18.01.2009
Mit der Wirtschaftskrise wird die Politik der offenen Grenzen unter Druck kommen, glaubt Christoph Blocher (68). Eine Initiative soll eine neue Lösung bringen.
Herr Blocher, landauf, landab kämpfen Schweizer Unternehmer für ein Ja bei der Abstimmung am 8. Februar. Sie unterstellen diesen Unternehmern egoistische Motive. Weshalb?
Christoph Blocher: Nicht Egoismus, sondern Eigennutz. Die Unternehmer haben verständlicherweise ein Interesse, aus 470 Millionen statt 7,5 Millionen Einwohnern wie in der Schweiz auswählen zu können.
Das ist doch ein volkswirtschaftlicher Vorteil!
In der Hochkonjunktur ja, aber nicht in der Rezession. Was geschieht, wenn die gleichen Unternehmer die Leute wieder entlassen müssen? Ein verantwortungsvoller Unternehmer muss langfristig denken.
Grundsätzlich sind Sie aber doch für die Personenfreizügigkeit?
Ich bin dafür, dass wir die Arbeitskräfte kriegen, die wir brauchen. Aber ich bin nicht dafür, dass alle bleiben können, sobald sie arbeitslos sind. Aber jetzt haben wir die Verträge unterschrieben, und wir sollten dazu stehen, sie also nicht kündigen – aber nicht noch das Abenteuer auf Rumänien und Bulgarien ausweiten.
Was stört Sie denn an der erweiterten Freizügigkeit für Bulgarien und Rumänien?
Das sind zwei der ärmsten Länder Europas. Beide Staaten weisen eine hohe Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Korruptionsrate auf. Die werden importiert.
Das sind aber boomende Wirtschaften, die sich entwickeln.
Das war die Meinung in der Hochkonjunktur.
Sie scheinen sich speziell vor den Roma zu fürchten. Warum?
Das Problem sind die Fahrenden, nicht die Roma. Es gibt auch Roma mit festem Wohnsitz. Es ist sehr schwierig, die zurückzuschaffen.
Warum wäre es denn so schwierig, die Fahrenden wegzuschicken?
Wir haben schon grosse Mühe, einen Afrikaner per Flugzeug heimzuschaffen. Es ist praktisch unmöglich, eine ganze Gruppe von Fahrenden samt ihren Wohnwagen zwangsweise auszuschaffen! Daran arbeitet nun Italien verzweifelt.
Wo sind denn die Fahrenden der fraglichen EU-Länder, mit denen wir heute schon die Personenfreizügigkeit praktizieren, etwa aus der Slowakei?
Diese Volkswirtschaften sind viel weiter fortgeschritten. In Spanien, das seit dem 1. Januar 2007 die volle Freizügigkeit mit Rumänien und Bulgarien kennt, sind 730000 Rumänen und 150000 Bulgaren eingereist. Spanien versucht dies rückgängig zu machen, weil es ein Riesenproblem ist. Und die kleine Schweiz will hier öffnen!
Sie sind kurz vor den Schlussverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien als Bundesrat abgewählt worden. Was wäre Ihr Verhandlungsziel gewesen?
Eigentlich wollte ich überhaupt nicht verhandeln, aber der Bundesrat wollte es so. Also kämpfte ich für möglichst lange Übergangsfristen. Dann wollte ich Sonderregelungen für die 2,5 Millionen Fahrenden aus Rumänien und Bulgarien. Doch dann wurde der Vertrag ohne diese Klausel abgeschlossen! Im schlimmsten Fall hätten wir keine Freizügigkeit für Personen ohne festen Wohnsitz zulassen können.
Eine Sonderlösung für Fahrende, womöglich noch mit einem Stempel im Pass. Das erinnert sehr an ein dunkles Kapitel unserer Geschichte.
