Kein Lottogewinn, sondern Volksvermögen
Streitgespräch mit Ständerätin Christine Beerli im Tages-Anzeiger vom 27. August 2002
Gold-Initiative oder Solidaritätsstiftung? SVP-Nationalrat Christoph Blocher im Wortduell mit FDP-Ständerätin Christine Beerli. Über die Geldnöte der AHV, die Erhöhung der Mehrwertsteuer und mögliche Erpressungsversuche.
Am 22. September stimmen wir darüber ab, was mit den überschüssigen National- bankreserven geschehen soll. Alles Geld in die AHV? Oder nur die Erträge je zu einem Drittel an AHV, Kantone und Solidaritätsstiftung? Ein Streitgespräch.
Mit Christine Beerli und Christoph Blocher sprachen Richard Aschinger und Gaby Szöllösy
Wir sind in der glücklichen Lage, Geld verteilen zu können, das wir niemandem wegnehmen müssen. Eine Situation wie nach einem Lottogewinn. Warum tut sich die Schweiz da so schwer?
Christine Beerli: Die Auseinandersetzung ist wichtig. Denn das Geld ist Volksvermögen, da bin ich mit der SVP einverstanden. Es ist ein Geschenk, das dem Volk zufällt, und wir sind gehalten, es so verantwortungsvoll wie möglich einzusetzen. Deshalb sieht der Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament vor, nur die Zinserträge des Vermögens zu verteilen, das Vermögen selbst soll über 30 Jahre lang teuerungsbereinigt erhalten bleiben. Die nächste Generation wird also neu entscheiden können, was damit geschehen soll. Wir schlagen eine nachhaltige Lösung vor.
Christoph Blocher: Es geht doch weder um einen «Lottogewinn» noch um «Geschenke», sondern um vom Schweizervolk hart erarbeitetes Vermögen. Die Schweizerische Nationalbank hat aus heutiger Warte gesehen jahrzehntelang zu viel Reserven geäufnet. Schweizerinnen und Schweizer zahlten dies, zum Beispiel durch höhere Hypothekarzinsen und teurere Kredite. Also steht ihnen das jetzt nicht mehr benötigte Reservevermögen zu. Es gehört deshalb nicht zu einem wesentlichen Teil in irgendeine Stiftung, die in der halben Welt Geld verteilt. Am besten setzt man dieses Volksvermögen für die Not leidende AHV ein: Mit den Erträgen können so RentenKürzungen oder die Erhöhung von Lohnabzügen oder höhere Mehrwertsteuern für die AHV für mindestens die nächsten zehn Jahre vermieden werden.
Beerli: Ich habe von einem Geschenk gesprochen, weil dieses Vermögen durch einen Aufwertungsgewinn zu Stande gekommen ist. Solange der Schweizerfranken an das Gold gebunden war, musste die Nationalbank laut Vorschriften dieses Gold in ihrem Tresor horten und zu einem fixen Preis bewerten, der unter dem Marktpreis lag. Erst seit wir gesetzlich die Goldbindung des Frankens aufgelöst haben, darf die Nationalbank das Gold zum viel höheren Marktpreis bewerten. Und das Gold verkaufen, das sie für ihre Währungspolitik nicht mehr braucht. Wir möchten die Zinsen dieses Goldvermögens ausgewogen einsetzen: ein Drittel für die AHV, ein Drittel für die Solidaritätsstiftung, und das letzte Drittel lassen wir den Kantonen zukommen.
Herr Blocher, Sie wollen das Volksvermögen dem Volk zurückgeben. Das könnten Sie aber auch via Krankenkassenprämie oder über die Telefonrechnung. Es geht doch gar nicht primär um die Altersvorsoge, sondern die AHV bietet ein praktisches Verteilsystem.
Blocher: Wir haben tatsächlich verschiedene Varianten geprüft, auch ob man das Geld direkt dem Volk verteilen soll, mit Checks an alle Bürgerinnen und Bürger. Aber das ist keine gute Lösung, so kämen mit einem Mal 19 Milliarden auf den Markt. Das würde wahrscheinlich zu einer Überhitzung führen. Und soll man einem Säugling gleich viel auszahlen wie einem Rentner? Ausserdem wäre das Vermögen dann aufgebraucht. Um das Modewort auch zu brauchen: Das wäre keine nachhaltige Lösung. Die AHV dient dem ganzen Volk. Wird die SVP-GoldInitiative angenommen, hat der Gesetzgeber zwei Möglichkeiten: Das ganze Vermögen bleibt bei der Nationalbank, und die Erträge gehen an die AHV, oder das Vermögen geht in den AHV-Fonds, und die Erträge werden dort für die Renten eingesetzt.
Beerli: Was wollen Sie nun? Das Vermögen aufbrauchen oder nur die Zinsen der AHV zukommen lassen?
