Die SVP wird nie einen zweiten Bundesrat haben
Interview mit CASH vom 27. August 1998
SVP-Nationalrat, Auns-Präsident und Unternehmer Christoph Blocher über sein politisches Selbstverständnis und die Stossrichtung seiner Partei Mit der Abstimmung über die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) Ende September wird der Abstimmungsherbst eingeläutet: Europa – und damit auch Christoph Blocher – werden wieder zum Thema. Im CASH-Interview äussert sich der Zürcher SVP-Nationalrat und Auns-Präsident zum Umgang mit politischen Gegnern und zum Programm seiner Partei.
Interview: Markus Gisler, Reto Knobel
Sind Sie zufrieden mit sich und der Schweiz, Herr Blocher?
Christoph Blocher: Ich bin nie zufrieden mit mir. Und mit der Schweiz im Moment auch nicht.
Was macht Sie denn unzufrieden?
Blocher: Mit dem Land bin ich zufrieden, nicht aber mit der Politik. Wir haben zu viel Interventionismus, der Bürger muss zu viel zahlen, und es bleibt ihm darum immer weniger zum Leben. Die Haltung gegenüber den USA und Europa ist zu unbestimmt und unstet.
Eine Wahlanalyse hat ergeben, dass Sie keineswegs eine Partei der Unzufriedenen anführen: Ihre Wähler sind sehr optimistisch, was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. Überrascht?
Blocher: Nein, der Optimismus ist gerechtfertigt. Ich bin überzeugt, wenn die Politik der Wirtschaft keine Knebel zwischen die Beine wirft, geht es der Schweiz wirtschaftlich sehr gut – und damit auch den Bürgern.
Aber im Allgemeinen meint man doch, die SVP sei die Partei der Unzufriedenen. Sie selber haben dies immer wieder bekräftigt.
Blocher: Wir politisieren nicht mit den Unzufriedenen, sondern für den Mittelstand. Sind das etwa die Unzufriedenen? Das sind Leute, die auf sich gestellt sind und Eigenverantwortung tragen. Sie verdienen zu viel, als dass sie der Staat dauernd unterstützen müsste, und sie verdienen zu wenig, als dass sie morgen nach Monaco zügeln könnten.
Wie schätzen Sie denn im Hinblick auf die Wahlen in einem Jahr die Stärke der anderen Parteien ein? Beginnen wir mit der FDP.
Blocher: Die FDP weiss nicht mehr genau, wo sie hingehört, weil sie ihre Positionen verlassen hat. Vor allem in der Steuer- und in der Europa-Frage. Der Stimmbürger will aber eindeutige Stellungnahmen. Sie wird ihren Verlust der letzten Wahlen nicht aufholen.
Und die CVP?
Blocher: Sie steht vor einem ähnlichen Problem, ist aber stark in den Kantonen. Ich glaube nicht, dass sie vor einer derart starken Erosion steht, wie viele das meinen.
Wird die SVP die CVP dennoch überholen?
Blocher: Ich glaube es nicht. So entscheidend ist die Frage nicht. Massgebend ist das Gewicht. Parteien dürfen Wähleranteile nicht dermassen in den Vordergrund rücken, dass Positionen aufgegeben werden.
Dass Sie nicht mehr Wähler wollen, nehmen wir Ihnen nicht ab.
Blocher: Mehr Wähler schon, aber nur, um den Auftrag besser auszuführen. Wer unter allen Umständen Wähler will, verliert an Profil. Dies droht der SP, die sich heute als Grossfamilie präsentiert: Auf der linken Seite wurde vom Landesring bis zu den Kommunisten alles integriert. Das führt natürlich zur Verwässerung und schwächt ihr Profil.
Wenn die CVP weiter absackt, ist ihr zweiter Bundesratssitz in Frage gestellt.
Blocher: Selbstverständlich müssen wir einen zweiten Bundesratssitz anstreben, aber wir werden ihn nie kriegen. SP, FDP und CVP werden dies verhindern. Dies wird allerdings unsere Position massiv stärken: Obwohl wir die Verantwortung übernehmen mussten und wollten, durften wir nicht. Das macht stark.
