Die Vereidigung
Artikel in der “Sonntagszeitung” vom 14. Dezember 2003
Christoph Mörgeli über einen emporgestreckten Arm, der ein Gefühl der Erschütterung auslöste
Das vergangene Jahrhundert hat die alten Rituale mit Gründlichkeit aus dem öffentlichen Leben verbannt. Das ist nicht weiter bedauernswert. Umso mehr erscheint die Vereidigung der Bundesräte wie ein Relikt, das bei den allgemeinen Aufräumarbeiten vergessen ging.
Als er dann so dastand, mit dem emporgereckten Arm, die Finger zum Schwur geformt, überkam mich trotzdem ein Gefühl der Erschütterung. Gewiss, eine Restgenugtuung wegen der geglückten Wahl wird überdauern, aber wirklich in der Tiefe meiner Seele traf mich der Moment der Vereidigung. Christoph Blocher ist angekommen. Damit ist nicht gemeint, dass ihn das nackte, hohle Amt des Bundesrats allein je gereizt hätte. Doch die Wahl ist verbunden mit der neuen Möglichkeit, jene Qualitäten nun für das Land einzubringen, die ihn schon lange auszeichnen.
Das Gesicht dominiert ein Ausdruck der Besorgtheit
Christoph Blocher ist ein Verantwortungsethiker. Einer, der für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen bereit ist. Wer in aller Ruhe das Bild der Vereidigung betrachtet, sieht die Willensstärke des Mannes. Und doch dominiert das Gesicht ein Ausdruck der Besorgtheit. Es war schon immer die Mischung aus Leidenschaft und Verantwortung, die Christoph Blocher angetrieben hat.
Deshalb ist für ihn die Wahl zum Bundesrat auch nicht das ersehnte Ziel, wo man glücklich, aber ebenso erschöpft zur Ruhe kommt. Vielmehr eröffnet sich ihm ein weites Feld von Aufgaben, und es ist ihm gegeben, Aufgaben zu erkennen. Das ist schon viel. Ihn nun in die Rolle eines Heilsbringers drängen zu wollen, wäre völlig falsch und entspräche auch nicht seinem eigenen Menschenbild.
Ein solcher Satz mag auf den ersten Blick erschrecken
“Ich habe den Menschen gern, in seinen Stärken und Schwächen”, sagte Blocher unmittelbar nach den Parlamentswahlen vom 19. Oktober gegenüber der “Weltwoche”. “Deshalb misstraue ich allen, auch mir selber.” Ein solcher Satz mag auf den ersten Blick erschrecken. Aber letztlich entlastet er uns alle, auch ihn selber. Wer sich in Frage stellt, wird nicht Opfer einer blinden Selbstüberschätzung. Wer den Menschen trotz seiner Defekte mag, überfordert ihn nicht. Was darf man dafür von Blochers Gegnern erwarten? Wenigstens die Bereitschaft, ihm eine Chance zuzugestehen.
Wie es ihn in die Politik verschlagen habe und was ihm Erfolge bedeuten, beschrieb Christoph Blocher so: “Es begann bei mir mit den Sachfragen. Daraus ergab sich alles andere pragmatisch. Ich sehe den Erfolg gar nicht. Ich sehe nur, was man mit dieser Partei noch alles machen, was man mit meiner Firma noch alles unternehmen muss. Ich sehe Chancen, Möglichkeiten, Gefahren.”
Nun tut er das auch im Bundesrat. Ich freue mich darüber.
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