Articles

Mandat de Conseiller Fédérale

27.05.2006

150 Jahre Oestlicher Cavallerie-Verein

Jubiläumsansprache von Bundesrat Christoph Blocher 27. Mai 2006, in Wil SG 27.05.2006, Wil SG Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Eine persönliche Erinnerung Lassen Sie mich mit einer persönlichen Erinnerung und einer persönlichen Bemerkung beginnen. Wie ja einige von Ihnen wissen, habe ich nach meiner obligatorischen Schulzeit eine Ausbildung zum Bauern absolviert. Sie ist bis heute (bis und mit Bundesrat) der einzige „ordentliche“ Beruf geblieben, den ich gelernt habe. Während meiner Ausbildung zum Landwirt schätzte ich ein Privileg besonders: Die Arbeit mit den Pferden und – in meiner spärlichen Freizeit – vor allem das Ausreiten, der Reitsport. Es war ein spezielles Vergnügen, diese Kraft des Pferdes einerseits in Arbeit oder dann in der Form der Fortbewegung umzusetzen. So entstand bei mir auch der verständliche Wunsch, im Militärdienst der Kavallerie beizutreten. Was sich als gar nicht so einfach erwies. Denn die Kavallerie war so konzipiert, dass der Dienstleistende ausserhalb der Militärzeit für das Pferd zu sorgen hatte. Das heisst, er hatte für Unterbringung, Pflege und Fütterung zu schauen. So war es wenig erstaunlich, dass vor allem Bauernsöhne der Kavallerie angehörten. Da ich zwar Bauer war, aber ohne eigenen Hof dastand, lehnte das Militär meinen Antrag ab. Trotz meines Versprechens, ich würde das Ross an einem geeigneten Ort platzieren – es blieb bei einem Nein. Sie sehen, ich bin knapp daran gescheitert, Kavallerist zu werden. Sonst würde ich heute hier vielleicht sogar als Mitglied Ihres Vereins sprechen. Trotz der Enttäuschung bin ich aber damals meiner Pferdeleidenschaft treu geblieben. Denn ich konnte ein Pferd ausreiten, das nicht mir, aber einem Studienkollegen gehörte. Dieser war zwar auch kein Bauernsohn, hatte aber einen reichen Vater, der ihm die Haltung ermöglichte. Der damalige Kollege war der spätere Filmemacher Markus Imhof. Die einen oder anderen unter Ihnen werden seinen Namen kennen. Imhof, der vor allem als Regisseur des Flüchtlingsdramas „Das Boot ist voll“ bekannt wurde, begann seine Karriere mit Dokumentarfilmen. Dazu gehörte auch sein Werk über die berittenen Truppen, das er nach dem Namen und der Nummer seines Pferdes „Ormenis 199+69“ nannte. Dieser Dokumentarfilm wurde zum regelrechten Skandal, weil er ein ziemlich kritisches Bild über die Kavallerie entwarf und darin die Frage aufgeworfen wurde, ob die Dragoner überhaupt noch zeitgemäss seien. Die Premiere fand 1970 statt, just als die Heeresleitung über die Abschaffung der Reitertruppen diskutierte. Pikanterweise wurde Imhof bei der Realisierung seines Films von den Kavallerieverbänden finanziell unterstützt, die entsprechend sauer auf das Endprodukt reagierten. Sie erwirkten sogar ein Aufführungsverbot. (Ich habe vor drei Jahren die Tellaufführung auf dem Rütli gesponsert. Ich kann Ihnen versichern, dass ich auch sauer geworden wäre, hätte in der Hohlen Gasse plötzlich Gessler den Tell erschossen, statt der Freiheitskämpfer Tell den Tyrannen.) 2. Eine persönliche Bemerkung Das ist die persönliche Erinnerung. Erlauben Sie mir jetzt noch eine persönliche Bemerkung. Ich habe die teilweise heftigen Auseinandersetzungen rund um den Dokumentarfilm Imhofs erwähnt. 1973 wurde die Kavallerie dann tatsächlich aufgelöst. Die Gründe dafür sind bekannt: Einerseits die Kosten und vor allem fehlte die Einsicht in den militärischen Nutzen von berittenen Truppen. Man hielt sie für eine überholte, eher folkloristische Ausprägung des Schweizer Wehrwillens. Der schnelle Fortschritt in der Waffentechnologie liess die Pferde als überflüssig erscheinen. Das mag auf den ersten Blick schon zutreffen. Natürlich macht es keinen Sinn zu Pferd Panzerbrigaden anzugreifen, wie das die polnische Armee noch im Zweiten Weltkrieg versuchte. Aber gerade die letzten Jahre zeigten, dass der Kleinkrieg mit teilweise – ich sage jetzt einmal – primitiven Waffen eine Wiedergeburt feiert. In den unwegsamen Gebieten Afghanistans oder Pakistans gehört das Pferd zur Ausrüstung von terroristischen und rebellischen Bewegungen. Denn es bildet einen Gegenentwurf zur hochgerüsteten Militärtechnologie. Der Kleinkrieger setzt auf seine Stärken: auf die Beweglichkeit, Unscheinbarkeit, Unabhängigkeit, auf lokale Kenntnisse – und der Kleinkrieger nützt die Schwächen des Gegners aus. Seine Militärtechnologie ist sicher sehr effizient – solange sie funktioniert. Die enge Vernetzung macht sie aber auch angreifbar. Darum sollte man schon in der Planung vermeiden, verwundbare Zentren zu schaffen, von denen die ganze Verteidigung abhängig ist. Dezentralisierung, Verantwortung von unten, höchste Flexibilität heissen die zeitgemässen Antworten. Sie merken, dass die zeitgemässen Antworten gar nicht so viel anders sind als in den Jahren der Gründung Ihres Verbandes. Es gibt eben Grundsätze, die Bestand haben. Nun, ich will an diesem Festtag nicht über mögliche Kriege und Bedrohungen sprechen. Ich will Ihnen ja auch nicht vorsätzlich die gute Laune verderben. Und doch gilt es festzuhalten, dass ihr Verband ohne seine militärische Vergangenheit in der heutigen Form undenkbar wäre. Das werden wir bei der historischen Würdigung noch sehen. Wir sind alle dankbar, dass Sie Ihre Arbeit in den letzten Jahren anders ausrichten konnten: Der Ostschweizer Kavallerieverband nimmt eine zentrale Funktion ein, wenn es um die Förderung und Ausbildung im Reitsport geht. Sie stellen kompetente Instruktoren. Sie bilden Vereinstrainer und Fachpersonal aus. Sie veranstalten Wettkämpfe und jährliche Wettbewerbe. Sie stellen ein breites Angebot von Kursen für Interessierte zusammen. Das ist viel Arbeit und viel Engagement. Was beides nicht selbstverständlich ist. Auch dafür gebührt Ihnen Dank und Anerkennung. 