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Économie
01.09.1999
Artikel in "Bilanz" vom September 1999
Unablässig auf der Hatz nach Marktnischen, neuen Produkten, hohen Margen, Shareholder-Value. Ob bei Ems-Chemie oder Algroup, Christoph Blochers Kasse klingelt.
Von Stefan Lüscher
Der Ostwind, an Tagen solch hochsommerlicher Hitze gern gespürter Gast im Domleschg, fährt durch die Kronen der Bäume im Schlosspark. Christoph Blocher verkürzt die Wartezeit der vierköpfigen Runde mit Spässen: "Ich bin der einzige protestantische Pfarrerssohn der Schweiz, der eine eigene katholische Kirche hat." Und zeigt grinsend auf das mit dem Park durch eine Holzbrücke verbundene Schloss Rhäzüns, hinter dessen Mauern sich eine Kapelle duckt. Die im 12. Jahrhundert hoch über dem Hinterrhein errichtete Feste ist Firmenbesitz und dient dem Chef und Mehrheitsaktionär der Ems-Gruppe, eben Christoph Blocher, mehrmals pro Jahr als Bleibe wie auch als Nobelherberge für hochkarätige Kunden.
Wie an diesem Freitagabend gegen Ende Juli: Nach sechs Uhr rauschen Limousinen durch die Allee, es entsteigt eine fünfköpfige Delegation chinesischer Spitzenpolitiker und Unternehmer. Blochers Begrüssung ein bunt gemischter Wortschwall aus Dialekt und Hochdeutsch. "Auf Schloss Rhäzüns sind nur besondere Gäste willkommen."
Strahlende Gesichter nach der Übersetzung. Hoch über dem Burggraben erteilt der merklich stolze Schlossherr eine Kurzlektion in Hausgeschichte. Seine Bemerkung, wonach das Gemäuer lange in habsburgischem Besitz stand, findet trotz hastig nachgeschobenem "grossem Kaiserhaus" kein Interesse. Ahs und Ohs dafür auf die Worte, auch Napoleon Bonaparte habe zu den Besitzern gezählt. "Ich werde euch zeigen, in welchem Stuhl er gesessen hat." (Nur Stunden zuvor erzählte Blocher dem Journalisten, das Schloss sei einst leer gestanden, man habe alle Möbel neu kaufen müssen).
Durch das Tor über einen Kiesweg steil nach oben dröhnender Trommelwirbel: Der Tambourenverein Domat/Ems weiss die Asiaten zu verwirren. Beim Aperitif, Coca-Cola und Oeil de Perdrix, beeindruckt Christoph Blocher die Besucher mit Kenntnissen chinesischer Weisheiten. "Wohl dem Hause, auf das das Wasser zufliesst. Dem Hause soll Glück und Reichtum beschieden sein. Das gilt insbesondere für die Gäste." Sagt's und führt das Grüppchen durch die Pforte auf einen Vorsprung. Der Anblick des Rheins, der auf die Betrachter zufliesst (und eine Strecke weit in Schlossbesitz steht), lässt die Fremden ihre Zugeknöpftheit, Teil fernöstlicher Taktik, vergessen. Nach einem kurzen Trommelwirbel geht's zur chinesisch-schweizerisch beflaggten Tafel, Trachtenfrauen tragen auf, Blocher sorgt für eine lockere Stimmung. Das Terrain ist umgepflügt für fruchtbare Verhandlungen.
Welch ein Bild: Der Schweiz rechter Aussenverteidiger im Spiel gegen Europa, plaudernd mit volksrepublikanischen Kommunisten. Der SVP-Politiker Blocher, handfester Rhetoriker, unermüdlicher Spaltpilz, Schwarz-weiss-Maler ohne Neigung zu Kompromissen. Der Geschäftsmann Blocher, der seine pragmatische Seite nach aussen kehrt, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Wegen seines linkischen Charmes und des gewollt hemdsärmligen, ja fast bäuerischen Auftretens wird er immer wieder unterschätzt, zwar nicht (mehr) als Politiker, dafür als Manager und Financier. Beispielsweise bei seinem Maskenspiel in der Algroup, an der Christoph Blocher sowie sein Studienfreund und langjähriger Finanzberater Martin Ebner Hauptaktionäre sind. Im letzten Frühjahr platzte die angesagte Fusion von Algroup mit Viag. Noch während sich die Presse über die entgangenen Gewinne des Duos ausliess, vollzogen sie den Machtwechsel: Ebner nahm im Sessel des Verwaltungsratspräsidenten Platz, der 59-jährige Blocher hatte sich, nicht zuletzt seiner kümmerlichen Kenntnisse der englischen Sprache wegen, mit dem Amt des Vize zu begnügen. Vier Monate danach wurde die überraschte Öffentlichkeit vom Zusammengehen der Algroup mit Pechiney und Alcan unterrichtet. Bislang hat das 8,4-Prozent-Paket, welches Ems an Algroup hält, gegenüber dem Einstieg vor gut einem Jahr 128 Millionen Franken an Wert zugelegt, die in Blochers Privatschatulle steckenden 1,6 Prozent würden bei einem Verkauf zwei Dutzend Millionen an Profit eintragen. Durch seine Beteiligung an Lonza, das von der Verschmelzung ausgenommene Kronjuwel der Algroup, dürfte Blocher weitere Kursgewinne einfahren.
Ebenfalls verkannt, wenn auch nicht vom Wirtschaftsestablishment, dafür von der Allgemeinheit, wird Blocher als Lenker der Ems-Gruppe. Wohl eine Folge seiner übergrossen Präsenz als Politpolterer. Dabei wendet er nach eigenem Bekunden lediglich ein Drittel seiner Zeit für das politische, jedoch zwei Drittel für das wirtschaftliche Wirken auf. "Natürlich kann man da nicht von einer 40-Stunden-Woche sprechen", kann es sich Blocher nicht verkneifen, in die übliche Eitelkeit des Präsenz markierenden Managers einzustimmen. Tagwacht um 5.30 Uhr, anschliessend ein mehrere Kilometer verschlingendes Jogging, "jeden Morgen und bei jedem Wetter" (Rhäzüns-Schlossverwalter Christian Bernhard), ausgiebiges Frühstück. Dann wartet ein meist voll gepacktes Tagesprogramm, das sich bis gegen Mitternacht hinzieht. An Samstagen ist um 17.00 Uhr Feierabend, Sonntag ist Familientag. Der dermassen die Arbeit über alles stellt, ist ein ewig Fahrender; er pendelt zwischen dem Ems-Holdingsitz in Zürich, seiner klotzigen Villa in Herrliberg, dem Werkgelände in Domat/Ems sowie Bundesbern, das chauffierte Auto zum halbwertigen Büroersatz ausgebaut.
Man muss über den Politiker Blocher geteilter Meinung sein, aber nicht über den Unternehmer Blocher; da zählt er zu den Erfolgreichsten. Als er 1983 seine Hand auf die Ems-Gruppe legte, übernahm er ein angeschlagenes Unternehmen. In der Kasse liess sich kaum Bares auffinden, dafür hockte die Firma auf Wohnhäusern, Sportanlagen, Hotels, Allmenden, Bauernhöfen, Schlössern, Kraftwerken, Werkarealen - verteilt auf gegen sieben Millionen Quadratmeter Land. Blocher baute rigoros Kosten und Personal ab, modernisierte die Produktion, förderte ertragsstarke Erzeugnisse, kaufte Firmen dazu und veräusserte fast alles, was betriebswirtschaftlich nicht notwendig war. Innert weniger Jahre war Ems eine Goldgrube. Und ist es bis heute geblieben. Zwar findet die Ems-Gruppe keinen Einlass unter die 100 umsatzstärksten Schweizer Unternehmen. Von Bedeutung für Blocher ist sowieso nur der Ertrag. Und der stimmt im operativen Geschäft: Mit einem Betriebsergebnis von 17,8 Prozent vom Umsatz oder einer Eigenkapitalrendite von 22,8 Prozent zählt Ems zu den ertragreichsten Firmen. Das unternehmerische Kredo: Konzentration auf qualitativ erstklassige Spezialprodukte in Nischenmärkten. Damit lassen sich zwar keine gewaltigen Umsatzzuwächse, dafür hohe Margen holen. Zumindest auf einige Jahre hinaus. Wenn Nachahmer in den Markt drängen und die Erlöse unter Druck setzen, wird das Erzeugnis eingestellt oder die nächste Produktgeneration lanciert. Gerade wegen der geringen Grösse kann sich Ems in Teilmärkten schneller bewegen als mächtige Konkurrenten. Fast jeder dritte Ems-Angestellte ist Techniker, Ingenieur, Chemiker oder Physiker. Was die Innovationskraft des Unternehmens erklärt. Der Think-Tank von gegen 800 Spezialisten sorgt für die kontinuierliche Weiterentwicklung von Produktlinien und Herstellverfahren, vor allem in den Kernbereichen der polymeren Werkstoffe (Kunststoffe, technische Fasern und Klebstoffe, Duroplaste wie Pulverlackhärter, Erzeugnisse für die Transportindustrie) sowie Feinchemikalien. Bei vielen Erzeugnissen ist Ems in Europa, teils weltweit Marktleader.
