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27.09.1998
24.09.1998
«Ich leide unter der offiziellen Schweiz»
Über politisches Selbstwertgefühl und Minderwertigkeitskomplex Interview mit der Aargauer Zeitung vom 24. September 1998 Unter der offiziellen Politik leidet er; den Minderwertigkeitskomplex der Classe politique beklagt er, und die Grosszügigkeit einer souveränen Regierung vermisst er. Christoph Blocher, Unternehmer, Zürcher SVP-Nationalrat und Präsident der kantonalen Partei, bezeichnet die flexible Neutralität als "unehrliche Politik" und sagt "nein zu Unsinn". Interview: Peter Frey Schriftsteller Peter Bichsel definiert Leute, denen alte Ideen heilig und neue verdächtig sind, als Totaldemokraten. Sind Sie ein Totaldemokrat? Christoph Blocher: Ich habe keine Probleme mit neuen Ideen. Aber: Nicht alles, was neu ist, ist gut! Es ist auch kein Beweis dafür, dass Altes, nur weil es bis heute Bestand hatte, gut ist. Aber es ist immerhin ein Indiz dafür, sonst hätte man es tatsächlich über Bord geworfen. Ich habe in der Wirtschaft schon viele Unternehmen beobachtet, die nur deshalb untergegangen sind, weil sie einfach alles Neue mitgemacht haben. So wie es auch solche gibt, die zugrunde gehen, weil sie nie etwas geändert haben. Bundesrat Moritz Leuenberger warf Ihnen in der Arena-Sendung zur LSVA vor, Sie würden zu allem nein sagen. Ist Neinsagen Ihr politisches Programm? Blocher: Dieser Vorwurf ist nicht sehr originell. Nein zu Unsinn sagen und damit Fehlentwicklungen verhindern ist eine der wichtigsten politischen Aufgaben. Insofern ist es mein Programm. Aber ich sage immer ja zu etwas Gutem. Bei der LSVA sage ich nein, weil ich gegen höhere finanzielle Belastungen der Bürger bin. Die Leute haben immer weniger Geld zum Leben, weil der Staat immer mehr Steuern, Abgaben und Gebühren erhebt. Ich setze mich dafür ein, dass der einzelne Bürger möglichst viel seines sauer verdienten Geldes zur Verfügung hat. Ich sage ja zu Freiheiten der Bürger. Ist die Ablehnung das Aufputschmittel des politisch Erfolgreichen? Blocher: Wenn dem so wäre, würden alle Parlamentarier in diesem Haus nur nein sagen. Als Politiker weiss ich selber, dass Nicken am einfachsten ist; immer bejahend nicken zu dem, was die Verwaltung vorbetet. Dazu gehöre ich nicht; wenn etwas gut ist, ziehe ich mit, wenn etwas schlecht ist, kämpfe ich dagegen an. Sie haben erfolgreich den EWR-Vertrag bekämpft, Sie lehnen einen Uno-Beitritt ab, Sie waren gegen Schweizer Blauhelme angetreten, und das Engagement an der Partnerschaft für den Frieden kritisieren Sie auch. Ist es Ihnen in der Schweiz und in der schweizerischen Politik überhaupt noch wohl? Blocher: In der offiziellen Politik nicht. Ich vermisse die Grosszügigkeit einer souveränen Regierung. Heute ist alles von Kleinmut geprägt. Man hat immer Angst davor, selbständig etwas zu tun. Der Bundesrat entschuldigt sich dafür, dass die Schweiz vom Krieg verschont wurde, dass es uns besser geht, und will allen internationalen Vereinigungen beitreten. Insofern leide ich unter der offiziellen Schweiz. Es tut mir leid, wenn ich zu vielen Vorschlägen dieser Regierung nein sagen muss, nur weil ich für die Unabhängigkeit, die Selbständigkeit, das Selbstbestimmungsrecht oder die Wohlfahrt der Bevölkerung eintrete. Sind Sie ein politischer Masochist? Blocher: Warum? Ich habe Freude an unserem Land, ich liebe die Menschen und freue mich, dass