3. Aus Eigeninitiative entstanden Mit rund 20'000 aktiven Pferdesportfreunden stellt der Verband Ostschweizerischer Kavallerie- und Reitvereine die grösste Sektion in der Schweiz. Gegründet wurde der OKV vor 150 Jahren. Damals galt sein Hauptziel der Etablierung von Reitertruppen in der Schweizer Armee. Ausserdem wollte er deren Ausbildung fördern, auch ausserhalb der Dienstzeit. Man hatte festgestellt, dass die Reiterei je nach Gegend sehr unterschiedlich ausgerüstet war und da die Tiere meist nur für die Feldarbeit eingesetzt wurden, mussten zahlreiche Pferde für ungeeignet erklärt werden. Manche waren nicht einmal zugeritten. Man erkannte also die allgemeinen Missstände in der Reiterei. Es zeugt vom typisch schweizerischen Selbstverständnis, dass man sich umgehend zu organisieren begann und die Verbesserung der Zustände selber in die Hand nahm. Eigeninitiative hiess das Gebot der Stunde. Mit den zahlreichen Reitvereinen sollte das Niveau und damit auch die Wehrfähigkeit der Kavalleristen gefördert werden. Ich habe es bereits erwähnt, einen Dragoner oder eben „Eidgenoss“ konnte sich nicht jeder „leisten“. Nur unterschied sich die Schweizer Milizarmee dabei von anderen, ausländischen Truppen. Während etwa im habsburgischen Österreich oder in der preussischen Armee vor allem Adelige in der Kavallerie dienten, prägten bei uns die Bauernsöhne die Reitertruppen. Allerdings waren die Reittruppen immer so etwas wie ein Stiefkind in der Bewaffnung. Das hatte durchaus historische Gründe. Schliesslich waren es die alten Eidgenossen, die mit ihren wendigen Fussheeren und ihren Langspiessen das Kriegswesen im Spätmittelalter revolutionierten. Mit ihrer neuen Taktik und Bewaffnung knackten sie die schwerfälligen Reiterheere der Adeligen und bereiteten ihnen blutige Niederlagen. Ausserdem verbanden die alten Schweizer die Reiter nicht zu Unrecht mit den ihnen verhassten Rittern. Erst als die berittenen Einheiten der Tagsatzungsarmee unter General Dufour im Sonderbundskrieg 1847 zu überzeugen vermochten, fand hier ein Umdenken statt. 4. Hohe Kosten In der Schweiz gibt es bekanntlich erst seit 1848 eine gemeinsame Armee. Früher war die Ausrüstung, Ausbildung und das Stellen von Kontingenten Sache der Kantone. Davon erzählen auch die vielen Zeughäuser in den Städten und auf der Landschaft. In der neuen Bundesverfassung wurde nun festgehalten: Artikel 18: Jeder Schweizer ist wehrpflichtig. Artikel 19: Das Bundesheer, welches aus den Kontingenten der Kantone gebildet wird, besteht: a) aus dem Bundesauszug, wozu jeder Kanton auf 100 Seelen schweizerischer Bevölkerung 3 Mann zu stellen hat… Artikel 20: Um in dem Bundesheere die erforderliche Gleichmässigkeit und Dienstfähigkeit zu erzielen, werden folgende Grundsätze festgesetzt: 1. Ein Bundesgesetz bestimmt die allgemeine Organisation des Bundesheeres. 2. Der Bund übernimmt: a) den Unterricht der Genietruppen, der Artillerie und der Kavallerie, wobei jedoch den Kantonen, welche die Waffengattungen zu stellen haben, die Lieferung der Pferde obliegt. Wenn hier von „Lieferung der Pferde“ gesprochen wird, dann wird vor allem die Frage der Finanzierung unterschlagen. In dieser Zeit hatte jeder Dragoner sein Pferd sowie einen grossen Teil seiner Ausrüstung selber zu stellen. Das erklärt auch die geringe Zahl der Kavalleristen. Das System der Bundespferde oder eben „Eidgenossen“ lag damals noch in weiter Ferne. Die hohen Kosten einer schlagkräftigen Reitertruppe stiessen in der föderalen Schweiz auf Ablehnung. Erst die Einführung der Bundespferde schuf hier Abhilfe. Ausserdem wurden die Dragoner so zum wohl ausgeprägtesten Mitglied der Miliz, weil sie ja verpflichtet wurden, die Dienstpferde jeweils nach Hause zu nehmen. Mit Recht wird in Ihrer Jubiläumschronik darauf hingewiesen, dass dies für die Armee auch eine Verpflichtung bedeutete: Sie musste sich das Wohlwollen der Vereine und Verbände sichern, weil diese wegen ihrer breiten gesellschaftlichen Verankerung ein hohes politisches Mobilisierungspotenzial besassen. Man kann diese Rücksicht für schädlich halten. Ich erachte sie für äusserst positiv. Es war immer ein Plus der Milizarmee, dass sie von Menschen geprägt wurde, die sonst in einer ganz anderen Lebenswelt standen. Dieser Umstand führte zu einem wohltuenden Ausgleich zwischen zivilen und militärischen Interessen. 5. Die Bedeutung der Vereine Dass sich 1856 die Reitfreunde in Vereinen zusammenfanden, entsprach dem Geist der Zeit, speziell dem Geist der Schweizer. Es gibt kaum ein Land, das eine derart grosse Vereinsdichte aufweist wie das unsrige. Laut einer Umfrage bezeichnen sich 41 Prozent der Befragten als aktives Mitglied eines Vereins. Allein im 19. Jahrhundert wurden schätzungsweise 30'000 bis 50'000 Vereine gegründet (und zwar ohne die lokalen Sektionen der grossen kantonalen oder gesamtschweizerischen Verbände). Bekannt sind die vielen Musikvereine, Chöre, Schützen- und Sportvereine. Die Vereine bildeten ein wichtiges Rückgrat für den Bundesstaat, der 1848 entstehen sollte. Denn die gemeinsamen Feste, die nationalen Anlässe, die eidgenössischen Wettkämpfe stärkten den Zusammenhalt und förderten die patriotische Gesinnung. In diese Tradition reihten sich auch die Kavallerievereine ein, denen es ja besonders um die Stärkung des Wehrwillens ging. Sie stehen in dieser Tradition. Ein intaktes Vereinswesen zeugt von einer intakten Gesellschaft. Wo sich die Bürger freiwillig zusammen tun, sich aus Eigeninitiative organisieren, wo mit jungen Menschen gearbeitet wird (sei es im Sport oder in der Musik), wo Frauen und Männer sich engagieren und ihre Freizeit dafür hergeben – dort wirkt die gelebte Gemeinschaft im Kleinen. Und das ist das Entscheidende. Wir sehen, wie der Zusammenhalt in den Dörfern und auf dem Land noch funktioniert und dass diese Bindungen sich in alle Bereiche des Zusammenlebens positiv auswirken. Seit 150 Jahren arbeitet Ihr Verband in diesem Sinn. Und ich hoffe, Sie werden noch lange in diesem Sinn weiterarbeiten. Herzliche Gratulation zu Ihrem Jubiläum.

