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Mandat de Conseiller Fédérale

18.03.2007

Es geht aufwärts und vorwärts – die erfolgreiche Beziehung zwischen der Schweiz und Russland

Referat von Bundesrat Christoph Blocher am Russian Economic and Financial Forum, 18. März 2007, in Zürich 18.03.2007, Zürich Zürich. Zur Eröffnung des Russian Economic and Financial Forums würdigte Bundesrat Christoph Blocher die wachsenden Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Russland und betonte die Wichtigkeit, die Wirtschaftsbeziehungen zu vereinfachen. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Noch vor 10 Jahren galt Russland für den Westen als beinahe hoffnungsloser Sanierungsfall. Was ist heute? Heute ist Russland wieder eine Weltmacht. Dies ist einerseits auf die enormen innenpolitischen Veränderungen zurückzuführen, andererseits aber auch mit der Bedeutung Russlands als Energieversorger. Die neue alte Weltmacht Nach Saudi-Arabien exportiert Russland zurzeit das meiste Erdöl. Russland verfügt über die weltweit grössten Erdgasreserven. Die russische Wirtschaft wächst ungebrochen: Seit 1999 durchschnittlich um mehr als sechs Prozent im Jahr. Im Jahre 2001 exportierte die Schweiz für 108 Milliarden Waren und Dienstleistungen ins Ausland. Die Schweiz lag noch 2001 auf Rang 17 der grössten Exportnationen. Im gleichen Jahr beliefen sich Russlands Exporte auf lediglich 103 Milliarden. Die Exporte des mächtigen Russland waren also kleiner als die der Schweiz. Ganz anders ist die Situation 2005: Obwohl die Schweiz die Exporte von 108 Milliarden auf 151 Milliarden gesteigert hat, wurde sie von Russland überholt: Russland steigerte sich von 103 auf 243 Milliarden Dollar! Man wird relativierend einwenden: Der Erdölpreis habe sich verdoppelt. Aber diese Relativierung relativiert sich wiederum selber: Denn die 243 Milliarden Dollar Exporterlöse bleiben 243 Milliarden. Und diese Milliarden wollen investiert werden. Rasant wachsende Handelsbeziehungen Heute steht Russland mit prallgefüllten Staatskassen da: Rund 250 Milliarden Dollar an Devisen- und Goldreserven. Wie erwähnt: Dieses Geld will investiert werden. In die heimische Infrastruktur oder in ausländische Industrien oder in Geldanlagen. Kein Wunder, dass die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Russland wachsen. Ähnlich erfreulich ist das wachsende Investitionsvolumen auf beiden Seiten. Umso wichtiger ist es, die Wirtschaftsbeziehungen zu vereinfachen. Dafür haben die Schweiz und Russland letztes Jahr Freihandelsgespräche vereinbart. Migration Die Waren und der Handel sind das eine. Als Justizminister bin ich namentlich für die Migration in die Schweiz zuständig. Hier knüpfen die beiden Länder an Beziehungen an, die weit vor die sowjetischen Zeiten zurückreichen. Ab dem 15. Jahrhundert wanderten besonders viele Schweizer Architekten und Militärs nach Russland aus. Einer der bekanntesten Schweizer Architekten in Russland war Domenico Trezzini. Er entwarf die Pläne für die Peter-und-Paul-Festung in St. Petersburg! Ab dem 18. Jahrhundert haben sich dann vermehrt auch Schweizer Wissenschafter in Russland niedergelassen, darunter der Mathematiker Leonard Euler, der 1727 an die Universität St. Petersburg berufen wurde. Umgekehrt kamen um 1900 viele russische Studenten in die Schweiz; besonders junge Frauen, denen ein Studium in ihrem Heimatland damals noch verwehrt war. An der medizinischen Fakultät der Universität Genf verzeichnete man im Wintersemester 1911/12 659 Studierende, davon 408 Russen (zu drei Vierteln Frauen), 73 Bulgaren und nur gerade 88 Schweizer. Natürlich erinnern wir uns hier in Zürich auch an den Schweizer Aufenthalt Lenins. So kommt es, dass mir ein russischer Minister kürzlich zurief: "Hätte die Schweiz Lenin damals kein Asyl gewährt, wäre die Revolution ausgeblieben." Ich schob die Verantwortung – wie das unter Staaten üblich ist – weiter und antwortete ihm: "Nein, es waren die Deutschen. Sie haben Lenin eigenhändig wieder in Russland eingeschleust." Zugegeben: Es wäre wohl für alle besser gewesen, wenn Lenin in der beschaulichen Limmatstadt Zürich geblieben wäre und ein beschauliches Leben zu Ende geführt hätte. Neue Abkommen in Sicht Heute haben wir es mit anderen Migrationsverhältnissen zu tun. Ab 2008 tritt bei uns ein neues Ausländergesetz in Kraft. Russische Staatsangehörige, welche in der Schweiz einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen, benötigen eine Bewilligung. Die Bewilligung hängt vom Interesse der Gesamtwirtschaft und den Chancen der nachhaltigen Integration auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt ab. Wir beabsichtigen aber, mit einem Visumabkommen die Reisetätigkeit zwischen unseren beiden Ländern zu vereinfachen. Ziel eines solchen Abkommens ist die gegenseitige Erleichterung der Visumausstellung. Bei einem Kurzaufenthalt bis zu 90 Tagen soll die Erleichterung erfolgen. So wie dies Russland mit der Europäischen Union auch vereinbart hat. Demnach gelten Visumerleichterungen beispielsweise für Mitglieder von offiziellen Delegationen, welche für Meetings, oder Verhandlungen in die Schweiz reisen. Insbesondere kommen aber auch Geschäftsleute wie Sie in den Genuss von Visumerleichterungen. Die baldige Zugehörigkeit der Schweiz zum Schengen-Raum wird in Zukunft Ihre Geschäfts- oder Privatreisen in die Schweiz zusätzlich erleichtern. Dadurch wird nämlich eine doppelte Visumbeantragung für russische Reisende nach Europa entfallen. Sie sehen: Die wirtschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland sind auf bestem Weg. Schauen wir, jeder an seinem Ort, dass wir diese erfolgreiche Beziehung fortführen und verstärken können.