Nur keine falschen Parallelen! Es geht um objektive Voraussetzungen. Viele EU-Länder suchen jetzt eine Lösung. Sehen Sie: Es gibt kein einziges Land auf der Welt, das eine Personenfreizügigkeit hat. Die kleine Schweiz ist das einzige Land, das sich diese Verrücktheit erlaubt. Die typischen Einwanderungsländer USA, Kanada, Australien und Japan – kein Land kennt eine Personenfreizügigkeit. Das wäre für sie ein Abenteuer. Und für die Schweiz wird es eines!
Aber die EU-Staaten.
Die europäischen Staaten können dies nur innerhalb der EU. Diese Länder wollen keine Staaten mehr sein und haben deshalb ihre Souveränität an die EU abgetreten. Die Schweiz ist ein souveräner Staat!
So absolut stimmt das weder für die Schweiz noch für die Staaten der Europäischen Union.
Von Deutschland heisst es, es würde nur noch 17 Prozent aller Gesetze selber erlassen. Die Schweiz dagegen ist noch ein souveränes Land.
Was wäre dann für Sie die richtige Lösung?
Leute aus der ganzen Welt sollten in der Schweiz arbeiten können, wenn sie einen Arbeitsvertrag haben. Wenn der Arbeitsvertrag abläuft, müssen sie die Schweiz wieder verlassen. Nur wenn sie lange genug da sind, bekommen sie eine Niederlassungsbewilligung. Mit der vollen Personenfreizügigkeit ist es dagegen möglich, dass einer, der vorher in der EU gearbeitet hat und nach nur einem Arbeitstag in der Schweiz arbeitslos wird, Arbeitslosengelder und die schweizerischen Sozialleistungen während fünf Jahren bezieht.
Diese Woche sagte die CVP an einer Pressekonferenz, ein Nein am 8. Februar bedeute zwingend das Ende der bilateralen Verträge. Sie widersprechen.
Es gibt keinen Automatismus und keine Guillotine. Nur wenn der Bundesrat die Bilateralen kündigen würde, wäre dies das Ende. Doch der Bundesrat ist nicht so dumm, dass er das täte. Er hätte auch keinen Auftrag vom Volk dazu.
Der Bundesrat hat keinen Plan B. Was sollte er tun, wenn es wider Erwarten ein Nein gäbe?
Bei einem Nein muss der Bundesrat das Abstimmungspäckli wieder aufmachen und jede Vorlage separat vorlegen, wie er das ja ursprünglich machen wollte. Die Weiterführung könnte sofort beschlossen werden. Es dürfte nicht einmal ein Referendum geben. Also keine Probleme...
Auf jeden Fall dann nicht, wenn die Schweizer in drei Wochen mit Ja stimmen.
Aber mit dem Ja zur Personenfreizügigkeit am 8. Februar wird die Schweiz grosse Probleme und eine hohe Arbeitslosigkeit erhalten. Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung stellt sich die Frage: Unter welchen Bedingungen darf der Arbeitsmarkt geöffnet werden? Die SVP sollte prüfen, ob sie eine Initiative für eine eingeschränkte Personenfreizügigkeit lancieren soll. Wir wollen nichts zerstören. Aber man kann alles neu verhandeln.
Ist das schon von den Parteigremien abgesegnet worden?
Dieses Projekt werde ich nach der Abstimmung neu in die Partei tragen. Ich gehe davon aus, dass die Parteigremien mitziehen. Denn die SVP weiss: Die Personenfreizügigkeit in dieser Form können die Schweizer nicht verkraften.
11.01.2009
Das Duell der Wirtschaftsführer zur Personenfreizügigkeit: alt Bundesrat Christoph Blocher (SVP) tritt gegen Gerold Bührer an, den Präsidenten des Dachverbandes der Schweizer Wirtschaft (Economiesuisse). Am 8. Februar findet die Volksabstimmung statt.
«Sonntag»: Zwei Wirtschaftsexperten, zwei Meinungen: Christoph Blocher glaubt, ein Ja zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien schade der Wirtschaft. Gerold Bührer glaubt das Gegenteil. Wer hat recht?