Nicht zum Kerngeschäft zählt das Engineering (Planung und Bau von Polymer- und Synthesefaseranlagen, elektrische Zündmittel, Kraftwerke) mit Ausnahme der Patvag, Blochers Vorzeigebetrieb. Als Ende der Achtzigerjahre mit Wehrtechnik nichts mehr zu verdienen war, räumte der Ems-Chef den Patvag-Leuten für die Entwicklung eines neuen Produkts zwei Jahre ein. 1992 wurde die Fertigung von Airbag-Zündern aufgenommen, heute verlassen jährlich 15 Millionen Stück das Werk. Patvag ist mit 35 Prozent Marktführer in Europa und schickt sich an, über Amerika zur globalen Nummer eins zu wachsen.
Die Konzentration auf margenstarke Produkte in Nischenmärkten bedingt eine direkte Führung. Ems zeichnet sich denn auch durch eine flache Hierarchie aus. Eine Konzernleitung fehlt, die neun Bereichsleiter sind direkt dem dreiköpfigen Verwaltungsratsausschuss unterstellt. In Tat und Wahrheit ist Ems eine One-Man-Show. Was sich an der jüngsten Jahrespressekonferenz zeigte: Auf der linken Saalseite sassen zwei vom VR-Ausschuss, rechts zwei vom Management - Ausstellungsobjekte. Blocher präsentierte die Zahlen, Blocher referierte über den Geschäftsgang, Blocher beantwortete die Fragen.
"Blocher fordert kontinuierlich Informationen. So weiss er jederzeit, was im Betrieb läuft", berichtet Albert Sommerauer, Leiter der Ems-Patvag. Monatlich haben die Bereichsleiter einen Bericht einzureichen. Daneben findet alle zwei bis drei Monate eine Direktorenkonferenz statt. Plus Sitzungen für grössere Projekte. Plus jährlich ein Treffen, an dem jeder Bereichsleiter einen Ein- sowie Dreijahresplan zu präsentieren hat. Und die Blocher in 19 von 20 Fällen zurückweist. "Wir treffen nie einen guten Entscheid, nur den am wenigsten schlechten. Alles ist verbesserungsfähig", begründet er seine kritische Haltung.
Albert Reich, Bereichsleiter Ems-Primid: "Solange wir uns im Zielkorridor bewegen, lässt uns Blocher viel Freiheit." Doch wehe, die Leitplanken werden touchiert, dann kann der oberste Emser "wie s heilige Bisiwätter iifahre", schildert ein Manager. Darauf will Blocher "keine Entschuldigungen, sondern Lösungen", so nochmals Reich. "Ich räume meinen Leuten eine grosse Verantwortung ein. Aber nur dem Einzelnen, nicht einem Team", stellt Blocher klar. Wer an der Spitze einer der Ems-Firmen stehe, der habe sich allem unterzuordnen, was das Unternehmen betreffe. Dieselben Anforderungen stelle er ja schliesslich auch an sich selbst. "Das ist eine Art von Besessenheit. Beseelt vom Auftrag, die Firma weiterzubringen." In welchem Auftrag? In demjenigen der Aktionäre. Und damit primär im Eigenauftrag.
Dieser Führungsstil, der sektiererische Züge nicht vermissen lässt, kommt bei den Arbeitnehmern an. Das bestätigt Sommerauer: "Unsere Leute halten grosse Stücke auf Blocher. Er pflegt eine offene Gesprächskultur." Der Pfarrerssohn ist ein Patron alter Schule, lässt sich öfters im Betrieb sehen, erkundigt sich nach Problemen, plaudert über Persönliches.
Keine Spur von Berührungsängsten auf beiden Seiten. Ein älterer Angestellter erinnert sich, wie Blocher vor Jahren in der Silvesternacht bei der Spätschicht aufgetaucht sei, um allen "es guets Neus" zuzurufen. So was geht nicht vergessen. Genauso wenig wie das Schreckensjahr 1983. Damals, so wird erzählt, habe eine amerikanische Firma Ems übernehmen wollen. Die machten kein Hehl daraus, dass im Werk Domat/Ems etwa die Hälfte aller Leute entlassen würden. Worauf Blocher als Retter der Ems und Bewahrer von 700 Arbeitsplätzen die Szene betrat. "Die Region weiss, was sie an Blocher hat", schwärmt Gion Jörg, CVP-Mann und Vize-Gemeindepräsident von Domat/Ems.
Ems ist der grösste private Arbeitgeber im Kanton Graubünden und beschäftigt allein im Herzen des Bündner Rheintals rund 1500 Personen aus 30 Nationen. Multikulti pur, und dies in einem Blocher-Betrieb. Von der erwerbstätigen Bevölkerung in Domat/Ems verdient etwa jeder Fünfte sein Brot bei Ems-Chemie. "Seit einigen Jahren erzielt die Gemeinde millionenhohe Überschüsse", rechnet Jörg vor. Ems sei's gedankt; das Unternehmen sorgt direkt für rund ein Viertel der Steuereinnahmen, ebenso viel dürften die im Dorf ansässigen Ems-Beschäftigten beisteuern. Dennoch ist es purer Zufall, dass der heilige Christophorus das Gemeindewappen ziert.
An der Urne hört die Dankbarkeit auf. Bei den letzten Gemeinderatswahlen belegte die SVP von 15 Sitzen einen. "Politisch bin ich in Graubünden nicht aktiv und nehme keinerlei Einfluss", behauptet Blocher. Ausnahmen bestätigen die Regel. Im Vorfeld der EWR-Abstimmung vom Dezember 1992 meinte er an der Jahrespressekonferenz, ein Ja würde die Standortvorteile der Region gewaltig verschlechtern. Der Wink mit dem Zaunpfahl wurde verstanden.
Seine politischen Gegner benutzten die Region ebenfalls als Wahlkampfarena. Im September 1992 zogen Peter Bodenmann und Gewerkschafter vor dem Ems-Fabriktor auf und liessen die Arbeiter wissen, ihr Patron betreibe Lohndumping. Blocher fuhr mit eisernem Besen dazwischen und kündigte allen fünf im Werk vertretenen Gewerkschaften den Kollektivarbeitsvertrag. Die Front war in null Komma nichts zerbröselt. Bei einem "regelrechten Scherbengericht", erinnert sich Hans Schäppi von der Gewerkschaft Bau & Industrie, forderte Blocher eine Entschuldigung. Als Schäppi ablehnte, erhielt die von ihm damals vertretene GTCP Hausverbot. Die Zustände, so der Gewerkschafter, hätten sich nicht gebessert, ausgerechnet Blocher beschäftige "zu niedrigsten Löhnen Asylbewerber". "Das stimmt nicht", ereifert sich Ludwig Locher, Werksleiter von Ems-Chemie. Für Peter Bodenmann ist heute klar, dass "die ganzen Vorkommnisse ein Faktor bei der EWR-Abstimmung waren". Und was hält er von Blocher als Unternehmer? "Der Typ macht relativ viele Sachen relativ gut", ringt sich der SP-Politiker zu einer Art Kompliment durch.
