«So wäre das Regieren interessant»

Interview mit dem Tages Anzeiger vom 6. November 2002

In Brasilien habe Lula da Silva 22 Jahre gekämpft, bis er an die Macht kam, sagt Christoph Blocher. “Ich werde mein Ziel wohl erst erreichen, wenn ich aus Altersgründen für den Bundesrat nicht mehr in Frage komme.”

Interview: Richard Aschinger

Am 4. Dezember wählt die Bundesversammlung eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für die Genfer Sozialdemokratin Ruth Dreifuss. Warum treten nicht Sie als Sprengkandidat an?

Christop Blocher: Wir haben in der SVP fähige Leute, die bereit sind anzutreten. Ich bin da nur die letzte Reserve.

Aber Sie sind doch der Beste . . .

Blocher: Toni Bortoluzzi ist ein hervorragender Kandidat. Ein ausgezeichneter Kenner der Probleme im Sozialversicherungsbereich. In der zuständigen National-ratskommission, die er jetzt präsidiert, hat er an wichtigen Reformen mitge-arbeitet. Als selbstständiger Schreinermeister verfügt er über KMU-Erfahrung. Wir hätten endlich wieder einmal einen Bundesrat, der in diesem Gebiet über eigene Sachkompetenz verfügt. Frau Dreifuss hat einfach ihr gewerk-schaftliches Modell vertreten, und Frau Metzler betet die Botschaft ihrer unter-gebenen Beamten nach. Toni Bortoluzzi wäre ein zweiter Willi Ritschard, nur auf soliderem Boden, weil er nicht Sozialdemokrat ist. Es wäre gut, im Bundesrat wieder einmal einen mit viel gesundem Menschenverstand zu haben.

Nehmen wir einmal an, am 4. Dezember würde der SVP-Kandidat gewählt. Was wären die Konsequenzen?

Blocher: Dann wären in Zukunft unsere Vorschläge schon in der Regierung viel stärker vertreten.

Der Reihe nach: Wenn Bortoluzzi gewählt würde, wäre die Chance gross, dass die SP sich ganz aus der Regierung zurückzieht.

Blocher:
Warum? Wir haben ja auch nur einen Sitz im Bundesrat und treten nicht aus.
Für die SP hat die Dreifuss-Nachfolge symbolische Bedeutung. Und für Bundesrat Leuenberger wäre ein Rücktritt aus Protest gegen eine bürgerliche Sprengaktion die Gelegenheit, als guter Sozialdemokrat und Verteidiger der Konkordanz in die Geschichte einzugehen.

Blocher: Das ist möglich. Da muss die SP selber wissen, was sie will.

Wenn Leuenberger zurückträte: Wer sollte den zweiten SP-Sitz erben?

Blocher: Vom Wähleranteil her gesehen könnte die SVP drei Sitze bean-spruchen. Von der Grösse der Fraktion die im Ständerat stärker vertretene FDP. Wir würden uns da sicher einigen. Wichtig wäre dann, dass eine Person gewählt würde, die das bürgerliche Gedankengut voll und ganz vertritt. Allein im Bundesrat würden die Bürgerlichen die Verantwortung tragen. Wir müssten uns ständig mit einer echten Opposition auseinander setzen. So wäre das Regieren interessant. In einer solchen Regierung wäre ich gern.

Basis eines bürgerlichen Bundesrats müsste ein Koalitionsvertrag zwischen der SVP, FDP und CVP sein. Was wären die Kernpunkte? Bei den Finanzen, wo die SVP weitere Steuersenkungen fordert?

Blocher: Wir verlangen seit 1999, die Steuern seien um 10 Prozent zu senken, nicht nur für Familien, sondern auch für die Unternehmen. Das könnten die drei bürgerlichen Parteien im Rahmen des Steuerpakets, das jetzt im Parlament liegt, rasch verwirklichen. Das wäre auch ein starkes wirtschaftspolitisches Signal. Dann kämen viele neue Unternehmen mit vielen neuen Arbeitsplätzen in die Schweiz.

Zuerst gäbe das weitere Milliardenlöcher im Haushalt von Bund und Kantonen . . .