die Befindlichkeit in der Bevölkerung noch stimmt. Eine der Auswirkungen der Nein-Parole zum EWR-Vertrag ist die derzeitige asylpolitische Situation, in der die Schweiz im Europa des Dubliner Abkommens eine Insel darstellt. Müsste die Schweiz nicht den Anschluss an Europa suchen, um solche Situationen zu vermeiden? Blocher: Mit dieser Argumentation versucht "Bern", die eigene Unfähigkeit zu kaschieren. Erstens spielt das Dubliner Abkommen noch nicht. Zweitens könnte der Bundesrat den derzeit ablaufenden asylpolitischen Unsinn so verhindern wie Italien oder die USA. Dort werden Fürsorgeleistungen nur anerkannten Flüchtlingen ausbezahlt. Viele Asylsuchende kommen deshalb in die Schweiz, weil unser Land zur illegalen Einwanderung direkt einlädt. Wenn das Dubliner Abkommen bewirkt, dass Leute, die in einem anderen europäischen Land abgewiesen wurden, sich auch bei uns als abgewiesen betrachten, habe ich nichts gegen eine Unterzeichnung. Statt den europäischen Bilateralismus zu suchen, empfahlen Sie auch schon eine eidgenössische Anlehnung an den amerikanischen Wirtschaftsraum. Würden Sie dies heute, nach den Sammelklagen gegen Banken und den präventiv angedrohten Klagen gegen die Swissair, auch noch empfehlen? Blocher: Nie an Stelle von bilateralen Verhandlungen. Solche gibt es immer, und sie wurden auch schon erfolgreich geführt. Zusätzlich zu dem damals mit dem Freihandelsabkommen eingeschlagenen guten Weg in Europa sollten wir auch etwas Ähnliches mit Amerika suchen. Davon würden beide Seiten profitieren. Bezieht die Schweiz in den USA nicht allein deshalb Prügel, ausgeteilt von gewissen Politikern, jüdischen Organisationen und vom offiziellen Staat, wie der Eizenstat-Bericht bewies, stillschweigend geduldet oder sogar geschürt, weil sie - im Gegensatz zu Frankreich oder Schweden - allein ist? Blocher: Das ist ebenfalls eine Ausrede des Bundesrates, weil er miserabel reagiert hat. Jene Kreise, welche die Schweiz erpresst haben, erkannten dies sofort und erhöhten Forderungen und Druck. Die Schweiz wurde ins Visier genommen, weil sie Geld hat, weil sie - das muss ich eingestehen - klein ist und weil der Bundesrat schlecht reagiert hat. Dabei hätte die Regierung nur eine klar ablehnende Haltung gegenüber solchen Forderungen einnehmen und alle Versuche von sich weisen sollen, der Schweiz irgendwelche Fehler vorzuhalten. Die Folgen dieser teilweise unhaltbaren Vorwürfe, sind Abschottung gewisser Kreise und in der Bevölkerung vermehrt kursierende widerliche Witze über Juden. Ist das nicht ein ungemütliches Klima? Blocher: Sicher, aber das hat sich der Jüdische Weltkongress selber eingebrockt. Ich selber habe bis dahin eigentlich keinen Antisemitismus in der Schweiz festgestellt. Sicher gab es einzelne Spinner, die dank dem Antirassismus-Gesetz jetzt sogar ein Gesicht und einen Namen erhalten. Eine Abneigung ist aber auch gegenüber den USA feststellbar: Zwar hat die Regierung diese Erpressung nicht direkt begünstigt, sie hat aber auch wenig dagegen unternommen. Wie empfinden Sie selber solche Entwicklungen, ist Ihnen nicht auch "gschmuech"? Blocher: Natürlich. Ich selber rede nie von den Juden als Rasse, sondern nenne diese erpresserischen Kreise immer direkt beim Namen. Es sind nicht die Juden schlechthin, es ist der Jüdische Weltkongress und es sind gewisse jüdische Kreise an der amerikanischen Ostküste. Anderseits betreiben diese Organisationen ein