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30.11.2012
30.11.2012
Die EU ist in der Position des Bittstellers
Artikel Südwestschweiz/Nordwestschweiz vom 30.11.2012 zum Thema 20 Jahre EWR/EU-Nein Interview mit Stefan Schmid Herr Blocher, was ist Ihre Erinnerung an den 6. Dezember 1992? Christoph Blocher: Ich war sehr überrascht und fühlte eine tiefe Dankbarkeit über die Weisheit der Bürger. Diese hatten den EWR/EU-Beitritt abgelehnt, obschon der Bundesrat massiv gedroht hatte: «Wenn ihr diesen Vertrag ablehnt, geht die Schweiz kaputt.» War das die wichtigste Abstimmung in ihrem Leben? Sogar die wichtigste Abstimmung im letzten Jahrhundert. Sie haben an jenem 6. Dezember bewusst nicht von einem Sieg gesprochen. Weshalb? Ich war überzeugt, dass das Nein zu EWR/EU eine grosse Chance für die Schweiz ist. Doch ich wollte nicht über einen Sieg reden, die Situation war zu ernst. Ich konnte mich gerade noch für eine ganz zahme Pressekonferenz aufraffen, für das Fernsehen war ich zu erschöpft. Um 20 Uhr war ich im Bett. Norwegen geht es als EWR-Mitglied blendend. Die Norweger Regierung wäre dem EWR nie beigetreten, wenn sie gewusst hätte, dass sie im Kolonialvertrag EWR sitzen bleibt. Es trat dem EWR ohne Volksabstimmung bei. Selbstverständlich war auch für die Norweger klar: Der EWR kann nur die 1. Etappe zur EU sein. Über den EU-Beitritt musste in Norwegen das Volk befinden und es lehnte ihn ab. Norwegen beklagt sich heute, weil es 80 Prozent der EU-Regeln übernehmen muss, ohne mitzuentscheiden. Weil Norwegen heute ein Erdölland ist, geht es ihm trotz EWR wirtschaftlich aber gut. Der bilaterale Weg ist steiler denn je. Die Schweiz ist wieder in derselben Situation wie vor der EWR-Abstimmung. Nur wenn die Regierung wieder nachgibt. Deshalb findet am Sonntag, dem 2. Dezember in Biel eine öffentliche Veranstaltung zum Gedenken an die EWR-Abstimmung unter dem Titel «Der Weg der Schweiz in die Zukunft» statt. Denn die EU will die Schweiz zwingen, bei jedem bilateralen Vertrag EU-Recht und die Gerichtsbarkeit zu übernehmen. Und die Regierung wird wohl wieder nachgeben. Was ziemlich genau dem EWR entspricht. Ja und zum EU-Beitritt führt. Das ist der EU-Beitritt auf Samtpfoten. Wie wollen Sie diesen verhindern? Wird ein solcher Vertrag, in dem die Schweiz automatisch EU-Recht akzeptiert, nicht ohnehin dem obligatorischen Referendum unterstellt – was zwingend wäre – dann ergreifen wir das Referendum und zeigen auf, dass es sich um einen EU-Beitritts-Vertrag handelt. Wie würden Sie denn auf den Druck der EU reagieren, wenn Sie Aussenminister Burkhalter wären? Ich ginge nach Brüssel und würde dasselbe sagen, wie seinerzeit Bundesrat Traugott Wahlen, als es um den Beitritt zur damaligen EWG – so hiess damals die EU noch – ging: «Es tut mir leid. Die Regierung hätte nichts gegen den EU-Beitritt, doch sie hat dies in der Schweiz entschieden. Über uns steht nicht nur das Parlament, sondern auch das Volk. Die Stimmbürger verzichten nicht auf die Souveränität, deshalb können wir darüber auch nicht verhandeln. Aber über alles andere zu verhandeln, sind wir bereit.