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16.12.2007

Obstruktionspolitik mach ich nicht. Blockaden führen zum Scherbenhaufen

Oppositions-Leader CHRISTOPH BLOCHER über die zukünftige Politik der SVP, nicht ausgeteilte Ohrfeigen im Bundesrat, Abweichler und die Erleichterung seiner Frau Silvia 16.12.2007, SonntagsZeitung, Denis von Burg und Oliver Zihlmann Herr Bundesrat Blocher, Ihre Gegnerwerfen Ihnen undemokratische Machtansprüche vor. Deshalb habe man Sie aus der Regierung gewählt. Ich war ein ausgesprochen integrierter Bundesrat. Ich habe mich eingebracht in diesen Bundesrat wie wahrscheinlich kaum je ein Bundesrat. Aber ich habe mich nicht integriert, in dem ich allen anderen am Tisch immer Recht gegeben habe. Ich habe nie jemanden persönlich angegriffen. Auch wenn mich andere in der Öffentlichkeit verletzt haben. Ich habe im Bundesrat nicht durch einen Kraftakt dominiert, sondern durch meine Überzeugung, durch meine Arbeitskraft und durch gut durchdachte Vorlagen. Bundesrätin Calmy-Rey hat nach Ihrer Abwahl gesagt, die Schweiz erträgt keinen Bundesrat, in dem einer dominiert. Ich wurde abgewählt, weil die SVP die Wahlen gewonnen hat, Die Wahlen haben wir unter anderem gewonnen, weil die Gegner mich ständig diffamierten, und die SVP dann mit „Blocher stärken - SVP wählen“ für sich warb. Jetzt widersprechen Sie sich. Sind Sie jetzt wegen Ihrer unternehmerischen Art zu regieren abgewählt worden? Oder wegen Ihrer Linie? Können Sie das trennen? Die Übereinstimmung meines Gedankengutes mit dem der SVP ist gross, weil ich seit 30 Jahren diese Partei wesentlich mitgeprägt habe. Die Partei hat dank dieser erfolgreichen Politik und dieser Linie bei den Wahlen 07 nochmals zugelegt. Am letzten Mittwoch ist dieser vom Volk honorierte Kurs vom Parlament missachtet worden. Das hätte die Partei verhindern können, wenn sie einen Linientreuen SVPLer wie Caspar Baader oder Adrian Amstutz an Ihrer Stelle zur Wahl vorgeschlagen hätte. Solche Optionen haben wir besprochen und verworfen. Die anderen Parteien wollten eine Seitenlinie der SVP - die SVP ist ihnen zu volksnah und zu erfolgreich. Wenn es nur um die Linie geht, warum nicht den provokativen Stil ändern? Ist es beispielsweise für den Erfolg der SVP nötig, den Sinn der Antirassismus-Strafnorm ausgerechnet in der Türkei zu hinterfragen? Provokation ist hie und da ein wichtiges Führungsmittel. In diesem Fall war es nötig und nützlich. Dass ich die Antirassismus-Strafnorm anschauen wolle, habe ich in der Schweiz zuvor bereits mehrmals gesagt. Es wurde aber nicht zur Kenntnis genommen. Provokationen sind manchmal notwendig, damit Probleme auf den Tisch kommen. Aber Ihr provokativer Stil war Letztlich ein Grund für Ihre Abwahl. Und er verhindert Ihren Vertretern bei Majorzwahlen oft den Einzug in den Ständerat oder in Regierungen. Man hat sich zu entscheiden: Wir mussten auf Proporzwahlen setzen. Sieben zusätzliche Nationalräte waren diesmal wichtiger als ein zusätzlicher Ständeratssitz. Bundesrätin Widmer-Schlumpf sagt, man könne hart in der Sache politisieren und gleichzeitig die andere Meinung gelten Lassen. So erreiche man letztlich sein Ziel als Bundesrat besser als mit einem Konfrontationskurs. Das ist eine Binsenwahrheit. Sie glauben ja wohl nicht, dass ich mich im Bundesrat durchgesetzt habe, weil ich die anderen geohrfeigt habe. Wie sonst hätte ich - anfänglich gegen den Willen der Verwaltung - das Asylgesetz so grundlegend ändern können? Ich freue mich, wenn sich Frau Widmer-Schlumpf in der Sache wirklich konsequent geben wird. Wichtig ist, dass auch Konfrontationen in Kauf genommen werden. Aber stets nur der Sache zuliebe. Selbstverständlich sind andere Meinungen zu respektieren. Das heisst aber nicht, alles nur um der Harmonie willen zu akzeptieren. Sie machen aber einen anderen Eindruck. Ich bin ein Fan von Brainstormings. Da höre ich mir dann jeweils alle Meinungen an. Und erst danach bilde ich mir eine eigene Meinung. Einer, der immer nur Recht haben will, der kommt nicht an, auch beim Volk nicht. Letzten Donnerstag sagten Sie: „Ich schaue, dass die Partei mein Gedankengut übernimmt.“ Wenn ich von etwas überzeugt bin, ist das doch meine Aufgabe. Sollte es nicht umgekehrt sein. Man ist bei einer Partei, weil einem deren Gedankengut passt. Der Mensch ist ohnehin nur Mittel zum Zweck, wie Sie selber oft sagen. Natürlich. Ich bin nicht da, um zu machen, was ich will, sondern um meinen Auftrag zu erfüllen. Ich stelle den Gremien stets einen Antrag: Entscheiden müssen sie selbst. Am Freitag war Ihre zweitletzte Bundesratssitzung. Werden Sie das vermissen? Im Moment überwiegt die Erleichterung massiv. Was haben die Kollegen gesagt? Ich habe bereits gemerkt, wie die Opposition wirkt. Ich brachte überraschend ein heikles Geschäft durch - ich darf nicht sagen, welches -,von dem ich überzeugt war, dass es nie akzeptiert würde. Das Motiv für die unerwartete Zustimmung war: Wenn Blocher in der Opposition dieses Anliegen vertritt, wird es für uns unangenehm. Also haben sie zugestimmt. Sie meinen also, alleine die Drohung wirkt. Nicht die Drohung, aber die Bereitschaft entgegenzutreten. Schauen Sie, was Tony Blair in Grossbritannien gemacht hat: Als er Regierungschef wurde, hat er den Tories - der Opposition - keine Chance gegeben, weil er einfach die Politik von Frau Thatcher fortgesetzt hat, obwohl er selbst Labour war. Die Tories hatten zwar keinen Stich, aber weil sie als Opposition dastanden, hatten sie mehr Einfluss, als wenn sie selber in der Regierung gesessen wären. Nach zehn Jahren kamen für Blair natürlich dann Schwierigkeiten mit der eigenen Partei. Das wird auch in der SP so sein, wenn sie künftig enger mit den Bürgerlichen zusammen gegen uns arbeiten muss. 2009 muss sich die Schweiz endgültig zur Personenfreizügigkeit mit der EU bekennen. Soll die SVP das Referendum ergreifen? Wäre ich wiedergewählt worden, wäre es meine Aufgabe gewesen, einen Weg mit der EU zu finden. Jetzt bin ich draussen und werde mir die Sache einseitig anschauen. Vorher hätte ich auf einen Kompromiss hingearbeitet, aber jetzt ist die Entscheidung offen. Ihre persönliche Meinung? Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Personenfreizügigkeit. Es kommt darauf an, wie stark die Regierung auf unsere Wünsche eingehen wird. Im Falle der Freizügigkeit für Rumänien und Bulgarien wird es vor allem um die Frage gehen, welche Zusicherungen die Regierungsparteien abgeben, dass wir nicht einen ungewollten Zustrom zum Beispiel von Roma in unser Land haben. Einzelheiten will ich jetzt noch keine nennen. Beisshemmungen gehören nicht zur Opposition. Werden Sie Hand bieten für einen Kompromiss bei der Zusatzfinanzierung der IV? Zu Mehrwertsteuererhöhungen und anderen Steuererhöhungen wird die SVP niemals Hand bieten. Sie wird hier auch keine Kompromisse eingehen. Gehen Sie auch bewusst „unheilige Allianzen“ mit den Grünen und der SP ein, um selbst bürgerliche Vorlagen zu bekämpfen? Es gibt Säulen des Staates, von denen wir nicht abweichen. Dazu gehören die Unabhängigkeit des Landes und der schlanke Staat. Gerade die Selbstbestimmung des Volkes wird von den Politikern und von den Verwaltungen in allen Ländern unterlaufen. In der Schweiz mit der direkten Demokratie ist diese Gefahr noch grösser. Deshalb ist es gut, eine bürgerliche Opposition zu haben, die die Macht des Staates eingrenzen will. Wir stellen die Anliegen der Volkswohlfahrt in den Vordergrund, wenn nötig mit „unheiligen Allianzen“. Das führt doch zu einer reinen Blockadepolitik, bei der man aus Prinzip alles ablehnt. Eine solche Obstruktionspolitik wäre eine mögliche Form der Opposition und im schweizerischen System relativ einfach. Ich werde bei einer Obstruktionspolitik aber nicht mitmachen. Richtige Opposition stellt Volk und Land als einziges Ziel in den Vordergrund. Die Regierungstätigkeit und die Opposition können entfremdet werden! Blockaden führen zu einem Scherbenhaufen. Wo werden Sie also Hand bieten? Wir werden zum Beispiel die Vorlage zur Unternehmensbesteuerung unterstützen. Werden Sie eine Initiative zur Volkswahl des Bundesrates lancieren? Das ist eines unserer Anliegen. Aber wir müssen zunächst Prioritäten setzen, bevor wir Initiativen lancieren. Wir müssen vor allem den ganzen Parlamentsbetrieb kritisch begleiten. In jeder Kommission, bei jeder Vorlage müssen wir sofort Widerstand leisten, wenn man