17.03.2007

Kriminalität, Sicherheit, Ausländer – eine Standortbestimmung

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz, 17. März 2007, Lugano 17.03.2007, Lugano Lugano. Die Jugendgewalt muss laut Bundesrat Christoph Blocher als gesellschaftliche Fehlentwicklung bekämpft werden. An der Delegiertenversammlung der SVP drängte der Bundesrat darauf, die Eltern stärker in die Pflicht zu nehmen und die Migrations-, Einbürgerungs- und Polizeibehörden besser zu vernetzen. Zudem müsse die Prävention intensiviert und die Integration ausländischer Jugendlicher forciert werden, sagte Bundesrat Blocher. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen Sehr geehrte Herren 1. Das Ausmass der Taten In der Stadt Zürich vergewaltigt eine Bande von Jugendlichen ein dreizehnjähriges Mädchen. Alle zwölf Verdächtigen haben polizeiliche Vorakten, unter anderem wegen Raubdelikten. Die Medien und Behörden versuchen die Herkunft der Täter zu vertuschen. Erst Tage später schreibt der Tages-Anzeiger: „Unter den zwölf Verhafteten sind sechs Schweizer. Es soll sich um eingebürgerte Jugendliche aus dem Balkan und der Türkei handeln; die restlichen stammen ebenfalls aus dem Balkan sowie je einer aus Italien und der Dominikanischen Republik.“ Das sind keine Amtsgeheimnisse (TA 18.11.2006). Im November 2006 wird eine Massenvergewaltigung in Steffisburg (BE) bekannt. Die Beschuldigten: Zwei albanische Brüder (15 und 16 Jahre alt), ein Pakistani (15), ein Schweizer tamilischer Herkunft (16), ein Brasilianer (18) und zwei weitere 18jährige Ausländer. Das sind keine Amtsgeheimnisse (Blick, 15.11.2006) Ebenfalls im November 2006 wird die Schändung der katholischen Kirche von Muttenz bekannt. Die jugendlichen Täter aus dem Balkan (alle nichtchristlichen Glaubens) haben den Innenraum mit Kot und Urin besudelt. Das sind keine Amtsgeheimnisse, sondern öffentlich bekannte Taten. (Basellandschaftliche Zeitung, 21.11.2006) Bereits im Juni 2006 ereignete sich im bündnerischen Rhäzüns eine brutale Schändung eines 5jährigen Mädchens. Die Täter: Zwei Jungen (10 und 13 Jahre alt) stammen aus dem Kosovo. Alles öffentlich bekannt. In diesem Monat wurde ein weiterer Fall bekannt und zwar aus dem Kanton Freiburg. Junge bis jugendliche Täter sollen sogar über mehrere Monate minderjährige Mädchen vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen haben. Die Täter stammen laut dem Freiburger Justizdirektor Erwin Jutzet mehrheitlich aus dem Balkan. Auch dies ist öffentlich bekannt. Was ist diesen fünf Meldungen gemeinsam? Und was bestätigen eingehende Untersuchungen in Fachkreisen? 1. Das Ausmass der Jugendgewalt und die Brutalität haben erschreckend zugenommen. 2. Viele der jugendlichen Täter sind schlecht integrierte Ausländer, namentlich aus dem Balkan. 3. Es herrscht allgemeine Hilflosigkeit gegenüber dieser Entwicklung. Alle fühlen sich zuständig – also ist niemand wirklich zuständig. Alle halten die anderen für schuldig – also trägt keiner Verantwortung. 4. Nach wie vor versuchen Amtsstellen, aber auch gewisse Medien und politische Kreise das Thema Gewalt von jungen Ausländern zu leugnen, zu vertuschen oder zu verharmlosen. 2. Arbeitsgruppe zur Jugendgewalt Die Gewalt unter Jugendlichen beschäftigt viele Menschen. Die Bürgerinnen und Bürger – vor allem auch Eltern und andere Erziehungsverantwortliche – sind beunruhigt über die Entwicklungen in der Jugendkriminalität. – Dies gilt nicht nur für Ausländer, sondern allgemein. Ausserdem sind verschiedene Fachleute, Direktbetroffene, Ämter an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement gelangt. Die eingangs erwähnten Vorfälle haben uns weiter bestärkt, die Jugendgewalt zur Kernaufgabe im Jahr 2007 zu erklären. Seit Dezember 2006 ist unter meinem Vorsitz mit den Bundesämtern für Justiz, Migration und Polizei eine Projektgruppe intensiv an der Arbeit. Mehrere Aussprachen sind erfolgt, eine mit rund 30 Fachleuten, die sich in ihrer täglichen Arbeit mit Jugendgewalt befassen. Bei diesem und anderen Treffen wurde klar: Es besteht Handlungsbedarf. Die Jugendgewalt hat massiv zugenommen. Zugenommen hat nicht nur das Ausmass. Beängstigend ist, dass die Gewalt härter, brutaler und gnadenloser geworden ist. Es wird auf Schwache eingeprügelt, auch wenn das Opfer bereits wehrlos am Boden liegt. Und es gibt immer mehr auch organisierte Gewalt durch Gruppen und Banden, die sich oft ad hoc zusammensetzen und aktiv werden. Die Gesamtzahl der Jugendstrafurteile wegen Gewaltdelikten hat von 2000 bis 2005 um mehr als 80 % zugenommen, hat sich also fast verdoppelt (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, S. 26?). Markant sind die Steigerungsraten insbesondere bei bestimmten Gewaltdelikten: Jugendstrafurteile nach Delikt, 2000-2005 (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 14) 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Einfache Körperverletzung 265 381 401 466 519 638 Raub (Art. 140 StGB) 209 241 259 322 332 374 Drohung (Art. 180 StGB) 148 208 218 244 298 317 Bekanntlich lässt sich von Strafanzeige- bzw. Strafurteilsstatistiken nicht ohne weiteres auf die tatsächliche Häufigkeit von Straftaten schliessen (sog. Dunkelfeldproblematik), so dass über das Ausmass und die Entwicklung der Jugendgewalt keine vollständige Klarheit besteht. Die Dunkelziffer dürfte aber erheblich sein: Oftmals getrauen sich die Opfer nicht, die Strafbehörden einzuschalten, häufig aus Furcht vor weiteren Repressalien. Vor diesem Hintergrund scheint es weitgehend sinnlos, sich über Steigerungsraten zu streiten. Fakt ist: Jugendgewalt besteht in einem beunruhigenden Ausmass und Jugendgewalt nimmt stark zu. Grundsätzlich stellen wir fest, dass die Hemmschwelle bei Jungen stark gesunken ist; sie schlagen schneller zu. Dabei spielt zum Teil übertriebener Alkoholgenuss eine Rolle, aber auch die omnipräsenten Gewaltdarstellungen im Alltag. Die Ausländerfrage spielt mit hinein. Die Zahlen und die Erfahrungen der Fachleute sprechen ein klare Sprache: Auffallend hoch ist der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“. Und dort wieder vor allem von Jugendlichen aus dem Balkan. Das ist die übereinstimmende Aussage der Verantwortlichen. Jugendstrafurteile nach Aufenthaltsstatus, 2005 (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 12) Total Schweizer/innen Ausländer/innen mit Wohnsitz in der Schweiz Anzahl Anzahl % Anzahl % Einfache Körperverletzung 638 270 42,3 347 54,4 Raub 374 161 43,0 198 52,9 Drohung 317 147 46,4 159 50,2   Setzt man die Anzahl der Verurteilungen zur Anzahl der Angehörigen der entsprechenden Wohnbevölkerung in Beziehung, so akzentuieren sich die Unterschiede: Bei verschiedenen Delikten werden jugendliche Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz um ein Mehrfaches häufiger straffällig als Schweizer ihrer Altersgruppe (vgl. die Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 10). Aber auch unter den Jugendlichen ausländischer Herkunft bestehen beträchtliche Unterschiede. So machen gemäss den neuesten Zahlen aus dem Kanton Zürich bei Delikten gegen Leib und Leben Jugendliche aus Balkanländern 52,6 Prozent von allen ausländischen tatverdächtigen Jugendlichen aus. (Neue Zürcher Zeitung, 9.2.2007. Daten aus der Kriminalstatistik der Kantonspolizei Zürich.) So weit die ersten Erkenntnisse. So weit die ersten Schlüsse. So weit die erste Einkreisung des Problems. 3. Das übliche Reaktionsschema Als ich ein erstes Mal über die Ergebnisse einer dazu gebildeten dieser Arbeitsgruppe sprach, lief das übliche Reaktionsschema ab (wir kennen den Vorgang ja aus anderen Zusammenhängen): Die einen verharmlosen den Sachverhalt oder streiten ihn rundweg ab. Aus diesen Kreisen tönt es dann, die Jugendkriminalität habe im Vergleich zum Vorjahr gar nicht zugenommen. Es komme einfach auf das Zählverfahren an. Interessant. Die Kriminalität ist also bloss eine Frage der Buchhaltung. Andere rufen sofort: Aber halt! Der Justizminister ist für diese Frage gar nicht zuständig! „Eigenmächtige Einmischung“, betitelte eine Sonntagszeitung ihren Kommentar. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität sei doch Sache der Kantone. Der Bundesrat dürfte ja gar nichts unternehmen gegen die Jugendgewalt. Eine dritte Gruppe beschwichtigt: Wir haben doch schon alles bestens geregelt. Wir verfügen über die nötigen Gesetze. Keine der vorgeschlagenen Massnahmen sei wirklich neu. Die Ausweisung von notorischen Jugendstraftätern etwa werde bereits praktiziert. Besonders beliebt ist es auch nach wie vor, jeden Hinweis auf den auffallend hohen Ausländeranteil unter jugendlichen Straftätern als „fremdenfeindlich“ abzutun. Auf die gleiche Weise wurde jahrelang der Asylmissbrauch verschlampt. Auf die gleiche Weise wurden sämtliche Ausländerprobleme geleugnet. Schlimmer noch: Wer die Ausländerkriminalität beim Namen nannte, wer die hohen Sozialkosten von Ausländern kritisierte, wer auf die Gewaltbereitschaft von Leuten aus dem Balkan verwies, wer auf die grossen Probleme in Schulen mit hohem Ausländeranteil zu sprechen kam, wurde sofort selbstherrlich von den Linken, den Medien und Gerichten in die fremdenfeindliche Ecke gestellt. Beim Thema Jugendgewalt läuft es ähnlich ab. Die einen sagen: Das Problem ist herbeigeredet. Die Anderen sagen: Doch, doch, wir haben ein Problem – aber schuld sind die anderen. Die Jugendämter sprechen von der Verantwortung der Schule. Die Schulen von der Verantwortung der Eltern. Die Eltern von der Verantwortung der Schulen. Die Politik von der Verantwortung der Polizei. Die Polizei von der Verantwortung der Politik. Das Fazit der ganzen Aufregung: Am Ende passiert gar nichts. 