Christoph Blocher: Ich bin überzeugt: Ein Nein bringt der Schweizer Wirtschaft mehr als ein Ja. Economiesuisse ist ja der Verband der Unternehmen. Und natürlich spricht sich ein Unternehmer dafür aus, unter so vielen Leuten wie möglich wählen zu können. So bekommt er billigere und bessere Leute. Die Arbeitslosigkeit ist nicht sein Problem.
Sie steigt wieder.
Blocher: Nicht zuletzt auch schon wegen der bestehenden Personenfreizügigkeit. Wir haben noch keine Erfahrungen: Wir haben die Personenfreizügigkeit erst seit 18 Monaten, in einer konjunkturellen Überhitzung – und nur für 15 Staaten.
Dieses Jahr aber erleben wir eine Rezession, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr hatten. Der Bundesrat wollte schon in der Hochkonjunktur entweder die Lohnabzüge oder die Mehrwertsteuer erhöhen, um schon die jetzige Arbeitslosenkasse zu sichern.
Und wegen der Personenfreizügigkeit ging die Arbeitslosigkeit in der verrückten Hochkonjunktur nicht so weit zurück wie in früheren Hochkonjunkturen.
Gerold Bührer: Ich bin einverstanden. Es gibt eine massive Abkühlung. Aber das ist ein konjunkturelles Problem. Dazu Folgendes: Erstens gingen die Löhne trotz Personenfreizügigkeit nicht zurück, sondern stiegen.
Zweitens zeigen Untersuchungen, dass wir dank der Flexibilität in einem knappen Markt zusätzliche Arbeitsplätze auch für Schweizer schaffen konnten. Drittens: Wir haben – im Gegensatz zur Einwanderung in den Sechziger- und Siebzigerjahren – heute eine Personenfreizügigkeit, in der gegen 50 Prozent der Arbeitskräfte eine Fachhochschule oder Hochschule besucht haben.
Das gibt in einer wertschöpfungsintensiven Volkswirtschaft einen Wachstumseffekt. Die Personenfreizügigkeit hat sich ausgezahlt.
Herr Blocher, Sie argumentieren, als ob Sie gegen die Personenfreizügigkeit insgesamt wären.
Blocher: Ich stimmte 1999 im Parlament gegen deren Einführung. Wir brauchen zwar Arbeitskräfte aus dem Ausland – und diese erhalten wir, auch ohne dass wir alle Ausländer den Schweizern gleichstellen. Wir erhalten sie aus Deutschland und Frankreich.
Wir müssen sie nicht im Osten suchen. Heute haben wir mit den bestehenden Staaten die Personenfreizügigkeit. Das soll man jetzt nicht leichtfertig infrage stellen. Sollte es ganz katastrophal werden, können wir sie innerhalb von sechs Monaten künden – mit allen Folgen.
Darum: Wir bekämpfen nur die Ausweitung auf Rumänien und Bulgarien. Hier müssen wir abwarten. Das Parlament schnürte ein Freizügigkeitspäckli – ein Schmuddelpäckli –, damit der Schweizer nicht zwei Antworten geben kann. Das ist unwürdig. Mit einem Nein können wir das Schmuddelpäckli wieder auspacken.
Bührer: Die Zusammenführung in einen Beschluss passt auch mir nicht. Doch wir haben diese jetzt und bei meiner Güterabwägung stelle ich die Landesinteressen vor diesen demokratiepolitischen Makel. Ich staune aber. Wir wussten schon beim Abschluss der Bilateralen, dass das Prinzip der Gleichbehandlung der EU-Länder gilt.
Wenn du schon so skeptisch gegen gewisse Länder warst, hättest du dich gar nie für die Bilateralen aussprechen dürfen. Weil du genau wusstest, dass die Personenfreizügigkeit ausgeweitet wird. Ich wundere mich auch über die Angstmacherei. Worüber reden wir? Über rund 1300 Personen, die das Kontingent für Rumänien/Bulgarien nach maximal zehn Jahren umfasst.
