Unternehmertum im Angesicht der internationalen Entwicklung und Liberalisierung
Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Plenarversammlung von bauenschweiz am 16. November 2006 in Bern
16.11.2006, Bern
Bern. Anlässlich der Plenarversammlung von bauenschweiz in Bern referierte Bundesrat Christoph Blocher über verschiedene Aspekte der Wirtschaft und der Globalisierung. Er ging auf die Ängste der Unternehmer ein und zeigte Alternativen auf. Schliesslich forderte er die Anwesenden auf, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren und von besseren Konkurrenten zu lernen, um von der Schweiz aus im Weltmarkt zu bestehen.
Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen.
1. Die Schweiz im Weltmarkt
Wo heute von der Wirtschaft die Rede ist, hören Sie immer wieder Schlagworte, die beunruhigen.
Globalisierung, chinesischer Drache, Lohndruck, Auslagerung, Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit… Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass er bei all diesen Wörtern zunächst Angst bekommt. Angst, nicht bestehen zu können. Angst, nicht überleben zu können. Angst, als Verlierer dazustehen.
Tatsächlich: Ganze Nationen mit niedrigen Löhnen, grossem Leistungswillen, gut ausgebildetem Personal, weniger Regulierung, mit sehr tiefen Steuern drängen auf die Weltmärkte. Es gilt einem ungeheuren Konkurrenzdruck zu begegnen. Die Wirtschaft blickt deshalb wie gebannt auf die Politik und die Politik wiederum blickt mindestens so gebannt auf die Wirtschaft.
Doch für einen Unternehmer ist die bange Frage: „Kann ich mit meinem Unternehmen, mit meinen Produkten, mit meinen Kosten, mit meinem Marketing vor der Konkurrenz bestehen?“ keine neue Frage. Für einen Unternehmer ist die Frage nach seiner Konkurrenzfähigkeit eine alltägliche Frage. Und nur schlechte Unternehmer stellen sich solche existenziellen Fragen nicht andauernd. Meine persönliche Erfahrung zeigt: Der Unternehmer steht mit den Fragen, die sein Unternehmen in seiner Existenz betreffen, stets allein. Das ist die Einsamkeit jener Menschen, die Verantwortung tragen müssen. Um diese Einsamkeit kommen Sie nicht herum, wenn es an Ihnen liegt, Entscheidungen zu treffen.
Wie sollen wir, wie soll ein Unternehmer dem globalen Wettbewerb begegnen?
Die grosse Gefahr ist, dass man die besseren Bedingungen der Konkurrenz (seien es tiefere Lohnkosten, weniger Regulierung, niedrigere Steuern etc.) überschätzt und damit auch deren Einfluss auf den Erfolg. Die erste Reaktion lautet deshalb häufig: Ich will die gleichen Bedingungen, ich verlege meine Produktion in jene Länder, wo so gute Bedingungen vorherrschen. Oft sieht man in der Auslagerung sogar die einzige Überlebenschance für einen Betrieb. Vielfach blendet man jedoch andere, schlechte Bedingungen, gerade von Billiglohnländern, aus. Es mag schon Situationen geben, wo man nur noch ein billiges Massenprodukt im eigenen Betrieb hat und darum die Auslagerung die einzige Möglichkeit ist. Aber ist dies die Regel?
2. Und die Baubranche?
Sie könnten sich jetzt als Vertreter der Bauwirtschaft zufrieden zurücklehnen und sagen: Aber was hat die Verlagerung von Arbeit und Arbeitern mit mir zu tun? Häuser müssen doch immer noch hier gebaut werden – und nicht in China. Das stimmt. Allerdings kann sich auch Ihre Branche nicht der globalen Entwicklung entziehen. Nur hat die Liberalisierung bei Ihnen schon Jahre früher eingesetzt. Sie ist Ihnen vertrauter als anderen Wirtschaftszweigen. Es ist für Sie seit langem ganz selbstverständlich, dass bei grösseren Bauvolumen auch ausländische Mitbewerber auftreten. Bei öffentlichen Ausschreibungen sind ganz konkrete juristische Vorgaben einzuhalten. Dass heute eine österreichische Firma massgeblich am NEAT-Bau beteiligt ist, zeigt, dass selbst hier nicht automatisch Schweizerfirmen bauen. Diese frühen Liberalisierungen und der hohe Konkurrenzdruck haben übrigens dazu geführt, dass gerade die Bauwirtschaft den Vergleich mit den umliegenden Nachbarländern nicht zu scheuen braucht.
Zudem ist die Baubranche traditionell ein Sektor, wo schon seit Jahrzehnten Arbeitnehmer aus anderen Ländern rekrutiert werden. Für Sie ist die Personenfreizügigkeit schon länger Realität. Allerdings kann man an Ihrer Branche auch die Schwierigkeiten und mitunter Nachteile dieser – ich sage jetzt einmal – Arbeitnehmerfreizügigkeit ablesen. Zum Beispiel, wenn ausländische Arbeitskräfte freigestellt werden oder wieder durch neue – wenn möglich ausländische – Arbeitskräfte ersetzt werden, und es dann schwierig ist, die entlassenen Personen wieder einer Beschäftigung zuzuführen, wenn einmal die Sozialwerke eingesprungen sind.