4. Probleme erkennen und benennen Der erste Schritt zur Problemlösung ist immer der gleiche: Zuerst muss das Problem erkannt werden und zweitens muss das Problem beim Namen genannt werden. Wie sieht es mit dem Anstieg der Jugendkriminalität aus? Es gibt Zahlen, soweit sich diese polizeilich erfassen lassen. Doch die Dunkelziffer ist relativ hoch. Einerseits stellt man fest, dass die Opfer sich aus Furcht vor Repressalien oft nicht getrauen, die Polizei einzuschalten. Andererseits bestehen namentlich in Schulen Hemmungen, die Polizei einzuschalten. Wie sieht es mit der Zusammensetzung bei den Jugendstraftätern aus? Der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“ ist sehr hoch. Dabei handelt es sich vor allem um Jugendliche mit Identitätsproblemen. Diese führt zu Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühlen. Unsicherheitsgefühle werden sehr oft durch Gewaltanwendung kompensiert. Wenn wir die Probleme lösen wollen, muss man sie ansprechen dürfen, ohne dass einem Rassismus vorgeworfen wird. Durch Verdrängen löst man keine Probleme. Wie sieht es mit den Erziehungsverantwortlichen aus? Wir leiden heute unter den Spätfolgen antiautoritärer Erziehungsformen. Die Kinder werden alleine gelassen. Die Eltern setzen Grenzen oder stellen Schranken oft zu spät auf. Oft erst, wenn die Kinder und Jugendlichen am Rand der Kriminalität stehen. Und verstehen Sie mich richtig: Die Erziehungsfrage betrifft uns alle. Schweizer und Ausländer. Es beginnt damit, dass nicht mehr feststeht, wer verantwortlich für die Erziehung ist. Ist es die Schule? Sind es die Eltern? Ist es „die Gesellschaft“? Eltern haben begonnen, einen Teil der Erziehung an die Schule auszulagern – das überfordert die Lehrer. Man kann nicht verlangen, dass die Schule allein für die Erziehung verantwortlich ist. Fachleute sprechen von einer eigentlichen „Erziehungsverweigerung“ der Eltern. Bei aller Idealisierung der externen Kinderbetreuung: Die Eltern sind und bleiben verantwortlich für das, was ihre Kinder tun. Sie sind auch in die Pflicht zu nehmen. Wie jeder Obhutspflichtige müssen auch Eltern zur Rechenschaft gezogen werden: Mit Schadenersatzzahlungen, bei ausländischen Kindern bis hin zur Ausweisung der ganzen Familie. Natürlich kann sich auch die Schule nicht aus der Erziehungsaufgabe abmelden. Die Lehrpersonen brauchen darin aber Unterstützung, was oft fehlt. In schweren Fällen hat die Schule mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Lange Zeit hatten viele Lehrpersonen ein gestörtes Verhältnis zur Polizei; sie duldeten keine Polizei im Schulumfeld. Erste Versuche zeigen, dass wir Gewaltprävention auch in den Schulen brauchen: Erziehung zum gewaltfreien Zusammenleben an Schulen durch dafür ausgebildete Personen wie etwa Polizisten, ähnlich der Verkehrserziehung. Passieren Straftaten auf den Pausenplätzen, muss die Schule die Polizei rufen: Verletzung von Regeln ist konsequent zu sanktionieren. Dort, wo die Situation sehr problematisch ist, sind regelmässige Polizeipatrouillen sinnvoll. 5. Was ist zu tun? Wo haben wir also anzusetzen? Ein Missstand ist, dass die Strafverfolgung nicht immer effizient funktioniert. Es scheint nicht in erster Linie ein Problem der Gesetze zu sein, sondern des Vollzugs. Die Verfahren dauern zu lange, die angeordneten Sanktionen greifen oft zu kurz und verfehlen deshalb ihre Wirkung, die Koordination staatlicher Tätigkeiten ist mangelhaft. Die Folgen sind gravierend: Polizisten und andere Vollzugsleute sind frustriert, weil sie sehen, dass nichts passiert. Das lähmt die Arbeit. Resignation ist weit verbreitet. Auch bei Lehrern. Tatsache ist auch, dass die Behörden zu wenig gut vernetzt sind; oft weiss die eine Behörde nicht, was die andere tut. Migrations-, Einbürgerungs- und Polizei-, Zivilstands- und Schulämter müssen besser zusammenarbeiten und gemeinsame Ziele verfolgen. Die ersten Ergebnisse bringen uns zu folgenden Schlüssen: 1.Die Eltern sind durch geeignete Massnahmen zu unterstützen: Eine Vielzahl von Studien geht heute davon aus, dass eine Ursache für Jugendgewalt durch Beziehungsdefizite in den Generationenbeziehungen zu erklären ist – also gestörte Beziehungen zwischen Jugendlichen und ihren Eltern, Lehrern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen. Auch die COCON Studie des Jacobs Centers for productive youth development bestätigt, wie wichtig die emotionale Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern ist und wie prägend für den Entwicklungsstand des Mitgefühls und der Verantwortungsbereitschaft von Jugendlichen. Zu prüfen ist aber auch eine verstärkte Verpflichtung der Eltern zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung in der Erziehung. Denkbar wäre z.B. eine Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung der Eltern bei Vernachlässigung elementarer Erziehungspflichten. 2. Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden muss verbessert werden: Das gilt zunächst einmal für Migrations-, Einbürgerungs- und Polizeibehörden. Es darf nicht sein, dass diese Amtsstellen unabhängig voneinander vorgehen und die eine Behörde nicht weiss, was die andere tut. Hier ist vermehrte Koordination unabdingbar. Zentral erscheint aber die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Polizei: Hier ist zu prüfen, ob für die Lehrkräfte bei Delikten einer bestimmten Schwere eine Anzeigepflicht geschaffen werden soll. Wenn auf Pausenplätzen gravierende Straftaten begangen werden, muss die Polizei darüber informiert werden. Diese Massnahmen haben aber nur dann Erfolg, wenn die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer pädagogischen und erzieherischen Funktion gezielt geschult und unterstützt werden sowie im Zusammenspiel mit präventiven und intervenierenden und repressiven Massnahmen im Rahmen der Schulsozialarbeit umgesetzt werden. 3. Die Präventionsarbeit muss intensiviert werden, vorab an der Schule. Gewalt ist nicht nur als Thema in den Unterricht einzubauen, denkbar scheint insbesondere auch der Beizug erfahrener Polizeibeamter nach dem Vorbild des sog. Verkehrsunterrichts. Viele Präventionsmassnahmen erfordern ferner die aktive Beteiligung der Familien. Aus diesem Grund müssen Bemühungen vermehrt darauf ausgerichtet werden, auch fremdsprachige und wenig gebildete Familien ausländischer Herkunft für Präventionsmassnahmen zu erreichen. 4. Die Integration ausländischer Jugendlicher muss stärker forciert werden. Namentlich Sprachkenntnisse müssen so früh als möglich vermittelt werden. Wo die Integration aber konsequent verweigert wird, müssen effiziente ausländerrechtliche Massnahmen zur Verfügung stehen. Das muss bis zur Ausweisung führen können. 5. Die Strafverfahren sollen nach Möglichkeit verkürzt werden: Jugendliche müssen für begangenes Unrecht so rasch als möglich sanktioniert werden. Erfahrungen in der Jugendarbeit belegen, dass grosse zeitliche Distanzen zwischen Straftat und Sanktionsmassnahmen zusätzlich zu problematischem Verhalten führen. Dabei geht es nicht darum, um jeden Preis eine hohe Strafe zu fordern. Es müssen "massgeschneiderte", dem Täter angepasste Sanktionen verhängt werden. 6. Das neue Jugendstrafgesetz ist jetzt seit dem 1.1.2007 in Kraft. Es sieht eine breite Palette von Sanktionsmöglichkeiten vor, es können nun auch härtere Strafen verhängt werden (Freiheitsentzug bis zu vier Jahren: Art. 25 JStG; statt wie bisher Einschliessung bis zu einem Jahr: Art. 95 StGB alte Fassung). Die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich sind genau zu beobachten. Sollte sich das neue Gesetz als unzureichend erweisen, sind möglichst rasch entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Wir wollen, dass Kriminelle und Integrationsverweigerer die Konsequenzen ihres Handelns spüren. Wir wollen, dass auch jugendliche Problemausländer hart angefasst werden, zum Schutz all jener Immigranten, die sich bemühen in unserem Land, die arbeiten, Leistung erbringen, sich an die Gesetze halten und sich mit der Schweiz identifizieren. Wir wollen, dass die Jugendkriminalität als gesellschaftliche Fehlentwicklung angegangen wird. Da sind wir alle gefordert: Schweizer und Ausländer. Eltern und Schulen. Behörden und Private. Wir wollen, dass Kriminelle und Integrationsverweigerer die Konsequenzen ihres Handelns spüren. Wir wollen, dass auch jugendliche Problemausländer hart angefasst werden, zum Schutz all jener Immigranten, die sich bemühen in unserem Land, die arbeiten, Leistung erbringen, sich an die Gesetze halten und sich mit der Schweiz identifizieren. Wir wollen, dass die Jugendkriminalität als gesellschaftliche Fehlentwicklung angegangen wird. Da sind wir alle gefordert: Schweizer und Ausländer. Eltern und Schulen. Behörden und Private.

