Jeder Markt hat eben einen anderen Preis
«Bundesrat Blocher ist gegen Parallelimporte von patentierten Gütern, um Eigentümer zu schützen. Über Managerlöhne sollen Aktionäre indirekt abstimmen können.»
26.02.2007, NZZ am Sonntag, Daniel Hug und Fritz Pfiffner
Herr Bundesrat, Sie wollen mit der Reform des Aktienrechts die Rolle des Aktionärs stärken. Soll er künftig die Lohnpolitik eines Unternehmens abstimmen können?
Christoph Blocher: Einerseits ist vorgesehen, dass die Statuten Grundsätze der Salärpolitik vorsehen können. Aber man muss aufpassen: Ich habe mir zum Beispiel die Grundsätze, die die Credit Suisse bekannt gegeben hat, angeschaut; doch das ist kaum verständlich. Der jetzige Aktienrechtsentwurf sieht zusätzlich vor: Wenn jedes Jahr die Bezüge neu bestimmt werden, muss auch jedes Jahr der Verwaltungsrat einzeln gewählt werden, unter Angabe der Bezüge. Dann hat man indirekt eine Möglichkeit, die Bezüge zu bestimmen. Das macht die ABB schon heute. Wenn die Bezüge für drei oder vier Jahre bestimmt werden, kann die Frist auch länger sein. Bis jetzt hat noch niemand einen besseren Vorschlag gebracht.
Sie wollen auch das Depotstimmrecht der Banken streichen. Bleiben Sie dabei?
Daran halten wir fest. Wir sagen nicht, wie viel die Firmenleitung verdienen soll. Das ist Sache der Gesellschaft. Aber die Aktionäre müssen die Möglichkeit haben, ihrem Willen Ausdruck geben zu können. Hier geht es um das Eigentum der Aktionäre, und wenn dieses Eigentum nicht mehr gewahrt ist, muss der Staat etwas machen, um es zu schützen. Wie im Patentrecht auch.
Gibt es eine gesellschaftspolitische oder ethische Grenze für Löhne?
Für den Erfolg in einer Firma ist die oberste Führung massgebend. Es gibt keine schlechten Firmen, nur schlechte Chefs. Nehmen Sie als Beispiel die ABB, als sie am Boden war. Dann holten sie mit Herrn Dormann von der Hoechst einen qualitativ guten Mann mit grossem Leistungsausweis. Mit seinem Finanzchef Voser und dem Management hat er die Firma in Ordnung gebracht. Wer hätte dies ebenso gut tun können? Darum spielt es nicht so eine grosse Rolle, wie hoch der Bonus für diese Leistung ist. Die Frage ist stets: Finden Sie einen Besseren für weniger Geld? Der oberste Chef ist der Stellvertreter des Eigentümers. Also gleichsam ein Unternehmer. Aber dem Unternehmer gehört eben nicht nur der Gewinn, sondern auch der Verlust. Diesen Verlust hat der Manager nicht, es bleibt ihm ja immer noch mindestens das Grundsalär. Aber all das sind unternehmerische Betrachtungen. Es ist nicht Sache des Staates, für eine Begrenzung zu sorgen; aber der Staat hat dafür zu sorgen, dass die Aktionärsdemokratie funktioniert. Weil der Staat das Privateigentum schützen muss.
Novartis-Chef Vasella hat goldene Fallschirme, die ihm fünf Jahressaläre bei einem Verkauf der Firma zusichern. Ihre Meinung zu solchen Verträgen?
Es ist nicht Aufgabe des Bundesrates, die Anstellungsbedingungen von Herrn Vasella zu bestimmen. Als Unternehmer würde ich dies wahrscheinlich ändern. Aber dazu muss Novartis Stellung nehmen. Wer hat den Managern diese Entschädigungen bewilligt?
Die Salärkommission des Verwaltungsrats, den Vasella selber präsidiert.
Wer ist der Eigentümer bei diesen Gesellschaften? Der Aktionär. Zugegeben, der Schutz des Eigentums bei den grossen Aktiengesellschaften funktioniert heute schlecht. Der Aktionär kann sein Eigentum zu wenig wahren, weil es pulverisiert ist. Es ist ähnlich wie in einem kommunistischen Staat: Da sind alle Miteigentümer des Staatseigentums, alles gehört allen. Aber der Bürger kann sein Eigentumsrecht nicht ausüben. Am Ende bleibt eine kleine Gruppe, die das Eigentumsrecht ausübt. Das liegt in der Natur der Sache. Darum müssen wir im Aktienrecht den Einfluss der Eigentümer stärken.