Aber zurück zur Frage: Wie sehr muss Sie die „Globalisierung“ als Vertreter von „bauenschweiz“ interessieren? Nun, ich halte die Bauwirtschaft seit je für den genauesten Konjunktur-Thermometer. Je munterer gebaut wird, desto besser steht es um unsere Volkswirtschaft. Die Bauwirtschaft reagiert schneller, ja geradezu feinfühliger als alle Analysten, Ökonomen und Wachstumsinstitute zusammen. Insofern ist es für Sie von grosser Bedeutung, ob sich die Schweiz als Ganzes in dieser Globalisierungsphase behaupten kann. Denn, wenn unser Land attraktiv bleibt, wenn die Schweiz konkurrenzfähig bleibt, wenn die Schweiz ihre Stärken ausbauen kann, wenn die Schweiz eine bessere Alternative bietet zu den meisten anderen Ländern, dann haben wir hier Wachstum und Wohlstand – und diese zeigt sich eben auch in einer regen Bauwirtschaft.
3. Alternativen
Also: Es bleibt die Frage: Wie kann die Schweiz in diesem weltweiten Markt bestehen? Wie können wir den Werk- und Produktionsstandort Schweiz erhalten. Hierzu stellt sich eine weitere, ganz simple Frage: Was kann man in der Schweiz noch herstellen? Oder anders gesagt: Was stellt man in der Schweiz besser nicht her?
Billige Massenwaren herzustellen – das heisst, Produkte, die jeder herstellen kann und wo es nur noch auf den Preis ankommt – dafür ist die Schweiz tatsächlich kein Standort. Die Schweiz ist ein teures Produktionsland. Das ist an sich keine negative Eigenschaft. Länder mit hohem Lebensstandard sind teure Länder. Bei der Massenproduktion sind uns die Billiglohnländer haushoch überlegen. Aber Massenprodukte sind nicht die einzige Möglichkeit. Länder mit hoher Qualität können andere Produkte herstellen, wo sie gegenüber Billiglohnländern im Vorteil sind.
Wie soll also ein Unternehmer auf die Herausforderungen der Globalisierung reagieren?
Zunächst gilt es: Einen klaren Kopf zu behalten. Man hat das zu tun, was man als Unternehmer in schwieriger Situation eben oft nicht tut: Man hat seine eigenen Stärken zu suchen. Nicht nach den eigenen Schwächen fragen. Diese werden in schlechten Zeiten ohnehin und ohne Zutun sichtbar. Was – in schwierigen Zeiten – weit schwieriger zu erkennen ist, sind die eigenen Stärken. Viele Unternehmen beschäftigen sich in panischem Aufruhr stets mit den eigenen Schwächen und fragen, was andere besser machen. Nein: Fragen Sie, was Sie besser können!
Jedes Unternehmen hat eine Stärke. In guten Zeiten überschätzt man die eigene Stärke, in schlechteren unterschätzt man sie. Das gilt auch für die Standortqualität eines Landes.
4. Globalisierungsängste von gestern
Ich habe gleich zu Beginn meiner Ausführungen von den Globalisierungsängsten gesprochen. Diese Ängste sind nicht neu. Die Vergangenheit anzuschauen kann diese Ängste in einem grösseren Zusammenhang erscheinen lassen.
1985 wurde in der Schweiz eine – auch aus heutiger Sicht – aufschlussreiche Umfrage erhoben. Gegenstand der Untersuchung: Wie schätzen die Schweizerinnen und Schweizer die Wirtschaftsnation Japan ein und wie erklären sie sich deren Erfolg (Japan wurde damals als die grosse Gefahr der Industrieländer bezeichnet – ähnlich wie heute China). Unser Land befand sich noch in den Ausläufern einer Rezession und man schaute gebannt nach Japan, dessen hochtechnologische Produkte sowohl in Preis und Qualität die europäischen Anbieter ausstachen.
Fazit der Umfrage:
* 1985: „Zwei von drei Schweizern haben Angst vor Japans Wirtschaft.“ Nur ein Fünftel der Befragten stufte die Zukunftschance der Schweizer Wirtschaft höher ein als jene Japans.
Schauen wir nun aber, wie sich Japan in der Folge weiterentwickelte. Ich lese Ihnen dazu ein paar Zeitungsmeldungen aus den letzten zwanzig Jahren vor. Zunächst ging der japanische Aufschwung scheinbar unaufhaltsam weiter.
* 1993 zeichnet sich eine Wende ab. Eine Zeitung titelt mit leicht schadenfroher Poesie: „Das Schwert des Samurais rostet.“
* 1994: „Japans Sonne sinkt.“
* 1995: „Japans Wirtschaftsmassnahmen am Ziel vorbei.“
* 1998 werden die Prognosen noch düsterer: „Die grosse japanische Krise steht noch aus.“ Ein Schweizer Nachrichtenmagazin reimt: „Der Riese in der Krise.“ (Facts).