gefährliches Spiel, wenn sie uns erpressen und uns dann antisemitisches Verhalten vorwerfen, wenn wir uns wehren. Sie selber müssen auch dafür besorgt sein, dass sie mit ihren Handlungen keinen Antisemitismus schüren. Hinzu kommt, dass der israelische Botschafter in einem Interview in der "Neuen Zürcher Zeitung" bei seinem Amtswechsel in Bern erklärt hat, dass der Jüdische Weltkongress den Staat Israel in dieser Frage vertritt. Der Brief von Israels Premierminister Nethanyahu an WJC-Chef Bronfman, der jetzt für Aufregung sorgt, ist nichts Besonderes. Die Schweiz steht heute bildhaft zwischen einem Stuhl (Europa), auf den wir uns nicht setzen können, und einem Tisch (USA), von dem wir mit Schimpf und Schande gejagt werden. Ist es unser Schicksal, zähneknirschend und mit gebeugtem Haupt in der Ecke zu überleben? Blocher: Das mag man intellektuell so sehen, hängt aber mit einem Minderwertigkeits-Komplex zusammen. Wirtschaftlich steht die Schweiz hervorragend da und wird von den Ausländern dank der hohen Beschäftigung, dem hohen Pro-Kopf-Einkommen, dem Wohlstand und den demokratischen Freiheiten weltweit immer noch als Wunder bezeichnet. Tatsache ist aber, dass wir weder auf dem Stuhl der EU noch auf jenem der USA sitzen und selbständig sind. Dieses Rezept wurde schon bei der Gründung der Eidgenossenschaft vor 150 Jahren angewandt. Auch damals spottete die europäische Staatengemeinschaft über die Schweiz. Allein und aus eigener Kraft haben die Schweizer etwas gemacht, und es wurde gut. Heute feiern die Behörden 150 Jahre Bundesstaat und realisieren dies nicht. Nur die offizielle Schweiz lebt diesen Minderwertigkeitskomplex aus. Den Schweizern wird von oben eingetrichtert, sie seien alles "Tubel", und jeder Festredner singt an den Jubiläumsfeiern vor hinter Gittern abgeschirmtem Publikum das Lied vom EU-Beitritt. Das ist bedenklich. Das Volk hat genügend Selbstwertgefühl, die Classe politique allerdings nicht, deshalb will sie überall mitmachen. Nur wer kein Selbstvertrauen hat, scheut sich vor eigenen Wegen.
27.08.1998
Die SVP wird nie einen zweiten Bundesrat haben
Interview mit CASH vom 27. August 1998 SVP-Nationalrat, Auns-Präsident und Unternehmer Christoph Blocher über sein politisches Selbstverständnis und die Stossrichtung seiner Partei Mit der Abstimmung über die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) Ende September wird der Abstimmungsherbst eingeläutet: Europa - und damit auch Christoph Blocher - werden wieder zum Thema. Im CASH-Interview äussert sich der Zürcher SVP-Nationalrat und Auns-Präsident zum Umgang mit politischen Gegnern und zum Programm seiner Partei. Interview: Markus Gisler, Reto Knobel Sind Sie zufrieden mit sich und der Schweiz, Herr Blocher? Christoph Blocher: Ich bin nie zufrieden mit mir. Und mit der Schweiz im Moment auch nicht. Was macht Sie denn unzufrieden? Blocher: Mit dem Land bin ich zufrieden, nicht aber mit der Politik. Wir haben zu viel Interventionismus, der Bürger muss zu viel zahlen, und es bleibt ihm darum immer weniger zum Leben. Die Haltung gegenüber den USA und Europa ist zu unbestimmt und unstet. Eine Wahlanalyse hat ergeben, dass Sie keineswegs eine Partei der Unzufriedenen anführen: Ihre Wähler sind sehr optimistisch, was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Überrascht? Blocher: Nein, der Optimismus ist gerechtfertigt. Ich bin überzeugt, wenn die Politik der Wirtschaft keine