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Mandat de Conseiller Fédérale

28.11.2006

«Man will mich aus der Politik drängen!»

Fernsehautor und Journalist Kurt Felix im grossen Gespräch mit Bundesrat Christoph Blocher und dessen Frau Silvia: Liebe nach 40 Jahren Ehe, kriminelle Jugendliche, öffentliche Bundesratssitzungen, die «Lex Anti-Blocher» – die drei haben nichts ausgelassen 28.11.2006, Schweizer Illustrierte, Kurt Felix und Marc Walder Kurt Felix: Herr und Frau Blocher, das Mikro läuft. Schauen Sie eigentlich oft Fernsehen? Bundesrat Christoph Blocher: Nein, wir hatten zu Hause nie einen Fernsehapparat. Jedoch In unserer Berner Wohnung steht von Amtes wegen ein Gerät. Oh je, dann muss ich wohl annehmen, dass Ihnen Namen wie Thomas Gottschalk oder Frank Elstner nichts sagen. Also möchte ich Sie darüber aufklären, dass ich vor dem jetzigen Job bei der Schweizer Illustrierten auch schon mal im Fernsehen vorkam... Bundesrat Christoph Blocher: (lacht schelmisch) Joo waas! Dann ist es toll, dass Sie mit uns Fernsehabstinenten überhaupt reden. Sie verstehen ja Spass, oder! Sie haben meiner Frau und mir vor zwei Wochen per SMS gratuliert, weil wir von den deutschen Fernsehzuschauern zum Traumpaar gewählt wurden. Sie gehören ebenso zum Club all der glücklich Verheirateten, die als Traumpaar wahrgenommen werden. .. Silvia Blocher: Herr Felix, wir leben in der Realität, nicht im Traum... Bundesrat Christoph Blocher: ...es gibt ja auch Albträume. Jeder, der mit Silvia zusammen lebt, wird durch sie zum Traumpaar. Silvia Blocher: Wir sind schon 40 Jahre zusammen... Bundesrat Christoph Blocher:.. und wir haben eine intensive Zeit miteinander erlebt, die nicht immer nur ein Traum war, sondern ein gemeinsamer Kampf für unsere Anliegen. Auch ein Durchstehen und Überleben gegenüber Anfeindungen von aussen. Frau Blocher, wissen Sie, dass auch wir eine Gemeinsamkeit haben? Silvia Blocher: (fragendes Schweigen) Wir haben in den 60er Jahren aushilfsweise im selben Schulhaus in Amriswil unterrichtet. Und uns knapp um ein Jahr verpasst. Stellen Sie sich vor, wir wären uns im Lehrerzimmer begegnet und ich hätte Sie zu einem romantischen, kerzenbeleuchteten Dinner auf das Schloss Sonnenberg eingeladen. Dann wären Sie vielleicht heute nicht die Frau eines Bundesrates. Silvia Blocher: (hält sich vor Lachen am Stuhl) ...und ich hätte auch kein Schloss, aber dafür ein Haus am Luganersee. Mein erstes Lehrergehalt betrug sechshundert Franken. Ich habe vernommen, dass damals Ihre grosse Liebe Christoph noch ärmer dran war als ich. Mussten Sie Ihren Lover durchfüttern? Silvia Blocher: Ja. Er hatte damals gar nichts. Bundesrat Christoph Blocher: Mein ganzes Hab und Gut hatte in einem kleinen, blauen Köfferli Platz. Silvia Blocher: Als wir 1967 heirateten, war er Werkstudent. Mausarm. Was fasziniert Sie noch heute an diesem Mann? Silvia Blocher: Er ist ursprünglich, originell, ausserordentlich intelligent, gefühlsstark, grosszügig, ein Fels in der Brandung. Bundesrat Christoph Blocher: Hör auf, ich werde ja so rot, wie dieses Mikrofon vor mir. An Ostern konnte ich in einem Tessiner Grotto beobachten, wie Ihnen die Gäste zwischen Gitzi und Polenta Merlotflaschen zur Unterschrift reichten. Sie haben diese Wünsche mit Spass erfüllt. Mein verstorbener Kollege Rudi Carrell, von dem Sie ja sicher noch nie etwas gehört haben, ist jeweils ausgerastet, wenn er am Tisch gestört wurde. Bundesrat Christoph Blocher: Viele dieser Leute treten spontan an mich heran und sagen zum Beispiel: „Wir schätzen Ihre Arbeit; man merkt, dass Sie im Bundesrat sind. Wir sind froh darüber.“ Wissen das Ihre Gegner? Bundesrat Christoph Blocher: Darum tun die doch so wüst! Wissen Sie, ich gebe nicht nur meine Unterschrift, sondern rede mit den Leuten mindestens ein paar Worte. Meine Devise ist: Christoph Blocher steht Red und Antwort. Wenn man im Bundesrat sitzt, besteht die Gefahr, dass man plötzlich abhebt. Ich war vor Jahren mit Adolf Ogi und einem anderen Bundesrat unterwegs. Dölf national hat zehn Autogramme verteilen müssen, sein Kollege eins. Bundesrat Christoph Blocher: (platzt heraus) Der Ogi hat halt den kürzesten Namen! In der Zeit, in der andere einmal schreiben können, schafft er zehn. Aber die Stimmung war dann futsch! Wie futsch und eifersüchtig ist die Stimmung im heutigen Bundesrat? Bundesrat Christoph Blocher: Eifersucht ist tatsächlich eine weit verbreitete Krankheit in der Politik. Seit wir im Bundesrat offener miteinander umgehen, ist die Stimmung sehr gut und die Sitzungen werden sogar kürzer. Selbst Ihre Gegner attestieren jedoch, dass Sie Herr Blocher, im privaten Umgang ein äusserst höflicher Mensch sind. Ich bin Ihnen schon ein paar Mal begegnet und habe dabei konstatiert, dass Sie vor allem gegenüber Frauen ein richtiger Charmebolzen sind. Ich komme mir im Vergleich zu Ihnen wie ein Rüppel vor. Und dann schlage ich die Zeitung auf und lese, der Blocher sei ein Polterer ohne Manieren. Silvia Blocher: (verzweifelt) Ach, diese Zeitungen! Ein Polterer ist Christoph nicht: Er ist einer, der seine Meinung klar und pointiert ausspricht. Und auch mit Engagement. Da gibt es Leute, die das nicht ertragen. Mir tut es sehr weh, wie mein Mann oft angefeindet wird. Ihr Mann ist aber manchmal auch unzimperlich... Silvia Blocher: ...aber nie so beleidigend, wie man ihm gegenüber ist. Bundesrat Christoph Blocher: Manchmal erfüllt mich der heilige Zorn, und den will ich einfach nicht verstecken. Man muss den Mut aufbringen, Dinge, die falsch laufen, beim Namen zu nennen. Dann gibt es auch ein politisches Führungsmittel: Die Provokation. Das Wort kommt von „provocare“ hervorrufen. Oder ausrufen, Herr Blocher. Aber hier in Ihrem Schloss sind Sie ein sanfter und liebendwürdiger Gastgeber. An einer Wand des Schlosses steht der Spruch: „Flectimur non frangitur“ Bundesrat Christoph Blocher: Frei übersetzt heisst das: Wir werden gebogen, aber wir brechen nicht. Heute erlebe ich, dass viele Stimmbürger gar nicht mehr zuhören, wenn meine Gegner aufzählen, was ich wieder alles falsch gemacht haben soll. Sie stellen sich nur noch die Frage: Gibt er nach oder nicht? Kippt er jetzt oder nicht? Frau Blocher, Sie könnten als Frau eines prominenten Politikers ebenfalls ein politisches Amt übernehmen und eine Art Hillary Clinton der Eidgenossen werden. Man vermutet ja jetzt schon, Sie seien heimlich das achte Mitglied des Bundesrates. Silvia Blocher: (amüsiert) Mein höchstes politisches Amt hatte ich bis jetzt in der Pfarrwahl-Kommission. Bundesrat Christoph Blocher: (schmunzelt) Das war der Glanzpunk ihrer Polit-Karriere! Wir haben keine Trennung zwischen Berufs- und Privatleben. Die grossen Sachen diskutieren wir dauernd miteinander. Es ist gut, dass meine Frau ausserhalb des aktuellen politischen Geschehens bleiben will. Sie liest zum Beispiel meine Reden und deckt sofort die Schwachstellen auf. Silvia Blocher: (in unmissverständlichem Tonfall) Für mich ist das Leben Politik und Politik das Leben. Meine zentrale Aufgabe war jedoch, Mutter von vier Kindern und Hausfrau zu sein und da bin ich stolz darauf. Ich wurde auch schon angefragt für politische Ämter, aber ich habe stets abgelehnt. Eine deutsche Politikerin hat schon mal angeregt, dass die Medien bei ihrer Kriminal-Berichterstattung die Nationalität der Täter nicht mehr bekannt geben sollten. Die bisherige Praxis würde den Fremdenhass fördern. Wäre dies ein Beitrag zur Bekämpfung der Abneigung gegenüber gar fremden Ausländern? Bundesrat Christoph Blocher: Die Leute haben bei uns schnell gemerkt, dass, wenn nicht ausdrücklich „Schweizer“ steht, es sich um einen Ausländer handeln muss. Und wenn heute