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01.06.2007

Will die Schweiz wirklich ein durchlöchertes Patentrecht?

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung SGCI Chemie Pharma Schweiz, 1. Juni 2007, in Basel 01.06.2007, Basel Basel. Bundesrat Christoph Blocher hat sich an der Generalversammlung der SGCI Chemie Pharma Schweiz gegen einen Abbau des Patentschutzes und gegen Parallelimporte für patentgeschützte Waren ausgesprochen. Die weltweit führende Rolle der schweizerischen Forschung gerade auf dem Gebiet der Chemie und Pharma gelte es zu behaupten, sagte der Justizminister. Daher müssten die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in der Schweiz erhalten und weiter verbessert werden. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen und Herren Ich freue mich, der SGCI Chemie Pharma Schweiz die Glückwünsche des Bundesrats zum 125-jährigen Bestehen zu überbringen. Ich bin besonders gerne zu Ihnen gekommen, denn meine frühere unternehmerische Tätigkeit verbindet mich persönlich mit Ihnen und Ihrer Gesellschaft. Ausgerechnet an Ihrer Jubiläumsgeneralversammlung fragen Sie mich besorgt und zu Recht „Will die Schweiz wirklich ein durchlöchertes Patentrecht?“. 1. Einleitung Wir alle hier drin wissen: Das Patentrecht ist für ein Land wie die Schweiz von allergrösster Bedeutung. Die Schweiz hat keine Bodenschätze. Sie ist ein rohstoffarmes Land. Wir verfügen über keinen allzu grossen Binnenmarkt. Da unser Land an kein Meer anstösst, müssen auch lange Transportwege für Güter in Kauf genommen werden. Gerade die schweizerische Chemie- und Pharmaindustrie ist eine Branche, die in besonderer Weise die Bedeutung von Forschung und Entwicklung und die Bedeutung und die Notwendigkeit des Schutzes des geistigen Eigentums für die wirtschaftliche Tätigkeit kennt. Die derzeitigen Versuche im Parlament – und publizistisch begleitet vom „Blick“ bis zur „NZZ“ – die Patentrechte unter dem Stichwort „Parallelimporte“ auszuhöhlen, sind tatsächlich schwer verständlich, angesichts der Tatsache, dass die erfolgreichen Branchen der Schweizer Wirtschaft (wie Chemie und Pharma, die Uhrenindustrie, die innovativen Firmen der Biotechnologie und des Apparatebaus, welche einen Grossteil der Wertschöpfung in der Schweiz ausmachen) auf die Forschung und Entwicklung und damit auf einen wirksamen Schutz des geistigen Eigentums angewiesen sind. Allein die chemische und pharmazeutische Industrie ist mit einem Anteil an den schweizerischen Gesamtexporten von 34 % von allen Industriezweigen die wichtigste Exportbranche und steigerte von 1980 bis 2006 ihren Export um jährlich durchschnittlich 24,7 %! Allein in den letzten 10 Jahren stieg die Produktion um 124 %. (Als Vergleich dazu dient der Maschinenbau mit einem Produktionswachstum von lediglich 7,3 %). Die Unternehmen der schweizerischen chemischen und pharmazeutischen Industrie gehören zu den weltweit innovativsten Unternehmen der Branche. Sie investieren einen erheblichen Anteil ihres Umsatzes in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Verfahren. In der Spezialitätenchemie sind es rund 4 %, bei den Pflanzenbehandlungsmitteln 8 % des Umsatzes, beim Saatgut 12 % und bei den pharmazeutischen Produkte 18 % des Umsatzes. Von den 9,7 Milliarden privaten firmeninternen Forschungsausgaben in der Schweiz fallen rund 4.3 Milliarden oder die Hälfte auf Chemie und Pharma. Jetzt habe ich hier nur von Zahlen gesprochen. Von der volkswirtschaftlichen Bedeutung und von der Bedeutung für die Beschäftigungssituation, das heisst für den Werk- und Arbeitsplatz Schweiz, habe ich noch gar nichts gesagt! Geradezu gespenstig muss für Menschen, die wissen, dass eine starke Wirtschaft uns nicht einfach in den Schoss fällt, die jetzige Diskussion um die Abschaffung der nationalen Erschöpfung erscheinen! 2. Chemische Industrie Die weltweit führende Rolle der schweizerischen Forschung gerade auf dem Gebiet der Chemie und Pharma gilt es zu behaupten. Das erfordert nicht nur Anstrengungen der Unternehmen, sondern auch des Staates! Daher müssen die Rahmenbedingen für die Forschung und Entwicklung in der Schweiz erhalten und weiter verbessert werden. Ohne Patente gäbe es hier keine durch Unternehmen finanzierte Forschung. Bei der jetzigen Patentrechtsrevision handelt es sich um eine zentrale wirtschafts- und gesellschaftspolitische Vorlage, denn sie passt das Patentrecht dem technologischen Fortschritt und den internationalen Entwicklungen der vergangenen Jahre an. Ziel ist, das innovative Klima sowie das Wirtschaftswachstum in der Schweiz zu erhalten und zu fördern. Und dazu gehört vor allem Ihre Branche. 3. Schutz von Biotech-Erfindungen Schwerpunkt der jetzigen Revision ist darum der Patentschutz der Bio- und Gentechnologie. Sie stellt einen angemessenen Patentschutz für biotechnologische Erfindungen sicher. 4. Schutzumfang bei Gensequenzen Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es allerdings einen schwierigen Diskussionspunkt. Dieser betrifft den Schutzumfang bei Gensequenzen. Der vom Bundesrat vertretene Lösungsansatz ist ein Kompromiss innerhalb der Wirtschaft. Die forschende Industrie auf der einen Seite wollte einen möglichst umfassenden Schutz. Die Forschungsinstitute und mehrheitlich auch die kleinen und mittleren Unternehmen auf der anderen Seite sprachen sich für weitgehende Einschränkungen aus. Sie fürchteten, durch Patente zu stark in der Forschung behindert zu werden. Nach langem Ringen konnten sich Industrie, Forschungsinstitute und KMU auf einen Ansatz verständigen. Nunmehr ist diese wirtschaftspolitische Vorlage aber auf gutem Weg. Die Opposition seitens der Grünen, Sozialdemokraten und Fundamentalisten wird auch in einer Volksabstimmung unterliegen. Da bin ich überzeugt. 5. Parallelimporte In den Medien werden diese wirtschaftlich wichtigen Reformen in Kernbereichen des Patentrechts kaum mehr erwähnt. Hingegen wird ein anderes Phantom an die Wand gemalt, das der Parallelimporte. Dabei wird die Preisinsel Schweiz bemüht! Und hier – meine Damen und Herren – droht eine veritable Durchlöcherung des Patentrechtes. Dabei tut man so, als ob die nationale Erschöpfung im Patentrecht schuld an den wirklich oder angeblich zu hohen Preisen in der Schweiz sei. Darum wird ein Wechsel zur internationalen Erschöpfung gefordert. Ein Preissenkungspotenzial in Milliardenhöhe wird herbeigeredet. Packen wir doch den Stier an den Hörnern: Haben wir höhere Preise und wenn ja, warum? Ist das wirklich auf das Patentgesetz zurückzuführen? Hier ist klar zu stellen: 1. Die Schweiz ist ein wohlhabendes, hoch entwickeltes Land. Solche Länder haben ein hohes Preisniveau. Sudan hat tiefe Preise, die Schweiz hat hohe! Wollen Sie tauschen? 2. Im weiteren wissen Sie aus Ihrer Tätigkeit mit Ihren Produkten: Jedes Land hat ein anderes Preisniveau. Kein Produkt verkauft man in jedem Land zum gleichen Preis. 