Knebel zwischen die Beine wirft, geht es der Schweiz wirtschaftlich sehr gut - und damit auch den Bürgern. Aber im Allgemeinen meint man doch, die SVP sei die Partei der Unzufriedenen. Sie selber haben dies immer wieder bekräftigt. Blocher: Wir politisieren nicht mit den Unzufriedenen, sondern für den Mittelstand. Sind das etwa die Unzufriedenen? Das sind Leute, die auf sich gestellt sind und Eigenverantwortung tragen. Sie verdienen zu viel, als dass sie der Staat dauernd unterstützen müsste, und sie verdienen zu wenig, als dass sie morgen nach Monaco zügeln könnten. Wie schätzen Sie denn im Hinblick auf die Wahlen in einem Jahr die Stärke der anderen Parteien ein? Beginnen wir mit der FDP. Blocher: Die FDP weiss nicht mehr genau, wo sie hingehört, weil sie ihre Positionen verlassen hat. Vor allem in der Steuer- und in der Europa-Frage. Der Stimmbürger will aber eindeutige Stellungnahmen. Sie wird ihren Verlust der letzten Wahlen nicht aufholen. Und die CVP? Blocher: Sie steht vor einem ähnlichen Problem, ist aber stark in den Kantonen. Ich glaube nicht, dass sie vor einer derart starken Erosion steht, wie viele das meinen. Wird die SVP die CVP dennoch überholen? Blocher: Ich glaube es nicht. So entscheidend ist die Frage nicht. Massgebend ist das Gewicht. Parteien dürfen Wähleranteile nicht dermassen in den Vordergrund rücken, dass Positionen aufgegeben werden. Dass Sie nicht mehr Wähler wollen, nehmen wir Ihnen nicht ab. Blocher: Mehr Wähler schon, aber nur, um den Auftrag besser auszuführen. Wer unter allen Umständen Wähler will, verliert an Profil. Dies droht der SP, die sich heute als Grossfamilie präsentiert: Auf der linken Seite wurde vom Landesring bis zu den Kommunisten alles integriert. Das führt natürlich zur Verwässerung und schwächt ihr Profil. Wenn die CVP weiter absackt, ist ihr zweiter Bundesratssitz in Frage gestellt. Blocher: Selbstverständlich müssen wir einen zweiten Bundesratssitz anstreben, aber wir werden ihn nie kriegen. SP, FDP und CVP werden dies verhindern. Dies wird allerdings unsere Position massiv stärken: Obwohl wir die Verantwortung übernehmen mussten und wollten, durften wir nicht. Das macht stark. Würden Sie die Verantwortung als Bundesrat überhaupt übernehmen? Blocher: Ich bin Anhänger des Amtszwangs, deshalb würde ich das Amt annehmen, wenn ich zum Bundesrat gewählt würde. Obwohl Verwaltung nicht meine Lieblingstätigkeit ist. Die Analyse der letzten eidgenössischen Wahlen 1995 zeigt auch, dass der SVP-Erfolg - fast 15 Prozent Wähleranteil - vor allem durch den klaren Anti-EU-Kurs zustande gekommen ist. Das lässt uns vermuten, dass Sie weiter auf dem Thema Europa herumreiten. Blocher: Die Grundfrage ist, wie viel Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und direkte Demokratie die Schweiz abgeben will. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz Erfolg hat, wenn sie hier standhaft bleibt. Aber leider weichen bei der Frage des Uno-, EU- und Nato-Beitritts unsere Politiker immer mehr von diesen Maximen ab. Sie reden viel von der Unabhängigkeit. Die SVP wird zunehmend zur Einthemen-Partei. Blocher: Da hab ich keine Angst. Sehen Sie sich an, wo wir in den letzten Jahren politisiert haben. Die innere Sicherheit, die Asylantenfrage sowie die Reduktion von Steuern, Abgaben und Gebühren. Das werden wir auch nächstes Jahr stark in den Vordergrund stellen. Haben Sie schon ein Konzept für die Wahlen in einem