16.03.2007

Das Tessin und die EU: Selbstbestimmung, Steuerhoheit, Sicherheit

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Informationsveranstaltung der SVP Tessin, 16. März 2007, Locarno 16.03.2007, Locarno Locarno. An der Informationsverstaltung der SVP Tessin erinnerte Bundesrat Christoph Blocher an die hohen Nein-Quoten aus dem Tessin zu Abstimmungen über aussenpolitische Themen und drückte seinen Wunsch aus, die restliche Schweiz würde sich ein Beispiel nehmen an der Widerstandskraft und dem Unabhängigkeitswillen der Tessiner. Des Weiteren sprach er sich im Zusammenhang mit der Jugendkriminalität für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Migrations-, Einbürgerungs- und Polizeibehörden aus. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Vorbild Indemini Sie kennen wahrscheinlich alle die Gemeinde Indemini. Sie liegt gleich hier gegenüber von Locarno, auf der anderen Seite des Lago Maggiore. Allerdings steckt das kleine Dorf hinter einem Bergrücken, am oberen Ende des Valle Veddasca, unmittelbar an der Grenze zu Italien und ist somit von hier aus nicht zu sehen. Warum erwähne ich dieses Indemini? Es gibt eine interessante historische Begebenheit: Rein topographisch betrachtet, müsste Indemini eigentlich zu Italien gehören. Es liegt jenseits eines Passes in einem ansonsten italienischen Tal. Und tatsächlich wollte die Obrigkeit Indemini einmal "loswerden", abtauschen mit der italienischen Gemeinde Campione, die ihrerseits ganz in der Schweiz liegt. Diese Umtauschaktion scheint auf den ersten Blick ganz vernünftig zu sein. Aber wir haben es mit der Vernunft von Technokraten zu tun. Es ist die Vernunft, die mit Bleistift und Papier handelt, aber nichts versteht von der Geschichte und den Menschen. Die paar Hundert Einwohner von Indemini wehrten sich und konnten den Abtausch erfolgreich verhindern. Sie wehrten sich für den Verbleib im Tessin und feiern heute mit uns allen den Nationalfeiertag am ersten August. Was entnehmen wir dieser kleinen Episode? Erstens, es ist wichtig, dass die Menschen selber über ihr Schicksal bestimmen können. Zweitens, wenn sich die Tessiner entscheiden können, dann entscheiden sie sich immer für die Unabhängigkeit und damit für die neutrale, föderalistische, direktdemokratische Schweiz. Ich sehe das jedes Mal mit Stolz und Genugtuung. 2. Mit der SVP gestimmt Bei aussenpolitischen Urnengängen stimmt der Kanton Tessin regelmässig gegen den Rest der lateinischen Schweiz, aber mit der SVP: EWR, Bilaterale Verträge, militärische Auslandseinsätze, UNO, EU-Beitritt, Schengen, Personenfreizügigkeit – jeweils mit traumhaften Nein-Quoten erledigt. Ich wünschte mir, die restliche Schweiz würde sich ein Beispiel nehmen an der Widerstandskraft und dem Unabhängigkeitswillen der Tessiner. Trotzdem sollte man sich fragen: Warum legt das Tessin einen solchen Wert auf seine Unabhängigkeit? Auch hier vergessen unsere EU-geblendeten Technokraten die Geschichte. Dieser Kanton war lange genug ein Spielball fremder Mächte – und damit meine ich auch die alten Eidgenossen. Ausserdem befindet sich das Tessin, wenn man so will, in einer dreifachen Minderheit: Als italienischsprachiger Schweizer Kanton gegenüber einem übermächtigen Nachbarstaat Italien. Als lateinischsprachige Minderheit innerhalb eines mehrheitlich deutschsprachigen Landes. Und als italienischsprachige Minderheit innerhalb einer mehrheitlich französisch sprechenden Sprachfamilie. 3. Die Bedeutung des Föderalismus Für eine solche dreifache Minderheit ist die Bedeutung des Föderalismus nicht bloss ein politisches Geplauder am Kaminfeuer. Für das Tessin ist der Föderalismus eine Existenzfrage. Es ist die weitgehende Selbstbestimmung der Kantone, die einen solchen Sonderfall wie das Tessin überhaupt möglich macht. Der föderalistische Aufbau der Schweiz, also von unten nach oben, von den Gemeinden über die Bezirke, Kantone zum Bund, schafft erst die Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben in der Schweiz. Der Föderalismus ist in seiner Anspruchslosigkeit eine geniale Einrichtung: Niemand muss sich für das Gleiche begeistern wie der andere. Wir müssen uns auch nicht gegenseitig lieben, sondern nur gegenseitig in Ruhe lassen. Der Föderalismus gehört zu den wichtigsten Rahmenbedingungen in der Schweiz und wird völlig zu Unrecht als "Kantönligeist" verschrien. Gerade das Tessin beweist die Vorzüge dieses Systems. So wie es in einer Demokratie Alternativen geben muss, damit der Bürger nicht nur wählen, sondern auch auswählen kann, bietet der Föderalismus dem Bürger Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Systemen. Auch über die Landesgrenzen hinaus. Der Mendrisiotto ist in den Mailänder Wirtschaftsraum integriert, aber eben politisch der Schweiz zugehörig. Das macht die erfolgreiche Mischung aus. Auch das schweizerische Steuersystem ist föderalistisch gestaltet und baut auf den Wettbewerb unter den Gemeinden und Kantonen. Dies führt dazu, dass die Steuerbelastung über alles gesehen bescheidener ist als in anderen Ländern. Nur die Steuerautonomie und damit die direkte Vergleichbarkeit der Steuersätze schafft den nötigen Druck auf die Politik, die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Gerade der Kanton Tessin hat gezeigt, dass eine zielgerichtete Entlastungspolitik und eine offensive Strategie bei der Besteuerung von Unternehmen zum Erfolg führt. So gehört das Tessin heute zu den attraktivsten Standorten, was sich vor allem auch über die Grenze nach Norditalien herumgesprochen hat. 4. Verteidigung der Steuerautonomie Wie gesagt: Die norditalienischen Produktionsbetriebe haben das Tessin als vorteilhaften Standort entdeckt. Eine viel tiefere Unternehmensbesteuerung (in Italien liegt diese bei über 40 Prozent, im Tessin unter 20 Prozent), niedrige Lohnnebenkosten, kaum Streiks, ein gutes Bildungsniveau, Mehrsprachigkeit, politische Stabilität, flexibler Arbeitsmarkt, Rechtssicherheit. Wir tun gut daran, diese Vorteile zu erhalten und auszubauen. Nun hat auch die EU entdeckt, dass uns ihrerseits internationale Unternehmen als vorteilhaften Standort entdeckt haben. Vor wenigen Monaten sprach sich eine Mehrheit der Stimmbürger für die Bezahlung von einer Milliarde Franken (Ost-Milliarde) an die Europäische Union aus. Es war ein Entgegenkommen gegenüber der EU. Doch Geschenke haben kurze Beine. Den Dank erhält die Schweiz jetzt postwendend: Die Schweiz müsse ihr Steuersystem ändern, die Steuerhoheit der Kantone sei illegal, die Schweiz habe ihre Steuersätze namentlich für Unternehmen und Holdinggesellschaften anzuheben. So geht das nicht. Wir lassen uns nicht die Politik von Brüssel diktieren. Das ist einer – und nicht der unwesentlichste – der Gründe, warum wir nicht Mitglied der EU sind. Rechtssicherheit und ein stabiles Steuerklima ziehen Unternehmen und Privatpersonen aus der ganzen Welt an. Auch ins Tessin. Die relativ guten Steuersätze haben wir vor allem zwei Umständen zu verdanken: Der Mitsprache durch die Bürger und dem Föderalismus. Beides ist in der EU nicht oder nur mangelhaft ausgebildet. Auch die demokratischen Mitwirkungsrechte sind so ausgebaut, dass in der Schweiz der Stimmbürger auf allen Ebenen über die Steuerbelastung mitentscheiden kann. Dies erfordert von den staatlichen Instanzen eine saubere und transparente Buchhaltung. Und vor allem können die Bürger Nein sagen, wo es nötig ist: Nein zu neuen Steuern. Nein zur verheerenden Umverteilung. Nein zur Bestrafung des Tüchtigen durch immer neue und höhere Abgaben. Dass wir in der Schweiz eine Mehrwertsteuer von 7,6 Prozent haben und in jedem EU-Land einen Mindestsatz von 15 Prozent, liegt an den Mitsprachemöglichkeiten des Volkes und ist kein Verdienst der Politiker. Ein EU-Beitritt bedeutete das Ende der genannten schweizerischen Vorzüge: Verlust der Steuerhoheit, Verlust der Volksrechte, Verlust der Mitbestimmung, Verlust der Überschaubarkeit, Verlust der Neutralität, Verlust des Föderalismus – aber dafür hohe Tributzahlungen an die Bürokraten und Technokraten. 5. Anstieg der Kriminalität Die Schweiz hat ihre Grenzen geöffnet, teilweise öffnen müssen. Nicht nur Waren und Dienstleistungen profitieren davon – was uns allen nützt – auch die Kriminellen "schätzen" die neue Mobilität. Darunter haben wir alle zu leiden, besonders aber Grenzkantone wie das Tessin. Denn machen wir uns nichts vor: Die Kriminalität ist weitgehend importiert. Wir haben eine hohe Gewaltrate von Kriminaltouristen, von niedergelassenen Ausländern und neuerdings auch von eingebürgerten Jugendlichen. Die Medien und gewisse politische Kreise haben jahrelang das Thema Ausländerkriminalität unterdrückt. Wer immer auf das Problem hinwies, wurde umgehend als "fremdenfeindlich" abgetan. Doch mit Verdrängen lösen wir keine der gestellten Aufgaben. In meinem Departement haben wir uns besonders der Frage nach der stark gestiegenen Jugendkriminalität angenommen. Die Projektgruppe kam zu folgenden Schlüssen: 1. Das Ausmass der Jugendgewalt hat erschreckend zugenommen. 2. Viele der jugendlichen Täter sind schlecht integrierte Ausländer, namentlich aus dem Balkan. 3. Es herrscht allgemeine Hilflosigkeit gegenüber dieser Entwicklung. Alle fühlen sich zuständig – also ist niemand wirklich zuständig. Alle halten die anderen für schuldig – also trägt keiner Verantwortung. 4. Nach wie vor versuchen gewisse Medien und politische Kreise das Thema Gewalt von jungen Ausländern zu leugnen, zu vertuschen oder zu verharmlosen. Was haben wir zu tun? * Mehr Polizeipräsenz. Notfalls auch an den Schulen. * Schnellere und effizientere Verfahren. Jugendliche Kriminelle müssen umgehend die Konsequenzen ihres Handelns spüren. * Die Eltern von jugendlichen Delinquenten müssen in die Pflicht genommen werden. Bei Ausländern oder Eingebürgerten sollte dies bis zum Entzug der Staatsbürgerschaft und zur Ausschaffung gehen. * Die Integration von jugendlichen Ausländern muss verbessert werden. Denn oft ist die erhöhte Gewaltbereitschaft nur Ausdruck der Integrationsprobleme und den damit verbundenen Minderwertigkeitsgefühlen. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es auch eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Behörden. Das gilt zunächst einmal für die Migrations-, Einbürgerungs- und Polizeibehörden. Gefordert ist aber auch ein gesellschaftlicher Wandel: Wir müssen wieder Tugenden wie Fleiss, Ordnung, Disziplin in den Mittelpunkt der Erziehung stellen. 6. Hohe Zuwanderung In der Schweiz wandern jedes Jahr rund 100'000 Menschen ein. Das ist viel und zunächst einmal ein positives Zeichen. Denn die Menschen wandern in die Schweiz ein, weil sie sich hier ein besseres Leben erhoffen. Solange sich diese Zuwanderer integrieren und durch ihre Tüchtigkeit zum allgemeinen Wohlstand beitragen, ist dagegen nichts einzuwenden. Wir haben aber die Tendenz, dass viele Ausländer ohne grosse Umwege in unser Sozialsystem einwandern. Das zeigt der überdurchschnittliche Anteil von Ausländern, die von der Fürsorge oder von Arbeitslosengeldern leben oder eine IV-Rente beziehen. Diese Entwicklung müssen wir stoppen, denn sie gefährdet die Finanzierung unserer Sozialwerke. Die massive Zuwanderung hat aber auch Konsequenzen auf dem Arbeitsmarkt. Darum sieht das neue Ausländerrecht, das 2008 in Kraft tritt, vor, dass Arbeitsbewilligungen aus Nicht-EU-Staaten nur sehr restriktiv an dringend benötigte Spezialisten erteilt werden. Die Menschen stimmen mit den Füssen ab. Im letzten Jahr sind so viele Deutsche in unser Land gekommen wie noch nie (rund 24'000). Gleichzeitig ist die Zahl der Grenzgänger massiv gestiegen. Was für die Deutschschweizer die Deutschen sind, sind für das Tessin die Italiener. Was uns diese Entwicklung auch sagt: Offensichtlich zieht es viele Menschen aus der EU in die Schweiz, die ja nicht Mitglied der Union ist. Erinnern Sie sich noch, welche Horrorszenarien man an die Wald malte, falls die Schweiz weiter den Alleingang beschreiten würde? Die EU-Befürworter haben der Schweiz den ökonomischen Untergang prophezeit. Diese Vorhersagen haben sich alle als gigantische Fehlprognosen erwiesen. Der Schweiz geht es heute so gut, gerade weil sie eigenständig geblieben ist und eine Politik betreiben kann, die auf einen Kleinstaat ausgerichtet ist. 7. Auf Schweizer Qualität setzen Trotzdem haben selbstverständlich auch wir mit Schwierigkeiten fertig zu werden. Ich habe die Bereiche Kriminalität, Zuwanderung und Arbeitsmarktsituation angesprochen. Gleichwohl müssen wir auf unsere Stärken setzen: Auf einen schlanken Staat, die Eigenverantwortung der Bürger, niedrige Steuern, auf die Mitbestimmung der Bürger, Verlässlichkeit und Sicherheit. Sehen Sie, man darf die Sicherheit, und dazu zähle ich auch die Rechtssicherheit, nicht unterschätzen. Man mäkelt oft am schweizerischen System herum und die direkte Demokratie wird als lähmend beschrieben. Ich stimme diesem Befund nicht zu. Die direkte Demokratie hat zu einer einmaligen Rechtsstabilität geführt. Denn Fehlentscheide der Politik können durch den Souverän umgehend korrigiert werden und keiner muss befürchten, dass mit einer Wahl der ganze Staat umgekrempelt wird. Italien hat seit 1945 rund 60 Regierungen kommen und gehen sehen. Die Medien waren sicher dankbar für die Abwechslung. Aber letztlich ist doch Kontinuität vorzuziehen. Gerade auch für Unternehmer, die investieren wollen oder für den Mittelstand, der mit seinem Eigentum etwas anfangen will. Ein kleines Beispiel: Die neue italienische Regierung hat die Erbschaftssteuer wieder eingeführt. In der Schweiz hätte diese Steuer durch den Souverän abgesegnet werden müssen – unabhängig vom Ausgang der Parlamentswahlen. Aber ich will nicht davon reden. Die eine Regierung führt die Erbschaftssteuer ein, die nächste schafft sie wieder ab und so weiter. Hier fehlt die Berechenbarkeit. Ist es verwunderlich, wenn dann gerade vermögende Bürger das Land verlassen? Ist es unsere Schuld, wenn sie in der Schweiz "Zuflucht" suchen? Nein. Wir müssen uns nicht für unsere Politik entschuldigen, zumal sie durch die direkte Demokratie, also durch den unmittelbaren Volkswillen, legitimiert ist. 8. Unabhängigkeit und direkte Demokratie Ich habe in der Einleitung von den widerspenstigen Tessinern gesprochen, die sich ihre Unabhängigkeit bewahrt haben und damit auch die Unabhängigkeit der ganzen Schweiz. Wenn wir daran denken, was unser Land und unsere Wirtschaft erfolgreich macht, dann sollten wir immer wieder an das Fundament dieses Erfolgs denken: Unser unabhängiger, föderalistischer, neutraler Kleinstaat, der auf dieser Basis Gesetze und Rahmenbedingungen schaffen kann, die diesem Kleinstaat am besten dienen. Ein entscheidender Verdienst kommt dabei der direkten Demokratie zu. Machen wir uns nichts vor: Ohne direkte Demokratie würde die Schweiz heute der EU angehören und hätte damit ihre entscheidenden Vorteile (Handlungsfreiheit, unabhängige Währungspolitik, niedriges Zinsniveau, tiefere Steuern, Neutralität usf.) eingebüsst. Auch unsere Steuergesetze und – vor allem – unsere Steuersätze sähen ohne direkte Demokratie ganz anders aus! Wer über wenig natürliche Ressourcen verfügt, ist auf den Handel angewiesen. Die Schweiz war von jeher vernetzt mit anderen Ländern und Regionen. Wir haben seit jeher Handel getrieben, importiert, exportiert; aber – und das ist entscheidend – wir haben uns dafür nie institutionell einbinden lassen. Darum lautet die schweizerische Devise, die unseren Erfolg begründet: Handelsfreiheit setzt politische Handlungsfreiheit voraus. Wir sind ein weltoffenes Land – wobei die Welt über die Europäische Union hinausgeht. Weltoffenheit heisst aber nicht Vereinbarungen einzugehen, die unsere Souveränität einschränken!

