Das Schweizer Revisionsrecht im Umbruch

Referat von Bundesrat Ch. Blocher vor der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Treuhänder-Verbandes vom 26. November 2005 im Rathaus Zürich

26.11.2005, Zürich

Zürich, 26.11.2005. Vor der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Treuhänder-Verbandes sprach Bundesrat Christoph Blocher über die umfassende Neuregelung der Revision, die der Gesetzgeber voraussichtlich dieses Jahr zum Abschluss bringe. Ausserdem ging er auf die Aktienrechtsrevision ein, die der Bundesrat ungefähr Ende Jahr in die Vernehmlassung geben wolle.


1. Einleitung

Der Gesetzgeber bringt dieses Jahr voraussichtlich eine umfassende Neuregelung der Revision zum Abschluss.
Sie alle sind von dieser Vorlage betroffen. Aus Bern kommt aber noch mehr “Post” für Sie. Ungefähr Ende Jahr wird Ihnen der Bundesrat eine grosse Aktienrechtsrevision in die Vernehmlassung geben. Neben zahlreichen anderen Neuerungen enthält dieser Vorentwurf voraussichtlich zwei Regelungen, die für Sie von besonderem Interesse sind:

– Zum einen wird ein völlig neues Rechnungslegungsrecht vorgelegt.
– Und zum anderen soll die solidarische Haftung der Revisionsstelle mit dem Verwaltungsrat neu geordnet werden.

Diese Aktienrechtsrevision ist aber noch Zukunftsmusik, und Sie werden sich im Rahmen der Vernehmlassung eingehend damit auseinander setzen können. Heute will ich daher auf das eintreten, was bereits vom Parlament beschlossen ist: das neue Revisionsrecht.

2. Zum Verhältnis zwischen Verwaltungsrat und Revisionsstelle

Ich möchte vorab etwas klarstellen, das mir aus meiner Erfahrung als Unternehmer wichtig scheint:
Die Verantwortung für das Unternehmen trägt immer der Verwaltungsrat. Daran wird sich auch mit den Reformen nichts ändern.
Insbesondere ist etwa die Revisionsstelle nicht dazu da, die Geschäftsführung zu überprüfen, wie man aus der öffentlichen Diskussion vergangener Jahre fast hätte schliessen können. Das bedeutet aber nicht, dass Sie sich jetzt als Revisoren zurücklehnen können. Weil die Jahresrechnung ein zentraler Bestandteil der Rechenschaftsablage ist, sieht das Gesetz eine unabhängige Prüfung durch die Revisionsstelle vor.
Ihre Fachkenntnisse und Ihre Unabhängigkeit sollen der Garant für die Richtigkeit der Rechnungslegung sein.
Die Revisionsstelle hat einzuschreiten, wenn die Jahresrechnung nicht korrekt ist. Das ist Ihre Verantwortung. Hiervon kann man Sie nicht entbinden. Wenn die Geschäftszahlen unbefriedigend sind, hat demgegenüber der Verwaltungsrat einzuschreiten. Davon kann man ihn nicht entbinden! Das zeigt sich auch im neuen Revisionsrecht, das ich nun etwas beleuchten will.

3. Das neue Revisionsrecht


a. Drei Zielsetzungen

Das Parlament hat entschieden, eine umfassende Neuordnung der Revisionsstelle zu schaffen. Neben den zunehmenden Anforderungen an die Rechnungslegung ergab sich auch ein Handlungsbedarf auf Grund des amerikanischen Sarbanes-Oxley Acts.

Als wichtiger Finanzplatz sind wir mit den internationalen Kapitalmärkten derart verknüpft, dass wir auf die neuen Anforderungen der USA ? und bald auch der EU ? an die Beaufsichtigung der Revisionsstellen reagieren mussten.
Ansonsten hätten die USA die Prüfergebnisse internationaler Revisionsunternehmen nicht mehr anerkannt.

Die Neuregelung verfolgt drei Zielsetzungen:

– Zum ersten soll eine harmonisierte Revisionspflicht geschaffen werden;
– zum zweiten sollen die KMU entlastet werden; und
– zum dritten muss das Vertrauen in die Revision wieder gestärkt und die Anerkennung der Schweizer Revision im Ausland sichergestellt werden.

