«Herr Blocher, was wollen Sie wirklich?»
Initiative oder Gegenvorschlag – was ist nachhaltiger?
Streitgespräch mit Ständerätin Vreni Spoerry (FDP/ZH) in der Neuen Zürcher Zeitung vom 30. August 2002
Am 22. September finden die Verfassungsabstimmungen über die Goldinitiative der SVP und den Gegenvorschlag der Bundesversammlung dazu statt. Als prominente Vertreter der beiden Seiten diskutieren hier Nationalrat Christoph Blocher (svp., Zürich) und Ständerätin Vreni Spoerry (Zürich, fdp.) über die Vorlagen.
Die Gesprächsleitung oblag Katharina Fontana und Max Frenkel von der Inlandredaktion.
Herr Blocher, worum geht es Ihnen eigentlich? Um die AHV oder die Verhinderung der Solidaritätsstiftung?
Christoph Blocher: Die Grundfrage ist: Wollen wir das Volksvermögen der nicht mehr benötigten Währungsreserven für die AHV einsetzen – was allen zugute kommt – oder zu einem wesentlichen Teil für eine erpresste Stiftung verwenden und 7 Milliarden verschenken?
Sie versprechen sich einen wesentlichen Beitrag an die AHV?
Blocher: Beim jetzigen Goldpreis geht es um ungefähr 20 Milliarden Franken. Bei fünf- bis sechsprozentigem langfristigem Renditesatz gibt das ungefähr 1 bis 1,2 Milliarden pro Jahr. Das ist viel Geld. Dabei wird das Vermögen nicht nur dreissig Jahre genutzt – wie im Gegenvorschlag -, sondern für immer. Die Goldinitiative bestimmt, dass entweder das Vermögen bei der Nationalbank bleibt und der Ertrag in den AHV-Fonds fliesst oder das Vermögen in den AHV-Fonds geht, wo es heute per Gesetz ebenfalls erhalten bleiben muss, denn es darf nicht unter eine Jahresrente (Grössenordnung 30 Milliarden) absinken. Ohne die Erträge aus der Goldinitiative müssten die Mehrwertsteuer oder die Lohnabzüge entsprechend erhöht werden, um die Rente erhalten zu können.
Wieso sagen Sie in Ihrer Initiative nicht, dass das Vermögen erhalten werden soll?
Blocher: Weil es selbstverständlich ist. Entscheiden kann der Gesetzgeber lediglich noch, ob er das Vermögen real oder absolut in der Nationalbank oder im AHV-Fonds erhalten will.
Wie ist das mit der Mehrwertsteuer?
Ist diese Konstruktion geeignet, einen Beitrag an die Probleme der AHV zu leisten?
Vreni Spoerry: Wenn versprochen wird, dass mit der Goldinitiative während zehn Jahren die Erhebung eines Mehrwertsteuerprozentes verhindert werden kann, dann muss man auf das Vermögen greifen, weil ein Mehrwertsteuerprozent 2,5 Milliarden Franken sind. Das aber ist nur möglich, wenn die Substanz aufgezehrt wird. Wenn man allein die Erträge verwendet, dann bekommt die AHV nur etwas mehr als beim Gegenvorschlag.
Blocher: Mit der Goldinitiative ist Gewähr geboten, dass mindestens für die nächsten zehn Jahre keine Erhöhung der Lohnabzüge und keine Mehrwertsteuererhöhung nötig ist. Die Goldinitiative bringt in zehn Jahren ca. 10 Milliarden für die AHV. Der Gegenvorschlag dagegen lediglich 3,3 Milliarden. Und nach zehn Jahren müssten auf alle Zeiten hinaus stets mindestens 700 Millionen pro Jahr weniger Steuern oder Lohnprozente erhoben werden. So verteilt die Goldinitiative das Volksvermögen gerecht. Bei Ablehnung der Initiative müsste, um in zehn Jahren auf die 10 Milliarden zu kommen, bereits ab 2008 die Mehrwertsteuer um ein halbes Prozent erhöht werden. So sieht es der Bundesrat vor, um die Differenz auszugleichen.