22.05.2006

Der Unternehmer, die Schweiz und Europa – Ein dreifacher Sonderfall

Rede von Bundesrat Christoph Blocher vor dem Schweizerisch-Deutschen Wirtschaftsclub, am 22. Mai 2006 in Frankfurt am Main 22.05.2006, Frankfurt am Main Frankfurt am Main, 22.05.2006. Bundesrat Christoph Blocher berichtet vor dem Schweizerisch-Deutschen Wirtschaftsclub in Frankfurt am Main über seinen Werdegang, seine Erfahrungen als Unternehmer in der Politik, über die Besonderheiten des schweizerischen Politsystems und die Stellung unseres Landes in Europa. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Kein Unternehmer von Geburt Die Veranstalter des heutigen Anlasses haben mich gebeten, über meinen Werdegang zum Unternehmer und vom Unternehmer zum Politiker zu berichten. Das Interesse zeigt mir, dass es sich offenbar um eine ziemlich exotische Karriere handeln muss. Tatsächlich werden selten mittellose Pfarrerssöhne Eigentümer eines weltweit tätigen Konzerns. Selten sind weltweit tätige Unternehmer in der Politik aktiv. Und selten verkauft ein Unternehmer seine Firma seinen Kindern, um in der Regierung Einsitz zu nehmen. Dass Unternehmer in der Schweiz aber auch auf parlamentarischer Ebene wirken können und es mehr solche gibt als in vergleichbaren Ländern, hat mit der Besonderheit der Schweiz zu tun. Damit habe ich über drei Sonderfälle zu berichten: Über den Sonderfall Unternehmer, den Sonderfall Schweiz als politisches System und über den Sonderfall der Schweiz in Europa. Wenn ich jetzt von „Sonderfall“ spreche, möchte ich gleich anfügen, dass die Bezeichnung keine Wertung beinhaltet, sondern nur einen Umstand beschreibt, dem wir selten begegnen. Ein Sonderfall weicht ab vom Normalen. Er ist deshalb etwas Besonderes oder etwas Abnormales! Wie Sie wissen, gehören die Unternehmer einer eher kleinen Gruppe innerhalb der Gesellschaft an. Der Unternehmer an sich ist also schon ein Sonderfall von einem Menschen. Bei mir kann man sogar von einer glücklichen „Verirrung“ sprechen: Was die familiären Voraussetzungen betrifft, würde es kaum verwundern, wenn ich Schulmeister oder Theologe geworden wäre. Denn ich bin, wie bereits erwähnt, in einem protestantischen Pfarrhaus mit 10 Geschwistern aufgewachsen. Mein Sinn für die Wirklichkeit und somit für das Greifbare, Sichtbare und folglich auch Machbare war jedoch schon sehr früh sehr ausgeprägt, so dass mich die berufliche Betätigung in der geistigen Welt des Pfarrhauses nicht anzog. Erklären kann und muss ich mir diese Veranlagung nicht. Jedenfalls begann ich unmittelbar nach der obligatorischen Schulzeit mit einer Ausbildung zum Bauern. Ich bin also ein gelernter Landwirt. Das ist mein erster und bis heute einzig richtiger Beruf. Erst danach holte ich im zweiten Bildungsweg die Matura (vergleichbar mit dem deutschen Abitur) nach, studierte Jurisprudenz und doktorierte über das Bodenrecht. Da mein Vater zwar über viel Literatur, aber wenig Kapital verfügte, war es mir nicht möglich, einen Bauernhof zu erwerben. Das war mit ein Grund, mich doch noch für den universitären Weg zu entscheiden. Die einfachen Verhältnisse zwangen mich auch, die späteren Schulen als Werkstudent zu absolvieren. Wobei die Formulierung jetzt negativer klingt, als es tatsächlich war. Schliesslich lernte ich durch diese Tätigkeit meinen späteren Arbeitgeber kennen. Dies war insofern schicksalhaft, als ich dieses Unternehmen, das in miserablem Zustand war, fast ausschliesslich mit Bankkrediten kaufen konnte – und zwar deshalb, weil das Unternehmen niemand sonst in der Schweiz wollte. Ich führte dann während rund zwanzig Jahren das Unternehmen EMS Chemie. Die Firma – die ich 2003 vor dem Eintritt in die Regierung an meine Kinder verkaufte – beschäftigt heute rund 3’000 Mitarbeiter, erzielt einen Jahresumsatz von ca. 1,2 Milliarden Franken, verkauft über 90 Prozent ihrer Produkte ins Ausland und gilt – im Vergleich zur Konkurrenz – als überdurchschnittlich ertragsreich. Die EMS AG ist vor allem in der Entwicklung und Herstellung von polymeren Werkstoffen tätig. 2. Ein Unternehmer in der Politik Man betreibt in der Schweiz die Politik im Nebenamt. So engagierte ich mich von Anfang an als interessierter Bürger und aktiver Unternehmer gleichzeitig: Nämlich vier Jahre als Gemeinderat (kommunale Exekutive), dann fünf Jahre im Parlament des Kantons Zürich (kantonale Legislative) und schliesslich vierundzwanzig Jahre im Nationalrat (vergleichbar mit dem Bundestag). Es ist klar, dass politisches Engagement und Unternehmertum eine doppelte Beanspruchung bedeuten. Darum ist die Zahl von Unternehmerpersönlichkeiten in der Politik eher gering. Aber der Nutzen Unternehmer/Politiker liegt in dieser oft fast unerträglichen Doppelbelastung. Wie anders könnte der Unternehmer seine wertvolle Erfahrung und Unabhängigkeit in die Politik einbringen? Und wie die politischen Gesetzmässigkeiten in die Wirtschaft einfliessen lassen, wenn er nicht gleichzeitig Unternehmer und Politiker wäre? Oft wird die Frage gestellt: Sind Unternehmer überhaupt gute Politiker? Können sie es überhaupt? Da gab es schon vor meiner Wahl in den Bundesrat die wohlmeinende Stimme eines Politologieprofessors, der warnend anmerkte, Wirtschaft und Politik seien dann zwei Paar unterschiedliche Schuhe und man müsse nicht meinen, wer das eine könne, beherrsche auch das andere Metier. Nun, dieser Professor weiss, wovon er spricht. Er hat Zeit seines Lebens nie ein politisches Amt ausgeübt, war nie im Wirtschaftsleben und hat nie auch nur einen Bleistift selber verkaufen müssen. Wie auch immer. Ich war Unternehmer, Nationalrat, absolvierte jedes Jahr drei Wochen Militärdienst bis ich 55 Jahre alt war, zuletzt im Range eines Oberst, als Regimentskommandant. Aussergewöhnlich schien, dass ich im Dezember 2003 EMS an unsere Kinder verkaufte, um am 5. Januar 2004 in die Schweizer Regierung einzutreten, denn ich wurde zum Bundesrat gewählt. Nach 24 Jahren Nationalrat, in welchen ich zunehmend gegen mehr staatliche Tätigkeit, gegen Steuererhöhungen und für die Wahrung der schweizerischen Unabhängigkeit eintrat, bin ich nun also Mitglied der siebenköpfigen Landesregierung. 3. Der Grundsatz muss stimmen Wer führen will, muss entscheiden. Wer entscheiden will, muss frei sein. Wer frei sein will, muss delegieren. Wer delegieren will, braucht Übersicht. Wer die Übersicht behaupten will, darf sich vom täglichen Kleinkram nicht auffressen lassen. Das gilt überall, wo man führen muss. Sei es im Unternehmen, sei es im Staat. Die schweizerische Verwaltung läuft bestens und vollständig autochthon. Wer will, kann sich in die Verwaltung versenken wie in ein warmes Bad. Termin folgt auf Termin, Sitzung reiht sich an Sitzung, ein Auftritt jagt den nächsten und in zehn Minuten beginnt schon wieder eine Besprechung. Es war also meine dringendste und wichtigste Aufgabe, mich freizuschaufeln, um der bürokratischen Maschinerie zu entkommen. Nur so entsteht der nötige Raum für Führung und Entscheidung. Ein Unternehmer analysiert permanent die Situation, die Konkurrenz, die eigene Arbeit und sucht mit seinen Leuten nach den besten Lösungen. Dann liegt es an ihm, Entscheidungen zu treffen und diese auch durchzusetzen. Sofern das Unternehmen gesund ist, haben alle Beteiligten das gemeinsame Ziel, den einmal getroffenen Entscheid mitzutragen und die Unternehmung zum Erfolg zu führen. In der Politik ist das nicht immer so. Viele Beteiligte sind nicht unbedingt an der besten Lösung interessiert. Das ist mitunter schwer nachvollziehbar, aber es ist so. Schliesslich geht es auch um den Faktor Macht und um den Faktor Mensch in der Politik. Umso wichtiger ist es, dass man sich über das Grundsätzliche im Klaren ist. Ich bin in einem liberalen, freiheitlichen Fundament verankert, das Erfolg und Eigenverantwortung fördert. Nur dieser Weg führt uns weiter. Davon bin ich überzeugt und darum versuche ich dies durchzusetzen. Wer glaubt, mit mehr Staat, mit letztlich sozialistischen Rezepten für mehr Wohlstand und Arbeit zu sorgen, der ist auf dem Holzweg. Der Wohlfahrtsstaat arbeitet strukturell ineffizient, weil er Erfolg mit Steuern und anderen Abgaben belastet, Misserfolg aber durch Transferzahlungen und Subventionen belohnt. Das zeigt nicht nur der Niedergang des Ostblocks, sondern das zeigen auch aktuelle Beispiele westeuropäischer Staaten, deren „Soft-Sozialismus“ (Robert Nef) die Volkswirtschaft schleichend erodieren lässt. Wer das nicht erkennt, hat die Weltgeschichte verschlafen. 4. Der dreifache Sonderfall Aufgrund der thematischen Vorgaben habe ich für heute einen Referatstitel gesetzt, der die spezielle Ausgangslage wie folgt zusammenfasst: „Der dreifache Sonderfall. Der Unternehmer, die Schweiz und Europa.