“ Die Schweiz soll die Forderungen der EU ignorieren? Nur die institutionelle Bindung und die EU-Gerichtsbarkeit. Über alles andere kann verhandelt werden. Dann würde es keine weiteren bilateralen Abkommen geben zwischen der Schweiz und der EU. Doch doch, aber wir brauchen keine weiteren Verträge. Die EU – nicht die Schweiz – ist in der Position des Bittstellers: Sie will, dass die Schweiz die Holdingsbesteuerung und die Steuersätze anpasst; sie will, dass die Schweiz das Bankkundengeheimnis abschafft; und sie will, dass ihr Verkehr durch die Schweiz fährt. Was brauchen wir denn von der EU? Ich war immer ein Exportunternehmer. Zu meiner Zeit verkaufte EMS 90 Prozent der Produkte ins Ausland, heute liegt der Exportanteil bei 96 Prozent. Was die Schweiz noch will, ist nice to have (nett zu haben), aber nicht lebensnotwendig. Was halten Sie von den Vorschlägen der Schweiz für institutionelle Reformen, die derzeit in Brüssel auf dem Tisch liegen? Also eine nationale Überwachungsbehörde und die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Gerichtshof EuGH. Die Vorschläge sind unbrauchbar. Die Regierung muss endlich sagen, dass die Schweiz souverän bleiben will. Die tägliche Gymnastikübung des Bundesrates ist das Einknicken. Sie machen es sich sehr einfach, wenn Sie an Ihrem Weltbild von 1992 festhalten und der Regierung die Anpassung an internationale Entwicklungen einfach als einknicken auslegen. Schauen Sie sich die EU heute an: Die Politiker haben sich angepasst: D.h. Geld ausgeben, das man nicht hat. Als Unternehmer musste ich mich anpassen. Doch die Selbstständigkeit des Unternehmers aber habe ich noch nie preisgegeben. Das ist zeitlos. Wie definieren Sie Souveränität? Souveränität ist Selbstbestimmung. In der Schweiz bestimmt das Volk als Gesetzesgeber und ist darum der Souverän. Die europäischen Staaten haben derart viele Schulden angehäuft und so hohe Steuern, weil die Politiker nicht vom Volk kontrolliert werden. Wenn in der Schweiz die Mehrwertsteuern nur um 0,1 Prozent erhöht werden, dann müssen das Volk und die Kantone zustimmen. In der EU wird die Mehrwertsteuer über Nacht erhöht, das Volk hat nichts zu sagen. Wie souverän ist die Schweiz? Wir leben nicht auf dem Mond. Kein Land ist völlig autark. Es gibt auch Dinge, wo die Schweiz bewusst auf Souveränität verzichtet. Wenn die Strassen z. Bsp. überall in Europa gleich angeschrieben werden sollen, ist es zweckmässig, dass die Schweiz hier mitmacht. Aber aus freiem Willen. Aber wenn die EU der Schweiz einmal eine Reichensteuer von 75 Prozent aufzwingen würde, und wir wissen, dass dies die Reichen vertreibt, und wir das nicht wollen, dann wäre die Schweiz nicht mehr souverän. Anders liegt der Fall, wenn die Schweiz aus freiem Willen entscheidet, dass die Steuern gleich hoch sein sollen wie in der EU. Dann entschiede der Souverän. Wie stark hat die Souveränität in den letzten 20 Jahren abgenommen? Am meisten wird heute die Souveränität durch das schwammige Völkerrecht untergraben. Das hat man bei der Minarett- und der Ausschaffungsinitiative erlebt. Und Brüssel schränkt die Souveränität nicht ein? Wenn wir Verträge wie den EWR abschliessen, sehr wohl. Schlimmer ist es bei Schengen-Dublin, wo wir auch künftiges Recht akzeptieren und wir dieses – obwohl es nicht funktioniert – nicht ändern können. Das war ein grosser Fehler. Das Volk hat ja gesagt. Das Volk wurde über den Tisch gezogen. Lässt sich das Volk über den Tisch ziehen? Ja leider, auch Sie und ich. Sie haben den EWR gebodigt. Doch mit den Bilateralen Verträgen wurden Sie auch nie warm. Im EWR-Abstimmungskampf haben wir ausdrücklich auf bilaterale Verträge hingewiesen. Ich hatte z. Bsp. nie etwas gegen den Vertrag zur Vereinheitlichung der technischen Normen oder den Verkehrsvertrag mit der EU. Aber ich war gegen Schengen und die Personenfreizügigkeit. Sind die Bilateralen I ein Fehler? Was sind denn die Bilateralen I? Man muss jeden Vertrag einzeln anschauen. Man ist nicht für oder gegen Bilaterale Verträge, sondern für oder gegen den einen oder den andern. Sind sie gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien? Ja. Jetzt muss man den Riegel schieben. Dann ist Kroatien halt ein Land, für das die Personenfreizügigkeit nicht gilt. Die Türken oder die US-Amerikaner haben auch keine Personenfreizügigkeit. Diese beiden Staaten sind nicht Mitglied der EU. Verweigert die Schweiz die Ausdehnung der PF auf Kroatien, diskriminiert sie ein einzelnes EU-Land. Die Personenfreizügigkeit ist mit jedem einzelnen Land abgeschlossen. Sie bezeichnen die SVP als Wirtschaftspartei, gleichzeitig gefährden Sie mit der Ablehnung der Personenfreizügigkeit für Kroatien die Bilateralen I, die für die Wirtschaft wichtig sind. Wieder ein läppische Drohung. Die Bilateralen I sind unwichtig für die Schweiz? Gewerbeverband und economiesuisse liegen falsch? Dieselben Verbände, die schon 1992 behauptet haben, der EWR/EU-Beitritt sei gut für die Wirtschaft! Manager denken oft nur kurzfristig. Ein Wirtschaftspolitiker aber auch ein Unternehmer muss eine langfristige Analyse für unser Land machen. Die negativen Folgen der Personenfreizügigkeit werden unser Land noch stark treffen. In der Sozialpolitik, im Mietrecht, in der Arbeitslosigkeit, in der Produktivität. Darum sollten wir die Personenfreizügigkeit nicht noch ausdehnen, sondern neu verhandeln. Die SVP will mit der Masseneinwanderungsinitiative ja nicht die Kündigung der Personenfreizügigkeit, sondern die Neuverhandlung. Das heisst die Wiedereinführung von Kontingenten für EU-Bürger. Genau. Wie früher, als es uns wirtschaftlich ebenfalls gut ging und genügend. Arbeitskräfte in die Schweiz gekommen sind. Wenn die EU das nicht will, dann bleibt immer noch die Kündigung. Aber wir werden mit der EU eine Lösung finden, denn dieser Vertrag liegt sehr im Interesse der EU. Weshalb? In der Schweiz arbeiten bald eine Million EU-Bürger. Sie werden von Schweizer Unternehmen nachgefragt.. Man könnte auch Arbeitnehmer von ausserhalb der EU nehmen, diese werden heute diskriminiert. All die Deutschen Ärzte wollen Sie mit solchen aus nicht deutschsprachigen Ländern ersetzen? Z. Bsp. gäbe es auch gute Amerikaner, aber sie bekommen auch deutsche Ärzte ohne die exzessive Personenfreizügigkeit. Wir haben zu wenige. Eine Studie der ETH Zürich hat gezeigt, dass die Personenfreizügigkeit den Wohlstand der Schweiz nicht erhöht hat. Aber auch nicht verringert hat. Gleichbleibender Wohlstand mit jährlich 70‘000 mehr Personen! Die Produktivität nimmt ab und der Wohlstand stagniert. Das freut Sie doch als Unternehmer. Wir haben in der Schweiz nicht ein hohes Lohnniveau, weil Firmen gerne hohe Löhne bezahlen, sondern weil sie es können. Schweizer Unternehmen waren immer gezwungen, hochwertige Produkte zu produzieren, weil sie keine billigen Arbeitskräfte bekommen haben. Massenproduktion ist keine Strategie für unseren Wohlstand. Wo sind die billigen Arbeitskräfte? Es sind vor allem hoch qualifizierte EU-Bürger, die zuwandern? Nicht nur. Aber was ist hoch qualifiziert? Ich freue mich auch, wenn ich in einer Wirtschaft von einer guten deutschen Serviceangestellten bedient werde. Ich habe nichts dagegen, wenn die EU-Bürger kommen. Aber die Gleichstellung mit den Inländern wird Probleme bringen. Es führt zu einer Zuwanderung zum Sozialsystem. Sie sind ein Anhänger des Steuerwettbewerbs. Tiefe Steuern sind ein Wettbewerbsvorteil. Diese locken ausländische Unternehmen in die Schweiz, die wiederum Arbeitskräfte brauchen, die sie hier nicht finden. Sie wollen mehr Firmen aber keine Zuwanderung, das geht doch nicht auf? Ich bin für den Steuerwettbewerb, aber nicht für das aggressive Werben