3. Dass viele Detailhandelspreise in der Schweiz auch ein höheres Preisniveau als die umliegenden Länder haben, hat viele Gründe: o Der Detailhandel ist von ganz wenigen Gross-Detailhandels-Unternehmen mit sehr hohemMarktanteil beherrscht! Dadurch wird die Schweiz von vielen nicht beliefert: Was bei Migros und Coop nicht im Sortiment ist, wird oft gar nicht in unser Land geliefert. o Im landwirtschaftlichen Bereich gibt es mit vielen Produkten einen Schutz vor Tiefpreisen! o Eine der Hauptgründe sind aber Sondernormen, die man erlassen hat, um den Konsumenten eine hohe technische Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz und vieles mehr tatsächlich oder angeblich zu gewährleisten, was der Bundesrat mit dem Projekt: „Abschaffung technischer Handelshemmnisse oder Cassis de Dijon-Prinzip“ nun zu umgehen versucht. o Unbedeutend für die Konsumpreise ist dagegen der Abbau des Patentschutzes und der gesetzliche Zwang Parallelimporte für patentgeschützte Waren zuzulassen. Dafür würde die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit des Eigentümers massiv gesetzlich eingeschränkt. Man hofft, dies würde für die Konsumenten zu billigeren Produkten führen. Kurzfristig mag dies sogar zutreffen. Wenn Sie jemandem Eigentum ganz oder teilweise wegnehmen – sei dies geistiges oder Sacheigentum – und es verteilen, bringt es den Nutzniessern dieser Verteilung – mindestens kurzfristig – einen Vorteil. Das haben die Kommunisten anfänglich auch gemerkt. Wenn aber der Staat das Eigentum nicht mehr schützt, verliert jeder das Interesse Eigentum zu erarbeiten. Allgemeine Verarmung und wirtschaftlicher Niedergang sind die logische Konsequenz. Auch hier lässt der Kommunismus grüssen. Die Gegner des umfangreichen Patentschutzes rufen jetzt nach der internationalen Erschöpfung. Dass sich so viele Parlamentarier daran beteiligen, ist umso erstaunlicher, als kein einziges Industrieland auf der Welt eine solche internationale Erschöpfung kennt. Nur Länder, die wirtschaftlich rückständig sind, haben die internationale Erschöpfung. Es ist erstaunlich, dass das Parlament dies für die Zulieferprodukte in der Landwirtschaft bereits ins Landwirtschaftsgesetz aufgenommen hat und sich eine Verbilligung der landwirtschaftlichen Produktionskosten erhofft. Der Bundesrat hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den verschiedenen Argumenten, für und wider die nationale Erschöpfung auseinandergesetzt. Er ist immer zum gleichen Schluss gekommen: Ein Systemwechsel bei der Erschöpfung würde vor allem dem Forschungs- und Entwicklungsstandort Schweiz schaden. Der ökonomische Nutzen, der im besten Fall erwartet werden könnte, ist unbedeutend und würde die Nachteile eines Wechsels nicht aufwiegen. Deshalb sprach sich der Bundesrat immer für die nationale Erschöpfung aus. Diese Haltung bekräftigte er seither mehrfach. Wohlverstanden: Der Bundesrat befürwortet nicht die hohen Preise in der Schweiz. Er ist für einen Abbau der Hochpreisinsel Schweiz, soweit dies staatlich möglich ist. Doch will er diesen durch gezielte, spürbare und sinnvolle Massnahmen und nicht durch Enteignung privater Rechte erreichen. 6. Schluss Der Bundesrat befürwortet die nationale Erschöpfung im Patentrecht. Sie ist für ihn ein Garant für den Innovationswettbewerb und damit auch ein wichtiges Element einer wohlfahrtsfördernden Wirtschaftpolitik. Der Eingriff in die nationale Erschöpfung im Bereich der Landwirtschaft weist in eine falsche Richtung. Meine Damen und Herren, der Bundesrat ist bereit, sich für den Patentschutz einzusetzen. Er allein kann aber nicht die ganze Überzeugungsarbeit leisten. Wenn Ihnen daher am Pharmastandort Schweiz gelegen ist, sollten Sie ebenfalls gegen Löcher im Patentschutz ankämpfen. Beteiligen Sie sich an der jetzt laufenden Vernehmlassung zur Frage der Erschöpfung im Patentrecht. Rechte und Errungenschaften gilt es zu verteidigen und – falls man die Rechte nicht hat – dafür zu kämpfen!

31.05.2007

Aktuelle Fragen zur Aktienrechtsrevision

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung von SwissHoldings, 31. Mai 2007, in Bern 31.05.2007, Bern Bern. Das neue Aktien- und Rechnungslegungsrecht wird Schweizer Unternehmen laut Bundesrat Christoph Blocher für Investoren noch attraktiver machen. Der Justizminister legte an der Generalversammlung von SwissHoldings erneut die Eckpfeiler der Gesetzesrevision und die Positionen des Bundesrats dar. Es müsse sichergestellt werden, dass das Geset-zeswerk den modernen Erfordernissen entspreche und dass die Rechtssicherheit, die Kontrolle und d Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen und Herren Seit Jahren wird eine Revision des Aktienrechtes gefordert. Allerdings sind die Wünsche an eine solche Revision sehr unterschiedlich, oft diametral entgegengesetzt. 1. Stossrichtung der Revision Der Bundesrat verfolgt mit der Revision des Aktienrechtes vier Ziele: a) Die Corporate Governance ist zu verbessern. b) Die Kapitalstrukturen sind flexibler auszugestalten. c) Für die Generalversammlung sollen die neuen elektronischen Kommunikationsmittel genutzt werden können. d) Die veraltete Ordnung der Rechnungslegung soll für alle Rechtsformen modernisiert und vereinheitlicht werden. 2. Zur Corporate Governance Zuerst zur Corporate Governance: Die Corporate Governance regelt die Beziehungen zwischen den verschiedenen Organen in einer Aktiengesellschaft. Es geht dabei namentlich um eine angemessene Kontrolle des Verwaltungsrats durch die Generalversammlung. Es muss sichergestellt sein, dass die Aktionäre über genügend Informationen verfügen und dass sie ihre Rechte gebührend wahrnehmen können. Der Regelungsbedarf ist verschieden, je nach dem, ob es sich um eine Familiengesellschaft mit einem einzigen oder wenigen Aktionären einerseits oder eine Publikumsgesellschaft mit stark pulverisierten Eigentümern und tausenden von Aktionären andererseits handelt. 2.1 Zu den Publikumsgesellschaften: Als Hauptmangel wird empfunden, dass die Eigentümer Mühe haben, ihre Eigentumsrechte gebührend wahrzunehmen. Es kann daher zu einem Ungleichgewicht zwischen Eigentümern des Risikokapitals und Entscheidungsträgern kommen. Doch müssen sich die Aktionäre einer Publikumsgesellschaft dessen bewusst sein: Geteiltes Eigentum ist eben nie volles Eigentum. Mit der Revision soll dafür gesorgt werden, dass Eigentümer, d.h. Aktionäre, dort, wo sie bestimmen können und bestimmen müssen, auch dazu in die Lage versetzt werden. Es braucht deshalb Vorschriften zur Transparenz, zur Vertretung der Aktionäre in der Generalversammlung, zur Stimmabgabe, zur Rechnungslegung. Der Staat verpflichtet die Gesellschaften zur Einhaltung formeller Regeln. Für die Richtigkeit von Rechnungen, Stimmabgaben, Strategien etc. haben die Gesellschaften selbst zu sorgen! 2.2 Was die sogenannten privaten Gesellschaften - im Gegensatz zu den Publikums-Aktiengesellschaften meist kleineren Gesellschaften - anbelangt, ist der Schutz der Aktionäre oft prekär. Dies gilt selbst für Aktionäre, deren Vermögen zu einem grossen Teil in einem Unternehmen gebunden ist (namentlich durch Erbfall). Die Minderheiten können oft auch nicht aus der Gesellschaft ausscheiden, weil es keinen Markt für ihre Beteiligungen gibt. Auch hier muss der Gesetzgeber gewährleisten, dass die Aktionäre sich über die Situation ihres Unternehmens ausreichend informieren können. Weiter sind den Aktionären geeignete Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihr Eigentum schützen können, insbesondere beim Ausscheiden. 