Die Geschichte gab mir mehr recht, als ich erwartet habe
Interview zum EWR, zur EU und zur Schweiz mit Nicole Meier, sda
Für Nationalrat Christoph Blocher und die SVP begann mit der EWR-Abstimmung von 1992 der steile Aufstieg. Im Interview mit der sda erinnert sich Blocher an den Abstimmungskampf mit Teufelskarikaturen und nächtlichen Zweifeln. Und er kündigt das Referendum gegen das Stromabkommen mit der EU an.
sda: Herr Blocher, der emotionale und aggressive Stil des Abstimmungskampfs war 1992 neu für die Schweiz. Woran erinnern Sie sich vor allem?
Christoph Blocher: An die Spannung am Abstimmungssonntag. Am Ende des Ab-stimmungskampfs war ich erschöpft, auch körperlich am Ende. Ich ging um 20 Uhr ins Bett, während meine Kollegen mit Feuerwerk feierten. Otto Fischer und ich hatten ein Jahr lang jeden Tag mindestens einen Vortrag gehalten. Aber ich war oft auch von Zweifel geplagt: Wir wussten ja nicht, wie die Zukunft herauskommt.
sda: Sie hatten Zweifel daran, dass das Nein richtig war?
Blocher: Ich hatte während des ganzen Abstimmungskampfs Zweifel – vor allem nachts. Tagsüber war ich wieder sicher. Ich fragte mich oft, ob es möglich ist, dass alle anderen – die Classe politique, aber auch meine industriellen Freunde – falsch lagen.
sda: Was ziehen Sie 20 Jahre nach dem Nein für eine Bilanz?
Blocher: Die Geschichte hat mir mehr recht gegeben, als ich gedacht hatte. Dass es der Schweiz heute besser geht als den meisten EU-Ländern, liegt daran, dass wir nicht in der EU sind, und dass dank dem EWR/EU Nein die schweizerische Souveränität gewahrt werden konnte.
sda: Das Volk hat nicht über einen EU-Beitritt abgestimmt, sondern über den EWR.
Blocher: Der EWR – ein Kolonialvertrag – wäre nur der erste Schritt – der Vorhof – auf dem Weg in die EU. Das merkte auch der Bundesrat. Darum hat er ja auch das schweizerische EU-Beitrittsgesuch beschlossen und deponiert.
sda: Was haben Sie am Abstimmungssonntag, dem 6. Dezember, gemacht?
Blocher: Ich habe am Nachmittag Radio gehört. Unter den ersten Resultaten war eine Gemeinde mit 100 Prozent Stimmbeteiligung und keiner einzigen Ja-Stimme: Lü/Lüsai im bündnerischen Münstertal. Dort hatte mich der Gemeindepräsident nach einem EWR/EU-Anlass zu einem Alp-Gottesdienst eingeladen. Er sagte: Das werden ihnen die Leute nie vergessen. Allerdings hatte die Gemeinde nur 29 Stimmberechtigte. Am Abstimmungssonntag sagte ich zu meiner Frau: Wir wären besser in der Stadt Zürich zum Alp-Gottesdienst gegangen. Das hätte mehr eingeschenkt.
sda: Die Stimmbeteiligung lag mit über 78 Prozent in Rekordhöhe, die Stände lehnten den EWR deutlich ab, aber das Volks-Nein war lange Zeit ungewiss.
Blocher: Nach dem Resultat von Lü/Lüsai kam auch bald eine kleine Gemeinde in der Westschweiz mit keiner einzigen Nein-Stimme. Das zeigte den tiefen Graben. Ich hatte keinen Mitkämpfer in der welschen Schweiz. Es gab zwar Gegner, aber die haben sich kaum gezeigt.
sda: Haben Sie überhaupt um die Stimmen der Romands gekämpft?
Blocher: Natürlich. Ich habe in meinem schlechten Französisch Vorträge gehalten. Als ich an der Universität Freiburg sprach, haben Studenten und Professoren Plakate aufgehängt: “C’est le diable, qui vient” – es sei der Teufel, der da komme. So war die Stimmung.
sda: 1992 wurde sozusagen der Grundstein für den Erfolg der SVP gelegt. Wäre sie auch ohne EWR-Abstimmung so stark geworden?
Blocher: Ohne die Abstimmung vielleicht schon, aber nicht ohne die Debatte über die Unabhängigkeit. Die SVP stand damals allein für die Unabhängigkeit.
sda: Hat die SVP nach dem Verlust in den Wahlen 2011 ihre maximale Grösse erreicht?