demonstrativ „Schweizer“ geschrieben wird, vermuten die Leute, dass es sich um einen Eingebürgerten handelt, was ja leider oft zutrifft. Man muss die Medien-Konsumenten nicht für so dumm verkaufen. Das vorsätzliche Vertuschen fördert die Ausländerfeindlichkeit. Silvia Blocher: Menschen aus gewissen Kulturkreisen haben halt ein anderes Verständnis zur Kriminalität. Auch ihr Verhältnis zu uns Frauen ist anders. Ausländer-Kriminalität In Zürich Seebach wurde die 13-jährige Michelle von skrupellosen Sextätern mehr-fach vergewaltigt. Es sind 13 Burschen im alter von 15 bis 18 Jahren. Es handelt sich um Ausländer. In diesem Fall aus Ex-Jugoslawien, Italien und der Dominikanischen Republik sowie um eingebürgerte Schweizer aus dem Balkan und der Türkei. Hilmi Gaschi, Gewerkschaftssekretär für Migration, sagte letzte Woche in der Sendung "Rendez-vous" auf DRS 1: "Ich wehre mich dagegen, dass Gewalt einer Region oder bestimmten Kulturen zugeordnet wird. (...) Schuld ist das Frustrationspotenzial wegen der Diskriminierung und mangelndes Selbstwertgefühl." Bundesrat Christoph Blocher: Ich sehe bereits, dass Fachleute diese schreckliche Tat verpsychologisieren und schön reden wollen. Man entschuldigt die Täter damit, dass sie aus einem anderen Kulturkreis stammen. Man gibt allem Schuld: der Pornoindustrie, den Handys, der mangelnden Integration, und, und, und. Stimmt ja alles, aber wesentlich ist etwas anderes: Das Unrecht! Unrecht ist begangen worden und muss bestraft werden. In vielen Medien, die dieses Thema lange ausgeblendet haben,  liest und hört man zunehmend: Wir haben ein Ausländerproblem..... Bundesrat Christoph Blocher: ....das ist nicht von der Hand zu weisen. Probleme machen uns oft junge Ausländer und eingebürgerte Leute. Da gibt es Schwachstellen. Die Einbürgerungsbehörden haben keinen direkten Zugang zu den Polizeiakten. Nur zum Leumundszeugnis. Delikte von Jugendlichen bis 15 Jahren sind nicht im Strafregister eingetragen. So stehen z. B. bei einem 16-jährigen Jugendlichen, wenn er eingebürgert wird, im Strafregister keine Delikte, die er in früheren Jahren begangen hat. In einem schlimmen Fall müsste einem jungen Ausländer die Einbürgerung wieder entzogen werden können. Notfalls müsste eine solche Person das Land verlassen. Wenn es sein müsste, sogar die ganze Familie. Umso mehr ist doch die Integrationsarbeit angesagt. Da können Sie sicher nichts dagegen haben. Bundesrat Christoph Blocher: Integrationsprojekte sind wichtig. Aber ich warne davor, die Integration als allein selig machende staatliche Massnahme anzusehen. Hier geht es um die Einstellung zu Recht und Unrecht. Die Leute müssen unsere Gesetze und unsere Kultur akzeptieren. Einbürgerung als Integrationsmassnahme ist Unsinn. Die Einbürgerung muss immer die Folge der Integration sein. Die grosse Mehrheit des Volkes hat das alles schon längst begriffen, nur linke Politiker und die so genannten Gutmenschen noch nicht. Umfragen zeigen auf, dass das Ausländerproblem zuoberst auf der Liste des Unbehagens steht. Wie könnte man dieses Thema entschärfen? Bundesrat Christoph Blocher: Die Strafverfolgung hat in den letzten 20 Jahren eine zu weiche Linie verfolgt. Nach dem Motto: "Therapie statt Strafe". Dabei ist die Strafe ein Teil der Therapie! Das Unrecht muss geahndet werden. Gerade Junge müssen spüren, dass sie etwas Verbotenes getan haben. Nicht Beschönigung und Verständnis ist angezeigt, sondern sie müssen die „Grenzen“ ihres Tuns erfahren. Das hören aber die Psychologen, Therapeuten und Migrationsexperten nicht gerne.  - es sind immer etwa dieselben, die sich in den Medien äussern - nicht gerne. Ich vermute, dass dies wieder eine ihrer Provokation ist. Bundesrat Moritz Leuenberger und Sie spielen ja meisterhaft auf der Medienklaviatur. Ihr Kollege schnüffelt am Auspuff und diese Bilder werden bei jeder CO2-Diskussion immer wieder abgedruckt. Und Sie setzen die Themen, indem Sie alles auf den Tisch legen. Beispiel Afrika. Beispiel Anti-Rassismus-Gesetz. Sind Sie ein bewusster Stratege, oder ist es Intuition? Bundesrat Christoph Blocher: Ich brauche die Intuition und die Strategie. Was ich wann als Thema setze, hängt von Missständen oder Provokationen der andern ab. Mich beschäftigen zurzeit die Fehleinschätzungen, der 90-Jahre. Vieles war naiv: Man dachte, der Weltfrieden sei definitiv ausgebrochen, nur weil die Mauer fiel. Es sollte nichts Negatives, nichts Böses mehr geben. Man wollte die Neutralität aufgeben, hatte aber zum Glück Angst vor dem Volk. Wichtige Strukturen wurden zerstört. Das Geld wurde verschleudert. Staatliche Defizite entstanden. Alles was aus früherer Zeit kam, wurde, wie von einem pubertären Kind, abgelehnt. Sie bezeichnen die 90er-Jahre rückblickend als die "düstersten der letzten Jahrzehnte" für unser Land. Was sind für Sie die gravierendsten Folgen? Bundesrat Christoph Blocher: Kein Wirtschaftswachstum, mehr Kriminalität, Wertezerfall. Auch, dass ich nun in der Regierung bin, ist ein Zeichen dafür, dass etwas nicht mehr gestimmt hat. Solche Leute wie mich wählt man nicht in die Regierung, wenn alles in Ordnung ist. Herr Blocher, Sie können mit den Medien umgehen und wissen sicher auch, wie das Fernsehen demaskieren kann. Diese Tatsache bestätigt sich für mich immer wieder, wenn ein Bundesrat unengagiert vor die Kamera tritt und eine Parole vertreten muss, die er überhaupt nicht teilt. Das sind doch Eiertänze vor aller Öffentlichkeit. Und die machen Sie jetzt auch mit! Vor-Vorgänger Justizminister Kurt Furgler hat sich einst in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs, dem er menschlich nicht zustimmen konnte, einen medialen Stellvertreter ernannt. hand aufs Herzog: Wäre das nicht ehrlicher? Bundesrat Christoph Blocher: Kurt Furgler erhielt eine Ausnahmebewilligung. Das kann man nur sehr selten aus Gewissensgründen beantragen! Das mit dem Eiertanz ist leider so. Es ist doch klar: Wenn ich mit Überzeugung für etwas gekämpft habe, sieht man es mir an, wenn ich vor der Kamera das Gegenteil erzählen muss. Ich kann zu wenig gut schauspielern. Dann sage ich halt: "Der Bundesrat findet...." Ich bin der Meinung, das Publikum darf ruhig erfahren, wer welche Meinung bis zur Abstimmung im Bundesrat vertreten hat. Darum bin ich an sich auch für öffentliche Bundesratssitzungen. Doch nachdem der Bundesrat entschieden hat, muss man sich an den Beschluss halten. Die Linke möchte Sie im kommenden Jahr als Bundesrat abwählen. Die SVP droht, in diesem Fall den Bundesrat zu verlassen und in die Opposition zu gehen. Würden Sie als Ex-Bundesrat die Opposition wieder anführen? Bundesrat Christoph Blocher: Warum nicht.... Silvia Blocher: (greift sofort ein) Die Linke will meinen Mann ja nicht draussen haben, weil er als Bundesrat ein Versager wäre, sondern weil er die Dinge beim Namen nennt und danach handelt. Er ist ihnen zu stark. Bundesrat Christoph Blocher: Der SVP will man schon zwei Sitze zugestehen, aber ihre Politik will man nicht zulassen. Eigentlich könnten Sie ja von sich aus Ihr Amt aufgeben und sich wieder als Nationalrat wählen lassen, um dann im Parlament die Opposition anzuführen. Und zudem könnten Sie später erneut als Bundesratanwärter kandidieren. Mit dem Nachteil, dass Sie noch etwas länger warten müssten, bis Sie Bundespräsident würden. Alles ist also offen, Herr Blocher. Bundesrat Christoph Blocher: (nachdenklich) Ja. Das stimmt. Auch das wird man prüfen. Darum reden die Linken bereits über ein neues Gesetz, dass es einem Bundesrat verbieten würde, als Nationalrat zu kandidieren. Eine Art Lex Anti-Blocher. Man will mich aus der Politik drängen. Danke für diesen Paar-Talk! Doch es heisst nun schon: Mikro aus!

