Zwei zanken um die gerechte Art, Gold zu verteilen

Streitgespräch mit Ständerätin Christine Beerli (FDP/BE) im “Bund” vom 31. August 2002

Was soll mit dem überschüssigen Nationalbankgold geschehen? Je ein Drittel der Erträge an AHV, Kantone und Solidaritätsstiftung? Das sei helvetisch ausgewogen, findet Christine Beerli (fdp). So bleibe das Vermögen auch real erhalten. Oder alles Gold für die AHV? Nur das sei verantwortungsvoll, findet Christoph Blocher (svp). Die Stiftung bleibt für ihn Produkt einer Erpressung.

Gesprächsleitung: Patrick Feuz

Frau Beerli, Sie loben den Gegenvorschlag «Gold für AHV, Kantone und Stiftung» als «echt schweizerisch». Ist Christoph Blochers Initiative, die alles unbenötigte Nationalbankgold der AHV geben will, unschweizerisch?

Christine Beerli: Mit schweizerisch meine ich ausgewogen. Daneben ist der Gegenvorschlag vor allem auch nachhaltig. Er gewährleistet auf Verfassungsebene, dass der gesamte Erlös aus dem Verkauf der 1300 Tonnen Gold – es geht um 19 bis 20 Milliarden Franken – in einen Fonds gelegt wird und dort real, also teuerungsbereinigt, während 30 Jahren erhalten bleibt. Spätere Generationen haben wieder die Möglichkeit, frei über die Verwendung dieses Sondervermögens zu entscheiden.

Christoph Blocher: Bei beiden Vorlagen bleibt das Vermögen erhalten. Beim Gegenvorschlag nur für 30 Jahre, bei der Goldinitiative für immer. Aber: Die Initiative will das Gold für die AHV nutzen, der Gegenvorschlag für vieles, unter anderem für eine erpresste Stiftung. Bei der Goldinitiative entscheidet dann der Gesetzgeber, ob das Gold im Eigentum der Nationalbank bleibt, oder durch einen Fonds verwaltet wird, oder ob es im Eigentum des AHV-Fonds verwaltet wird. In beiden Fällen fliessen nur die Erträge in die AHV.

Beerli: Wenn das ganze Vermögen in den AHV-Fonds fliesst und die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV nicht wie vom Parlament vorgesehen im Jahr 2008 erhöht werden soll, wird das Vermögen aufgebraucht. Und die Mehrwertsteuer muss anschliessend trotzdem erhöht werden.

Blocher: Nein. Dank den Erträgen der 20 Milliarden muss die Mehrwertsteuer für die AHV mindestens 10 Jahre nicht erhöht werden und dann stets um rund eine Milliarde weniger, ohne dass das Vermögen verbraucht wird.

Beerli: Ein weiterer Fehler der Initiative liegt darin, dass alle «nicht mehr benötigten Währungsreserven» in den AHV-Fonds fliessen sollen, also auch künftige. Damit wird die Frage der Währungsreserven mit dem emotionalen Thema der AHV-Finanzierung verknüpft. Das wird zu unzulässigem politischem Druck auf die Nationalbank führen. Der Gegenvorschlag hingegen spricht explizit von den 1300 Tonnen Gold, die aktuell zur Verfügung stehen.

Blocher: Die Goldinitiative tastet die Unabhängigkeit der Nationalbank in keiner Weise an. Die Nationalbank entscheidet auch weiterhin allein, ob sie überschüssige Reserven hat und wie viel. Aber mit der Initiative können alle Schweizerinnen und Schweizer gerecht an diesem Volksvermögen teilhaben und müssen für die AHV jährlich nicht immer mehr bezahlen. Die Initiative verhindert, dass Politiker das Volksvermögen verschenken können.

Herr Blocher, Sie spielen den Beschützer der populären AHV. In der laufenden AHV-Revision verweigert aber die SVP dem Sozialwerk dringend benötigte neue Mittel. Und einkommensschwachen Rentnerinnen und Rentnern will die SVP kein Geld geben, um sich die vorzeitige Pensionierung leisten zu können.

Blocher: Die SVP will, dass die Renten finanziert werden können, und diese Mittel sind der AHV zur Verfügung zu stellen. Unter anderem mit der Goldinitiative. Die AHV steckt in Finanzschwierigkeiten, weil die Zahl der Rentner im Verhältnis zu den Beschäftigten grösser wird. Darum verbessert die Initiative die Situation. Höhere Leistungen wie etwa durch vorzeitige Pensionierungen sind aber auszuschliessen. Würde man dies tun, bleibt entweder für die übrigen Rentner weniger Geld, oder wir erhöhen die Lohnabzüge oder die Mehrwertsteuern. Schon nur um das heutige Leistungsniveau finanzieren zu können, braucht es in fünf Jahren eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, wenn die Goldinitiative nicht angenommen wird. Von der Initiative profitieren alle, Jung und Alt, weil sie weniger bezahlen müssen. Gerade in der heutigen unsicheren Zeit ist es verantwortungslos und unschweizerisch, das Vermögen nicht zum Nutzen des Volkes zu verwenden. Die Goldinitiative ist aber auch wichtig zur Erhaltung der Arbeitsplätze, weil Steuerniveau und Staatsquote weniger steigen als beim Gegenvorschlag. Die Initiative nimmt den Kantonen nichts weg. Kürzlich wurde beschlossen, die Ausschüttung der Nationalbankgewinne von jährlich 1,5 auf 2,5 Milliarden pro Jahr zu erhöhen, damit bis in 13 Jahren keine neuen unbenötigten Reserven entstehen. Die Kantone bekommen ab nächstem Jahr zusätzliche 650 Millionen. Hoffentlich geben sie es nicht einfach wieder aus.

