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Mandat de Conseiller Fédérale
20.08.2006
19.08.2006
Schweizer im Ausland – Ausländer in der Schweiz
Rede von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich des 84. Auslandschweizerkongresses vom 19. August 2006 in Basel 19.08.2006, Basel Basel. Zum 84. Mal fand am 19. August der Auslandschweizer-Kongress statt. Bundesrat Christoph Blocher ging in seiner Rede darauf ein, wie Staaten mit ihren Einwanderern umgehen sollten. Er wies darauf hin, dass die Schweiz innerhalb Europas eines der anziehendsten Einwanderungsländer sei. Dies könne nur gut gehen, wenn die Integration ernst genommen werde, aber gleichzeitig die Missbräuche vor allem im Asylwesen konsequent bekämpft würden. Einwanderer sollten in der Schweiz durch Tüchtigkeit und Leistung zu Erfolg kommen können. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Schweizer im Ausland Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch erklärte kurz vor seinem Tod: „Was mich mit diesem Staat heute noch verbindet: ein Reisepass.“ Immerhin, möchte man anfügen. Nicht jeder verfügt über einen Reisepass. Nicht jede Regierung erlaubt ihren Bürgern die Ausreise. Nicht jeder kann es sich leisten, andere Länder zu bereisen. Bei Ihnen stehen die Dinge wohl anders. Zum 84. Mal findet der Auslandschweizer-Kongress statt. Sie oder Vorfahren von Ihnen haben irgendwann einmal die Schweiz verlassen und Sie fühlen sich trotzdem mit diesem Staat noch verbunden. Und ich nehme an, es ist mehr als ein Reisepass, der Sie an eine solche Veranstaltung wie heute kommen lässt. Im Verlaufe der letzten Jahrhunderte sind Millionen Schweizerinnen und Schweizer ausgewandert. Vereinfacht gesagt, gab es früher drei Gründe, die Heimat zu verlassen: Wirtschaftliche Not, Verfolgung und Unterdrückung oder man hatte etwas auf dem Kerbholz. Doch die meisten suchten vor allem eine neue Perspektive. So erklärte Mitte des 18. Jahrhunderts ein Theodor Vögtlin aus Läufelfingen (Basel-Land) seine Beweggründe wie folgt: „Es seye alhier nichts an Taglöhnen zu verdienen, und habe er nichts zu verlieren, weilen er von Vater und Mutter nichts zu erwartten habe.“ Heute – könnte man meinen – müsste niemand aus der Schweiz mehr fortgehen, weil hier kein Auskommen zu finden ist. Und doch meldeten sich letztes Jahr rund 30'000 Schweizerinnen und Schweizer ab. Viele davon machen zwar bloss eine längere Reise oder bilden sich beruflich oder sprachlich weiter oder arbeiten für eine schweizerische Firma im Ausland, und die grosse Mehrheit kommt jeweils nach ein bis drei Jahren wieder zurück. Es gibt allerdings auch andere: Sie gehen, um fortzubleiben. Etwa Renterinnen und Rentner, die vor allem aus klimatischen und finanziellen Gründen beispielsweise nach Spanien, Frankreich oder Thailand auswandern. Oder Landwirte, die ihrem Beruf treu bleiben wollen, dies aber nur im Ausland glauben realisieren zu können. Ende 2005 lebten 634'216 Schweizer im Ausland. Davon sind 451'534 Doppelbürger. Wie wertvoll ein Schweizer Pass ist, haben in den letzten Wochen Schweizer erfahren, die als Doppelbürger im Libanon lebten: Sie erfuhren eine gut organisierte Rückführung aus dem umkämpften Libanon in ihr sicheres Heimatland Schweiz. 2. Ausländer in der Schweiz Ich muss Ihnen ja nicht über die Vor- und Nachteile, ein Auslandschweizer zu sein, berichten. Das wissen Sie aus eigener Erfahrung viel besser. Was uns zur Zeit weit mehr beschäftigt, ist der Umgang mit Ausländern in der Schweiz. Die Frage, wie gehen wir mit jenen Menschen um, die in unser Land kommen wollen, ist alt. Jedes Jahr reisen rund 95'000 Menschen – was etwa der Bevölkerung von Winterthur entspricht – neu in unser Land ein. Die Schweiz nimmt gemessen an ihrer Grösse wesentlich mehr Zuwanderer auf als viele so genannte klassische Einwanderungsländer. Die Schweiz ist zu einem Einwanderungsland geworden. Sie wissen aus eigener Erfahrung, dass keiner sich einfach so in einem anderen Land niederlassen kann. Sogar spezielle Abkommen, wie etwa die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union, kennen bestimmte Regeln. Es ist das Anliegen jedes Staates, für seine Bürger zu sorgen. Darum bestimmt heute auch jede Regierung auf dieser Welt, wann Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung erhalten – und wann eben nicht. Mit Ausländern, welche eine Aufenthaltsbewilligung korrekt beantragten und eine solche Bewilligung auch erhielten, hat die Schweiz im Grossen und Ganzen keine Probleme. Wir stehen mit einem Ausländeranteil von 21,9 Prozent oder 1'656'721 Personen (Stand April 2006) nach Liechtenstein und Luxemburg an der Spitze der westeuropäischen Staaten! Die sechs grössten Nationengruppen bilden: Italien (295'083), Serbien und Montenegro (194'977), Portugal (170'385), Deutschland (161'564) und die Türkei (75'061). Zurzeit wohnen zwischen 6 und 8 Prozent der Bevölkerung des Kosovo in der Schweiz. Die Mehrheit der Ausländer lebt als Niedergelassene (Ausweis C) oder Aufenthalter (Ausweis B) in der Schweiz. Trotz dieser hohen Ausländerzahlen kennt unser Land keine ghettoähnlichen Vorstädte mit schwerwiegenden Ausschreitungen und fremdenfeindlichen Übergriffen. Das verdanken wir vor allem einer funktionierenden Wirtschaft, welche es fertig bringt, überhaupt so viele Menschen zu beschäftigen und damit auch zu integrieren. Die Arbeit ist der beste Weg zur Integration. Darum ist es auch wichtig, dass der Anreiz zu arbeiten höher ist, als sich um staatliche Leistungen zu bemühen. 