von Unternehmen im Ausland. Wir brauchen keine Firmen, die nur wegen den tiefen Steuern kommen. Steuerliche Vorteile für ausländische Firmen halte ich für falsch. Das sind meist auch keine sicheren Arbeitsplätze. Das sehen Sie z. Bsp. gut am Sägewerk in Domat-Ems. Die EU kritisiert, dass Erträge aus dem Ausland in der Schweiz tiefer besteuert werden, als inländische Erträge. Sie teilen also diese Kritik. Ich teile sie nicht, aber ich habe Verständnis für die Kritik. Als Schweizer Unternehmer stören sie diese Steuerregimes. Ja, deshalb verlangt die SVP, dass die Gewinnsteuern für alle Unternehmen in der Schweiz gesenkt werden und nicht nur für ausländische. Sie hätten gerne einen Steuersatz von 5 Prozent. Am liebsten nur 1 Prozent. Und die natürlichen Personen sollen für diese Steuerausfälle gerade stehen?Nein, der Staat soll weniger ausgeben. Der Bund könnte z. Bsp. die Ausgaben um 30 Prozent senken, ohne einen Leistungsabbau. Macht Aussenminister Didier Burkhalter einen guten Job? Macht er einen Job? Wünschen Sie sich Micheline Calmy-Rey zurück? Das macht keinen grossen Unterschied. Ich kritisiere nie einzelne Bundesräte sondern nur die Gesamtregierung. Diese soll schauen, dass es richtig läuft. Gefällt es Ihnen wieder im Nationalrat zu sein? Nein. Das hat mir noch nie gefallen. Parlamente sind langweilige Vereine. Weshalb liessen sie sich wiederwählen? Das ist mein Auftrag, denn ich finde es wichtig. Meine grosse Stärke ist meine Unabhängigkeit. Sonst hätte ich nie einen Abstimmungskampf gegen den EWR/EU-Beitritt führen können.
28.11.2012
La question européenne pas réglée
Interview avec Christa Markwalder et Christoph Blocher dans „La Liberté“ du 28 novembre 2012
27.11.2012
Das Beitrittsgesuch war folgerichtig
Artikel NZZ Online vom 27. November 2012 zum Thema 20 Jahre EWR/EU-Nein Interview mit Simon Gemperli Herr Blocher, wo stünde die Schweiz heute, wenn Volk und Stände am 6. Dezember 1992 für den EWR gestimmt hätten? Wir wären in der Europäischen Union. Die Schweizer hätten bemerkt, dass der EWR-Vertrag ein Kolonialvertrag ist, und darum hätte man sich wohl für die Integration entschieden. Was macht Sie so sicher? Es gibt Länder, die im EWR sind, aber nach zwei Jahrzehnten immer noch nicht in der EU. Neben dem Sonderfall Liechtenstein, mit dem wir uns nicht vergleichen können, ist es nur noch Norwegen, nachdem Island beschlossen hat, der EU beizutreten. Die Norweger sitzen in der Tinte. Ohne Referendum beschloss Norwegen den EWR, weil die Regierung dann in die EU wollte. Das kam dann vors Volk und wurde abgelehnt. Weil das Land vor allem von den Erdöleinnahmen lebt, ist dies nicht so tragisch, aber sehr unbefriedigend. All die anderen früheren Efta-Staaten sind unterdessen der EU beigetreten. Auch der Bundesrat wollte dies von Anfang an, weil er das Problem erkannte. Inwiefern? Der EWR ist ein Kolonialvertrag. Die EU bestimmt über ein fremdes Land, ohne dass dieses selbst bestimmen kann. Deshalb hat der Bundesrat in der Botschaft zum EWR auch geschrieben, der EWR sei nur die erste Etappe in Richtung EU. Bundesrat Delamuraz sagte, der EWR sei "le premier étage pour la maison de l'Europe". Bundesrat Ogi sprach, der EWR sei das Trainingslager für die EU. Ständerätin Spoerry erklärte, der EWR sei nur die Verlobung, aber nicht die Heirat. Wer verlobt sich, wenn er nicht heiraten will? Ursprünglich stellte Kommissionspräsident Jacques Delors einen EWR in Aussicht, in dem die Efta ein Vetorecht erhalten hätte. Hat die Schweiz schlecht verhandelt? Ich mache niemandem Vorwürfe. Die EU wollte nie wirklich eine Mitbestimmung