Blocher: Auch bei uns werden nur die Erträge aufgebraucht. Es spielt doch keine so grosse Rolle, ob das Vermögen von der Nationalbank oder vom AHV-Fonds verwaltet wird. Der AHV-Fonds muss ja immer einen bestimmten Deckungsgrad aufweisen, sicher über 20 Milliarden. Das garantiert, dass auch dort die Gelder nicht nach Belieben aufgebraucht werden. Wichtig ist vor allem, dass die Gelder gut bewirtschaftet werden. Das nützt der ganzen Bevölkerung. Mit unserer Initiative wollen wir diese Erträge für alle Zeiten der AHV zuweisen. Der Gegenvorschlag ist hingegen auf 30 Jahre beschränkt, danach kann das Vermögen aufgebraucht werden.
Beerli: Nur wenn die nächste Generation diese Verteilung abändern will, weil sie andere Prioritäten setzt. Es gibt aber noch einen andern Unterschied: Bei unserer Drittelslösung wird das Vermögen klar auf 1300 Tonnen Gold begrenzt. Bei Ihrer Initiative nicht. Der Initiativtext spricht von sämtlichen nicht mehr benötigten Währungsreserven. Das scheint mir ausserordentlich problematisch: Wenn die Währungsreserven mit der Altersvorsorge in Verbindung gebracht werden, kommt die Nationalbank dauernd unter Druck, neue Reserven freizugeben und der AHV zuzuführen. Ohne klare Abgrenzung der Summe wird die Nationalbank erpressbar.
Blocher: Aber nur wenn man ganz schwache «Joggel» in der Nationalbank hätte! Die Nationalbank entscheidet auch bei unserer Initiative weiterhin, wie viele Währungsreserven sie braucht. Aber wenn sie überschüssige Reserven hat, dann sollen die Erträge davon in die Not leidende AHV fliessen. Die AHV ist das grösste Solidaritätswerk und kommt allen zugute. Der Gegenvorschlag will einen wesentlichen Teil in eine – übrigens erpresste – Stiftung legen und verteilen, ohne dass wir recht wissen, wofür. Gerade in der heutigen Zeit steckt die 1. Säule, die AHV, in grossen Schwierigkeiten; die 2. Säule ebenfalls. Deshalb sollten wir dieses Volksvermögen für unser grösstes Sozialwerk nutzen.
Eine «erpresste» Stiftung, Frau Beerli?
Beerli: Es stimmt, Alt- Bundesrat Arnold Koller hat die Stiftungsidee damals im Kontext der Holocaust-Debatte präsentiert. Das ist nicht wegzudiskutieren. Seither hat die Stiftung einen weiten Weg hinter sich. Was jetzt vorliegt, ist ein absolut zukunftsgerichtetes Werk, von dem vor allem die junge Generation profitieren soll. Deshalb wird auch mehr als die Hälfte der Stiftungsmitglieder unter 40 Jahre alt sein. Die Stiftung bewirkt eine Fortsetzung unserer humanitären Tradition und wird eine ähnliche Strahlungskraft haben wie das Rote Kreuz, auf das wir alle stolz sind. Und zwar gegen aussen wie gegen innen, denn die Hälfte der Gelder wird im Ausland eingesetzt, die andere Hälfte im Inland.
Für Laien ist nach wie vor nebulös, wofür die Stiftung ihre Gelder verwenden soll. Was werden für Projekte unterstützt?
Beerli: Das ist in der Tat noch nicht sehr konkret, was aber gar nicht schlecht ist. Laut Stiftungszweck unterstützt sie solidarisches Handeln im In- und Ausland und befähigt die junge Generation, verantwortungsbewusst die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Konkrete Leitlinien wird dann der Stiftungsrat definieren. Fest steht aber – und das ist ganz wichtig -, dass die Stiftung keine Hilfe an Einzelpersonen oder Gruppen finanziert, sondern in Projekte investiert. Und dass sie nicht Entschädigungen für Versäumnisse der Vergangenheit entrichtet. Also keine Zahlungen beispielsweise an Holocaust-Opfer leistet.
Herr Blocher, Sie schütteln den Kopf.
Blocher: Alt-Bundesrat Koller hat damals vor der Bundesversammlung versprochen, man errichte eine Solidaritätsstiftung «selbstredend auch für die Holocaust- und Shoa-Opfer». Das wurde in Amerika sehr wohl gehört, Ich brauche nicht Prophet zu sein, um sagen zu können: Machen wir die Stiftung, werden wir von diesen Kreisen jedes Jahr unter Druck gesetzt. Denn sie wollen etwas aus diesen Erträgen sehen. Unter dem Titel «Stiftung» ist ja auch alles möglich. Die Linderung von Krankheiten, von Ausgrenzung, von Gewalt, von Menschenrechtsverletzungen. Man will Strukturen für funktionsfähige Demokratien aufbauen, Bildung unterstützen. Da hat alles drin Platz.
Beerli: Das ist nicht wahr. Es besteht kein Rechtsanspruch auf irgendwelche Stiftungsleistungen.