3. Das neue Ausländergesetz Also: Nicht die zahlreichen ausländischen Arbeitskräfte, welche in der Schweiz ordnungsgemäss eine Aufenthaltsbewilligung erhalten haben, sind Stein des Anstosses: Nein, all jene, die sich ungerechtfertigt, illegal in unserem Land aufhalten, mit schlimmen Belastungen für Bund, Kantone und Gemeinden. Zeit, Kraft, Geld werden verbraucht. Behörden, Gerichte, Gefängnisse, soziale Dienste unnötig stark belastet. Das soll sich ändern. Im September stimmen wir nun über ein neues Ausländergesetz ab. Dieses regelt im Wesentlichen, unter welchen Voraussetzungen die nichteuropäischen Bürger eine Arbeitsbewilligung beantragen und unter welchen Voraussetzungen sie den Familiennachzug geltend machen können. Ebenso soll mit neuen Regelungen die illegale Einreise wie auch der illegale Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern bekämpft werden. Dabei müssen wir eines beachten: Mit der Personenfreizügigkeit gegenüber der EU haben theoretisch ab 1. Mai 2011 450 Millionen Menschen die Möglichkeit hier zu wohnen und zu arbeiten. Da versteht es sich doch von selbst, dass völlig offene Grenzen gegenüber allen Staaten der Welt nicht in Frage kommen können. Eine totale Personenfreizügigkeit würde unser ganzes Sozialsystem kollabieren lassen. Eine verantwortungsvolle Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung sieht anders aus. 4. Humanitäre Tradition Die Schweiz hat freilich nie nur jenen Menschen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt, nach denen unser Arbeitsmarkt verlangte. Wir haben stets auch Leute aufgenommen, die in ihrem eigenen Land an Leib und Leben verfolgt waren. Natürlich gab es früher für diese Menschen weder Sozialleistungen noch andere Unterstützungen durch den Staat. Aber man liess sie einreisen und sie wurden von Privaten beherbergt und haben sich dann schnell selbst zu helfen gewusst. Denken Sie an alle die Glaubensflüchtlinge in der Reformationszeit, etwa die Hugenotten. Es waren tüchtige Leute. Auf sie gehen ganze Industriezweige der Schweiz zurück. Ein anderes Beispiel: Heuer ist es genau 50 Jahre her, dass viele Ungarn in die Schweiz geflüchtet sind. Nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes durch sowjetische Truppen flohen rund 14'000 Ungarn in die Schweiz. Ihnen war eine Welle uneingeschränkter Solidarität und Sympathie gewiss. Der Bundesrat stellte damals für die Aufnahme der ungarischen Flüchtlinge keine Bedingungen. Damit bewies die Schweiz, dass sie sehr wohl in speziellen Krisensituationen grosszügig reagieren kann. Die Behörden durften dabei auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen. Denn es gab keinen Anlass an der Aufrichtigkeit und Not der Flüchtlinge zu zweifeln. Diese humanitäre Tradition bestreitet keiner. Diese humanitäre Tradition wird auch von einer grossen Mehrheit der Bevölkerung getragen. Aber die Politik hat sich eben auch jener Fälle anzunehmen, die diese humanitäre Tradition gezielt ausnützen wollen. Wer die echten Flüchtlinge schützen will, muss auch die Missbräuche angehen. 5. Humanitäre Tradition wahren – Missbräuche stoppen. Das neue Asylgesetz Auch heute nimmt die Schweiz jährlich etwa 1'500 an Leib und Leben verfolgte Flüchtlinge aus der ganzen Welt auf. Unsere humanitäre Tradition gegenüber Flüchtlingen bestreitet keiner. Und das soll und wird auch so bleiben. Aber, meine Damen und Herren, was wir nicht gelöst haben, sind die enormen Missbräuche, die im Bereich Asylwesen wuchern. Über 85 Prozent aller Asylsuchenden sind keine Flüchtlinge. Viele davon möchten vom hohen Lebensstandard in der Schweiz profitieren. Sie leben von der Sozialhilfe und sind nicht selten in einträgliche Schleppergeschäfte und die organisierte Kriminalität, namentlich in den Drogenhandel, verwickelt. Das ist Asylrechtsmissbrauch. Nichts anderes. Ich will Ihnen die Verhältnisse an einem Beispiel verdeutlichen: Im Kanton Zürich sind bei einem Bestand von 4'250 Asylbewerbern letztes Jahr 1'258 Personen der Justiz übergeben worden. Das entspricht fast dreissig Prozent! Bis vor wenigen Jahren wurden diese Missbräuche von vielen Politikern rundweg bestritten – und noch heute gibt es Kreise, die diese unschöne Wirklichkeit leugnen oder verdrängen. Doch diese Probleme müssen ernsthaft angegangen werden, wenn man die Flüchtlingstradition wahrnehmen will. Viel zu hoch ist auch der Bestand im Vollzugsprozess. Und hier zeigt sich das Hauptproblem: Der Grossteil der Asylsuchenden kommt ohne gültige Reisepapiere. Hier will das neue Asylgesetz anknüpfen. Es soll nicht mehr wie bis anhin profitieren, wer seine Identität verschleiert und verleugnet oder mit den Behörden nicht kooperiert. Wer seine Papiere nicht innerhalb von 48 Stunden besorgen kann (oder glaubhaft nachweisen kann, warum sie nicht zu beschaffen sind), erhält einen Nichteintretensentscheid. Ich glaube, jeder echte Flüchtling ist bereit, seine Herkunft offen zu legen und konstruktiv mitzuwirken. Das sind keine unverhältnismässigen Forderungen. Und es ist auch tatsächlich so, dass von den anerkannten Flüchtlingen die grosse Mehrheit (rund 70 Prozent) mit gültigen Papieren einreist. Auch in Zukunft gilt nach wie vor: Wirklich an Leib und Leben Verfolgte werden weiterhin als Flüchtlinge aufgenommen, ob mit oder ohne Papiere. 6. Das Zusammenleben ermöglichen Als Auslandschweizer werden Sie diese neuen Gesetze und Regelungen mit besonderer Aufmerksamkeit studieren. Zu Recht. Schliesslich haben Sie ein neues oder zweites Zuhause ausserhalb der Schweiz gefunden. Sie wissen, was es heisst, alles hinter sich zu lassen. Sie haben von der Grosszügigkeit anderer Länder profitiert. Sie haben die Chancen und Möglichkeiten ergriffen, die Ihnen ein anderer Staat geboten hat. Aber genauso werden Sie Verständnis dafür haben, dass ein Staat seine Zuwanderung regeln muss und sich gegen Missbräuche zu wehren hat. Auch die Schweiz lebt von ehrgeizigen, strebsamen Zuwanderern und ihren Nachkommen. Sie sollen durch Tüchtigkeit und Leistung zu Erfolg kommen können. Genau darum geht es in einem freiheitlich organisierten Staat. Und so, wie Sie sich mit der Schweiz auf Ihre ganz persönliche Weise verbunden fühlen, soll das auch den Ausländern in der Schweiz möglich sein. Integration hat nie Selbstverleugnung gemeint.