für Drittstaaten. Die Schweiz hatte am Schluss die Wahl, den ausgehandelten Vertrag als einziges Land abzulehnen. Kommissionspräsident Delors sagte: Wenn eine der Regierungen nein stimmt, erhalten alle nichts. Wahrscheinlich konnte damals Bundesrat Delamuraz nicht anders an der entscheidenden Schlussverhandlung, als Ja zu sagen. Zu welchem Zeitpunkt ahnten Sie, dass Sie den Abstimmungskampf gewinnen würden? Ich habe bis zum Schluss gezweifelt. Wir haben einen sehr handgestrickten Abstimmungskampf gemacht. Am Anfang waren FDP-Nationalrat Otto Fischer, der Geschäftsführer der Auns, und ich praktisch allein. Die Inserate machten wir selber, ohne Werbebüro. Wie viel Geld haben Sie persönlich investiert? Ich habe eine Defizitgarantie von drei Millionen Franken eingebracht. Das war für mich viel Geld, aber die Schweiz war mir so viel wert. Den Betrag haben wir schliesslich nicht aufgebraucht, weil die Leute zu spenden begannen. Die Gegenseite gab schätzungsweise etwa dreimal mehr aus als wir. Was war denn matchentscheidend, wenn nicht das Geld? Unsere Stärke war, dass wir voll überzeugt waren, dass die Schweiz unabhängig bleiben muss. Otto Fischer und ich beschlossen, jeden Tag mindestens einen Vortrag zum EWR zu halten. Am Schluss waren das riesige Veranstaltungen. Die Gegner hatten das Herzblut nicht. In der Endphase gingen Manager von Grosskonzernen mit Spruchbändern auf den Bundesplatz. Das Bild war herrlich. Sie verneigten sich vor dem Volk. Aber es war nicht glaubwürdig. In der Westschweiz haben Sie verloren. Was lief dort schief? Die Westschweiz war unsere Schwäche. Wir hatten keinen welschen Vertreter mit Gewicht. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung in der Universität Freiburg. Es gab Plakate mit der Aufschrift " C'est le diable qui vient". Sie waren von Studenten und von Professoren unterschrieben. Wäre die Westschweiz zu gewinnen gewesen mit einer breiteren Abstützung der SVP? Meine Partei hat am Anfang keine Rolle gespielt, auch in der Deutschschweiz nicht. Ich war anfänglich allein. Adolf Ogi war unendlich traurig, dass ich auf der gegnerischen Seite stand. In der welschen Schweiz war es noch schwieriger. Wir konnten den Leuten nicht erklären, dass der EWR ein Kolonialvertrag ist. Dieser Ausdruck stammt übrigens nicht von mir, sondern vom Staatsrechtler Daniel Thürer. Später nannte Thürer den EWR noch eine "legalisierte Hegemonie". Die Romands sprachen immer von der "Ouverture". Ich habe nichts gegen eine „Ouverture“. Aber ich bin gegen die Integration. Was haben die EWR-Befürworter falsch gemacht? Eigentlich wenig. Sie konnten froh sein, dass noch so viele für den EWR gestimmt haben. Wären wir von Anfang an besser organisiert gewesen, hätten wir ein noch besseres Ergebnis erreicht. Welche Rolle hat das Beitrittsgesuch gespielt? Das Beitrittsgesuch des Bundesrats war folgerichtig. Ein Skandal hingegen ist, dass das Gesuch trotz negativer Volksabstimmung nie zurückgezogen wurde. Der Bundesrat schrieb ja schon in der EWR-Botschaft 1992, der EWR sei nur eine Etappe auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Das Parlament wusste das und stimmte zu, weil alle in die EU wollten. Mit dem Gesuch stellte der Bundesrat Transparenz her. Jetzt sagen die Schlaumeier, der Bundesrat hätte warten sollen mit dem Gesuch bis nach der EWR-Abstimmung. Franz Steinegger beispielsweise wollte das so. Darum öffneten Otto Fischer und ich eine gute Flasche Wein – französischen übrigens – am 18. Mai. Wie feierten Sie den Abstimmungssieg? Es heisst, Sie hätten danach ein Burn-out gehabt. Dem sagt man heute