Ein konkretes Beispiel, Frau Beerli: Ostdeutschland und Tschechien leiden unter den schweren Überschwemmungen der letzten Tage. Könnte da die Stiftung helfen?
Beerli: Wenn ein Projekt besteht und der Stiftungsrat das Projekt für gut befindet, dann kann er durchaus unbürokratische Hilfe in Notsituationen leisten.
Blocher: Da helfen die Schweizer auch ohne Stiftung. Sie spenden unverzüglich der Glückskette. Das ist echte Solidarität.
Beerli: Ich will noch ein Beispiel aus dem Inland anfügen: Es gibt heute viele Familien, deren Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. Das kann schreckliche Folgen haben, denken Sie an Eltern, die ihre Babys aus Überforderung schütteln. Da könnte man analog zum Nottelefon für Kinder auch eines für Eltern einrichten. Das sind ausserordentlich wichtige Dinge, für die wir aber keine Bundesgelder einsetzen können.
Warum nicht?
Beerli: Weil das keine Staatsaufgabe ist, auch das Nottelefon für Kinder kriegt keine Gelder vom Bund. Der Vorteil der Stiftung liegt übrigens auch darin, dass sie nicht selbst teure Strukturen aufbauen, sondern mit bestehenden Organisationen zusammenarbeiten würde. Beispielsweise mit der Pro Juventute oder andern Hilfswerken.
Blocher: Ich zweifle nicht daran, dass es Tausende von Organisationen gibt, die das Geld abholen werden. Nur: Dieses Geld geht den Schweizerinnen und Schweizern ab. Denn die Millionen, die Sie für die Stiftung einsetzen wollen, fehlen bei der AHV. Dann bleibt nur noch, entweder die Rente zu kürzen oder die Lohnabzüge oder die Mehrwertsteuern zu erhöhen. Ist das sozial?
Beerli: Herr Blocher, auch mit Ihrer Initiative müssen wir die Mehrwertsteuer erhöhen, das wissen Sie ganz genau. Die höchstens 750 Millionen Zinserträge pro Jahr lösen die Finanzprobleme der AHV nicht. Die AHV braucht weitergehende Sanierungs-Massnahmen, und daran arbeiten wir im Moment im Rahmen der 11. AHV-Revision. Wir versuchen, die Strukturen so zu bereinigen, dass sich die AHV langfristig selbst finanziert.
Blocher: Die Rentenanstalt gibt jetzt bekannt, dass die Rendite von 1985 bis 2002 im Kollektivgeschäft sechs Prozent betrug. Unsere firmeneigene Pensionskasse erwirtschaftete seit ihrer Gründung in den 50er-Jahren über fünf Prozent pro Jahr. Die Erträge werden also mehr als eine Milliarde sein. Das ist ein Drittel bis ein halbes Mehrwertsteuerprozent, das man auf alle Zeiten nicht erheben müsste.
Beerli: Sie sprechen immer von der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Bei Ihrer Lösung gehen aber die Kantone leer aus. Wir hingegen berücksichtigen die Kantone mit einem Drittel. Damit können diese zum Teil auch Steuersenkungen vorsehen oder wenigstens neue Steuern vermeiden. Deshalb hat sich die Konferenz der Kantonsregierungen auch hinter unseren Vorschlag gestellt.
Blocher: Ich verstehe, dass die Kantone sich gerne auch ein Stück dieses Kuchens abschneiden würden. Aber ich bin überzeugt, dass sie das Geld nicht für den Schuldenabbau verwenden würden. Damit stiegen nur die Ausgaben.
Frau Beerli, in dieser Abstimmung gibt es drei mögliche Resultate. Was wäre für Sie das schlimmste Resultat?
Beerli: Die Gold-Initiative, denn sie lässt offen, ob das Vermögen aufgebraucht wird, und bringt wenig, weil man die Mehrwertsteuer trotzdem erhöhen muss. Deshalb ist sie für mich ganz klar die schlechteste Lösung.
Herr Blocher?
Blocher: Die Annahme des Gegenvorschlags wäre das Schlimmste: Die Stiftung wird zur dauernden Erpressung aus dem Ausland führen, und der AHV fehlen dann diese Beträge. Dies ausgerechnet in der heutigen schlechten Wirtschafts- und Finanzlage mit riesigen Schuldenbergen!
Heisst das, dass Sie beide mit einem doppelten Nein leben könnten?
Beerli: Werden die Initiative und der Gegenvorschlag dazu abgelehnt, so beginnt das ganze Gerangel über das Goldvermögen von vorne. Und es besteht erneut die Gefahr, dass das Familiensilber verscherbelt wird.
Blocher: Bei einem doppelten Nein wäre wohl die Stiftung vom Tisch. Aber auch der volle Einsatz für die AHV wäre nicht mehr möglich. Frau Beerli hat Recht, der Tanz würde von neuem beginnen.
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