16.11.2006

Unternehmertum im Angesicht der internationalen Entwicklung und Liberalisierung

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Plenarversammlung von bauenschweiz am 16. November 2006 in Bern 16.11.2006, Bern Bern. Anlässlich der Plenarversammlung von bauenschweiz in Bern referierte Bundesrat Christoph Blocher über verschiedene Aspekte der Wirtschaft und der Globalisierung. Er ging auf die Ängste der Unternehmer ein und zeigte Alternativen auf. Schliesslich forderte er die Anwesenden auf, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren und von besseren Konkurrenten zu lernen, um von der Schweiz aus im Weltmarkt zu bestehen. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Die Schweiz im Weltmarkt Wo heute von der Wirtschaft die Rede ist, hören Sie immer wieder Schlagworte, die beunruhigen. Globalisierung, chinesischer Drache, Lohndruck, Auslagerung, Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit… Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass er bei all diesen Wörtern zunächst Angst bekommt. Angst, nicht bestehen zu können. Angst, nicht überleben zu können. Angst, als Verlierer dazustehen. Tatsächlich: Ganze Nationen mit niedrigen Löhnen, grossem Leistungswillen, gut ausgebildetem Personal, weniger Regulierung, mit sehr tiefen Steuern drängen auf die Weltmärkte. Es gilt einem ungeheuren Konkurrenzdruck zu begegnen. Die Wirtschaft blickt deshalb wie gebannt auf die Politik und die Politik wiederum blickt mindestens so gebannt auf die Wirtschaft. Doch für einen Unternehmer ist die bange Frage: „Kann ich mit meinem Unternehmen, mit meinen Produkten, mit meinen Kosten, mit meinem Marketing vor der Konkurrenz bestehen?“ keine neue Frage. Für einen Unternehmer ist die Frage nach seiner Konkurrenzfähigkeit eine alltägliche Frage. Und nur schlechte Unternehmer stellen sich solche existenziellen Fragen nicht andauernd. Meine persönliche Erfahrung zeigt: Der Unternehmer steht mit den Fragen, die sein Unternehmen in seiner Existenz betreffen, stets allein. Das ist die Einsamkeit jener Menschen, die Verantwortung tragen müssen. Um diese Einsamkeit kommen Sie nicht herum, wenn es an Ihnen liegt, Entscheidungen zu treffen. Wie sollen wir, wie soll ein Unternehmer dem globalen Wettbewerb begegnen? Die grosse Gefahr ist, dass man die besseren Bedingungen der Konkurrenz (seien es tiefere Lohnkosten, weniger Regulierung, niedrigere Steuern etc.) überschätzt und damit auch deren Einfluss auf den Erfolg. Die erste Reaktion lautet deshalb häufig: Ich will die gleichen Bedingungen, ich verlege meine Produktion in jene Länder, wo so gute Bedingungen vorherrschen. Oft sieht man in der Auslagerung sogar die einzige Überlebenschance für einen Betrieb. Vielfach blendet man jedoch andere, schlechte Bedingungen, gerade von Billiglohnländern, aus. Es mag schon Situationen geben, wo man nur noch ein billiges Massenprodukt im eigenen Betrieb hat und darum die Auslagerung die einzige Möglichkeit ist. Aber ist dies die Regel? 2. Und die Baubranche? Sie könnten sich jetzt als Vertreter der Bauwirtschaft zufrieden zurücklehnen und sagen: Aber was hat die Verlagerung von Arbeit und Arbeitern mit mir zu tun? Häuser müssen doch immer noch hier gebaut werden – und nicht in China. Das stimmt. Allerdings kann sich auch Ihre Branche nicht der globalen Entwicklung entziehen. Nur hat die Liberalisierung bei Ihnen schon Jahre früher eingesetzt. Sie ist Ihnen vertrauter als anderen Wirtschaftszweigen. Es ist für Sie seit langem ganz selbstverständlich, dass bei grösseren Bauvolumen auch ausländische Mitbewerber auftreten. Bei öffentlichen Ausschreibungen sind ganz konkrete juristische Vorgaben einzuhalten. Dass heute eine österreichische Firma massgeblich am NEAT-Bau beteiligt ist, zeigt, dass selbst hier nicht automatisch Schweizerfirmen bauen. Diese frühen Liberalisierungen und der hohe Konkurrenzdruck haben übrigens dazu geführt, dass gerade die Bauwirtschaft den Vergleich mit den umliegenden Nachbarländern nicht zu scheuen braucht. Zudem ist die Baubranche traditionell ein Sektor, wo schon seit Jahrzehnten Arbeitnehmer aus anderen Ländern rekrutiert werden. Für Sie ist die Personenfreizügigkeit schon länger Realität. Allerdings kann man an Ihrer Branche auch die Schwierigkeiten und mitunter Nachteile dieser – ich sage jetzt einmal – Arbeitnehmerfreizügigkeit ablesen. Zum Beispiel, wenn ausländische Arbeitskräfte freigestellt werden oder wieder durch neue – wenn möglich ausländische – Arbeitskräfte ersetzt werden, und es dann schwierig ist, die entlassenen Personen wieder einer Beschäftigung zuzuführen, wenn einmal die Sozialwerke eingesprungen sind. Aber zurück zur Frage: Wie sehr muss Sie die „Globalisierung“ als Vertreter von „bauenschweiz“ interessieren? Nun, ich halte die Bauwirtschaft seit je für den genauesten Konjunktur-Thermometer. Je munterer gebaut wird, desto besser steht es um unsere Volkswirtschaft. Die Bauwirtschaft reagiert schneller, ja geradezu feinfühliger als alle Analysten, Ökonomen und Wachstumsinstitute zusammen. Insofern ist es für Sie von grosser Bedeutung, ob sich die Schweiz als Ganzes in dieser Globalisierungsphase behaupten kann. Denn, wenn unser Land attraktiv bleibt, wenn die Schweiz konkurrenzfähig bleibt, wenn die Schweiz ihre Stärken ausbauen kann, wenn die Schweiz eine bessere Alternative bietet zu den meisten anderen Ländern, dann haben wir hier Wachstum und Wohlstand – und diese zeigt sich eben auch in einer regen Bauwirtschaft. 3. Alternativen Also: Es bleibt die Frage: Wie kann die Schweiz in diesem weltweiten Markt bestehen? Wie können wir den Werk- und Produktionsstandort Schweiz erhalten. Hierzu stellt sich eine weitere, ganz simple Frage: Was kann man in der Schweiz noch herstellen? Oder anders gesagt: Was stellt man in der Schweiz besser nicht her? Billige Massenwaren herzustellen – das heisst, Produkte, die jeder herstellen kann und wo es nur noch auf den Preis ankommt – dafür ist die Schweiz tatsächlich kein Standort. Die Schweiz ist ein teures Produktionsland. Das ist an sich keine negative Eigenschaft. Länder mit hohem Lebensstandard sind teure Länder. Bei der Massenproduktion sind uns die Billiglohnländer haushoch überlegen. Aber Massenprodukte sind nicht die einzige Möglichkeit. Länder mit hoher Qualität können andere Produkte herstellen, wo sie gegenüber Billiglohnländern im Vorteil sind. Wie soll also ein Unternehmer auf die Herausforderungen der Globalisierung reagieren? Zunächst gilt es: Einen klaren Kopf zu behalten. Man hat das zu tun, was man als Unternehmer in schwieriger Situation eben oft nicht tut: Man hat seine eigenen Stärken zu suchen. Nicht nach den eigenen Schwächen fragen. Diese werden in schlechten Zeiten ohnehin und ohne Zutun sichtbar. Was – in schwierigen Zeiten – weit schwieriger zu erkennen ist, sind die eigenen Stärken. Viele Unternehmen beschäftigen sich in panischem Aufruhr stets mit den eigenen Schwächen und fragen, was andere besser machen. Nein: Fragen Sie, was Sie besser können! Jedes Unternehmen hat eine Stärke. In guten Zeiten überschätzt man die eigene Stärke, in schlechteren unterschätzt man sie. Das gilt auch für die Standortqualität eines Landes. 