vielleicht so. Ich war jedenfalls völlig erschöpft. An jenem Sonntagabend schleppte ich mich in ein Hotel in Oerlikon zu einer kleinen Pressekonferenz. Um 20 Uhr ging ich ins Bett, während meine Kollegen die Raketen steigen liessen. Bis im Frühjahr hielt ich durch. Dann zog ich mich für drei Wochen in ein einsames Jagdhaus in Österreich zurück, wo ich den ganzen Tag wanderte und selbst kochte. Als ich zurückfuhr – völlig gesund und bei Kräften – zeigte mir der Zöllner den Aushang des „Sonntags-Blick“: "Blocher mit Herzinfarkt in der Klinik." Ich lachte Tränen auf der Rückfahrt, denn das Plakat hing in jedem Dorf. Der Bundesrat hat der EU institutionelle Mechanismen für neue bilaterale Abkommen vorgeschlagen, bei denen die Schweizer Behörden immer eigenständig entscheiden und urteilen würden. Weshalb bekämpfen Sie dieses Verhandlungsangebot? Lesen Sie den Brief der Bundespräsidentin an EU-Kommissionpräsident Barroso. Auch die NZZ hat ihn ja veröffentlicht. Frau Widmer-Schlumpf braucht den Ausdruck "eine Art EWR". In diesen Fragen muss man unerbittlich sein. Wir können keine institutionellen Bindungen eingehen und eine EU-Gerichtsbarkeit akzeptieren. Sie formulieren das sehr absolut. Adolf Ogi sagt im Zusammenhang mit dem Beitrittsgesuch, in der Aussenpolitik müsse man stets flexibel sein und brauche immer einen Plan B. Vielleicht gibt es Umstände, wo man eine institutionelle Bindung eingehen muss. Wenn man bereits bei den Grundsätzen nachgibt, kann man keine Ausnahmen mehr machen. Wer den Rückzug plant, tritt ihn auch an, hat Clausewitz einmal gesagt. Der Bundesrat wird nachgeben. Und Economiesuisse macht wohl mit. Das wird gleich wie 1992. Pirmin Schwander hat nach der Abstimmungsniederlage über die Staatsvertrags-Initiative sein Amt als Auns-Präsident zur Verfügung gestellt. Wie geht es weiter mit dieser Organisation? Ich weiss es nicht. Von Beginn zu meiner Wahl in den Bundesrat war ich Auns-Präsident. Aber wenn ich einmal ein Amt abgegeben habe, mische ich mich nicht mehr ein. Die Auns ist aber eine wichtige Organisation. Würden Sie das Präsidentenamt wieder übernehmen? Nein. Das müssen jetzt die Jungen machen. Die Auns hat den Fehler gemacht, dass sie zu viel wollte und in die Breite ging. Wenn man eine Volksinitiative lanciert, muss man sie auch durchziehen können. Das ist leicht zu korrigieren. Wie steht es mit dem geplanten Komitee „gegen den schleichenden EU-Beitritt“? Haben Sie Mitglieder aus anderen Parteien gefunden. Ich bin bei diesem Komitee nicht federführend, ich hatte nur die Idee dazu lanciert. Es ist jetzt in Gründung begriffen und konzentriert sich auf die Zielsetzung, den direkten wie auch den indirekten EU-Beitritt zu verhindern. Der EU-Beitritt ist zurzeit kein Thema, aber ein Motiv ist er bestimmt. Wir wollen auch keinen EU-Beitritt auf Samtpfoten. Es scheint ein Problem zu geben, Mitglieder zu finden, die nicht der SVP angehören. Ich weiss nicht. Aber das würde ja heissen, dass alle FDP- und CVP-Mitglieder in die EU wollen – zumindest heimlich. Die SVP steht in diesem Komitee am Rand. Wenn es halt keine anderen gibt, sagt ja dies auch etwas. Ist das Komitee am EWR-Gedenkanlass vom 2. Dezember in Biel beteiligt, wo Sie als Redner auftreten? Nein, nein. Meines Wissens ist es gar noch nicht gegründet. Übrigens wollten mehrere Jungfreisinnige als Redner an dieser Gedenkfeier auftreten. Ich bedaure, dass sie alle von der Partei zurückgebunden wurden. Jetzt erhalten die Redner aus allen Landesteilen das Wort. Neben mir ein parteiloser Welscher Professor und eine junge Tessiner SVP-Grossrätin.
25.11.2012