Würden Sie die Verantwortung als Bundesrat überhaupt übernehmen?
Blocher: Ich bin Anhänger des Amtszwangs, deshalb würde ich das Amt annehmen, wenn ich zum Bundesrat gewählt würde. Obwohl Verwaltung nicht meine Lieblingstätigkeit ist.
Die Analyse der letzten eidgenössischen Wahlen 1995 zeigt auch, dass der SVP-Erfolg – fast 15 Prozent Wähleranteil – vor allem durch den klaren Anti-EU-Kurs zustande gekommen ist. Das lässt uns vermuten, dass Sie weiter auf dem Thema Europa herumreiten.
Blocher: Die Grundfrage ist, wie viel Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und direkte Demokratie die Schweiz abgeben will. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz Erfolg hat, wenn sie hier standhaft bleibt. Aber leider weichen bei der Frage des Uno-, EU- und Nato-Beitritts unsere Politiker immer mehr von diesen Maximen ab.
Sie reden viel von der Unabhängigkeit. Die SVP wird zunehmend zur Einthemen-Partei.
Blocher: Da hab ich keine Angst. Sehen Sie sich an, wo wir in den letzten Jahren politisiert haben. Die innere Sicherheit, die Asylantenfrage sowie die Reduktion von Steuern, Abgaben und Gebühren. Das werden wir auch nächstes Jahr stark in den Vordergrund stellen.
Haben Sie schon ein Konzept für die Wahlen in einem Jahr?
Blocher: Ja, wir werden es in etwa einem Monat vorstellen. Ich kann aber jetzt schon sagen, dass wir nichts Neues erfinden müssen. Was wir festgestellt haben: Der Druck für neue Steuern, Abgaben und Gebühren seitens der Politiker ist unglaublich – Stichwort Erhöhung der Mehrwertsteuer, LSVA, Kapitalabgabe etc. Wir sind dagegen der Meinung, Wirtschaft und Staatshaushalt würden von Steuererleichterungen profitieren.
Sie argumentieren mit dem “Reaganomics”-Effekt
Blocher: Daran glaube ich in der Tat.
Wo treten Sie denn konkret für Steuererleichterungen ein?
Blocher: Auf allen Ebenen – in Bund, Kantonen und Gemeinden. In den Kantonen zum Beispiel fordern wir die Abschaffung der Erbschaftssteuer. Im Kanton Zürich haben wir die letzte Steuerfusserhöhung erfolgreich verhindert; auch begrenzen wir hier nicht mehr das Defizit, sondern die Ausgaben. Auch die Einkommens- und Vermögenssteuern, die Mehrwertsteuer, die Abgaben und Gebühren – die Krankenkassenprämien beispielsweise – müssen sinken.
Das betrifft alles die Bürger. Wie sieht es mit der Besteuerung der Unternehmen aus?
Blocher: Wenn wir die Steuerfüsse senken in Gemeinden und Kantonen, trifft dies die Unternehmen natürlich auch. Zudem haben wir das Unternehmenssteuerrecht revidiert. Obwohl wir von der SVP grössere Entlastungen für die Unternehmen wollten, lassen wir den Kompromiss jetzt einmal sein. Aber im Grunde müssten wir für die Unternehmen grössere Steuererleichterungen erreichen.
Steuersenkungen vergrössern primär das Defizit.
Blocher: Steuersenkungen führen nur im ersten Moment zu weniger Einnahmen für den Staat. Wenn den Privaten mehr bleibt, wird mehr investiert, gekauft, produziert. Es entstehen Arbeitsplätze. Tiefere Steuersätze führen zu höheren Einnahmen, längerfristig verschwindet das Defizit. Parallel dazu muss der Staat natürlich die Ausgaben senken – zum Beispiel beim Asylwesen, das uns 1,3 Milliarden Franken kostet. Oder bei der Krankenkasse. Das Prinzip der Eigenverantwortung gehört zu unseren Schwerpunkten für die nächsten Wahlen – neben der Unabhängigkeit des Landes und der Sicherheit des Bürgers.