Herr Blocher, Sie waren Justizminister, prägten die Verhandlungen um Rumänien/Bulgarien mit.
Blocher: Nach Ablauf der Übergangsfrist können alle Rumänen und Bulgaren kommen, nicht nur 1302. Sie können davon ausgehen, dass ich dem Bundesrat beantragte, diese Verhandlungen jetzt nicht zu führen.
Sie wurden dazu gezwungen?
Blocher: Ich musste tun, was der Bundesrat beschlossen hatte. Und in den Verhandlungen versuchte ich bei den Fristen das durchzusetzen, was wir jetzt haben.
Zudem sah der Bundesrat eine bedeutende Sonderregelung für die in Rumänien lebenden 2,5 Millionen Fahrenden vor. Rumänien lehnte dies ab. Man suchte dann eine andere Lösung, aber ich konnte dann nicht weiterverhandeln, weil ich abgewählt wurde. Der Bundesrat unterschrieb danach im Januar ohne eine Lösung.
Bührer: Wir haben doch viel längere Übergangsfristen mit Kontingenten als die alten EU-Länder selbst ausgehandelt. Bezüglich der Fahrenden ändert sich mit der Personenfreizügigkeit de facto nichts.
Blocher: Warten Sie. Ich untersuchte das Problem der Fahrenden in Italien. Es ist fast nicht möglich, Fahrende zurückzuführen. Die Italiener suchen heute vertragswidrig Lösungen. Auch andere Länder suchen Lösungen: Dänemark, Holland, England.
Nur die Schweiz unterschreibt leichtfertig einen Vertrag. Und: Wir bekämpfen nur die Ausweitung auf Rumänien und Bulgarien. Damit wird kein bilateraler Vertrag infrage gestellt.
Bührer: Du kannst nicht bestreiten: Du bist generell gegen die Personenfreizügigkeit. Du verwedelst . . .
Blocher: . . . es geht jetzt nur um die Ausweitung auf Rumänien und Bulgarien . . .
Bührer: . . . nein, nein. Du schraubst einzelne Schwierigkeiten, die auch ich nicht bestreite, zu landesbedrohenden Problemen hoch. Wer von 1300 Personen bis 2019 Schwierigkeiten für Arbeitslosigkeit und Kriminalität ableitet, der macht Angstmacherei.
Blocher: Wir öffnen schliesslich ganz . . .
Bührer: Aber wenn das Schreckensszenario eintreten würde, könnten wir immer noch Verhandlung anbegehren oder letztlich kündigen. Wir sind eine hoch entwickelte Volkswirtschaft. Wir haben die Gutqualifizierten geholt, welche die Wertschöpfung in der Volkswirtschaft positiv beförderten. Das war im Landesinteresse . . .
Blocher: . . . in der Höchstkonjunktur . . .
Bührer: Wie gesagt, wir könnten als Ultima Ratio die Verträge kündigen. Und das Entscheidende: Wenn wir jetzt Nein sagen, greift rechtlich betrachtet die Guillotine-Klausel. Ich staune, dass man die Sachen derart auf den Kopf stellen kann.
Juristisch ist klar: Die Verträge können gekündigt werden. Natürlich würde der Bundesrat versuchen, im Landesinteresse zu verhandeln und die Kündigung hinauszuschieben. Wer aber glaubt, wir hätten im gegenwärtigen Umfeld bei der EU Chancen, bessere Bilaterale abzuschliessen, behauptet Dinge, an die er selbst nicht glaubt.
Blocher: Reden wir über die Guillotine-Klausel, die es nicht gibt, gemeint ist Artikel 25.
Bührer: Bei einem Nein haben wir, losgelöst von den rein rechtlichen Konsequenzen, die Unsicherheit, wie es mit den Bilateralen I weitergeht. Entweder tritt nach sechs Monaten die Guillotine-Klausel in Kraft.
Juristisch ist das klar. Oder es folgt ein langes Prozedere, in dem man versucht, die Fristen hinauszuzögern. Aber in dieser Zeit leidet die Schweiz, weil wir in einer Bittstellerposition wären.