16.08.2006
Was es braucht, ist heroische Gelassenheit
Nach der aufgedeckten Verschwörung in London: Wie sicher ist unser Land? Justizminister Christoph Blocher über Lücken im Abwehrdispositiv und wie man sich vor dem Terrorismus schützen kann. 16.08.2006, Weltwoche, Urs Gehriger, Markus Somm Eine Umfrage von letzter Woche kam zum Schluss: 94 Prozent der Schweizer fühlen sich von islamistischem Terror nicht bedroht. Teilen Sie diese Unbekümmertheit? Ich gehe davon aus, dass diese Umfrage noch vor den verhinderten Anschlägen von London gemacht wurde. Es ist immer dasselbe: Wenn nichts geschieht, sieht man keine Gefahr, sobald sich hingegen etwas Schreckliches ereignet, neigt man zur Überreaktion. Die islamistischen Terroristen lehnen westliche Werte ab und destabilisieren durch Gewaltakte die Existenz der westlichen Länder vor allem psychisch. Das schwächt das Sicherheitsgefühl und das Selbstvertrauen. Im Sicherheitsbericht, den Ihr Departement geschrieben hat, steht: Die islamistische Gefahr in der Schweiz nimmt zu. Warum kommt die Botschaft im Volk nicht an? Nach dem ungeheuerlichen Leid, das die Kriege des 20. Jahrhunderts brachten, können wir Europäer uns nicht mehr vorstellen, dass Konflikte durch Gewalt gelöst werden, also wird das verdrängt. Andere Kulturen denken anders. Also müssen wir uns vorsehen. Was ist das Rezept dagegen? Zunächst hat man sich Rechenschaft über sich selbst und den Terrorismus zu geben. Afghanistan, Irak, Libanon, die Attentate von Madrid und London und auch die letzte Woche verhinderten Anschläge zeigen, dass sich ein breites europäisches Friedensgefühl nicht auf die ganze Welt ausdehnen lässt. Die Europäer – und damit auch wir – stellen das Leben stets in den Mittelpunkt. Für das Sterben für die Verteidigung, für Ideale wie Freiheit, Ehre, Identität fehlt dem Westen der Sinn. Noch als ich in die RS ging, lehrte man uns: Das Wesen des Soldaten ist nicht nur, dass er unter Umständen töten muss, sondern vor allem, dass er bereit sein muss, auf „dem Schlachtfeld“ zu sterbern. Diese Art von Opferbereitschaft ist uns heute fremd. Auch den westlichen Armeen. Darauf zielen die islamistischen Terroristen ab. Sie rufen uns zu: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod.“ Warum ist diese Bereitschaft, sich für ein höheres Ziel aufzuopfern, verloren gegangen? Die Gründe sind vielfältig. Zusammengefasst sind es die Kriege des 20. Jahrhunderts, die Friedensideale und der Lebenssinn, die dem Leben einen überragenden Wert beimessen. Das ist auch gut so. Aber wenn der Gegner zum Äussersten, zur Aufgabe seines Lebens, bereit ist, um uns zu terrorisieren, müssen wir uns dem stellen. Angst machen ist kein Rezept. Was wir brauchen, ist realistische Aufklärung. Die Kampfmethode des Terrorismus ist das Massaker, das Verüben von Attentaten an zufälligen Opfern in Flugzeugen, U-Bahnen, Hotels, Strassen, Märkten. Terroristen wollen nicht bestimmte Leute treffen, sondern die friedliebende westliche Gesellschaft und ihre Werte. Wir sind davon alle betroffen. Die Gefahr, dass es irgendwo passieren könnte, besteht immer. Konkret: Wäre die Schweiz im Stande, einen vergleichbaren Anschlag, wie er in London versucht wurde, zu verhindern? Die Schweiz steht in engem Kontakt mit den Sicherheitsorganen anderer Länder. Gegen die bisher aufgedeckten Gefahren konnten wir ausreichend vorgehen, aber eine Garantie für die Zukunft ist dies nicht. Führen Spuren aus London in die Schweiz? Bis jetzt gibt es keine. Die Untersuchungen sind abzuwarten. Wie schützt sich die Schweiz gegen Terrorismus? Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder errichtet man sich den totalen Sicherheitsstaat, dann ist das Bedrohungsrisiko gering. Der Preis dafür ist aber, dass die persönliche Freiheit und die Demokratie zu Grunde gehen. Der totale Sicherheitsstaat ist Unsinn. Die zweite Möglichkeit möchte ich die "heroische Gelassenheit" nennen. Dieser Weg ist schwierig, aber gangbar. Zunächst zur tröstlichen Realität: Das Ziel der Terroristen ist bisher trotz vieler Anschläge nicht erreicht worden: Wohl hat unser Selbstvertrauen gelitten. Aber – und das ist das Wesentliche – unsere Grundwerte sind nicht zerstört, die Existenz der Staaten nicht in Frage gestellt worden. Um solchen Anschlägen nicht psychisch zu erliegen, ist diese Erkenntnis wichtig. Unser Eindruck: Es bestehen Lücken in der Abwehr. Der Staat – insbesondere dessen Sicherheitsorgane – muss zeigen, dass er Gefahrenherde eruieren und die Bevölkerung rechtzeitig schützen kann. Dies muss auch geübt werden. Wer übt was? Alle Organe, die man zur Krisenbewältigung braucht. Sie üben zum Beispiel, wie man einen Anschlag auf den Bahnhof Zürich verhindern könnte. Sie trainieren Bedrohungsszenarien. Die Polizei spielt eine zentrale Rolle, aber andere Sicherheits- und Hilfsorgane von Bund, Kantonen und Gemeinden, die Wirtschaft und Private sind einzubeziehen. Man übt die Zusammenarbeit mit der Armee. Man übt die Bewachung von relevanten Institutionen. Der Bundesrat hat einen Krisenstab beschlossen, um solche Situationen zu schulen. Diese Bereitschaft ist zu zeigen, gibt Vertrauen und schreckt den Gegner ab. So wie man im Kalten Krieg Manöver durchführte, um unseren Wehrwillen zu demonstrieren. Von Wehrübungen lässt sich doch kein Terrorist abschrecken. Wo sind die Lücken in der inneren Sicherheit? Wir müssen unseren Nachrichtendienst verbessern. Er braucht mehr gesetzlich erlaubte Mittel, um präventiv einzugreifen. Da besteht derzeit ein Defizit. Die Vorlage dazu befindet sich jetzt in der Vernehmlassung. Information ist entscheidend. Es gibt zu wenig