Fälschung und Piraterie – ein Problem in der Schweiz
Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Medienkonferenz zur Lancierung von “STOP PIRACY” – Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie, 16. Januar 2007, Zürich-Flughafen
16.01.2007, Zürich-Flughafen
An der Medienkonferenz zur Lancierung der Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie sprach Bundesrat Christoph Blocher über die Auswirkungen und möglichen Gefahren von Fälschungen und Raubkopien. So verlören Schweizer Firmen schätzungsweise 2 Milliarden Franken jährlich und gefälschte Medikamente könnten die Gesundheit der Konsumenten gefährden.
1. Warum sind Fälschungen und Raubkopien ein Problem?
Mit Fälschungen und Raubkopien ist es doch so: Jeder hat davon gehört, aber niemand will sie aus der Nähe gesehen haben. Aber Hand aufs Herz: Wer von uns ist nicht schon in der einen oder anderen Art mit Fälschungen und Raubkopien in Berührung gekommen? Unter einem Mantel auf einem fernöstlichen Strand oder gar am Mittelmeer? Auf dem Internet? Auf dem MP3-Player Ihrer Kinder? Oder vielleicht auf Ihrem eigenen MP3-Player?
Man ist versucht zu sagen: Eine gefälschte Tasche, eine gefälschte Uhr oder Raubkopien aus dem Internet – wem schadet das schon? Ich sage Ihnen heute: Die Konsequenzen des Handels mit Fälschungen sind gravierend und betreffen uns alle!
Anlässlich des World Economic Forum (WEF) vom Frühjahr 2004 wurden die Verluste der weltweiten herstellenden Wirtschaft auf jährlich über 400 Milliarden US-Dollar beziffert. Es geht hier aber um weit mehr als finanzielle Verluste: Die Vernetzung mit dem organisierten Verbrechen ist mittlerweile klar anerkannt. Einkünfte aus Fälschung und Piraterie finanzieren andere kriminelle Aktivitäten – vom Drogen- und Menschenhandel über die Prostitution bis hin zum Terrorismus.
Die Versuchung ist gross zu sagen, dass wir hier in der Schweiz damit kein Problem haben, sondern dass nur das Ausland betroffen ist. Dem ist aber nicht so, Fälschung und Piraterie betreffen auch die Schweiz:
Gemäss einer Schätzung der Zeitschrift CASH vom 30. Juni 2005 verlieren Schweizer Firmen dadurch insgesamt jährlich bis zu 2 Milliarden Schweizer Franken. Im letzten Herbst wurden beispielsweise in den Regalen eines grossen Schweizer Detaillisten gefälschte Davidoff-Düfte entdeckt. Solche Fälle können für ein Unternehmen teure Folgen haben. Die Konsequenzen können aber noch weit schlimmer sein, wenn gefälschte und deshalb unsichere Haushaltapparate in den offiziellen Vertrieb gelangen.
Aber es geht auch in der Schweiz nicht nur um Geld:
* Gefälschte Medikamente und Lifestyle-Produkte werden via Internet bestellt und gelangen direkt zum Patienten; das kann die Gesundheit der Verbraucher direkt gefährden;
* die Herkunftsangabe ‘Schweiz’ wird missbraucht und der Ruf der Schweiz als Produktionsland von Qualitätsprodukten gefährdet;
* einheimische Künstler und Musiker werden in ihrem Schaffen behindert, weil ihnen Einkünfte, die sie sich verdient haben, vorenthalten werden;
2. Handlungsbedarf in der Schweiz
Die Schweizer Behörden schauen dem nicht einfach tatenlos zu: Vor allem das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE), das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic und der Schweizer Zoll kämpfen bereits seit Jahren gegen das Problem an.
Das Institut für Geistiges Eigentum setzt sich als Kompetenzzentrum für Fragen des Immaterialgüterrechts auf nationaler und internationaler Ebene für eine bessere Rechtsdurchsetzung ein und schlägt die hierzu notwendigen Gesetzesanpassungen vor.
Auch Swissmedic engagiert sich national und international aktiv gegen gefälschte Heilmittel, das sogenannte ‘pharmaceutical crime’ ein. In der Schweiz sind in den offiziellen Vertriebskanälen bislang keine Fälschungen von Medikamenten bekannt. Aber bei Bestellungen von Medikamenten via Internet besteht ein erhebliches Risiko, gefälschte Präparate zu erhalten, da sich dieser Vertriebskanal der Kontrolle der Behörden weitgehend entzieht.
Unser Schweizer Zoll spielt im Kampf gegen Fälschung und Piraterie eine zentrale Rolle: Er ist regelmässig mit gefälschten Produkten konfrontiert und interveniert konsequent, wenn solche Produkte in die Schweiz importiert werden. Die Zahl der Waren, die von den Zollbeamten zurückbehalten wird, steigt seit Jahren stetig an.