2.3 In der Kritik am Vorentwurf spiegeln sich die verschiedenen Interessen: So finden Aktionäre - namentlich Minderheitsaktionäre - die heutigen gesetzlichen Hürden für die Ausübung der Aktionärsrechte als zu hoch angesetzt. Dies obwohl die Hürden für die Ausübung der Rechte der Minderheitsaktionäre bereits in der letzten Aktienrechtsrevision gesenkt wurden. Verschiedene Aktionärsrechte – so etwa für eine Sonderprüfung – könnten wegen zu hoher Quoren oft kaum geltend gemacht werden. Auf der anderen Seite verlangen die Vertreter des Managements – begreiflicherweise – eine hohe Hürde, d.h. ein relativ hoher Aktien-Anteil um ein solches Recht ausüben zu können. Sie fürchten den Missbrauch! Der Bundesrat findet, dass die im Entwurf vorgesehenen Rechte für den Schutz des Eigentums der Aktionäre erforderlich sind. Ein guter Schutz des Eigentums kann Investoren motivieren, in der Schweiz zu investieren. Die genaue Höhe der Schwellenwerte, die erreicht werden müssen, um eine Sonderprüfung zu verlangen, wird nochmals einer genauen Prüfung unterzogen. Wohlwissend, dass die Festlegung eines Quorums eine Gratwanderung bedeutet. 2.4 Interessengegensätze zeigten sich in der Vernehmlassung auch bei der Neuregelung der Stimmrechtsvertretung in der Generalversammlung. Die Wirtschaftsverbände, welche stark vom Management grosser Firmen dominiert sind, stehen der Abschaffung des Organ- und des Depotvertreters ablehnend gegenüber. Sie fürchten, dass dadurch Zufallsentscheide in der Generalversammlung begünstigt werden. Doch was sind schon „Zufallsentscheide“? Nicht jedes Ergebnis, das gegen den Antrag des Verwaltungsrates ausfällt, ist ein Zufallsentscheid und auch nicht jeder knappe Entscheid ist ein Zufallsentscheid, den es zu verhindern gilt. Wenn die Aktionäre ohne konkrete Weisungen Dauervollmachten unterzeichnen oder einem Organvertreter ohne Weisungen ihre Stimmrechte überlassen, so ist das für die Kontrolle in der Gesellschaft mindestens so problematisch wie allfällige „Zufallsentscheide“. Namentlich bei schlecht geführten Unternehmen und in schlechter Situation hat sich dies verhängnisvoll ausgewirkt. 2.5 Ein meines Erachtens überproportionales Gewicht nimmt die Neuregelung betreffend Vergütungen des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung ein. Was ist vorgesehen? Der Vorentwurf sieht vor, dass die Statuten Bestimmungen betreffend der Entschädigung des Verwaltungsrates vorsehen können. Hier ist allenfalls zu prüfen, ob dies nicht eine „Muss – Vorschrift“ sein sollte. Allerdings ist eine solche Vorschrift – je nach dem Abstraktionsgrad – nicht besonders aussagekräftig. Die stark von Seiten der Manager beeinflussten Stellungnahmen erachten die Generalversammlung als nicht in der Lage, über eine Regelung der Entschädigung zu befinden. Die Vertreter der Aktionäre auf der anderen Seite möchten sogar eine zwingende Kompetenz der Generalversammlung, um die Saläre im Detail festzulegen. Wieder andere fordern gesetzlich festgelegte Höchstgrenzen der Entschädigungen. Der Vorschlag des Bundesrats stellt einen praktisch gangbaren und meines Erachtens die Eigentümer schützenden Kompromiss dar: Durch die jährliche Einzelwahl des Verwaltungsrates können die Aktionäre, die über die Bezüge der Verwaltungsräte und die des Managements Bescheid wissen, unter Ausschluss von stimmverfälschenden Organ- und Depotstimmrechten indirekt über die Saläre in Kenntnis der Leistung abstimmen. Bereits heute kennen 7 SMI-Gesellschaften die jährliche Wahl des Verwaltungsrats. Einzelne Gesellschaften haben angekündigt, zur jährlichen Wahl überzugehen. Missstände bei diesem System sind mir nicht bekannt. Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang 3. Zu den Kapitalstrukturen Im Bereich der Kapitalstrukturen wird für die Unternehmen mehr Spielraum geschaffen: * Mit dem neuen Rechtsinstitut des Kapitalbands kann dem Verwaltungsrat die Kompetenz eingeräumt werden, das Aktienkapital zu erhöhen oder herabzusetzen. * Der gesetzliche Mindestnennwert von Aktien wird aufgehoben: Er muss aber grösser sein als Null. Er kann auch unter einem Rappen liegen. Dies ermöglicht es, die Aktien beliebig zu splitten. Damit bleibt stets eine Herabsetzung des Nennwerts offen. * Aufgrund der Stellungnahmen in der Vernehmlassung hat der Bundesrat beschlossen, auf eine Abschaffung der Inhaberaktie vorläufig zu verzichten. Bevor nicht andere Industriestaaten, namentlich auch die europäischen, die Inhaberaktie abgeschafft haben, sieht die Schweiz keinen Grund, die sehr beliebte und auch in vielen Kleingesellschaften heute noch gängige Inhaberaktie abzuschaffen. 4. Zu den Neuerungen betreffend die Generalversammlung Bei der Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung sollen zukünftig die neuen elektronischen Kommunikationsmittel genutzt werden dürfen. Dadurch können die Kosten gesenkt werden. Weiter wird durch die Nutzung des Internets auch eine aktive Teilnahme der Aktionäre an der Generalversammlung gefördert. 5. Zur Neuregelung der Rechnungslegung Für die Aktionäre und für die Investoren ist die Rechnungslegung ein vorrangiges Mittel zur Information über ein Unternehmen. Nur mit den Aufschlüssen der Rechnungslegung können sie ihr Eigentum wahrnehmen und entsprechend handeln. Aufgrund der Rechnungslegung kann aber auch darüber entschieden werden, welche Investitionen zu verantworten sind und welche nicht! Es ist zu bemerken: Die Realität der Rechnungslegung ist schon lange besser als die gesetzliche Regelung. Dies gilt vor allem für die Publikumsgesellschaften. Bedeutungsvoll ist jedoch für alle Rechtsformen eine harmonisierte und einfache Neuregelung zu schaffen. Für Publikumsgesellschaften ändert sich jedoch kaum viel. In der Vernehmlassung wurde geltend gemacht, dass die Neuregelung zu unerwünschten Steuerfolgen führen könnte. Insbesondere ist die Vorschrift auf Kritik gestossen, wonach Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen in der Handelsbilanz rückgängig zu machen sind und detailliert verbucht werden müssen. Der Bundesrat hat dieser Kritik Rechnung getragen und beschlossen, dass nicht anerkannte Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen im Unterschied zum Vorentwurf nur als Gesamtbetrag im Anhang zur Jahresrechnung offen zu legen sind. Das Kapitel Rechnungslegung wird entsprechend neu überarbeitet. 6. Wie geht es weiter? Der Bundesrat hat das EJPD beauftragt, bis Ende 2007 eine Botschaft vorzulegen. An der Vorlage wird grundsätzlich festgehalten. Sie wird aber im Lichte der Vernehmlassung überarbeitet. 7. Schlusswort Lassen Sie mich meine Ausführungen mit einem Zitat eines amerikanischen Financiers beenden. Bernard Baruch - ein Berater von John F. Kennedy - hat einmal gesagt: "Es gibt tausende Möglichkeiten, sein Geld auszugeben, aber nur zwei, es zu erwerben: Entweder wir arbeiten für das Geld - oder das Geld arbeitet für uns". Die Revision des Aktienrechts ist dann geglückt, wenn diejenigen, die für Geld arbeiten und diejenigen, für die das Geld arbeitet, zusammenfallen. Das Zweite – dass das Geld für uns arbeitet – ist mit den Pensionskassenregelungen, wo die Leute für ihr Alter durch das Kapitaldeckungsverfahren arbeiten, immer wichtiger geworden. Ich bin überzeugt, dass das neue Aktien- und Rechnungslegungsrecht dazu beiträgt, dass es für Investoren noch attraktiver wird, ihr Geld in Schweizer Unternehmen "arbeiten" zu lassen. Und gleichzeitig ist sicherzustellen, dass ein den modernen Erfordernissen entsprechendes, einfaches Gesetzeswerk vorliegt, damit die Rechtssicherheit, die Kontrolle, die Bedürfnisse der kleinen und der grossen Gesellschaften gewahrt sind.