Mit "relativ gut machen" hat es Blocher zu einem der reichsten Schweizer geschafft. "Bei Ems sprechen wir seit zwanzig Jahren von "Mehrwerte schaffen". Seit wenigen Jahren haben wir auch ein Fremdwort dafür, Shareholder-Value." Dieses Handwerk beherrscht er wie kaum ein Zweiter. Seit Blocher das 58-Prozent-Stimmpaket der Familie Oswald übernommen hat - angeblich wendete er für den Handel eine Million Franken Eigenmittel und etwa 20 Millionen Bankgelder auf -, zeigen die Aktienkurse steil nach oben. Nach dem Einstieg wird in sechs Folgejahren die Dividende erhöht. Blocher und Ebner hecken neue, für die damalige Zeit revolutionäre Ideen aus, um die Aktionäre bei Laune zu halten: Gratisoptionen, Rückkauf von Partizipationsscheinen (was dem "Wall Street Journal" einen Artikel wert ist), Umwandlung derselben in Inhabertitel, Rückzahlung von Aktienkapital, die Cash- oder Titel-Optionen Coto. Bis 1993 entwickelt sich der Ems-Aktienkurs parallel zum Ertragsverlauf. Blocher will den Anstieg beschleunigen. Über die folgenden Jahre kauft er für rund 1,3 Milliarden Franken Inhaber- und Namenaktien zurück und stampft diese ein. Dadurch wurde das Aktienkapital von 141 auf 26 Millionen Franken eingedickt, gegen die Hälfte aller Inhaber- und knapp zehn Prozent der Namenaktien verschwanden vom Markt.
Das Resultat: Der Gewinn verteilt sich auf weniger Aktien beziehungsweise steigt überproportional pro Titel, das Kurs-Gewinn-Verhältnis sinkt, die Kurse explodieren. Für Blocher stellte sich ein angenehmer Nebeneffekt ein. Wegen der Rückkäufe, verstärkt durch von ihm privat getätigte Zukäufe, kletterte sein Stimmanteil von 58 auf 81, der Kapitalanteil gar von 27 auf 59 Prozent. Heute ist die Beteiligung samt Paketzuschlag gut und gerne 2500 Millionen Franken wert. Über die letzten 16 Jahre ist Blocher also jede Woche durchschnittlich um drei Millionen Franken reicher geworden. "Wenn ich das Geld hätte, würde ich alle Aktien zurückkaufen und Ems dekotieren", spricht der Milliardär Klartext. Doch ein Going-private kommt auf mindestens 1,5 Milliarden Franken zu stehen. Auf der anderen Seite habe die Kotierung "eine stark selbstdisziplinierende Wirkung", gibt Blocher zu bedenken. Von seinem Wert überzeugt, schiebt er nach: "Wer in Ems investiert, investiert auch in mich."
Die Passion der Börsianer gegenüber Ems allerdings beginnt sich abzukühlen, kaum eine Bank mag die Aktien noch empfehlen. Seit dem letztjährigen historischen Höchst von 9200 Franken haben die Titel über 20 Prozent eingebüsst, deutlich mehr als der Gesamtmarkt. Einer der Gründe ortet Anja Schreiber, Analystin bei der Bank Julius Bär, im Rückzug der Ems aus dem Finanzgeschäft: "Diese Erträge fehlen nun beim Gewinn." Was sich negativ auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis und damit auf den Aktienpreis ausgewirkt hat. Denn während 1998 das Betriebsergebnis gehalten wurde, brach der Gewinn um 47 Prozent ein.
Ems trat gegen Ende der Achtzigerjahre immer stärker als Anleger auf - mit durchschlagendem Erfolg: Zeitweise steuerten die Finanzerträge mehr als die Hälfte zum Gewinn bei, zwischen 1989 und 1997 wurden mit Börsengeschäften gegen 800 Millionen Franken an Profiten eingefahren. "Wir sind ein Industriebetrieb, keine Bank", begründete Christoph Blocher 1997 den überraschenden Ausstieg. Die späte Rückbesinnung ergab im Nachhinein einen Sinn: Die Gelder wurden für Alusuisse benötigt, das Investment flugs als operative Beteiligung etikettiert.
Der harzige Geschäftsgang in den ersten Monaten dieses Jahres wirkt ebenfalls nicht kursbelebend. Für das ganze Jahr stellt Blocher einen leichten Umsatzrückgang, aber ein gehaltenes Betriebsergebnis in Aussicht. Während polymere Werkstoffe und Engineering gute Resultate liefern, ist bei den Feinchemikalien ein Umsatz- und Ertragsrückgang zu registrieren. "Bei unseren Kunden sind Medikamente weggefallen, für die wir Zwischenprodukte liefern", begründet Fritz Wittwer, Bereichsleiter Ems-Dottikon, die Schwierigkeiten. Die Probleme jedoch sitzen tiefer, und zwar bei der Fabrikation: Zu viele kleine und veraltete Anlagen ziehen ineffiziente Abläufe nach sich, die Qualität leidet, es entstehen Mehrkosten. Was potenzielle Neukunden abschreckt.
Letztlich also ein Führungsproblem. Dessen sich Christoph Blocher bewusst ist. Denn einige Manager, so ist aus Ems-Dottikon zu vernehmen, hätten die Probleme schon vor Jahresfrist erkannt und Lösungen präsentiert. Worauf vergangenen April Blocher seinen Bereichsleiter Wittwer vor versammeltem Management heftig angefahren haben soll, ihn aufforderte zuzugeben, dass er nicht führen könne. Wochen später kam es zur Kündigung. Nicht Wittwer, sondern Produktionschef Emanuel Pietrzik sowie Forschungs- und Entwicklungsleiter Michael Meyer mussten gehen. Meyer wollte sich dazu nicht äussern. Im Betrieb jedoch heisst es: Da wurden die Falschen entlassen.
Die grösste Kurszäsur dürfte den Ems-Titeln aber noch bevorstehen. Bei den Aktienrückkäufen hat Blocher etwas zu viel des Guten getan; inzwischen befinden sich gerade noch 214 000 Inhaberpapiere im Markt, der Grossteil davon liegt erst noch in Depots von Institutionellen. Der Handel ist beinahe zum Erliegen gekommen. Nun sind Ems-Inhaber Teil des Börsenindikators SMI, was eine bestimmte Umschlagshäufigkeit voraussetzt. Diese allerdings genügt den Vorgaben nicht mehr - womit Ems der Rauswurf aus dem SMI droht. "Das wäre keine Katastrophe", stapelt Blocher tief. Eine Mitgliedschaft im SMI kommt einer zusätzlichen Börsenkapitalisierung von 15 bis 20 Prozent gleich, weil viele Institutionelle in ihren Portefeuilles den Index so wirklichkeitsgetreu wie möglich abzubilden versuchen. Fällt Ems aus dem SMI, werden Grossanleger in Massen aussteigen, die Kurse purzeln. Blocher wäre dann um einige Hundert Millionen Franken ärmer. "Ich kann mir durchaus vorstellen, eines nicht allzu fernen Tages von der Ems loszulassen", ist sich Blocher sicher. Wobei die Nachfolge trotz drei Töchtern und einem Sohn im Alter von 22 bis 29 Jahren nicht geregelt ist. "Zuerst müssen sie sich ausserhalb des Unternehmens bewähren." Das Beispiel der Familie Oswald vor Augen, ist für den bald 60-Jährigen aber eines klar: Die Ems-Führung will er unter keinen Umständen allen vier Kindern anvertrauen.
01.09.1999
SVP-Nationalrat Christoph Blocher über seine gebremste Lust, die bilateralen Verträge mit einem Referendum zu bekämpfen
Interview mit dem Tages Anzeiger vom 1. September 1999
Das Gespräch führten Jean-Martin Büttner und Walter Niederberger
Herr Blocher, Sie wirkten etwas fahrig bei Ihrem Ratsauftritt am Montagabend, als wären Sie nicht recht bei der Sache.
Blocher: Kein Wunder: Ich musste vorher den ganzen Tag lang den Anderen zuhören. Ich will hier niemandem zu nahe treten, aber: Mit diesen Europafragen schlage ich mich seit 15 Jahren herum, während die anderen immer nur ihre alte Platte laufen lassen, wonach wir zu Europa gehören und sie für die Öffnung eintreten und so weiter. Eine klare Analyse aber, wofür diese bilateralen Verträge letzten Endes gut sein sollen, habe ich nicht vernommen.
Sie halten die Verträge zwar für schlecht; besonders engagiert wirken Sie dabei nicht.