Müssen wir wieder mit Stiefel-, Ungeziefer- und Messerstecherinseraten rechnen? Nächstes Jahr sind ja auch Wahlen in Zürich.
Blocher: Ich weiss noch nicht, womit wir Sie überraschen können.
Sie kritisieren die Revolvermethoden der USA, selber schrecken Sie vor Messerstecherinseraten nicht zurück.
Blocher: Halt. Wir erpressen niemanden. Wir haben damals gezeigt, dass in der Stadt Zürich Leute niedergestochen und ausgeraubt werden. Leider Realität – und wir sprachen es aus: Das haben wir den Linken und Netten zu verdanken.
Sie gehen mit Ihren Gegnern nicht gerade schonungsvoll um. Was meint denn Ihr Bruder, Pfarrer Gerhard Blocher, zu Ihrem Stil?
Blocher: Vielleicht bin ich manchmal tatsächlich unzimperlich. Aber mein Bruder Gerhard findet, ich sei eher zu anständig. So ist er zum Beispiel der Meinung, wenn man merkt, dass ein Bundesrat lügt, müsse man ihm das ins Gesicht sagen. Aber ich habe immer Angst vor Revolutionen. Die sind noch immer schief gegangen. Wenn ich mit einem Bundesrat diskutiere, dann rede ich nicht mit Moritz Leuenberger, Flavio Cotti oder Kaspar Villiger – sondern mit einer Institution. Und ich habe Hemmungen, eine Institution brutal vom Sockel zu reissen, selbst dann, wenn sie es vielleicht verdient hätte.
Wenn Sie über Kriminalität und Asylbewerber politisieren, bringt sich die SVP Zürich und Sie im Speziellen immer wieder in die Nähe der Fremdenfeindlichkeit.
Blocher: Ja, das ist eine Gefahr. Darum spricht niemand diese Themen gern an. Wir auch nicht.
Wie bitte? Die SVP bekämpfte das Kontaktnetz für Kosovo-Albaner in Zürich mit fragwürdigen Plakaten: Wer daran vorbeifährt, liest nur “Kosovo-Albaner Nein”. Das ist fremdenfeindlich.
Blocher: Nein, das glaube ich nicht. Das Kontaktnetz für Kosovo-Albaner ist fragwürdig – die Stadt Zürich geht das Problem falsch an, indem sie auch für Leute, die nicht bleiben können, Integration postuliert. Wer an Leib und Leben bedroht ist, soll bleiben. Aber die illegal Eingewanderten können nicht bleiben. Das gilt auch für den Bosnien-Konflikt.
Wie bitte?
Blocher: Bosnier sind heute in ihrem Heimatland nicht mehr bedroht, also müssen sie heimkehren. Das Schweizer Volk hat dies im Asylgesetz so entschieden.
Sie nehmen immer wieder Bezug auf “das Schweizer Volk”. Als ob Sie den Willen der Bevölkerung immer ernst nehmen würden: 1994 zum Beispiel haben die Stimmbürger Ja gesagt zur Einführung der LSVA, die Sie jetzt mit allen Mitteln bekämpfen.
Blocher: Ich bekämpfe nicht die LSVA, sondern diese Steuer in dieser Höhe. Der Verfassungsartikel will die bestehende Abgabe durch eine leistungsabhängige Abgabe ersetzen – aber nur so weit sie dazu dient, die Strassenkosten zu decken. Das ist eindeutig. Was geschieht jetzt? Jetzt geht man weit darüber hinaus. Das entspricht nicht dem Verfassungsartikel.
Bei der Ablehnung der LSVA kann auch der Alpenschutzartikel nicht umgesetzt werden, obwohl das Volk ihm zugestimmt hat. Da wettern Sie gegen das Volk, das Sie sonst so hoch loben.
Blocher: Die Alpenschutzinitiative will den Transitverkehr von Grenze zu Grenze auf die Bahn verlagern. Das ist sinnvoll. Aber was tun wir? Jetzt will der Bundesrat die 40-Tönner ganz Europas zulassen – auf der Strasse! Und wir Schweizer, die den Inlandverkehr gar nicht auf die Schiene bringen können, zahlen diese horrende Steuer!