Kommt die Guillotine?
Blocher: Juristisch ist es klar: Es gibt keine automatische Guillotine-Klausel. Ich lese wörtlich den Artikel 25: «Dieses Abkommen wird für eine anfängliche Dauer von sieben Jahren – das ist Ende Mai – geschlossen.
Es verlängert sich für unbestimmte Zeit, sofern die Gemeinschaft oder die Schweiz der andern Vertragspartei vor Ablauf der anfänglichen Geltungsdauer nichts Gegenteiliges notifiziert.»
Nur wenn der Bundesrat oder die EU die Verträge kündigen – also notifizieren –, fallen die anderen Verträge dahin. Das steht hier wörtlich: «Im Falle einer solchen Notifikation findet Absatz 4 Anwendung.» Das heisst: Man verhandelt.
Bührer: Da staune ich schlicht. Der Vertragstext ist klar.
Blocher: Ich habe ihn jetzt vorgelesen. Entschuldigung.
Bührer: Nein. Es ist ganz klar. Das steht auch in den Protokollen der Kommission, in welcher ich selber war.
Blocher: Lies mir das Gegenteil vor.
Bührer: Absatz 4 des Artikels 25: «Die in Absatz 1 aufgeführten sieben Abkommen treten sechs Monate nach Erhalt der Notifikation . . .»
Blocher: . . . aha. Nach der Notifikation.
Bührer: Ja, worum ging es denn! Wir mussten eine siebenjährige Übergangszeit durchsetzen. Weil wir überzeugt waren, dass wir die Verträge beim Volk eher durchbringen, wenn es nach sieben Jahren in Kenntnis der Erfahrungen mit einem fakultativen Referendum nochmals entscheiden kann.
Die EU akzeptierte das, beharrte aber darauf, dass bei einem Nein alle sechs übrigen Verträge ebenfalls dahinfallen würden. Ich staune, wie du das Gegenteil behaupten kannst. Das ist in derart vielen Dokumenten festgehalten.
Blocher: Du hast an der Pressekonferenz gesagt: Ein Vertrag ist ein Vertrag. Das aber ist der Vertrag: Nur wenn der Bundesrat nach Brüssel reist und die Verträge kündigt, tritt die Guillotine in Kraft. Eine solche Dummheit wird die Regierung auch nicht machen. Sie hat auch keinen Auftrag des Volkes dazu.
Aber es besteht die Gefahr, dass die EU die Verträge kündet.
Blocher: Die EU hat doch kein Interesse daran. Die Verträge sind zu 90 Prozent in ihrem Interesse. Nehmen Sie den Hauptvertrag, den Verkehrsvertrag: Da müsste Österreich zustimmen, Italien auf der Südseite, Deutschland, Holland, Frankreich. Es ist unmöglich, dass diese Länder ein Interesse haben, die Verträge zu kündigen.
Als Bürger ist man irritiert: Was stimmt denn jetzt?
Bührer: Es gibt das Juristische und das Politische. Juristisch ist klar, dass die bilateralen Verträge bei einem Volks-Nein nach sechs Monaten dahinfallen würden. Aber entscheidender ist das Politische: Die EU würde die Situation ausnützen und im Steuerstreit, beim Bankgeheimnis und so weiter Druck gegen uns zu machen.
Blocher: Ach was! Du machst den Leuten Angst! Das war schon bei der EWR-Abstimmung 1992 so. Ihr habt gedroht, die Schweiz werde isoliert. Nichts ist passiert!
Bührer: Ich bin nur realistisch für den Fall eines Nein. Die Schweiz würde zur Bittstellerin: Wir müssten die EU bitten, die Frist hinauszuschieben, bis zu einer möglichen zweiten Volksabstimmung – das würde die EU wahrscheinlich auch zugestehen. Aber bei weiteren Verhandlungen wichtiger Dossiers wären wir am kürzeren Hebel.