08.03.2007

Die SVP Bezirk Meilen ist die politsche Heimat von mir und meiner Frau

«Heute Abend feiert die SVP Bezirk Meilen ihren 50. Geburtstag. 37 Jahre davon ist Christoph Blocher ihr Mitglied. Und er hat die SVP Schweiz vom Zürichsee aus komplett umgekrempelt.» 08.03.2007, Zürichsee-Zeitung, Daniel Fritzsche, Christian Dietz-Saluz 50 Jahre SVP Bezirk Meilen. Herr Blocher, sind Sie ein Kind dieser Partei oder ist diese Partei ein Kind von Ihnen? 1975 verzeichnete die SVP grosse Wahlverluste. Der damalige Präsident der SP, Helmut Hubacher, hatte erklärt, dass eine derart schwache Partei keinen Sitz im Bundesrat mehr verdiene. Wir mussten einen neuen Weg suchen. Ich gehörte zu den Köpfen, welche die SVP damals neu gestaltet haben. Und wir haben den Wandel erfolgreich vollzogen. Die CVP und die Freisinnigen haben diesen Prozess noch vor sich. Bei dieser Arbeit waren tatsächlich auffallend viele aus dem Bezirk Meilen dabei! Als ich 1977 Kantonalparteipräsident wurde, war Rudolf Reichling (junior) aus Stäfa Vizepräsident. Sein Vater Rudolf Reichling (senior) war bis 1917 freisinniger Nationalrat, also schon bei der Gründung der SVP-Kantonalpartei mit dabei. Die Zürcher SVP war 1917 eine Abspaltung der Freisinnigen. Für die Neuausrichtung in den achtziger und neunziger Jahren Walter Frey aus Küsnacht, langjähriger Präsident; der SVP der Stadt Zürich, und später Christoph Mörgeli aus Stäfa eine wichtige Rolle. Tatsächlich wohnten wir alle im Bezirk Meilen. Der Bezirk Meilen entspricht von seiner Bevölkerungsstruktur her eigentlich nicht dem klassischen BGB-Profil (Bauern, Gewerbe, Bürger). Der Bezirk Meilen war in den 70er-Jahren noch ein stark ländlich geprägter Bezirk. Gewerbler, Bauern, bürgerlich denkende Leute, geprägt vom Mittelstand. In welche Richtung haben Sie die SVP damals gelenkt? Die Krise in den siebziger Jahren, die auch die Freisinnigen erfasst hatte, stellte uns vor die Frage: Was machen wir jetzt? Es gab damals zwei Alternativen: Die einen wollten mehr nach links "öffnen". Die Freisinnigen wählten diesen Weg. Auch in unserer Partei gab es eine solche Strömung. Wir dagegen fanden, links sei ein Irrweg, die SVP müsse eine liberal-konservative Partei bleiben. Aber wir durften uns nicht nur um Landwirtschafts-, Finanz- und Militärfragen, die damals in der Partei behandelt wurden, kümmern, sondern wir wollten das ganze politische Spektrum abdecken. Seien dies Bildungsfragen, Wirtschaftsfragen oder das Thema, das dann vor allem Ende der achtziger und in den neunziger Jahren aktuell wurde: die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Landes. Damals versuchte man, die Neutralität und die Selbstbestimmung aufzuweichen. Es gab Kräfte, die in die politische Uno, den EWR oder die Europäische Union drängten. Das waren Themen, die weit über bäuerliche Anliegen hinausgingen - auch wenn die Bauern in unserer Partei immer einen Platz haben sollten und sollen. Das war die neue Ausrichtung in den siebziger Jahren. Und sie hatte Erfolg: Während wir 1977 nur vier Nationalräte waren, sind es heute zwölf. Und eine ganze Reihe davon waren und sind aus dem Bezirk Meilen. Welche Rolle hatte zu dieser Zeit die Bezirkspartei SVP Meilen? Bezirksparteien sind wichtig für den Zusammenhalt der Ortsparteien. Die Bezirkspartei ist für Bezirksanliegen zuständig, für die Wahl von Bezirksräten, Bezirksgerichten, Bezirksschulpflegen beispielsweise. 1979 gab es die Bestrebung, die Bezirke im Kanton Zürich abzuschaffen. Das hat die SVP stark thematisiert. Wir trafen uns auf der Forch und haben Bezirksfahnen kreiert. Die Abschaffung der Bezirke dient der Zentralisierung der Verwaltung. Das bekämpfte ja die SVP stets! Insofern haben die Bezirke eine Bedeutung. Liegt die Bezirkspartei näher bei der Kantonalpartei oder näher bei den Ortsparteien? Eindeutig bei den Ortsparteien. Der Kanton führt zum Teil über die Bezirksparteien. Wenn bei einer Versammlung nicht alle Ortsparteien eingeladen werden können, dann berücksichtigt man nur die Bezirksparteien, die dann die Ortsparteien vertreten. Der Bezirk Meilen ist ein heterogenes Gebilde. Wie bringt man die verschiedenen Ortssektionen unter einen Hut? In den Grundfragen ist das eigentlich nie ein Problem. Bei Steuerfragen, also Steuerwettbewerb, tiefe Steuern, bei Wirtschaftsfragen, Fragen des sparsamem Haushalts, heute zunehmend in Bezug auf Missbräuche in der Asyl- und Ausländerpolitik, da bringen Sie alle Gemeinden auf einen gemeinsamen Nenner. Oder wenn es um die Unabhängigkeit der Schweiz geht, dass wir nicht der EU beitreten sollen, da gibt es bei unseren Leuten von Zollikon bis Oetwil keine Spannungen. Aber es gibt natürlich verschiedene Interessen, zum Beispiel beim interkantonalen Finanzausgleich: Hier gilt es, die verschiedenen Meinungen aufeinander abzustimmen. Das heisst: Übergeordnetes Gedankengut verbindet und nicht lokal spezifische Unterschiede trennen die Partei? Gemeindefragen behandeln die Ortssektionen. Es gibt nicht viele Themen, die wir behandeln, die zu unterschiedlichen Ansichten führen würden. Es gibt keinen grossen Knatsch innerhalb der Partei Nehmen wir das Beispiel Südanflüge: Hier ist fast die ganze Zürcher SVP dagegen, weil es ein Unsinn ist, dass wir im Norden eine Schneise haben und dann die Flugzeuge aus dem bevölkerungsreichen Süden anfliegen lassen. Ist denn die Aufgabe des Bezirkspräsidenten eine undankbare Aufgabe? Im Kanton Zürich sind alle SVP-Präsidien in erster Linie nicht sehr begehrte Ehrenämter und ein grosser "Chrampf", wenn die Aufgaben richtig wahrgenommen werden! Meistens reisst sich niemand darum Das war auch beim Kantonalpräsidium so. Als ich Präsident der Zürcher SVP wurde gab es zwar ausnahmsweise einen Wahlkampf. Aber es war ein Richtungskampf. Christoph Mörgeli war damals gegen mich .Als 16-Jähriger hat er giftige Leserbriefe geschrieben, warum Blocher nicht Parteipräsident werden darf im Kanton Zürich. Ich habe Christoph Mörgeli danach gefragt, ob er nicht Präsident der Jungen SVP werden wolle. Sie haben das gesamte Wechselspiel der politischen Ebene mitgemacht. Stimmt, aber um ehrlich zu sein, ich habe die einzelnen Ebenen nur kurz erlebt. Vier Jahre im Gemeinderat, drei Jahre Bezirkspräsident, vier Jahre im Kantonsrat. Das ging wegen meiner starken beruflichen Belastung nicht anders. Ich konnte jeweils nicht mehr als ein politisches Amt bekleiden. Aber ich war dann 26 Jahre lang Präsident der SVP des Kantons Zürich und 24 Jahre Nationalrat. Das ist eine lange Zeit. Hatten Sie als Kantonalpräsident jemals Sorgen oder Probleme mit der Sektion Bezirk Meilen? Mit allen Bezirksparteien hatte ich Sorgen, auch im Bezirk Meilen. Und zwar immer, wenn sie zuwenig arbeiteten, zum Beispiel zu wenige Plakate aufgehängt haben. Da haben Sie Dampf machen müssen? Ja, aber nicht nur im Bezirk Meilen. Die Unterländer Sektionen waren die aktivsten, die haben ihre Gemeinden tapeziert mit Plakaten. Bei uns am See hingegen habe ich manchmal nur wenig von der SVP gesehen. Gibt es Unterschiede zwischen den Bezirksparteien? Die Bezirke weisen sehr unterschiedliche Strukturen auf - etwa in der Bevölkerung. 