Die SVP ist nicht verheiratet mit der Kernenergie
Mein Streitgespräch mit Peter Bodenmann im «Sonntag» vom 15. Mai
Herr Blocher, FDP und CVP sind am Zerfallen. Gefällt Ihnen das?
Christoph Blocher: Nein. Leider sind FDP und CVP so stark nach links gerutscht, dass wir uns sogar in den wichtigsten Dossiers nicht mehr einigen können.
Sie wollen doch die ganze Macht.
Blocher: Wenn die anderen gute Politik machen, brauchen wir keine Macht. Die Linke gibt kein Gegensteuer mehr beim schleichenden EU-Beitritt und der überbordenden Zuwanderung.
Herr Bodenmann, was bedeutet das?
Peter Bodenmann: Wir haben drei relativ stabile Blöcke in der Schweiz: Einen rechtsnationalen, fremdenfeindlichen Pol, der dank Christoph Blocher stark geworden ist, eine brave Linke aus SP und Grünen und eine Mitte, die immer stärker zersplittert. Diese Zersplitterung hat zur Folge, dass das politische System der Schweiz nicht mehr handlungsfähig ist. Links ist die SP zu wenig stark, um Projekte durchzusetzen, in der Mitte herrscht Chaos und die rechtsnationale SVP ist nicht koalitionsfähig, weil ihr politisches Programm daraus besteht, andere zu beschimpfen. Dass die Schweiz nach links gerutscht sein soll, wie Herr Blocher sagt, ist ein Märchen. Tatsache ist: Die Schweiz ist in den letzten zehn Jahren unsozialer geworden. Ich denke, dass erst wieder Bewegung in die Schweizer Politik kommt, wenn Blocher abtritt und der rechtsnationale Block ebenfalls zersplittert.
Blocher: Die selbstgerechte Analyse eines Linken: Hier die fremdenfeindlichen Rechten, dort die braven, gütigen Linken …
… brav meinte Herr Bodenmann eher negativ …
Blocher: Heute geht es um die Staatssäulen der Schweiz! Die SVP ist allein im Kampf, dass die Schweizer ihre Zukunft noch selbst bestimmen können. Die Linke hat sich nie für die Schweiz eingesetzt, und die Linke träumt immer noch von der Überwindung des Kapitalismus, d.h. sie will Sozialismus und in die zerfallende EU. In den letzten Jahren marschierten CVP und FDP als ehemalige bürgerliche Parteien mit der Linken Richtung EU. Die Folgen zeigen sich in der Zuwanderung und Schengen/Dublin.
Bodenmann: Halt, Schengen/Dublin ist doch ein Blocher-Baby!
Blocher: Danke für die Unterschiebung! Sie wissen genau, wer im Bundesrat gegen Schengen/Dublin gekämpft hat!
Bodenmann:Es war doch Bundesrat Blocher, der diese Botschaft vertrat, oder nicht?
Blocher: Auch das nicht. Die Botschaft wurde durch das Integrationsbüro, Herr Deiss (CVP) und Frau Calmy-Rey (SP), z.Hd. des Bundesrates ausgearbeitet. Ich durfte es nicht tun, weil ich gegen Schengen/Dublin war, wie heute jedermann – auch Herr Bodenmann – weiss. Insbesondere habe ich mich gegen die falschen Kosten in der Botschaft aufgelehnt und erklärt, dass ich diese falschen Zahlen nie vertreten werde. Drei Bundesräte, Calmy-Rey, Deiss und Blocher waren im Ausschuss. Dieser war nicht einstimmig, wie der Bundesrat auch nicht. Das alles ist Ihnen bekannt.
Bodenmann: Im Bundesbüchlein sind die Kosten zu tief angesetzt worden, und dafür tragen Sie und niemand anderes die Verantwortung, Herr Blocher.
Blocher: Nein: Im Entwurf des EDA/EVD an den Bundesrat wurden nur 7,4 Mio. CHF Gesamtkosten aufgeführt und behauptet, man werde CHF 80 bis 100 Mio.. im Asylwesen einsparen! Ich erhob mittels Mitbericht und in der Sitzung selbst heftig Einspruch. Dann wurde die Zahl von CHF 80 bis 100 Mio. zwar gestrichen, aber die zu tiefen Kosten von CHF 7,4 Mio. als Gesamtsumme belassen. Ich habe diese Zahl als betrügerisch bezeichnet. Trotzdem wurde ich überstimmt.
Bodenmann: Im Bundesrat?
Blocher: Ja! Die SVP sollte über diesen krassen Fall eine parlamentarische Untersuchungskommission verlangen. Die Zahlen im Bundesbüchlein sind nicht falsch geschätzt, sondern in vollem Wissen, dass sie falsch sind, bewusst falsch ausgewiesen. Das zeigt sich jetzt. Die Vertreterin Ihrer Partei, Herr Bodenmann, war bei diesem Betrug an vorderster Front mitdabei. Der Bundesrat wusste, dass Schengen/Dublin mit den richtigen Zahlen keine Chance vor dem Volk gehabt hätte, wenn die wahren Zahlen publiziert worden wären. Diese Schweinerei muss ans Licht.