Blocher: Das ist wahr, aber so ist das immer wieder in der Politik - dass Sie etwas durchgehen lassen müssen, auch wenn Sie nicht davon überzeugt sind. Die Frage für mich ist: Wie schlecht dürfen diese Verträge sein? Wenn wir sie nämlich ablehnen und recht bekommen, muss derselbe Bundesrat, der dann selbstverständlich nicht zurücktreten wird, neue Verträge aushandeln. Bringt er dann bessere? Ich zweifle daran.
Er würde in einer solchen Situation doch gar keine besseren Verträge abschliessen können.
Blocher: Doch, davon bin ich überzeugt. Wenn der Bundesrat sein EU-Beitrittsgesuch zurückziehen und ohne Zeitdruck nochmals verhandeln würde, kämen garantiert bessere Verträge heraus. Bundesrat und Parlament haben die Schweizer Verhandlungsdelegation geschwächt. Aber das wäre auch im Wiederholungsfall so, und darum käme nichts Besseres dabei heraus.
Das kann doch nicht der einzige Grund für Ihre Zurückhaltung sein.
Blocher: Nein, es gibt noch andere. Zwei grosse Steine wurden aus dem Weg geräumt: Erstens sind die Einführung der Personenfreizügigkeit in sieben Jahren und die Osterweiterung der EU dem fakultativen Referendum unterstellt. Das gibt Sicherheit. Zweitens zeichnet sich ab, dass der Inlandverkehr durch die Bilateralen nicht diskriminiert wird. Wie das Ganze aber am Schluss herauskommt, bleibt offen. Deshalb werde ich erst am 8. Oktober, nach der Herbstsession entscheiden, ob ich die Verträge ablehne oder nicht. Es kann gut sein, dass ich zwar gegen die Verträge bin, aber selbst kein Referendum lanciere.
Wie schätzen Sie die Haltung Ihrer Partei in dieser Frage ein?
Blocher: Keine Partei allein schafft 50'000 Unterschriften in drei Monaten, das können Sie gleich vergessen. Also bleibt die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz, und auch die will erst das Resultat der Debatte abwarten.
Aber Ihre Auns, das wurde schon im Frühjahr deutlich, will das Referendum auf jeden Fall ergreifen. Geraten Sie da nicht in einen Konflikt mir Ihren grössten Fans?
Blocher: Natürlich wollen viele ein Referendum. Wenn ich anderer Meinung bin, muss ich sie halt überzeugen - auf die Gefahr hin, dabei zu unterliegen.
Aber es geht nicht nur darum, ob Sie das Referendum unterstützen, sondern auch wie. Und dabei wird deutlich spürbar, dass Sie dazu wenig Lust haben. Haben Sie Angst vor einer Abstimmungsniederlage?
Blocher: Nein; die Zurückhaltung hat mit dem Gewicht zu tun, das ich dieser Frage beimesse. Beim EWR habe ich einen Kolonialvertrag bekämpft, von dem ich wusste, dass er zwangsläufig in die EU führt. Heute stehen allenfalls innenpolitisch schlechte Verträge zur Diskussion. Es geht also um Innenpolitik, nicht um die Schweizer Souveränität. Mit derselben Leidenschaft und dem heiligen Zorn, der mich bei der EWR-Abstimmung begleitete, kann ich die Bilateralen nicht bekämpfen.
Was passiert Ihrer Meinung nach, wenn die Schweiz die Verträge ablehnt?
Blocher: Für die Schweizer Wirtschaft ist das keine Katastrophe. Die EU wird uns zunächst einmal schneiden, und wir werden erst einmal abwarten. Spätestens nach einem halben Jahr wird Brüssel verhandeln wollen, weil ja der Transitvertrag abläuft und die EU die Alpendurchfahrt braucht. Ausserdem sind wir als Kunde für die EU-Länder die Nummer zwei, nach den USA und vor Japan. Das ist doch eine exzellente Ausgangslage.
Aber die Verträge bringen unzweifelhafte Vorzüge für die Schweiz: In der Bildung und in der Forschung, für die Exportwirtschaft und speziell für Swissair, für die Schweizer Grenzregionen...
Blocher: Ich sehe gewisse Vorteile: Die Anerkennung von Schweizer Diplomen, die erleichterten Anstellungsbedingungen im Ausland. Von der Teilnahme an der europäischen Forschung halte ich dagegen nichts. Die nationale Forschung, das sagen auch Fachleute, ist weit wirkungsvoller ist als die europäische. Im Kern geht es immer darum, für die getroffenen Entscheide auch die Verantwortung zu übernehmen. Und wenn ein politischer Raum so gross ist wie die Europäische Union, muss niemand für Fehler gerade stehen.
Es gibt auch innenpolitische Gründe für Sie, die Bilateralen nicht zu torpedieren. Falls die Verträge nämlich durchkommen, haben Sie zunächst einmal Ruhe. Würden sie abgelehnt, käme sofort der Ruf nach einem EU-Beitritt.
Blocher: Das mögen Sie recht haben, aber der Ruf nach einem EU-Beitritt kommt sowieso, die Initiative ist ja hängig. Und die Zeit arbeitet für uns: Je länger wir der EU bei ihrer Entwicklung zuschauen können, desto weniger spricht für sie. Ich sage in jedem Fall eine massive Ablehnung des Beitrittsgesuchs voraus.
Die Europafreunde versuchen sich ja auch publizistisch zu profilieren; was halten Sie eigentlich von "Courage", dem europhilen Gratisblatt von vier pro-europäischen Schweizer Organisationen?
Blocher: Als das Projekt angekündigt wurde, bekam ich ein bisschen Angst: Noch mehr Europa-Propaganda? Jetzt, nach vier Nummern, kann ich nur sagen: Hoffentlich wird dieses Heft noch möglichst lange verteilt. Wer einen derartigen Mist unter die Leute bringt, nützt nur seinem Gegner - also uns.
23.08.1999
Interview im Bündner Tagblatt vom 23. August 1999
Reisserische Plakate für die Asylmissbrauchs-Initiative und nun die "Goldinitiative": Die SVP steht wieder einmal rechtzeitig zu den Wahlen im Rampenlicht...
Christoph Blocher: Dass die beiden Initiativen jetzt aktuell werden, ist ein glücklicher Zufall. Andererseits werden damit jene Probleme angesprochen, die vom neuen Parlament gelöst werden müssen: Unser Verhältnis zur EU, eine bessere Bewirtschaftung der Steuergelder und der Asylmissbrauch.
Bei der "Goldinitiative" wird Ihnen Augenwischerei vorgeworfen, die Löcher in der AHV-Kasse liessen sich damit nicht stopfen.
Blocher: Wenn jemand sagt, 20 Milliarden Franken seien nichts, dann kann ich nur den Kopf schütteln. Natürlich löst man damit nicht alle Probleme der AHV. Aber die Renten werden sicherer und es braucht weniger Mehrwertsteuerprozente. Und von dieser Entlastung profitiert jeder einzelne.
Und bei der Asyl-Initiative sind selbst SVPler schockiert über die reisserischen Plakate.
Blocher: Es veranschaulicht die heutige Situation. Hoher Asylmissbrauch und erst noch oft zu kriminellen Zwecken. Für die Polizei wird die Belastung immer grösser. Und die Bevölkerung ist nicht mehr bereit, dies alles zu dulden. Nachdem Bundesrat und Parlament nicht handeln wollten, mussten wir einfach eingreifen. Die Kampagne ist übrigens sehr erfolgreich: Wie anders ist es zu erklären, dass nun auch die SP und die FDP ihre Plakate mit einem Schweizerkreuz schmücken? Das hätte bis vor kurzer Zeit niemand geglaubt!
Der böse Mann auf den SVP-Plakaten ist in Chur durch ein Bild von Christoph Blocher ersetzt worden. Für die Macher scheinen Sie zu einer Bedrohung geworden. Tut Ihnen das im tiefen Herzen weh?
Blocher: Nein. Alle wissen, dass ich kein Gangster bin. Wer diesen Gangster also durch mich ersetzt hat, lügt, und das wird vom Volk nicht honoriert. Mit dieser plumpen Aktion haben die Urheber das Gegenteil erreicht: Unsere Kampagne hat eine noch grössere Beachtung gefunden.