Jahr? Blocher: Ja, wir werden es in etwa einem Monat vorstellen. Ich kann aber jetzt schon sagen, dass wir nichts Neues erfinden müssen. Was wir festgestellt haben: Der Druck für neue Steuern, Abgaben und Gebühren seitens der Politiker ist unglaublich - Stichwort Erhöhung der Mehrwertsteuer, LSVA, Kapitalabgabe etc. Wir sind dagegen der Meinung, Wirtschaft und Staatshaushalt würden von Steuererleichterungen profitieren. Sie argumentieren mit dem "Reaganomics"-Effekt Blocher: Daran glaube ich in der Tat. Wo treten Sie denn konkret für Steuererleichterungen ein? Blocher: Auf allen Ebenen - in Bund, Kantonen und Gemeinden. In den Kantonen zum Beispiel fordern wir die Abschaffung der Erbschaftssteuer. Im Kanton Zürich haben wir die letzte Steuerfusserhöhung erfolgreich verhindert; auch begrenzen wir hier nicht mehr das Defizit, sondern die Ausgaben. Auch die Einkommens- und Vermögenssteuern, die Mehrwertsteuer, die Abgaben und Gebühren - die Krankenkassenprämien beispielsweise - müssen sinken. Das betrifft alles die Bürger. Wie sieht es mit der Besteuerung der Unternehmen aus? Blocher: Wenn wir die Steuerfüsse senken in Gemeinden und Kantonen, trifft dies die Unternehmen natürlich auch. Zudem haben wir das Unternehmenssteuerrecht revidiert. Obwohl wir von der SVP grössere Entlastungen für die Unternehmen wollten, lassen wir den Kompromiss jetzt einmal sein. Aber im Grunde müssten wir für die Unternehmen grössere Steuererleichterungen erreichen. Steuersenkungen vergrössern primär das Defizit. Blocher: Steuersenkungen führen nur im ersten Moment zu weniger Einnahmen für den Staat. Wenn den Privaten mehr bleibt, wird mehr investiert, gekauft, produziert. Es entstehen Arbeitsplätze. Tiefere Steuersätze führen zu höheren Einnahmen, längerfristig verschwindet das Defizit. Parallel dazu muss der Staat natürlich die Ausgaben senken - zum Beispiel beim Asylwesen, das uns 1,3 Milliarden Franken kostet. Oder bei der Krankenkasse. Das Prinzip der Eigenverantwortung gehört zu unseren Schwerpunkten für die nächsten Wahlen - neben der Unabhängigkeit des Landes und der Sicherheit des Bürgers. Müssen wir wieder mit Stiefel-, Ungeziefer- und Messerstecherinseraten rechnen? Nächstes Jahr sind ja auch Wahlen in Zürich. Blocher: Ich weiss noch nicht, womit wir Sie überraschen können. Sie kritisieren die Revolvermethoden der USA, selber schrecken Sie vor Messerstecherinseraten nicht zurück. Blocher: Halt. Wir erpressen niemanden. Wir haben damals gezeigt, dass in der Stadt Zürich Leute niedergestochen und ausgeraubt werden. Leider Realität - und wir sprachen es aus: Das haben wir den Linken und Netten zu verdanken. Sie gehen mit Ihren Gegnern nicht gerade schonungsvoll um. Was meint denn Ihr Bruder, Pfarrer Gerhard Blocher, zu Ihrem Stil? Blocher: Vielleicht bin ich manchmal tatsächlich unzimperlich. Aber mein Bruder Gerhard findet, ich sei eher zu anständig. So ist er zum Beispiel der Meinung, wenn man merkt, dass ein Bundesrat lügt, müsse man ihm das ins Gesicht sagen. Aber ich habe immer Angst vor Revolutionen. Die sind noch immer schief gegangen. Wenn ich mit einem Bundesrat diskutiere, dann rede ich nicht mit Moritz Leuenberger, Flavio Cotti oder Kaspar Villiger - sondern mit einer Institution. Und ich habe Hemmungen, eine Institution brutal vom Sockel zu reissen, selbst dann, wenn sie es vielleicht verdient hätte. Wenn Sie über Kriminalität und Asylbewerber