nach links abdriftet. So erzwingen wir bessere Beschlüsse. Eines der ersten Themen wird die Bildungspolitik sein. Das ist dringender als die Volkswahl der Bundesräte. Weshalb? Wir brauchen ein neues Schulsystem mit einem grundsätzlich anderen Ansatz: Leistung, Disziplin, Zuverlässigkeit, Sorgfalt und Lernen. Das ist eine Abwendung von der 68er-Philosophie. Die hat Schiffbruch erlitten, das erkennen viele Lehrer und Eltern! Wir können nicht einfach ein paar Gesetze ändern, wir müssen die geistigen Grundlagen des Systems ändern. Über die Bildungspolitik entscheiden weit gehend die Kantone. In vielen sind Sie nicht in der Opposition. Entscheidend ist, das Problem auf die politische Tagesordnung zu bringen. Das Aussprechen ist das Wichtigste. Die IV-Revision hat angefangen, weil wir im Jahr 2003 den enormen Missbrauch angeprangert haben, der hier stattfindet. Durchbruch war das Wort „Scheininvalide“. Mit dieser Provokation kam der Stein ins Rollen. Das brachte eine grosse Empörung, aber auch eine grosse Zustimmung. Auch hier war die Debatte wichtiger als die späteren Einzelheiten der IV-Revision. Kommt jetzt wie erwartet ein neuer Angriffsstil der SVP? Das kann sein. Sie haben gesehen, wie der Stil der SVP in den letzten vier Jahren viel milder war als noch vor zwölf Jahren. Schlagworte wie „die Linken und die Netten“ oder „die Weichsinnigen“ hörten sie nicht mehr. Die Opposition hat eine andere Sprache. Aber dies wird sich ergeben. Soll die SVP die „Arena“ boykottieren? Es geht nicht um Boykott. Aber als Opposition muss die SVP angemessen vertreten sein. Sie sehen, die Opposition der SVP wird täglich bei verschiedenen Gelegenheiten aufscheinen. Aber die Leute haben gesehen, so wird es in der Regierung sein: Wenn die SVP fehlt, fehlt eine andere Meinung. Diese braucht es, aber das Parlament hat sie jetzt ausgeschlossen! Gibt es eigentlich irgendwo auf der Welt eine Opposition, die zwei Parteimitglieder in der Regierung hat? Herr Schmid und Frau Widmer-Schlumpf sind zwar Mitglieder der SVP, aber nicht die Vertreter der Schweizerischen SVP und nicht Mitglieder der SVP-Bundeshausfraktion. Wir haben als Oppositionspartei keine Vertreter im Bundesrat. Damit man Ihnen das auch glaubt, müssen Sie sich nun ständig von ihnen abgrenzen. Das wirkt absurd. Das glaube ich nicht. Die beiden sind für uns einfach gleichgestellt wie die anderen Bundesräte, die auch nicht zu uns gehören. Ihre Politik geniesst keinen besonderen Schutz: Beide Mitglieder wussten dies vor der Wahl. Man kann nicht auf zwei Hochzeiten tanzen. Was machen Sie, wenn sich um diese Bundesräte Parteimitglieder zu einer neuen Fraktion abspalten? Das muss die Partei in Kauf nehmen. Neu ist das nicht. Schon in den Achtzigerjahren haben wir Mitglieder verloren, well wir die Kursfrage klärten. Darauf beruht die heutige Stärke der SVP. Die Bündner und die Berner möchten in einer Art Unterfraktion regelmässig und institutionalisiert mit ihren Bundesräten Kontakt haben, ihre Anliegen aufnehmen und ihnen Rückhalt geben. Darin sehe ich kein Problem. Wenn die Berner sich alle 14 Tage mit Herrn Schmid und die Bündner mit Frau Widmer-Schlumpf treffen wollen, ist dies ihre Sache. Problematisch würde es erst, wenn diese Gruppen mit ihren Bundesräten gegen die Parteilinie arbeiten. Wenn diese Mitglieder glauben, aus Freundschaft mit den Bundesräten einen anderen Kurs fahren zu müssen als den, den sie vor den Wahlen versprochen haben. Solche Schwerpunkte müssen natürlich bei den Kommissionsbesetzungen beachtet werden. Die SVP-Fraktion will begreiflicherweise wissen, wer wen vertritt. Die Parlamentarier, die sich mit den SVP-Bundesräten treffen, gehören also auch noch zur Opposition. Die Frage ist doch, ob die Partei die Kraft hat, auch eine Vorlage von diesen Bundesräten zu bekämpfen, wenn es nötig ist. Die Bundesräte werden natürlich versuchen, Mitglieder zu beeinflussen. Aber Gespräche finden doch immer auch mit anderen Bundesräten statt. Toni Brunner überlegt sich in St. Gallen, in die Opposition zu gehen. Womöglich kommt jetzt ein Antiregierungskurs in allen Kantonen. Das wäre falsch. Wir gehen nirgendwo freiwillig in die Opposition. Wir opponieren nur da, wo man uns nicht in die Regierung lässt. Werden Sie Parteipräsident? Zuerst muss man festlegen, wen man wo und warum braucht. Das werden wir im Januar sehen. Wird die Partei von Ihnen nun massiv zusätzlich finanziert, damit sie noch schlagfertiger wird? Es ist natürlich ein Vorteil, dass ich wieder frei bin. Als Bundesrat konnte ich keine Kampagnen finanzieren. Ich habe als Gedankenspiel erwogen, ein schlechtes Unternehmen zu kaufen und es aufzubauen. Ich kann ja führen. Mit dem Gewinn könnte ich die politische Arbeit der SVP fördern. Was ist das Ziel der Oppositionsarbeit? Natürlich muss eine Opposition das Ziel haben, in die Regierung zu kommen. Aber nicht durch Missachtung der Anhänger. Und nur mit Personen, die das SVP-Gedankengut vertreten. Schon Samuel Schmid ist damals gegen den Willen der Fraktion gewählt worden, weil er in aussenpolitischen Fragen nicht die SVP-Meinung vertrat. Sollte sich aber zeigen, dass wir in der Opposition unsere politischen Ziele besser erreichen können, als wenn wir in der Regierung sind, dann müssen wir draussen bleiben. Sie würden also nur in eine rein bürgerliche Regierung unter SVP-Führung zurückkehren. Nein. Das sagte ich nie. Ich bin für die Einbindung aller starken Kräfte in der Schweiz. Aber nicht für eine Seheinkonkordanz, wie sie jetzt herrscht. Ich bilde mir ein, die Kraft zu haben, in der Regierung gegen die Linke zu regieren und Beschlüsse so zu fassen, dass ihre Referenden ins Leere laufen. Ich weiss aber nicht, ob ich den anderen Bürgerlichen diese Kraft zubilligen kann. Das braucht starke Widerstandskraft. Ob sie als Partei und als Politiker so viel Prügel aushalten würden wie die SVP in den letzten Jahren? Was wird die SVP machen, wenn Herr Schmid zurücktritt? Das wird eine schwierige Entscheidung. Meiner Meinung nach dürfen wir nicht vorzeitig in die Regierung zurückkehren. Wenn einer der SVP-Bundesräte zurücktritt, sagen wir vielleicht: Wir bleiben in der Opposition, vielleicht auch das Gegenteil. Extrem wäre natürlich, wenn Schmid in einem Jahr zurücktritt und die Partei sagt, wir treten mit Blocher wieder an. Wären Sie bereit? Grundsätzlich ausschliessen will ich nichts. Wer weiss, was bis dann alles geschieht? Für viele Politiker ist der Einzug in den Bundesrat der Karrierehöhepunkt. Was ist denn Ihr Lebensziel? Ich habe nie ein Lebensziel gehabt. Auch Bundesrat zu sein, war kein Lebensziel. Was ich verspüre, ist ein innerer Drang, diesem Land zu dienen und Missstände zu bekämpfen, weil ich Land und Leute liebe. Diesen inneren Drang habe ich immer noch. Im Bundesrat war ich vier Jahre erfolgreich. Jetzt hat man mir diesen Weg verbaut. Und ich gehe einen anderen Weg. Und wie Lange wollen Sie diesen noch gehen? Solange mir die Kraft gegeben ist. An Kraft und Temperament fehlt es mir jedenfalls nicht. Aber Sie halten sich schon für ersetzbar? Grundsätzlich? Natürlich. Das habe ich ja auch bei meinen Unternehmen so gemacht. Da bin ich innerhalb von 14 Tagen ausgeschieden. Und meine Nachfolger machen ihre Arbeit gut, besser gar noch als ich. Nein, unersetzbar bin ich nicht. Aber das darf auch nicht eine billige Ausrede sein, um den Bettel hinzuwerfen! Und wie halten Sie es jetzt mit Ihrem Kleidungsstil? Uns ist aufgefallen, dass Sie als Bundesrat auf dunklere Anzüge gesetzt haben. Kommt jetzt wieder etwas anderes? Sie haben Recht. Ich musste fast jeden Tag an Anlässe. Und da waren dunkle Anzüge gefragt. Statt mich ständig umzuziehen, habe ich dann einfach ganztags Dunkel getragen. Aber das hat Ihnen schon gefallen? Gefallen? Also ich weiss nicht. Ich muss mich ja nicht selber anschauen. Aber meine Frau Silvia fand, wir seien jetzt ja auch Vertreter des Landes. Da müssten wir schon ordentlich daherkommen. Man hatte den Eindruck, dass der repräsentative Teil der Bundesratsarbeit insbesondere Ihrer Frau sehr gut gefallen hat. Nein, das war eine Täuschung. Wir haben auch an besonders wenigen Anlässen teilgenommen. Meine Frau tanzt sehr gerne, deshalb nahmen wir schon immer - auch vor Eintritt in den Bundesrat - meistens zweimal pro Jahr an Bällen teil. Anscheinend ist ein tanzender Bundesrat eine Attraktion. Für meine Frau Silvia ist die Abwahl eine grosse Erleichterung.