Beerli: Am 22. September geht es nicht um die ordentlichen Nationalbankgewinne, sondern um die unbenötigten Währungsreserven. Bei diesem Sondervermögen sollen die Kantone laut SVP leer ausgehen. Alle Kantonsregierungen und auch die kantonalen Finanzdirektoren sind für den Gegenvorschlag. Der Kanton Bern bekäme mit dem Gegenvorschlag 40 Millionen im Jahr. Die AHV ist unser wichtigstes Sozialwerk. Auch unsere Lösung will ihr einen Anteil geben. Aber auch der Föderalismus ist eine gute Sache. Deshalb müssen auch die Kantone etwas bekommen.

Blocher: Wer sind die Kantone? Nicht die Regierungsräte und Finanzdirektoren, sondern die Leute, die in den Kantonen wohnen. Und das sind die Leute, die von der Goldinitiative profitieren. Dass die Regierungsräte und Finanzdirektoren einen Drittel der Golderträge wollen, ist klar. Sie werden das Geld weiter ausgeben und nicht Schulden abbauen oder Steuern senken, und die Leute müssen für die AHV dauernd mehr bezahlen.

Beerli: Die meisten Kantone werden mit dem Geld Schulden abbauen. Ein finanzschwacher Kanton wie Bern wird um Steuererhöhungen herumkommen. Davon profitieren die Kantonsbürgerinnen und Kantonsbürger direkt.

Herr Blocher sagt: zehn Jahre keine Erhöhung der Mehrwertsteuer für die AHV dank Goldinitiative. Frau Beerli, kommen Sie zum gleichen Resultat?

Beerli: Ich schliesse aus Herrn Blochers Aussagen, dass auch er die Erträge in den AHV-Fonds legen will und nicht das Vermögen, wie dies laut Initiative möglich wäre. Herr Blocher rechnet mit einem Ertrag von jährlich einer Milliarde Franken. In dieser Rechnung werden nicht die teuerungsbereinigten Zinsen eingelegt, sondern Zinsen von fünf Prozent. Dadurch wird das Vermögen angeknabbert. Wir aber wollen die Zinsen minus die Teuerung einlegen und so das Vermögen real erhalten. Das ergibt einen jährlichen Ertrag von 600 Millionen Franken. Das entspricht 0,18 Mehrwertsteuer-Prozenten. Die SVP-Initiative kann also nicht einmal die im Jahr 2008 nötige und geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,5 Prozent verhindern. Zur langfristigen Sicherung der AHV braucht es nicht die SVP-Initiative, sondern strukturelle Reformen, die wir mit der 11. AHV-Revision angehen. Wie gesagt: Die AHV ist unser wichtigstes Sozialwerk.

Blocher: Das können Sie beweisen, indem Sie das Volksvermögen für die AHV nutzen. Wenn jemand erklärt, der Ertrag von 20 Milliarden Franken sei nichts und mache bei der AHV keinen Unterschied, kann er nicht mit Geld umgehen. Mit dieser Mentalität hat man es im Bundeshaus fertig gebracht, einen Schuldenberg von 100 Milliarden Franken anwachsen zu lassen. Ihre Partei, die FDP, stand dabei im Vordergrund, zuletzt bei den Krediten für Expo und Swissair. Immer hat es geheissen: Das ist doch nicht viel Geld.

Beerli: Ich unterschätze den Ertrag der 20 Milliarden nicht. Es ist viel Geld, und es ist Volksvermögen. Wir haben die Verantwortung, dieses Geld sinnvoll, ausgewogen und nachhaltig einzusetzen. Das tun wir.

Am Anfang des Goldstreits war die Solidaritätsstiftung. Frau Beerli, warum braucht es die Stiftung?

Beerli: Die Stiftung will die humanitäre Tradition der Schweiz wiederbeleben und stärken. Die Schweiz hat hier in der Vergangenheit viel getan, etwa mit dem Roten Kreuz, einem grossen Werk mit Glanz gegen aussen, das zum guten Ruf unseres Landes beigetragen hat. Das Rote Kreuz hat immer auch gezeigt, dass die Schweizerinnen und Schweizer am Zusammenleben von reicheren und ärmeren Menschen gearbeitet haben, von Menschen, die vom Schicksal privilegiert sind, und solchen, denen es schlechter ergeht. So etwas möchten wir wieder schaffen. Es soll ein zukunftsgerichtetes Werk sein, das auch jüngeren Leuten helfen soll, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Die Stiftungsidee ist im Zusammenhang mit der Diskussion um nachrichtenlose Vermögen entstanden. Das ist eine Hypothek, weil die Gegner behaupten, die Stiftung sei ein Werk der Erpressung. Das kann sie aber schon deshalb nicht sein, weil wir jetzt völlig unbeeinflusst von aussen abstimmen können, ob wir die Stiftung wollen oder nicht. Im Übrigen schliesst das Stiftungsgesetz Zahlungen an Holocaust-Opfer aus.

