«Würde ich das Evangelium verkünden, käme das nicht gut»
Es hagelt Kritik von allen Seiten. Selbst das Bundesgericht sagt: «So nicht!» Doch Justizminister Christoph Blocher (64) hat kein schlechtes Gewissen. Der Justizminister macht unmissverständlich klar: «Ich will das enorme Asylproblem lösen.» Vorerst setzt er sich zum Ziel, die Asylgesuche auf einer Höhe von 10000 pro Jahr zu stabilisieren. Vor sechs Jahren waren es noch 48057 Gesuche.
19.03.2005, Blick (Werner de Schepper, Georges Wüthrich)
Herr Bundesrat, schlafen Sie auch einmal? Gestern waren sie bis spät am Abend im Ständerat und heute stehen Sie uns in aller Hergottsfrühe Red und Antwort…
«Während der Woche komme ich mit drei, vier Stunden Schlaf aus. Am Wochenende schlafe auch ich sieben, acht Stunden.»
Nachdem sie die Asyldebatte im Ständerat eine Nacht überschlafen haben? Kein schlechtes Gewissen für Ihre harte Linie in der Asylpolitik?
«Nein. Die Schweiz gibt ihre humanitäre Tradition nicht auf. Alle echten Flüchtlinge werden bei uns aufgenommen. Mir ist kein anders gelagerter Fall bekannt. Wir müssen endlich den enormen Asylmissbrauch lösen.»
Das haben alle EJPD-Vorsteher der letzten 20 Jahre versprochen…
«Ich will, dass es diesmal gelingt. Die Anzeichen sind gut. Ich verstehe ja, dass viele bei uns ein besseres Leben wollen, aber wir können nun einmal nicht alle aufnehmen. Die Illegalität, die wir damit schaffen ist unhaltbar.»
Ist es noch verhältnismässig, wenn ein Mensch aus Hoffung auf ein besseres Leben den Pass wegwirft und dafür in zwei Jahre in Beugehaft gesteckt wird?
«Es können einfach nicht alle kommen, die es bei uns schöner haben wollen. Ich kenne keinen einzigen Politiker, der den Mut dazu hat, das Gegenteil zu fordern. Also müssen Sie Regeln aufstellen. Wenn einer die Papiere vernichtet, nicht sagt aus welchem Land er kommt und die Heimreise verweigert, obwohl er es ohne weiteres könnte, dann müssen sie eine letzte Zwangsmassnahme in der Hand haben. Es geht hier auch nur um Einzelfälle, vielleicht 50 Leute pro Jahr.»
Sie sind ein praktizierender Christ und auch Sie kennen das Wort «Was Du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast Du mir getan». Wir reden von den Geringsten in unserer Gesellschaft.
«Es steht auch in der Bibel: Wer nicht arbeitet, soll nicht essen. Man kann auch Leute füttern, die Drogenhändler sind, unter dem Segen einer Kirchgemeinde. Das habe ich in Basel selber erlebt.»
Aber sie dürfen ja gar nicht arbeiten…
«Ich sage ja nicht, dass sie nichts zu essen bekommen sollen.»
Doch, im neuen Asylgesetz wollen Sie auch die Nothilfe einschränken. Das Bundesgericht hat gestern entschieden, dass damit das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen verletzt wird.
«Halt, das Bundesgericht hat einen Entscheid aus dem Kanton Solothurn aufgehoben, der längst vor der gestrigen Debatte im Ständerat gefallen ist. Dort ist einem Asylbewerber tatsächlich die Nothilfe gestrichen worden, weil er 150 Tage lang jede Mitwirkung verweigert hat.»
Was heisst das jetzt für Sie?
«Jetzt muss das eidgenössische Parlament handeln. Gestern hat der Ständerat vorsorglich entschieden, dass als letztes Mittel auch die Nothilfe gestrichen werden kann.»
Aber das braucht offensichtlich eine neue Verfassungsbestimmung.
«Das ist noch offen. Notfalls machen wir halt eine neue Verfassungsbestimmung.»
Haben Sie auch so viel Energie in neue Rückübernahme-Abkommen gesteckt wie in die die härtere Linie im Parlament?
«Ja, aber Sie müssen aufpassen. Ich will zwar Rückführungen, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass wir alle mit dem Flugzeug ausschaffen können. Das ist teuer, kompliziert, personalintensiv und äusserst mühsam. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sie von sich aus nach Hause zurückkehren.»
Indem man Ihnen weh tut…
«Die Attraktivität muss gesenkt werden. Der Beweis ist erbracht: Der Sozialhilfestopp nach Nichteintretens-Entscheiden hat zu einer deutlichen Senkung der Asylzahlen geführt.»
Immer mehr springen die Kirchen ein, wenn der Staat Essen und Trinken verweigert. Was sagen Sie dazu?
«Am Anfang mag es spektakulär sein, wenn am Fernsehen die Schweizer in Gut und Böse geteilt werden, aber das geht vorbei.»