10.12.2007

Lob dem Schöpfer des ZGB

Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Feier "100 Jahre ZGB", 10. Dezember 2007, im Nationalratssaal, Bern 10.12.2007, Bern Bern. Bundesrat Christoph Blocher ging in seinem Referat anlässlich der Feier "100 Jahre ZGB" auf die Entstehung des Zivilgesetzbuches ein. Er würdigte die von Weitsicht, Respekt und Offenheit geprägte Arbeit von Eugen Huber, dem Verfasser des Entwurfs des heutigen ZGB. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr verehrter Herr Nationalratspräsident, Sehr verehrter Herr Ständeratspräsident, Sehr verehrte Damen und Herren National- und Ständeräte Sehr verehrte Damen und Herren 1. Der Schöpfer "Je pense être votre interprète à tous en exprimant ici notre vive reconnaissance à M. le professeur Huber, le savant auteur du projet du code civil, à M. Huber notre infatigable rapporteur. Cette œuvre à juste titre portera son nom." So sprach im Jahre 1907 der Nationalratspräsident nach Verabschiedung des ZGB in den eidgenössischen Räten. Diese Worte sind mehr als eine der üblichen Pflichtübungen eines Ratspräsidenten. Es war in die Augen springend und gilt heute 100 Jahre später ebenso, dass das Schweizerische Zivilgesetzbuch einen Namen trug, nämlich denjenigen von Eugen Huber. 2. Zuerst das historisch Gewachsene Es war eine grosse "historische" Aufgabe aus all den bestehenden Zivilgesetzbüchern ein Schweizerisches Zivilgesetzbuch zu schaffen, das der Vielfalt einerseits und der Gesamtheit andererseits gerecht werden sollte. Doch das Ganze gelang unter anderem auch deshalb, weil man nicht hochtrabend mit einer gross tönenden Vision begann, sondern sich zuerst mit dem Bestehenden, dem historisch Gewachsenen beschäftigte. So war es Eugen Huber, der 1884 vom Schweizerischen Juristenverein den Auftrag erhielt, das schweizerische Privatrecht auf seiner geschichtlichen Grundlage darzustellen. Davon, dass er diesen Auftrag mit Bravour erledigte, zeugt sein Standardwerk "System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts", das in vier Bänden zwischen 1886 und 1893 erschien. Es war ein weiser Entscheid, dass der Bundesrat im Jahre 1892 den grossen Kenner des schweizerischen Privatrechts, Eugen Huber, mit dem Auftrag betraute, den Entwurf für ein schweizerisches Zivilgesetzbuch auszuarbeiten. Dieser lag - nach verschiedenen Teilentwürfen - 1900 vor, zusammen mit Erläuterungen, die heute noch eine wichtige Grundlage für das Verständnis des Zivilgesetzbuchs sind. 3. Zukunftsgestaltung auf solider Grundlage Diese eindrückliche Präsenz Eugen Hubers im Gesetzgebungsprozess ist aber kein Produkt des Zufalls. Huber ging mit grossem Respekt an das in den Kantonen gewachsene Recht, berücksichtigte aber sehr wohl die Bedürfnisse der Zeit und der Zukunft. Eugen Huber wollte der Schweiz zu einem einheitlichen Privatrecht verhelfen, aber er begnügte sich nicht damit. Er ahnte die Veränderungen, die das angebrochene 20. Jahrhundert mit sich bringen würde. Gleichzeitig war sich Eugen Huber im Klaren darüber, dass dieser Aufbruch nur gelingen konnte, wenn man am Bewährten festhielt. Gegenüber dem Bundesrat äusserte Huber sich dazu 1893 wie folgt: "Der Entwurf eines einheitlichen Civilgesetzbuches wird notwendig zwei Tendenzen aufweisen müssen: eine fortschrittliche, womit er den Bedürfnissen der Gegenwart und Zukunft entgegen zu kommen sucht, und eine konservative, womit er die guten einheimischen Überlieferungen sowohl vor unbegründeter Neuerung als auch vor Nachahmung fremder Erscheinungen zu bewahren bestrebt ist." – So weit Eugen Huber. 4. 100 Jahre als Ziel für die Gesetze Die Tatsache, dass das ZGB schon 100 Jahre alt ist, ist Zeichen und Indiz für die Qualität. Hätte es nichts getaugt, wäre es schnell wieder total revidiert oder ganz abgeschafft worden. Was ist denn daran so hervorragend? Es war mitunter der Wille Unterschiedliches, ja sogar auch Gegensätzliches, zusammenzubringen. Das hat zu einem Zivilgesetzbuch geführt, dessen wesentlichstes Merkmal seine Offenheit ist. So verpflichtet beispielsweise Artikel 2 Absatz 1 jedermann dazu, in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Ein Satz, der weit über das Gesetz hinaus Bedeutung erlangte. Er wurde zu einem Erziehungsgrundsatz rechtschaffener Schweizer Familien. Und noch einen Schritt weiter ist der Gesetzgeber im nicht minder berühmten Artikel 1 gegangen. Dieser Artikel verpflichtet das Gericht darauf, das Zivilgesetzbuch anzuwenden. Gleichzeitig aber bekennt sich das Gesetz offen zu seiner Lückenhaftigkeit, Lücken, die dann das Gericht zu schliessen hat. 5. Bewährt Hat sich diese Offenheit bewährt? Das kann man wohl sagen. Nämlich: Auch das beste Gesetz lässt sich in einem Land wie der Schweiz nicht von oben herab diktieren. Eugen Huber hat dies früh erkannt und immer respektiert. Eugen Huber ist Vorbild für gute gesetzgeberische Tätigkeit. Auf dass die Gesinnung des Schöpfers unseres ZGB bleibe, möchte ich ihm hier und heute unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen.