politisieren, bringt sich die SVP Zürich und Sie im Speziellen immer wieder in die Nähe der Fremdenfeindlichkeit. Blocher: Ja, das ist eine Gefahr. Darum spricht niemand diese Themen gern an. Wir auch nicht. Wie bitte? Die SVP bekämpfte das Kontaktnetz für Kosovo-Albaner in Zürich mit fragwürdigen Plakaten: Wer daran vorbeifährt, liest nur "Kosovo-Albaner Nein". Das ist fremdenfeindlich. Blocher: Nein, das glaube ich nicht. Das Kontaktnetz für Kosovo-Albaner ist fragwürdig - die Stadt Zürich geht das Problem falsch an, indem sie auch für Leute, die nicht bleiben können, Integration postuliert. Wer an Leib und Leben bedroht ist, soll bleiben. Aber die illegal Eingewanderten können nicht bleiben. Das gilt auch für den Bosnien-Konflikt. Wie bitte? Blocher: Bosnier sind heute in ihrem Heimatland nicht mehr bedroht, also müssen sie heimkehren. Das Schweizer Volk hat dies im Asylgesetz so entschieden. Sie nehmen immer wieder Bezug auf "das Schweizer Volk". Als ob Sie den Willen der Bevölkerung immer ernst nehmen würden: 1994 zum Beispiel haben die Stimmbürger Ja gesagt zur Einführung der LSVA, die Sie jetzt mit allen Mitteln bekämpfen. Blocher: Ich bekämpfe nicht die LSVA, sondern diese Steuer in dieser Höhe. Der Verfassungsartikel will die bestehende Abgabe durch eine leistungsabhängige Abgabe ersetzen - aber nur so weit sie dazu dient, die Strassenkosten zu decken. Das ist eindeutig. Was geschieht jetzt? Jetzt geht man weit darüber hinaus. Das entspricht nicht dem Verfassungsartikel. Bei der Ablehnung der LSVA kann auch der Alpenschutzartikel nicht umgesetzt werden, obwohl das Volk ihm zugestimmt hat. Da wettern Sie gegen das Volk, das Sie sonst so hoch loben. Blocher: Die Alpenschutzinitiative will den Transitverkehr von Grenze zu Grenze auf die Bahn verlagern. Das ist sinnvoll. Aber was tun wir? Jetzt will der Bundesrat die 40-Tönner ganz Europas zulassen - auf der Strasse! Und wir Schweizer, die den Inlandverkehr gar nicht auf die Schiene bringen können, zahlen diese horrende Steuer! Die LSVA ist keine Steuer. Der Ertrag wird vor allem für die Neat und die Bahn 2000 gebraucht. Blocher: Die LSVA ist eine Steuer, mit der eine überrissene Neat finanziert werden soll: eine Neat mit zwei Röhren, die wir nicht brauchen können, weil sie nicht benutzt werden und neue Defizite verursachen. Am 27. September steht die LSVA-Abstimmung an, dann folgt die Abstimmung über Bau und Finanzierung der Neat am 29. November. Lehnt das Stimmvolk nur eine der beiden Vorlagen ab, gibt es kein Landverkehrsabkommen mit der EU, und die bilateralen Verhandlungen wären auf Jahre hinausgezögert. Freuen Sie sich schon auf den Abstimmungsherbst? Blocher: Ich bin nur dagegen, dass wir die Verhandlungen mit der EU zu jedem Preis abschliessen. Wie wir Sie kennen, werden Sie auf jeden Fall das Referendum gegen die bilateralen Verhandlungen ergreifen. Blocher: Nicht in jedem Fall. Sehen Sie, wir haben beim Verkehr zwei verschiedene Konzepte. Die Schweiz will die Lastwagen auf die Schiene, die EU auf die Strasse bringen. Da können wir tausend Jahre verhandeln, diese Konzepte lassen sich nicht vereinbaren. Am Schluss wird einer über den Tisch gezogen - mit der LSVA ist es die Schweiz. Und schliesslich haben wir noch ein zweites Dossier, den freien Personenverkehr. Hier sind die Details noch offen. So wie es aussieht, kommen Kosten von über eine Milliarde Franken an Sozialleistungen auf uns