Bodenmann: Herr Blocher, dass mit falschen Zahlen operiert wird, hätte das Volk wissen müssen. Sie waren doch sonst auch nicht zimperlich. Warum haben Sie das Volk angelogen?
Blocher: Ich habe diese Zahl nie vertreten und dem Bundesrat gesagt, dass ich diese falsche Zahl nie vertreten würde. Ich würde mich nicht ans Amtsgeheimnis halten. Aber mir, als Gegner von Schengen/Dublin, wollte man nicht glauben.
Herr Bodenmann, gehört auch die Angst vor Überfremdung durch die Personenfreizügigkeit in die Kategorie der künstlichen Aufregung?
Bodenmann: Ich bin viel in Europa unterwegs und muss feststellen, dass die Probleme von Gebieten, die unter Abwanderung leiden, viel gravierender sind als unsere Probleme. Diese haben nichts mit der Zuwanderung zu tun, sondern damit, dass die Politik die räumliche Entwicklung nicht mehr steuert. Derzeit ist die Schweiz hochattraktiv, wie der Grossraum München auch. Das hat den Nachteil steigender Mieten. Die Frage ist: Was machen wir jetzt? Real will niemand die Personenfreizügigkeit rückgängig machen, auch die SVP nicht. Also müssen wir an einer anderen Ecke ansetzen. Die Produktivität pro Kopf in der Schweiz wächst viel zu langsam. Weil wir geschützte Sektoren haben. Wir haben zu viele Bauern. Eine Million Hektaren könnte die Hälfe der Bauern mit mehr Effizienz genau so gut bewirtschaften. Es wäre besser, junge Bauern würden unsere Alten pflegen als hinter Kühen herlaufen. Wir müssen endlich die Spitallandschaft umpflügen, 40 Spitäler mit je 500 Betten reichen. Wir bräuchten weniger Ärzte und Krankenschwestern, die einen grossen Teil der Zuwanderung ausmachen. Um die Kostensteigerung zu bremsen, gibt es nur ein Rezept: Rationalisierung. Einer Rationierung werden die Schweizer nie und nimmer zustimmen.
Blocher: Herr Bodenmann: Warum werden Sie nicht Bauer, wenn das so toll ist? Wenn die Schweiz zu wenig Arbeitskräfte hat, braucht sie Ausländer. Das war schon vor der Personenfreizügigkeit so. Aber die Leute kamen kontrolliert. Es gab die Inländerbevorzugung. Heute sind alle aus der EU Inländer. Die unbegrenzte Einwanderung aus dem EU-Raum führt zu unhaltbaren Zuständen. Heute haben wir eine Überhitzung der Wirtschaft und trotzdem liegt die Arbeitslosigkeit bei über drei Prozent! Bei einer wirtschaftlichen Abschwächung – die sicher kommt – werden wir massiv mehr Arbeitslose bekommen. Zum Gesundheitswesen; Die neusten Statistiken zeigen, dass in den letzten 20 Jahren netto 138’000 mehr allein im Bereich “Gesundheit und Soziales” arbeiten, 51’000 in der “Bildung” und 23’000 mehr in der allgemeinen Verwaltung. Die Zahl der Staatsangestellten hat sich von 18 auf 23 Prozent erhöht! Deshalb wächst die Produktivität mit der Einwanderung nicht. Die Privatwirtschaft dagegen hat in den 90er-Jahren, als die Wirtschaft im Tief war, über 200’000 Beschäftigte verloren und im Hoch von 2005 – 2010 um nur knapp gleich viel wieder aufgeholt.
Herr Blocher, könnten Sie als Energieminister heute AKW’s noch verantworten?
Blocher: Seriöse Energiekonzepte kommen bis heute zum Schluss: Ohne Kernkraft können wir nicht genügend, kostengünstige und sichere Energie produzieren. Entscheidend ist Menge und Preis! Preise für Alternativenergien sind ein Vielfaches der heutigen Stromgestehungskosten.
Bodenmann: Sie haben die Grössenordnungen der Preise nicht mehr im Griff.
Blocher: Wir orientieren uns an der Praxis. Die SVP ist nicht verheiratet mit der Kernenergie. Wenn man etwas Besseres oder Gleichwertiges bietet, soll mir das recht sein. Aber nichts ist in Sicht. In den nächsten 20 bis 30 Jahren müssen wir die alten KKW’s erneuern. Wir können verzichten, wenn man über eine Alternative für genügend, kostengünstige und sichere Energie verfügt. Bis jetzt brachten die Alternativenergie-Apostel nichts Konkretes ausser neuen Gebühren, Forschungs- und Lenkungsabgaben, Energiesteuern – d.h. Verteuerung von Energie. Bürger, Gewerbe und Industrie bezahlen.