02.12.2007

Wir müssen Majorzfiguren aufbauen

SVP-Bundesrat Christoph Blocher über den Wahlsieg seiner Partei, Samuel Schmid und seine Zukunft als Justizminister 02.12.2007, Sonntag, Othmar von Matt Die SVP müsse sich nun als bürgerliche Leaderpartei Gedanken über die Zusammenarbeit mit den anderen Parteien machen, sagt Bundesrat Christoph Blocher zum Wahisieg seiner Partei. Und die Partei müsse mehrheitsfähiger werden. Herr Bundesrat, ein Rekrut erschoss mit dem Sturmgewehr eine 16jährige Frau. Sollen Schweizer ihre Armeewaffen nun im Zeughaus lassen? Auch nach einer so schrecklichen Tat gilt es den Sachverhalt abzuklären, bevor man voreilig Schlüsse zieht. Das Ziel muss sein, keine solchen Taten und keine Schiessunfälle zuzulassen. Da dies in den Zuständigkeitsbereich von Bundesrat Schmid gehört, möchte ich mich dazu nicht weiter äussern. Sie fordern aber strengere Massnahmen im Umgang mit Munition in der Armee? Eindeutig. Es braucht unter Umständen strengere Massnahmen, damit solches nicht vorkommt. Doch bevor man entscheidet, muss man allfällige Schwachstellen abklären und diese eliminieren. Mehr kann man heute nicht sagen! Die Wahlen vom 21. Oktober haben grössere Verschiebungen gebracht als man bisher realisiert hat. Das zeigt sich immer deutlicher. Die SVP ist unerwartet die grosse Gewinnerin. Mit 29 Prozent erzielte sie ein Resultat, das seit Einführung der Proporzwahlen 1919 keine Partei je erreichte. Die Hauptverluste liegen bei der SP – und die Grünen legten weniger stark zu als angenommen. Vor den Wahlen gab es zwei in etwa gleich starke Parteien: SP und SVP. Heute ist die SVP so stark wie SP und Grüne zusammen. Damit erhält ein dritter Block Bedeutung: die Mitteparteien. Und die SVP muss sich überlegen: Wie verhält sie sich in dieser Situation? Die SVP muss sich überlegen, wie sie mit ihrer Leaderrolle umgeht. Eine Partei, die so schnell gewachsen ist, muss sich erstens strukturell organisieren, vor allem in den "neuen" Kantonen. Zweitens muss sie sich darüber klar werden, wie sie mit den anderen Parteien zusammenarbeitet. Trotz ihrer 29 Prozent könnte die SVP in den nächsten vier Jahren isolierter sein. Die FDP will sich stärker von der SVP abgrenzen, ihr Profil stärken. Ich begrüsse es sehr, wenn die FDP ihre Klarheit im Profil schärft. Wenn sie sich allerdings nach links bewegt, bedeutet das eine erneute Stärkung der SVP. Die Freisinnigen wollen sich als eigenständige Kraft profilieren. Die Frage ist: Wo? Mit welchen politischen Standpunkt? Die konservativen Flügel von FDP und CVP stehen der SVP politisch nahe. Verschieben sich diese Parteien nach links, stärken sie damit die SVP. Es benötigt für diese Parteien viel wirklichkeitsbezogene Analyse und harte Gedankenarbeit, um abzuklären: Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Was raten Sie der FDP? Ich bin nicht berufen, die FDP zu beraten. Aber allgemein: Führungsarbeit ist gefragt. Eine klare, unverkrampfte und tiefe Ist-Analyse. Die FDP hat heute ein schwerwiegendes programmatisches Problem und ein Basis-Problem. Sie kann tun was sie will: Es ist nie richtig. Das ist ein Zeichen für eine zu grosse Breite. Die Partei sollte ein klares Programm festlegen und damit in Kauf nehmen, dass ein Teil eines Flügels abwandert. Auch die SVP war in den 80er Jahren gezwungen, diese Arbeit durchzustehen. Eine Partei ist immer "parteiisch"! Diskussionen stehen auch in der SVP an, die klarer als je zuvor in der Regierungsverantwortung steht. Diese Diskussionen laufen an. Die SVP wollte nie Oppositionspartei sein. Sie geriet in die Opposition. Sofern sie Regierungspartei bleibt, ist die Kunst, das Gedankengut zu halten – im Wissen darum, dass die SVP Kompromisse wird machen müssen. Grundsätzlich gilt: Wenn die anderen Parteien die Stärke der SVP stärker akzeptieren, muss diese auch bereit sein, eine stärkere Rolle zu übernehmen. Das bedeutet aber, dass die anderen Parteien die SVP bei Kompromissen ernsthaft miteinbeziehen. Die Gegner sollten eines gelernt haben: Je stärker sie die SVP bekämpfen, desto mehr legt sie zu. Nach diesen Wahlen müssen sich alle Parteien neu orientieren, auch die SVP. Ab Januar wird sich die Partei an die Arbeit machen. Sehen Sie Toni Brunner als Parteipräsidenten? Ja. Und Adrian Amstutz? Ja, auch das wäre eine guet Kanditatur. Es gibt aber auch andere. Die SVP hat gute Leute, nur müssen sie das Amt auch wollen. Bei der SVP ist das Knochenarbeit, um die sich gute Leute nicht reissen. Sie selbst haben im EJPD die wichtigsten Dinge abgeschlossen, könnten das Departement wechseln. Werden alle sieben Bundesräte wieder gewählt, werden die Departemente kaum neu verteilt. Wenn ich im EJPD bleibe, steht im EJPD, steht die Gesetzgebung nicht mehr so sehr im Vordergrund. Die Durchsetzung des Rechts wird mein neues Schwergewicht sein. Wir haben einerseits viele Gesetze, die nicht angewendet werden. Andererseits reagiert der politische Betrieb auf jede Unvollkommenheit mit einem neuen Gesetz und hat damit ein Alibi. Rechtstaatlich bedenklich ist, dass man das Gesetz gegen Einzelne – vor allem gegen jene, die man nicht mag – anwendet. Sie wollen bestehendes Recht konsequenter durchsetzen? Wir müssen die Regulierungsdichte auf die wesentlichen Dinge konzentrieren und diese dann konsequent durchsetzen. Dieses Problem möchte ich anpacken. Sie sehen: Die Arbeit geht mir nicht aus. Christoph Mörgeli sagte, die SVP müsse nun ihr Gedankengut besser einbringen – in der Verwaltung, in den Schulen. Was denken Sie? Die SVP muss sich einbringen. Sie wird sich auch bei den Majorzwahlen einbringen müssen. Wer im Proporz so schnell wächst, wie die SVP, ist schwächer im Majorz. Im Majorz muss man von allen gewählt werden. Die SVP soll mehrheitsfähig werden? In vielen Positionen sicher. Das heisst nicht, dass die gesamte Partei ihre Linie ändert. Aber wir müssen Majorzfiguren aufbauen. Das wissen wir schon lange. Aber man muss sich entscheiden. Für die SVP war 2007 wesentlich, dass sie sich in den Nationalratswahlen gegenüber dem einmaligen Spitzenresultat von 2003 halten konnte. Dass sie erneut so stark zulegen konnte, kam unerwartet. Die Ständeratswahlen selbst standen nicht im Vordergrund. Die SVP griff Ihren Bundesratskollegen Samuel Schmid massiv an. Und Schmid musste annehmen, dass Sie diese Angriffe stützen. Einzelne Parlamentarier übten Kritik. Von massiven Angriffen der SVP habe ich nichts gehört oder gesehen! Man muss die Sache vor den Wahlen nüchtern betrachten: Samuel Schmid wurde ursprünglich gegen den Willen der SVP gewählt, wegen seines aussenpolitischen Kurses. Aber das ist bereinigt. Die SVP hat ihn 2003 unterstützt und wird ihn wieder unterstützen. Differenzen darf und muss es geben. Werden sie nicht ausgesprochen, wird die eine Partei unglaubwürdig. Wie kommen denn die Bundesräte Blocher und Schmid miteinander in der Regierung zurecht? Da gibt es keinerlei Probleme. Natürlich haben wir manchmal sachliche Differenzen. Aber das haben andere auch. Nur: Samuel Schmid muss annehmen, die SVP-Angriffe kämen indirekt von Ihnen selbst – oder zumindest mit Ihrer Billigung. Das nimmt er nicht an, weil es nicht so ist. Sind Sie nach der Stellungnahme des Bundesrates zum GPK-Bericht reingewaschen? Nein, weil ich gar nie schmutzig war! Es geht um eine schwerwiegende institutionelle Angelegenheit: Wie beaufsichtigt man die Bundesanwaltschaft, ohne deren notwendige Unabhängigkeit zu tangieren. Eine Bundesanwaltschaft, die völlig unabhängig ist und machen kann, was sie will, ist rechtstaatlich bedenklich und sehr gefährlich. Denn sie hat grosse Mittel, um in die Freiheit der Bürger einzugreifen. Wenn die Aufsicht nicht funktioniert, ist die Gefahr gross, dass Unschuldige verfolgt und Schuldige nicht verfolgt werden. Andererseits darf die Strafverfolgungsbehörde durch die Aufsicht nicht zum Spielball politischer Interessen verkommen. Eine kaum zu meisternde Gratwanderung. Trotz verschiedenen Auffassungen setzte sich im Bundesrat und bei Fachleuten die Ansicht durch, dass die Aufsicht ungeteilt bei der Exekutive sein sollte. Das ist das positive Resultat der Auseinandersetzung mit der GPK. Nach "Geheimplänen" und "Komplotten" folgt also wieder der Alltag? Es ist auch an der Zeit.