27.05.2007

Manager sollen sich nicht mehr selbst bedienen können

«Bundesrat Christoph Blocher über Abzockerei, Einwanderung und seine Pläne» 27.05.2007, Sonntagszeitung, Victor Weber und Arthur Rutishauser Herr Blocher, die Wirtschaft kommt erst richtig in Fahrt , und Sie warnen bereits vor einer Überhitzung. Es ist schön, dass die Wirtschaft läuft. Doch nun gibt es eindeutig eine Überhitzung, wenngleich noch ohne Inflation. Fragt sich, was passiert, wenn wieder eine Rezession kommt. Eine solche wird bestimmt folgen. Warum? In der freien Wirtschaft folgte der Hochkonjunktur immer eine Rezession. Eine ähnliche Überhitzung erlebten wir zum Beispiel 1989, und die Arbeitslosigkeit war viel tiefer als heute. Der Vorteil ist, dass der Anstieg des Lohnniveaus kleiner ist. Aber es führt in einer Rezession zu einer höheren Arbeitslosigkeit, die sich dann den europäischen Verhältnissen angleichen wird. Nun wandern vor allem Deutsche ein, wobei hochqualifizierte Arbeitskräfte kommen, die Wachstum ermöglichen. Ihre Befürchtungen sind bisher nicht eingetreten. Ich weiss nicht von welchen Befürchtungen Sie sprechen. Mein Statement war klar, die Öffnung des Arbeitsmarktes gegenüber der EU war unvermeidlich. Gerade in der Zeit der starken Konjunktur nimmt die Wirtschaft viele Beschäftigte auf. Auf die Dauer bringt dies eine Verflachung des Lohnniveaus und in der Tendenz eine steigende Arbeitslosigkeit. Dies hat man in Kauf zu nehmen. Wird die Abschaffung der Einwanderungskontigente dies weiter verschärfen? Die letzte Quartalsquote für Daueraufenthalter aus den alten EU-Ländern war innert 41 Minuten vergeben. Am 1. Juni fallen die Kontingente für die alten EU-Staaten ganz weg. Bei der starken Konjunktur werden die bisherigen Quoten gegenüber den „alten“ EU-Ländern mit Bestimmtheit überschritten werden. Sie befürchten eine zweite deutsche Einwanderungswelle?Am Anfang, also Juni/Juli, wird die Zuwanderung wohl relativ stark sein, dann wird sie wieder etwas abflachen. Wir müssen aber das erste Jahr abwarten, um zu wissen, ob man die Kontingente wieder einführen muss oder nicht – so wie dies auch in den Verträgen vorgesehen ist. Das würde aber das Verhältnis zu EU weiter trüben. Brüssel übt ja jetzt schon Druck aus, damit die Schweiz Steuervorteile für ausländische Unternehmen abbaut. Wir dürfen auf die Forderung der EU nicht eingehen, das ist klar. Es geht doch nicht an, dass die EU uns sagen will, wie wir in den Kantonen und im Bund die Steuern gestalten wollen. Die Souveränität der Staaten ist zu achten! Was kann die Schweiz gegen den Machtblock EU setzen? Die Schweiz ist für die EU in vielerlei Hinsicht wichtig. Man denke nur an die Nord-Süd-Verbindung durch die Alpen, an den Strom und die Stromdrehscheibe Schweiz, an die Personenfreizügigkeit. Wir sind ein wichtiges Exportland für die EU, wir zahlen grosse Beiträge, zum Beispiel die Kohäsionsmilliarde, von denen auch neue EU-Mitglieder wie Bulgarien und Rumänien profitieren wollen. Haben Sie in der Steuerfrage einen Mitbericht verfasst, in dem Sie darauf verweisen, dass die Schweiz allenfalls die Kohäsionsgelder sowie die erweiterte Personenfreizügigkeit in die Waageschale werfen soll? Der Bundesrat hat beschlossen, dass er mit der EU reden, aber nicht verhandeln will, was auch richtig ist. Die Schweiz kann es sich leisten, nicht auf alle Forderungen der EU einzutreten. Jetzt muss die Schweiz Flagge zeigen. Sehen sie eine Möglichkeit, dass man sagt, wir besteuern ausländische und schweizerische Unternehmen gleich? Mein ursprünglicher Antrag für die Unternehmensbesteuerung war: Abschaffung der Unternehmensgewinnsteuern. Die Steuern werden ja bei der Ausschüttung der Dividenden erhoben. Bundesrat und Parlament sind aber andere Wege gegangen. Mit den feindlichen Übernahmen von Sulzer und Co. ist die Diskussion aufgeflammt, ob schon Pakete von unter fünf Prozent gemeldet werden müssen. Offenbar ist es heute zu einfach, heimlich eine beherrschende Beteiligung aufzubauen. Das Problem ist nicht ein zu hoher Schwellenwert. Sondern die Melderegeln werden heute nicht durchgesetzt. Also muss dafür gesorgt werden. Folglich müssten die Sanktionen verschärft werden? Vor allem muss gehandelt werden. Wenn sich dann die heutigen Sanktionsmöglichkeiten als unbrauchbar erweisen, so sind diese zu verschärfen. Diese Frage liegt aber in der Kompetenz der Schweizer Börse, der Eidgenössischen Bankenkommission und des Finanzdepartements. Welche Sanktionen könnten Sie sich vorstellen? Das kann eine happige Busse sein oder noch besser: Die heimlich erworbenen Aktien werden nicht anerkannt, die Transaktionen gelten nicht. Nächste Woche referieren Sie bei einer Veranstaltung am Novartis-Hauptsitz über den Schutz des Patentrechts. Ich fordere die chemische und die pharmazeutische Industrie auf, sich gegen die im Parlament zu beobachtende Tendenz zur Wehr zu setzen, das Patentrecht zu durchlöchern, indem Parallelimporte patentgeschützter Güter zugelassen werden. Das ist unverantwortlich: Nur Entwicklungsländer - wie es die Schweiz im 19. Jahrhundert war - kennen das Prinzip der internationalen Erschöpfung, das es einem Hersteller untersagt, dem ausländischen Abnehmer Auflagen zu machen. Das ist doch ein gutes Mittel gegen die steigenden Medikamentenkosten und Krankenkassenprämien. Kurzfristig hätte dies vielleicht eine geringe preissenkende Wirkung, das ist immer so, wenn Eigentum enteignet und verteilt wird. Es ginge ja um eine Enteignung von geistigem Eigentum. Die Wirtschaft investiert jedoch nicht Milliarden in Forschung und Entwicklung, wenn ihr Eigentum an den patentierten Resultaten ausgehöhlt wird. Die Schweiz liegt mit 9,6 Milliarden Franken privaten Forschungsaufwendungen an der