Blocher gegen Gysin: «Jetzt erst recht (nicht) in die UNO!»
Streitgespräch mit Nationalrat Remo Gysin in der Basler Zeitung vom 19. September 2001
Christoph Blocher und Remo Gysin, die beiden Hauptkontrahenten der Abstimmungskampagne über den UNO-Beitritt, stritten gestern am Rand der UNO-Debatte im Nationalrat darüber, ob und wie die Terroranschläge in den USA den Entscheid des Schweizervolks beeinflussen. Blochers Nein zur UNO ist schärfer, Gysins Ja klarer geworden.
Moderiert und aufgezeichnet: Niklaus Ramseyer, Tilman Renz und Lukas Schmutz
Herr Blocher und Herr Gysin, was ist in den USA passiert und welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen grässlichen Ereignissen?
Blocher: Da haben raffinierte und intelligente Leute ohne grosse eigene Mittel ungeheure Wirkung erzielt und grossen Schaden angerichtet. Bezeichnend ist dabei, dass sie aus dem angegriffenen Land heraus agiert und zum Teil im Lande selbst zuvor noch trainiert haben. Wenn es bin Laden war, wäre es sogar ein Angreifer, der früher vom amerikanischen Geheimdienst bezahlt und ausgebildet worden ist.
Und was folgern Sie daraus für die Schweiz?
Blocher: Man muss das ernst nehmen und unser Land muss seine Sicherheitssysteme endlich darauf ausrichten. Dass wir militärisch angegriffen würden und dass es nach langen Vorwarnzeiten zu grossen Panzerschlachten käme, das steht nicht mehr im Vordergrund. Es braucht ein gründliches Umdenken in der Sicherheitspolitik.
Wie sieht Ihre Analyse aus Herr Gysin?
Gysin: Kernpunkte sind unbeschreibliches Leid als Folge einer furchtbaren Gewalt, dann auch die Demütigung eines ganzen Landes, einer Supermacht. Das ist Terrorismus in schwerster Form; und die Auswirkungen lassen sich noch gar nicht abschätzen. Getroffen wurden zudem Symbole der westlich-kapitalistischen Welt mit ihrer Führungsmacht Amerika. Das zentrale Symbol des Militärs wurde getroffen, das sich als ohnmächtig erwiesen hat…
Blocher: …wie auch die CIA…
Gysin: …genau, wie auch die CIA. Getroffen wurde auch ein Hauptsymbol des Welthandels. Dahinter stecken Armut und weitere Ursachen des Terrorismus.
Und Ihre Folgerung für die Schweiz?
Gysin: Das Militär aufzurüsten, wie das Herr Blocher will, ist unnötig. Es gibt für mich zwei Strategien: Erstens, den Terroristen den Nährboden entziehen und Ungerechtigkeiten abbauen. Zweitens ihre Waffen- und Finanztransaktionen unterbinden. In der Schweiz müssen wir ein Klima der Toleranz gegenüber den Fremden schaffen. Wir müssen mehr über den Islam wissen …
Blocher: Gut, aber bei den Hintergründen aufpassen. Bei bin Laden hat das nichts zu tun mit der Armut. Dahinter stecken ausgesprochen reiche Leute. Für sie ist es eine ethnische und religiöse Auseinandersetzung. Ihr Netz ist eben auch in den reichen Ländern verankert. Die Frage ist, können Sie sich mit Ihrer Toleranz gegen solche Kämpfer wappnen?
Gysin: Ich rede doch nicht von Toleranz gegenüber Terroristen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass religiöser Fanatismus mit hineingespielt hat, ist gross. Aber die Rekrutierungsbasis der Terroristen liegt bei den Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben.
Wie beeinflussen die Ereignisse das Verhältnis der Schweiz zur UNO?
Blocher: Es ist klar sichtbar geworden, wie ausserordentlich wichtig die Neutralität für uns als Sicherheitsgarantin ist. Und zwar die bewaffnete, immer währende, selbst gewählte und bündnisfreie Neutralität. Das ist das Mittel, dass wir nicht in solche verrückte Auseinandersetzungen hineingezogen werden. Wenn es bin Laden war, war es einmal schick, dass man Terroristen aufrüstet, das hat damals niemanden geärgert, und einige Jahre später will man nun das Gegenteil tun. Als kleiner Staat darf man sich da nicht reinziehen lassen. Und das ist der springende Punkt, warum ich gegen den Beitritt zur UNO bin.