28.11.2007

Die Mitte zu schwächen, ist nicht Ziel der SVP

Bundesrat Blocher über den Ausgang der Wahlen, das Klima in der Regierung und zentrale politische Herausforderungen 28.11.2007, Neue Zürcher Zeitung, Martin Senti "Er bleibt auch vier Jahre nach seiner Wahl der umstrittenste Bundesrat. Grund genug, im Vorfeld der Bundesratswahlen vom 12. Dezember das Gespräch mit Christoph Blocher zu suchen. Wie kann die SVP den hohen Wähleranteil halten, ohne ihre Wahlversprechen preiszugeben? Wie beurteilt er die Stimmung im Bundesrat, welches wäre sein Wunschdepartement?" Herr Blocher, das vergangene Wahlwochenende hat einmal mehr gezeigt: Die SVP hat grosse Mühe, sich in Majorzwahlen durchzusetzen, wie erklären Sie sich das? Bei Majorzwahlen setzen sich nie profilierte Parteipolitiker durch. Kandidaten der SVP haben besondere Mühe, weil die Partei so erfolgreich ist. Vor den Grünliberalen hat in Zürich niemand Angst, eine 2-Prozent-Partei ist für die Konkurrenz keine Gefahr. Oder nehmen Sie das Beispiel St. Gallen: Hier haben sogar die Grünen in Briefen dazu aufgerufen, man möge doch die FDP und die CVP wählen. Eine wirklich absonderliche Situation. Dafür klappt es für die SVP ganz gut bei Proporzwahlen? Eine Partei gewinnt nicht, weil sie gut ist, sondern weil sie politisch besser ist als die anderen. Es ist sowohl gefährlich, allein im Hinblick auf Regierungs- und Ständeratswahlen bis zur Programmlosigkeit Abstriche zu machen, als auch, gar keine Konsensbereitschaft zu haben. Zur Durchsetzung der eigenen Politik sind doch aber Exekutivsitze unabdinglich? Ja. Für die SVP stellt sich die Frage: Wie kann sie auf diesem hohen Niveau politisieren, ohne die Wahlversprechen preiszugeben? Das ist die Frage, der sich die Partei in den nächsten Jahren stellen muss - zusammen mit den Kantonalparteien. Als Regierungspartei ist dies dringend anzugehen. In der Opposition wäre dies anders. Die SVP wurde in der Opposition weitermachen, wenn ihre Bundesratsvertreter nicht gewählt würden, was sich bei Proporzwahlen starken wurde. Für die Schweiz wäre das allerdings eine schwierige Situation, wenn eine Partei mit 29 Prozent in die Opposition gedrängt würde. Doch die Zukunft kann man nur beurteilen, wenn man weiss, was der politische Gegner macht. Im SVP-Wahlkampf wurde primär mit Problemen in der Sicherheit und mit der Ausländerkriminalität mobilisiert. Kaum aber waren die Wahlen vorüber, da gaben Sie an einer Pressekonferenz Entwarnung. Wie ist das zu verstehen? Ich war selber erstaunt, wie das von den Medien aufgenommen wurde. Mir ging es um eine Klarstellung in einer Zeit, in der in ausländischen Medien über die angeblich xenophobe Schweiz gelästert wurde. Ich stellte klar, dass wir die höchste Ausländerquote haben und zu den einbürgerungsfreundlichsten Ländern gehören, nach Kanada und Amerika. Und trotzdem haben wir keine Ghetto-Probleme oder fremdenfeindlichen Parteien. Aber, und dieses Aber hat man in den Berichten weggelassen: Wir haben eine verhältnismässig starke Ausländerkriminalität, eine hohe Arbeitslosigkeit unter den Ausländern und andere Sonderprobleme, die wir lösen müssen. Fehlende Partner? Die SVP ist in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auf Kosten der FDP gewachsen. Was nützen Wahlerfolge, wenn die Allianzpartner fehlen? Es ist nicht sicher, ob die SVP den Freisinn schwächt. Verloren hat vor allem die SP. Die Verschiebungen sind nicht so klar erkennbar. Die Mitte zu schwachen, ist nicht Ziel der SVP, ihre Gegner sind die SP und die Grünen. Die Freisinnigen verlieren, weil sie sich seit den siebziger Jahren nach allen Seiten offnen wollten, also auch nach links. Ich glaube, die Wähler wollen keine Parteien, die allen alles recht machen wollen — Parteien bestehen nicht zum Selbstzweck. Dennoch: Sie haben politisch längst nicht so viel erreicht, wie Sie wollten. Ich bin jetzt seit vier Jahren im Bundesrat. Wir haben ein Asylgesetz durchgesetzt, das auf unserer Linie liegt und das durch Überzeugung von Bundesrat, Parlament und Volk mitgetragen wurde - Gleiches gilt für das Ausländergesetz. Wir haben viel erreicht, die wichtigen Gesetzesprojekte sind verabschiedet oder auf Kurs, die Justizreform und die Wirtschaftsreform-Vorlagen. Was noch kommt, ist das neue Aktienrecht. In der Finanzpolitik bin ich nicht durchgestossen mit meinen Maximalforderungen. Aber das Kostenbewusstsein ist klar gestiegen. Der Bundesrat hat zumindest das Ziel beschlossen, die Ausgaben um 20 Prozent zu reduzieren. Fehlt eigentlich nur noch die Umsetzung. Die grossen Ziele, wie radikal Ausgaben und Zwangsabgaben zu senken, sind nicht verwirklicht. Herr Merz hat versprochen, er bringe nach den Wahlen Projekte zur Ausgabensenkung, dann werden wir sehen. Ich habe in meinem Departement erlebt, dass man sparen kann, ohne Leistungen zu kürzen. Ich habe den gleichen Kosteningenieur geholt, mit dem ich während Jahren in der Firma gearbeitet habe - ein Halbjahres-Mandat. Die Zielsetzung von 20 Prozent wurde verwirklicht. Aber man muss professionell vorgehen mit Unterstützung von ganz oben. Bundesratsklima-Forschung Eine Frage zum Atmosphärischen: Wie beurteilen Sie die momentane Stimmung im Bundesrat? Die Stimmung ist offen, direkt - das heisst gut. Die Probleme werden ausdiskutiert. Es gibt auch nicht mehr diese Mimosenhaftigkeit, wie ich sie von früheren Bundesraten geschildert bekam. Aber da war doch von einem Komplott gegen Sie die Rede, das bis in den Bundesrat hineinreiche? Das war eine Ausnahmesituation in der Nervosität der Vorwahlzeit. Es war ein schwarzer Tag, der 5. September, für alle Gremien, für den Bundesrat, die GPK und die Bundesanwaltschaft. Man hat mich als Justizminister mit abstrusen Vorwürfen konfrontiert, nach einem einfachen Muster: Man verdächtigt jemanden, den man nicht mag, lässt aber den Beweis offen. Wären die Original-Unterlagen als Gegenbeweis nicht schon am anderen Tag auf dem Tisch gelegen, hätte ich das politisch kaum überlebt. Weil man ja von allem nichts weiss, wird man von solchen Anschuldigungen völlig überrascht. Nichts gewusst? Die SVP hat doch den Eklat mit Inseraten schon im Voraus angekündigt? Es war bekannt, dass ein GPK-Bericht kommt, auch dass er einseitig gefärbt sein würde. Aber ich habe nicht geahnt, was da wirklich gespielt wird. Das war keine saubere Sache, aber nun ist sie vorbei. Auch solches muss man wegstecken. Die Antwort des Bundesrats scheint vorzuliegen, wird er Sie nun von allen Vorwürfen entlasten? Ich weiss nicht, was