Spoerry: Wenn Sie die ganzen Erträge in die AHV geben, wird die Substanz nominell entwertet. Heute haben wir einen Umsatz der AHV von 30 Milliarden pro Jahr, und in zehn Jahren werden es 40 Milliarden sein – das ist die Folge der Demographie. Entsprechend kleiner ist das nominelle Vermögen, das dem gegenübersteht. Das kann dann auch nicht mehr ein halbes Mehrwertsteuerprozent ersetzen. Der grosse Vorteil des Gegenvorschlages ist, dass von den nominellen Erträgen zuerst die Teuerung zur Substanz zugeschlagen wird. Die Substanz ist dann in zehn Jahren nicht mehr 20 Milliarden, sondern je nach Teuerung 25 oder 30 Milliarden, und bringt auch die entsprechend real korrigierten Erträge. Bei Ihnen wird im Minimum das Volksvermögen inflationsbedingt verringert. Etwas anderes ist in der Initiative mindestens nicht vorgesehen.
Blocher: Der Gesetzgeber ist frei, ob er das Vermögen inflationsbereinigt oder absolut erhalten will. Aber auf jeden Fall für immer.
Spoerry: Aber immer nur für die AHV. Beim Gegenvorschlag jedoch kann die nächste Generation das real erhaltene Vermögen für ihre dannzumaligen Bedürfnisse einsetzen.
Andere Wege der Goldverteilung
Wenn die SVP sagt, sie möchte das Gold an das Volk verteilen, gäbe es dafür nicht direktere Wege?
Blocher: Wir haben das geprüft. Zuerst wollten wir das Gold direkt den Bürgerinnen und Bürgern verteilen. Jeder bekäme dann etwa 3500 Franken. Das gibt aber Verteilungs- und Inflationsprobleme, und das Vermögen wäre auf einmal aufgebraucht. Über den AHV-Fonds kommt der Beitrag allen zugute, den Jungen, den Mittelalterlichen und den Alten, weil sie alle weniger für die AHV zahlen müssen, um die Renten zu sichern. Das ist besser, als es in alle Welt zu verteilen.
Warum beschränken Sie sich im Text nicht auf die nicht mehr benötigten 1300 Tonnen? Sie ziehen die Nationalbank in die politische Diskussion.
Blocher: Die Nationalbank bestimmt weiterhin, welche Währungsreserven sie nicht benötigt. Ob dies 1300 Tonnen Gold sind oder etwas anderes, hat sie zu bestimmen. Sie hat sich – erst nach Lancierung der Initiative – für 1300 Tonnen Gold entschieden. Also sind es 1300 Tonnen Gold.
Spoerry: Aber Ihre Initiative stellt im dauernden Verfassungsrecht einen direkten Bezug her zwischen den Währungsreserven der Nationalbank und der AHV. Und es ist völlig klar, dass in diesem Fall die Politik in Versuchung geraten wird, bei künftigen Finanzierungsproblemen der AHV Druck auf die Nationalbank auszuüben.
Die Lösung der AHV-Probleme
Wir können also die Probleme der AHV so oder anders nicht lösen?
Blocher: Natürlich löst auch die Goldinitiative nicht alle Probleme der AHV. Aber sie gewährleistet, dass mindestens zehn Jahre lang weder Rentenkürzungen noch eine Erhöhung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge, noch der Mehrwertsteuer nötig sind, was den Wirtschafts- und Arbeitsplatz Schweiz stärkt und den Leuten mehr zum Leben lässt.
Spoerry: Wenn man von den teuerungskorrigierten Erträgen ausgeht, dann kann man in der absehbaren Zukunft mit höchstens 3 Prozent Ertrag rechnen, das sind 600 Millionen. Der Gegenvorschlag würde also 200 Millionen in die AHV geben, die Goldinitiative 600 Millionen, dafür gar nichts den Kantonen. Ein Mehrwertsteuerprozent beträgt 2,5 Milliarden. Deswegen ist Ihr Versprechen sehr kühn.
Das Profil der Solidaritätsstiftung
Widerstand gibt es bei der Zielsetzung der Stiftung: ein nicht fokussiertes Sammelsurium.