4. Globalisierungsängste von gestern Ich habe gleich zu Beginn meiner Ausführungen von den Globalisierungsängsten gesprochen. Diese Ängste sind nicht neu. Die Vergangenheit anzuschauen kann diese Ängste in einem grösseren Zusammenhang erscheinen lassen. 1985 wurde in der Schweiz eine – auch aus heutiger Sicht – aufschlussreiche Umfrage erhoben. Gegenstand der Untersuchung: Wie schätzen die Schweizerinnen und Schweizer die Wirtschaftsnation Japan ein und wie erklären sie sich deren Erfolg (Japan wurde damals als die grosse Gefahr der Industrieländer bezeichnet – ähnlich wie heute China). Unser Land befand sich noch in den Ausläufern einer Rezession und man schaute gebannt nach Japan, dessen hochtechnologische Produkte sowohl in Preis und Qualität die europäischen Anbieter ausstachen. Fazit der Umfrage: * 1985: „Zwei von drei Schweizern haben Angst vor Japans Wirtschaft.“ Nur ein Fünftel der Befragten stufte die Zukunftschance der Schweizer Wirtschaft höher ein als jene Japans. Schauen wir nun aber, wie sich Japan in der Folge weiterentwickelte. Ich lese Ihnen dazu ein paar Zeitungsmeldungen aus den letzten zwanzig Jahren vor. Zunächst ging der japanische Aufschwung scheinbar unaufhaltsam weiter. * 1993 zeichnet sich eine Wende ab. Eine Zeitung titelt mit leicht schadenfroher Poesie: „Das Schwert des Samurais rostet.“ * 1994: „Japans Sonne sinkt.“ * 1995: „Japans Wirtschaftsmassnahmen am Ziel vorbei.“ * 1998 werden die Prognosen noch düsterer: „Die grosse japanische Krise steht noch aus.“ Ein Schweizer Nachrichtenmagazin reimt: „Der Riese in der Krise.“ (Facts). * 1999: Die ehemalige Bewunderung kippt endgültig ins Höhnische: „Das Land der untergehenden Börse.“ * 2001: „Japan kommt nicht aus der Krise heraus.“ * Ein diesmal deutsches Nachrichtenmagazin weiss auch warum: „Japan fühlt seine wirtschaftliche Vormachtstellung durch China bedroht.“ * Das war 2002. Schon ein Jahr darauf heisst es: "Japans Wirtschaft zieht wieder an.“ * 2004: „Die Angst in Japan ist verflogen.“ – „Wer in Asien investiert, kommt an Japan nicht vorbei.“ * 2006: „Japans Wirtschaft gewinnt an Fahrt.“ * Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ fasst zusammen: „Nach Jahren der Dauerkrise häufen sich die guten Nachrichten aus Japan: Die Wirtschaft wächst, die Börse boomt. Asiens Industrienation Nummer eins verdankt sein Comeback ausgerechnet seinem neuesten und härtesten Konkurrenten — China.“ Was können wir diesem Wechselbad der Nachrichtenmeldungen entnehmen? Die Bedrohungen erweisen sich als Chancen. Japan musste sich regenerieren, indem es sich wieder auf seine Stärken besann und auf die Prinzipien der Marktwirtschaft. Die staatlichen Interventionen verzögerten diesen Prozess nur. 5. Globalisierungsängste heute Auf unsere Verhältnisse übertragen: Die Bedrohung in der Marktwirtschaft heisst nicht Japan oder China oder Indien. Die Bedrohung ist immer der bessere Mitbewerber. Die Reaktion auf einen besseren Konkurrenten kann deshalb nicht darin bestehen, den Konkurrenten schlechter zu machen, ihn mit Schutzzöllen zu bestrafen, ihn politisch auszuhebeln. Die Reaktion kann auch nicht darin bestehen, den Schwächeren mit staatlichen Mitteln künstlich zu stärken. Der einzige Weg führt über das bessere Produkt, den besseren Preis, die bessere Entwicklung. Wir müssen anders sein, besser sein als unsere Konkurrenten. Für den Staat heisst dies nicht, serbelnde Wirtschaftszweige zu unterstützen, sondern dafür zu sorgen, dass die Wettbewerbsfähigen vorankommen! Gleichwohl haben wir uns schon ein paar Fragen im Zusammenhang der Globalisierung zu stellen. Etwa: * Wie können schweizerische oder europäische Firmen mit chinesischen Anbietern konkurrenzieren, wenn hier Auflagen und Bestimmungen eingehalten werden müssen, die andernorts einfach wegfallen? Oder anders gesagt: Wenn Sie einen Kühlschrank kaufen, der in Westeuropa hergestellt wurde, finanzieren Sie vielleicht mit 10 bis 20 Prozent des Kaufpreises den westlichen Sozialstaat mit. * Was sind die Konsequenzen? Soll sich Europa abschotten? Zölle erheben? Produkte schützen? Weltgewerkschafter spielen und in anderen Staaten die Arbeitsbedingungen diktieren? Sicher nicht. * Ein Bereich, wo die Politik aber durchaus gefragt ist, betrifft den Schutz des geistigen Eigentums. Der Schutz von Patenten. Schutz vor Fälschungen und Nachahmungen. Es kann ja nicht sein, dass ein Unternehmen hohe Summen in die Entwicklung eines neuen Produktes steckt – und damit auf Vorsprung durch Innovation setzt – und dann wird dieses Produkt einfach kopiert und dann mit unschlagbar günstigen Produktionsbedingungen konkurrenziert. Wenn ich eingangs gesagt habe, in dieser beschleunigten Globalisierungsphase würde die Politik gebannt auf die Wirtschaft und die Wirtschaft gebannt auf die Politik schielen, dann hat das manchmal durchaus auch Gründe. 6. Auf die unternehmerische Freiheit setzen Ich möchte aber noch einmal auf die Umfrage von 1985 zurückkommen. Wie gesagt, äusserten damals zwei Drittel ihre Besorgnis über die aufsteigende Wirtschaftsnation Japan. Allerdings sagte auch die Hälfte der Befragten, Japans Qualitäten (namentlich der Arbeitseifer) könnten Vorbild und Ansporn für uns sein. Auf diese Hälfte müssen wir setzen. Und ich gehe davon aus, dass Sie sich auch zu dieser Hälfte zählen. Ich wünsche Ihnen hierbei viel Erfolg. Als Bundesrat sage ich Ihnen: Wir – der Staat – haben dafür zu sorgen, dass Sie ein Umfeld bekommen, in dem Sie produzieren können. Das heisst: weniger Vorschriften, gute Schulen, weniger Steuern, Abgaben und Gebühren, gute Verkehrsbedingungen und vor allem: möglichst viel unternehmerische und persönliche Freiheit! Ich wünsche Ihnen und mir viel Erfolg, dass dies alles gelingt!