Die Politik nimmt sie derzeit sehr stark in Anspruch. Bleibt da Zeit für Ems-Chemie?
Blocher: Für die Politik wende ich immer etwa gleich viel Zeit auf. Ich bin jedes Jahr politisch aktiv, so dass sich in einem Wahljahr für mich keine zusätzlichen Aktivitäten aufdrängen. Ich mache beispielsweise für mich keine Wahlveranstaltungen. Also habe ich auch stets genügend Zeit, um die Ems-Chemie zu leiten.
Trotzdem haben Sie sich von den Aktionären nur für ein weiteres Jahr wählen lassen.
Blocher: Wir möchten die Struktur des Verwaltungsrates bis zur nächsten Generalversammlung generell überprüfen, da braucht es für mich keinen Extrazug. Deshalb habe ich auch mich vorerst nur für ein Jahr bestätigen lassen.
Welche Bedeutung wird dem Werkplatz Domat/Ems in 10 bis 20 Jahren zukommen?
Blocher: Wenn die Politiker keinen Blödsinn machen, wird der Werkplatz Domat/Ems auch in Zukunft gute Chancen haben. Unsere Leute arbeiten sehr erfolgreich und haben starke Produkte. Doch auch die Konkurrenz schläft nicht. Unser Hauptproblem ist die immer höhere Energiebelastung. Wer nach Amerika und China exportieren will, muss mit diesen Staaten mithalten können, also möglichst tiefe Produktionskosten aufweisen.
12.08.1999
Interview in der Basler Zeitung vom 12. August 1999
In der obersten Konzernleitung der fusionierten Alcan, Pechinay und Algroup (A.P.A.) fehlen Schweizer. Algroup-Vizepräsident Christoph Blocher aber ortet Ausgleich im Verwaltungsrat, wo mit Martin Ebner und Sergio Marchionne zwei starke Algroup-Vertreter Einsitz nehmen. Er und Martin Ebner dürften bei der A.P.A. wahrscheinlich die beiden grössten Aktionäre bleiben.
Basler Zeitung: Als Politiker betonen Sie die schweizerische Eigenständigkeit und Tradition. Als Unternehmer helfen Sie mit, einen Schweizer Traditionskonzern nach Kanada zu verkaufen.
Blocher: Beides geschieht aus den genau gleichen Beweggründen. Ich betone die schweizerische Eigenständigkeit und bin dagegen, dass man die Schweiz in internationale Organisationen einbindet, weil es den Schweizern dann schlechter ginge. Wir hätten mehr Arbeitslosigkeit und müssten mehr Steuern bezahlen. Wir könnten über unser Schicksal schlechter bestimmen. Wir würden in internationale Streitereien miteinbezogen. Den Schweizern würde es schlechter gehen. Im Fall der Aluminium- und Verpackungsaktivitäten der Alusuisse hat man allein keine Chance für die Zukunft. Der Beweggrund ist auch hier die Stärkung des Konzerns und der Arbeitsplätze. Die Fusion ist nötig, damit es den Alusuisse-Betrieben besser geht. Alusuisse wird nicht nach Kanada verkauft. Die heutigen Eigentümer der Alusuisse besitzen 27% des neuen Konzerns. Das ist nicht nichts.
Sie unterscheiden also zwischen Politik und Wirtschaft?
Blocher: Nein. Bei gleichem Beweggrund zwei verschiedene Massnahmen: Es geht bei beidem um die Stärkung, um die politische Stärkung der Schweiz durch Selbständigkeit und um die wirtschaftliche Stärkung der Alusuisse durch Fusion.
Was war der entscheidende Beweggrund für die Fusion?
Blocher: Es war von Anfang an klar, dass die Alusuisse namentlich im Bereich Aluminium und Verpackung zu klein ist, um auf die Dauer eine wichtige Rolle zu spielen. Das war auch der Grund, warum der frühere Verwaltungsrat eine Fusion mit der Viag anstrebte - die dann nicht zustande kam. Die suboptimale Grösse ist auch jetzt der Beweggrund, weshalb die Fusion des Aluminium- und Verpackungsteils mit der Alcan und der Pechinay zustande gekommen ist. Dies entspricht der Stärkung der Alusuisse.
Und der Gedanke, bei diesem Handel auch etwas verdienen zu können?
Blocher: Selbstverständlich sinkt der Wert der Firma, und sie geht sogar zugrunde, wenn man im Unternehmen etwas Falsches tut, dann gehen das Geld der Aktionäre und die Stellen der Arbeitnehmer verloren. Wenn Sie etwas Richtiges tun, dann nimmt der Wert der Firma zu. Dann verdienen die Aktionäre und die Arbeitsplätze werden gestärkt. Das ist auch in diesem Falle so.
04.07.1999
Mein Streitgespräch mit Bundesrat Pascal Couchepin in der SonntagsZeitung vom 4. Juli 1999
Interview: Andreas Durisch, Othmar von Matt
Herr Bundesrat Couchepin, was ist Ihr Hauptvorwurf an Herrn Blocher?
Pascal Couchepin: Zunächst möchte ich Sie im Bundeshaus herzlich willkommen heissen.
Christoph Blocher: Vielen Dank. Es ist ja schliesslich Volksbesitz.
Couchepin: Zu Ihrer Frage: Herr Blocher provoziert in seinen Reden fast immer negative Emotionen. Das ist mein Hauptvorwurf. Dadurch stellt man in der Schweiz Folgendes fest: eine sinkende Toleranzgrenze und gleichzeitig eine sinkende Qualität des politischen Dialogs und der politischen Kultur. Ein sehr deutliches Beispiel dafür ist die Absicht, mit einer Initiative Regierung und Parlament institutionell von der Debatte über Initiativen auszuschliessen.
Blocher: Mit diesen Vorwürfen kann ich nichts anfangen. Diese Initiative ist nicht für die Politik, aber vielleicht für die Politik des Bundesrates negativ.
Couchepin: Ich kann das erklären.
Blocher: Ich auch. Wofür habe ich mich in den letzten Jahren eingesetzt? Für eine souveräne Schweiz, für ein Land, das die Zukunft selbst bestimmen kann. Deshalb bin ich gegen einen Beitritt der Schweiz zur EU. Für den Bundesrat ist dies natürlich eine negative Emotion, weil er der EU beitreten möchte. Er kann es nicht ertragen, dass in diesem Land jemand so entschieden eine andere Meinung vertritt. Weshalb meine Politik negativ sein soll, kann ich nicht sehen. Richtig ist allerdings, dass ich hin und wieder provoziere.
Couchepin: Man kann Ihre Ziele teilen oder nicht. Das ist Teil der normalen politischen Debatte. Man kann für Europa sein oder gegen den EU-Beitritt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Gravierend ist allerdings Ihr Stil. Mit Ihrer konstanten Feindseligkeit provozieren Sie Emotionen. Gegen Brüssel etwa. Als ob Brüssel ein Feind der Schweiz wäre. Diese Provokationen dürften zwar Teil Ihres Erfolgsrezeptes sein - für die Schweiz allerdings stellen sie eine Gefahr dar. Sie sehen die Welt nur in Freunden und Feinden. Wer Ihre Meinung nicht teilt, ist praktisch ein Verräter. So schaffen Sie negative Emotionen. Über das Ziel kann man diskutieren. Aber die Mittel, die Sie benutzen, zerstören letztlich das eigentliche Ziel.
Blocher: Jetzt sind wir wieder bei der berühmten Stildiskussion.
Couchepin: Es geht um mehr. Der Stil zeigt den Menschen.
Blocher: Diese Diskussion kenne ich. Auf Ihrer Seite reagiert man auf Widerspruch sehr empfindlich. Ich spreche dabei nicht von Feinden, sondern von Gegnern. Das ist nicht dasselbe. Politik lebt von dieser Auseinandersetzung. Ich kritisiere die Politik des Bundesrats, weil dies Teil meiner Aufgabe ist. Ich wurde gewählt, dass ich meine Politik vertrete. Damit muss sich der Bundesrat wenigstens argumentativ verteidigen, kann nicht lediglich entgegnen: «L'état c'est moi.» Blocher darf nichts sagen; Vive le roi! Immer stärker ist beim Bundesrat eine pseudomonarchische Stimmung festzustellen. Man darf zwar grundsätzlich gegen höhere Steuerabgaben und Gebühren sein - aber man darf diejenigen nicht nennen, die sie dauernd erhöhen.