* 1999: Die ehemalige Bewunderung kippt endgültig ins Höhnische: „Das Land der untergehenden Börse.“
* 2001: „Japan kommt nicht aus der Krise heraus.“
* Ein diesmal deutsches Nachrichtenmagazin weiss auch warum: „Japan fühlt seine wirtschaftliche Vormachtstellung durch China bedroht.“
* Das war 2002. Schon ein Jahr darauf heisst es: “Japans Wirtschaft zieht wieder an.“
* 2004: „Die Angst in Japan ist verflogen.“ – „Wer in Asien investiert, kommt an Japan nicht vorbei.“
* 2006: „Japans Wirtschaft gewinnt an Fahrt.“
* Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ fasst zusammen: „Nach Jahren der Dauerkrise häufen sich die guten Nachrichten aus Japan: Die Wirtschaft wächst, die Börse boomt. Asiens Industrienation Nummer eins verdankt sein Comeback ausgerechnet seinem neuesten und härtesten Konkurrenten — China.“
Was können wir diesem Wechselbad der Nachrichtenmeldungen entnehmen? Die Bedrohungen erweisen sich als Chancen. Japan musste sich regenerieren, indem es sich wieder auf seine Stärken besann und auf die Prinzipien der Marktwirtschaft. Die staatlichen Interventionen verzögerten diesen Prozess nur.
5. Globalisierungsängste heute
Auf unsere Verhältnisse übertragen: Die Bedrohung in der Marktwirtschaft heisst nicht Japan oder China oder Indien. Die Bedrohung ist immer der bessere Mitbewerber. Die Reaktion auf einen besseren Konkurrenten kann deshalb nicht darin bestehen, den Konkurrenten schlechter zu machen, ihn mit Schutzzöllen zu bestrafen, ihn politisch auszuhebeln. Die Reaktion kann auch nicht darin bestehen, den Schwächeren mit staatlichen Mitteln künstlich zu stärken. Der einzige Weg führt über das bessere Produkt, den besseren Preis, die bessere Entwicklung. Wir müssen anders sein, besser sein als unsere Konkurrenten. Für den Staat heisst dies nicht, serbelnde Wirtschaftszweige zu unterstützen, sondern dafür zu sorgen, dass die Wettbewerbsfähigen vorankommen!
Gleichwohl haben wir uns schon ein paar Fragen im Zusammenhang der Globalisierung zu stellen. Etwa:
* Wie können schweizerische oder europäische Firmen mit chinesischen Anbietern konkurrenzieren, wenn hier Auflagen und Bestimmungen eingehalten werden müssen, die andernorts einfach wegfallen?
Oder anders gesagt: Wenn Sie einen Kühlschrank kaufen, der in Westeuropa hergestellt wurde, finanzieren Sie vielleicht mit 10 bis 20 Prozent des Kaufpreises den westlichen Sozialstaat mit.
* Was sind die Konsequenzen? Soll sich Europa abschotten? Zölle erheben? Produkte schützen? Weltgewerkschafter spielen und in anderen Staaten die Arbeitsbedingungen diktieren? Sicher nicht.
* Ein Bereich, wo die Politik aber durchaus gefragt ist, betrifft den Schutz des geistigen Eigentums. Der Schutz von Patenten. Schutz vor Fälschungen und Nachahmungen. Es kann ja nicht sein, dass ein Unternehmen hohe Summen in die Entwicklung eines neuen Produktes steckt – und damit auf Vorsprung durch Innovation setzt – und dann wird dieses Produkt einfach kopiert und dann mit unschlagbar günstigen Produktionsbedingungen konkurrenziert.
Wenn ich eingangs gesagt habe, in dieser beschleunigten Globalisierungsphase würde die Politik gebannt auf die Wirtschaft und die Wirtschaft gebannt auf die Politik schielen, dann hat das manchmal durchaus auch Gründe.
6. Auf die unternehmerische Freiheit setzen
Ich möchte aber noch einmal auf die Umfrage von 1985 zurückkommen. Wie gesagt, äusserten damals zwei Drittel ihre Besorgnis über die aufsteigende Wirtschaftsnation Japan. Allerdings sagte auch die Hälfte der Befragten, Japans Qualitäten (namentlich der Arbeitseifer) könnten Vorbild und Ansporn für uns sein. Auf diese Hälfte müssen wir setzen. Und ich gehe davon aus, dass Sie sich auch zu dieser Hälfte zählen. Ich wünsche Ihnen hierbei viel Erfolg.
Als Bundesrat sage ich Ihnen: Wir – der Staat – haben dafür zu sorgen, dass Sie ein Umfeld bekommen, in dem Sie produzieren können. Das heisst: weniger Vorschriften, gute Schulen, weniger Steuern, Abgaben und Gebühren, gute Verkehrsbedingungen und vor allem: möglichst viel unternehmerische und persönliche Freiheit!
Ich wünsche Ihnen und mir viel Erfolg, dass dies alles gelingt!
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