Spitze. Die Hälfte davon investiert allein die Pharmaindustrie. Bezeichnenderweise haben die USA als innovativstes Land der Welt auch den stärksten Patentschutz. …und das teuerste Gesundheitswesen. In den USA sind neue Medikamente teurer, nach kurzer Zeit aber brechen die Preise zusammen, weil sie keine Preisbindung haben und oft neue andere Patentprodukte kommen. Der Wettbewerb schliesst die Möglichkeit aus, hohe Preise zu verlangen. Patente schützen aber vor Nachahmung, aber nicht vor Konkurrenz durch vergleichbare Produkte. Innovationsgewinne während des Patentschutzes sind gewollt. Sie sind die Triebfeder für Forschung und Entwicklung. Der Pharmamarkt ist aber ein verzerrtes Beispiel, weil hier die Preise in Europa staatlich geregelt sind. Für die Schweiz ist aber der Patentschutz für die gesamte Wirtschaft – auch für die innovative Apparate-, Uhren- und Biotech-Industrie – eminent wichtig. Letztlich geht es um den Interessenskonflikt zwischen der innovativen Industrie und dem Zwischenhandel, der möglichst billig Produkte einführen will, um seine Marge zu verbessern. Bei der Revision des Unternehmerrechts wollten Sie die Inhaber-Aktie abschaffen, nach dem Protest der Wirtschaft  sind Sie davon abgekommen Auf internationalem Druck unter dem Stichwort Geldwäscherei wollte der Bundesrat die Inhaber-Aktien abschaffen, die nicht ins Aktienbuch eingetragen werden müssen und darum dem Eigener eine gewisse Anonymität gewähren. Inzwischen haben wir festgestellt, dass Europa gesamthaft nicht vorwärts macht, so dass wir keinen Grund sehen, voranzugehen und die in der Schweiz beliebte Inhaber-Aktie als eines der ersten Länder abzuschaffen. Selbst in zwei US-Bundesstaaten gibt es sie noch. Der Bundesrat hat beschlossen, diese zu belassen. Knatsch gibt es wegen der vorgesehenen Einführung einer einjährigen Amtszeit für Verwaltungsräte. Die Wirtschaftsverbände sind von den Managern der grossen Publikumsgesellschaften geführt. Man hat die Stellungnahmen der Führungsorgane, ob die Generalversammlung über die Festsetzung der Bezüge der Verwaltungsräte entscheiden soll, entsprechend zu gewichten. Heute funktioniert der Schutz des Aktionärs, also des Eigentümers, in grossen Publikumsgesellschaften schlecht. Das ist fast wie im Kommunismus: Die Produktionsmittel gehören allen, alle können bestimmen, das heisst keiner, ausser der Nomenklatura. Mit der einjährigen Wiederwahl des Verwaltungsrats kann das stark pulverisierte Aktionariat verstärkt Einfluss nehmen auf die Salärpolitik, was dem Management nicht passt. Diejenigen, denen die Firma gehört, sollen aber entscheiden können, wie viel aus der Firmenkasse ausbezahlt werden soll. Der Selbstbedienungsmentaliät soll ein Riegel geschoben werden? So ist es. Aber der Generalversammlung zwingend jedes Einzelsalär der Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitglieder vor Beschlussfassung vorzulegen, das würde zu weit gehen. Hingegen sollen die Aktionäre die Mitglieder des Verwaltungsrates, deren Leistung und deren Bezüge beurteilen können und jedes Jahr über das Mandat entscheiden. Findet der Aktionär, dass die offen gelegte Entschädigung im Vergleich zur erbrachten Leistung zu hoch ist, stimmt er gegen die Wiederwahl, und zwar in Einzelwahlgängen. So hat er Einfluss auf die Entschädigungen. Thomas Minder will mit seiner Volksinitiative der GV die Kompetenz geben, die Gesamtvergütungen von Konzernleitung und VR zu bewilligen. Insgesamt ist es ja noch eine gemässigte Initiative. Zu bedenken ist aber, dass auch eine solche Regelung sehr nachteilig sein  kann. Der Konzernchef reisst im Extremfall den Löwenanteil der bewilligten Gesamtvergütungen an sich und speist die anderen mit den Resten ab. Während vier Jahren ist er mit hohen Bezügen und schlechtem Resultat im Amt, ohne die Gesamtentschädigung zu überschreiten. Die Wirtschaftsverbände sind indes alarmiert. Die in einigen Fällen übertriebenen Managervergütungen beschäftigen halt die Bevölkerung. Sie sind zu einem grossen politischen Thema gemacht worden. Die geplante Revision des Aktienrechts ist aber die bessere Lösung als die Abzocker-Initiative. Die Manager müssen einfach bereit sein, vor die Aktionäre hin zu stehen! Soll auch der Konzernchef jährlich bestätigt werden? Für den Verwaltungsratspräsidenten und den allfälligen Verwaltungsratsdelegierten wäre das so. Der Konzernchef allerdings wird nach wie vor vom Verwaltungsrat angestellt. Betroffen wäre er aber, wenn er gleichzeitig VR-Präsident beziehungsweise VR-Delegierter ist. In jedem Fall aber sind seine Bezüge offen zu legen. Bringen Sie die einjährige Amtszeit gegen den Widerstand von Economiesuisse durch? ABB und sechs andere SMI-Grossfirmen haben sie bereits von sich aus eingeführt. Bei ABB kennt man ja die himmeltraurige Vorgeschichte von schlechtem Management und ungerechtfertigt hohen Abgangsentschädigungen. Bald werden Sie in Ihrem Departement alle grossen Baustellen geschlossen haben. Stimmt. Zumindest die wichtigsten Baustellen. Und was kommt dann, eine Departementswechsel? Mal sehen. Das Justiz- und Polizeidepartement haben sie mir gegeben. Nun geht es nicht mehr in erster Linie um neue Gesetze, sondern um die konsequente Anwendung der bestehenden. Sie würden gerne ein neues Departement übernehmen. Ja, das EJPD gibt dann nicht mehr sehr viele Probleme auf. Behalte ich es, dann habe ich noch mehr Zeit für die Gesamtpolitik des Bundesrates. Welches Departement hätten Sie am liebsten? Wo grosse Probleme anstehen, etwa das EDI mit den Sozialwerken. AHV und IV sanieren, das wären die ganz grossen Brocken. Dann gehen Sie in Pension? Wo denken Sie hin! Politische Freunde sagen, ich müsse bleiben, bis ich jedes Departement geführt habe (lacht).