Die LSVA ist keine Steuer. Der Ertrag wird vor allem für die Neat und die Bahn 2000 gebraucht.
Blocher: Die LSVA ist eine Steuer, mit der eine überrissene Neat finanziert werden soll: eine Neat mit zwei Röhren, die wir nicht brauchen können, weil sie nicht benutzt werden und neue Defizite verursachen.
Am 27. September steht die LSVA-Abstimmung an, dann folgt die Abstimmung über Bau und Finanzierung der Neat am 29. November. Lehnt das Stimmvolk nur eine der beiden Vorlagen ab, gibt es kein Landverkehrsabkommen mit der EU, und die bilateralen Verhandlungen wären auf Jahre hinausgezögert. Freuen Sie sich schon auf den Abstimmungsherbst?
Blocher: Ich bin nur dagegen, dass wir die Verhandlungen mit der EU zu jedem Preis abschliessen.
Wie wir Sie kennen, werden Sie auf jeden Fall das Referendum gegen die bilateralen Verhandlungen ergreifen.
Blocher: Nicht in jedem Fall. Sehen Sie, wir haben beim Verkehr zwei verschiedene Konzepte. Die Schweiz will die Lastwagen auf die Schiene, die EU auf die Strasse bringen. Da können wir tausend Jahre verhandeln, diese Konzepte lassen sich nicht vereinbaren. Am Schluss wird einer über den Tisch gezogen – mit der LSVA ist es die Schweiz. Und schliesslich haben wir noch ein zweites Dossier, den freien Personenverkehr. Hier sind die Details noch offen. So wie es aussieht, kommen Kosten von über eine Milliarde Franken an Sozialleistungen auf uns zu. Wenn das Gesamtpaket wirklich so schlecht rauskommt, muss ich das Referendum ergreifen.
Sie argumentieren immer in der Ich-Form. Hand aufs Herz: Eigentlich betrachten Sie sich schon als Kopf der SVP.
Blocher: Nein, hier rede ich nicht im Namen der SVP. Wir haben in der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) beschlossen, im Falle eines unbefriedigenden Abschlusses das Referendum zu ergreifen.
Sagen wir es so: Sie sind der Meinungsführer der Partei.
Blocher: Die SVP ist heute viel mehr auf meiner Linie, als dies früher der Fall war. In den ersten Jahren der SVP habe ich viele Niederlagen erlitten. Ich bekleide aber kein einflussreiches Amt. Es muss auch niemand Angst haben, dass ich ein solches anstrebe.
Sie bringen Ihre Partei immer wieder in Verlegenheit. So hat SVP-Präsident Ueli Maurer Bundesrat Cotti für seine führungslose Aussenpolitik massiv attackiert. Sie hingegen haben den Bundesrat für seine Standhaftigkeit in der Holocaust-Debatte gelobt.
Blocher: Nur dafür, dass er mit Zahlungen nicht nachgegeben hat. Herr Maurer als Präsident kann machen, was er will. Ob der Bundesrat früher oder später eine Pressekonferenz zum Bankenvergleich machen soll, ist für mich nur ein Detail.
Vielleicht wollte sich Herr Maurer innerhalb der Partei lediglich ein bisschen mehr Gehör verschaffen.
Blocher: Das glaub ich nicht. Es ist nicht so, dass ich keine andere Meinung vertrage in der Partei.
Ist die Task-Force nach dem Bankenvergleich obsolet geworden?
Blocher: Wo denken Sie hin? Das wäre, als ob man bei einem Waffenstillstand die Armee heimschicken würde. Die nächsten Erpressungen werden kommen.
Was hat die Task-Force denn geleistet?
Blocher: Botschafter Borer ist insgesamt entschieden und klar für die Sache der Schweiz aufgetreten. Wahrscheinlich noch viel klarer als der Bundesrat.
Seit 1979 sind Sie Nationalrat. Sind Sie noch nicht amtsmüde?
Blocher: Amtsmüde war ich schon immer, aber ich mache meine Arbeit trotzdem und darum kandidiere ich immer wieder.
1999 zum letzten Mal?
Blocher: Wenn man jemanden bringt, der es besser macht als ich, dann schon.
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