Ich komme zum ersten dieser drei Ziele:

b. Harmonisierte Regelung der Revisionspflicht

Im geltenden Recht ist die Frage der Revisionspflicht primär von der Rechtsform abhängig. Für die AG, die GmbH, die Genossenschaft etc. gelten jeweils andere Bestimmungen. Die Frage der Revision und der damit verbundenen Kosten ist daher vielfach für die Wahl der Rechtsform mitentscheidend. Das ist sachfremd. Die Revisionspflicht muss sich nach der wirtschaftlichen Bedeutung eines Unternehmens richten und nicht nach der Rechtsform.
Im neuen Recht müssen daher alle Grossunternehmen eine strenge ordentliche Revision durchführen.
Demgegenüber können sich KMU mit einer “eingeschränkten” Revision begnügen.

Die Grenze zwischen “Gross” und “Klein” liegt bei 10 Millionen Franken Bilanzsumme, 20 Millionen Franken Umsatz und 50 Arbeitnehmern, wobei mindestens zwei dieser drei Erfordernisse gegeben sein müssen.
Ich komme zur zweiten Zielsetzung der Vorlage:

c. Die Entlastung für KMU

Die KMU müssen nur eine eingeschränkte Revision durchführen. Daraus ergibt sich bereits eine gewisse Entlastung, weil die Kosten für eine eingeschränkte Revision tiefer ausfallen dürften als für eine ordentliche Revision.

Dennoch rechtfertigt es sich zu fragen, ob diese Kosten tatsächlich in jedem Fall notwendig sind.
Wir haben daher eine Regelung geschaffen, die den Verzicht auf eine Revision ermöglicht, wo sie nicht notwendig ist (so genanntes “Opting-out”).

Dabei müssen drei Bedingungen erfüllt werden:

– Zum ersten können nur Kleinunternehmen auf eine Revision verzichten.
Damit begünstigen wir diejenigen Unternehmen, in denen die Revision ? relativ gesehen ? den grössten Kostenfaktor ausmacht. Bei wirtschaftlich bedeutenden Gesellschaften besteht ein öffentliches Interesse an einer Revision. Ein Verzicht ist daher nicht möglich.
– Zum zweiten ist ein Verzicht nur mit der Zustimmung aller Gesellschafter möglich. Diese Bedingung dient dem Minderheitenschutz. Ein Verzicht auf die Durchsicht der Jahresrechnung lässt sich nur da vertreten, wo alle beteiligten Personen die Gesellschaft einvernehmlich führen.
– Zum Dritten ist nach dem Gläubigerschutz zu fragen. Man darf den Nutzen der Revision für die Gläubiger aber nicht überbewerten:

Wer verlangt beim Bestellungseingang schon den Revisionsbericht des Bestellers?

Es gibt Stimmen, die sagen, dass das Opting-out keine grosse Bedeutung erlangen wird, weil die Banken auf einer (ordentlichen) Revision bestehen werden. Zum einen haben die Banken natürlich absolut das Recht, zu ihrer Absicherung eine Revision zu verlangen, und sie sollen dies auch, wenn dies nötig ist. Zum anderen muss man aber auch sehen, dass faktisch schon heute oft nur eingeschränkte Revisionen gemacht werden. Warten wir ab. Der Markt wird sich entscheiden, wie und wo auf eine Revision verzichtet werden kann ? und das ist richtig so.

Ich komme zur dritten und letzten Zielsetzung der Regelung der Revisionspflicht:

d. Die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Revision

Die Vorlage setzt zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Revision vor allem bei zwei Punkten an:
Zum einen bei der Unabhängigkeit und zum anderen bei der Fachkompetenz.