zu. Wenn das Gesamtpaket wirklich so schlecht rauskommt, muss ich das Referendum ergreifen. Sie argumentieren immer in der Ich-Form. Hand aufs Herz: Eigentlich betrachten Sie sich schon als Kopf der SVP. Blocher: Nein, hier rede ich nicht im Namen der SVP. Wir haben in der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) beschlossen, im Falle eines unbefriedigenden Abschlusses das Referendum zu ergreifen. Sagen wir es so: Sie sind der Meinungsführer der Partei. Blocher: Die SVP ist heute viel mehr auf meiner Linie, als dies früher der Fall war. In den ersten Jahren der SVP habe ich viele Niederlagen erlitten. Ich bekleide aber kein einflussreiches Amt. Es muss auch niemand Angst haben, dass ich ein solches anstrebe. Sie bringen Ihre Partei immer wieder in Verlegenheit. So hat SVP-Präsident Ueli Maurer Bundesrat Cotti für seine führungslose Aussenpolitik massiv attackiert. Sie hingegen haben den Bundesrat für seine Standhaftigkeit in der Holocaust-Debatte gelobt. Blocher: Nur dafür, dass er mit Zahlungen nicht nachgegeben hat. Herr Maurer als Präsident kann machen, was er will. Ob der Bundesrat früher oder später eine Pressekonferenz zum Bankenvergleich machen soll, ist für mich nur ein Detail. Vielleicht wollte sich Herr Maurer innerhalb der Partei lediglich ein bisschen mehr Gehör verschaffen. Blocher: Das glaub ich nicht. Es ist nicht so, dass ich keine andere Meinung vertrage in der Partei. Ist die Task-Force nach dem Bankenvergleich obsolet geworden? Blocher: Wo denken Sie hin? Das wäre, als ob man bei einem Waffenstillstand die Armee heimschicken würde. Die nächsten Erpressungen werden kommen. Was hat die Task-Force denn geleistet? Blocher: Botschafter Borer ist insgesamt entschieden und klar für die Sache der Schweiz aufgetreten. Wahrscheinlich noch viel klarer als der Bundesrat. Seit 1979 sind Sie Nationalrat. Sind Sie noch nicht amtsmüde? Blocher: Amtsmüde war ich schon immer, aber ich mache meine Arbeit trotzdem und darum kandidiere ich immer wieder. 1999 zum letzten Mal? Blocher: Wenn man jemanden bringt, der es besser macht als ich, dann schon.
23.08.1998
Die vierte Erpressung wird folgen
Christoph Blocher über Globallösung und Diktaturen Interview mit der SonntagsZeitung vom 23. August 1998 Christoph Blocher bleibt hart: An der Globallösung, so der SVP- Politiker, sollten sich keine "seriösen" Firmen beteiligen. Interview: Niklaus Ramseyer Herr Blocher, die Nationalbank leistet keinen Beitrag an die Globallösung, welche die Schweizer Grossbanken mit Sammelklägern aus den USA ausgehandelt haben. Was sagen Sie dazu? Christoph Blocher: Das war der einzig mögliche und richtige Entscheid. Es war schon ein Fehler, dass die Nationalbank 100 Millionen in den Holocaust-Fonds einzahlte. Die Nationalbank hat mit dem Washingtoner Abkommen von 1946 alle ihre Fehler und Unsorgfältigkeiten während des Zweiten Weltkriegs abgegolten. Firmen wie Novartis hingegen wollen sich an der Globallösung beteiligen. Blocher: Auch das finde ich falsch. An diesem Deal sollte sich keine seriöse Firma beteiligen. Und wenn eine Firma von der Notlage der Juden in Hitler-Deutschland profitiert oder Zwangsarbeiter ausgebeutet hatte? Blocher: Auch dann kann eine Firma sich nicht einfach mit einem Beitrag an die Globallösung freikaufen. In einem Rechtsstaat muss festgestellt werden, wem ein solches Unternehmen Unrecht getan hat und dann müssen diese Opfer entschädigt werden - im Rahmen des Rechts. Ihr Konzern macht in den USA rund 150 Millionen Jahresumsatz. Hätten Sie im Boykottfall darauf verzichten können? Blocher: Natürlich wäre dies auch für uns sehr schmerzhaft. Aber wenn es gegen meine Firma erpresserische Sammelklagen gäbe, würde ich mir einen Rückzug aus dem Produktionsstandort USA überlegen - ich bin darauf vorbereitet. Machen Sie denn bei juristischen Streitigkeiten nie eine Kosten-Nutz-Rechnung und sind zu einem Vergleich bereit? Blocher: Einen Vergleich zu machen ist nichts Ehrenrühriges. Auf erpresserische Forderungen eingehen darf man hingegen nie. In jedem Land der Welt - ausser in den USA - würde die Art und Weise, wie dieser Deal von den amerikanischen Kreisen erzwungen wurde, als Erpressung bezeichnet. Die Schweizer Grossbanken haben Fehler gemacht und müssen darum jetzt bezahlen. Blocher: Ich bin auch der Meinung, dass vollumfänglich wieder gutmachen muss, wer Unrecht begangen hat. Genau darum geht es doch bei der Globallösung, die den Sammelklägern zugute kommt. Blocher: Eben nicht. Ich habe nämlich die unterschiedlichsten Begründungen gehört für diese Milliardenzahlung. Herr Gut von der CS-Bank sagte etwa, es sei ein Geschenk. Firmen haben jedoch keine Geschenke zu verteilen, das ist in dieser Grössenordnung auch gar nicht erlaubt. Dann habe ich gehört, das sei eben der Preis, um sich den Zugang zum US-Markt zu sichern. Dass unter zivilisierten Ländern gegenseitig ein Zutrittspreis zum Markt entrichtet werden müsste, wäre mir allerdings sehr neu. Also überhaupt kein Grund für diese Globallösung? Blocher: Moment. Eine dritte Begründung hat mir halbwegs eingeleuchtet. Sie heisst: Die Banken haben Unrecht getan jetzt müssen sie Genugtuung leisten. Genugtuung leistet man in einem Rechtsstaat nur jenen, denen Unrecht geschehen ist und nicht einem zufälligen Erpresser, der herausgefunden hat, dass man Fehler gemacht hat und mit Boykotten droht. Ihre Kritik an den Banken erstaunt immer wieder. Könnte es sein, dass Sie einfach immer noch verärgert sind wegen Ihres Streites mit der damaligen SBG, die Sie aus dem Verwaltungsrat geworfen hat? Blocher: (lacht) Wo denken Sie denn hin. Ich bin nicht gegen Banken, aber gegen Erpressungen. Seit Herbst 1996 weise ich auf die Gefahren der Erpressung hin. Vor dem nächsten Holocaust-Fonds warnte ich, weil ich sah, die nächste Erpressung wird folgen. Es war die Solidaritätsstiftung. Da verliess ich den Nationalratssaal und sagte, der Bundesrat habe den Kopf verloren. Und jetzt ist dieser Deal von New York die dritte Erpressung. Die vierte wird folgen. Soll die Bergier-Kommission weiterarbeiten? Blocher: Ja. Aber sie soll sich auf das Problem der nachrichtenlosen Vermögen beschränken. Diese Kommission ist jedoch problematisch, weil nur diktatorische Staaten ihre Geschichte von Staates wegen aufarbeiten lassen. In freiheitlichen Staaten sollte das dem freien Schaffen der Historiker überlassen bleiben. Auch wenn diese Historiker die Archive Ihrer EMS-CHEMIE durchforschen möchten? Blocher: (lacht) Sie sind in unseren Archiven ja schon lange drin. Unsere Firma wurde 1939 gegründet und hatte damals noch eine staatliche Beteiligung. Solche historische Forschung ist interessant und wichtig. Wie beurteilen Sie das Verhalten des Bundesrates in Zusammenhang mit der Globallösung? Blocher: Er hat sich im letzten Jahr sehr standhaft verhalten. Da muss ich ihn rühmen.
20.08.1998