Blocher: Wir haben Sparvorschläge im Umfang von rund 2,5 Milliarden Franken pro Jahr unterbreitet. Im Gesamthaushalt gesehen ist das ein Pappenstiel. Hätten wir die Expo nicht gemacht und uns nicht ins Swiss-Abenteuer gestürzt, hätten wir für das laufende Jahr schon drei Milliarden gespart. Persönlich wäre ich für wesentlich grössere Einsparungen von 5 Milliarden. Da müsste man sich in einer bürgerlichen Regierung dann halt einigen.

Rasch Steuern senken. Später über Sparmöglichkeiten reden. Das Resultat wären massive Defizite. Haben die Bürgerlichen nicht immer wieder der Linken vorgeworfen, sie propagiere Defizitwirtschaft?

Blocher: Steuereinnahmen steigen und sinken mit der Konjunktur. Schlimm sind steigende Ausgaben, nicht vorübergehende Defizite. Wir müssen die Steuern senken und die Gesamtausgaben reduzieren.

Wo konkret? Zum Beispiel bei der Land- und Forstwirtschaft, wo SVP-Wähler und -Wählerinnen betroffen wären?

Blocher: Kaum ein Bereich hat Reduktionen erfahren wie die Landwirtschaft. Seit man die Landwirtschaft nicht mehr über Preise, sondern mit Direktzahlungen unterstützt, haben die Bauern massive Einbussen erlitten. Ich habe nichts gegen dieses System, aber die Agrarbürokratie muss weg. Wir brauchen ein einfaches System, in dem Bauern abgestuft nach Lage für die Bewirtschaftung des Landes entschädigt werden. Unser Interesse ist, dass das Land nicht vergandet. Was die Bauern anbauen, ist ihre Sache.

Also keine weiteren Sparschnitte in der Landwirtschaft?

Blocher: Nein, aber das genannte System brächte geringere Kosten und mehr für die Bauern.

Bei der Armee?

Blocher: Alle Departemente können Kosten senken, ohne Leistungen abzubauen. Und überall gibt es auch Leistungen, auf die man verzichten kann. Am grössten ist das Sparpotenzial in der Aussenpolitik, vom Asylwesen bis zur Entwicklungshilfe. Auch bei der Armee kann man noch sparen. Die Auslandeinsätze der Armee sind aussenpolitischer Schnickschnack. Und Dienstleistungen der Armee für zivile Anlässe, die auch andere erbringen können, soll man streichen. Es ist eine Sauerei, wenn man Soldaten für Wiederholungskurse aufbietet, die drei Wochen am Arbeitsplatz fehlen, um sie an der Expo Hilfsdienste leisten, bei Pferderennen Hindernisse aufstellen oder bei Schwingfesten den Verkehr regeln zu lassen. Auch in der Bürokratie kann die Armee noch sparen.

Der grösste Teil der Militärfinanzen geht nicht in Auslandeinsätze, sondern in den Betrieb von Hightech-Waffensystemen.

Blocher: Für Bauten und Administration sind die Kosten zu reduzieren. Nicht aber für Waffen gegen neue Bedrohungen. Wir brauchen zwar keine Panzerarmee mehr. Aber auf einen Schutzschild gegen Angriffe aus der Luft können wir nicht verzichten. Unser Ziel muss es sein, Kosten zu senken und gleichzeitig die Leistung zu erhöhen.

Das ist das erklärte Ziel der Armeereform, gegen die jetzt aus Kreisen der SVP das Referendum ergriffen wird.

Blocher: Dieses Ziel wird nicht erreicht. Ich unterstütze dieses Referendum nicht. Aber ich bin nicht für diese Armeereform. Sie ist ein Schritt weg vom Milizsystem und bringt eine weitere Annäherung an die Nato. Eine Armee nach den Vor-stellungen der SVP ist wirksamer, aber nicht teurer.

Im Bereich Verkehr: Was würde eine bürgerliche Koalition da ändern?

Blocher: Im Strassenbau sind Geld und Projekte vorhanden. Hier kann der Staat in Zeiten wirtschaftlicher Flaute etwas mehr ausgeben, ohne dass sich die Situation des Bundeshaushalts verschlechtert: Die Lücken im National-strassennetz rasch schliessen, Hauptachsen ausbauen und am Gotthard eine zweite Röhre bauen.

Und im öffentlichen Verkehr?

Blocher: Da wird so viel investiert, dass man kaum noch mehr machen kann. Im öffentlichen Verkehr muss stärker die Wirtschaftlichkeit beachtet werden. Hier kann gespart werden.