“ Wie gesagt: Der Unternehmer an sich ist ja bereits ein seltenes Exemplar in der Gesellschaft. Unternehmer, die in die Politik wechseln, sind noch seltener. Warum das aber in der Schweiz etwas häufiger vorkommt als in anderen Ländern, hat mit unserem politischen System zu tun – womit wir beim zweiten Sonderfall wären: Das politische System in der Schweiz. Die Schweiz ist föderalistisch aufgebaut, damit ist auch der Aufbau von unten nach oben gemeint. Der Föderalismus schafft derart kleinräumige Strukturen, dass in unserem Land vieles auf der Milizbasis ausgeübt werden kann. Oder etwas weniger theoretisch ausgedrückt: Der Schweizer Parlamentarier ist durchwegs ein Feierabendpolitiker, selbst auf nationaler Ebene. Wir haben kein Berufsparlament. Ein Drittel der Mitglieder unserer Fraktion in Bern – der schweizerischen Volkspartei (SVP) - sind Selbständige. Anwälte und Bauern nicht mitgezählt. Sie können mal nachrechnen, was im Deutschen Bundestag übrig bleibt, wenn Sie die Lehrer und Verbandsvertreter abzählen. Unser Milizsystem ist einer der grossen Pluspunkte. Ohne Föderalismus wäre diese Milizarbeit jedoch nicht denkbar. Ich bin schon deshalb ein grosser Anhänger des Föderalismus. Ich weiss, dass in Deutschland aktuell eine Debatte über die Föderalismusreform geführt wird und viele gebrauchen dabei das Wort „Föderalismus“ mit einem Gesichtsausdruck, als ob es sich um eine gefährliche Krankheit handelte. Alle, die den Zentralstaat als Alternative predigen, tun dies. Denn Föderalismus heisst nichts anderes als Dezentralisation, d.h. so viel Eigenständigkeit, so viel Eigenverantwortung wie nur möglich auf jeder politischen Stufe. Der Föderalismus ist der einzige Weg, so etwas wie Wettbewerb innerhalb eines Staates herzustellen – sofern man nicht bloss von Föderalismus schwafelt, sondern ihn auch konsequent umsetzt. Seine wichtigste Funktion ist, dass er für den Bürger Ausweichmöglichkeiten schafft. 5. Steuerwettbewerb in der Schweiz Ich kann Ihnen das am Beispiel des interkantonalen Steuerwettbewerbs in der Schweiz verdeutlichen. Kürzlich hat ein kleiner, bislang wenig beachteter Bergkanton – er hat wenig reiche Leute, ist klein und abgelegen – ein neues Steuergesetz verabschiedet. Der Clou: Dieses beinhaltet einen degressiven Steuersatz. Das heisst, je höher das Einkommen, desto geringer nicht etwa die Steuer, aber immerhin der Steuersatz. Man muss sich diesen Steuersatz allerdings in Form von Bauklötzchen vorstellen. Alle zahlen den gleichen Prozentsatz für den ersten Bauklotz, sagen wir bis ca. 100'000 Franken Steuereinkommen. Den gleichen Prozentsatz dann für 100'000 bis 200'000 Franken. Ab einem Steuereinkommen von 300'000 Franken wird der Satz für die zusätzlichen Einkommen radikal gesenkt. (Diese Zahlen sind nicht verbindlich. Sie dienen nur der Veranschaulichung.) Was Sie als Wirtschaftsvertreter zusätzlich interessiert: Der besagte Kanton Obwalden hat auch die Bestimmungen für Unternehmenssteuern überarbeitet. Eingeführt wird eine Einheitssteuer von 6,6 Prozent (bisher 16 bis 20 Prozent), die in allen Gemeinden gilt. Für Firmen wird damit – unter Einbezug der direkten Bundessteuer – eine Gesamtsteuerlast von 13,1 Prozent resultieren. Sie können sich den medialen und politischen Aufschrei kaum vorstellen, nachdem das Obwaldner Volk dieses Steuergesetz an der Urne genehmigte. „Egoistisch“ und „verfassungswidrig“ waren noch die höflichsten Kommentare. Der Protest kam vornehmlich von links und von jenen Kantonen, deren Kreativität eher darauf ausgerichtet ist, neue Einnahmequellen zu erschliessen statt die Bürger zu entlasten. Dass sich schlussendlich auch noch die EU bemüssigt fühlte, die tiefen, degressiven Steuersätze als mit dem Freihandelsabkommen unvereinbar zu erklären, war dann doch des Bösen zuviel. Was aber in diesem Fall den Protest erschwerte (und darum habe ich das Beispiel besprochen) war der Umstand, dass dieses neue Steuergesetz nicht etwa von oben verordnet, sondern durch einen Volksentscheid legitimiert wurde. Damit sind wir wieder beim zweiten Sonderfall angelangt. Weltweit einzigartig ist der direktdemokratische Aufbau der Schweiz. Das heisst: Die Bürgerinnen und Bürger können nicht nur wählen, sondern auch über Sachfragen abstimmen. In diesem Fall haben überwältigende 86% der Obwaldner Bevölkerung für dieses neue Steuergesetz votiert. Der Souverän hat entschieden. Punkt. Es ist also so, dass in der Schweiz der Bürger – und damit auch jeder Steuerzahler – über die Höhe der Staatseinnahmen bestimmen kann. Die Tatsache, dass unsere Mehrwertsteuer bei 7,6% liegt, haben wir insofern mehr dieser Kompetenz und nicht etwa der Einsicht von Politikern zu verdanken. Erst kürzlich schickten die Schweizerinnen und Schweizer eine Mehrwertsteuererhöhung von einem Prozent bachab. Und erst noch eine, die zweckbestimmt war für die populäre Alters- und Hinterbliebenenversicherung. Auch einer Mehrwertsteuererhöhung von 0,1% müsste obligatorisch die Mehrheit des Volkes und die Mehrheit der Kantone zustimmen! Sie begreifen den Unterschied, wenn sie sich erinnern, wie leicht und schnell CDU/CSU und SP nach den Wahlen einer Erhöhung um 3% Mehrwertsteuer zustimmten. Das wäre in der Schweiz unmöglich. 6. Die direkte Demokratie Die direkte Demokratie betrifft das eigentliche Wesen der Schweiz. Wenn wir vom Sonderfall Schweiz sprechen, dann ist diese Einrichtung gemeint. Die direkte Demokratie ist die Staatsform des Misstrauens. Und ich muss Ihnen gleich sagen, ich halte das Misstrauen der Bürger gegenüber den Politikern für eine Tugend, ja für eine Notwendigkeit. Mit der direkten Demokratie kann sich dieses Misstrauen eben umgehend äussern: Nämlich in der Möglichkeit, Nein zu sagen. Was schon ganz wichtig sein kann. Es ist ja bereits viel erreicht in der Politik, wenn man Unsinn verhindern kann. Man hat übrigens meine Partei öffentlich gerne als Nein-Sager-Partei abqualifiziert. Dabei zeigte das Etikett bloss, dass wir ordnungspolitisch auf Kurs blieben, wo alle anderen umfielen. Die direkte Demokratie – dazu gehört auch das Initiativ- und Referendumsrecht – fördert die Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an der Politik. Denn jeder sieht, dass es auf ihn ankommt. Insofern führt das auch zu grösserer Selbstverantwortung und Selbstverpflichtung gegenüber der res publica. Ich wäre ohne direkte Demokratie wohl kaum in die Politik gegangen, hätte die Doppelbelastung wegen zu grosser Ineffizienz nicht in Kauf genommen. Mit Referenden und Initiativen ist in grossen Fragen Einfluss zu gewinnen. Die wohl bedeutsamste Entscheidung war das Volks-Nein gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) 1992. Hätte damals der Souverän anders gestimmt, wäre die Schweiz heute wohl Mitglied der EU! 7. Die Seele der Schweiz Ich habe über den Sonderfall „Unternehmer in der Politik“ gesprochen und Ihnen dargelegt, wie speziell die Schweizer Staatsmechanik funktioniert. Somit sind wir bei der dritten Stufe angelangt: Die Schweiz in Europa. Die Schweiz ist – falls es Ihnen entgangen sein sollte – nicht Mitglied der Europäischen Union. Machen wir uns nichts vor: Diese Nichtmitgliedschaft wäre ohne die direkte Demokratie, das heisst ohne ein deutliches Nein der Schweizer Bevölkerung zum Beitritt undenkbar. Zuletzt stimmten 2001 77% gegen einen Beitritt. Umgekehrt wäre aber auch die direkte Demokratie und eine EU-Mitgliedschaft schlicht unvereinbar. Wenn ich heute also von einem dreifachen Sonderfall spreche – vom Unternehmer in der Politik, von den Besonderheiten des schweizerischen Politsystems und der Stellung unseres Landes in Europa – habe ich das Pferd eigentlich von hinten aufgezäumt. Die Schweiz, wie sie heute ist, ist nur als souveränes Konstrukt denkbar. Unsere Nichtmitgliedschaft ist keine generelle Absage an die EU als Gebilde, sondern in erster Linie ein Bekenntnis zu dem, was die Schweiz ausmacht. Ein Beitritt hätte für uns weit substanziellere Folgen als für alle anderen Staates dieses Kontinents – und ich spiele damit nicht nur auf den Wegfall des Bankgeheimnisses an. Es gibt – und das sage ich Ihnen auch als ehemaliger Unternehmer – es gibt Dinge jenseits von Angebot und Nachfrage. Die Schweiz hat ihre Rolle und auch Aufgabe als neutraler Kleinstaat in der Weltgemeinschaft gefunden. Das heisst nicht Abschottung oder Abwehr gegenüber allem Fremden. Wir zählen über 22 Prozent Ausländer. Dies stellt eine der höchsten Quoten in Europa dar. Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung hat ausländische Wurzeln. Unsere Wirtschaft ist extrem exportorientiert. Die Schweizerinnen und Schweizer sind mit der Welt verbunden, reisen, reden in verschiedenen Sprachen, wir sind ein Tourismusland – aber wir beharren auf unserer Souveränität. Oder um es auf eine Formel zu bringen: Wir sind weltoffen, ohne uns deswegen einbinden zu lassen. Auch nicht in die Europäische Union. Ich meine, dies sei zukunftsweisend! Föderalismus, Neutralität, direkte Demokratie sind für unser Land mehr als nur schmückendes Beiwerk. Diese politischen Einrichtungen bilden das eigentliche Wesen oder wenn Sie so wollen, sie bilden die Seele der Schweiz. Auf seine eigene Seele sollte aber kein Land freiwillig verzichten. Das sage ich Ihnen als Schweizer in Europa und als ehemaliger Unternehmer, der nun in der Regierung tätig ist.