Und trotzdem: Die Schweiz wird von Fälschern hemmungslos als Transitland missbraucht! Gemäss den aktuellsten Statistiken der Europäischen Union stammten im Jahr 2005 5% der von den europäischen Zollbehörden sichergestellten Produkte aus der Schweiz. Damit liegt die Schweiz hinter China und vor den Vereinigten Arabischen Emiraten an zweiter Stelle. Man kann sich über die richtige Interpretation dieser Statistik sicherlich streiten. Fest steht aber, dass die Schweiz keine Fälschungsindustrie hat. Sofern also rechtsverletzende Produkte über die Schweiz in die EU gelangen, so handelt es sich um Transitware. Dies ist ein ernsthaftes Problem, gegen das wir vorgehen müssen.
3. Die Revision des Patentgesetzes löst das ‘Transitproblem’ und verbessert die Rahmenbedingungen
Fälscherorganisationen missbrauchen die Schweiz, um Fälschungen und Raubkopien an den Mann und die Frau zu bringen. Der Bundesrat will dem ein Ende setzen. Der Bundesrat beabsichtigt, mit dem neuen Patentgesetz die Interventionsmöglichkeiten des Zolls in allen Bereichen des Geistigen Eigentums zu verbessern und das ‘Transitproblem’ zu lösen: Mit dem neuen Gesetz werden die Zollbeamten nicht nur auf Importe und Exporte, sondern auch auf Transitwaren zugreifen können. Sie werden den wahren Berechtigten verdächtige Gegenstände zur Prüfung aushändigen und illegale Waren in einem raschen und einfachen Verfahren vernichten können. Die Strafen für Personen, die mit gefälschten Gütern Handel betreiben, werden verschärft. Die Vorlage ist gegenwärtig im Parlament und sollte 2008 in Kraft treten.
4. Gesetze allein lösen das Problem jedoch nicht – zur Aufklärung braucht es die Zusammenarbeit zwischen Privaten und Behörden
Das neue Patentgesetz wird das Transitproblem verkleinern und die Rahmenbedingungen für die Rechtsdurchsetzung verbessern. Es wird aber nicht verhindern, dass viele weiterhin denken, gefälschte Uhren oder “schwarz” kopierte Software würden niemandem wirklich schaden und sich entsprechend sorglos verhalten.
Genau deshalb sind wir heute hier: Die Schweizerinnen und Schweizer müssen wissen, dass es nicht harmlos ist, solche Produkte zu kaufen. Sie müssen wissen, dass es nicht nur gefälschte Taschen, sondern auch gefälschte Medikamente und Maschinenteile gibt. Und dass bei deren Herstellung weder Sicherheitsstandards noch Hygienevorschriften eingehalten werden.
Hier tut Aufklärung not. Und hier müssen private Unternehmen und die Verwaltung zusammenarbeiten. Deshalb haben das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum und die Internationale Handelskammer Schweiz eine Partnerschaft gegründet: die Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie. Eine Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung und der Wirtschaft.
Diese Partnerschaft kostet den Steuerzahler nur sehr wenig. Die Kampagnen werden nämlich grundsätzlich von der Privatwirtschaft finanziert. Die Verwaltung trägt vor allem mit ihrem Know-how zu den Aktivitäten der Plattform bei.
Heute lancieren wir die erste Kampagne der Plattform: “STOP PIRACY”-Plakate werden ab übermorgen in den 9 grössten Schweizer Agglomerationen hängen. Die Plakate appellieren an das Wissen und Gewissen des Einzelnen.
Die “STOP PIRACY”-Kampagne und die dazugehörende Internetseite nehmen folgenden Gedanken auf: “Raubkopien und Fälschungen sind ein schlechter Sport: Keine Spielregeln, viele Fouls und nur Verlierer”. Wir wollen aufzeigen, dass es Spielregeln gibt, die es zu beachten gilt – und Konsequenzen, wenn diese nicht eingehalten werden. Dabei geht es einerseits um die Beachtung der Spielregeln des Geistigen Eigentums: Intellektuelle Werte und Schöpfungen müssen adäquat geschützt und vor unfairen Angriffen verteidigt werden können, damit unsere Unternehmen weiterhin forschen und entwickeln. Andererseits geht es aber auch klar darum aufzeigen, dass wir mit dem Kauf von gefälschten Produkten und Raubkopien nicht nur unsere Sicherheit und Gesundheit gefährden können, sondern darüber hinaus skrupellose Kriminelle unterstützen. Kurz: Es geht um FAIR PLAY.
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