Staatsschutz
Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 11. Februar 2012 mit Herrn Daniel Foppa
Der Bundesrat will dem Staatsschutz die Möglichkeit geben, Computer zu hacken und Wanzen zu verlegen. Sind Sie damit einverstanden?
Mehr Mittel für den Staatsschutz sind stets heikel. Denn Regierungen neigen dazu, diese Instrumente nicht nur gegen mutmassliche Verbrecher, sondern auch gegen unliebsame politische Gegner missbräuchlich einzusetzen. Im kalten Krieg war das eher die Linke: heute, nachdem die Linke zum Regierungsfilz gehört, wohl eher gegen die SVP.
Die SVP soll im Visier des Staatsschutzes sein?
Die Versuchung ist jedenfalls da. Im Fall Hildebrand wurde der SVP vorgeworfen, sie würde einen Kampf gegen die Institutionen an sich führen und das Land destabilisieren, nur weil man in der Führung der Nationalbank keine schwerwiegenden Interessenskonflikte duldet. Der FDP-Strafrechtsprofessor René Rhinow sah die Demokratie gefährdet. Die Forderung wurde laut, Bundesanwaltschaft und Nachrichtendienst müssten sich mit dem Fall befassen – mit der SVP wohlgemerkt, und nicht mit den Vergehen des Nationalbankpräsidenten! Ich sagte mir: “Pass auf, jetzt werden wir bald abgehört und wie Staatsfeinde behandelt!”
Der Staatsschutz soll nur in Fällen von Terrorismus, Spionage und Proliferation abhören können. Das sind nicht unbedingt Kernkompetenzen der SVP.
Weil die Versuchung besteht, solche Mittel auch in unangemessenen Fällen einzusetzen, ist die Kontrolle entscheidend. Ich finde es nicht problematisch, wenn der Staatsschutz mehr Kompetenzen erhält, aber nur mit besserer Kontrolle. Als Justizminister habe ich das seiner Zeit selber vorgeschlagen. Das Geschäft ging dann jedoch an Verteidigungsminister Samuel Schmid über, und dort wurden auf Druck des Auslandgeheimdienstes die Kontrollmechanismen geschwächt. Die Vorlage scheiterte denn auch im Parlament.
Wie müssten die Kontrollmechanismen aussehen?
Es braucht nicht nur einen richterlichen Entscheid, um das Abhören zu bewilligen, sondern auch eine Information des Betroffenen, sobald die Aktion abgeschlossen ist und keine Strafverfolgung resultiert. Dies hat grundsätzlich von Amtes wegen zu erfolgen.
Ist es sinnvoll, Terrorverdächtige darüber zu informieren, sie seien überwacht worden.
Ausnahmefälle kann es geben. Wenn der Staatsschutz eine Person ohne konkretes Ergebnis überwacht hat, aber der Ansicht ist, aus Sicherheitsgründen dürfe keine nachträgliche Information erfolgen, dann soll dies wiederum ein Richter entscheiden.
Die grundsätzliche Pflicht zur nachträglichen Information ist die entscheidende Präventionsmassnahme. Dadurch überlegt sich der Nachrichtendienst sehr gut, wen er überwacht. Er muss damit rechnen, dass Unfug später auskommt.
Weshalb kann man solche Überwachungen nicht einfach den Strafverfolgungsbehörden überlassen?
Die Strafverfolgungsbehörden dürfen nicht wie der Staatsschutz präventiv tätig werden.
Offenbar plant der Bundesrat, Bürger nur auf deren Ersuchen hin zu informieren, ob sie überwacht worden sind oder nicht.
Wie soll denn ein unbescholtener Bürger von sich aus auf die Idee kommen, beim Datenschützer nachzufragen, ob er überwacht worden sei oder nicht?
Wie wird sich die SVP im Parlament bei der Beratung des Nachrichtendienstgesetzes verhalten?
Das hängt davon ab, ob die Vorlage mit den erwähnten Kontrollmechanismen ausgestattet wird. Die SVP wird diese Forderung in ihrer Vernehmlassungsantwort einbringen. Verzichtet der Bundesrat darauf, lehne ich das Gesetz ab. Die Vorlage wird in der SVP ohnehin einen schweren Stand haben. Es gibt Stimmen, die grundsätzlich gegen mehr Kompetenzen für den Staatsschutz sind.
Wird SVP-Bundesrat Ueli Maurer die Kritik der eigenen Partei berücksichtigen, oder die Wünsche des Staatsschutzes höher gewichten?