Möglichkeiten, präventiv gegen den Terrorismus zu kämpfen. Dabei sind wir uns aber bewusst, dass Sicherungen gegen Missbrauch nötig sind. Im Weiteren gilt es, den Medien zu erklären, dass sie eine wichtige Verantwortung tragen. Es ist zwar wichtig, dass sie auf ihre Freiheit pochen, aber Journalisten müssen sich bewusst werden, dass sie von Terroristen missbraucht werden: Terroristen sind auf ein grosses Medienecho angewiesen. Schliesslich hat man sich in der Organisation von Politik und Wirtschaft bewusst zu sein: Zentralisierung erhöht die Gefahr. Dezentralisierung und das Delegieren von Entscheiden vermindert sie. Wie meinen Sie das? Wollen Sie den Züricher Bahnhof aufteilen oder das Bundeshaus nach Magglingen verlegen? Ein Angriff auf das Bundeshaus wäre ein verheerender Schlag. Ein spektakulärer Schlag gewiss, der aber nicht zum Untergang dieses Landes führen würde. Die Schweiz könnte weiterexistieren. Darauf kommt es an. 26 Kantonsregierungen und starke autonome Gemeinden könnten vorerst handeln. Das meine ich mit "heroischer Gelassenheit". Nachbarländer beklagen sich immer wieder, die Schweiz sei eine Insel, auf der die organisierte Kriminalität und das weltweite Verbrechertum zu leicht und zu ungestört Unterschlupf finden. Was unternehmen Sie dagegen? Die Revision des Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit – BWIS II – schafft eine Verbesserung, indem wir den Sicherheitsdiensten effizientere Mittel in die Hand geben, präventiv zu handeln. Zum Vorwurf der ausländischen Staaten, wir seien eine Insel, frage ich stets: "Sagt mir wo und inwiefern." Es kommt in der Regel nichts Konkretes als Antwort. Die Behauptungen treffen nicht zu, aber jeder Hinweis wird ernst genommen. Aber sicher gibt es Defizite. Wo denn? Zum Beispiel Terrorismus im Internet. Ich gebe zu, hier besteht Verbesserungsbedarf. Wir hatten einen Fall von Aufruf zu Gewalt gegen die Schweiz im Internet: der Fall des ägyptischen Ex-Obersten Ghanam, der auf al-Quaida-Websites zum Angriff auf die Schweiz aufforderte. Wann wird er ausgeschafft? Hier liegt die Crux. Er ist ein Flüchtling, jetzt kann man ihn nicht in sein Land Ägypten zurückschicken. Darum hat das EDA ein anderes Land zu suchen. Der Fall Ghanam ist nicht der einzige. Letzten Herbst hat die Weltwoche einen Fall aufgedeckt, bei dem von Computern der Uni Genf aus während Monaten massenhaft Terrorpropaganda – Köpfungsvideos, Aufruf zum Mord und Gewaltverherrlichung – auf Terrorwebsites aufgeladen wurden. Weder die Uni Genf noch die Behörden hatten davon eine Ahnung. Es trifft zu, dass unsere Stellen auf den Fall Genf aufmerksam gemacht wurden. Leider kann nicht das ganze Netz kontrolliert werden. Darum sind wir auf Hinweise angewiesen. Wichtig ist, rasch zu reagieren. Das hat die Polizei gemacht und die Verdächtigen umgehend identifiziert und festgenommen. Im Fall Genf handelte es sich um ein Forum, das auf einem japanischen Server gespeichert war. Solche Foren gibt es Tausende. Die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internet-Kriminalität überwacht systematisch bestimmte Inhalte des Internets. Besteht Handlungsbedarf, leitet sie die Information an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Aber hier besteht ein klares Defizit. Die Behörden haben keine aktiven Fahnder, die die internationalen Terrorwebsites kontrollieren. Dabei wäre es mit relativ wenig Aufwand machbar. Offensichtlich nimmt man das Problem des Internetterrors überhaupt nicht ernst. Dabei bestätigen Cyberexperten, dass das Internet längst zentrale Plattform für Rekrutierung und Verbreitung von terroristischem Gedankengut ist. Ich kenne Ihre Experten nicht. Die Spezialisten bei fedpol arbeiten international stark zusammen. Auch arabische Websites werden anlassbezogen – das heisst bei einem Verdacht oder bestimmten Ereignis - kontrolliert. Das Internet sollte man aber nicht überbewerten. Die gefährlichen terroristischen Verbindungen erfolgen diskreter. Das Risiko des Internets besteht in der Verbreitung terroristischer Ideen, die zur Radikalisierung führen können. Wer über das Internet auftritt, läuft aber das Risiko, dass man ihn kennt. Wenn man nach den Tätern sucht, was in der Schweiz offensichtlich kaum geschieht. Lesen Sie den Bericht "Innere Sicherheit Schweiz" und diejenigen der bestehenden Dienste Koordinationsstelle Internet-Kriminalität (KOBIK) und Melde- und Analysestelle Informationssicherheit (MELANI). Dann sehen Sie, dass man sehr wohl nach diesen Leuten sucht. Verbesserungen sind aber unumgänglich. Unsere Hauptlücke besteht zur Zeit darin, dass wir in der Informationsbeschaffung gesetzlich zu sehr eingeschränkt sind. Deshalb haben wir die Gesetzesrevision BWIS II ausgearbeitet, die unter anderem vorsieht, dass künftig auch vertrauliche Teile des Internets kontrolliert werden können. Im Volk regt sich allerdings grosser Widerstand dagegen. Man hat Angst vor der Beschränkung der Freiheit und vor Bespitzelung. Diese Angst muss man ernst nehmen. Sie ist mit dem vorliegenden Entwurf aber unbegründet. Was sind die Kernelemente des neuen Gesetzes? Frühzeitige Information ermöglicht rechtzeitiges Handeln: Wir müssen in der Lage sein, frühzeitig zu erkennen, wer allenfalls ein Attentat oder eine Gewalttat plant. Die erste Vorlage ging zu weit, sie hätte zu viele Missbräuche ermöglicht, darum habe ich sie zurückgewiesen. Jetzt liegt eine freiheitlichere Version zur Vernehmlassung vor. Was ging Ihnen in der ersten Fassung zu weit? Die ganze organisierte Kriminalität war darin enthalten. Die jetzige Vorlage ist beschränkt auf Terrorismus, Proliferation und militärischen und politischen