Die Wirtschaft floriert, der Wohlstand steigt, aber nicht für alle gleich. Ist die Hochpreisinsel Schweiz ein Problem?
Die Wirtschaft floriert – es profitieren alle. Die Arbeitslosigkeit ist klein, die Arbeitsplätze sind relativ sicher. Übrigens: Die Schweiz ist heute keine Hochpreisinsel mehr, das sage ich auch den Hoteliers. Bei den guten Hotels sind wir heute auch gegenüber vergleichbaren Ländern wie etwa England, Italien oder Deutschland preislich sehr gut. Das hat auch mit dem gestiegenen Euro zu tun.
Der Bundesrat hat im November 2006 beschlossen, dass Produkte, die in der EU in Verkehr gebracht worden sind, künftig auch in der Schweiz zugelassen sein sollen, nach dem Cassis-de-Dijon-Prinzip. Bis Mitte März läuft die Vernehmlassung. Wie sind die Reaktionen?
Erste Einwände kommen natürlich: Man hat in der Schweiz Sondernormen geschaffen, etwa zum Schutz der Gesundheit, der Umwelt, der Konsumenten und der Sicherheit. Viele Produkte, deren Sondernormen wegen des Schutzes der Gesundheit und der Umwelt geschaffen wurden, sind ja weitgehend ausgeklammert. Nun kommen Konsumenten und sagen: Wir haben Vorschriften zum Schutz der Konsumenten, wir möchten einen Schutz behalten. Denken Sie an die Lebensmittel, wo wir eine höhere Deklarationspflicht haben. Hier wird es Widerstand gegen die Liberalisierung geben. Wir müssen schliesslich entscheiden: Wollen wir den freien Handel oder die Sondervorschriften?
Heute zahlen wir für identische Importgüter oft höhere Preise als im Ausland, weil viele Hersteller dem Händler den Verkaufspreis de facto weiter vorschreiben. Die Aufhebung dieser vertikalen Bindungen hatten Sie im Nationalrat mit “Diebstahl” und “schwerwiegende Einschränkung des Eigentums” kritisiert. Sehen Sie dies heute noch so?
Ja, natürlich. Sie sind offenbar für die Enteignung des Privateigentums. Wenn ich ein Auto baue in Deutschland und in der Schweiz für einen bestimmten Preis verkaufe, mit dem ich mich im Wettbewerb durchsetze, ist es Enteignung, wenn der Staat den Preis reduziert. Jeder Markt hat einen anderen Preis. Ich war als Unternehmer in allen Ländern tätig, und wir hatten in allen Ländern einen unterschiedlichen Preis. Die Marktsituation, Bearbeitungskosten und Zugänge waren jeweils verschieden. Wenn jemand in einem Markt zum Beispiel seine Überschussproduktion verkauft, darf er doch vorschreiben, dass diese Ware nicht weiter in seine Märkte exportiert wird. Das Privateigentum ist die Säule der Privatwirtschaft. Im Autobereich hat man ja die vertikalen Bindungen verboten. Die Autos sind trotzdem nicht billiger geworden.
Die grossen Preisunterschiede zu den Nachbarländern sind jedoch verschwunden. Die Drohung des Parallelimports hat gereicht.
Wir hatten bei den Autos schon zuvor einen starken Wettbewerb. Wohl weil wir keine eigenen Autohersteller haben. Die Autohersteller haben mit Gegenmassnahmen reagiert: Sie lassen je nach Markt nicht mehr alle Typen zu und nehmen den Vertrieb zunehmend selbst in die Hand.
Zu schützen ist auch die Freiheit des Unternehmers, die Produkte dort zu kaufen, wo sie günstig sind. Sonst subventionieren die Schweizer Konsumenten, welche höhere Preise zahlen müssen, die ausländischen Konsumenten.
Kaufen können Sie, was und wo Sie wollen, aber nur, was auf dem Markt erhältlich ist. Ein Produkte-Inhaber hat ein eigenes Gut. Was damit geschehen soll, muss doch der Privateigentümer bestimmen können. Er muss selbst entscheiden können, dass er ein bestimmtes Produkt nicht in einem Land haben will. Der Produzent muss Eigentümer seines Produktes bleiben. Aber es steht Ihnen frei, ein Konkurrenzprodukt auch auf den Markt zu bringen – und erst noch billiger. Die Konkurrenz wird ein zu teures Produkt aus dem Markt werfen.