1977 hatten wir noch Bezirksparteien wie Andelfingen, wo man gleichzeitig über die Viehschau, die Herbstmesse und über Abstimmungsparolen sprach. Da waren landwirtschaftliche Genossenschaften, Milchgenossenschaften und Partei eine Einheit. Am Anfang waren auch das Bauernsekretariat und das kantonale Parteisekretariat in einem Büro untergebracht. Schon damals gehörte der Bezirk Meilen zu den fortschrittlichen Sektionen. Hier war früh klar, dass die bäuerlichen und parteilichen Organisationen getrennt werden müssen. Die Zürcher Bauern haben gut und schnell begriffen, dass die SVP nicht nur ihren Stand vertreten kann. Wir haben in Zürich fortschrittliche Bauern, die sind sehr marktwirtschaftlich orientiert. Sie haben die klassische Schule der Politik durchgemacht, "step by step". Ja, das kann man sagen! Ich bin kein Quereinsteiger. Ich habe mich stark in die Politik eingebracht und auch stark die SVP geprägt. Sie sind ein typischer Milizpolitiker - von der Pike auf. Was halten Sie von solchen "Quereinsteigern", die plötzlich vor die treuen Parteidiener auf die Liste gesetzt werden? Ich habe nichts gegen Quereinsteiger. Sie bringen neues Gedankengut mit, das Festgefahrenes aufbricht. Aber man muss auch aufpassen: Die Quereinsteiger, die man holt, weil sie bekannt sind, werden zwar gewählt. Sie sind aber bald einmal verloren im Parlament. Pfarrer Ernst Sieber zum Beispiel ist nach vier Jahren zurückgetreten, weil er gefunden hat, er könne hier zu wenig ausrichten. Das begreife ich auch. In der Exekutive hat man mit Quereinsteigern nicht nur gute Erfahrungen gemacht, weil es ihnen an der politischen Erfahrung gefehlt hat. Aber für Parlamentswahlen sind Kandidaten gut geeignet, die noch nicht alle Stationen der Politik durchlaufen haben. Der neue Ständeratskandidat der Zürcher SVP, Professor Hans Geiger, ist in diesem Sinne ein Glücksfall. Ist der Bezirk Meilen immer noch Ihre politische Heimat? Ja, obwohl wir nicht mehr so viel zu Hause sind wie früher, weil ich ja meistens in Bern bin. Auch wenn ich kaum an die Parteiversammlungen gehen kann, bin ich Mitglied der Bezirkspartei und Mitglied der Sektion Herrliberg. Ich bin auch in der Kantonalpartei - per definitionem als Bundesrat - noch Vorstandsmitglied. Die SVP ist die politische Heimat von mir und meiner Frau. Sie verfolgen aber das politische Geschehen zu Hause? Am meisten erfahre ich über meine Frau. Sie berichtet mir, was etwa in der "Zürichsee-Zeitung" geschrieben wird, was zu Hause läuft und worauf man schauen sollte, dass etwas gemacht wird. Das bekomme ich in Bern relativ gut mit. Sie haben also noch engen Kontakt zur Orts- und Bezirkspartei? Natürlich, wir kennen ja die Leute persönlich und reden mit ihnen und sie mit uns. Erhalten Sie auch politische Anregungen von zu Hause - etwa von Ihrer Bezirkspräsidentin Theres Weber? Ich bekomme viele Briefe - aus der ganzen Schweiz, aber natürlich am häufigsten aus der näheren Heimat, weil man dort die meisten Leute kennt. Die schreiben einem, was ihnen nicht passt, was man anders machen sollte - und sie erhalten dann auch eine Antwort. Was sind das für Anliegen? Am meisten schreiben die Leute wegen Misständen im Asyl- und Ausländerbereich oder wegen Sozialmissbrauch. Sie teilen mir ihre Beobachtungen und Erfahrungen mit. Auch im Strafverfolgungsbereich, im Strassenbereich erhalte ich Anregungen, früher etwa zur nicht richtungsgetrennten Forchstrasse. Natürlich meinen viele Menschen, ich könne alles gleich und direkt beeinflussen. Und manchmal verwechseln sie die Zuständigkeiten, denn nicht alles wird von Bern aus geregelt. Und wenn jemand mit einem Gericht nicht zufrieden ist, schicken sie mir manchmal gleich die ganzen Gerichtsakten, aber ich kann natürlich nicht in Gerichtsfälle eingreifen. Aus dem Bezirk Meilen erhalte ich viel betreffend die Südanflüge. Dazu kommen Anfragen um Unterstützung ideeller Art oder Einladungen. Zum Beispiel kürzlich zum volkstümlichen Konzert in Küsnacht vorn vergangen Samstag. Dazu wurde ich eingeladen, habe es auch unterstützt. Besuchen konnte ich es leider nicht, weil ich den türkischen Justizminister zu einer Arbeitsbesprechung empfangen musste. Aber wenn zum Beispiel eine Veranstaltung am Samstagabend stattfindet und ich zu Hause bin, dann ist es durchaus möglich, dass wir diese besuchen. Und die Veranstaltungen im Kulturkreis Herrliberg besuchen wir auch, wenn es möglich ist. Wir sind eng mit der Region verbunden. Was werden Sie am Fest "50 Jahre SVP" Ihren Freunden erzählen? Ich werde sicher auf die Gründungszeit eingehen. Ein Jubiläum geht ja auf die Wurzeln zurück. Was interessant ist: Wir sind alle ursprünglich Freisinnige gewesen. Die Freisinnigen sind unsere Grosseltern. Ich habe darum immer gesagt, wir müssen anständig sein mit den Freisinnigen, mit den Grosseltern ist man doch anständig. Wir haben uns vor 90 Jahren getrennt. Aber wir haben uns nicht wegen eines grundsätzlich anderen Gedankenguts getrennt, sondern es unterschied uns damals die internationale Frage. Wir haben den Freisinnigen vorgeworfen, sie nehmen die Schweiz und die Selbstbestimmung zu wenig ernst. Und zweitens war das Gewerbe nicht zufrieden mit den Freisinnigen, Ich werde daher am Donnerstagabend in Erinnerung rufen, dass das Gründungsgedankengut dauernde Werte enthält, die Grundfragen des Staates: Wie weit darf er sich von anderen Staaten und Gebilden vereinnahmen lassen? Wie viel haben die Leute hier, im eigenen Land, insbesondere einem Land mit direkter Demokratie, zu sagen? Darauf werde ich eingehen und in Erinnerung rufen: Die Wiege ist so aktuell wie eh und je. Und sie wird immer aktuell bleiben. Nicht naiv sein. Das erlebt die Schweiz heute mit der EU: Da stimmt die Schweiz einer Milliarde für die Kohäsion zu und am Montag darauf verlangt die EU von uns, die demokratisch erlassenen Steuergesetze in der Schweiz zu ändern! Wir sind zu naiv. Das werde ich thematisieren am 8. März - ausser es kommt mir noch etwas ganz Neues in den Sinn. Bringen Sie auch ein Geschenk mit? Das weiss ich noch nicht (lacht). Das anzukündigen ist gefährlich... Berner und Zürcher SVP Die Abspaltung vom Freisinn 1917 und der Aufstieg der SVP von der bäuerlich geprägten Partei zur wirtschaftsliberalen, konservativen Grosspartei sind beide Male vom Kanton Zürich ausgegangen: ein Vorteil, weil so der SVP nicht vorgeworfen werden konnte, sie verhalte sich "hinterwäldlerisch"? Der Kanton Zürich ist politisch viel lebendiger als alle anderen. Die Wahlkämpfe in anderen Kantonen sind geradezu romantisch im Vergleich zum Kanton Zürich. Das war immer so. Und es wird auch so bleiben. Die Gründung der "Bauernpartei" 1917 in Zürich fand auch ein Jahr vor der Berner Kantonalpartei statt… … ja, aber die Berner sind am Anfang gleich mit viel grösserer Wucht eingefahren. Es war und ist ein stärkerer Agrarkanton als Zürich. Die Berner SVP hat lange dominiert - mit dem Agrarflügel. Die neue Ausrichtung der SVP ab den 80er Jahren ging auch wieder vom Kanton Zürich aus. Und zwar unabhängig von meiner Person. Die Zürcher SVP hat schliesslich die Führung in der schweizerischen SVP von den Bernern übernommen. Früher bestand fast die halbe SVP-Nationalratsfraktion aus Bernern. Heute haben die Zürcher mehr Sitze. Da fand eine ganz gewaltige Umwälzung statt. Das hat in den 90er-Jahren zu einem Konflikt geführt. Es war aber kein kantonaler Konflikt Bern gegen Zürich. Es war vielmehr eine Kursfrage. Heute ist die schweizerische Partei sehr geschlossen. Und diese Umwälzung hat im Bezirk Meilen angefangen? Das kann man so sagen. Wir haben uns häufig im Bezirk Meilen getroffen, um vieles zu besprechen. Ruedi Reichling und Walter Frey - beide auch in diesem Bezirk - spielten eine wichtige Rolle. Den ganz grossen Schub hatten wir als Partei dann Anfang der 90er-Jahre mit unserer Opposition gegen den EWR. Da spielte auch Christoph Mörgeli eine Rolle. Neue Kantonssektionen kamen dazu, in der Innerschweiz und im Welschland. Unsere Partei fuhr damals als einzige - mindestens bei der Abstimmung - eine klare Linie gegen die europäische Integration. Hat die Übernahme des Führungsanspruchs in der SVP durch die Zürcher Kantonalpartei auch mit dem Imageverlust zu tun, den die Berner SVP wegen des Kantonalbank-Skandals vor 25 Jahren erlitten hat? Die Berner sind immer etwas etatistischer gewesen. Staat und Privatwirtschaft und Kantonalbank - oft haben sie so getan, als ob das alles ihnen gehörte. Eine Kantonalbank, die zur Parteifinanzierung beiträgt, das war für die Berner eine Selbstverständlichkeit. Das ist eine andere Mentalität, und die ist damals aufgebrochen. Die Berner hatten auch ein ganz anderes Obrigkeitsdenken. Wenn Regierungsrat Werner Martignoni aufgetreten ist, hatte man das Gefühl, jetzt fallen gleich alle auf die Knie. Und an der Delegiertenversammlung hatte er immer das letzte Wort. Bei uns in Zürich muss ein Regierungsrat an der Delegiertenversammlung die Hand aufhalten und sich wie jeder andere zu Wort melden. Aber das hat sich jetzt auch in Bern geändert.

