Wir ziehen doch nicht in den Krieg
Streitgespräch mit Nationalrat Josef Leu in der Neuen Luzerner Zeitung vom 11. Mai 2001
Sie sind erbitterte Gegner und wollen doch das Gleiche: Der Luzerner CVP-Nationalrat Josef Leu und der Zürcher SVP-Nationalrat Christoph Blocher kämpfen beide für eine sichere Schweiz. Doch zur laufenden Militärgesetzrevision haben sie total gegensätzliche Meinungen.
Von Gregor Poletti und Eva Novak
Herr Blocher, haben Sie nicht genug Argumente, dass Sie eine Kampagne führen, die sich derart hart an der Anstandsgrenze bewegt?
Christoph Blocher: Ich weiss nicht, wovon Sie reden. Wir thematisieren die Grundfrage dieses Urnengangs. Politisch geht es darum, ob unseren Generälen die Möglichkeit gegeben werden soll, mit anderen Armeen zusammenzuarbeiten, um im Ausland im Kriegsfall Krieg zu führen. Sollen in Zukunft unsere Söhne für fremde Händel sterben? Denn der Soldat muss kämpfen und sterben können. Darum spielt man nicht mit Soldaten. Die Armee ist nur dazu da, um im Notfall Volk, Land und Freiheit zu verteidigen. Die Befürworter wollen diesen Weg nun verlassen. Das ist der Sinn dieser tiefsinnigen Kampagne.
Josef Leu: Ich bezweifle sehr, dass diese tiefsinnig ist. Eure Kampagne spricht vor allem Emotionen an, die nicht der Realität entsprechen. Und es ist geradezu zynisch angesichts der Angehörigen von Hilfsorganisationen, die ihr Leben tagtäglich in viel grösserem Ausmass aufs Spiel setzen. Da hätten wir Ihrer Logik folgend ja schon längst diese Einsätze verbieten müssen.
Blocher: Sie reden von der Vergangenheit, wir von der Zukunft. Jetzt werden die militärischen Grundlagen geschaffen, damit unsere Armee in Ausbildung mit fremden Militärs geschult wird, um in den Krieg im Ausland zu ziehen. Damit werden Tür und Tor geöffnet für Verwicklungen in fremde Händel, und das bedeutet eine grosse Kriegsgefahr und die Abkehr von einer glaubwürdigen Neutralität.
Leu: Das stimmt einfach nicht. Wir ziehen doch nicht in den Krieg, nur weil wir einen Teil unserer Ausbildung im Verbund mit anderen Armeen machen. Diese hat ja zwei Ziele: Einerseits eine effiziente und kostengünstige Ausbildung zu ermöglichen. Denn gewisse Übungen sind in der Schweiz aus geografischen Gründen nicht möglich.
Blocher: Das können wir ohne Gesetzesänderung. Aber bisher waren wir allein auf diesen Übungsplätzen. Die Ausbildungsvorlage will jedoch, dass wir mit den anderen Armeen gemeinsam den Krieg üben, das ist der Unterschied.
Leu: Aber es geht weiter darum, unsere Leistungen im Sicherheitsbereich in einer Art Wettbewerb mit den ausländischen Militärformationen zu messen. So haben wir die einmalige Gelegenheit, auszutesten, wo wir gut sind und wo wir noch Lücken aufweisen.
Aber damit wird doch die Neutralität aufgeweicht, da gemeinsame Ausbildung auf gemeinsame Einsätze abzielt.
Leu: Neutralität muss doch der jeweiligen Zeit entsprechen und immer wieder angepasst werden. Was vor 50 Jahren gut war, muss nicht zwingend heute ebenso gut sein. Neutralität ist nicht ein Ziel, sondern Mittel zum Zweck und soll mithelfen, unsere Sicherheit zu garantieren.
Blocher: Es ist eine Frage der Sicherheitspolitik, ob wir neutral sind oder nicht. Die Generalität und viele Politiker wollen die Neutralität anpassen, um mit anderen Armeen kooperieren zu können.
Leu: Das ist falsch. Ich bin seit Anfang der Neunzigerjahre Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates, und davon war nie die Rede, auch nicht bei der Ausarbeitung des Brunner-Berichts.
Blocher: Die meisten Politiker und Generäle haben genau dort gesagt, sie seien nur noch für die Neutralität, weil das Volk das so wolle. Für sie ist Neutralität ein Hindernis. Die 150-jährige Tradition der bewaffneten Neutralität zeigt doch, dass diese Strategie für unser Land richtig war und ist. Jetzt will man unter dem Deckmantel von “Sicherheit durch Kooperation” still und leise alles auf die Nato-Struktur ausrichten.
Es gibt also Pläne, Herr Leu, die Schweiz langsam in die Nato zu führen?
Leu: Die beiden Vorlagen, insbesondere die verstärkte Ausbildung mit anderen Armeen, hat mit einer Unterstellung unter die Nato rein gar nichts zu tun. Aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass die Nato im militärischen Bereich die Standards setzt und wir uns diesen bis zu einem gewissen Grad angleichen müssen, wollen wir als Verteidigungsarmee glaubwürdig bleiben. Zudem verbietet uns die in der Verfassung festgehaltene Neutralität einen Nato-Beitritt.