Blocher: Lies doch endlich mal den Vertragstext! Es gibt keine automatische Kündigung. Nein, die Verwaltung und die Wirtschaftsverbände lullen das Volk ein, bis es diesen Blödsinn glaubt.
Weil sie in Bern gemerkt haben, dass sich diese Unwahrheit nicht halten lässt, heisst es jetzt im EDA, der Bundesrat werde die Abkommen bei einem Nein von sich aus kündigen. So dumm kann doch der Bundesrat nicht sein.
Was geschähe dann bei einem Nein?
Blocher: Der Bundesrat müsste das Päckchen auspacken und in die beiden ursprünglichen Teile zerlegen. Gegen die erste Vorlage, die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit, würde das Referendum nicht ergriffen. Und wenn doch, dann würde das Referendum an der Urne abgelehnt. Ich jedenfalls würde dagegen kämpfen.
Bührer: Du änderst in dieser Frage immer wieder einmal deine Meinung. Am Anfang hast du die Personenfreizügigkeit grundsätzlich infrage gestellt, jetzt sagst du, du wärst gegen ein neues Referendum, und vor einigen Jahren hast du mal zur Personenfreizügigkeit gesagt: «Wir sollten es wagen.» Da komme ich nicht mehr mit . . .
Blocher: Nur keine Wischiwaschi-Unterschiebung – schon gar nicht von FDP-Seite.
Bührer: Hier bist du auf der Wischiwaschi-Seite!
Blocher: Bei der Einführung sage ich Nein: Ich hätte damals eine Personenfreizügigkeit befürwortet, aber ohne diese Sozialwerk-Verpflichtungen. Aber jetzt haben wir die Freizügigkeit nun mal. Sie ist unterzeichnet, darum bin ich gegen eine Kündigung des bisherigen Abkommens.
Aber es ist unrealistisch, dass die EU nur die Freizügigkeit mit den alten EU-Ländern zulässt, ohne die neuen.
Blocher: Damit droht sie jetzt – viele EU-Länder streben gegen Rumänien und Bulgarien Sonderregelungen an.
Bührer: Doch, es ist so, die EU würde diese Ungleichbehandlung nicht mitmachen, genauso wenig wie wir eine Ungleichbehandlung der Kantone zulassen würden. Alles andere ist Augenwischerei.
Blocher: Bei den früheren Abstimmungen betreffend Personenfreizügigkeit versprach der Bundesrat in den Abstimmungsbüchlein, man könne bei jedem neuen EU-Land frei bestimmen, ob wir auch mit diesen Ländern die Personenfreizügigkeit wollten.
Bundesrat Deiss versprach: «Es gibt keinen Automatismus.» Die alten Verträge würden dann weiterlaufen. Die Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien kann man neu verhandeln und die schlimmsten «Tolggen» herausnehmen.
Bührer: Ich könnte das ja nachvollziehen, wenn diese «Tolggen» gross wären.
Die halbe SVP-Fraktion ist für ein Ja.
Blocher: Es ist ein Drittel, aber das ist normal. Die Basis trägt die Probleme, die Elite oben passt sich dem Trend an. Die SVP-Delegiertenversammlung sagte mit 9:1 klar Nein.
Bührer: Es ist nicht nur die Elite dafür. Wir haben eine Umfrage unter den Unternehmen – und zwar grossen – und KMU gemacht. Resultat: 97 Prozent sagten, die Personenfreizügigkeit, auch die Ausdehnung, sei wichtig.
Blocher: Für die Einzelinteressen der Unternehmen – mitten in der Hochkonjunktur – ist die Antwort klar. Jetzt kommt eine schwere Rezession und die Ausländer belasten unsere Sozialwerke. Wer aus der EU einwandert, bekommt bei uns Arbeitslosengeld für fast zwei Jahre – und zwar mehr als 80 Prozent des Lohnes.