Was würde eine bürgerliche Koalitionsregierung bei der AHV anders machen?

Blocher: Unser Konzept zielt auf eine Rentenerhaltung ohne neue Steuern und Abgaben bis mindestens 2012. Kein Ausbau der Leistungen, aber auch keine Kürzung. Die bereits beschlossene Mehrwertsteuererhöhung und die höhere Tabaksteuer müssen voll in die AHV fliessen. Und wir sind nach wie vor der Meinung, dass die Erträge der überschüssigen Goldreserven in die AHV-Kasse gehören.

Von Bürgerlichen hört man den Vorschlag, das Rentenalter weiter zu erhöhen.

Blocher: Das Rentenalter 65 für Männer und Frauen ist beschlossen. Das ist aber nicht für alle Ewigkeit fixiert. Auch der Trend, dass wir immer älter werden, kann sich ja wieder ändern.

Zur Aussenpolitik: Würde ein bürgerlicher Bundesrat unter SVP-Führung den Austritt der Schweiz aus der Uno anstreben?

Blocher: Nein. Austreten ist schwieriger als nicht beitreten. Der Beitritt ist be-schlossen. Aber eine ganz klar andere Linie gäbe es in der Europapolitik. Ein bürgerlicher Bundesrat müsste der EU endlich klar mitteilen, dass die Schweiz nicht beitreten wird. Die laufende zweite Runde der bilateralen Verhandlungen wäre abzubrechen. Über einzelne Sonderabkommen kann man verhandeln. Aber die Schweiz braucht kein neues Vertragspaket. Dass der Bundesrat in diese Ver-handlungen eingestiegen ist, hat nur zwei Ursachen: Bundesrätin Metzler will die Schweiz ins Schengen-Abkommen integrieren und so die Unfähigkeit des Bundesrats in der Ausländerpolitik vertuschen. Und man will das Land mit weiteren kleinen Schritten einem EU-Beitritt näher bringen.

Wie würde ein bürgerlicher Bundesrat auf die Forderung der EU reagieren, das bilaterale Abkommen, insbesondere die Freizügigkeit, auf die neuen EU-Mitglieder auszudehnen?

Blocher: Sie müsste Nein sagen. Ich würde dafür eintreten, dass über eine Aus-dehnung erst verhandelt wird, wenn das Volk nach sieben Jahren in der im Vertrag vorgesehenen Abstimmung Gelegenheit hatte, über die praktischen Folgen der Freizügigkeit zu befinden.

Auch dann, wenn die EU die weitere Gültigkeit des ganzen Abkommens von der Ausdehnung auf die neuen Mitglieder abhängig machen würde?

Blocher: Ja. Die Vorteile des bilateralen Abkommens für unsere Wirtschaft sind minim, weil wir im Schwerverkehr mit der Zulassung von 40-Tönnern schwere Nachteile tragen.

Zurück zum 4. Dezember. Gehen wir davon aus, dass diesmal kein zweiter SVP-Vertreter in den Bundesrat gewählt wird. Dann trifft man sich ein Jahr später nach den Parlamentswahlen zur Gesamterneuerung der Regierung. Welche Forder-ungen stellt die SVP, wenn sie ihre Position als wählerstärkste Partei noch ver-bessert?

Blocher: Nach den Wahlen stellt sich die gleiche Frage wie vorher: Will die Schweiz eine Konkordanzregierung oder nicht. Wenn ja, bekommen die drei grossen Parteien je zwei Regierungssitze und die kleine einen. Wenn nicht, dann müssen sich FDP und CVP entscheiden, ob sie eine Koalition mit der SVP oder mit der SP eingehen wollen. Wenn sie, wie heute, lieber mit der SP regieren, dann wird die in den Wahlen gestärkte SVP ihre Opposition halt verstärken. Unser Ein-stieg als vollberechtigte Regierungspartei ist nur eine Frage der Zeit. In Brasilien hat Lula da Silva 22 Jahre in der Opposition gekämpft. Jetzt wurde er zum Präsi-denten gewählt. Ich werde mein Ziel wohl erst erreichen, wenn ich aus Alters-gründen für ein Amt im Bundesrat nicht mehr in Frage komme.

← Indietro a: Testi