26.05.2007

Klare Schranken für die Sterbehilfe

Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Neuen Zürcher Zeitung vom 26. Mai 2007 26.05.2007, Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Neuen Zürcher Zeitung Seit altersher beschäftigen sich die Menschen mit Fragen des Überganges vom Leben zum Tod und mit der Sterbehilfe. Dass sich die Schüler der Heilkunde mit dem Hippokratischen Eid verpflichteten, keine Tötung auf Verlangen und keine Beihilfe zur Selbsttötung durchzuführen, weist darauf hin, dass bereits in der Antike solche Anfragen an Ärzte gerichtet wurden und manche Ärzte solche Handlungen auch durchführten. In den letzten Jahren hat in der Schweiz insbesondere das Phänomen des so genannten Sterbetourismus die Diskussion um die Sterbehilfe neu entfacht. Der Bundesrat hat in seinem, Ende Mai 2006, veröffentlichten Bericht über Sterbehilfe und Palliativmedizin ausführlich dargelegt, dass das geltende Recht klare Schranken setzt und dass kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Fragen muss man sich allerdings, ob die Strafvollzugsbehörden in allen Kantonen ihrer Pflicht nachkommen. Ihnen obliegt es nämlich, bei jedem Todesfall abzuklären, ob es mit rechten Dingen zugegangen ist. Am absoluten Tötungsverbot nicht rütteln Der Schutz des menschlichen Lebens gehört zu den vornehmsten und primären Aufgaben des Staates. Bisher haben es sowohl der Bundesrat wie das Parlament entschieden abgelehnt, das unserer Rechtsordnung zugrunde liegende absolute Tötungsverbot zu lockern. Zwar waren die parlamentarischen Vorstösse zur Legalisierung der direkten aktiven Sterbehilfe restriktiv formuliert. Nur in extremen Ausnahmefällen sollten jene von einer Strafe befreit werden, die aus Mitleid einen unheilbar und schwer kranken, vor dem Tode stehenden Menschen, auf sein eindringliches Verlangen hin von einem unerträglichen und menschenunwürdigen Leiden befreien. Dass diese Vorstösse abgelehnt wurden ist auf den breiten Konsens zurückzuführen, dass selbst eine äussert restriktive Strafbefreiung der direkten aktiven Sterbehilfe ein Tabu brechen, Hemmschwellen senken und gefährliche Schleusen zur unfreiwilligen Sterbe-„Hilfe“ öffnen würde. Man erkannte bisher, dass wir die Geister, die wir gerufen haben, nicht mehr loswerden würden. Gesetz oder eigene Verantwortung? Die indirekte aktive und die passive Sterbehilfe dagegen gehören seit langem zum Schweizer Spitalalltag und sind in den standesrechtlichen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften detailliert geregelt. Dennoch fordern parlamentarische Vorstösse, diese unter bestimmten Voraussetzungen straflosen Formen der Sterbehilfe auch ausdrücklich im Strafgesetzbuch zu regeln. Die Befürworter einer Regelung im Strafgesetzbuch sind sich allerdings uneinig, ob eine restriktivere oder liberalere Lösung anzustreben ist, und bezeichnenderweise schweigen sich die Vorstösse über den genauen Inhalt einer solchen Regelung aus. Es wäre zwar durchaus möglich, im Strafgesetzbuch festzulegen, unter welchen allgemeinen Voraussetzungen etwa der Verzicht auf lebenserhaltende Massnahmen (passive Sterbehilfe) oder eine Schmerzbehandlung mit lebensverkürzenden Nebenwirkungen (indirekte aktive Sterbehilfe) straflos sind. Doch eine abstrakte, allgemeingültige Regelung könnte nicht alle möglichen Einzelfälle und heiklen Fragen erfassen und wäre deshalb nicht von praktischem Nutzen. Das Standesrecht auf der Grundlage des absoluten Tötungsverbotes eignet sich viel besser, um komplexe und vielfältige Fallkonstellationen detailliert und konkret zu regeln. Und letztlich muss der Arzt oder die Ärztin in eigener Verantwortung, je nach Gegebenheiten des Einzelfalls, entscheiden, welche Massnahmen unterlassen werden können und welche Therapie unerlässlich oder zulässig ist. Dieser Entscheid kann und darf ihm ein Gesetzesartikel nicht abnehmen, auch wenn dies viele Ärzte fordern. Liberale Regelung der Suizidhilfe Die Bundesverfassung schützt nicht nur das Recht auf Leben, sondern auch das Recht auf persönliche Freiheit. Die individuelle Selbstbestimmung schliesst das Recht ein, auch über die Beendigung des eigenen Lebens frei zu entscheiden und unter Umständen den Freitod zu wählen. Indem der Staat die Beihilfe zum Suizid ohne selbstsüchtige Beweggründe zulässt, hilft er dem Einzelnen in dieser Situation seinen Willen frei zu bilden und danach zu handeln. Gerade diese Straflosigkeit der uneigennützigen Beihilfe zum Suizid erleichtert es, konsequent und ohne Abstriche am absoluten Tötungsverbot festzuhalten. Die liberale Regelung der Suizidhilfe, die seit Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches gilt, ist eine Ausnahme im Vergleich mit den umliegenden Ländern. Aber gerade sie hat zur Entstehung von Suizidhilfeorganisationen geführt und ist eine Hauptursache für das Aufkommen des sog. Sterbetourismus. Die Schweiz ist allerdings kein Sonderfall: In Holland und Belgien ist die Suizidhilfe unter bestimmten Bedingungen ebenfalls legal. Bisher wurde in der Schweiz von keiner Seite eine Revision der geltenden Gesetzesbestimmung gefordert, um diese liberale Regelung aufzuheben. Es besteht vielmehr ein breiter Konsens, dass diese bewährte Regelung, die sowohl das menschliche Leben schützt als auch den Willen der sterbewilligen Person respektiert, nicht angetastet werden soll. Missbräuche bei der Suizidhilfe unterbinden In rund 20% aller Suizidfälle wird heute in der Schweiz der Suizid mit Hilfe einer Suizidhilfeorganisation begangen. In höchstens 7% der Suizidfälle handelt es sich um Personen mit Wohnsitz im Ausland. Auch, wenn man in Anbetracht dessen nicht von einem Boom des Sterbetourismus sprechen kann, sind mit der Zunahme der organisierten Suizidbeihilfe zweifellos Missbrauchsgefahren verbunden, die dazu führen können, dass die Grenze vom legalen zum strafbaren Verhalten überschritten wird. Und selbst wenn keine strafbaren Handlungen begangen werden, zieht namentlich der Sterbetourismus eine Reihe unerwünschter Folgen nach sich: So stellt der Betrieb von Suizidhospizen weit über deren unmittelbare Nachbarschaft hinaus eine Störung und Belastung dar. Ferner drohen die schnelle „Abwicklung“ und andere stossende Begleiterscheinungen des Sterbetourismus dem Ruf der Schweiz zu schaden und er bewirkt einen beträchtlichen Arbeitsaufwand und entsprechende Kosten für die betroffenen Behörden. Mögliche Missbräuche im Rahmen der Suizidhilfe sind durch eine konsequente Anwendung des Straf- und Gesundheitsrechts zu unterbinden, was auch möglich ist. Zuständig dafür sind die Kantone und Gemeinden. Wenn zum Beispiel die Grenzen von der uneigennützigen - und damit straflosen Beihilfe zur Selbsttötung - zur Fremdtötung überschritten werden oder bei der Verschreibung des todbringenden Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital (NAP) der Sterbewunsch nicht sorgfältig und fachkundig abgeklärt wird, sind die Behörden und nicht der Gesetzgeber gefordert. Es ist unerlässlich, dass auch nach jeder Selbsttötung die Strafverfolgungsbehörden sorgfältig und umfassend die Todesart abklären, da bei einem aussergewöhnlichen Todesfall eine strafbare Handlung von Dritten grundsätzlich nie ausgeschlossen werden kann. Diese Behörden haben einen Augenschein vor Ort zu nehmen, Einvernahmen durchzuführen und eine Untersuchung der Leiche durch einen sachverständigen Arzt anzuordnen, um den Sachverhalt abzuklären. Ebenso müssen die Gesundheitsbehörden konsequent gegen Sorgfaltspflichtverletzungen von Ärzten vorgehen und ihnen allenfalls die Bewilligung zur Berufsausübung entziehen. Diese konsequent eingeführte Praxis, die die Handlungsmöglichkeiten konsequent nutzt, verfehlt seine Wirkung nicht. So ist. z.B. der Sterbetourismus im Kanton Aargau dadurch praktisch zusammengebrochen. Die Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten, die das geltende Recht bietet und zu nutzen gebietet, werden jedoch nicht immer voll ausgeschöpft. Ein Aufsichtsgesetz? Statt die Gesetze zu vollziehen, wird in der Öffentlichkeit immer wieder der Erlass eines Bundesgesetzes über die Zulassung und Beaufsichtigung von Suizidhilfeorganisationen gefordert. Doch neue Gesetze schützen nicht vor der Passivität der Behörden, sondern beschönigen diese. Auch die Schaffung eines Aufsichtsgesetzes hat der Bundesrat abgelehnt, denn es bietet keine taugliche und brauchbare Lösung, um Missbräuche zu verhindern. Die Gefahr ist sehr gross, dass dadurch lediglich von der eigentlichen Aufgabe abgewichen wird, die geltenden Gesetze konsequent anzuwenden. Noch schlimmer: Ein Aufsichtsgesetz könnte die verantwortlichen Behörden dazu verleiten, die Fälle nicht mit der notwendigen Konsequenz und Gründlichkeit abzuklären, da sogenannt staatlich qualifizierte und beaufsichtigte Organisationen über jeglichen Zweifel und Verdacht erhaben zu sein scheinen. Statt Fremdtötung zu verhindern, würde ein solches Gesetz diese in der Praxis fördern! Es ist ausserordentlich gefährlich, dass der Staat durch ein Aufsichtsgesetz gleichsam nach aussen diese Organisationen und deren Tätigkeit legitimieren oder ihnen gar ein Gütesiegel verleihen würde. Ob ein Aufsichtsgesetz tatsächlich einen besseren Einblick in die Finanzen einzelner Organisationen ermöglicht, um allfällige selbstsüchtige Beweggründe leichter nachweisen zu können, ist fraglich. Die nicht unentgeltlich tätigen Suizidhilfeorganisationen sind nämlich zur Eintragung ins Handelsregister verpflichtet und können im Unterlassungsfall von Amtes wegen zwangsweise eingetragen werden. Damit sind sie auch verpflichtet, ihre Geschäftsbücher ordnungsgemäss zu führen und aufzubewahren. Im Falle eines Zweifels an der Rechtmässigkeit einer Suizidbegleitung können sich also die Strafverfolgungsbehörden einen Einblick in die Art und den Umfang der Geschäfte verschaffen, was Behörden häufig unterlassen. Kein rechtsfreier Raum Sterbehilfe ereignet sich in der Schweiz nicht in einem rechtsfreien Raum. Die Regeln sind heute in der Bundesverfassung, im Bundesrecht und im kantonalen Recht, in Gemeindebeschlüssen sowie im Standesrecht gegeben. Hinsichtlich der Strafbarkeit der direkten aktiven Sterbehilfe besteht keine Rechtsunsicherheit. Sie ist verboten. Unvermeidliche Grenzzonen (z.B. im Grenzbereich zwischen Schmerztherapie und gezielter Lebensverkürzung) lassen sich nicht durch gesetzliche Regelungen aus der Welt schaffen. Jede Regelung würde dazu führen, dass Töten in Ausnahmefällen grundsätzlich erlaubt wäre. Töten muss aber grundsätzlich verboten bleiben. Erstrebenswert ist hingegen ein Ausbau des Angebots der Palliativmedizin. Denn eine umfassende Unterstützung und Betreuung todkranker Patienten ermöglicht es diesen Menschen, in Würde zu leben und zu sterben. Die Palliativmedizin trägt damit dazu bei, den Sterbewunsch und die Nachfrage nach Suizidhilfe abzuschwächen.