Nachrichtendienst. Nur dort soll präventive Aufklärung mit den neuen Mitteln möglich sein. Und welche Mittel hätte man unter dem neuen Gesetz konkret, um dagegen vorzugehen? Liegt ein Verdacht auf eine konkrete Gefahr vor, muss ein Antrag gestellt werden. Dieser wird durch das Verwaltungsgericht auf Rechtmässigkeit geprüft. Ist diese gegeben, kann der Chef des EJPD – also nicht der Nachrichtendienst oder das Bundesamt für Polizei – die Bewilligung etwa zur Abhörung erteilen. Wird die Rechtmässigkeit in Frage gestellt, muss der Gesamtbundesrat entscheiden. Braucht es dieses Gesetz tatsächlich? Könnte man nicht auf bisheriger rechtlicher Basis mit effizienterer Arbeit genau so viel erreichen? Natürlich kann man die Arbeit immer verbessern. Aber ich bin tatsächlich der Meinung, dass wir hier eine Lücke haben. Dahingehend zielen auch die Vorwürfe aus dem Ausland – nicht ganz zu Unrecht. Wer hat sich prominent beklagt? Nach dem 11. September 2001 kam seitens der Amerikaner der Verdacht auf, Terroristen hätten sicher viel Geld auf Schweizer Konten. Mittlerweile haben wir alles intensiv überprüft. Diesen Vorwurf konnte die Schweiz entkräften. Für Terroristen ist Geld nicht die Hauptvoraussetzung. Sie kämpfen mit wenigen Mitteln sehr effizient. Im Juli haben Sie ein Kooperationsabkommen mit den USA unterzeichnet. Was bringt das der Schweiz? Dieser Staatsvertrag setzt das deutliche Zeichen, dass wir nach dem Auslaufen des bisherigen Operative Working Agreements (OWA) die Zusammenarbeit mit Amerika bei der Bekämpfung des Terrorismus weiterführen wollen. Es ist klar geworden, dass das nur auf die Anschläge vom 11. September 2001 zugeschnittene OWA zu eng ist. Neue terroristische Anschläge oder Terrorismusfinanzierungen kann es nicht auffangen. Deshalb muss es durch eine neue, breitere Vereinbarung ersetzt werden. Das entspricht auch dem Willen des Bundesrats. Es gibt den Generalstaatsanwaltschaften der Vertragspartner die Möglichkeit, in jeder Strafuntersuchung zur Bekämpfung des Terrorismus und dessen Finanzierung solche gemeinsame Ermittlungsgruppen einzusetzen. Ist das ein fairer Deal oder spielt die Schweiz in erster Linie Wasserträger für die USA? Es ist ein fairer Deal, der selbstverständlich auch im Interesse der Schweiz liegt. Wichtig ist aber wie bei jedem Abkommen, dass diese gegenseitige Hilfe nicht missbraucht wird. Nach dem ersten Abkommen sind Vorwürfe laut geworden, US-Sicherheitsexperten hätten sich nach Belieben mit Dokumenten bedient und schrankweise Akten kopiert. Diese Vorwürfe wurden im Detail von der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts abgeklärt, und es wurde festgestellt, dass keine solchen Missbräuche vorgekommen sind. Sie müssen wissen: Immer wenn in der sensiblen internationalen Zusammenarbeit zusammengewirkt wird, muss entsprechend instruiert und geführt werden, dann halten sich die Teilnehmer auch an die Regeln. Das ist allgemein so, das war unter dem alten Abkommen so, und es muss auch unter dem neuen so sein. Wie beurteilen Sie die Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA? Ich erfahre sie als gut. Wir haben die gleichen Zielsetzungen, was den Terrorismus anbelangt. Aber wir sind von einander unabhängige Rechtsstaaten. Uns ist die Neutralität wichtig, wir haben auch unsere eigenen Interessen zu vertreten. Wir behalten unsere Souveränität. Wenn wir darauf pochen, wird das auch vom grossen Amerika estimiert. Der Ruf des Schweizer Inlandgeheimdienstes ist ambivalent. Sind Sie mit dem Dienst zufrieden? Bei allen Nachrichtendiensten auf der Welt ist der Ruf ambivalent. Schauen Sie die Auseinandersetzungen im Ausland an! Das liegt in der Natur der Sache. Darum müssen die Nachrichtendienste gut geführt sein. Der Schweizer Inlandnachrichtendienst DAP arbeitet professionell und seriös. Er hat international einen guten Ruf. Was sagen Sie zum Fall des "Moscheespions" Covassi? Er behauptet, er hätte im Auftrag des DAP den Leiter des Genfer Islamzentrums mit illegalen Mitteln in Verruf bringen sollen. Dieser Fall wurde im EJPD im Detail überprüft. Wir haben keinerlei Hinweise darauf, dass bei uns ungesetzliche Handlungen begangen wurden. Im Übrigen untersucht auch die Geschäftsprüfungsdelegation den Fall, wir warten das Ergebnis ab. Was ist denn das für ein Nachrichtendienst, der mit solch angeblich dubiosen Leuten kooperiert? Das liegt im Wesen des Metiers. Nachrichtenträger brauchen Kontakte in oft dubiose Kreise. Wer hat denn Kontakte mit dem Drogenmilieu? Zum Beispiel Leute, die sich dort auskennen. Das Risiko muss man in Kauf nehmen. Können Sie sich einen Einsatz der Armee im Rahmen der Terrorbekämpfung vorstellen? Die Polizei steht ganz klar im Vordergrund. Erst wenn die Kapazität der Polizei überschritten ist, kann die Armee aufgeboten werden. Damit müssen wir rechnen. Wäre es nicht sinnvoll, die Schweizer Armee auch dort einzusetzen, wo Terrorismus entsteht, konkret in Afghanistan, wo die Taliban wieder erstarken? Abgesehen davon, dass es unsicher ist, ob die Strategie, in anderen Ländern grossflächig einzugreifen, den Terrorismus bezwingt, kommt dies für den neutralen Kleinstaat keinesfalls in Frage. Aber das Geschehen beschäftigt: Trotz gewaltiger technologischer und finanzieller Überlegenheit ist es dem Westen bisher nicht gelungen, sich in Afghanistan und Irak militärisch durchzusetzen. Das Konzept hoch Hightech-Kriegsführung mit starker Luftüberlegenheit, mit anschliessend wenig Bodentruppen und sehr geringen eigenen Verlusten, ist gescheitert. Der Westen muss sich etwas anderes einfallen lassen. War der Irak-Krieg ein Fehler? Die USA waren überzeugt, dass