– Zur Unabhängigkeit: Was nützt Ihnen die Revision durch einen Fachmann, wenn dieser vom geprüften Unternehmen beeinflusst wird? ? Nichts, weil sich Dritte nicht auf die Revision verlassen können.
Die bisherigen Vorschriften zur Unabhängigkeit werden daher konkretisiert und in vielen Bereichen auch verschärft.
– Zur Fachkompetenz: Ich stelle noch eine Frage: Was nützt es, wenn der Revisor zwar unabhängig ist und viel guten Willen hat, aber nichts von der Sache versteht? ? Eine solche Revision nützt ebenfalls nichts. Im geltenden Recht müssen die Revisoren “befähigt sein, ihre Aufgabe bei der zu prüfenden Gesellschaft zu erfüllen” (Zitat aus Art. 727a OR Obligationenrecht). Etwas überspitzt darf also Revisor sein, wer sich befähigt fühlt. Klarere Anforderungen gelten nur für die besonders befähigten Revisoren.
Aber auch hier bestehen Probleme: Es fehlt eine Behörde, die verbindlich über die fachliche Befähigung entscheidet. So entstehen für viele Betroffene Zweifel, ob ihre praktische Erfahrung den rechtlichen Voraussetzungen genügt. Das ändert sich: Jeder Revisor, der eine gesetzliche Revisionsdienstleistung erbringen will, bedarf neu einer formellen Zulassung durch die künftige Revisionsaufsichtsbehörde.
Anders als man jetzt Angst haben könnte, ist dies keine grosse Sache. Die Revisionsaufsicht prüft nur, ob eines der verlangten Diplome vorliegt und ob die erforderliche praktische Erfahrung nachgewiesen wird.

Neben dieser formalen Zulassung hat die Revisionsaufsicht noch eine zweite Aufgabe: Sie hat die Aufsicht über die Revisionsstellen von Publikumsgesellschaften. Diese Aufsicht ist etwas völlig Neues, betrifft aber nur die Revision von Gesellschaften, die den öffentlichen Kapitalmarkt in Anspruch nehmen.

Die Revisionsaufsicht wird mit Inspektionen sicherstellen, dass die Revisionsstellen von kotierten Gesellschaften die fachlichen Anforderungen erfüllen, die Unabhängigkeit wahren und eine gute Qualitätssicherung betreiben.
Die Aufsichtsbehörde wird zudem Anlaufstelle für die ausländischen Revisionsaufsichtsbehörden sein.
Mit einer zentralisierten Amts- und Rechtshilfe können wir sicherstellen, dass unsere Vorschriften zur Geheimhaltung auch international respektiert werden.

e. Weiteres Vorgehen

Der Bundesrat wird schon bald über das weitere Vorgehen entscheiden. Insbesondere sind zwei Fragen zu beantworten:

– In organisatorischer Hinsicht ist über das Verhältnis zur künftigen Finanzmarktaufsicht zu entscheiden.
Ich meine, es ist besser, die Revisionsaufsicht nicht in die Finanzmarktaufsicht zu integrieren.
Es würde sonst ein Aufsichtskoloss entstehen, der nicht wirtschaftlich ist und zu viel Macht akkumuliert.
Die Aufsichtsbehörden müssen aber zusammenarbeiten, sonst kommt es zu teuren Doppelspurigkeiten.
– In personeller Hinsicht ist die Frage der Grösse der Behörde zu entscheiden. Wir werden hier kostenbewusst arbeiten. Dennoch muss sichergestellt werden, dass die Aufsicht mit den beaufsichtigten Revisionsunternehmen fachlich mithalten kann. Es muss auch sichergestellt sein, dass die Arbeit der Revisionsaufsicht von den anderen Finanzplätzen anerkannt wird.

Das neue Revisionsrecht ist derzeit noch im Parlament. Wenn alles gut geht, erfolgt die Verabschiedung in der Wintersession. Der Aufbau der Aufsichtsbehörde wird danach zwingend etwas Zeit brauchen. Die Inkraftsetzung wird daher ungefähr ab Mitte 2007 erfolgen.

4. Schluss

Ich komme zum Schluss. Sie sehen: Das Revisionswesen ist im Umbruch. Dies stellt für Sie alle eine Herausforderung dar.

Insgesamt bin ich aber sicher, dass ein möglichst aktuelles Wirtschaftsrecht einen Standortvorteil darstellt, sofern es liberal konzipiert ist und den Unternehmen den nötigen Handlungsspielraum belässt.

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