Man wird sehen: Es geht um eine Gratwanderung, es geht um Freiheit und Sicherheit. Wenn sich ein Anschlag ereignet, dreht die öffentliche Meinung sehr schnell zu mehr Sicherheit. Ich habe das als Justizminister 2003-2007 – in den Jahren nach den Anschlägen vom 11. September 2001 – selbst erlebt: Das Parlament warf dem Bundesrat vor, die Schweiz hätte einen zu schwachen Staatsschutz, und es müsse sofort etwas geschehen. Auch die USA warfen der Schweiz vor, sie täte zu wenig für die Bekämpfung des Terrorismus.
Sie betonen, wie wichtig ein gut kontrollierter Staatsschutz ist. Zu Ihrer Zeit als Justizminister legte der Ihnen unterstellte Inlandnachrichtendienst jedoch 210 000 Fichen auf Vorrat an, ohne zu kontrollieren, ob diese Daten staatsschutzrelevant sind.
Sie stammen zwar nicht alle aus meiner Zeit, aber ich erachte die 210 000 Fichen als unproblematisch. Die meisten sind Einträge illegaler Ausländer, darunter auch Kriminaltouristen und dergleichen. Aber es war ein Fehler, dass man nicht in der gebotenen Zeit überprüft hat, ob diese Daten gelöscht oder ausgewertet werden sollen.
Die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments sprach von einer illegalen Praxis des Inlandnachrichtendienstes.
Die Datenpflege war nicht korrekt und wurde korrigiert. Diese Daten wurden aber vor allem mittels Beobachtung und Auswertung von öffentlichen Quellen erfasst und nicht mit Überwachungsmethoden, wie sie jetzt zur Debatte stehen. Nun diskutieren wir über aktive, geheime staatliche Eingriffe in die Bürgerrechte.
Die Schweiz steht momentan nicht wegen drohender terroristischer Anschläge unter Druck, sondern wegen des Steuerstreits mit den USA. Wie verhält sich Ihrer Ansicht nach der Bundesrat dabei?
Schlecht. Die Regierung schützt die schweizerische Rechtsordnung nicht mehr. Falls Schweizer Banken gegen US-Recht verstossen haben sollten, gibt es einen Rechtsweg, den die US-Justiz einzuhalten hat. Der Bundesrat hat dafür zu sorgen, dass Amerika dies befolgt. In der Schweiz soll Schweizer Recht und nicht amerikanische Willkür gelten!
Tut das die Regierung nicht?
Bisher spricht der Bundesrat vor allem von Fehlverhalten schweizerischer Banken. Johann Schneider-Amman sprach von «Altlasten» der Banken, Doris Leuthard warf diesen vor, sie hätten wissen müssen, was sie tun – lauter solche Banalitäten. Das mag ja alles zutreffen. Aber eine Regierung hat vor seine Bürger hinzustehen, und die Rechtsordnung zu verteidigen, auch wenn jemand Unrecht verübt haben sollte. Die Regierung muss mit allen Mitteln durchsetzen, dass gegen Unrecht mit Rechtsmitteln und nicht mit Erpressungen und willkürlicher Zerstörung des schweizerischen Bankensystems vorgegangen wird.
Der Bundesrat hat den Amerikanern codierte Bankkundendaten geliefert und verhandelt mit ihnen über ein Steuerabkommen. Was ist daran falsch?
Mit problematischen Datenlieferungen hat der Bundesrat von Beginn weg seine Position geschwächt. Die USA führen einen Wirtschaftskrieg gegen unsere Banken. Da hätte der Bundesrat den Spiess umdrehen und die USA öffentlich bezichtigen müssen. Wer sich nicht für seinen Rechtsstandpunkt wehrt, wird vor allem in USA nicht respektiert. Die USA haben in einigen Staaten ein strikteres Bankgeheimnis als die Schweiz, und dort leisten die USA überhaupt keine Rechtshilfe bei Steuervergehen! Als die US-Justiz gegenüber Mexiko Rechtshilfe und Amtshilfe wenigstens bei hochkriminellen Drogen- und Waffengeldern leisten wollte, wehrten sich amerikanische Politiker dagegen. Mir liegt ein Brief von kalifornischen Abgeordneten vor. Diese schreiben den Justizbehörden, es dürfe auf keinen Fall Amts- und Rechtshilfe geleistet werden. Ausländische Gelder, die in den USA geschützt seien, seien die Ursache für mehr Investitionen, tieferer Zinse etc. Solche Tatsachen muss der Bundesrat öffentlich machen:, sich für die Schweizer Rechtsordnung wehren und nicht willfährig alles preisgeben!
Das kann wohl kaum die Verhandlungstaktik des Bundesrats sein.
