahlen muss. Ich höre es schon. Wenn die Generalversammlung einstimmig beschliesst, man sollte 0,7 Prozent des Bruttoszialprodukts für die Entwicklungshilfe übernehmen, wird der Druck aufs Parlament gewaltig sein. Couchepin: Entscheidend sind die 70 Millionen auf ein Budget von 50 Milliarden. Alles andere ist Polemik.
30.01.2002