08.03.2007

Schweizer sind keine Dorftrottel

«Heute feiert die SVP des Bezirks Meilen ihren 50. Geburtstag. Der Herrliberger Bundesrat Christoph Blocher im Gespräch über seinen Werdegang und die Probleme am rechten Ufer.» 08.03.2007, Tages-Anzeiger, Raphael Briner Warum sind Sie in den Bezirk Meilen gezogen? Rein zufällig. Meine Frau war Lehrerin in Weinfelden. Sie füllte den Brotkorb für die Studentenehe. Dann war mein Arbeitsort Zürich. Vor der Geburt unseres ersten Kindes suchten wir etwas in der Nähe und fanden 1969 im vierten Stock eines Neubaus in Feldmeilen eine Blockwohnung. Vor zehn Jahren sind Sie von Meilen nach Herrliberg gezogen. Fühlen Sie sich heute als Herrliberger? Ja, auch wenn die örtliche Bindung nicht mehr ganz gleich ist wie in Meilen, wo unsere Kinder zur Schule gingen und meine Frau, die als Lehrerin in Feldmeilen manchmal aushalf, viel mehr Bekannte hatte. Wir kennen aber viele Leute in Herrliberg, die wir schon vorher gekannt hatten, auch viele aus der Partei. Heute ist es uns wohl in Herrliberg. Im Kulturkreis Herrliberg sind Sie Mitglied, man sieht Sie und Ihre Frau immer wieder an Vogtei-Anlässen. Sind Sie sonst noch irgendwo dabei? Kittenmühle-Aktionär? Sponsor des Fussball-Kunstrasens? Es gibt viele Vereine, die ich bei besonderen Anlässen unterstützt habe, und jawohl, Kittenmühle-Aktionär bin ich auch. Das ist eine Aktienbeteiligung, die mir als Bundesrat noch erlaubt ist! Ich bin aber auch Aktionär des Restaurants Vorderer Pfannenstiel in Meilen. Ich behandle die Konkurrenten also gleich. Bis vor zehn Jahren waren die Leute beeindruckt: Der Ems-Chemie-Multimillionär Blocher wohnt an der Rainstrasse in Meilen in einem bescheidenen Einfamilienhaus. Kein Vergleich zu Ihrer Festung auf dem Herrliberger Olymp. Wir bauten dieses Haus in Meilen für die Familie. Dort wohnt jetzt unsere Tochter mit ihrer Familie. Sie leitet heute die Ems Chemie. Wir zogen nicht nur nach Herrliberg, um da zu wohnen, sondern verlegten auch den Sitz der Ems dorthin. Das Gebäude in Herrliberg, von dem man nicht recht weiss, ob es jetzt eine Kirche oder ein Spital ist, das ist nicht unser Wohnhaus, sondern der Sitz der Ems Chemie Holding AG mit Büros. Sie sind als junger Jurist an die Goldküste gekommen und dann wirtschaftlich und politisch rasch aufgestiegen. Wie sind Sie hier aufgenommen worden an der Goldküste, in der guten Gesellschaft mit Familien wie Wille und Gut? Bereits an einem der ersten Abende - kaum hatten wir gezügelt - bin ich in die Politik hineingezogen worden. Wir gingen ans 1.-August-Feuer in Feldmeilen. Die Meilemer klagten mir ihre Not mit dem Zonenplan und der Ansiedlung der Alusuisse. Ich sagte: Das könnt Ihr ja nicht zulassen. Sie fragten mich, ob ich in einem Komitee mitmachen würde, das das Projekt verhindert, und ich stellte mich spontan zur Verfügung und habe die ganze Opposition mit angeführt, mit Leuten wie Florian Niggli und andern, alteingesessenen Feldnern. Und die Alteingesessenen nahmen die Einmischung hin? Ich wurde natürlich am Anfang sehr angefeindet. Damals war LdU­-Nationalrat Theodor Kloter Gemeindepräsident. Die Gemeindeversammlung fand in zwei Turnhallen statt. In der einen war er, in die andere wurden die Reden übertragen. Als ich zum zweiten Mal ans Rednerpult schritt, sagte Kloter - in der Meinung, das Mikrophon sei abgestellt - zu seinem Nachbarn am Präsidententisch: "Jetzt chunnt dä dumm Siech scho wider!", was dann über Lautsprecher in den andern Saal getragen wurde. Das mit der Alusuisse war eine harte Auseinandersetzung, da haben sich Leute zum Teil nicht mehr gegrüsst. Heute erinnert sich aber kaum noch jemand daran. Mit der Familie Wille bin ich befreundet! Mit Ihrem Status würde man Sie in der Haute volée der Goldküste ansiedeln: Unternehmer, reich, Bundesrat. Verkehren Sie heute mit Herrlibergern wie Nikolaus Senn, Hans Imhof, Jürg Marquard? Ich hatte noch nie Berührungsängste. Aber ich habe mich nie in einen Filz einbinden lassen. Nikolaus Senn kenne ich natürlich, der war ja Präsident der Schweizerischen Bankgesellschaft, als ich im Verwaltungsrat war. Er musste mich rauswerfen, weil ich gegen den EU-Beitritt war (lacht). Das waren harte Auseinandersetzungen, aber ich habe mit ihm immer noch ein gutes Verhältnis. Er wohnt ja gleich unterhalb von mir. Wo verkehren Sie denn? Handwerker, Kaminfeger, Bauern, Unternehmer, Hausfrauen, Lehrlinge - was Sie wollen. Ich habe immer in der breiten Bevölkerung verkehrt und habe auch Freude daran. Da mache ich keinen Unterschied. Ausnahme: Bei den Heuchlern und süssen Frommen, da bin ich immer ein bisschen vorsichtig. Das hat mir mein Vater, der Pfarrer war, beigebracht. Als Sie im Dezember 2003 in den Bundesrat gewählt worden waren, patrouillierte hinter Ihrem Haus die Polizei. Sie haben eine 2,2 Meter hohe Mauer um Ihre Festung herum gebaut. Ist Ihnen in Herrliberg jemals jemand zu nahe gekommen? Nein. Ein Bundesrat steht unter Polizeischutz, ob nötig oder nicht. Es gibt immer Situationen, wo es nötig ist. Doch über die eigene Sicherheit spricht man nicht. Zur Umfassungsmauer, die Sie läppischerweise als Festung bezeichnen: Ich habe ja Freude an den Menschen, aber wir möchten auch ab und zu allein sein. Sie sind die ganze Woche in Bern in einer Stadtwohnung und kommen kaum noch dazu, Ihr Herrliberger Heimetli zu geniessen. Das ist der Preis, den Sie zahlen, wenn Sie Bundesrat werden. Ich hatte grosse Freude, dass wir endlich in Herrliberg wohnten und ich zu Fuss den grossen Garten hinunter ins Büro gehen konnte und nicht mehr wie früher übers Bellevue in die Zürcher Selnau fahren musste. Und kaum habe ich drei Jahre lang dieses Glück gehabt, wohne ich in Herrliberg und arbeite in Bern. So ist das Leben! Wo versteuern Sie jetzt eigentlich Ihre gut 400'000 Franken Einkommen? Im Juli hiess es, Bundesräte müssten neu als Wochenaufenthalter 30 Prozent in der Bundesstadt versteuern. Bis jetzt habe ich alles im Kanton Zürich versteuert. Mal sehen, ob das geändert wird. Ich will keine Steuerregelung, die nicht auch für alle anderen gilt. Aber es geht lediglich um das Salär als Bundesrat, nicht um die Vermögenserträge und das Vermögen. Es war mal Gesprächsstoff in der Nachbarschaft, dass Sie sich -­ vielleicht nicht so oft wie damals Ruth Metzler ­- mit dem Bundeshelikopter hinter Ihrem Haus absetzen lassen könnten. Kommt das vor? Sehr selten. Wenn ich zum Beispiel am gleichen Tag nach Chur und dann nach Genf und nach Basel muss, dann bringt der Heli etwas. Von Bern nach Herrliberg ­- das lohnt sich nicht. Wenn ich in Herrliberg lande, dann auf dem Bauernhof der benachbarten Familie Stalder. Das Schöne ist: Die Familie hat Freude daran, besonders die Kinder. Manchmal sieht man Sie und Ihre Frau gegen Wetzwil hin spazieren am Sonntagmorgen. Früher waren Sie bekannt fürs frühmorgendliche Joggen. Tun Sie das noch, jetzt einfach "der Aare nah" statt über den Erich-Schärer-Weg? Nein, in Bern mach ich das nicht. Ich müsste einen Sicherheitsbeamten mitnehmen. Das ist mir zu kompliziert. Aber wenn ich zu Hause bin, bin ich gerne frühmorgens draussen. Die Sommerzeit hat aber Nachteile. Wenn es endlich hell wäre am Morgen, kommt wieder die Zeitverschiebung. Waren Sie damals dagegen? Da waren Sie ja schon nicht mehr Bauer. Ja, wir haben ja das Referendum ergriffen. Die Sommerzeit wurde beim ersten Mal abgelehnt, nach einem Jahr wurde sie dann trotzdem eingeführt. Wenn alle rundherum die Sommerzeit einführen, ist die Schweiz zu klein für eine eigene Zeitzone. Es ist vielleicht