Spoerry: Die Stiftung hat ein sehr klares Profil, aber sie schreibt nicht bestimmte Projekte vor. Sie bekämpft Armut und Krankheit, ermöglicht Jugendlichen Perspektiven, vor allem in benachteiligten Ländern, stärkt demokratische Strukturen und unterstützt ökologische Projekte. Sie kann in aussergewöhnlichen Notsituationen Soforthilfe leisten. All das im In- und im Ausland. Das Ziel ist gesellschaftliche Stabilität, weil diese die Voraussetzung ist für Sicherheit und Wohlstand hier im eigenen Land und natürlich noch viel mehr auf der Welt. Wenn wir dieses Ziel erreichen, dann machen wir etwas in unserem eigenen Interesse. Ich glaube, dass dafür der Einsatz von weniger als 1 Promille Mehrwertsteuer gut verwendetes Geld ist.
Blocher: Mit der Stiftung kann durch den Stiftungsrat praktisch alles getan werden: Es ist ein Selbstbedienungsladen. Und dafür will man 7 Milliarden Volksvermögen nutzen. Dazu die Problematik: Die Stiftung wurde unter massivem Druck 1997 unter dem Traktandum “Nachrichtenlose Vermögen” in die Welt gesetzt. Darum muss auch die Hälfte heute ins Ausland gehen. Nie würde man eine solche Stiftung machen mit einer Steuererhöhung! Man käme in der Bevölkerung nämlich nicht durch.
Spoerry: Aber wir fragen ja die Bevölkerung! Die Stimmberechtigten können am 22. September entscheiden, ob sie einen Teil der Erträge des unerwarteten Sondervermögens für die Stiftung verwenden wollen oder nicht. Die Volksmitsprache ist vollumfänglich gewährleistet.
Was kann man mit einer solchen Stiftung überhaupt erreichen? Greift sie nicht Aufgaben auf, die eigentlich aus dem normalen Etat finanziert werden müssten?
Spoerry: Die Stiftung ersetzt nicht staatliche Aufgaben. Aber sie kann dort, wo der Staat nicht alles erreichen kann, unterstützend eingreifen. Die Mittel werden zur Hälfte im Inland, zur Hälfte im Ausland eingesetzt. Auch im Inland sind wir mit neuen Phänomenen konfrontiert – wie etwa Gewalt an den Schulen, zunehmender Lese- und Schreibschwäche oder Armut von Familien -, die alle die Stabilität der Gesellschaft gefährden.
“Ich nehme das nicht so ernst”
Bei jeder Veranstaltung können wir feststellen, dass diese Art von Inlandeinsätzen, die Sie geschildert haben, die Leute nicht überzeugt. Wieso hat man diese hälftige Teilung gemacht?
Spoerry: Das war ein politischer Kompromiss. Wenn wir alles ins Ausland geben würden – wodurch man meiner Meinung nach die Wirkung massiv verstärken könnte -, dann hätten wir den Vorwurf wahrscheinlich nicht zuletzt von Christoph Blocher hören müssen, das Volksvermögen der Schweiz werde restlos im Ausland verteilt. Ich kenne kleine private Organisationen, die mit Know-how vor Ort in den Slums von Delhi jungen Menschen eine Ausbildung verschaffen und die nachweisen können, dass diese Leute dadurch eine Stelle finden. Das sind Ansätze.
Blocher: Natürlich kann man beim Geldverteilen für Projekte schwärmen. Doch ich nehme das nicht so ernst. Man kann viel Elend auf der Welt aufzählen, aber zu glauben, mit dieser Stiftung, die alles zulässt, werde hier etwas wesentlich verbessert…
Spoerry: Und Sie glauben, mit dem Geld, das in diese Stiftung fliesst, dagegen die AHV sichern zu können…
Blocher: Frau Spoerry, gerade in einer Zeit, wo wir wirtschaftlich nicht recht wissen, wie es herauskommt, ist es verantwortungsvoll, zu schauen, dass wir unsere Probleme lösen, statt 7 Milliarden in eine so diffuse Stiftung zu stecken und zu verschenken.
Zur Erpressungsthese
Spoerry: Das Volk kann in völliger Freiheit darüber entscheiden, ob es das will oder nicht. Die Stiftungsidee, und da treffe ich mich mit Herrn Blocher, ist in einem unglücklichen Zeitpunkt bekannt gegeben worden. Vielleicht sogar aus einer gewissen Drucksituation heraus, das bestreite ich nicht. Das ändert nichts daran, dass die Stabilität in der Gesellschaft unabhängig von der Geburtsstunde ein wichtiges Ziel ist. Wir haben alle Vermutungen, die Leute jenseits des Atlantiks sich vorgestellt haben, mit dem Stiftungsgesetz ein für alle Mal begraben.