26.05.2007

«Ist die Schweiz spitze?»

Referat von Bundesrat Christoph Blocher am Wirtschaftsforum der SVP St. Gallen, 26. Mai 2007, in Altstätten SG 26.05.2007, Altstätten Altstätten. Am Wirtschaftsforum der SVP St. Gallen warf Bundesrat Christoph Blocher die Frage auf, ob die Schweiz noch zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt gehöre. In der Vergangenheit hätten bürgerliche Tugenden wie Tüchtigkeit, Fleiss und Eigenverantwortung die Schweiz erfolgreich gemacht. Heute könne man nicht mehr eindeutig sagen, dass die Schweiz spitze sei; Ursache dafür sei die Politik der 90er Jahre. Diese habe zur Ausweitung der staatlichen Tätigkeit, zu Verschuldung und Anstieg der Staatsausgaben geführt. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Ist die Schweiz noch spitze? Wenn wir uns fragen, ob die Schweiz spitze ist, also ganz vorne mitspielt bei den Volkswirtschaften, dann schwingt eigentlich bei dieser Frage stets das Wörtchen "noch" mit: Ist die Schweiz noch spitze? Gehört unser Land nach wie vor zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt? Steht die Schweiz noch für Reichtum, für Forschung, Export, niedrige Arbeitslosigkeit, hohe Löhne, Sicherheit, Qualität? Ist die Schweiz also noch spitze? Wir können festhalten: So eindeutig lässt sich diese Frage zunächst nicht beantworten. Ob die Schweiz spitze war, allerdings schon. Was wir ohne Zweifel sagen können: Die Schweiz gehörte bis Anfang der 90er Jahre zu den führenden Wirtschaftsnationen der Welt. Die Schweiz war führend im Pro-Kopf-Einkommen. Die Schweiz nahm einen der ersten Ränge ein in der Produktivität, in der Entwicklung, im Export, im allgemeinen Wohlstandsniveau. In Zeiten der Hochkonjunktur tendierte unsere Arbeitslosigkeit gegen null. Die Schweiz stand für niedrige Steuern und für eine niedrige Staatsquote. Hier drängt sich nun eine weitere Frage auf: Wie erklärt sich dieser Erfolg? Wie konnte ein so kleines Land, arm an Rohstoffen, ländlich geprägt, sich so fulminant entwickeln? Gab es Rezepte, gibt es vielleicht sogar nach wie vor gültige Rezepte für diesen Erfolg? 2. Was machte die Schweiz erfolgreich? Es ist die bürgerliche Schweiz, die unser Land erfolgreich werden liess. Es ist die bürgerliche Mentalität, die unser Land nach vorne brachte. Es ist die bürgerliche Substanz, von der unser Land noch heute zehrt. Was meine ich mit "bürgerlicher Mentalität"? Tüchtigkeit, der absolute Wille zu Qualität und Präzision, Fleiss, Unternehmertum, und Eigenverantwortung, immer wieder Eigenverantwortung. Das Fundament dieser bürgerlichen Schweiz war und ist unsere direktdemokratische, föderalistische Schweiz. Das Fundament dieser bürgerlichen Schweiz ist eine politische Kultur, die der classe politique grundsätzlich misstraut. Denn das Misstrauen hat eine positive Kehrseite. Misstrauen heisst: Ich mache die Sache lieber selber, ich kontrolliere lieber selber, ich schaue lieber selber zum Rechten. Das ist gelebte, praktizierte Eigenverantwortung. Bürgerliche Tugenden sind keine einfachen Tugenden. Denn sie fordern den Einzelnen. Sie verlangen Anstrengung, Selbstüberwindung, Disziplin. Das ist nicht der bequeme Weg. Der bequeme Weg lautet: Bei jedem kleinen Hindernis kapitulieren, sofort nach dem Staat rufen, dauernd Ansprüche stellen – aber immer an die anderen, nie an sich selber. Nur eine Klammerbemerkung. Der Niedergang unseres Bildungswesens hat ganz entscheidend damit zu tun, dass sich die Schulen von diesen bürgerlichen Tugenden verabschiedet haben: Von Fleiss, Anstand, Selbstdisziplin, vom Glück der Anstrengung, von der Leistungsbereitschaft. Stattdessen predigten die Reformpädagogen die 68er-Ideale: antiautoritäre Erziehung, Leistungsfeindlichkeit, Abschaffung von Noten, Lustprinzip statt Selbstdisziplin. 3. Die fatalen 90er Jahre Zusammengefasst kann man sagen: Die Politik der 90er Jahre schädigte die Schweiz enorm. Wir nahmen plötzlich in Bereichen eine "Spitzenstellung" ein, die wir uns nicht wünschen konnten: * Kein anderes Industrieland der Welt hat in den 90er Jahren die staatliche Tätigkeit dermassen ausgeweitet wie die Schweiz. * Die Ausgaben des Bundes wuchsen von 31,6 Mia. Franken (1990) auf 51,4 Mia. Franken (2005). * Die Schulden des Bundes haben sich von 38,5 Mia. Franken (1990) auf 130,3 Mia. Franken (2005) erhöht. Rechnet man die Schulden von Bund, Kantonen und Gemeinden zusammen, ist eine Erhöhung von 97,7 Mia. Franken (1990) auf 246,5 Mia. Franken (2004) festzustellen. * Die Ausgaben des Bundes wuchsen weit schneller als die Volkswirtschaft. Der Staat beansprucht heute fast jeden zweiten Franken, der in der Schweiz verdient wird: Der Durchschnittsbürger unseres Landes arbeitet im Schnitt die ersten 156 Tage – also bis zu den Sommerferien! – ausschliesslich für den Staat * Wir litten an einer massiven, nicht mehr steuerbaren Zuwanderung. Es kamen Leute mit schlechter Ausbildung, die sich kaum integrierten und für viele war es attraktiver, direkt in den Sozialstaat einzuwandern als sich im Arbeitsmarkt zu bewähren. Je mehr die Probleme wuchsen, desto mehr wurden die Probleme totgeschwiegen, verleugnet, klein geredet. Die SVP musste einer solchen Politik entgegen wirken. Wir wurden durch die Politik der 90er Jahre regelrecht in die Opposition getrieben. Wer die bürgerliche Schweiz in dieser Zeit verteidigte, musste zwangsläufig gegen alle anderen Parteien Stellung beziehen. Ganz fundamental zeigte sich das in der Europa-Frage, die letztlich unser Land und die bürgerliche Schweiz spaltete. 