er zu führen ist. Es ist nicht an einem schweizerischen Bundesrat, darüber zu urteilen. Was kann der Westen tun, damit Iran die Atombombe nicht baut? Alles, was er kann. Es ist zu hoffen, dass es nicht zum Krieg führt. Afghanistan, Irak, eventuell Iran: Hat George W. Bush auf der ganzen Linie versagt? Ein schweizerischer Bundesrat ist nicht dazu da, um öffentlich über fremde Regierungen zu Gericht zu sitzen. Aber man darf festhalten: Obwohl die USA die Hauptzielscheibe der Terroristen sind, konnte Präsident Bush nach dem 11. September 2001 einen weiteren Anschlag verhindern. Im Übrigen ist seine Wirtschaftspolitik beeindruckend. Das Wachstum ist hoch, die Arbeitslosigkeit sehr tief: Das ist sozial. Angenommen, die Strategie der Amerikaner, die Terroristen vor Ort kriegerisch zu bekämpfen, wäre erfolgreich: Müsste sich die Schweiz nicht beteiligen – mit Truppen, mit eigenen Soldaten? Schliesslich profitieren auch wir davon. Eine Beteiligung der Schweiz kommt grundsätzlich nicht in Frage, gleichgültig ob man direkt oder indirekt vom Ausgang profitiert. Neutralität heisst, in Konflikten nicht Partei zu nehmen. Einfach ist das nie. Wir sind Trittbrettfahrer. Die Niederlande kämpfen in Afghanistan, Dänemark schickte Truppen in den Irak. Und was tun wir? Ein Kleinstaat muss nicht tun, was alle machen, sondern seine Besonderheiten anbieten – ohne je für eine Seite Partei zu nehmen. Das ermöglicht es der Schweiz, sich in grossem Masse humanitär zu betätigen. Ich erinnere an das Internationale Rote Kreuz. Aber auch die Guten Dienste etc. Das IKRK wird zu einem grossen Teil von den USA finanziert – was das IKRK nicht daran hindert, der amerikanischen Regierung zum Dank regelmässig die Leviten zu lesen. Gemessen an unserer Grösse ist der Beitrag der Schweiz ans IKRK enorm. Auch ich sehe mit Besorgnis, dass das IKRK nicht mehr immer so neutral auftritt, wie es meiner Meinung nach sollte. Doch sein Ruf ist intakt: In manchen Krisengebieten war das Rote Kreuz die einzige Organisation, die vor Ort helfen konnte. Reicht das? Während andere bluten, schicken wir den Verbandskasten. Das wirkt egoistisch. Die Neutralität ist oft unangenehm. Jede Partei reklamiert, dass man nicht auf ihrer Seite steht. Darum muss man die Neutralität oft erklären. Auch das ist nicht neu. Die Amerikaner hatten im Zweiten Weltkrieg grosse Mühe mit der schweizerischen Neutralität, während Winston Churchill viel Verständnis dafür zeigte. Der Staat Schweiz – nicht so die Bürger, die nicht neutral sein müssen – hat sich nicht einzumischen, so unangenehm dies oft aus innen- und aussenpolitischen Gründen ist. Es bedeutet, die Nerven zu behalten. Wenn sich zwei streiten, kann man gut abseits stehen. Aber der Terrorismus ist eine Herausforderung neuer Art, die auch uns betrifft. Gegenüber Verbrechern darf man nicht neutral sein. Der Terrorismus ist nicht eine Partei, sondern eine Kampfmethode, neuerdings eine Strategie. Neutral ist man zwischen Partnern! Glauben Sie im Ernst, Neutralität schütze vor Terrorismus? Soweit Terrorismus Ausfluss von internationalen Konflikten ist, wird die Schweiz nicht in solche Konflikte hineingezogen. Wir können zwar nie ausschliessen, dass es bei uns zu einem Anschlag kommt, aber sicher ziehen wir ihn nicht an. Hinter dem Terrorismus steht meistens auch eine Auseinandersetzung zwischen Staaten. Denken Sie an die Konflikte im Nahen Osten. Für wen hätten wir denn im Libanon-Konflikt eindeutig Partei ergreifen sollen? Die Stellungnahmen des EDA klangen weniger neutral. Die Position des Bundesrates war über jeden Zweifel erhaben. Selbstverständlich ist es nicht unsere Aufgabe, zu entscheiden, ob ein militärischer Einsatz eines Landes verhältnismässig ist oder nicht. Offen ist, wie wir uns als Neutrale zu verhalten haben, wenn ein Staat sich mit einer Terrororganisation wie der Hisbollah in einem anderen Staat bekriegt. Das sind neue Formen. Gerade der Libanon-Krieg zeigt unsere einzigartigen Möglichkeiten als neutrales Land auf. Das Rote Kreuz war anfänglich die einzige mögliche Hilfe. Darum hat der Bundesrat unverzüglich 5 Millionen Franken für Soforthilfe gesprochen. Ich bin der Meinung, wir sollten uns für Gespräche zur Verfügung stellen, sogar mit terroristischen Organisationen. Das ist schwierig, weil alle überzeugt sind, dass man mit solchen Organisationen nicht redet. Gerade darum sollte man das tun. Können Sie sich vorstellen, mit Hamas zu reden? Wer weiss? Natürlich braucht es stets Kontakt und Einverständnis auch der Gegenpartei. Und ein Erfolg muss mindestens möglich sein. Wenn es nötig ist, kommt nur der Neutrale in Frage, weil er keine direkten Interessen vertritt. Ist der Westen verantwortlich für die missliche Lage im Nahen Osten? Haben wir den Terror verdient? Es liegt nicht an der schweizerischen Regierung, für andere Staaten Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Es ist auch müssig, jetzt darüber nachzudenken, was alles falsch gelaufen ist: Mit Ihren Fragen mögen sich Historiker beschäftigen. Für mich gilt: Wir müssen Land und Bevölkerung schützen. Punkt. Eben hat jemand anderer, Günter Grass, seine Vergangenheit bewältigt und seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS zugegeben. Ist im Hause Blocher ein Säulenheiliger vom Sockel gestürzt? Ich habe ihn nie gemocht. Und ich kann nicht verstehen, wie einer ein ganzes Leben lang so tun konnte, als ob er die grosse Ausnahme gewesen sei. Mit achtzig Jahren kommt er und behauptet, das habe jetzt einmal raus müssen - und sagt das noch wie ein Held. Als ich das gehört habe, dachte ich: Es gibt schon nichts Neues unter der Sonne.