Der Streit bei den Parallelimporten dreht sich heute vor allem um patentgeschützte Produkte. Wie sehen Sie hier die Situation?
Das Patentrecht ist ein privates Eigentumsrecht: Wer ein patentiertes Gut verkauft auf einem Markt, kann sich dagegen wehren, dass andere gegen seinen Willen dieses Gut nachmachen, verkaufen oder in die Schweiz reexportieren. Ein Sonderfall sind patentgeschützte Medikamente: Sie unterliegen nicht nur dem Schutz des geistigen Eigentums, sondern zusätzlich einer staatlichen Preisbindung, was ein grosser Unfug ist. Für alle patentierten Güter sind in allen Industrieländern Parallelimporte verboten, wenn dies der Eigentümer verlangt – auch in der EU, wobei die EU diesbezüglich wie ein Staat auftritt …
… bestehend aus 27 Ländern.
Nach aussen aber ein einziger Staat, wie die USA – mit 50 Gliedstaaten – oder die Schweiz.
Nicht nur die Konsumenten, auch die Landwirtschaft fordert die Zulassung von Parallelimporten, wie auch die Krankenkassen, die IG Detailhandel, die Hoteliers, der Tourismus, die Wettbewerbskommission…
Eben alle nur, soweit sie Einkäufer sind, also Konsumenten. Nur für sich wollen sie die Zulassung von Parallelimporten, nicht etwa für die Produkte, die sie verkaufen. Ich habe noch nie gehört, dass die Landwirtschaft gesagt hat: Unsere Produkte sind jetzt frei und stehen in freier Konkurrenz.
Es gibt viele Güter, die ein Schutzpatent haben: der Verschluss der Parfumflasche zum Beispiel …
Wenn ein nicht wesentlicher Teil eines Produktes patentgeschützt ist, so soll dieses Produkt in Zukunft parallel importiert werden können. So steht es im neuen Patentgesetz, das nun in der Beratung ist. Velos, deren Bremsklötzchen patentiert sind, oder Parfumflaschen, deren Verschluss patentiert ist, können demnach parallel importiert werden. Das Gegenteil ist eben ein Missbrauch.
Mit dem Patent wird auch geschützt, dass ein Hersteller sein Medikament in der Schweiz teurer als etwa in Italien verkaufen kann. Dann müssen Sie dem Schweizer Konsumenten erklären, warum er die tieferen Preise der Italiener subventionieren soll.
Bei den Medikamenten haben Sie halt eine staatliche Preisbindung. Kämpfen Sie für die Abschaffung dieser Preisbindungen, dann wird es solche Unterschiede nicht mehr in diesem Ausmass geben.
Sollen wir bei den patentgeschützten Gütern nicht wenigstens die europäische Erschöpfung zulassen, das Cassis-de-Dijon-Prinzip auch hier anwenden?
Natürlich wäre das weniger schlimm als die internationale Erschöpfung, wo Parallelimporte aus den Entwicklungs- und auch Piratenländern möglich würden. Die Einführung der regionalen Erschöpfung durch die Schweiz ist kaum machbar. Zu diesem Schluss ist der Bundesrat gekommen. Wirtschaftlich taugt nur die nationale Erschöpfung. Alles andere schwächt den Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz. Es gibt stets Unterschiede zwischen den Ländern. Sie können auch sagen, es ist nicht recht, dass jemand in Deutschland mehr Steuern zahlen muss als in der Schweiz.
Bezüglich der Parallelimporte der patentgeschützten Güter ist ein Auftrag an Ihr Departement gegangen, eine Vorlage auszuarbeiten. Wo stehen wir?
Im April geht die Frage in die Vernehmlassung, ob wir nationale, regionale oder internationale Erschöpfung der Patente zulassen wollen. Wir werden die Vor- und Nachteile klar darlegen und aufzeigen, was dies bedeutet für die Schweiz. Bezüglich der Parallelimporte wird der Bundesrat bis Ende Jahr eine Vorlage ausarbeiten, die danach ins Parlament geht. Der Bundesrat ist bisher immer wieder zum selben Resultat gelangt: Nationale Erschöpfung ist am geeignetsten. Man darf den Parallelimport von patentierten Gütern nicht zulassen, wenn der Eigentümer dies nicht will.