Die Bischöfe vergleichen Ihre Asylpolitik immerhin mit einem Krebsgeschwür…
«Das Evangelium zu verkünden, ist eine schwierige Aufgabe. Das Asylproblem zu lösen ist ebenfalls eine schwierige Sache. Wenn ich das Evangelium verkünden würde, käme das nicht gut heraus. Wenn Bischöfe das Asylproblem lösen wollen auch nicht. Das haben die vergangenen Wochen gezeigt. Wenn Sie solche Worte wählen, ist das ihre Sache. Wenn ich deswegen von meiner Linie abkommen würde, dann wäre es nicht gut.»
Bringen Sie ihre Linie auch im Nationalrat durch?
«Ich weiss es nicht, ich werde alles dafür tun. Aber ich stelle mich auf eine Volksabstimmung ein. Wenn ich im Parlament durchkomme, was sehr von der CVP abhängt, wird es ein Referendum von Links geben. Im Abstimmungskampf brauche ich auch die Kantonsregierungen, denn die profitieren am meisten davon.»
Was streben Sie mit Ihrer Politik konkret an?
«Den Idealfall, nur echte Flüchtlinge. Realistischerweise richte ich mich für dieses Jahr auf eine Zahl 10 000 Asylgesuchen ein. Auf diese Grösse will ich die Infrastruktur für den Bund und die Kantone anpassen. Das wird auch einen Personalabbau zur Folge haben.»
Wie gross wird der Abbau sein?
«In meinem Departement und den Kantonen zusammen werden es einige Hundert Personen sein.»
Was passiert, wenn plötzlich Zehntausende kommen?
«Wir arbeiten an vorbehaltenen Entschlüssen. Eine Möglichkeit ist das Aufbieten des Zivilschutzes. Eine solche Notfallplanung will ich mit meinem Kollegen Schmid angehen.»
Wieso klammern Sie ständig den Beitritt zum Dubliner Erstasyl-Abkommen der EU aus! Das bringt doch auch viel.
«Wenn Dublin funktioniert und alle Länder ihre Daten wirklich preisgeben, dann kann Dublin tatsächlich eine Erleichterung bringen.»
Reden wir nicht ständig am Problem vorbei? Sie wissen ja gar nicht wieviele Ausländer sich illegal, und vor allem papierlos in der Schweiz aufhalten. Sind es 50 000 oder 300 000?
«Wir untersuchen das zurzeit vertieft. Die Zahl liegt eher tiefer als ursprünglich geschätzt. Nach jetzigem Stand können wir davon ausgehen, dass sie unter 100 000 liegt. Und da sehen Sie, dass wir nicht am Problem vorbeireden. Wenn weiterhin jedes Jahr 10 000 bis 15 000 abgewiesene Asylbewerber zu dieser Kategorie stossen, dann ist das gravierend.»
Noch zu anderen Themen: Die Schweiz plagt auch noch die Swiss-Geschichte…
«Sie werden verstehen, dass ich dazu keine Stellung nehme, bevor der Bundesrat entschieden hat.»
Andersherum gefragt: Sind Sie bereit nochmals Steuergeld in die Swiss zu investieren?
«Sie wissen, dass ich einer der erbittertsten Gegner dieses Swiss-Projektes war, weil eine solche Gesellschaft keine Überlebenschance hat. Man hat vergeblich Milliarden eingesetzt. Jetzt müssen wir halt schauen, wie wir da wieder herauskommen.»
Bleiben wir bei den Sorgen der Bevölkerung: Das Preisthema steht ganz oben.
«Wegen der schlechten Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre geht es den Leuten schlechter. Deshalb werden die Preise so wichtig.»
Andere behaupten, wie etwa der Chef der Wettbewerbskommission, dass Sie mit ihrem EWR-Nein schuld daran sind.
«Das ist eine Ausrede der unfähigen Politiker und unfähigen Unternehmer für ihr wirtschaftspolitisches Versagen.»
Sie haben auch eine Bauerndiskussion losgezettelt. Was wollen Sie?
«Wir hemmen die Bauern dermassen mit Regeln und Auflagen, dass sie fast nicht mehr unternehmerisch tätig sein können. Hier müssen wir zurückbuchstabieren. Ich bin dafür, dass wir dem Bauer einen Grundbetrag zur Bewirtschaftung des Landes geben. Aber dann soll er mit seinen Produkten auf den freien Markt.»
Neoliberale Denkfabriken ziehen auch die flächendeckende Bewirtschaftung in Frage und wollen ganze Täler veröden lassen.
«Das sollten wir nicht tun.»
Wenig hört man von Blocher zum Thema Gesundheitspolitik…
«Wir haben zu viel Staat im Gesundheitswesen. Die Konkurrenz spielt nicht. Da ist alles unglaublich verkalkt.»
Wie wollen Sie das langfristig lösen?
«Weniger Zwangsversicherung mit zu vielen Leistungen, mehr Privatspitäler.»
Also eine Zweiklassen-Medizin?
«Was heisst Zweiklassen-Medizin? Der Reiche konnte sich schon immer eine bessere medizinische Versorgung leisten als der Arme. Sie können in Zukunft nicht mehr allen jede Luxus-Medizin bieten. Ich rede hier nicht von Blinddarm-Operationen, sondern beispielsweise von Schönheitsoperationen. Am Schluss muss noch die Krankenkasse bezahlen, wenn jemand psychisch unter einer schiefen Nase leidet.»