Couchepin: Nochmals, mein Vorwurf bezieht sich nicht auf Ihre Ziele. Mit Ihrer Sprachregelung, dem Freund-Feind-Konzept, richten Sie allerdings den Dialog und die Demokratie vollständig zu Grunde. Das ist eine Tatsache.
Blocher: Also bin ich der Feind der Administration. Blocher ist gefährlich.
Couchepin: Nein. Die Initiative ist sehr gefährlich. Persönlich glaube ich übrigens, dass Sie diese Initiative eher zufällig unterschrieben haben. Sie haben sich wohl gesagt: Die Initiative wäre noch etwas, rechneten allerdings nicht mit diesem Echo. Aber damit wurde eine Grenze überschritten, die weit über den bisherigen Stil hinausgeht. Man will demokratisch gewählten Institutionen - Bundesrat und Parlament - verbieten, sich zu einer Initiative zu äussern. Die Demokratie ist aber ein fragiles politisches Ökosystem, dessen Gleichgewicht man erhalten muss. Geht man mit Gewalt gegen ein solches System vor und nimmt ihm gewisse Elemente weg, dann ist das ganze Gefüge in Gefahr. Die Initiative ist deshalb extrem gefährlich, weil sie das Gleichgewicht der Demokratie bricht.
Ist es der erste Schritt zu einem Staatsstreich?
Couchepin: Diese Frage könnte man erst im Nachhinein beurteilen. Man hat die Initiative in den letzten Tagen mit verschiedenen Gesetzen aus dem Jahre 1933 verglichen. Ich finde Vergleiche mit einer so tragischen Zeit nicht gut. Die Geschichte lehrt uns allerdings: Leute wie Sie, Herr Blocher, haben immer gesagt, der erste Schritt sei völlig ungefährlich. Man verstehe sie miss. Sie wollten genau das Gegenteil dessen, was man nun behaupte. Diese Worte haben eine zersetzende Wirkung. Jemand sagte mir: Wenn ihr die Initiative bekämpft, dann bekommt sie erst recht Gewicht. Das ist mir egal. Ich will, dass die Leute von Beginn an wissen, was sie allenfalls unterschreiben. Ich sage ihnen lediglich: Die Behörden und der Bundesrat finden die Initiative schlecht. Wir eröffnen keine Hexenjagd. Nur müssen die Leute wissen, was ihre Unterschrift bedeutet.
Blocher: Diese Initiative, die verlangt, dass künftig Volksinitiativen innert 6 Monaten zur Abstimmung gebracht werden müssen, verbietet es Bundesrat und Parlament nicht, Stellung zu beziehen. Offenbar hat der Bundesrat den Initiativtext nicht einmal gelesen, sondern nur das Inserat. Die Initiative sagt, es bedarf keiner Stellungnahme; selbstverständlich kann der Bundesrat Stellung nehmen. Es ist eine anerkannte Tatsache, dass Volksinitiativen in Bern lange «herumgeteiggt» werden, im Schnitt etwa vier Jahre. Man taktiert, um das Begehren vom Tisch zu bringen, oder wartet den günstigsten Zeitpunkt ab. Ein Beispiel: Warum konnte man die Initiative für den EU-Beitritt, die von meinen Gegnern stammt, nicht nach einem Jahr zur Abstimmung bringen? Weil man weiss, dass das Volk diese Initiative ablehnen würde. Also sucht man irgendeinen günstigen Zeitpunkt. Das aber ist ein Missbrauch. Erschreckend ist die Reaktion des Bundesrates. Vor allem der Vergleich mit dem deutschen Ermächtigungsgesetz von 1933. Dieses wollte genau das Gegenteil, nämlich die uneingeschränkte Macht der Regierung. Ob dieser Vergleich tatsächlich aus dem Bundesrat stammt, weiss ich nicht.
Herr Couchepin, war dieser Vergleich im Gesamtbundesrat ein Thema?
Couchepin: Die Initiative wurde kurz diskutiert. Wir waren alle der Meinung, dass es sich um eine gefährliche Initiative handelt.
Blocher: Wenn man dieser Initiative einen Vorwurf machen kann, dann vielleicht den, dass sie der Verwaltung etwas weniger Macht gibt. Das mag für den Bundesrat gefährlich sein, nicht aber für das Land. Dass der Bundesrat glaubt, dem Volk sagen zu müssen, welche Volksinitiativen es unterschreiben soll und welche nicht, ist eine unglaubliche Verachtung der Mündigkeit des Bürgers. Und ich, der an diese Mündigkeit glaubt, werde als gefährlich bezeichnet. Ich habe jedenfalls noch nie gesagt, Herr Couchepin sei mein Feind, er sei gefährlich. Das wäre schlechter Stil.
Couchepin: Ich sagte lediglich, die Initiative sei gefährlich. Die direkte Demokratie funktioniert auf der Basis eines Informations- und Argumentationsaustausches. Es ist eine Art politischer Marktplatz. Was bleibt, wenn Bundesrat und Parlament nicht mehr Stellung nehmen können? Es erhalten jene die Macht, welche die finanzielle Potenz haben, die Medien mit politischer Werbung vollzustopfen. Deshalb limitieren Sie mit dieser Initiative die Möglichkeit des Volkes, die Informationen zu erhalten, die es wünscht. Es ist eine antidemokratische Initiative.
Sehen Sie hier totalitäre Tendenzen?
Couchepin: Zumindest wird das demokratische Ökosystem in Frage gestellt.
Blocher: Ich freue mich ausserordentlich, dass der Bundesrat plötzlich zum Verfechter der direkten Demokratie geworden ist. Dahinter verbirgt sich allerdings etwas anderes.
Couchepin: (unterbricht energisch) Sie sprechen mitten in einem Gespräch davon, dass ich irgendetwas verberge. Das ist genau der Stil, gegen den ich protestiere! Nehmen Sie meine Worte einfach so, wie ich sie sage.
Blocher: (unterbricht) Sie haben mir doch genau dasselbe vorgeworfen.
Couchepin: Nein. Ich spreche nur von den objektiven Zielen der Initiative. Ich werfe Ihnen persönlich keine diktatorischen Ambitionen vor.
Blocher: Ein Blick zurück zeigt, wie ernst der Bundesrat diese direkte Demokratie nimmt. Ein Beispiel: Am 5. März 1997 hat Arnold Koller verkündet, der Bundesrat wolle eine Solidaritätsstiftung schaffen. Koller hat ausdrücklich versichert, es brauche dafür einen eigenen Verfassungsartikel: Volk und Stände könnten darüber abstimmen. Inzwischen behauptet man im Bundesrat, man könne die Stiftung auch lediglich durch ein Gesetz einführen.
Couchepin: Sie werfen uns vor, verfassungswidrig zu handeln?
Blocher: Wenn Sie dies tun: Ja!
Couchepin: Mit welchem Recht? Wer, wenn nicht der Bundesrat, respektiert die Verfassung? Wollen Sie etwa sagen: Ich, Christoph Blocher, bin die Verfassung, das Volk und noch dazu das Parlament?
Blocher: Im Verfassungsartikel, den das Parlament mit dem Währungsartikel zu Fall brachte, stand rein formell, dass das Gesetz bestimmt, wie die Reserven der Nationalbank verteilt werden - damit Volk und Stände materiell wieder nichts zu sagen gehabt hätten.
Couchepin: War dies etwa kein neuer Verfassungsartikel?
Blocher: Aber nicht ein Verfassungsartikel, der gesagt hätte, wie die Goldreserven aufgeteilt werden müssen.
Herr Blocher, 1995 haben Sie, Ueli Maurer und Toni Bortoluzzi im Parlament dafür gestimmt, dass die Armee-Halbierungs-Initiative dem Volk gar nicht erst vorgelegt wurde.
Couchepin: Als Parlamentarier sind wir leider dazu verpflichtet, die Rechtsgültigkeit von Initiativen wie Richter zu entscheiden. 1995 lag dem Bundesrat ein Gutachten vor, das besagte, die Armee-Halbierungs-Initiative sei nicht rechtsgültig. Deshalb habe ich für die Rechtsungültigkeit gestimmt.