Doch, das muss sie sein. Der Bundesrat versteht die Amerikaner nicht. Wenn die Amerikaner mit einer Forderung auftreten, erwarten Sie, dass das Gegenüber Paroli bietet. Geschieht das nicht, verlieren sie den Respekt. Im Fall des Steuerstreits sehen sie das Nachgeben des Bundesrats als Schuldeingeständnis an. US-Anwälte haben mich gefragt: Was ist los mit der Schweiz? Früher seien schweizerische Verhandlungspartner hoch geschätzt gewesen: Sie galten zwar als “stur” – aber erfolgreich. Persönlichkeiten wie Minister Walter Stucki haben in den Nachkriegsjahren energisch und erfolgreich mit den Amerikanern verhandelt. Natürlich schliesst Konsequenz und Entschiedenheit einen Deal am Schluss nicht aus!
Wie verhandelt denn Staatssekretär Michael Ambühl?
Er will zu schnell ein Ergebnis vorweisen können. Und ich zweifle daran, dass er den Amerikanern die Zähne zeigt. Das Finanzdepartement ist schlecht vorbereitet. Ich hätte schon lange erwartet, dass eine Delegation des Bundesrats nach Washington gereist wäre und der US-Regierung unseren Standpunkt dargelegt und den Amerikanern den Spiegel vorgehalten hätte. So wie die USA geht man nicht mit einem befreundeten Rechtsstaat um. Da regiert die Macht und nicht das Recht. Das ist auch für Amerikaner unwürdig!
Der Bundesrat lässt derzeit einen Bericht zur künftigen Ausrichtung des Finanzplatzes erarbeiten. Darin wird er von den Banken voraussichtlich eine Weissgeldstrategie fordern.
Es ist dumm und verheerend, dass man diesen moralistischen Begriff überhaupt verwendet. Daraus folgt ja wohl, dass die Schweiz bisher eine Schwarzgeldstrategie verfolgte. Unsäglich, was diese “Gutmenschen” an schlechtem anrichten. Zudem kann niemand erklären, wie diese Strategie funktionieren soll. Wenn jemand seinen Lohn auf die Bank bringt, wie soll er denn beweisen, dass er dieses Geld versteuert hat? Oder wie soll ein Unternehmen, das Geld anlegt, nachweisen, dass dieses Geld versteuert ist? Das ist doch Blödsinn.
Fakt ist, dass die bisherige Bereitschaft von Schweizer Banken, unversteuertes Geld zu akzeptieren, dem Finanzplatz enorm schadet.
Die Preisgabe des Bankkundengeheimnisses schadet vor allem. Wenn Schweizer Banken heute Anzeichen haben, dass jemand Geld zum Zwecke der Steuerhinterziehung anlegt, dann sollen sie dieses Geld von sich aus ablehnen. Aber die Verantwortung dafür liegt allein beim Kunden. Die Bank hat die Privatsphäre des Kunden zu schützen, aber nicht für hinterzogene Gelder zu bewerben. Das ist auch in der Schweiz verboten.
An der Albisgüetlitagung haben Sie eine Strafanzeige gegen Philipp Hildebrand angekündigt. Wann reichen Sie die ein?
Wir bereiten das mit einem Anwalt vor. Das ganze ist komplex. Möglicherweise warten wir aber auch erst das Ergebnis der vom Bankrat angekündigten Untersuchung der Finanztransaktionen seit 2009 ab. Dann würde endlich alles auf dem Tisch liegen.
Sie erwarten, dass weitere heikle Finanztransaktionen zum Vorschein kommen?
Offengelegt wurde bisher nur ein kleiner Teil, und nur für 2011! Ein Konto einer einzigen Bank und nur soweit die “Weltwoche” dies offengelegt hat. Andere Konti von Hildebrand und der weiteren Familie liegen noch im Dunkeln. Um endlich solche für die Schweiz gefährlichen Interessenskonflikte zu beseitigen, sind nicht nur Hildebrands Transaktionen zu untersuchen, – sondern auch beim Personenkreis, der über die Nationalbankinterventionen im August/September 2011 orientiert wurde. Welche Chefbeamten, welche Bundesräte usw. haben von diesem Entscheid gewusst, und haben nach diesem Datum Dollar- oder Euro- und Aktienkäufe bei sich oder Dritten veranlasst?
Sie verdächtigen tatsächlich Bundesräte der Insidergeschäfte?
Nachdem sogar der Präsident der Nationalbank Devisen- und Aktiengeschäfte betrieb und dies vom Bundesrat erst noch mit einem Persilschein gedeckt wurde, bin ich sehr misstrauisch. Wenn jemand weiss, dass die Nationalbank in nächster Zeit interveniert, ist die Versuchung gross, solche Käufe zu tätigen. Darum werden solche Interventionen durch die Nationalbanken normalerweise völlig überraschend und geheim beschlossen. Es geht um für das Land ausserordentliche Interessenskonflikte, wenn dies nicht eingehalten wird.