nicht wahrscheinlich, aber möglich, dass das Parlament Sie im Dezember bei den Bundesratswahlen in Pension schickt. Was machen Sie dann? Imkern in Wetzwil? Endlich mal nichts! Doch damit befasse ich mich gar nicht. Ich stelle mich wieder zur Verfügung ­- gegen starke rot-grüne Kräfte natürlich. Wenn ich nicht mehr gewählt werden sollte, hat die Partei auch schon entschieden: Dann gehen wir in die Opposition, und da werde ich nicht darum herumkommen, auch wieder eine Rolle zu übernehmen. Noch eine letzte Frage: Was machen Sie am 4. Oktober? Hoppla . . . (überlegt) Ich weiss es nicht, aber am 4. Oktober ist unser 40. Hochzeitstag. Ja, wir wollten nur sicher sein, dass Sie ihn nicht vergessen. Ich musste zuerst überlegen: "Da isch öppis Cheibs", aber ich habe zuerst nicht mehr gewusst, was. Heute beschäftigen Handyantennen, die Zubetonierung der Goldküste, Schulstreit und Südanflüge die Leute am See. Welche Themen waren neben der Alusuisse aktuell, als Sie in die Politik einstiegen? Grosse Themen waren die geplante Höhenstrasse dem Pfannenstiel entlang und der Seeuferweg. Zudem die drohende Überbevölkerung. Die Schweiz werde 10 Millionen Einwohner haben. Man solle weniger Kinder haben, hiess es. 20 Jahre später hat man gesagt, es gebe zu wenig Kinder. Jede Hochkonjunktur zimmerte eine eigene Weltuntergangskatastrophe! Welche weiteren Probleme gab es? Später waren das Waldsterben und das Ozonloch ein Thema, heute ist es der Klimawandel. Der Bezirk Meilen ist eben eine wohlhabende Region, da sprechen die Leute gerne auf Untergangsszenarien an. Neben der SVP hat sich auch die FDP um Ihre Mitgliedschaft bemüht. Weshalb haben Sie sich für die SVP entschieden und nicht für die damals dominante FDP? Die Freisinnigen wären in Frage gekommen vom Gedankengut her. Ich habe übrigens beim grossen Zugunglück in Feldmeilen 1971 den FDP-Ortsparteiprädidenten tot aus dem Zug geborgen. Wenige Tage zuvor hatte er mich um eine Parteimitgliedschaft gefragt! Die Leute von der SVP haben mir damals persönlich am Besten gefallen, das waren Handwerker und Bauern. Jetzt sind Sie in der grossen nationalen Politik. Beschäftigen Sie sich noch mit dem politischen Geschehen im Bezirk? Nur über meine Frau. Sie liest fleissig die Zeitungen und nimmt teil am Gemeindeleben. Allerdings beschäftige ich mich natürlich auf Bundesebene mit den Südanflügen. Ich habe ja zuhause in Herrliberg ab 6 Uhr Anschauungsunterricht dazu. Glauben Sie, dass die Schweiz in Sachen Südanflüge noch etwas ausrichten kann? Ja, da kann man schon etwas machen längerfristig. Wir müssen klar auf den gekröpften Nordanflug setzen. Wir haben den Eindruck, dass sich die Leute im Bezirk Meilen am meisten über die grosse Bautätigkeit aufregen. Sie haben zum Planungsrecht dissertiert. Haben Sie ein Rezept? Rund um mein altes Haus in Feldmeilen ist unterdessen auch alles verbaut. Meine Tochter lebt trotzdem noch dort. Das geht schon. Ich habe in Herrliberg aber so viel Land gekauft, dass man nicht vor meine Nase bauen kann. Nicht alle haben Ihre Möglichkeiten. Nochmals: Wie soll sich der Bezirk baulich entwickeln? Das rechte Seeufer ist natürlich eine sehr bevorzugte Wohnlage, darum ist es stark bebaut. Die Art des Bauens ist aber leider eine Folge des Zürcher Bau- und Planungsgesetztes. Ich habe dieses Mitte der Siebzigerjahre bekämpft und dabei die erste politische Niederlage erlitten. Ich wollte ein lockereres Gesetz und habe prophezeit, dass es zu einer Schemabauweise kommen werde, in der jeder verdichtete Bauten vor die Nase des anderen stellt. Sie können das Unbehagen der Leute also verstehen? Ja. Man muss aber auch sehen, dass früher die Devise war, man müsse die Leute zum Bauen zwingen, dazu, dass sie die Böden ausnützen. Es hat alles Vor- und Nachteile. Und jetzt herrscht Hochkonjunktur. Wenn mal wieder eine Rezession kommt, suchen alle nach Aufträgen in der Industrie und im Bauwesen. Was hat sich in der SVP-Bezirkspartei seit Ihrer Präsidentschaft verändert? Es ist die gleiche Veränderung, der das ganze rechte Seeufer unterworfen gewesen ist: Die Partei ist städtischer geworden. Wir haben heute viel mehr Leute aus dem Banken- und dem Dienstleistungssektor. Damals war der Bezirk - mit Ausnahme von Zollikon und Küsnacht - ländlich, so wie wir es heute noch in Hombrechtikon sehen. Und politisch? Als ich nach Meilen kam, war der Bezirk freisinnig. In den letzten Nationalratswahlen von 2003 war dann die SVP erstmals stärkste Partei. Das zeigt die Entwicklung, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren begonnen hat. Inwiefern? Wir wurden zur gesamtschweizerischen SVP, welche nicht nur bäuerliche und gewerbliche Kreise ansprach, sondern die ganze Bevölkerung. Damals wohnten neben mir weitere führende Exponenten am See wie der Stäfner Rudolf Reichling oder Walter Frey aus Küsnacht. Aus der Bezirkspartei kamen daher entscheidende Impulse für die SVP Schweiz. Die Zürcher SVP hat aber einen Regierungsratssitz verloren und zaubert eher profillose Leute aus dem Hut wie Ex-Parteipräsident Good, dessen Nachfolger Frei und den Ständeratskandidaten Geiger. Haben Sie ein Vakuum hinterlassen? An wem messen Sie diese Leute? An Ihnen. Ja eben. An jemandem, der 26 Jahre die Partei geführt hat, 24 Jahre Nationalrat war. Messen Sie sie doch an den Leuten der anderen Parteien. Die genannten profilierte, sehr gute Leute. Spontan kommt mir jetzt nicht gerade ein Präsident einer anderen Kantonalpartei in den Sinn. Sie haben im Prinzip versagt, weil Sie keine Nachfolge aufgebaut haben. Das ist Ihre Sichtweise. Aber die SVP des Kantons Zürich hat hervorragende Leute: Rita Fuhrer, Hans Hofmann, Ueli Maurer, Christoph Mörgeli, Walter Frey, und, und... Auch Hans Geiger halte ich für einen exzellenten Kandidaten. Früher hat der "Tages-Anzeiger" geschrieben, die Partei habe nur Blocher an der Spitze. Der sei wie eine Wettertanne, die alles überdacht. Und jetzt, da der von Ihrer Zeitung vielfach Verschnödete weg ist, müssen Sie die andern schlecht machen! Haben Sie bei der Ständeratskandidatur Geiger Ihren Einfluss geltend gemacht? Ich bin nur noch pro Forma im Vorstand der Kantonal- und der Bezirkspartei. Aber natürlich besprechen sich Parteifreunde. Ich kann Hans Geiger nur empfehlen! Zum Schluss eine ganz persönliche Frage, die aber auch eine politische ist: Sie gelten als Chefverteidiger der Schweizer Werte. Gleichzeitig sind Sie unschweizerisch in dem Sinn, dass Sie herausragen. Ist das nicht ein unauflöslicher Widerspruch, der Sie einsam macht? Das mit der Einsamkeit hat etwas. Das ist immer so in solchen Funktionen. Aber schweizerisch sein heisst nicht, dass man ein Dorftrottel ist. Das Schweizerische als Ganzes, weil es demokratisch und für Gleichberechtigung ist, hat jedoch immer etwas Durchschnittliches. Das ganz Besondere setzt sich nicht durch, aber das ganz Schlimme auch nicht. Das ist der Vorteil. Aber, und das ist das Wesentliche: Die Schweiz hatte immer "herausragende" Leute! Und auf diese wurde gehört. Sie haben das aber nicht getan zum persönlichen Vorteil, sondern um dem Gesamten zu nützen. Einmal ist ein amerikanischer Senator in die Schweiz gekommen. Er hat mich getroffen und gesagt, alle würden von mir reden. "Warum denn das? Sie sind ja gar nichts, nicht Bundesrat und nicht Parteipräsident", fragte er. "Sehen Sie", sagte ich ihm, "das ist eben die Schweiz! Es kommt nicht darauf an, welches Amt jemand hat, sondern ob er als Persönlichkeit etwas zu sagen hat." In diesem Sinne bin ich eine typisch schweizerische Person.