06.11.2006

Solide Berufsleute für eine überlebensfähige Wirtschaft

Referat von Bundesrat Christoph Blocher zum 10-Jahre-Jubiläum der Rieter-Junior-Arena in Winterthur 06.11.2006, Winterthur Winterthur. Anlässlich des 10-Jahre-Jubiläums der Rieter-Junior-Arena sprach Bundesrat Christoph Blocher über den hohen Wert einer guten Berufsausbildung. Ihr sei es zu verdanken, dass Schweizer Qualität mit Genauigkeit, hohem handwerklichen Können und Verlässlichkeit gleichgesetzt werde. Eine gute Berufsausbildung stelle nicht nur Anforderungen an die Auszubildenden und die Betriebe; auch die Politik habe ihren Beitrag zu leisten. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Weltweit spitze Die Schweizer Berufsleute seien weltweit spitze. Das zeigen die jährlichen Lehrlingsmeisterschaften, bei denen die schweizerischen Vertreter regelmässig ganz vorne abschneiden. Das ist nicht nur eine Auszeichnung für den Prämierten selbst, sondern für seinen ganzen Berufsstand. Ausserdem zeigen diese Preise uns und der Welt: Schweizer Qualität ist und bleibt ein Gütesiegel. Das Schweizer Kreuz bürgt für Genauigkeit, hohes handwerkliches Können, Verlässlichkeit. Für diese Schweizer Qualität kann man auf dem Markt auch ein paar Schweizer Franken mehr verlangen. Das ist wichtig für unser Hochlohn-Land, denn wir können nur mit Qualität gegen die billigere Massenware konkurrenzieren. Die Schweizer Berufsleute sind weltweit spitze. Und ihr Ruf ist nach wie vor intakt. Der Ruf unserer Berufsleute ist über Jahrhunderte erarbeitet worden. In ganz verschiedenen Sparten. Weil wir ein rohstoffarmes, kleines Land sind, konnten wir gar nicht anders, als durch Tüchtigkeit zu glänzen. Nehmen Sie als Beispiel die Engadiner Zuckerbäcker. Die sind nach 1600 zu Hunderten vor allem nach Norditalien ausgewandert. Was sie mitbrachten, war: Fleiss, Einfallsreichtum, handwerkliche Perfektion. Und ausserdem verfügten sie über einen weiteren strategischen Vorteil: Sie waren Protestanten und mussten sich im katholischen Italien nicht an die strengen Vorgaben der Kirche halten, insbesondere während der Fastenzeit. 1704 gehörten in Venedig von 104 Zuckerbäckerläden 95 Bündnern. Wie reagiert man auf einen guten Konkurrenten? Entweder man wird besser als der Konkurrent oder man schaltet den Konkurrenten aus. Sie können sich denken, für welche Variante sich Venedig entschied: 1764 wurden sämtliche Bündner Gewerbetreibende aus der Stadt verbannt. 2. Alle Türen offen Was will ich mit diesem historischen Beispiel sagen? Erstens, wer sein Handwerk versteht, dem gehört die Welt. Denn eine Fähigkeit kann jeder überallhin mitnehmen. Was Sie im Kopf haben oder mit den Händen können, tragen Sie immer mit sich. Oder auf die Engadiner Zuckerbäcker übertragen: Gute Torten schmecken überall gut. Im Engadin, in Venedig oder sonst wo. Und überall gibt es Leute, die etwas Spezielles wollen und darauf warten, dass ihnen dieses Spezielle angeboten wird. Wenn Sie dieser Spezialist sind, dann haben Sie Arbeit und Erfolg. Wenn Sie in der Schweiz eine gute Berufsausbildung genossen haben, wenn Ihnen Schweizer Qualität etwas bedeutet (Präzision, Gewissenhaftigkeit, Verlässlichkeit, Fleiss), dann stehen Ihnen noch heute alle Türen offen. Ich will Sie jetzt natürlich nicht überreden, möglichst bald die Schweiz zu verlassen. Ich will damit nur sagen: Wenn die Berufsleute eines Landes überall in der Welt gefragt sind, dann kann die Ausbildung so schlecht nicht sein. Und jeder kann stolz sein, wenn er etwas mit seinen Händen anzustellen weiss. Denn das sind universale Fähigkeiten. Schauen Sie sich die Juristen an. Die kann man nur in der Schweiz gebrauchen, weil sie nur die Schweizer Gesetze kennen und anwenden können. Ich darf das sagen, ich habe schliesslich auch Jus studiert. Zweitens, zeigt das Beispiel mit den Engadiner Zuckerbäckern, dass es immer wieder Versuche gab und gibt, mit unfairen Methoden einen Mitbewerber auszuschalten. Wer aber auf die eigenen Stärken setzt und sich der eigenen Stärken bewusst ist, braucht die Konkurrenz nicht zu fürchten. So ist auch die Schweizer Wirtschaft gefordert, sich im weltweiten Markt zu stellen. Drittens, zeigt das Beispiel, dass der gute Ruf der Schweizer Berufsleute über Jahrhunderte aufgebaut worden ist. Aber – und so ist es leider mit dem Ruf – was Jahrhunderte aufgebaut haben, ist in wenigen Tagen wieder niedergerissen. Wir haben also alle eine Verpflichtung, diesen guten Ruf zu erhalten. Sie als junge Berufsleute. Die Lehrbetriebe, indem sie eine gute Ausbildung ermöglichen. Die Unternehmen, indem sie sich als Unternehmen weiterentwickeln und sich immer nach vorne, nach oben orientieren. 3. Wirklichkeitsnahe Ausbildung Wer bildet Sie denn aus? Es ist nicht der Staat, sondern die Unternehmen, die sich in ihrem jeweiligen Branchenverband zusammengetan haben. Die Unternehmen organisieren die Berufsausbildung. Mit Unternehmen sind in der Regel die vielen kleinen und mittleren Gewerbebetriebe gemeint. Diese Betriebe haben alle ein Interesse, dass die Lehrlinge das beigebracht bekommen, was ihnen in der täglichen Arbeit auch nützt. Die Betriebe wollen eine praxisbezogene, wirklichkeitsnahe Ausbildung. Die Betriebe wollen tüchtige junge Berufsleute, denn ohne gut ausgebildete Leute kann ein produzierendes Unternehmen seine Aufträge nicht erfüllen. Die gute Berufsausbildung hat also vor allem auch damit zu tun, dass die Branchen sich selber organisieren können. Die Politik sollte dafür sorgen, dass dies auch so bleibt. Wir befinden uns heute in der Arena der Maschinenfabrik Rieter. Diese Firma ist ein erfolgreiches, weltweit tätiges Unternehmen. Hier werden hochspezialisierte Maschinen hergestellt. Wenn die Rieter in der Schweiz produziert (wo die Löhne derart hoch sind), kann sich ein solches Unternehmen nur behaupten, wenn es der Billig-Konkurrenz voraus ist in Sachen Qualität und Technik. Nur wenn jemand ein viel besseres Produkt anbietet, ist der Kunde auch bereit, mehr dafür zu bezahlen. Die Schweiz ist dort erfolgreich, wo sie auf Qualität setzt. Wo wir auf simpel hergestellte Massenware setzen, sind wir in der Regel nicht konkurrenzfähig. 4. Jeder trägt seinen Anteil Wer aber auf Qualität setzt, muss auch auf qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückgreifen können. Und zwar auf jeder Position. Jeder Mitarbeiter arbeitet – wie das Wort sagt – mit am gemeinsamen Erfolg. Auch Sie arbeiten mit. Die Betriebe wiederum sind aufgefordert, die Berufsausbildung hochzuhalten. Und sie werden es tun. Denn gute Berufsleute sind die Voraussetzung für eine gute Arbeit. Eine gute Berufsausbildung ist aber auch mit Anforderungen an den Auszubildenden verbunden. Diese Anforderungen müssen Sie erfüllen. Das nimmt Ihnen niemand ab. Leistungswillen und Fleiss sind keine Schulfächer. Fleiss und Leistungswillen sind eine Frage der Einstellung. Für Ihre Einstellung sind Sie selber verantwortlich. Aber auch die Politik hat ihren Beitrag zu leisten. Wir haben dafür zu sorgen, dass es weiterhin möglich sein wird, in der Schweiz zu produzieren. Trotz der hohen Löhne und Kosten. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Land attraktiv bleibt, auch für grosse Unternehmen. Damit wir uns im weltweiten Markt behaupten können. Damit wir wettbewerbsfähig bleiben. Damit aber auch viele lokale Zulieferer ihr Auskommen finden. Denn nur, wenn es der Wirtschaft insgesamt gut geht, kann sie Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Das ist entscheidend für Sie. Junge Menschen brauchen eine Perspektive. Sie müssen sehen, dass es sich lohnt zu arbeiten. Sie müssen sehen, dass es sich lohnt, sich anzustrengen. Und ich bin überzeugt, dass Leistung Erfolg bringt.