Damit haben Sie sich für das Gegenteil dessen eingesetzt, was Sie heute fordern.
Blocher: Nein. Wenn ich als Parlamentarier über die Rechtsgültigkeit entscheiden muss, dann muss ich entscheiden. Genau das will unsere Volksinitiative: dass wir Parlamentarier dies nicht entscheiden. Wir sind doch keine Richter.
Couchepin: Sie wollen die Prüfung der Rechtmässigkeit abschaffen?
Blocher: Ja.
Couchepin: Dann entfernen wir uns definitiv vom Rechtsstaat. Das heisst: Sie wollen nicht nur den demokratischen Dialog aufheben, sondern auch noch verhindern, dass die Rechtsgültigkeit von Initiativen diskutiert wird. Sie versuchen, über diese Volksinitiative ganz einfach konzentrierte Macht zu erlangen, in der Dialog und Information keine Rolle mehr spielen.
Blocher: Nein, Herr Couchepin, das Volk entscheidet darüber. Sie können mir zehnmal unterschieben, dies und jenes sei «exclu», verboten, ausgeschlossen. Der Initiativtext ist klar.
Herr Couchepin, bietet diese Initiative der FDP vier Monate vor dem Wahlkampf eine gute Gelegenheit, sich von der immer mächtigeren SVP zu distanzieren?
Couchepin: Ich gehöre jener Partei an, welche diesen Staat gegründet und sein demokratisches System aufgebaut hat…
Blocher: (unterbricht) Wir waren auch dabei.
Couchepin: Aber sicher. Wir waren die Architekten, und Sie haben mitgemacht. Vorausgesetzt, Ihre Vorfahren waren Freisinnige.
Blocher: Natürlich. Die Freisinnigen sind unsere Grossväter (lacht).
Couchepin: Meine Partei verteidigt das demokratische System aus Berufung. Was nun Christoph Blocher betrifft: Seine Absichten kann ich nicht einschätzen, da ich weder Psychoanalytiker noch Pfarrer bin. Ich stelle allerdings fest, dass er in eine für die Demokratie sehr gefährliche Richtung geht mit dieser Initiative. Deshalb bekämpfe ich sie. Nun möchte ich Ihnen aber noch eine Frage stellen, Herr Blocher. In einigen Monaten stimmen wir wahrscheinlich über die bilateralen Verträge ab. Sagen Sie Ja oder Nein zu diesen Verträgen? Warum erklären Sie sich nicht?
Blocher: Ich entscheide mich dann, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Herr Blocher, die Bevölkerung würde aber von Ihnen auch gerne hören, ob Sie für oder gegen die bilateralen Verträge sind.
Blocher: Warten Sie ab. Sie werden meine Haltung noch zu hören bekommen. Meine Antwort ist klar: Ich finde die Verträge schlecht. Ob man das Referendum ergreift, hängt von den Zusatzbedingungen ab, die das Parlament genehmigt oder ablehnt. Ich entscheide, wenn ich die Konsequenzen sehe - nach einer sorgfältigen Abwägung. Das dürfte zwischen August und Oktober sein, also vor den Wahlen.
Die Meinungsverschiedenheiten, die sich in diesem Gespräch zeigen, sind beträchtlich. Herr Couchepin, muss die SVP in die Opposition?
Couchepin: Dies ist das grosse Problem von Herrn Blocher. Er ist der eigentliche Chef einer Partei, die zwar eine Oppositionsrolle ausübt, gleichzeitig aber in der Regierung bleiben will. Dieses Doppelspiel, Herr Blocher, können Sie nicht permanent spielen.
Blocher: Die Sache ist klar: Ich bin gewählter Parlamentarier und Mitglied einer Partei, die ein sehr konkretes Programm hat. Wir nehmen dieses Programm ernst und wollen es durchsetzen. Wir sind im Bundesrat vertreten. Doch das verpflichtet uns nicht, stets gleicher Meinung wie der Bundesrat zu sein. Wir leben in einem Land der direkten Demokratie, dessen Regierung aus vier Parteien gebildet ist. Alle Parteien haben schon gegen den Gesamtbundesrat gestimmt. Erst kürzlich bei der Mutterschafts-Versicherung zum Glück auch die FDP. In der direkten Demokratie ist jede Partei Oppositions- und Regierungspartei. Ich weiss allerdings, was hinter diesen Gedanken steckt.
Couchepin: Sicher kennen Sie auch schon die Antwort.
Blocher: Warten Sie ab. Ich sage immer: Jede Partei muss stets dazu bereit sein mitzuregieren. Man darf nicht freiwillig in die Opposition gehen. Werden wir allerdings von den Freisinnigen zusammen mit den Sozialisten aus der
Regierung geworfen, müssen wir auch dazu bereit sein.
Couchepin: Alle Ausführungen, die Sie in diesem Gespräch gemacht haben, waren oppositioneller Natur, Herr Blocher. Mit Aggressionen gegen den Bundesrat und mit der Anklage, er respektiere die Verfassung nicht. Sie sprechen die Sprache eines Oppositionsführers, die weit über die sektorielle Opposition hinausgeht, wie sie bei allen Parteien vorkommt. Übt eine Partei permanent Opposition aus und bekämpft - wie mit dieser Initiative - permanent den Bundesrat, muss sich diese Partei fragen: Wo haben wir unsere ehrliche Position? Können wir den Oppositionsdiskurs weiterführen, gleichzeitig aber von der Macht profitieren? Diese Doppelzüngigkeit wiegt schwer.
Blocher: Herr Bundesrat, Sie sassen heute für eine Diskussion mit mir an denselben Tisch. Dass ich Sie dabei nicht loben würde, war ja klar. Sässe hier allerdings ein Sozialist…
Couchepin: (unterbricht energisch) Ich würde gegen ihn antreten. Kein Zweifel.
Blocher: Dann wären wir ja plötzlich auf der gleichen Seite. Allerdings nur, wenn Sie nicht sozialistisch sind.
Couchepin: (lacht) Das können Sie selber beurteilen.
Herr Blocher, können Sie mit Adolf Ogi als Ihrem Vertreter im Bundesrat überhaupt noch leben?
Blocher: In der Wirtschafts- und Steuerpolitik ist Herr Ogi für uns ein sicherer Wert. In der zentralen Frage der Unabhängigkeit, der Neutralität und der Landesverteidigung haben wir tatsächlich grosse Differenzen.
Entscheidende Differenzen?
Blocher: Entscheidende Differenzen. Es sind dieselben Differenzen, welche die SP mit Bundesrat Otto Stich hatte. Herr Stich war gegen den EU-Beitritt und gegen den EWR, die SP flammend dafür.
Couchepin: Nein, das stimmt nicht. Herr Stich hat sich nie gegen den EWR ausgedrückt. Er war immer loyal.
Blocher: Auch Herr Ogi ist loyal. Der Bundesrat muss sich einfach über eines im Klaren sein: Die Regierung wird nicht aus vier Parteien gebildet, weil alle Parteien gleicher Meinung, sondern obwohl alle verschiedener Meinung sind.
Couchepin: Es gibt zwei Dinge, die man von einer Regierungspartei erwarten darf. Erstens: dass sie nicht systematisch Oppositionspolitik betreibt. Das tun Sie aber …
Blocher: …wir betreiben keine systematische Opposition…
Couchepin: …Ihre Opposition ist systematisch. Zweitens darf man erwarten, dass ein Bundesrat von seiner Regierungspartei mit seinen Vorschlägen nicht konstant im Stich gelassen wird. Die SVP hat aber Herrn Ogi in letzter Zeit bei all seinen Vorstössen attackiert. Letztlich geht es also um eine Frage der doppelten Zweideutigkeit: Sie sind mit Ihrer SVP in der Opposition und wollen doch an der Macht teilhaben. Zudem widerspricht Ihre Meinung fundamental jener Ihres Bundesrates. Und dennoch sagen Sie: Ich will Adolf Ogi im Bundesrat behalten.
Blocher: Dann müssen Sie uns aus dem Bundesrat werfen.
Couchepin: Es geht um eine Frage der Redlichkeit auf Ihrer Seite.