20.05.2006

Blocher warnt von einem sinkenden Lebensstandard

«Bundesrat Christoph Blocher rät vom Agrarfreihandel mit der EU ab. Mit diesem Schritt sänken nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne und die Qualität.» 20.05.2006, TagesAnzeiger, Anetta Bundi und René Lenzin Sind die Schweizer Manager fähige Leute? Bundesrat Christoph Blocher: Im Vergleich zu ihren Kollegen im Ausland schneiden sie gut ab. Das zeigt sich an den Resultaten, die sie mit ihren Unternehmen vorweisen können. Dies hat vermutlich mit dem hohen Stellenwert zu tun, der in der Schweiz der Eigenverantwortung sowie zuverlässiger, seriöser Arbeit eingeräumt wird. Das wird international sehr geschätzt. Früher hat man von Ihnen kritischere Töne vernommen. In der Swissair-Krise haben Sie sich etwa lautstark über den Filz in den Chefetagen beklagt. Ist er verschwunden? Der Untergang der Swissair hat viele Firmen dazu veranlasst, die gegenseitigen Verflechtungen zu lockern. Unternehmen wie die UBS beispielsweise haben zudem fremde Beteiligungen verkauft, jüngst etwa Motor Columbus. Es ist also einiges gegen den Filz getan worden. Leider fängt es jetzt aber wieder an: Meines Erachtens haben Vertreter der Banken in den Verwaltungsräten von Firmen, denen sie Kredite geben, nichts verloren. Das gilt natürlich auch umgekehrt. Das hört Ihr Parteikollege Peter Spuhler, der als Industrieller im Verwaltungsrat der UBS sitzt, vermutlich nicht gern. Ich weiss nicht, ob es überhaupt Kredite braucht. Da es nicht mehr viele Industrielle gibt, ist er natürlich gefragt. Aber auch er muss aufpassen, dass er nicht zuviele Verwaltungsratsmandate annimmt. Mit der Aktienrechtsrevision schlagen Sie vor, dass sich die Verwaltungsräte jedes Jahr einer Bestätigungswahl stellen müssen. Hilft dies gegen Lohnexzesse? In den grossen börsenkotieten Gesellschaften besteht heute tatsächlich die Gefahr, dass sich die Verwaltungsräte und Manager auf Kosten der Aktionäre bereichern. Letztere können ihre Interessen häufig nicht richtig wahrnehmen. Indem ihnen neu das Recht eingeräumt wird, die Verwaltungsräte jedes Jahr einzeln zu bestätigen, wieder- bzw. nicht zu wählen, können sie künftig über deren Leistung und bei Transparenz auch über deren Entschädigungspolitik befinden. Die Rechte der Aktionäre sind zu stärken. Die dazu nötigen Rahmenbedingungen muss der Staat schaffen: Er muss dafür zu sorgen, dass möglichst viele Unternehmen erfolgreich geführt werden und dass dasPrivateigentum – hier der Aktionäre – geschützt wird. Die Wirtschaftsverbände setzen aber lieber auf Selbstregulierung. Die von der Börse und den Wirtschaftsverbänden erlassenen Regeln sind nicht schlecht. Sie können aber jederzeit wieder geändert werden und genügen nicht. Um das Eigentum der Aktionäre zu wahren, braucht es verbindliche Schutzvorschriften. Die Wirtschaftsverbände, die durch die Verwaltungsräte von Firmen bestimmt werden, sind nicht geeignet um die Interessenabgrenzungen zwischen Verwaltungsräten und Aktionären zu lösen. Hier ist der Staat als Beschützer der Freiheitsrechte gefordert. Es wäre den Verwaltungsräten lieber, wenn sie nicht jedes Jahr gewählt werden müssten. Also sind die Verbände dagegen. Sie haben die Wirtschaftsverbände schon früher kritisiert. Was müssen sie ändern? Sie müssen eine radikalere Ordnungspolitik verfolgen. Kompromisse können dann immer noch die Politiker schliessen. Einen strammeren Kurs zu vertreten, ist aber nicht so einfach. Wer vom Staat für die Forschung 30 Millionen Franken offeriert erhält, sagt dazu ungern Nein, obwohl es ordnungspolitisch falsch ist. Hier braucht es von den Verbänden mehr Mut. Als Bundesrat können Sie aber auch nicht immer die reine Lehre vertreten: Der hoch subventionierten Landwirtschaft würde mehr Markt jedenfalls nicht schaden. Die Landwirtschaft untersteht in keinem Land der Welt der freien Marktwirtschaft. Dieser kann man nur Bereiche unterstellen, auf die man verzichten kann. Gemäss Verfassung müssen die Bauern jedoch die Landschaft pflegen, Nahrungsmittel herstellen und für die dezentrale Besiedlung sorgen. Nicht alle diese Aufgaben können im freien Markt erfüllt werden. Deswegen müssen die Bauern dafür vom Staat abgegolten werden. Natürlich kann man zum Schluss kommen, man wolle den Boden lieber verganden lassen. Dann müsste man aber zuerst die Verfassung ändern. Wären Sie dafür? Nein. Als ich vor einer Woche zur Bauernversammlung nach Huttwil gefahren bin, ist mir wieder einmal aufgefallen, wie liebevoll die Landschaft gepflegt wird. Ich finde, wir müssen uns das auch in Zukunft leisten. Aber die Nahrungsmittelproduktion selbst hat sich am Markt zu orientieren. Müsste man aber nicht den Agrarmarkt mit der EU öffnen, damit die Schweizer Landwirtschaft kompetitiver wird? Machen wir uns keine Illusionen: Falls die Marktöffnung auch alle vor- und nachgelagerten Bereiche der Landwirtschaft erfassen soll, werden nicht nur die Preise, sondern auch die Löhne und die Qualität sinken. Es ist dann zwar möglich, billiger zu produzieren. Damit sinkt bei uns aber auch der Lebensstandard. Das wollen wir doch nicht! Letztlich ist es wie beim EWR: Wir müssen uns entscheiden ob wir ein hochqualitatives Land bleiben wollen oder nicht. Wenn wir alles nivellieren, können wir zwar Massenware herstellen wie die anderen. Für Besonderheiten würden wir uns dann aber nicht mehr eignen. Aber dies ist die Stärke und die Chance der Schweiz. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich für einen starken Patentschutz einsetze. Der Forschungsstandort Schweiz ist zu erhalten. Also sind Sie gegen den Agrarfreihandel? Es ist ein offenes Geheimnis, das ich im Bundesrat zu den Bremsern gehöre. Der Agrarfreihandel würde nicht nur den Bauern grossen Schaden anrichten. Ich staune etwas, wie oberflächlich die Debatte geführt wird. So auch beim «Cassis de Dijon»-Prinzip. Damit will man ja, dass die in der EU zugelassenen Güter automatisch auch in der Schweiz frei zirkulieren können. Will man dies tun, muss man die Qualitätsvorschriften ändern. Zum Beispiel wieder Käfighühner zulassen, Prüfungserfordernisse beim Joghurt ändern usw. Das kann man tun. Aber will man das? Das ist für die meisten Konsumenten nicht mehr so wichtig. Viele Schweizer fahren Monat für Monat ins Ausland, um billigere Lebensmittel einzukaufen. Ich bin mir nicht sicher, ob wirklich ein Umdenken stattgefunden hat. Die meisten wollen zwar billigere Produkte, sie sind aber nicht bereit, die hohen Qualitätsstandards aufzugeben, sie wehren sich dagegen, zum Beispiel gentechnisch veränderte Lebensmittel ohne Anschreibepflicht zuzulassen. Auch dies müsste geschehen. Nun staunen wir aber doch etwas: Ausgerechnet Bundesrat Blocher, der sonst stets über zuviele Vorschriften klagt, verteidigt jetzt die Schweizer Regulierungswut. Wie ist dieser Gesinnungswandel zu erklären? Selbstverständlich bin ich immer noch für einen radikalen Abbau der Vorschriften. Von mir sie nicht. Aber man kann nicht beides haben: Man kann nicht billiger produzieren und die Qualität auf dem gleichen Niveau halten. Ob beim Joghurt Zusatzstoffe speziell vermerkt sind, ist mir egal. Vielen ist dies aber wichtig, darum wurde es ja beschlossen. Man darf daher nicht so tun, als ob man die Importe über Nacht vereinfachen könnte. Zuerst muss geklärt werden, auf welche Sonderregeln Parlament und Volk zu verzichten bereit sind. Jetzt wird das Wirtschaftdepartement frei. Reizt Sie ein Wechsel -­ trotz Ihrer Skepsis gegenüber diesem Departement? Ich habe tatsächlich einmal provokativ gesagt, dass es in einem Land mit freier Marktwirtschaft eigentlich kein Departement braucht, das die Wirtschaft reguliert. Auf Exportförderinstrumente und die Unterstützung von Bereichen, die der freien Wirtschaft unterstehen, könnte meines Erachtens verzichtet werden. Also wäre der Wechsel für Sie eine Horrorvorstellung? Sie meinen, der Staat sei für mich an sich eine Horrorvorstellung (lacht), aber Spass beiseite: Ob ich wechsle, wird sich an der Bundesratssitzung vom 16. Juni entscheiden. Im Moment habe ich mit der Revisionsaufsicht, dem Aktienrecht und dem Patentrecht viele wichtige Wirtschaftsvorlagen in meinem Departement. Haben Sie genug Zeit, um sich auch noch mit den Geschäften anderer Departemente zu befassen, wie Sie es sich bei Amtsantritt vorgenommen haben? Ich habe meine Zeit so eingeteilt, dass ich die Hälfte für die anderen Departementsgeschäfte, die im Bundesrat entschieden werden, aufwende. Man wirft mir bisweilen vor, ich mische mich zu fest ein, aber dies ist sehr wichtig. Nehmen Sie das öffentlich bekannte Swisscomgeschäft: Die Intervention hat dazu geführt, dass auf den Kauf der irischen Eircom - und damit auf Milliarden von Fehlinvestitionen - verzichtet wurde, dass man die Strategie geändert und – als Folge davon - das Management ausgewechselt hat. Das wichtigste Ziel ist erreicht. Ob der letzte Schritt, die Verselbständigung gelingt, wird man sehen. Das braucht wohl noch etwas Zeit. Diese Vorlage zeigt aber doch: Letztlich sind Sie ein Oppositionspolitiker geblieben, der Dinge verhindern, aber kaum eigene Projekte durchbringen kann. In einem liberalen Staat ist es häufig das Wichtigste, Fehlentwicklungen zu verhindern. Zum Beispiel eine falsche Strategie wie bei der Swisscom. Zudem habe ich eigene Projekte durchbringen können. Unter vielen sei das Asyl- und Ausländerrecht genannt, das im Parlament neu aufgegleist wurde. Und bei der Verselbständigung der Swisscom ist auch noch nicht aller Tage Abend. So etwas kann vielleicht nicht schon beim ersten Anlauf gelingen. Was der Bundesrat beschlossen hat, war ein Richtungswechsel, und der wirft zunächst einmal alles aus den Geleisen. Das war wie beim Verzicht aufs Kernkraftwerk Kaiseraugst. Früher kämpften Sie allein gegen Regierung und Verbände. Jetzt hat man den Eindruck, Sie seien Teil des Establishments geworden. Gefällt es Ihnen in dieser Rolle? Ich habe eine andere Aufgabe als früher und bin daher zwangsläufig in den Strukturen des Establishments tätig. Mache dort Widerstand und gestalte wo nötig. Im Grossen und Ganzen gefällt es mir. Nicht weil ich viel schöne Arbeit verrichte, sondern weil die bisherige Bilanz stimmt: Politisch habe ich innerhalb der Regierung mehr erreicht als ausserhalb.