28.10.2006

20 Jahre AUNS – 20 Jahre Einsatz für eine unabhängige, neutrale, freie Schweiz

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher an der Jubiläumsveranstaltung 20 Jahre AUNS in Interlaken 28.10.2006, Interlaken Interlaken. In seiner Jubiläumsrede zu ihrem 20-jährigen Bestehen lobte Bundesrat Christoph Blocher den Einsatz der AUNS für eine unabhängige Schweiz. Die AUNS sei der Stosstrupp der Unabhängigkeit, die Verteidigerin der direkten Demokratie und das Bollwerk der Neutralität. Zwanzig Jahre AUNS seien nicht genug. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Inhalt 1. Die Mission der AUNS Man kann die Bedeutung und Mission der AUNS in einem Satz zusammenfassen: Ohne AUNS hätten wir unsere Unabhängigkeit verloren. Ohne AUNS wären wir heute Mitglied der Europäischen Union. Ohne AUNS wäre das Schweizer Volk entmündigt worden. Denn eine EU-Mitgliedschaft wäre auch das Ende der direkten Demokratie und damit das Ende unserer einzigartigen Volksrechte. Ohne AUNS hätte die Schweiz ihre Neutralität aufgegeben. Jene aussenpolitische Maxime also, die unser Land 150 Jahre lang erfolgreich vor allen Kriegshandlungen bewahrt hat. Darum gilt es festzuhalten: Die AUNS ist der Stosstrupp der Unabhängigkeit. Die AUNS ist die Verteidigerin der direkten Demokratie. Die AUNS ist das Bollwerk der Neutralität. Seit zwanzig Jahren kämpft die AUNS diesen Kampf für die Unabhängigkeit der Schweiz. Da steht Zähigkeit und Überzeugung dahinter. Hier wurde viel Herzblut vergossen. Das sind zwanzig Jahre Widerstand gegen alle Verlockungen, es auch so zu machen wie alle anderen. Zwanzig Jahre Beharrlichkeit gegen alle Druckversuche der Medien, der Parteien, der Obrigkeiten, der Wirtschaftsverbände, der Gewerkschaften und der Universitätsprofessoren. Als ich in den Nationalrat eintrat, hätte ich gesagt: eine Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz ist nicht nötig, weil die Staatssäulen Unabhängigkeit, Neutralität, Selbstbestimmung selbstverständlich waren. Vor 20 Jahren begannen jedoch modern sein Wollende diese Säulen für überholt zu erklären. Da war der Zeitpunkt gekommen, die AUNS zu gründen. Und schon bald darauf hatte die AUNS ihre wichtigste Bewährungsprobe zu bestehen. 2. Die EWR-Abstimmung 1992 Die Frage, ob die Schweiz dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten sollte oder nicht, war die Bewährungsprobe. Am 6. Dezember 1992 lehnten Volk und Stände den Beitritt zum EWR ab. Bei einer Stimmbeteiligung von über 78 Prozent haben sich die Bürgerinnen und Bürger für einen eigenständigen Weg, den schweizerischen Weg in Europa und der Welt, entschieden. Diese Abstimmung war eine Schicksalsabstimmung. Die wichtigste seit dem 2. Weltkrieg. Die Befürworter machten vor allem ökonomische Gründe geltend. Die Wirtschaftsverbände warnten vereint mit der Classe politique, den Massenmedien, Gewerkschaften und Hochschullehrern eindringlich vor einem Nein zum EWR-Vertrag. Unser Land würde nicht mehr konkurrenzfähig sein, war der Grundtenor der offiziellen Schweiz. Stellvertretend möchte ich Ihnen eine Aussage zitieren. Der damalige Verkehrsdirektor der Stadt Luzern behauptete 1992: "Ohne EWR kann die Schweiz nicht überleben." Wie die meisten Propheten wurde auch dieser Prophet durch die Zukunft widerlegt. Vierzehn Jahre Abstand ermöglichen eine nüchterne Bestandesaufnahme der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung: Die apokalyptischen Voraussagen über eine Schweiz ohne EWR haben sich als gigantische Fehlprognosen erwiesen. Die Schweiz hat ohne EWR überlebt. Gerade deswegen sogar sehr gut überlebt! Die Schweiz konnte ihren Wohlstand gerade ausserhalb vom EWR – und nicht zuletzt deswegen – behaupten. 3. Nur eine Zeitungsmeldung? Vor circa zwei Monaten ist eine Zeitungsmeldung erschienen, die es in sich hatte. Das World Economic Forum (WEF) hat die Ergebnisse einer breit angelegten Studie veröffentlicht. Es wurde weltweit die Wettbewerbsfähigkeit der Industrieländer untersucht. Und siehe da: Die Schweiz belegte den ersten Rang. Das Nicht-EU-Land Schweiz. Jene Schweiz, die doch laut EWR-Befürworter auf den Knien um eine EU-Mitgliedschaft betteln würde. Jene Schweiz also, die man für ökonomisch verloren erklärte. Der man prophezeite, sie würde ausserhalb der EU nicht mehr konkurrenzfähig sein. Die WEF-Untersuchung zeigte, dass die Schweiz über besondere Qualitäten verfügt: einen robusten Finanzplatz, eine hervorragende Forschung, politische Stabilität, vergleichsweise tiefe Steuern und gute Infrastrukturen. Es ist klar, dass die ganze Koalition der EU-Enthusiasten diese Meldung totgeschwiegen hat. Es ist klar, dass die meisten Zeitungen diese Meldung verschämt irgendwo im Wirtschaftsteil versteckt haben. Die Zerknirschung ging so weit, dass man sich nicht einmal mehr richtig freuen konnte: Denn eigentlich wäre dieser erste Platz doch eine Auszeichnung für die Schweiz. Wir könnten uns doch bestätigt fühlen. Und es könnte ein Ansporn sein, noch mehr auf die Karte Eigenständigkeit zu setzen, sie sogar auszubauen, auf unsere Stärken zu vertrauen. Wir haben die einmalige Chance zu beweisen, dass es auch andere Wege gibt. Dass die Unabhängigkeit für einen Kleinstaat kein Makel, sondern ein Vorteil ist. Die Studie über die Wettbewerbsfähigkeit war nicht die einzige erfreuliche Nachricht der letzten Monate. Auch punkto Standortqualität nimmt die Schweiz eine Spitzenstellung in Europa ein. Das zeigte eine Umfrage unter Managern international tätiger Firmen. Das zeigt aber vor allem die Realität: Im letzten Jahr haben sich rund 510 ausländische Unternehmen in der Schweiz niedergelassen. Ausgerechnet im Nicht-EU-Land Schweiz. Oder ist es gerade deswegen? Grosse Firmen haben ihren europäischen Hauptsitz in die Schweiz verlegt. Ist das Zufall? Die Summe der Direktinvestitionen in der Schweiz (also die Summe Geld, die ausländische Firmen in der Schweiz investieren) hat einen Höchstwert erreicht. Alles Zufall? Nein: Die Schweiz kann dank ihrer Unabhängigkeit eine eigenständige Politik machen, die optimal auf unseren neutralen Kleinstaat zugeschnitten ist. Dank der Steuerautonomie lockt die Schweiz mit attraktiven Bedingungen für Unternehmen. Die Schweiz hat einen robusten Finanzmarkt und hervorragende Banken. Das wäre ohne den Schweizer Franken und ohne eine souveräne Währungspolitik nicht denkbar. 