In Polen zum Beispiel gibt es nur 54 Prozent, in Rumänien und Bulgarien ist es noch weniger. Wenn Ausländer auch nur einen einzigen Tag in der Schweiz gearbeitet haben und 364 Tage in den letzten 2 Jahren in der EU, sind wir zu vollen Sozialleistungen verpflichtet.
Bührer: Was du alles in die Welt setzt! Wir haben Übergangsfristen: zehn Jahre! Und in dieser Periode muss jemand zunächst ein Jahr bei uns gearbeitet haben, und Selbstständigerwerbende sind nicht berechtigt, Sozialleistungen zu beziehen. Und wenn in zehn Jahren alles ganz schlimm sein sollte, können wir ja kündigen.
Blocher: Für 15 Staaten ist die Frist abgelaufen. Die Rückreise wird nicht erfolgen. Dazu müsste man ja die Sozialwerke verschlechtern. Das träfe dann aber auch die Schweizer. Das will doch niemand! Es ist ein Grössenwahn, wenn ein so kleines Land sagt, es können alle zu uns kommen und alle werden den Einheimischen gleichgestellt. Das vermag auch die Schweizer Wirtschaft nicht zu tragen.
Stimmt es, dass es in der Schweiz einen Sozialabbau gäbe?
Bührer: Nein. Schliesslich entscheiden darüber die Stimmberechtigten. Die Masseneinwanderung wird nicht stattfinden, so wie sie heute auch in der EU nicht stattfindet, obwohl es bei Löhnen und Sozialleistungen massive Unterschiede gibt. Wir profitieren von den EU-Einwanderern: Heute zahlen sie 19 Prozent der Beiträge für die Sozialversicherungen, sie beziehen aber nur 15 Prozent. Sie zahlen mehr, als sie
kosten.
Blocher: Ich staune, dass es hohe 15 Prozent sind. Die grosse Masse der hier lebenden EU-Ausländer kam in der Hochkonjunktur. Leute, die einen Job haben, jetzt noch keine AHV beziehen. Hoffentlich kosten die im Moment weniger, als sie einzahlen!
Wie kommt die Abstimmung heraus – was tippen Sie?
Blocher: Für uns ist es schwierig. Alle Medien sind für ein Ja, und die Befürworter haben Chlotz zum Heuen, Economiesuisse macht seit einem Jahr Reklame.
Bührer: Ihr habt auch viel Geld. Wir messen eure Inseratefläche aus, es sind mehrere Millionen.
Blocher: Wir haben ja erst jetzt mit der Kampagne angefangen. Je nach Geldeingang machen wir jede Woche etwas. Es wäre schön, wenn es mehrere Millionen gäbe.
Geben Sie selber Geld, Herr Blocher?
Blocher: Fragen Sie doch Herrn Bührer!
Bührer: Ja, ich zahle persönlich Geld ein. Wie viel, sage ich nicht, ich habe kein so grosses Vermögen wie Herr Blocher. Economiesuisse investiert mehrere Millionen Franken, aber es ist ein einstelliger Betrag.
Blocher: Wers glaubt . . .
Wer gewinnt?
Blocher: Beim EWR habe ich auch nicht an ein Nein geglaubt, trotzdem gab es eins. Es geht diesmal jedoch nicht nur ums Gewinnen: Wenn man keine eigene Meinung mehr haben darf zu Rumänien und Bulgarien, was kommt dann? Türkei? Serbien? Kosovo? Das hat man denen alles versprochen. Und uns Schweizern sagt man, ihr dürft dazu nicht Nein sagen, sonst gibt es eine Katastrophe. Wir müssen jetzt die Handbremse ziehen.
Bührer: Diese Handbremse ist ja zu Recht da, das fakultative Referendum ist gewährleistet, bei jedem neuen EU-Land. Zur Abstimmungsprognose: Wir haben bis jetzt alle Bilateralismus-Vorlagen gewonnen, aber jetzt haben wir erstmals eine Abstimmung in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Die Emotionalisierung der Gegner in einem solchen Umfeld muss ernst genommen werden. Die Chancen sind intakt, aber wir müssen am Ball bleiben.