Blocher: Eine Partei in der Opposition könnte innerhalb von vier Jahren grosse Erfolge feiern. Das weiss ich. Trotzdem betone ich immer: Wir müssen in der Regierung mitwirken, aber in den zentralen Positionen fest bleiben. Denn in einer Konkordanz-Regierung fehlt die Opposition. Sie ist aber für eine Regierung wichtig. In den Siebziger- und Achtzigerjahren bildete die Presse die Opposition. Damals hatten wir eine Mitte-rechts-Regierung, und die Journalisten waren, wie übrigens heute noch, mehrheitlich Mitte-links. Heute ist das leider nicht mehr so. Presse, Parlament und Bundesrat bilden heute in den wichtigen Fragen eine Koalition. Deshalb sehe ich die Opposition in den wichtigen Fragen - Unabhängigkeit, Steuerklima, Asylpolitik - als meine Aufgabe.
Couchepin: Noch einmal: Letztlich ist es eine Frage der Ehrlichkeit. In den letzten drei Jahren war die SVP siebenmal gegen wichtige Vorlagen der Regierung - und dabei habt ihr fünfmal verloren.
Blocher: Ich habe die Niederlagen nicht gezählt.
Couchepin: Manchmal deutet die Zahl auch auf die Qualität hin. Wer sich gegen alle grossen Projekte einer Regierung stellt, muss sich fragen, ob er noch - konstruktiv und lösungsorientiert - in dieser Regierung mitarbeiten kann. Oder ob er schlicht und einfach ein Profiteur von Opposition und Macht ist.
Herr Blocher, im Herbst wird die SVP sehr wahrscheinlich Wahlsiegerin sein. Können Sie dann noch akzeptieren, in der Regierung mit nur einem Bundesrat vertreten zu sein, der nicht einmal Ihre Linie vertritt?
Blocher: Darüber zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Würde die SVP im Herbst Bundesratsparteien mit zwei Bundesräten tatsächlich überholen, müssten wir bereit sein, mit zwei Bundesräten anzutreten. Das ist meine persönliche Meinung. Was wird dann geschehen? Der wahrscheinlichste Fall ist, dass kein zweiter SVP-Vertreter in den Bundesrat gewählt wird. Das Parlament wählt heute lieber einen Kommunisten als einen SVPler. Aber Herrn Ogi wird das Parlament wahrscheinlich wieder wählen.
Couchepin: Wird die SVP ihn denn zur Wiederwahl empfehlen?
Blocher: Davon bin ich überzeugt.
Das heisst: Die SVP ist zufrieden mit Ogi?
Blocher: Wir sind Realisten. Nicht zufrieden mit ihm sind wir in den zentralen Positionen Neutralität und Souveränität. Hier besteht ein offener Konflikt, den wir auch darlegen dürfen. Das Parlament würde heute aber keinen SVP-Vertreter wählen, der gegen den EU-Beitritt ist.
Couchepin: Sie sind also bereit, alle Opfer zu bringen, nur um in der Regierung zu bleiben? Um Macht zu haben?
Blocher: Es geht nicht um Macht.
Couchepin: Um was sonst?
Blocher: Um eine bessere Politik. Wären wir in der Opposition, müssten wir in allen Fragen systematisch Opposition betreiben. Das tun wir heute nicht.
Couchepin: Sie wollen kein Oppositionssystem?
Blocher: Es wäre wahrscheinlich besser, wenn jene Parteien eine Regierung bilden würden, welche die grössten Übereinstimmungen haben. Das ist meine persönliche Meinung. Heute ist die Konkordanz degeneriert. Man wählt Parteivertreter, die möglichst nicht die Parteimeinung vertreten, und klagt nachher darüber, dass Differenzen bestehen. Und wenn Sie, Herr Couchepin, glauben, mit der SP besser regieren zu können als mit der SVP - tun Sie das!
Couchepin: Es liegt an Ihnen, das zu entscheiden. Sie betonen immer, Neutralität und der EU-Beitritt seien die Hauptfragen dieses Landes. Das denke ich auch.
Blocher: Hier haben wir auch die Hauptdifferenzen.
Couchepin: Sie haben hier allerdings auch die Hauptdifferenzen mit Ihrem eigenen Bundesrat - und sagen trotzdem: Das geht gut. Weshalb haben Sie ein so grosses Interesse daran, in der Regierung vertreten zu sein? Zu guter Letzt geht es doch um eine rein opportunistische Politik.
Blocher: Schön, das ausgerechnet aus Ihrem Munde zu hören!
Couchepin: Wer mit dem Anspruch antritt, sein Programm durchzusetzen, in den Hauptfragen mit seinem Bundesrat aber nicht einverstanden ist, kann nicht mehr im Ernst behaupten, er wolle sein Programm wirklich durchsetzen.
Blocher: Natürlich. Die Frage ist: Setzen wir das Programm besser durch, wenn Herr Ogi in der Regierung sitzt - oder wenn kein SVP-Vertreter in der Regierung sitzt?
Herr Couchepin, was sagen Sie nun Franz Steinegger, Ihrem Parteipräsidenten? Soll die FDP im Herbst noch Listenverbindungen mit der SVP eingehen?
Couchepin: Die Diskussion von heute ist sehr wichtig. Sie erlaubt uns zu beurteilen, ob Herr Blocher und seine Vertreter bereit sind, eine problemlösungsorientierte Politik zu betreiben. Und ob sie einverstanden sind, ihre politischen Gegner zu respektieren - und wie ihre Haltungen gegenüber der Regierung aussehen.
Zu welchem Schluss kommen Sie nach diesem Gespräch?
Couchepin: Ich bin Bundesrat. Aber ich würde Herrn Steinegger raten, dass die FDP-Kantonalparteien in jedem Kanton beurteilen sollen, ob allfällige SVP-Verbündete eine positive Haltung haben oder nicht.
Blocher: In Zürich dürfte die FDP also keine Listenverbindung mit der SVP eingehen?
Couchepin: Es ist Sache der Kantonalparteien, dies zu entscheiden. Ich entscheide weder für Zürich noch für Herrn Steinegger.
Die Differenzen, die sichtbar werden, stimmen aber insgesamt nachdenklich?
Couchepin: Natürlich sind diese Differenzen bedenklich.
Blocher: Ich finde sie nicht bedenklich. Aber es ist typisch, dass der Bundesrat sie als bedenklich beurteilt. Zu Ihren Bedingungen einer Regierungsbeteiligung, Herr Couchepin: Ich werde weiterhin Respekt vor den Aufgaben und dem Auftrag der Regierung, der Verwaltung, des Parlamentes und des Souveräns haben. Wie bisher.
Couchepin: Wie bisher? Das sind zwei Worte zu viel.
Blocher: Ich hatte bisher Respekt und werde ihn weiterhin haben.
Couchepin: «Wie bisher», das ist zu viel.
Blocher: Ich kenne meine eigene Meinung besser als Sie.
Couchepin: Ich beobachte Sie von aussen.
Blocher: Gewisse Bundesräte ertragen Kritik nicht, weil sie glauben, «L'état, c'est moi!».
Damit sprechen Sie Herrn Couchepin an?
Blocher: Das würde ich sagen. Die Töne, die ich dieser Tage von ihm gehört habe, sind für mich ein Zeichen dafür, dass ihm der Respekt vor der eigenen Aufgabe fehlt. Für uns gilt: In der Frage der Souveränität der Schweiz, der Steuersenkungen und im Kampf gegen den Asylmissbrauch werden wir, ob in der Regierung oder nicht, keine Konzessionen machen. Und ich werde, wie Sie das gefordert haben, Herr Couchepin, problemorientiert sein bis zum Letzten.
Couchepin: Ich sprach von Lösungsorientierung. In all diesen von Ihnen angesprochenen Punkten sieht der Bundesrat Lösungen vor.
Blocher: Zuerst muss man die Probleme erfassen, bevor man sie lösen kann.
Couchepin: Aber Sie schaffen die Probleme und wecken negative Emotionen, bis keine Lösungen mehr möglich sind. Das ist die Schwäche Ihrer ganzen Argumentation.
Blocher: Ich habe zu all diesen Fragen Lösungen. Oft allerdings andere als Sie.
Couchepin: Sie bieten für diese pluralistische Gesellschaft keine realistischen politischen Lösungen an.
Blocher: Das ist eine Behauptung.
Couchepin: Natürlich, das ist eine politische Behauptung.