18.05.2006

Neosozialistisch statt neoliberal?

Eine kurze Verteidigungsrede von Freiheit, Demokratie und Markt (oder was es zu den Managersalären zu sagen gibt). Rede von Bundesrat Christoph Blocher am 36. St. Gallen Symposium 18.05.2006, St. Gallen St. Gallen, 18.05.2006. Anlässlich des St. Galler Symposiums gedachte Bundesrat Christoph Blocher dem liberalen Denker Wilhelm Röpke und verwies auf dessen Antworten auf auch heute noch aktuelle Fragen, wie zum Beispiel die Managerlöhne. Er betonte, dass die Entschädigung jedes Angestellten der Leistung und dem Marktwert entsprechen sollte und ging davon aus, dass die Eigentümer diese Löhne festlegen. Bundesrat Blocher sieht jedoch Probleme bei grossen börsenkotierten Unternehmen und spricht sich deshalb für die Corporate Governance und die laufende Aktienrechtreform aus. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Zum 40. Todestag Wilhelm Röpkes Es wird allerhand gefeiert in diesem Jahr: * Mozarts 250. Geburtstag. * Vor 150 Jahren verstarb Heinrich Heine. * In dessen Todesjahr 1856 kam der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, zur Welt. Aber im ganzen Taumel der Jubiläen geht ein Mann fast vergessen, der vor vierzig Jahren als Emigrant in der Schweiz gestorben ist: Wilhelm Röpke, ein bedeutender liberaler Denker des 20. Jahrhunderts. Ich halte Wilhelm Röpke für einen wichtigen Wegweiser zur Lösung der volkswirtschaftlichen Probleme unserer Zeit. Wie Mozart, Heinrich Heine und Sigmund Freud in ihrer Zeit war auch Wilhelm Röpke verfemt. So musste er schon 1933 Nazi-Deutschland verlassen. Das Regime hielt ihn wegen seiner – ich zitiere – „liberalen Gesinnung“ für eine Gefahr. 2. Warnung vor dem Sozialismus Röpke gehörte zu den grossen Verfechtern der Marktwirtschaft, die er im Zentrum einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft sah. Er ist das, was man heute verächtlich einen „Neoliberalen“ nennt. Tatsächlich ist es Mode geworden, im „Neoliberalismus“ – also in der Lehre der grossen Liberalen Ludwig von Mises, August Friedrich von Hayek, Wilhelm Röpke und später Milton Friedman – das Grundübel, ja das Böse schlechthin zu sehen. Deren Kritiker haben offensichtlich nicht begriffen, dass der Liberalismus das vielleicht unbequeme, aber unumgängliche Fundament zur Lösung unserer Probleme bildet. Die westlichen Industriestaaten kranken an einer überregulierten Wohlfahrt, an der Entfremdung des Bürgers vom Staat, sie sind gekennzeichnet von schwachem Wirtschaftswachstum und einer generellen Überforderung des Staates. Dabei wären die „Neoliberalen“ die wahren Sozialen, denn keine Lehre hat so zur hohen Beschäftigung, zu Wohlfahrt und zur Überwindung der Armut beigetragen wie diese! Aber auch zu aktuellen Fragen finden wir bei den Neoliberalen wichtige Antworten: So zum Beispiel über das zur Zeit in allen Industriestaaten viel diskutierte Thema der als überrissen bezeichneten Managersaläre. 3. Managersaläre Die jüngsten Debatten über Managersaläre sind von Unverständnis und oft auch Neid geprägt. Vergleiche zwischen Arbeiterlöhnen und Managerlöhnen führen uns jedoch nicht weiter und der Neid darf nicht die politische Agenda diktieren. Die Frage nach den „richtigen“ Managerlöhnen ist wesentlich komplexer, als es die plakativen Aussagen der Kritiker wie auch der Befürworter dieser Entschädigungen glauben lassen. Was also ist zu tun? Es sind hier ein paar Grundwahrheiten, die zur Zeit zugeschüttet sind, hervorzuholen und an den Anfang zu stellen: 4. Grundwahrheiten * Eine erste Grundwahrheit Aufgrund der Erfahrungen der letzten 200 Jahre ist es wohl unbestritten, dass privatwirtschaftliche, florierende Unternehmen die besten Arbeitsplätze, hohen Verdienst, breiten Wohlstand, Reichtum und Steuersubstrat und damit die Voraussetzungen für einen sozialen Staat schaffen. Als Unternehmer sagte ich mir stets: „Meine sozialste Aufgabe ist das Unternehmen erfolgreich zu führen“, denn erfolgreiche Unternehmen schaffen Beschäftigung und sind die Quelle für allgemeine Wohlfahrt. Als Bundesrat sage ich mir, es ist die sozialste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass im Land möglichst viele Unternehmer ihr Unternehmen erfolgreich führen können. Wer immer noch auf sozialistische oder neosozialistische Rezepte setzt, hat die Weltgeschichte verschlafen. * Eine zweite Grundwahrheit Der Erfolg eines Unternehmens ist abhängig von der Führung. Entscheidend ist die Führungspersönlichkeit oder das Management an der Spitze: „Es gibt keine schlechten Mitarbeiter, sondern nur schlechte Chefs!“ Das gilt überall: In den Unternehmen, in Organisationen, Verbänden und Parteien. Das gilt auch in den Schulen und Universitäten und – wenn Sie mir diese kollegiale Bemerkung erlauben – das gilt auch für den Bundesrat. Darum ist es die Hauptaufgabe des Unternehmers, ein gutes Management bereit zu stellen. Das heisst aber auch: Ein Versager an der Spitze des Unternehmens ist unverzüglich abzusetzen, denn die Spitze des Unternehmens sorgt für das Resultat – für das gute oder das schlechte. * Eine dritte Grundwahrheit Gute Chefs an der Spitze zu finden, ist schwierig. Diese Menschen sind nicht allzu zahlreich. Darum sind sie in der Regel teuer. Aber: Es gibt für alle Mitarbeiterkategorien einen Markt – auch für Manager! Darum gilt es im Markt in freier Konkurrenz von Bewerbern auszuwählen. * Eine vierte Grundwahrheit Was ist denn ein Unternehmer? Ein klassischer Unternehmer ist ein Mensch, dem eine Firma gehört und der diese auch selbst führt. Er ist Manager und Eigentümer in einem. Sein Dasein – man könnte etwas pathetisch auch von Schicksal reden – ist eng mit der Firma verbunden, weil sein Kapital in der Firma steckt. Das unterscheidet ihn vom Manager, der als Angestellter die Firma nur führt. Bei den börsenkotierten Unternehmen ist es allerdings anders. Dort gibt es den klassischen Unternehmer – der Eigentümer und Manager zugleich ist – nicht. Führung und Eigentum fallen nicht zusammen. Der Eigentümer besteht darüber hinaus aus einer Vielzahl von Aktionären! Das erschwert die volle Interessenwahrung zusätzlich. * Eine fünfte Grundwahrheit Für den Erfolg ist es wichtig, dass die Eigentümer die Manager zu einem leistungs- und marktgerechten Salär einsetzen. Weder der Staat noch irgendwelche Aussenstehenden sind in der Lage, die richtige Entschädigung oder