Blocher: Das Rote Kreuz ist keine staatliche Institution. Es war eine rein private Initiative. Henry Dunant wollte die Not von Kriegsopfern lindern. Das war ein guter Beweggrund. Deshalb hat das Rote Kreuz überdauert. Die Stiftung ist 1997 unter grösstem Druck aus dem Ausland entstanden, sie wurde erpresst. Bundespräsident Arnold Koller sagte damals vor der Bundesversammlung, von der Stiftung könnten «selbstredend auch Shoa- und Holocaustopfer» profitieren. Das Stiftungsgesetz ist so schwammig formuliert, dass alles möglich ist. Die Stiftung ist ein Selbstbedienungs-Laden. Zudem werden wir jedes Jahr unter Druck geraten seitens jener Kreise, die sich an das Versprechen Kollers erinnern können.

Beerli: Noch einmal: Das Stiftungsgesetz schliesst Ansprüche auf Einzelleistungen aus. Die Stiftung wird Projekte von öffentlichen und privaten Institutionen finanzieren. Ein Stiftungsrat aus Schweizerinnen und Schweizern wird die Gesuche beurteilen. Die Mehrheit der Mitglieder soll unter 40 Jahren sein. Auch das zeigt, dass die Stiftung zukunftsgerichtet ist.

Wo soll die Stiftung konkret helfen?

Beerli: Als Präsidentin der Pro Juventute weiss ich etwa, dass es viele Projekte zugunsten Not leidender oder misshandelter Kinder gibt, aber das Geld fehlt, weil es sich um keine Staatsaufgabe handelt. Das Nottelefon 147 wird von Tausenden von Kindern benutzt. Die Kosten sind viel höher als die jährliche Bundessubvention. Angesichts der steigenden Misshandlungsrate wäre auch ein Nottelefon für überforderte Eltern sehr sinnvoll.

Herr Blocher, was haben Sie gegen ein Nottelefon für überforderte Eltern?

Blocher: Es gibt tausend Dinge, die schön wären. Das sind aber alles neue Staatsaufgaben…

Beerli: …eben gerade nicht, die Stiftung braucht kein Steuergeld.

Blocher: Das Geld, das in die Stiftung geht, fehlt in der AHV. Die Bürgerinnen und Bürger müssen deswegen jedes Jahr 350 Millionen mehr bezahlen, wenn diese Stiftung errichtet wird.

Falls es am 22. September ein doppeltes Nein gibt: Für welche Goldverwendung werden Sie sich danach einsetzen?

Beerli: Dann sollen die Erträge zu einem Drittel an den Bund und zu zwei Dritteln an die Kantone gehen, analog dem Verteilschlüssel für die ordentlichen Nationalbank-Gewinne. Aber diese Lösung war bis anhin nicht mehrheitsfähig und wird es auch in Zukunft nicht sein. Nach einem doppelten Nein wird das Gerangel erneut beginnen, und es besteht die Gefahr, dass das Vermögen schlussendlich doch noch aufgebraucht wird.

Blocher: Nach einem doppelten Nein ist die unglückliche Stiftung vom Tisch. Natürlich können wir dann auch nicht mehr alles Gold der AHV geben. Die SVP wird sich dann für zwei Drittel an die AHV und einen Drittel an die Kantone einsetzen, was wohl die SP unterstützen wird.


Worum es geht

paf. Am 22. September wird über die Goldinitiative der SVP und den Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament abgestimmt. Beide Vorlagen brauchen ein Volks- und Ständemehr. Aber eigentlich stehen vier Vorschläge zur Debatte:

SVP-Initiative: Sie will alle unbenötigten Währungsreserven, also auch künftige, der AHV zukommen lassen. Die Initiative lässt offen, ob die Reserven oder deren Erträge in den AHV-Fonds kommen.

Gegenvorschlag
: Er will die Erträge aus der Bewirtschaftung des überschüssigen Goldes zu je einem Drittel auf AHV, Kantone und Solidaritätsstiftung verteilen. Gerechnet wird mit Erträgen von jährlich 600 Millionen Franken. Der Gegenvorschlag bezieht sich auf die aktuell zur Verfügung stehenden 1300 Goldtonnen im Wert von 20 Milliarden. Der Verteilschlüssel ist 30 Jahre gültig.

Zweimal Ja: Gewerkschaftskreise werben für ein doppeltes Ja. In diesem Fall bringt die Stichfrage die Entscheidung.

Zweimal Nein: Ein FDP-dominiertes Komitee empfiehlt ein doppeltes Nein. In der Hoffnung, dass die unbenötigten Reserven dann zu einem Drittel an den Bund und zu zwei Dritteln an die Kantone gehen, analog den ordentlichen Nationalbankgewinnen.

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