Gysin: Ich sehe das völlig anders. Dieser schreckliche Terroranschlag hat gezeigt, dass Gemeinschaft gefragt ist. Ein einzelnes Land kann wenig dagegen ausrichten. Da findet die UNO in ihren Kernaufgaben eine Bestätigung – nämlich präventiv gegen Armut, Diskriminierung und auch gegen Rassismus vorzugehen. Die UNO, Herr Blocher, bekämpft seit 1972 auch ganz konkret den Terrorismus. Sie hat erst kürzlich neue Konventionen gegen Bombenterror und gegen die Finanzierung des Terrorismus beschlossen …
Blocher: …mit welchem Erfolg?...
Gysin: Die Schweiz wird das nächstens ratifizieren. Das Bankgeheimnis darf Terroristen wie Mobutu nicht mehr schützen.
Herr Blocher, die Schweiz ist bei allen UNO-Unterorganisationen dabei und zahlt dafür 450 Millionen pro Jahr. Sie sind gegen die UNO. Warum verlangen Sie nicht auch den Rückzug aus den Unterorganisationen? Da könnten Sie erst noch viel Geld sparen.
Blocher: Die Teilnahmen an technischen Unterorganisationen ist mit unserer Neutralität nicht im Widerspruch. Wir werden dadurch nicht verpflichtet, gegen andere Staaten diskriminierende wirtschaftliche, politische oder gar militärische Massnahmen mitzumachen. Bei all den Bereichen, die Herr Gysin angesprochen hat, sind wir dabei: Menschenrecht, Bildung, Landwirtschaft, Gesundheit, Währungsfonds überall sind wir mit dabei. Das entscheidende ist jedoch der Vertrag über die Vollmitgliedschaft, weil der Sicherheitsrat gemäss Artikel 41 der Charta Mitglieder zu diskriminierenden Massnahmen verpflichten kann. Darin haben fünf Grossmächte das Vetorecht und da würden wir reingezogen.
Sie wollen die Neutralität zu einem zentralen Argument Ihres Abstimmungskampfs machen, Herr Blocher. Warum eigentlich, alle andern Neutralen sind in der UNO und spielen eine wichtige Rolle, haben Generalsekretäre gestellt.
Gysin: Genau, Irland, Österreich, Schweden – alle Neutralen sind dabei.
Blocher: …Ich muss Ihnen sagen, die Neutralitäten Finnlands und Schwedens sind nicht integral. Schweden hat eine Neutralität von Fall zu Fall, und Österreich hat eine Verpflichtung aus dem Friedensvertrag…
Gysin: …und Turkmenistan hat nochmals eine andere Neutralität und auch die Schweizer Neutralität ist nicht mehr die gleiche wie früher. Und die UNO akzeptiert alle Neutralitäten. Aber Ihre Neutralität ist nicht die, mit der wir leben…
Blocher: … das ist interessant Herr Gysin. Was wollen Sie denn für eine? Keine integrale? Keine dauernde? Keine bewaffnete, nicht eine bündnisfreie, dann sagen Sie uns das doch mal.
Sagen Sie es, Herr Gysin!
Gysin: Wir…
Blocher: …wer wir?
Gysin: …wir Befürworter …
Blocher: …aha, gut!…
Gysin: … wir Befürworter stützen uns auf die Neutralität, so wie sie in der Verfassung steht. Diese wird auch von der UNO respektiert. Lesen Sie Artikel drei Absatz drei der UNO-Charta. Über militärische Sanktionen werden wir auch als UNO-Mitglied allein entscheiden. Das tangiert unsere Neutralität nicht. Armutsbekämpfung, Gesundheitspolitik und Friedenspolitik…
Blocher: …da sind wir überall dabei…
Gysin: … das sag ich ja, die UNO hat Kopf und Beine. Wenn wir nur bei den Gliedern, den Spezialorganisationen, beim Kopf jedoch, also bei der Generalversammlung, nicht dabei sind, dann klappt das nicht. Nun aber nochmals zur Neutralität. So wie die Schweiz sie versteht, gilt sie militärisch gegenüber einzelnen Ländern. Die UNO ist aber eine Gemeinschaft, bei der alle dabei sind. Die UNO ist in der Rolle des Polizisten gegenüber dem Verbrecher und da gibt es keine Neutralität, wie auch nicht gegenüber Terroristen – oder sind Sie da anderer Meinung?