15.08.2006
Bundesrat Christoph Blocher: «Wir lassen hier niemanden verhungern
Der Bundesrat Christoph Blocher tritt heute Abend als Gastredner in Pratteln auf. Die SVP Baselland hat in Zusammenarbeit mit der FDP Baselland und der Wirtschaftskammer Baselland den Justizminister an eine "Landsgemeinde" eingeladen. Bundesrat Christoph Blochers Vortrag trägt den Titel "Humanitäre Tradition wahren - Missbräuche vermeiden" 15.08.2006, Basler Zeitung, Niklaus Ramseyer Herr Bundesrat Blocher, Sie werben heute in Pratteln für das Asyl- und das Ausländergesetz, die am 24. September vors Volk kommen. Warum gerade in Pratteln? Ich habe im Hinblick auf diese Abstimmung sehr viele Anfragen bekommen, kann aber nur etwa 10 Auftritte annehmen. Da muss ich mich konzentrieren, und im Raum Basel Land trete ich nun in Pratteln öffentlich auf. Sie haben solche Abstimmungskampagnen der Bundesräte in der Vergangenheit oft kritisiert. Machen Sie jetzt selber Regierungs-Propaganda? Nein. Ich habe die Auftritte von Bundesräten nie kritisiert. Ich habe die Abstimmungspropaganda des Bundesrates kritisiert. Das ist etwas anderes: Der Bundesrat darf nicht Abstimmungskämpfe führen, Broschüren veröffentlichen, Umfragen machen, Steuergelder einsetzen. Er muss sich zurückhalten, aber sachlich informieren. Darum halte ich auch in Pratteln nur einen Vortrag und werde Fragen beantworten. Wie machen Sie denn die Trennung zwischen bundesrätlicher Information und Abstimmungs-Propaganda? Den Abstimmungskampf sollen Parlamentarier, Parteien und Private führen. Das war früher demokratisch anerkannt. Sie engagieren sich für oder gegen eine Vorlage, vertreten wie gute Anwälte, alles was für eine Vorlage spricht. Ich als Bundesrat werde einfach die Situation darlegen und zeigen, was die beiden Vorlagen neu bringen. Sie stellen sich also über den Parteienstreit. Dazu müssten Sie aber auch die Nachteile Ihrer Vorlagen erwähnen. Welche Nachteile werden Sie in Pratteln konkret ansprechen? Die neuen Gesetze haben im Gesamten gesehen wesentlich mehr Vorteile. Sie haben aber auch gewisse Nachteile, wenn sie nicht richtig angewendet würden. Zum Beispiel? Probleme gibt es beispielsweise beim Nachzug der Kinder. Ausländische Eltern, die hier arbeiten, lassen ihre Kinder oft bei den Grosseltern zurück und holen sie erst zu sich, wenn sie die Schule abgeschlossen haben. Weil diese Jugendlichen unsere Sprachen nicht können, haben sie dann grössere Integrationsprobleme. Und die jetzt vorgeschlagene Altersgrenze von 12 Jahren für den Kinder-Nachzug ist doch willkürlich. Das ist so. Und Altersgrenzen haben immer auch Nachteile. Aber solche Willkürlichkeiten könne Sie nicht vermeiden. Die linke Ratsseite hat in der Parlamentsberatung 15 Jahre gefordert. Diese Limite wäre aber genau gleich willkürlich. Und mit 12 Jahren bleiben den Kindern drei wichtige Schuljahre um hier die Sprache zu lernen, bevor sie ihre Berufslehre beginnen. Zudem ist es auch mit dem neuen Gesetz noch möglich, Kinder nach dem 12. Altersjahr nachzuziehen - innerhalb eines Jahres nach Einreise der Eltern. Das Ausländergesetz schafft Rechtsungleichheiten zwischen EU-Bürgern und anderen Ausländern. Und bei diesen anderen Ausländern bevorzugt es dann noch jene aus den Chefetagen und Leute mit mehr Geld. Ist das nicht fragwürdig? Sehen Sie, es wäre natürlich schön, wenn wir sagen könnten, alle aus der ganzen Welt, die in der Schweiz eine Stelle finden, können hier arbeiten kommen. Aber das geht leider nicht. Bisher galt das Prinzip, dass Ausländer hier arbeiten können, wenn ihr Arbeitgeber nachweisen konnte, dass er im einheimischen Markt niemanden findet. Die Freizügigkeit mit der EU führt nun dazu, dass ab 2010 alle Leute aus diesem grossen Raum mit den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern arbeitsrechtlich gleichgestellt werden. Wir können diese Personenfreizügigkeit jedoch nicht auf die ganze Welt ausdehnen, wie dies die Gegner der Vorlage im Prinzip fordern. Hohe Arbeitslosigkeit, grosse Probleme für die Sozialwerke, hohe Sozialhilfen etc. wären die Folge. Das wäre unverantwortlich. Mehr Widerstand regt sich gegen das neue Asylgesetz. Dass künftig auf ein Asylgesuch gar «nicht eingetreten» werden soll, wenn der Flüchtling nicht innerhalb von 48 Stunden Reise- oder Identitätspapiere präsentieren kann, finden die Gegner der Vorlage schlimm. Werden künftig Verfolgte schon an der Schweizer Grenze ohne Verfahren abgewiesen? Nein. Diese Unwahrheit wird von den Gegnern leider verbreitet. Auch Asylsuchende auf deren Gesuch nicht eingetreten wird, kommen ins Verfahren. Das gilt für alle, und sie haben auch alle Rekursmöglichkeit. Die neue Bestimmung wurde jedoch nötig, weil zwischen 70 und 80 Prozent jener Leute, die ohne Asylgründe bei uns Asylgesuche stellen, ihre Papiere nicht vorweisen. Oft verstecken oder vernichten sie diese. Das tun sogar Leute, die mit dem Flugzeug zu uns kommen. Wenn sie aber glaubhaft machen können, dass sie unverschuldeterweise keine Reisepapiere haben, dann wird auf ihr Gesuch eingetreten. Diese Regelung wurde nötig, weil hier eines unserer Hauptprobleme liegt: Mehr als 85 Prozent der Afrikaner, die bei uns Asylgesuche stellen, weisen keine Papiere vor. Sie werden von den Schleppern, die sie hierher