Bodenmann: Nehmen wir die Fakten zur Kenntnis. Die Vergütungssätze für Solar- und Windenergien in der Schweiz sind viel zu hoch. Für Windenergie dürfte man nicht mehr als 12 Rappen bezahlen. Und für Sonnenenergie nicht mehr als 20 Rappen. Beginnen wir mit 20 Rappen und senken diesen Preis jedes Jahr, haben wir eine wunderbare Explosion alternativer Energien. Die Schweiz muss die Einspeisevergütungen auf europäisches Niveau senken. Wenn nicht sogar tiefer, weil die Zinsen in der Schweiz tiefer sind. Ich verstehe den Blödsinn der Mär des unendlich teuren Stroms nicht. Ich versuchte mehreren Bundesrat die rasante technologische Entwicklung zu erklären, musste aber feststellen: In den letzten 15 Jahren hatten wir konstant sieben ökologische Analphabeten im Bundesrat. Deutschland, die führende Industriemacht Europas, entschied sich, den Umstieg schneller zu realisieren, als sich das die Grünen und Roten je erträumt hätten. Angeführt von der politischen Rechten. Das ist die Ironie. Und die SVP hinkt hinterher wie die alte Fasnacht.
Mit Moritz Leuenberger sprachen Sie nie? Weil es sich nicht gelohnt hätte?
Bodenmann: Leuenberger war an solchen Fragen durchgehend desinteressiert.
Blocher: Nicht nur an diesen Fragen.
Bodenmann: Und die übrigen Bundesräte waren nicht fähig, ihn unter Druck zu setzen. Das spricht gegen Blocher, Couchepin und Co.
Blocher: Werden wir ernsthaft. In Deutschland ist die Windenergie dank viel Wind auf billigen grossen Meerflächen etwas billiger. Wenn Sie, Herr Bodenmann, von 12 Rappen sprechen, sage ich: Das wäre ja ein einigermassen vertretbarer Marktpreis. Doch ich habe noch keine solche Rechnung gesehen.
Herr Blocher, bei 20 bis 12 Rappen für alternative Energien wären Sie für den Atomausstieg?
Blocher: Nicht bei 20 Rappen. 12 Rappen wären wohl schon einigermassen vertretbar. Wenn genügend und sicher!
Bodenmann: 20 Rappen für Sonnenenergie, 15 Rappen für Wind. Und das degressiv.
Blocher: Zuerst muss man den vertretbaren Marktpreis kennen, und dann die vertretbaren Kosten. Vielleicht schafft dies die Entwicklung in 20 bis 30 Jahren. Aber wir brauchen die Energie heute.
Bodenmann: Nicht in 30 Jahren. Heute schon.
Blocher: Weshalb macht das dann niemand?
Bodenmann: In Deutschland schon. Die Konsumentenzeitschrift „Saldo“ zeigte auf, dass man in der Schweiz jenen 50 Prozent mehr zahlt als in Deutschland, die eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach schrauben.
Blocher: Das werden ja jetzt dann die Gutachten zeigen.
Bodenmann: Dazu kommt, dass in Graubünden die Sonneneinstrahlung an guten Lagen fast doppelt so hoch ist wie in Bayern. Maloja ist so sonnenintensiv wie Malaga.
Blocher: Wir wehren uns doch nicht gegen die technische Entwicklung. Wir vertreten auch das Gewerbe, die Landwirtschaft, die Industrie, die Leute. Sie sollen nicht immer mehr bezahlen. Heute läuft es darauf hinaus. Jetzt sagt Herr Bodenmann: Ich kann es billiger machen. Das ist hochinteressant. Also macht es! Ich würde mich freuen.
Bodenmann: Deutschland brachte Photovoltaik und Windenergie über die Einspeiseverordnung faktisch zur Weltreife.
Blocher: Davon ist in der Schweiz nichts zu spüren.
Bodenmann: Gehen wir doch zusammen ein Wochenende nach Deutschland. In Ihre ursprüngliche Heimat.
Blocher: Lassen Sie mir ein Gutachten von anerkannten Ingenieuren zukommen. Eines, das zeigt: Wir können anstelle von Kernenergie genügend, kostengünstigen und sicheren Alternativstrom herstellen. Dann finden Sie sofort Investoren.
Bodenmann: Ich abonniere Ihnen für ein Jahr lang „Photon“, das führende Solarmagazin Europas.
Blocher: Ich kann es noch selbst bezahlen. Ist dieses Magazin nicht auch Partei?
Bodenmann: Nein.Es fordert, die Preise müssten massiv sinken. Die bürgerlichen Deutschen sind nicht auf den Kopf gefallen. Sie machen den Schritt nur, weil sie die Entwicklung sehen. Photovoltaik-Zellen sind weder rechts noch links.
Blocher: Gerne würde ich Ihnen recht geben. Allein mir fehlt der Glaube.
Herr Bodenmann, Sie deuten an, man müsse beim Bundesamt für Energie aufräumen.
Bodenmann: Wir haben in der Schweiz im Energiebereich einen sehr statischen Filz, der alles durchzieht. Es sind undemokratische parastaatliche Organisationen mit Alt-Regierungsräten. Eine träge Krake, die bis in die Bundesämter wuchert.
Blocher: Die Versorger sind die Kantone – der Staat. Ich gehöre zu den Stromkonsumenten. Die Entwicklung muss zu sicherer, kostengünstiger und genügend Energie gehen. Da sind wir uns hoffentlich einig.
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