Blocher: Terroristen sind Kriminelle; sie vertreten keinen Staat. Zur Neutralität. Es ist nicht neu, dass die Politiker die Neutralität nicht achten, weil die Neutralität die Politiker in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt. Neutralität heisst sich nicht einmischen…
Gysin: …Sie reden, als ob sie kein Politiker wären…
Blocher: …ich begreife, dass Sie es nicht gern hören, wenn ich über Neutralität spreche…
Gysin: …doch, Neutralität ist eines meiner Lieblingsthemen…
Blocher: …also, Neutralität ist das typische Mittel des Kleinstaates, nicht in Auseinandersetzungen der Grossstaaten hineingezogen zu werden und sich nicht einzumischen. Und sie ist für die Schweiz nur dann glaubwürdig, wenn sie dauernd ist. Eine solche Neutralität hat nur die Schweiz. Heute nutzen wir die Chancen nicht, die sich daraus ergeben, weil der Bundesrat die Neutralität eigentlich nicht mehr will. Er will ja in die EU und in die UNO ist nur eine Etappe dafür…
Gysin: …Jetzt vermischen Sie aber alles…
Blocher: …nein, ich zitiere nur Herrn Deiss, und zwar wörtlich. In dieser ganzen Öffnung ist die UNO eine Etappe und da hat die Neutralität keinen Platz. Es tut mir leid, dass ich das sagen muss…
Gysin: Nach Ihrem Gusto heisst Neutralität, dass wir wirtschaftliche Sanktionen der UNO durchbrechen und Despoten wie Saddam Hussein beliefern.
Blocher: Nein, wir stehen eben auf keiner Seite. Das ist die grosse Kunst.
Herr Gysin, wer definiert denn, wer die Despoten sind?
Gysin: Das macht der UNO-Sicherheitsrat.
Blocher: eben, eben…
Im Sicherheitsrat haben fünf Grossmächte ein Vetorecht – da geht also Macht vor Recht. Wie wollen Sie das dem Volk erklären, Herr Gysin?
Gysin: Das wäre historisch erklärbar, ich will es aber nicht erklären, weil es auch für mich nicht akzeptabel ist. Das wollen wir ändern. Aber wir können es besser, wenn wir drin sind, als wenn wir draussen vor der Tür bleiben.
Blocher: Ha, Illusionen, Illusionen!
Gysin: …zudem tragen wir jetzt schon alle wirtschaftlichen Sanktionen der UNO mit…
Blocher: …der Bundesrat macht das freiwillig, nicht wir…
Gysin: …die Schweiz macht das, und auch Sie können nicht anders, Herr Blocher. Und ich finde es auch richtig so…
Blocher: …Sie schon, das ist ja klar, es ist Ihnen auch gleich, was für Dummheiten passieren…
Gysin: …nein, sicher nicht…
Blocher: Doch, Hauptsache ist Ihnen doch, Sie sind dabei.
Herr Blocher, die Wirtschaftsverbände sind für den UNO-Beitritt. Warum sind Sie als Grossunternehmer dagegen?
Blocher: Die Wirtschaftsverbände schauen immer, wo die momentanen Interessen sind. 1992 waren sie für den EU-Beitritt und heute wollen sie nichts mehr davon wissen. So schnell geht das. Aber man kann nicht die Staatsprinzipien nicht nach den momentanen Interessen ändern.
Gysin: Die Wirtschaft hat eingesehen, dass ein Gegengewicht zur nur wirtschaftlichen Globalisierung notwendig ist, wo soziale, menschenrechtliche und ökologische Standards mit hineinkommen. Und dieses Gegengewicht kann nur die UNO schaffen.
Warum meinen Sie, werden die Terror-Anschläge in den USA die UNO-Abstimmung in Ihrem Sinne beeinflussen?
Blocher: Weil sie zeigen, wie unglaublich, die Machtauseinandersetzungen auf der Welt sind. Es ist wichtig, sich nicht in diese einzumischen, um glaubwürdig neutral zu bleiben.
Gysin: Ich bin nicht sicher, wie das Schweizer Volk auf die Ereignisse reagiert und wie die Abstimmung herauskommt. Aber es war ein sehr starkes Gemeinschaftsgefühl spürbar. Es ist offensichtlich, dass Terrorismus in dieser Form vor keinen Landesgrenzen halt macht.
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