der Bundesrat machen wird. Gewisse Dinge hat er aber schon längst entschieden. Es wird ein neues Gesetz geben, das die strittigen Fragen klären soll. Dieses ist jetzt in der Vernehmlassung. Die ganze Problematik ist letztlich auf die Doppelunterstellung der Bundesanwaltschaft zurückzuführen. Die Verantwortlichkeiten sind nicht geklärt. Sozialdepartement wurde ihn reizen Wenig Freude dürften einige Ihrer Bundesratskollegen über die Rücktrittsforderungen haben. Die SVP stellt sogar den eigenen Bundesrat Schmid zur Disposition, wie stehen Sie dazu? Es geht nicht gegen Herrn Schmid, sondern um die von der FDP aufgeworfene Frage einer Dreiervakanz. Ursprünglich wurde Samuel Schmid von der SVP nicht vorgeschlagen, aber bei der letzten Wiederwahl klar unterstützt. Trotz einigen Differenzen in der Sicherheitspolitik unterstützt die SVP-Fraktion Herrn Schmid. Man darf das alles nicht überbewerten. Letztlich steht dahinter doch der Wunsch nach einer grossen Departements-Rochade? Welches Departement würden Sie gerne übernehmen? Zunächst einmal: Wenn die Bundesräte auf ihren Departementen beharren, dann zementiert das die Politik; Rochaden schaden also nicht. Als ich gewählt wurde, hätte ich gerne das Finanzdepartement übernommen. Ich habe aber gewusst, dass ich es nicht bekomme. Alle wollen schliesslich Geld ausgeben, also gibt man die Finanzen nicht dem, der am wenigsten gern Geld ausgibt. Und welches wäre heute Ihr Wunschdepartement? Das Hauptproblem der nächsten zehn Jahre wird die Problematik der Sozialversicherungen und der Sozialleistungen und ihre Finanzierbarkeit sein. Wie bekannt, habe ich vorgeschlagen, ein Sozialdepartement einzurichten, in dem alle Sozialversicherungen - auch die Krankenversicherung - eingeschlossen sind; also alles, was zur Unterstützung von Leuten da ist, die nicht durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen können. Die Aufgabe, diese Probleme zu lösen, würde mich reizen, auch wenn ich weiss, dass man sich sehr stark einbringen und exponieren müsste. Von der geplanten Departementsreform scheint aber nicht vie! übrig geblieben zu sein? Eine grundsätzliche Neuorganisation ist in weiter Ferne. Bezüglich des Sicherheitsdepartements - ich bin da zusammen mit Herrn Schmid involviert - werden wir wohl 2008 mit Vorschlägen kommen. Wobei ich politisch noch Fragezeichen mache: Armee und Polizei im gleichen Departement, das ist sehr heikel im Ernstfall. Offen ist auch die Frage, wo die Bildung hingehört, das kommt im Februar zur Sprache. Immerhin! Am 12. Dezember sind Bundesratswahlen. Befürchten Sie, nicht bestätigt zu werden? Das ist ohne weiteres möglich. Ich bin für alle Fälle gerüstet. Die Wahrscheinlichkeit einer Nichtwahl ist etwas kleiner geworden: Namentlich für die FDP und die CVP, aber auch für die SP ist eine SVP in der Opposition eine schlechte Lösung. Die SP scheint unterdessen gemerkt zu haben, dass es ein Fehler war, sich so stark auf meine Person zu fokussieren. Jedenfalls stellt sie offenbar keinen Gegenkandidaten auf. Werde ich abgewählt, dann gehen wir in die Opposition. Mit Christoph Blocher als SVP-Präsident? Das wäre eine Möglichkeit. Denkbar wäre auch, dass man Sie bei der Wahl für das Vizepräsidium des Bundesrats nicht berücksichtigt. Wie würden Sie das aufnehmen? Als Vizepräsident gewählt zu werden, heisst, man wird im kommenden Jahr Präsident. Man hat dann eine andere Aufgabe, man muss die Regierung vertreten. Das würde ich selbstverständlich tun, das traue ich mir zu. Eine Nichtwahl würde bedeuten: Wir wollen den schon als Bundesrat, aber wir wollen nicht, dass er die Regierung vertritt. Das gibt mehr Freiheit, mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Als Bundespräsident ist man noch stärker eingebunden, im Präsidialjahr fällt man politisch praktisch aus. Entweder will man Sie doch als Bundesrat mit den üblichen Regeln der Rotation, oder aber man will Sie nicht - alles andere wäre doch irritierend? Ja, ich fände das komisch. Es wäre ein Akt der Unüberlegtheit. Europa und Roma Es stehen in den nächsten Jahren wichtige Abstimmungen in der Europapolitik bevor. Wie halten Sie es mit der Bestätigung der Personenfreizügigkeit (Bilaterale I) und ihrer Ausweitung? Es gibt hier vorgefertigte Meinungen, und das finde ich gefährlich. Man sollte unvoreingenommen abwägen, was die Vor- und die Nachteile sind. Wir sollten frei sein in der Entscheidung. Natürlich wird man nicht mit einzelnen EU-Ländern die Personenfreizügigkeit haben können und mit anderen nicht. Also geht es jetzt darum, im Hinblick auf die Ausweitung auf Bulgarien und Rumänien zu verhandeln. Wir kämpfen um Übergangsfristen, das ist wichtig bei diesen Ländern. Und wir müssen das Problem der Roma lösen. Es kann doch nicht sein, dass wir aus einem Land, mit dem wir die Personenfreizügigkeit einführen wollen, immer wieder zahlreiche Asylsuchende haben. Hier muss eine Lösung gefunden werden. Noch zu zwei Themen, mit denen Sie in jüngerer Zeit Schlagzeilen gemacht haben: Was ist hinsichtlich des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht zu erwarten, und wie geht es weiter bei der Rassismusstrafnorm? Bei der Rassismusstrafnorm warten wir das Ende der Legislatur ab. Vielleicht gibt es ja einen neuen EJPD-Vorsteher, der hier keinen Handlungsbedarf sieht. Bleibe ich, dann werde ich Varianten aufzeigen. Zur Frage Völkerrecht und Landesrecht: Es freut mich, dass die ständerätliche Rechtskommission hier den Faden aufgenommen und eine Aussprache geführt hat. Der Bundesrat wurde aufgefordert, einen Bericht vorzulegen. Was stört Sie an der gegenwärtigen Situation? Die Hauptfrage, um die es hier geht, ist weniger die Zulässigkeit von Volksinitiativen als vielmehr die Frage: Wer ist eigentlich der Gesetzgeber? Wir haben keine Mühe mit dem zwingenden Volkerrecht, solange dieser Begriff nicht massiv ausgedehnt wird. Es gibt aber auch eine Reihe von Normen - namentlich im Menschenrechtsbereich -, welche die Gefahr von Widersprüchen in sich tragen. Ich denke etwa an die Stellvertreterehe oder an die Polygamie, die trotz Berufung auf den Schutz des Familienlebens in der Schweiz nicht anerkannt werden sollten. Was wäre hier Ihrer Meinung nach zu ändern? Mit Ausnahme des zwingenden Völkerrechts sollte nationales Recht Vorrang haben. Das Bundesgericht hat mit der Schubert-Praxis den Weg aufgezeigt. Zum Schluss eine Frage an den leidenschaftlichen Kunstsammler: Haben Sie schon ein Bild von Valentin Roschacher? Nein (lacht), ich sammle echte Hodler.