Blocher: Das kann sein. Sie kann vielleicht stärker werden als 26,6 Prozent, aber dann müssen wir Konzessionen machen. Das macht keinen Sinn. Es braucht keine weitere Mittepartei.
sda: Hört man in der SVP überhaupt noch auf Sie?
Blocher: Eher zuviel als zuwenig.
sda: Sie sind 71, andere sind in diesem Alter längst in Rente.
Blocher: Wer einen ernsthaften Kampf für das wichtigste Gut der Schweiz – die Unabhängigkeit – führt, kann nicht dauernd nach dem eigenen Alter fragen. Man hat wichtigeres zu tun. Weiter kämpfen!
sda: Wogegen?
Blocher: Bundesrat und Parlament wollen jetzt für die Schweiz erneut einen Kolonial-vertrag um so die Schweiz in die EU zu führen: Es soll mit der EU ein harmloses Stromabkommen abgeschlossen werden, das Modellcharakter hat für alle folgenden Verträge. Die Schweiz soll sich verpflichten, künftig bei jedem Vertrag unbesehen künftiges EU-Recht zu übernehmen und sich fremden Richtern zu beugen. Alles unter dem harmlosen Titel: Energieabkommen.Darunter versteckt sich ein Kolonialvertrag schlimmer als der EWR. Das muss verhindert werden. Sonst geht die Schweiz unter. Wir stehen wie 1992 vor einer Wegscheide.
sda: Wie wollen Sie das verhindern?
Blocher: Schlussendlich bleibt nur das Referendum. Noch in diesem Jahr gründen wir ein überparteiliches Komitee, das sich für den Abstimmungskampf vorbereitet. Bisher arbeiten wir im kleinen Kreis die Materialien auf.
sda: Wer gehört zum kleinen Kreis?
Blocher: Namen möchte ich noch keine nennen.
sda: Dass die Schweiz heute relativ gut dasteht, ist auch den bilateralen Verträgen zu verdanken. Zuerst nannten Sie diese als Alternative zum EWR, jetzt bekämpfen Sie sie.
Blocher: 1992 legte ich dar: Wenn wir Probleme haben mit den Nachbarn, lösen wir sie bilateral. Zwei Verträge sind schlecht: Schengen und die Personenfreizügigkeit. Weil wir die schweizerische Staatsform haben geht es uns heute besser. Darum haben wir tiefere Steuern und weniger Schulden, darum wollen alle in der Schweiz arbeiten. Dies, weil die Schweiz Nein sagte zum EWR/EU-Beitritt.
sda: Was haben Sie eigentlich gegen Europa?
Blocher: Ich habe nichts gegen Europa. Die Schweiz ist selbst ein europäisches Land. Aber die EU ist nicht Europa, sondern eine intellektuelle Fehlkonstruktion. Zum Glück bin ich heute nicht mehr der Einzige, der das einsieht.
sda: Wie lange gibt es die EU noch?
Blocher: Ich weiss es nicht. Die EU wird vielleicht nicht auseinanderbrechen, aber die dezentralen Kräfte nehmen sicher zu. Die EU wird wirtschaftlich keinen Erfolg haben, das ist ihr Hauptproblem.
sda: Wie viel Zeit geben Sie dem Euro noch?
Blocher: Auch das kann ich nicht beantworten. Die EU hält ihn mit allen Mitteln aufrecht, weil sie merkt, dass sonst die ganze Konstruktion auseinanderfällt. Den Euro hat man nicht aus wirtschaftlichen Gründen geschaffen, sondern um die Völker stärker miteinander zu verbinden. Nur funktioniert er ökonomisch nicht: Arbeitslosig-keit und Armut sind die Folge.
sda: Während die Schweiz isoliert dasteht.
Blocher: Was? Sind Sie isoliert? Die Schweiz kann mit allen Ländern freundschaftlich verkehren, aber die Schweizer wollen und können ihre Zukunft selbst bestimmen. Die Schweiz ist zu klein, um nicht mit allen Ländern freundschaftlichen Kontakt zu pflegen. Hier hilft uns die Neutralität und die Weltoffenheit der Schweiz.
sda: Freundschaft beruht auf Gegenseitigkeit.
Blocher: Das soll so bleiben. Aber auch gute Freunde lassen sich nicht beherrschen. Hier hat die Freundschaft ihre Grenze.
sda: Wie lange wollen Sie weiterkämpfen?
Blocher: Solange nötig und solange mir die Kräfte gegeben sind. Jetzt stehen wir am anfang eines neuen widerlichen Kampfes. Da bin ich als unabhängiger, kampfer-probter Politiker gefragt. Ich kämpfe nach der Devise: “Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird Euer Leben gewonnen sein.”
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