4. AUNS. U wie Unabhängigkeit Das Schweizer Volk hat 1992 den EWR-Vertrag mit guten Gründen abgelehnt. Die Schweiz hat auch 2001 den EU-Beitritt mit guten Gründen abgelehnt. Der Souverän hat sich damit für einen eigenständigen Weg der Schweiz in Sicherheit und Wohlstand entschieden. Ein EWR-Vertrag oder eine EU-Mitgliedschaft würde die Grundlagen unserer erfolgreichen Schweiz zerstören: * Eurokratie statt direkte Demokratie mit Volksinitiative und Referendum * Fremdbestimmung statt wachsame Selbstbestimmung * Zentralismus statt föderalistische Vielfalt * Verlust der Direkten Demokratie * Einschränkung statt Handlungsfreiheit * höhere Arbeitslosigkeit * Verlust der Währung und damit der Inflation ausgeliefert. * höhere Schuld- und Hypothekarzinsen * entsprechend höhere Wohnungsmieten * zusätzliche Steuern, Prämien und Abgaben * Attraktivitätsverlust des schweizerischen Wirtschaftsstandortes Darum ist es erfreulich, dass der Bundesrat in der Europapolitik die Weichen neu gestellt hat. Der Bundesrat sieht den Beitritt nicht mehr als "strategisches Ziel". Und für die bilateralen Verträge hält der Bundesrat ausdrücklich fest: Nur, soweit die Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt wird, d.h. ohne sich institutionell einbinden zu lassen. 5. AUNS. N wie Neutralität Eine der wichtigsten aussenpolitischen Massnahmen der Schweiz bildet die immerwährende Neutralität. Die Neutralität wurde in den 90-Jahren schwer vernachlässigt. Aber die dauernde Neutralität wird wieder an Bedeutung gewinnen: Neutralität schützt uns vor Kriegsbegeisterung, vor Medien-Manipulation, vor eilfertigem Nachgeben unter Druck. Sie erlaubt uns unparteiische Hilfe, wo sie wirklich gebraucht wird. Sie errichtet, zusammen mit dem Milizsystem, eine hohe Schwelle für den Einsatz der Schweizer Armee. Aber sie ist nicht gratis. Sie braucht standfeste, selbstbewusste Politiker, Diplomaten und Soldaten. Die Neutralität schützt uns – und das ist nicht ihr geringster Verdienst – vor den Wünschen der Eliten nach Grösse, Medienauftritten, Applaus und Ruhm, was ja meistens nicht mit den Interessen der breiten Bevölkerung deckungsgleich ist. Was heisst eigentlich Neutralität und was bringt sie uns? Bequem ist sie nicht. Neutral sein, heisst oft – und vor allem im Ernstfall – alleine sein, einsam sein. Es ist die Einsamkeit, von der verantwortungsbewusste Regierungsleute und gute Führungskräfte wissen, dass sie unvermeidlich ist. Sie wird aber von schwachen Leuten, welche die Verantwortung meiden, gefürchtet. Gerade die jüngsten, bis nach Europa hineingetragenen Terroranschläge zeigen, dass die Neutralität auch in Zeiten überstaatlicher Auseinandersetzungen einen besseren Schutz bietet, als voreilige Parteinahme. Es ist die AUNS, die immer wieder unermüdlich für die Neutralität einsteht. Seit zwanzig Jahren. Tun Sie es auch in Zukunft. 6. AUNS. S wie Schweiz Letztlich geht es in all unseren Bemühungen um die Schweiz. Und die Schweiz wäre nicht die Schweiz, würde sie nicht die Instrumente der direkten Demokratie kennen. Der Sonderfall Schweiz hat einen Namen: Direkte Demokratie. Die Arbeit der Politiker ist mit den Wahlen nicht abgeschlossen. Nein. Sie müssen mindestens vier Mal im Jahr dem Volk erklären, warum jene Vorlage gut oder jene Vorlage schlecht ist. Denn der Souverän hat auch in Sachfragen das letzte Wort. Natürlich ist es mühsam für uns Politiker, sich dauernd erklären zu müssen. Natürlich ist es eine Herausforderung, den Bürgerinnen und Bürgern ein Thema in verständlichen Worten darlegen zu können. Natürlich kann es frustrierend sein, Abstimmungen zu verlieren. Natürlich droht das Referendum immer wie ein Damoklesschwert über Regierung und Parlament. Und manchmal saust das Damoklesschwert auch tatsächlich nieder. Ja, so ist die direkte Demokratie. So wirkt die direkte Demokratie. Nicht selten lehnt sich das Volk gegen die vorherrschende, von oben diktierte Meinung auf. Wir haben in der letzten Asylabstimmung wieder einmal gesehen: Die Menschen sind viel näher am Leben als die vielen sich zur Elite zählenden Schichten. Die Menschen erleben die Fehlentwicklungen der Politik hautnah. Am Arbeitsplatz, in den Schulen, auf den Strassen, als Gewerbler, Steuerzahler, Autofahrer, Konsument… wo auch immer – in welcher Form auch immer. Umso wichtiger ist es, dass am Ende das Volk auch in Sachfragen entscheidet. Denn es sind die Menschen, die den Folgen der Politik konkret ausgesetzt sind. Das hat auch die AUNS erkannt. Ohne direkte Demokratie wäre die AUNS wirkungslos. Nur die direkte Demokratie ermöglicht der AUNS, Einfluss auf die Politik zu nehmen – auch von ausserhalb der Parlamente und Regierungen. Machen wir uns nichts vor: Ohne direkte Demokratie wäre die Schweiz schon längstens Mitglied der Europäischen Union. Wer also für eine unabhängige Schweiz eintritt, muss sich genauso für den Erhalt der Volksrechte einsetzen. Dass auch der EU etwas mehr Demokratie gut täte, sieht man immer dann, wenn einzelne Länder doch einmal "grosszügig" eine Abstimmung zulassen. Ich erinnere an das dänische Nein zu Schengen. Ich erinnere an das schwedische Nein zum Euro. Ich erinnere an das französische und niederländische Nein zur Europa-Verfassung. Die letzten beiden Ablehnungen waren so deutlich, dass die folgenden, bereits geplanten Urnengänge in anderen Ländern gleich abgesagt wurden. Die Demokratie beinhaltet insbesondere das Recht, Nein zu sagen. Die direkte Demokratie ist aber nie bloss ein formelles Abstimmungsverfahren gewesen. Die direkte Demokratie setzt Gedanken-, Rede- und Meinungsfreiheit voraus. Ohne diese gibt es keine Demokratie. Jeder Bürger muss frei seine Meinung äussern können. In undemokratischer Weise wird zunehmend von denen, die etwas zu sagen haben, versucht, Meinungen zu verbieten, zu unterdrücken oder gar zu verfälschen, statt dass man andere Meinungen zulässt und – wenn nötig – widerlegt. Ich staune, wie in vielen Fragen nur eine einzige Meinung zugelassen wird. Eine Demokratie muss jedoch in Alternativen denken, handeln und regieren, sonst macht sie keinen Sinn! Die Meinungsfreiheit darf darum nicht durch Gesinnungsgesetze eingeschränkt werden. Die Meinungsfreiheit darf nicht durch eine Gesinnungsjustiz verfolgt werden. Die Meinungsfreiheit darf nicht einer vorherrschenden Gesinnungspolitik geopfert werden. 7. Die Mission weiter erfüllen Zwanzig Jahre AUNS heisst zwanzig Jahre Einsatz für eine unabhängige Schweiz. Denn Unabhängigkeit schafft Freiraum für die Bürger, ihren Staat so zu gestalten, wie es ihren Vorstellungen und Bedürfnissen entspricht. Nur die Freiheit erlaubt diese lebensnahe Vorstellung von Politik. Diese Mission ist Ihr Auftrag. Zwanzig Jahre AUNS sind nicht genug. Treten Sie weiter ein für eine unabhängige, neutrale, freie Schweiz!