24.11.2007

90 Jahre Bierhübelirede

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der SVP-Informationsveranstaltung, 24. November 2007, Bern 24.11.2007, Bern Bern. In seiner Ansprache an der SVP Informationsveranstaltung gedachte Bundesrat Christoph Blocher der "Bierhübelirede" des Berner Bauern Rudolf Minger. Der spätere Bundesrat habe seine Rede in einer schwierigen Zeit gehalten, die dazu geführt habe, dass vor 90 Jahren der geistige Boden für die Gründung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei - der heutigen Schweizerischen Volkspartei gelegt worden sei. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Die Zukunft der SVP Meine Damen und Herren Liebe Gäste Geschätzte SVP Bern Liebe Bernerinnen und Berner 1. Wo stehen wir, was ist allgemein gültig, woher kommen wir? Sie haben heute zu einem Gedenktag geladen. Wir gedenken hier der Rede vom 24. November 1917. Es ist die berühmte "Bierhübelirede", welche der Berner Bauer und spätere Bundesrat Rudolf Minger vor 90 Jahren gehalten hat. 1917 war ein schwieriges Jahr in einer schwierigen Zeit, besonders für die ländliche Bevölkerung: Mitten im 1. Weltkrieg (1914-1918) stehend, Krise des Bauernstandes mit Missernten, Importschwemme von ausländischem Getreide. Die sozialistischen Gewerkschaften organisieren sich. Oktober-Revolution in Russland. Immer mehr Menschen in unserem Land fühlen sich durch die Parteien nicht mehr vertreten. Es gärt von unten. All diese Erscheinungen mussten zu einer Neuorientierung führen. Diese "arglistige Zeit" (wie es damals hiess) führte dazu, dass vor 90 Jahren der geistige Boden für die Gründung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei – der heutigen Schweizerischen Volkspartei gelegt wurde: Im Frühling des Jahres 1917 wurde in der Tonhalle die Bauernpartei des Kantons Zürich gegründet, welche noch im selben Jahr an den Kantonsratswahlen teilnahm und auf Anhieb 47 Mandate eroberte. Dies gab den Bernern den Mut, ein Jahr später, im Jahre 1918 eine eigene Partei zu gründen. Meine Damen und Herren, aus diesen "arglistigen Zeiten" also ging die heutige Schweizerische Volkspartei hervor. Und in diese politische Landschaft fielen die Worte des standhaften und selbstbewussten Bauern Rudolf Minger. Ein Jubiläum wie heute ist immer ein Anlass für einen Marschhalt. Oder wie es Ruedi Minger bereits anlässlich der Zwanzigjahrfeier der BGB sagte: Es ist der Moment, "um sich 1.Rechenschaft zu geben über die Wegstrecke, die man zurückgelegt hat. 2. Um festzustellen, wo man momentan steht, und 3. um den Kompass neu einzustellen für den Weitermarsch."1 Sie haben mich gebeten, hier die Gelegenheit zu ergreifen, "um den Kompass neu einzustellen für den Weitermarsch". Sie wollen etwas über die "Zukunft der SVP" erfahren. Ich bin skeptisch gegenüber Prognostikern und Prognosen. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die Wirtschaft; vor allem für die eigenen Unternehmen. Wenn es um die Zukunftsbeurteilung geht, ist besondere Bescheidenheit gefragt. Wichtiger als Zukunftsprognosen sind Antworten auf die Frage, wo stehen wir, was ist das Fundament, und woher kommen wir. Die richtige Antwort auf diese Fragen gibt schon die wesentliche Richtung für die Zukunft vor. Dies können Sie an der eigenen Partei – der SVP – erkennen. In der grössten Krise der SVP, in den 70er Jahren, sprachen die Prognostiker bereits vom Auslaufmodell SVP, vom Untergang dieser Partei. Vor 12 Jahren sprachen die Prognostiker ebenso überzeugt davon, dass die SVP ihren Zenit längst überschritten habe. Und alle vier Jahre wiederholten die Professoren und Prognostiker: Die SVP hat ihren Zenit erreicht. Aber die SVP will sich einfach nicht an die Prognosen der Politologen und Professoren halten – und wächst und wächst und wächst. Heute sind wir so stark wie noch keine Partei seit Einführung des Proporzwahlsystems 1919. Bei den Parlamentswahlen 1919 holten die Freisinnigen 28,8 Prozent Wähleranteil und die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei 15,3 Prozent. 2007 kamen die Freisinnigen auf 15,6 und die Schweizerische Volkspartei auf 29 Prozent der Wählerstimmen. Niemand hätte dies vor 90 Jahren vorausgesagt! So kann ich Ihnen heute ebenso wenig sagen, wer in 90 Jahren die politische Führungskraft der Schweiz sein wird. Das wäre auch albern. Aber was wir tun sollten: Nach den Gründen fragen, warum die SVP heute da steht, wo sie ist. Denn der Erfolg einer Partei stellt sich nicht einfach so ein. Auch der Misserfolg hat Gründe. Diesen Gründen sollten wir nachgehen. Denn sie werden uns auch den Weg in die Zukunft der SVP weisen. 2. Der Erfolg hat viele Väter Haben Sie sich gefreut am 21. Oktober über den Wahlausgang? Die Berner SVP kann zwei zusätzliche Nationalräte ins Bundeshaus schicken. Ich gratuliere Ihnen. Ihre Sektion hat beim Wähleranteil kräftig zugelegt. Ich gratuliere Ihnen. Die SVP-Fraktion im Nationalrat umfasst neu 62 Mitglieder, sieben mehr als noch vor vier Jahren. Ich gratuliere. Über 100'000 neue Wählerinnen und Wähler haben sich für unsere Partei entschieden. Ich gratuliere. Der Vormarsch der SVP in der Romandie konnte nicht nur konsolidiert, sondern sogar ausgebaut werden. Ich gratuliere. Haben Sie sich gefreut am Wahlsonntag? Verspürten Sie eine gewisse Genugtuung, als die Gesichter der Journalisten und Politologen immer länger wurden? Es wurden Schultern geklopft, Hände geschüttelt, Zigarren angezündet. Es klimperten die Weissweingläser und es lachten die Gesichter. Allerdings lachten am Abend andere als am Mittag. All dies ist verständlich und erfreulich, aber auch sehr gefährlich. Der Wahlerfolg hat viele Väter. Der Wahl-Misserfolg ist stets ein Waisenkind. Der Erfolg ist für eine Partei so gefährlich wie gute Jahre für ein Unternehmen. Weil der Erfolg gerne in Selbstzufriedenheit umschlägt. Weil man die Gründe des Erfolges nicht mehr richtig analysiert und den Erfolg selbstverständlich bei sich selbst verbucht und den Misserfolg dem Gegner anlastet. Dabei ist es häufig gerade umgekehrt. Gefährlich ist es aber auch, weil der Erfolg träge macht. Gewählte, die auf dieser Erfolgswelle schwimmen, beginnen sich selbst zu erhöhen. Sie leben plötzlich nicht mehr für ihren Auftrag, d.h. nicht mehr für Land und Volk, sondern vom Land und Volk. Schon manchem Unternehmen geriet der Erfolg zum Verhängnis. Bei Parteien ist es nicht anders. Und die SVP stellt darin beileibe kein Sonderfall dar. Sie ist genauso anfällig. Wir hören schon die Stimmen innerhalb der Partei, die sagen, wir sollten bei den Medien etwas beliebter sein. Wie schnell ist man zum Konsens bereit, bevor man sich für eine Sache überhaupt richtig eingesetzt hat. Bereits hören wir Parlamentarier, die sich vom Stil der eigenen Partei distanzieren, um nicht standhalten zu müssen. Wir hören andere, die sich von den Machern der Partei, die ja die Hauptarbeit leisten, distanzieren. Aber ich rate Ihnen, diesen süssen Stimmen nicht zu folgen, und ich sage Ihnen auch warum: Wer unerbittlich für den richtigen politischen Kurs eintritt, wer unerbittlich für Volk und Land kämpft, und wer insbesondere den Irrwegen anderer Parteien entgegen tritt, kann nie beliebt sein! Aber genau weil wir uns gegen den Zeitgeist stellten, hat die SVP gewonnen. Dank der kritisierten Macher – und nicht dank der gelobten Meckerer! Damit ist ein wichtiger Wegweiser für die Zukunft gesetzt. 3. Grundsätze bleiben Grundsätze Es gibt einen ganzen Band mit Reden von Rudolf Minger. Ich habe darin gelesen und stelle fest: Rudolf Minger hat vierzig Jahre lang immer das Gleiche gesagt. Er hat eigentlich vierzig Jahre lang die gleiche Rede gehalten. Wer jetzt meint, das sei aber langweilig, der hat nichts begriffen. Rudolf Minger vertrat Grundsätze. Und Grundsätze bleiben Grundsätze, sonst sind sie keine Grund-Sätze. Richtige Grundsätze gehen nicht nur in den Grund – sie gehen in die Tiefe. Sie sind verwurzelt. Auf diese Wurzeln kommt es an. Das Blattwerk mag man jedes Jahr erneuern. Voraussetzung sind aber starke, tiefe, gesunde Wurzeln. Darum: Meine Damen und Herren, gilt es gerade in einer relativ oberflächlichen, schnelllebigen Zeit, die Treue zum Grund-Satz zu betonen. Wer auf soliden Grundsätzen baut, hat Erfolg in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik! Gefragt ist die Re-Formation, was wörtlich heisst – "die Wiederformung". Besinnung auf die Wurzeln, um darauf neues Blattwerk zu schaffen. Beim Misserfolg gilt es, das Verschüttete wieder hervorzuholen. Das haben die Neuerer der SVP nach der letzten Krise der Partei in den 70er Jahren getan. Man hatte sich auf das wahrhaft gute, solide, konservative Gedankengut besonnen. Diese Richtung setzte sich in der Partei nach heftigen Kämpfen schliesslich durch und brachte der SVP den Erfolg. 