deren Obergrenze festzulegen. Auch nicht die Manager selbst. Denn das Unternehmen gehört nicht ihnen. Es ist die Sache des Eigentümers – bei den Aktiengesellschaften der Aktionäre – die Bezüge des Managements festzulegen. * Eine sechste Grundwahrheit Wie hoch soll die Entschädigung denn sein? Generell gesprochen sollte die Entschädigung so hoch sein, dass sie der Leistung und dem Marktwert entspricht. Das gilt für alle Angestellten. Auch für die obersten. Die Anstellungsbedingungen sollen hervorragende Leistung zu einem möglichst günstigen Preis generieren. Im Gegensatz zum Markt für kaufmännische Angestellte, Arbeiter, Verkäufer, Lehrer und Professoren ist der Markt für Manager kleiner und es gibt keine eindeutigen Hinweise auf das „richtige“ Lohnniveau, auf den Marktlohn. * Eine siebte Grundwahrheit Das Anliegen, ein gutes Management an der Spitze zu haben, ist für eine erfolgreiche Unternehmung dermassen wichtig, dass es auch falsch wäre, das Lohnniveau von einer generellen Akzeptanz der Öffentlichkeit oder der Medien abhängig zu machen. Soziales Denken heisst, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen von erfolgreichen Managern so geführt werden, dass sie Gewinn abwerfen und Wohlstand erzeugen. Das Salär richtet sich allein nach der Leistung und dem Marktwert. 5. Schutz der Freiheitsrechte? Wie gesagt: Die Unternehmer, die Eigentümer, die Aktionäre oder die Verwaltungsräte – als die Treuhänder der Eigentümer – haben diese sieben Grundwahrheiten zu beherzigen. Deshalb stellt sich die Frage: Ist der Ruf nach dem Staat angesichts der enormen Managersaläre überhaupt gerechtfertigt? Hat der Staat in diesem Bereich überhaupt etwas zu suchen? Ich meine ja. Gerade als Verfechter des liberalen Rechtstaates bin ich dieser Überzeugung. Warum? Der Schutz der Freiheitsrechte ist eine der zentralen Aufgaben im liberalen Rechtsstaat. Und hier im Besonderen der Schutz des Privateigentums. In grossen Publikumsgesellschaften mit Tausenden von Aktionären ist es für die Eigentümer heute kaum möglich, ihr Eigentumsinteresse zu wahren und durchzusetzen. Die Eigentümerfunktion ist häufig so pulverisiert, dass der Einzelne seine Interessen kaum wahrnehmen kann. Es ist fast wie im Kommunismus: Auch dort hat man immer wieder verkündet, das Eigentum gehöre allen. Nur konnte letztlich niemand seine Eigentumsinteressen wahrnehmen, so dass es schliesslich die Nomenklatur tat. Sie hat vorgeblich die Privatinteressen betreut - aber zum eigenen Nutzen. Weil der Schutz des Privateigentums jedoch eine zentrale und für den wirtschaftlichen Erfolg ausschlaggebende Staatsaufgabe ist, besteht für den Staat immer dann Handlungsbedarf, wenn er feststellen muss, dass das Privateigentum nicht genügend geschützt ist. Bei grossen börsenkotierten Aktiengesellschaften braucht es staatliche Vorschriften über die Corporate Governance, damit das Eigentum geschützt ist. Sonst besteht die Gefahr, dass sich die Verwaltungsräte und das Management zu Lasten der Eigentümer ungerechtfertigt bereichern und damit das Privateigentum verletzen. 6. Massnahmen im schweizerischen Aktienrecht Hier muss der Staat ernst machen. Dies ist aktueller Gegenstand der schweizerischen Aktienrechtsreform: Der Entwurf liegt jetzt in der Vernehmlassung. Was will diese Reform? 1. Die Bezüge der Verwaltungsräte müssen im Einzelnen bis ins Detail veröffentlicht werden, ebenso das höchste Salär der Geschäftsleitung und das Gesamtsalär der Geschäftsleitung. Die Revisionsstelle hat dies zu prüfen und zu bestätigen. Diese Regelung ist bereits beschlossen, sie wird auf den 1. Januar 2007 in Kraft treten. Damit kann der Eigentümer die Managemententschädigungen im Verhältnis zur Leistung und zum Markt beurteilen. 2. Die einzelnen Verwaltungsratsmitglieder sind jährlich einzeln zu wählen bzw. zu bestätigen. So können die Eigentümer, d.h. die Aktionäre, bei der jährlichen Wahl bzw. Wiederwahl des Verwaltungsrates direkt oder indirekt über die Leistung und die Bezüge der obersten Führungskräfte urteilen. 3. Damit dem Willen der Eigentümer zum Durchbruch verholfen werden kann, müssen stimmenverfälschende Aktionen untersagt werden (so insbesondere das Depotstimmrecht der Banken oder die Stimmenmanipulation durch geborgte Aktien). 4. Der Verwaltungsrat hat die Auswahlprozesse – wie bei allen Mitarbeitern – auch bei den führenden Managern anzuwenden. Der Salärfindungsprozess ist in freier Konkurrenz und nicht unter Koordination einiger weniger Beratungsfirmen zu gewährleisten. Der Verwaltungsrat ist Treuhänder der Eigentümer, und nicht die Beratungsfirmen. Er hat diese Funktion wahrzunehmen. Tut ein Verwaltungsrat, der für getreue Geschäftsbesorgung verantwortlich ist, dies nicht, ist er zur Rechenschaft zu ziehen. Die gesetzlichen Vorschriften dazu bestehen schon heute! 5. Für die nichtbörsenkotierten Firmen ist vorgesehen, dass die Bezüge der Verwaltungsräte auf Verlangen von Aktionären bekannt gegeben werden müssen. Damit können auch Aktionäre in kleinen Firmen als Unternehmer über Leistung und Entlöhnung durch die Stimmabgabe bestimmen. Solche Bestimmungen sind kein staatlicher Interventionismus. Wer von der Marktwirtschaft überzeugt ist, für den ist es selbstverständlich, dass der Staat die Rahmenbedingungen schafft, damit Leistung, marktgerechte Entschädigung und das Privateigentum gewährleistet sind. Andere Lösungsvorschläge wie gesetzliche Höchstlöhne von Managern, die Festsetzung der Löhne durch Aussenstehende oder gar der sozialistische Schlachtruf „gleiche Löhne für alle“ sind unsinnig und hätten verheerende Folgen für die Volkswirtschaft eines Landes. Mit dem neuen Aktienrecht werden die unseligen Diskussionen über die Managerlöhne ein Ende nehmen. 7. Röpke in Genf Kommen wir nochmals kurz auf Wilhelm Röpke zu sprechen. Nach seiner Emigration in die Schweiz fand Wilhelm Röpke einen neuen Wirkungsort in Genf, am Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales. Sein äusserst positives Urteil über die Schweiz hing nicht nur mit seiner speziellen Biographie als Emigrant zusammen. Er erkannte in der Schweiz eine „Ausnahme wie alles in der Geschichte einigermassen Gelungene“ (in Gesellschaftskrisis der Gegenwart). Möge dies auch für die Aktienrechtsreform gelten! Lasst den Staat tun, was er unbedingt tun muss. Der Rest sei Demokratie, Marktwirtschaft und Freiheit.