schleusen, auch entsprechend beraten. Es ist jedoch jedem Flüchtling, der zu uns kommt zuzumuten, dass er sagt, woher er kommt, wie er heisst - und dass er seine Reisepapiere vorweist. Bedenken Sie: Zur Zeit suchen wir für gut 6200 Personen, die illegal hier sind und eimkehren müssten, die erforderlichen Ausweise. Warum soll denn ein Fahrausweis nun nicht mehr als Identitätsausweis gelten? In den meisten Ländern - auch etwa in den USA - tragen die meisten Leute ja nur dieses Papier und keine Pässe auf sich. Es gibt weltweit kein einziges Land, das den Fahrausweis als Einreisedokument akzeptiert. Amerikaner, die in die Schweiz kommen, müssen über Pässe verfügen. Sie sind aber meist nicht auf der Flucht. Das schon. Aber wir haben einfach festgestellt, dass Fahrausweise und andere Dokumente wie zum Beispiel Geburtscheine, die wir bisher noch akzeptiert haben, sehr oft gefälscht sind. Darum müssen wir diesbezüglich strenger werden. Bedenken Sie: Zur Zeit suchen wir für über 6200 Personen, die illegal hier sind und die heimkehren müssten, die erforderlichen Ausweise! Aber ich betone es noch einmal: Alle, die ein Asylgesuch stellen, auch die ohne Papiere und jene die falsche Angaben machen, kommen auch künftig ins Verfahren und haben die Möglichkeit ihren Fall rechtlich weiter zu ziehen. Kein echter Flüchtling muss Angst haben, er werde abgewiesen. Die illegal Anwesenden müssen das Land verlassen. Sonst kommen immer mehr Illegale! Kritisiert wird auch, dass abgewiesene Asylbewerber nur noch Nothilfe bekommen sollen. Was heisst "Nothilfe" für die Betroffenen konkret? Heute bekommen Abgewiesene, die in ihr Land zurück sollten, bei uns die volle Sozialhilfe. Das kann für einen Vater, eine Mutter und zwei Kinder 4800 Franken im Monat ausmachen. Und es ist klar, dass die alles machen, damit sie nicht in ihr Land zurück müssen. Die so genannte Nothilfe, die heute schon für Leute mit einem Nichteintretensentscheid gilt, ist bedeutend tiefer. Pro Person sind das gesamtschweizerisch durchschnittlich zwischen 160 und 170 Franken in der Woche. Also knapp 700 Franken im Monat. Ja. Diese Regelung der Nothilfe statt Sozialhilfe gilt bereits seit zwei Jahren für Personen mit einem Nichteintretensentscheid. Die Erfahrungen damit sind gut. Sie gilt künftig für jene Leute, die illegal hier sind, und das Land verlassen müssen. Im Gesetz steht aber, Nothilfe solle möglichst «in Form von Sachleistungen» gewährt werden. Was bedeutet das? Das bedeutet, Essen und eine Schlafstelle. Und solche Naturalleistungen sind besser als Bargeld. Es ist das unbedingt erforderliche, bis die Leute abreisen. Sachleistungen sind meist zu wenig interessant, um lange Zeit hier zu bleiben. Andere Länder stellen die Hilfe für Ausreisepflichtige ein. Wir lassen niemanden verhungern. Auch prominente Bürgerliche kritisieren die beiden Gesetze massiv, weil dieses unmenschlich seien. Warum wollen Sie die Vorlagen nicht in der Fernseh-Arena gegen diese Opposition verteidigen? Bürgerlich ist ja ein breiter Begriff. Und es gibt immer Leute, die solche Gesetze als unmenschlich bezeichnen - und sich selber als gute Menschen darstellen wollen. Verantwortung übernehmen sie aber keine. Natürlich ist es nicht schön, wenn wir Leute, die hierher kommen, wieder zurückschicken müssen. Unmenschlich wäre, dies aber nicht zu tun. Die dadurch entstehenden Zustände wären untragbar und die Folgen unabsehbar. Mit den beiden Vorlagen wahren wir weiterhin unsere humanitäre Tradition, aber wir bekämpfen die Missbräuche. An diesen Gesetzen gibt es nichts, was unmenschlich ist. Und warum wollten Sie diesen Standpunkt nicht in der Arena vertreten? Die «Arena» hat gemäss ihrem neuen Konzept in der Mitte zwei Gegner, denen zwei Befürworter gegenüberstehen. Da wird der Abstimmungskampf hart und auch polemisch geführt. Das ist auch richtig so. Ein Bundesrat ist jedoch der Bundesrat der ganzen Bevölkerung, darum ist er in seiner Kampfführung eingeschränkt. Er muss Zurückhaltung üben, kann weniger direkt sein und sollte die Haltung des Gesamtbundesrates vertreten, nicht seine eigene Meinung. Ein Bundesrat soll also nicht als Abstimmungskämpfer an der Seite eines andern Befürworters der Vorlagen auftreten. Darum gehe ich nicht in eine solche Arena. In welche Arena würden Sie denn gehen? Früher war es anders gelöst: Ein Befürworter und ein Gegner im Zentrum - und der Bundesrat in der dritten Position. Das ist eine Möglichkeit. Aber das Fernsehen muss selber entscheiden, wie es die Sendung konzipieren will. Das ist zu respektieren. So wie das jetzt angelegt ist, kommt diese Sendung für einen Bundesrat nicht in Frage. Die neuen Asyl- und Ausländergesetze werden schon als «Lex Blocher» bezeichnet. Läuft die Abstimmung somit am 24. September auf ein Plebiszit «für oder gegen Blocher» hinaus? Das ist eine alte Masche. Wer keine stichhaltigen Argumente in einer Sache hat, der versucht die Gegenpartei zu verunglimpfen und dann den Abstimmungskampf gegen eine Person zu führen. Man versucht so, den Stimmbürger vom Denken zu dispensieren. Das Ausländer- und das Asylgesetz wurden jedoch vom Gesamtbundesrat und dann vom National- und vom Ständerat verabschiedet. Über diese Gesetze wird am 24. September abgestimmt - und nicht über Bundesrat Blocher.
31.07.2006