4. Grundsätze Mingers Welchen Grundsatz vertrat Rudolf Minger denn so vehement und über all die Jahrzehnte? Er trat ein für eine unabhängige Schweiz, für eine demokratische Schweiz, für eine neutrale Schweiz, die ihre Freiheit notfalls auch mit der Waffe in der Hand verteidigt. Diesen Grundsatz hat Minger 1917 vertreten anlässlich seiner denkwürdigen "Bierhübelirede". Das war noch während des Krieges, als jeder die Notwendigkeit der Landesverteidigung mit eigenen Augen begriff. Er hat aber die gleichen Grundsätze auch 1930 vertreten, als die Sozialdemokraten die Armee herunterrüsten wollten und weite Teile der Bürgerlichen diesen süssen Reden erlagen, als der Pazifismus, der Weltfrieden so gross in Mode war wie heute die Klimadebatte. In solchen Zeiten zeigt sich, was ein Grundsatz wert ist. Wer in solchen Zeiten widersteht, besitzt Rückgrat und Durchhaltevermögen. Und siehe da: Irgendwann holte die Wirklichkeit die Träumer wieder ein. Spätestens ab 1939, als der Zweite Weltkrieg losbrach, musste die Schweiz auf eine wehrhafte Armee zurückgreifen, mit einem wehrhaften Mann an der Spitze des Verteidigungsdepartements, mit Rudolf Minger, einem einfachen Mann mit einfachen, aber dauerhaften Grundsätzen. In Ruedi Mingers eigenen Worten – am 1. August 1935 – gesprochen: "Im allgemeinen steht der Schweizer auf dem gesunden Standpunkt: Wenn die Schweiz Jahrhunderte lang ihre Selbständigkeit bewahrt hat, so liegt der Hauptgrund dafür darin, dass unser Volk durchdrungen ist von seinem Drang zur Freiheit und zur Demokratie, dass wir die Geschicke unseres Landes selber bestimmen wollen."2 Meine Damen und Herren, ob im Ersten Weltkrieg, ob in den übermütigen Zwischenkriegsjahren, ob während des Zweiten Weltkrieges: Grundsätze sind gültig. Aber diese Grundsätze galten auch für die Schweizerische Volkspartei im Jahr 1992. Sie galten auch für die EWR-Abstimmung! Es war die Zeit, als die ganze Classe politique, die ganze Wirtschaft, alles was so genannt "Rang und Namen" hatte, bei der wichtigsten Abstimmung seit dem Zweiten Weltkrieg von diesen Grundsätzen abweichen wollte. Aber das gilt auch 2007 und das wird auch noch 2097 gelten. Dass die heutige Politik diesem Grundsatz nicht mehr nachlebt ist offensichtlich. Leider auch bis weit hinein in die eigenen Reihen. Zur guten Tätigkeit einer Partei gehört aber auch immer wieder der Kampf gegen den Geist – oder besser den Ungeist – der eigenen Zeit. Damit haben wir einen zweiten Wegweiser für die Zukunft. 5. Die Sache beim Namen nennen Es gibt aber noch einen dritten Punkt, der sich wie ein roter Faden durch die Politik und die Reden Mingers zieht. Rudolf Minger hat sich nie gescheut, die Dinge beim Namen zu nennen. Zum Beispiel 1934: "Was die kommunistische Partei anbelangt, so hat diese in unserem Lande jede Existenzberechtigung verloren.“3 Er hat auch jene beim Namen genannt, die mit ihrem linken Pazifismus unsere bürgerliche Armee abschaffen wollten. Er sprach unzweideutig von der "staatszersetzenden Sozialdemokratie"4. Und genauso widerstand Minger den totalitären Ideen und zwar durch sein Bekenntnis zur neutralen, freien, demokratischen Schweiz. Etwa an der 1. Augustfeier 1935 auf dem Münsterplatz in Bern: "Weder dem Faschismus noch dem Nationalsozialismus wird es je gelingen, unser Schweizervolk geistig auseinanderzutreiben."5 Viele würden heutzutage – wohl der ganze Mainstream – seine Aussagen als grob, hemdsärmelig, ja unanständig bezeichnen. Doch diesen Zeigefingern möge man entgegnen: Es ist oft unanständig gegenüber dem Unrecht anständig zu bleiben! Nehmen Sie auch dies als Wegweiser für die Zukunft mit! 6. Aufstieg der SVP Der Hauptaufstieg der SVP fiel in die 90er Jahre, nachdem die Partei den Mut aufbrachte – gegen den Zeitgeist und gegen alle anderen Parteien – anzutreten für eine unabhängige, freiheitliche dauernd bewaffnete neutrale Schweiz und somit den EU-Beitritt abzulehnen. Aber, was ist denn dieser Grundsatz anderes als das, was Rudolf Minger in all seinen Reden vertreten hat? Dieser Grundsatz wird uns auch in Zukunft vor Fehltritten schützen und ist einer der wichtigsten Grundsätze der Zukunftsgestaltung unseres Landes und damit ein eiserner Kompass für unsere Partei. Wer diesen Satz nicht unterschreiben kann, hat in der Schweizerischen Volkspartei auch nichts zu suchen. Leider glaubte 1992 – bedauerlicherweise – gerade die damalige Berner SVP, zum Glück weniger aus Überzeugung als vielmehr aus falsch verstandener Solidarität zur Obrigkeit – ihre Grundsätze verlassen zu müssen und sich dem damaligen Trend der EU-Beitrittsbefürworter anzuschliessen. Doch, meine Damen und Herren, glücklicherweise ist diese Zeit vorbei. 7. Zur Zukunft Meine Damen und Herren, Sie dürfen für die Zukunft den Kompass ruhig mit Minger einstellen und sein geistiges Erbe weiter tragen. Die freie, demokratische, neutrale Schweiz lässt sich mit einem EU-Beitritt oder einem Beitritt zum EWR nicht vereinbaren. Punkt. 8. Konsequenzen Ich zitiere Ihnen daher ein Flugblatt der neu gegründeten Zürcher Bauernpartei aus dem Jahre 1917(!): Ihr wollt arbeiten und leben; Ihr hasst das Saugen an der Staatskrippe. Ihr wollt ein einfaches, sittlich kräftiges Schweizervolk: Menschen mit eigener Arbeits- und Verantwortungsfreude! Ihr duldet das Verschleudern der Staatsgelder durch eine leichtsinnige Geldverteilerei und eine ruinierende Lohnpolitik nicht. Ihr fordert einen sparsamen Haushalt des Staates und des Bundes. Ihr verwerft das staatliche Eingreifen in Eure Betriebe, weil es den Bureaukratismus gross züchtet und die eigene Verantwortung lähmt.6 Meine Damen und Herren: Gibt es irgendein Wort, ein Buchstabe, ein Komma, das wir heute an diesem Flugblatt ändern müssten? Die Unabhängigkeit gegen aussen, die Freiheit, die Eigenverantwortung und die Sicherheit im Innern, wie dieses Flugblatt schon 1917, wie sie die Reden Mingers nach 1917 bis zu seinem Tode zum Ausdruck bringen, das ist der Weg in die Zukunft. Was uns genau die Zukunft bringen wird, das wissen wir nicht. Aber auf welchen Grundsätzen unsere Lösungen beruhen, das wissen wir! Ich weiss, dass uns die Arbeit nicht ausgehen wird. Wir schaffen es, wenn wir unseren Grundsätzen treu bleiben. Und, um auch seit 30 Jahren das Gleiche zu sagen: "Je weniger die Politiker an sich denken, desto mehr denken die Bürger an die Politiker!" Somit schliesse ich mit dem zukunftsweisenden Satz: "Die Zukunft wird unser Land vor die Lösung schwieriger Aufgaben stellen. Ich möchte nur erinnern an die Erneuerung der Handelsverträge, an die Sanierung unserer Finanzen, an die Lösung der Fremdenfrage, an die Einführung der Alters- und Invalidenversicherung." Nicht wahr, meine Damen und Herren, das ist doch wirklich ein moderner, geradezu wegweisender Satz, mit dem ich hier schliessen wollte. Nur: Ich will ehrlich sein, ich habe diesen Schlusssatz gestohlen. Ich habe ihn abgeschrieben. Nämlich aus Mingers "Bierhübelirede" vom 24. November 1917!7 1 Zwanzigjahrfeier der Bernischen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei. Ansprache vom 25. September 1938 in Burgdorf. Sämtliche Redezitate aus: Rudolf Minger spricht. 24 Reden ausgewählt und eingeleitet von Hermann Wahlen. Bern 1967. S. 163. 2 Zum 1. August 1935. Rede auf dem Münsterplatz in Bern. S. 145 3 Das Schweizervolk und seine Landesverteidigung. Vortrag vom 22. April 1934 in Rorschach. S. 108. 4 Ansprache Rudolf Mingers an die Abteilungschefs des Eidgenössischen Militärdepartements anlässlich des Amtsantritts als Bundesrat am 6. Januar 1930. 5 Zum 1. August 1935. Rede auf dem Münsterplatz in Bern. S. 146 6 Der Zürcher Bauer, Werbeflugblatt der Bauernpartei 1919, Nr. 82, 25. Oktober 1919. 7 Die wirtschaftliche Lage unseres Landes ("Bierhübelirede"). Vortrag vom 24. November 1917 in der Abgeordnetenversammlung des Verbandes landwirtschaftlicher Genossenschaft in Bern. S. 34. &a