16.05.2006

Das Autogewerbe – ein hoch innovativer und anpassungsfähiger Wirtschaftszweig

Rede von Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung der ESA (Einkaufsorganisation des Schweizerischen Auto- und Motorfahrzeuggewerbes), 16. Mai 2006 in Interlaken 16.05.2006, Interlaken Interlaken, 16.05.2006. An der Generalversammlung der Einkaufsorganisation des Schweizerischen Auto- und Motorfahrzeuggewerbes ESA pries Bundesrat Christoph Blocher das marktwirtschaftliche, kapitalistische Wirtschaftssystem. Dieses habe im Verlauf der Zeit zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen aller Gesellschaftsschichten geführt, während der Sozialismus ganze Staaten und Völker in den wirtschaftlichen Ruin getrieben habe. Es gebe wohl kaum einen Wirtschaftszweig, der so sichtbar die Vorzüge des Wettbewerbs aufzeige wie das Autogewerbe. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Vielfalt dank Marktwirtschaft Der Automobilmarkt ist ein Milliardengeschäft. Täglich sind Millionen von Fahrzeugen in dieser Welt unterwegs. Man braucht kein Prophet zu sein: Auch die Chinesen möchten ihr Velo so bald wie möglich gegen einen Personenwagen eintauschen. Damit erschliesst sich ein neuer, gewaltiger Markt. Das Auto ist in diesen Ländern Zeichen des Wohlstandes. Auf der ganzen Welt aber eben auch Ausdruck von Mobilität und Wirtschaftskraft. Dieser Milliardenmarkt Auto ist hart umkämpft. Es gibt wohl kaum einen Wirtschaftszweig, der so sichtbar die Vorzüge des Wettbewerbs aufzeigt wie das Autogewerbe. Asiatische, europäische und amerikanische Hersteller kämpfen um alte und neue Kunden. Dieser Wettbewerb zwingt zur permanenten Weiterentwicklung und führt zu immer neuen Errungenschaften. Ich habe den Titel des heutigen Referats nicht zufällig gewählt: Das Autogewerbe ist tatsächlich einer der innovativsten und anpassungsfähigsten Wirtschaftszweige überhaupt. Der Druck, das Produkt zu verbessern, die Sicherheitsstandards zu erhöhen, das Design zu erneuern, die Innenausstattung auszubauen und vieles mehr – und erst noch zu kundenfreundlichen Preisen – ist gewaltig. Und wenn wir von der Automobilbranche reden, dann sind die abertausenden von Zulieferern mitgemeint. Gerade im Zuliefererbereich hängen auch in der Schweiz viele Betriebe und somit auch viele Arbeitsplätze von einer florierenden Autoindustrie ab. Es gibt heute eine kaum mehr überblickbare Zahl von Motorfahrzeugen. Der Kunde kann aus unzähligen Marken und Modellen auswählen. Das ist immer ein Zeichen dafür, dass die Marktwirtschaft funktioniert. Innerhalb von hundert Jahren hat das Automobil einen vergleichslosen Siegeszug angetreten, obschon die Skeptiker der ersten Stunde dieser Erfindung wenig Zukunft prophezeiten. Diese horrenden Fortschritte in der Entwicklung sind nur in einem zwar harten, aber gleichzeitig weitgehend freien Wettbewerb möglich. Zugleich erfüllt das Automobil ein Bedürfnis, das offenbar eine sehr grosse Mehrheit der Menschen umtreibt: sich schnell, bequem und individuell fortzubewegen. 2. Vom Luxus zum Alltäglichen Mein Vater, ein protestantischer Landpfarrer, besass ein Fahrrad. Heute würde man sagen, ein Militärvelo. Das Velo verfügte über einen Gang, wog ziemlich schwer, war aber für die Ewigkeit konstruiert. Mein Vater konnte sich Zeit seines Lebens kein Auto leisten. Dafür brachte er elf Kinder durch und jedes durfte eine Ausbildung absolvieren. Hier war die Rechnung relativ schnell gemacht. Ein Auto stand gar nie zur Diskussion – „es lag nicht drin“, wie man so schön schweizerisch sagt – und als die Jungen auszogen und eine Anschaffung finanziell vielleicht möglich geworden wäre, war der Vater in einem Alter, in dem man sich besser nicht mehr auf solche Experimente einliess. Was vor wenigen Jahren also ein absoluter Luxusgegenstand war, gehört mittlerweile praktisch in jeden Haushalt. Man muss kein Historiker sein, um mit aller Deutlichkeit festzuhalten: Der heutige ungelernte Hilfsarbeiter darf heute die wesentlich besseren Lebensbedingungen für sich beanspruchen als vor fünfhundert Jahren der deutsche Kaiser persönlich. Dies verdanken wir einzig einem marktwirtschaftlichen, kapitalistischen Wirtschaftssystem. Der Status der ärmeren Bevölkerung hat sich gerade in den Ländern, die eine freie Wirtschaftsordnung kennen, beständig verbessert. Während der Sozialismus ganze Staaten und Völker in den wirtschaftlichen Ruin führte. Ob wir es wollen oder nicht: Wir haben dauernd für die Prinzipien der Marktwirtschaft zu kämpfen. Wo sich der Tüchtige und Erfinderische ungehindert entfalten kann, geht es vorwärts und aufwärts. Wo der Tüchtige und Erfinderische eingeschränkt, der Erfolgreiche mit Steuern bestraft, der strebsame Bürger übervorteilt wird, geht es konsequent in eine andere Richtung: nach unten. Die Forderung nach möglichst viel Marktwirtschaft ist der soziale Ruf unserer Tage! 3. Wettbewerb ist innovativ Es wird permanent versucht, das Auto moralisch schlecht zu reden. Dabei wird mit Vorliebe auf die Verkehrsunfälle einerseits und die Umweltbelastung andererseits verwiesen. Ich möchte auf beide Bereiche kurz zu sprechen kommen und nochmals festhalten: Die Errungenschaften in der Sicherheit sind in erster Linie die Frucht der Innovationsfähigkeit der Automobilbranche. Airbags, ABS, IPS (Intelligent Protection System), verbesserte Gurtentechnik, Knautschzonen haben entscheidend zur Senkung der schweren Unfälle beigetragen. Auch wenn gewisse Politiker nach wie vor überzeugt sind, sie hätten höchstpersönlich die Zahl der Verkehrstoten gesenkt. Nein, auch hier zeigen sich die Vorzüge der Marktwirtschaft. Der Kunde erwartet ein sicheres Gefährt. Also müssen ihm die Hersteller ein solches anbieten. Wer nicht mitzieht, wird vom Markt bestraft. Denn der Kunde wählt aus. Gnadenlos. Kommen wir zur Umweltbelastung. Da besteht in der Tat ein Problem bei den Verbrennungsmotoren. Aber auch hier schafft der Markt bzw. die Nachfrage die entsprechenden Angebote. Ich garantiere Ihnen, die Aussicht der Autoindustrie durch verbrauchsarme Fahrzeuge oder alternative Brennstoffe gute Geschäfte zu erzielen, wird deren Entwicklung viel schneller vorantreiben als alle bisherigen und zukünftigen staatlichen Interventionen und politischen Predigten. Ich bin überzeugt, dass der Privatverkehr seinen Siegeszug fortsetzen wird. Ob das Auto der Zukunft mit Benzin, Wasserstoff, Rapsöl, Ethanol, Hanf oder sonst was angetrieben wird – wer weiss das? Lassen wir die freie Forschung, lassen wir den Wettbewerb, lassen wir den Markt spielen. Dann kommt es gut. Viel problematischer wird es, wenn übermütige oder ideologische Politiker glauben, die Weichen selber stellen zu müssen. Wir haben bereits benzinsparende Hybridmotoren auf dem Markt, welche Bremsenergie, die sonst verpufft, speichern und dem Motor wieder als Elektroenergie zuführen. Eine grandiose Leistung. Nur möchte ich auch bei diesem konkreten Beispiel darauf verweisen: Der Hybridantrieb ist durch einen privaten Autokonzern entwickelt und technisch umgesetzt worden – und nicht durch die Politik oder irgendein Gesetz. Verbieten, verteuern, verhindern sind keine kreativen Lösungen. 4. Ein Dank Sie stehen alle in der Marktwirtschaft. Sie tragen alle dazu bei, dass die Schweiz mobil ist, dass die Schweizerinnen und Schweizer in jedem Sinn beweglich bleiben. Sie tragen alle mit ihrer Arbeit zur Wertschöpfung in unserem Land bei. Mit Ihrer Organisation ermöglichen Sie die kostengünstige und effiziente Belieferung von Ersatzteilen für das schweizerische Auto- und Motorfahrzeuggewerbe. Ich habe gelesen, dass sich über 7'000 Genossenschafter – vor allem PW- und LKW-Garagenbesitzer – in Ihrer Organisation zusammengeschlossen haben. Das haben Sie getan, weil Sie so besser, schneller, kostengünstiger Ihrer Arbeit nachgehen können. Das ist gelebte Marktwirtschaft. Aber zuoberst in den von Ihrer Organisation festgehaltenen Grundsätzen steht: „Alles dreht sich um unsere Kunden.“ Diese Einstellung gefällt mir. Auch in der Politik sollten es heissen: „Alles dreht sich um das Wohl unserer Bürger.“