22.10.2006

Gedenkfeier 50 Jahre Ungarn-Aufstand: Sorge tragen zur Freiheit

Festrede von Bundesrat Christoph Blocher im alten Börsensaal in Zürich Zürich. An der Gedenkfeier erinnerte Bundesrat Christoph Blocher an die Opfer des Ungarn-Aufstands und daran, mit wieviel Sympathie und Solidarität die 14'000 ungarischen Flüchtlinge in der Schweiz empfangen worden seien. Er lobte die gute Integration der Flüchtlinge und mahnte die Schweizer, zur gemeinsam errungenen Freiheit Sorge zu tragen. 22.10.2006, Zürich Sehr geehrte Damen und Herren Sorge tragen zur Freiheit Der Ruf nach Freiheit Als im Oktober 1956 Zehntausende Menschen in Budapest auf die Strasse gingen, äusserte sich ihr Protest in einem eindrücklichen Akt: Die Demonstranten holten das Stalin-Denkmal von seinem Sockel. Mit dem symbolischen Sturz des Diktators wollten die Ungarn auch ganz konkret das Ende der sozialistischen Knechtschaft herbeiführen. Der Ruf nach Freiheit und demokratischen Reformen erfüllte das Land. Es gibt geschichtliche Momente, die sich im Gedächtnis regelrecht einbrennen. Als sich die Ungarn 1956 erhoben, blickte die westliche Welt mit Sorge und grosser Anteilnahme über den Eisernen Vorhang. Für jeden Schweizer wurde augenfällig demonstriert, was es heisst, in einem freiheitlichen Land leben zu dürfen – oder eben nicht. Der Aufstand der Ungarn war auch für die so ganz anders geartete Schweiz ein tief empfundener Kampf für die Freiheit und Demokratie. In diesem Sinn liess sich damals auch der Schweizerische Bundesrat verlauten: "Mit Bestürzung hat der Bundesrat die Ereignisse, die sich in Ungarn abspielen, zur Kenntnis genommen. Der Bundesrat weiss sich einig mit dem Schweizervolk, wenn er seinem Schmerz Ausdruck gibt darüber, dass die Unabhängigkeit, Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht des mit der Schweiz befreundeten ungarischen Volkes unterdrückt werden." Drei Schweigeminuten Einen Monat später, am 20. November 1956, stand die ganze Schweiz im eigentlichen Wortsinne still. Das galt auch für den sechzehnjährigen Christoph Blocher, der gerade mit dem Fahrrad durch das Zürcher Weinland in die landwirtschaftliche Fortbildungsschule unterwegs war. Die Bevölkerung gedachte mit drei Schweigeminuten der Opfer der brutalen Niederschlagung des Ungarnaufstandes. Ich höre heute noch, wie die Kirchglocken durch die stille Winterlandschaft klangen. Die Schweiz, alle Autos, alles was unterwegs war, stand still. Uns Jungen rollten die Tränen über die Wangen! Es kam vieles zusammen in diesem Herbst 1956. Unruhen in Polen, die Suez-Krise im Nahen Osten, Chruschtschows Raketendrohungen gegen Frankreich und Grossbritannien und dann die sowjetischen Truppen in Budapest. Im Schatten dieser Ereignisse ergriffen über 200'000 Ungarn die Flucht und fanden eine erste Aufnahme in Österreich. Von dort aus verteilten sich die Menschen im restlichen Europa. Rund 12'000 kamen in die Schweiz und fast alle Zeitzeugen bestätigen: Ihnen brandete eine uneingeschränkte Welle der Solidarität und Sympathie entgegen. Unbürokratische Hilfe Der Bundesrat stellte damals für die Aufnahme der ungarischen Flüchtlinge keine Bedingungen, wie dies die Schweiz im Zeichen kollektiver Not stets getan hat. Die Aufnahme erfolgte rasch, unbürokratisch und ohne Prüfung individueller Fluchtgründe. Die Menschen wurden allesamt als politische Flüchtlinge oder als vorläufig Aufgenommene mit sofortiger Arbeitsbewilligung anerkannt. Die Behörden durften dabei auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen. Von Sympathie getragen In unserem Gedenken sollten wir einen Umstand nicht vergessen: Bei der Aufnahme der Ungarn handelte es sich nicht einfach um einen von den Behörden verordneten Bürokratieakt. Nein, die Schweizer Bevölkerung fühlte sich mit dem bedrängten Kleinstaat auf ganz besondere Weise verbunden: Wohltätigkeitskonzerte, Kerzenaktionen, Spendenaufrufe erfolgten. Die Zürcher Tageszeitungen erstellten während sechs Monaten ein Gratis-Mitteilungsblatt auf Ungarisch, den "Hirado" (Anzeiger). Die Flüchtlinge wurden in den Bahnhöfen von Schweizer Bürgern empfangen, die keineswegs dorthin bestellt waren. Die Ungarn-Sympathie ging sogar soweit, dass sich die Schweiz aus Protest gegen die sowjetische Vorgehensweise zum Boykott der Olympischen Spiele, die vom 22. November bis zum 8. Dezember 1956 stattfinden sollten, entschied. Man muss sich heute, 50 Jahre nach dem Aufstand und 17 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung des Eisernen Vorhanges, wieder in Erinnerung rufen, was es heisst, in einer freien Demokratie zu leben. Den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern im Jahr 1956 musste diese Wertschätzung nicht speziell beigebracht werden. So schrieb mir angesichts des 40. Jahrestages im Jahre 1996 ein ungarischer Freund: "In einem kleinen Land kämpften wir – damals junge Menschen – gegen Tyrannen. Und wir kämpften für all das, was den Schweizern höchstes Gut war: Unabhängigkeit, Neutralität und Freiheit!" Vorbildliche Integration Die Eingliederung der Ungarn geschah deshalb so vorzüglich, weil die Verfolgten sich ohne Einschränkung auf ihr neues Heimatland einliessen und der Wunsch gross war, sich in dieser neuen, freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu bewähren. Wir können der jetzt erschienen Gedenkschrift "Flucht in die Schweiz" entnehmen, dass sich laut einer Umfrage 98,6 Prozent der Befragten als gut bis sehr gut in der Schweiz integriert sieht. Das ist eine Erfolgsgeschichte – nicht nur für unser Land – sondern vor allem für jeden einzelnen der ehemaligen Flüchtlinge. Auch schwierige Momente Wir wollen aber trotz der geglückten Integration nicht vergessen: Jeder Flüchtling brachte sein persönliches Schicksal mit: Den Verlust der Heimat. Die Trennung von der Familie und Freunden. Ein abrupter Schnitt von der ungarischen Kultur und Sprache. Auch die Eingliederung selbst forderte die Betroffenen. Jeder Integrationsprozess ist für die Beteiligten mit Schwierigkeiten, Erwartungen und Enttäuschungen verbunden. So war es auch bei den Ungarn, die durch ihre Flucht aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wurden. Dabei sind (wie im Bericht des Eidgenössichen Justiz- und Polizeidepartements vom 7. März 1957 über die Aufnahme der ungarischen Flüchtlinge ausgeführt wird) "zwei Welten" aufeinander gestossen: Die Flüchtlinge mussten sich nach den Erfahrungen in einer Diktatur an die Verhältnisse in der Schweiz anpassen, eine Arbeitsstelle suchen, eine Wohnung finden, die Landessprachen erlernen, sich an das für sie neue politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umfeld in der Schweiz gewöhnen. Kurz: Jede Freiheit ist eine Chance, aber auch die Pflicht, ein Leben in Eigenverantwortung zu führen. Frei und neutral Wie bei Volksaufständen üblich, hatten die Aufständischen in Ungarn keine Zeit für ein detailliertes politisches Programm. Ein solches wäre wahrscheinlich auch nicht zustande gekommen. Nur eines verband die Widerstandskämpfer: Die Einigkeit in der Ablehnung des Terrors, der Bevormundung, der täglichen Propagandalügen, der servilen Anbetung der sowjetischen Macht. Beweggrund des Aufstandes war die schwer gekränkte nationale Würde. Im Willen zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit, der Freiheit und Neutralität waren sich Linke wie Rechte einig! Die geflüchteten Ungarn erhielten damals die Möglichkeit, ein Land auszuwählen, in dem sie sich niederlassen wollten. Abgesehen von persönlichen Motiven nannten jene Befragten, die sich für die Schweiz entschieden, folgende Gründe: * Die schweizerische Demokratie * Die schweizerische Neutralität * Die Bildungs- und Berufsmöglichkeiten Man könnte die Auswahl der Schweiz also auch als eine Art Auszeichnung verstehen. Darum verbindet sich der Gedenktag zum Ungarnaufstand von 1956 mit einem Auftrag für die Gegenwart: Tragen wir Sorge zu unserer Demokratie, zu unserer Neutralität und zu unserer liberalen Wirtschaftsordnung. Oder in einem Satz: Tragen wir Sorge zu unserer gemeinsam errungenen Freiheit. Die Ungarn in der Schweiz haben erlebt, was passiert, wenn man diese hohen Güter preisgibt. Die Ungarn haben damals zwar äusserlich eine Niederlage einstecken müssen. Doch die verlorene Schlacht bereitete den späteren Sieg vor. Sie mussten allerdings noch 30 Jahre bis zur Befreiung warten! Der heutige Gedenktag sei auch uns allen ein Mahnmal!