4. Aushöhlung der bürgerlichen Schweiz Man hat in den 90er Jahren die Schweiz und ihre Sonderstellung systematisch schlecht geredet. Der Wille zur Selbstbestimmung wurde als "Isolationismus" denunziert. Die Neutralität für "überholt" und "verlogen" abgetan. Den für unseren Zusammenhalt so wichtigen Föderalismus belächelte man als "Kantönligeist". Die bürgerliche Schweiz wurde verspottet und demontiert. Dafür setzte jene politische Seite ihre Konzepte durch, die für mehr Staat in allen Bereichen steht. Die Verschuldung und der Anstieg der Staatsausgaben ist der konkrete Ausdruck dieser Politik. Ein überbordender Sozialstaat war die Folge. Statt auf Erfolg und Leistung zu setzen und sich für jene Menschen einzusetzen, die sich durch Eigenverantwortung auszeichnen, wurde die Politik pervertiert: Im Zentrum standen plötzlich jene, die vom Staat etwas holen, sich von der Allgemeinheit aushalten lassen, die vor allem durch Ansprüche von sich reden machten. Wer diese Missstände anprangerte, wurde mit der Moralkeule mundtot gemacht. Asylmiss-bräuche, Ausländerkriminalität, Scheininvalide, Bildungsverfall, ausufernder Sozialstaat durften nicht beim Namen genannt werden. Wer sich davon nicht abschrecken liess, wurde umgehend moralistisch abgeurteilt: Fremdenfeind! Sozialabbauer! Populist! Ewiggestriger! Wir haben uns von diesem falschen Moralismus nicht beeindrucken lassen. 5. Wo steht die Schweiz heute? Heute gibt die Schweiz ein sehr unterschiedliches Bild ab. Man könnte es zusammengefasst so beschreiben: Die Wirtschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht, die Politik weniger. Die Schweiz hat sich im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit verbessern können und steht heute auf dem sechsten Rang weltweit. Jedes Jahr verlegen Hunderte Firmen ihren Sitz in die Schweiz. Die Schweiz gilt als zweitattraktivstes Land für ausländische Arbeitnehmer. Jahr für Jahr strömen Tausende EU-Bürgerinnen und Bürger in die Schweiz und auch die Zahl der Grenzgänger hat stark zugenommen. Was sagen uns diese Fakten? Erstens, die Schweiz konnte ihre Attraktivität behaupten, weil sie sich für einen Weg ausserhalb der EU entschieden hat. Wir sind weltoffen, europafreundlich – aber wir lassen uns nicht institutionell einbinden, wir lassen unsere Selbstbestimmung nicht beschneiden. Das ermöglicht uns eine Politik, die auf unsere Stärken ausgerichtet ist. Zweitens, es ist die robuste (Aussen-) Wirtschaft, die diese Anziehungskraft ausübt. Nehmen wir die Steuern und die Staatsquote. In den 90er Jahren wurden die staatlichen Tätigkeiten und damit die Ausgaben enorm nach oben geschraubt. In keinem anderen Industrieland ist die Staatsquote – also die Ausgaben des Staates bezüglich der gesamten Wirtschaftsleistung – so stark angestiegen wie in der Schweiz. Immerhin konnten wir jetzt dank Entlastungsprogrammen eine Stabilisierung erreichen. Der Kostentreiber Nummer eins ist und bleibt jedoch der überbordende Sozialstaat – auch eine der unseligen Erbschaften der 90er Jahre. Schauen wir noch den Arbeitsmarkt an. Eine unserer Stärken ist ein wenig regulierter Arbeitsmarkt und die Bereitschaft mehr zu arbeiten als die anderen. Auch diese Stärken sind unter Druck gekommen. Die Gewerkschaften versuchen Mindestlöhne, Kündigungsschutz, niedrige Arbeitszeiten, "flankierende Massnahmen", Frühpensionierungen auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung durchzudrücken – alles Rezepte, die in den wirtschaftlichen Niedergang führen, wie unsere Nachbarländer Frankreich und Deutschland drastisch aufzeigen. Hier gilt es entschieden entgegen zu wirken. Dass im Bildungswesen etwas faul ist, zeigt die mittelmässige Rangierung der Schweiz in der PISA-Studie trotz der weltweit höchsten Bildungsausgaben. Der Mangel an Ingenieuren, Naturwissenschaftern und Mathematikern muss uns zu denken geben. Auch hier haben wir es mit einem Ausfluss dieser technologie- und leistungsfeindlichen "Reformpädagogik" zu tun. 6. Die bürgerliche Wende fortsetzen Doch wir sehen auch Anzeichen der Besserung. Die 2003 eingeleitete bürgerliche Wende muss mit den Wahlen 2007 gestärkt und fortgesetzt werden. Dafür braucht es eine starke SVP. Wo sehen wir Verbesserungen? Der Bundesrat hat sich vom EU-Beitritt als "strategischem Ziel" verabschiedet. Der Bundesrat sagt noch nicht, der EU-Beitritt ist vom Tisch. Aber es ist immerhin eine Verbesserung. Der Bundesrat hat 2006 zum ersten Mal wieder seit 1990 ein ausgeglichenes Budget vorlegen können. Das ist eine Folge der Entlastungs- und Kostensenkungsprogramme. Wir korrigieren mühsam die Verfehlungen der 90er Jahre. Ich konnte in meinem Departement aufzeigen, dass substanzielle Einsparungen im öffentlichen Bereich möglich sind, ohne dass deswegen irgendwelche Leistungen wegfielen. Wir konnten die Kosten im Justizdepartement gegenüber dem Budget vor meiner Departementsübernahme um rund 230 Millionen Franken jährlich senken. Wir können in diesem Land endlich wieder von Missbräuchen sprechen. Sei es in der IV, sei es im Asylwesen oder im Sozialbereich. Selbstverständlich wird nach wie vor versucht, bitter nötige Debatten zu unterdrücken. Ich nenne nur die Bereiche Ausländerkriminalität, Gewalt von Jugendlichen aus dem Balkan oder die Zustände an Schweizer Schulen. Aber wir sind daran, auch diese falschen Tabus aufzubrechen. Was aber fatal wäre, wenn wir auf halbem Weg stehen blieben. Wir müssen unsere Politik fortsetzen. Wir dürfen nicht zurückfallen in die 90er Jahre, wo Verschuldung, und Verschleuderung die Politik bestimmten, wo Probleme und Missstände systematisch unter den Teppich gekehrt wurden. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern aufzeigen, welche Politik wir wollen. Dass wir für diese Schweiz einstehen. Dass wir diesen Auftrag weiter erfüllen müssen. Dazu braucht es eine starke SVP. Wir können eine Politik machen, die massgeschneidert ist für einen neutralen, föderalistischen Kleinstaat mit einer stark exportorientierten Wirtschaft. Vor allem aber müssen wir wieder jene bürgerlichen Tugenden in den Vordergrund rücken, die uns Wohlstand und Erfolg brachten: Fleiss, Tüchtigkeit, Leistung und Eigenverantwortung, immer wieder Eigenverantwortung. Das ist ein mühsamer, aber letztlich lohnender Weg.