Wo ist eigentlich die Erpressung, wenn der Erpresste das nicht tun will, was der Erpresser von ihm haben möchte?
Blocher: Es ist das Wesen der Erpressung, dass es der Erpresste nicht tun will. Frau Spoerry weiss, dass die Stiftung aber das tun müsste: Herr Bundespräsident Koller hat am 5. März 1997 vor der Bundesversammlung, als die Schweiz unter ausserordentlichen erpresserischen Druck gesetzt wurde, leider dem Druck nachgegeben und verkündet, dass 7 Milliarden in eine Solidaritätsstiftung gehen sollen. Dies könne man für Verschiedenes gebrauchen, Bekämpfung von Rassendiskriminierung usw. und wörtlich “selbstredend auch für Holocaust- und Shoah-Opfer”. Wenn wir die Stiftung machen, werden diese Kreise jedes Jahr kommen und uns um Erträge aus der Stiftung erpressen.
Spoerry: Die Gesetzesmaterialien sind eindeutig: Es gibt keine “Wiedergutmachung”. Die Stiftung geht die Probleme in der Zukunft an, nicht jene der Vergangenheit. Die Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit ist im Gesetz sichergestellt.
“Die Banken haben’s finanziert”
Blocher: Der Stiftungszweck erwähnt aber ausdrücklich die Bezahlung für Folgen der Vergangenheit. Darum wollen die Banken diese Stiftung. Ich frage Sie, Frau Spoerry, Sie waren Mitglied des Verwaltungsrates der Credit Suisse, warum haben denn die Banken ein solches Interesse, den Abstimmungskampf zu finanzieren? Heute habe ich – durch einen Brief der UBS vom Juni 2002 – erfahren, dass sie sogar die Vorarbeiten zur Gründung der Solidaritätsstiftung finanziell unterstützten. Die Banken taten dies ja nicht als humanitäre Steigbügelhalter für die Schweiz und um die Armut zu bekämpfen!
Ich verstehe, dass es um die Vorbereitung zum Abstimmungskampf…
Blocher: Nein, ausdrücklich zur “Vorbereitung zur Gründung der Stiftung”.
Spoerry: Das ist mir unbekannt. Sicher ist ein wesentliches Motiv der Banken die Unabhängigkeit der Nationalbank. Die liegt ihnen am Herzen, und die ist mit dem Gegenvorschlag gewährleistet.
Blocher: Die Goldinitiative ändert an der Unabhängigkeit der Nationalbank nichts.
Spoerry: Doch. Eine Gefährdung ist nicht auszuschliessen. Dies zu verhindern, ist ein sehr wichtiges Anliegen des Finanzplatzes und auch der Politik.
Es ist anzunehmen, Herr Blocher, dass auch Ihr Abstimmungskampf irgendwie finanziert wird.
Blocher: Wir haben eine übliche Finanzaktion. Es sind natürlich relativ viele kleine Spenden. Dazu haben wir einen kleinen Beitrag von der Aktion für eine neutrale Schweiz eingesetzt. Ich werde das Defizit persönlich übernehmen.
Die Folgen eines doppelten Nein
Es könnte sein, dass wir jetzt eine völlig irrelevante Diskussion führen, weil am Abstimmungssonntag beide Vorlagen das Ständemehr nicht erreichen. Schliessen Sie sich am Montag darauf der SP an, dass das Nationalbankgold in die AHV einzubringen ist?
Blocher: Nein, das ist nicht möglich. Ich kämpfe für die Annahme der Goldinitiative als gerechteste und verantwortungsvollste Lösung. Wenn zweimal Nein herauskommt, ist die Stiftung beerdigt, aber auch die ganzen Goldreserven können nicht mehr in die AHV gehen, mit all den negativen Folgen.
Spoerry: Ich kämpfe bis zum 22. September für den Gegenvorschlag. Was nach einem doppelten Nein passiert, ist offen. Ich bin überzeugt, dass der Verteilkampf von neuem beginnen wird, weil bei zweimal Nein gar nicht eruierbar ist, was die Stimmenden mehrheitlich gewollt haben – ausser wohl, dass das Geld nicht in diese Stiftung und nicht vollumfänglich in die AHV fliessen soll.
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