Blocher: Und jetzt wird deshalb die ganze Armee in einer kostspieligen Übung umgemodelt, damit sie in die Nato Standards passt. Diesen internationalen Fimmel jetzt auch noch auf die Armee auszuweiten ist doch barer Unsinn. Es geht zwar heute nicht um den Nato-Beitritt, aber um die Unterstellungsfähigkeit der Schweizer Armee unter fremde Kommandos.
Leu: Aber Sie gaukeln den Leuten vor, dass es am 10. Juni nebst dem Verlust der Neutralität genau um die Kernfrage eines Nato-Beitritts geht.
Blocher: Unbestreitbar geht es um die Neutralität und den Nato-Anschluss. Schauen Sie sich doch das Budget an, welches Bundesrat Schmid für die nächsten Jahre vorgeschlagen hat. 4,3 Milliarden Franken pro Jahr sind nur deshalb notwendig, weil das VBS die Armee Nato-tauglich machen will. Und auf die Zusicherung des Bundesrates, damit werde kein Nato-Beitritt in die Wege geleitet, gebe ich nicht viel. Das ist doch immer so, wenn die Landesregierung eine neue Vorlage präsentiert: Sie verspricht dieses und jenes. Wie war das mit der Lastwagenlawine? Der Bundesrat hat bei der Beratung der bilateralen Verträge betont, eine solche werde es nicht geben. Und was haben wir heute?
Leu: Der Bundesrat hat immer gesagt, dass es in der Übergangszeit mehr Schwerverkehr geben wird. Aber Sie weichen aus, Herr Blocher, bleiben wir bei der Armee. Wir können uns doch nicht nur für die unwahrscheinlichste Variante, nämlich die Verteidigung des Territoriums, wappnen. Damit negieren Sie, dass sich das sicherheitspolitische Umfeld komplett geändert hat. Sich nur auf die Landesverteidigung zu konzentrieren läuft darauf hinaus, die Armee abzuschaffen.
Herr Blocher, wollen Sie insgeheim die Armee abschaffen?
Blocher: Diesen Vorwurf glaubt niemand. Aber gerade weil wir in einem stabilen Umfeld leben, ist eine Kooperation zum Schutz der Schweiz weniger notwendig denn je.
Leu: Gerade deshalb dürfen wir nicht nur passiv zuschauen. Wir müssen auch kompetent, und das heisst sich zum Selbstschutz mit einer Waffe verteidigen zu können, unseren Beitrag vor Ort leisten, dort, wo die Konflikte sind. Tragen wir zusammen mit anderen dazu bei, den Frieden vor Ort zu ermöglichen, kommt uns das letztlich zugute: Denn dann müssen wir die Auswirkungen von grossen Flüchtlingsströmen nicht ausbaden.
Blocher: Die Flüchtlingsströme aus dem Balkan setzten ja ein, weil diese Region in sinnloser Art und Weise von der Nato verbombardiert wurde.
Leu: Aber nur dank den Bemühungen der Friedenstruppen, bei denen die Schweiz auch mitgeholfen hat, konnten wir erreichen, dass viele Flüchtlinge schnell wieder in ihre Heimat zurückkehrten.
Blocher: Aber dafür brauchen wir doch keine Soldaten zu schicken, da braucht es den Einsatz von humanitärer Hilfe. Und diese leisten wir billiger, wirkungsvoller und glaubwürdiger im Rahmen unserer Neutralität, als wenn wir Soldaten in Kriegsgebiete schicken.
Leu: Aber deren Arbeit ist nur möglich, wenn sie von Soldaten auch beschützt werden. Ich war mehrmals vor Ort und habe gesehen, dass dieser Schutz notwendig ist.
Blocher: Schweizer Soldaten, ob bewaffnet oder nicht, gehören nicht in ausländische Konfliktgebiete. Das ist ein Missbrauch der Armee, und damit läuft man Gefahr, den Krieg ins eigene Land zu tragen. Denn wer bereit ist, von der Waffe Gebrauch zu machen, der wird Partei. Jetzt wird argumentiert, wir seien lediglich vor Ort, um den Frieden zu erhalten, und nicht, ihn zu erzwingen. Es kommt doch keiner daher, schwingt die weisse Fahne und sagt, die Friedenserhaltung ist vorbei, jetzt kommt die Friedenserzwingung, jetzt hören wir auf mit dem Kampf.
Leu: Deshalb gehen unsere Soldaten nur in ein Krisengebiet unter dem Mandat der UNO oder der OSZE. Zudem haben es Bundesrat und Politiker in der Hand, je nach Fall zu entscheiden, ob wir gehen oder nicht. Es zwingt uns niemand.
Blocher: Ich bin dezidiert dagegen, dass wir unseren Politikern, dem Bundesrat und den Generälen die Kompetenz erteilen, solche Einsätze zu bewilligen. Wir sollten solche Armeeabenteuer nicht eingehen. Ich kämpfe deshalb so leidenschaftlich gegen diese Vorlagen, weil es um den Frieden des Landes und unsere Sicherheit geht.
Leu: Auch ich kämpfe mit Leidenschaft für die Revision, weil es um unsere ureigensten Interessen geht, nämlich gemeinsam Sicherheit zu produzieren und damit die Schweiz zu schützen.
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