Testi

Personale

30.09.2003

Letztlich traut er nur einem – sich selbst

Artikel im "Tagesanzeiger" vom 30. Septemberl 2003 Christoph Blocher bestreitet seinen siebten nationalen Wahlkampf. Warum der SVP-Tribun kaum noch zu schlagen ist. Und was ihn diesmal antreibt. Von Matthias Baer Er könnte zufrieden sein. Doch Christoph Blocher wirkt skeptisch, fast misstrauisch, wie er an diesem Septembervormittag an einem überdimensionierten Konferenztisch sitzt - in seiner Villa ob Herrliberg, aus der er auch die Ems-Chemie dirigiert. "Es kann alles wieder ändern, der Erfolg ist nie sicher." Auf die Freisinnigen, die ihm immer braver hinterhertrotten, baut er nicht. Vielleicht, argwöhnt er, haben diese "ihren Kurs bloss aus Opportunismus korrigiert". Auch seiner eigenen Partei traut er nicht hundertprozentig. "Nehmen wir einmal an, wir verlören im Herbst die Wahlen. Dann würden viele Parteikollegen sagen, der Blocher-Kurs sei gescheitert, und sie würden zu wackeln beginnen." Schon jetzt sorgt er sich über die vielen Mitläufer, die er "sehr genau" beobachten will. "Wären wir nicht erfolgreich, wären die nicht bei uns." Es tönt fast drohend. Gewiss, ein Paranoiker ist er nicht, der bald 63-Jährige, der als Alterspräsident die nächste Parlamentslegislatur eröffnen wird. Er registriert genau, wie perfekt es in diesem Wahlkampf für seine Partei läuft. So selbstbewusst sind die Volksparteiler inzwischen, dass sie - trotz einiger Ausreisser unter die Gürtellinie - weniger aggressiv werben als früher. In ihrer aktuellen Broschüre lassen sich die Zürcher Kandidaten wie Staatsmänner porträtieren. "Der Regierende hat einen anderen Stil als der Oppositionelle", sagt Blocher, "wir zeigen, dass wir uns auch in Bundesbern stärker an der Macht beteiligen können." Der vom Volk Erwählte Doch trotz - oder vielleicht gerade wegen - dieses Rückenwindes traut Blocher nur sich selbst. Und seinem Rückhalt in der Bevölkerung. Hier, bei den "kleinen Leuten, die mich gerne haben", schöpft er seine Kraft. "Das Volk ist seine Drohmacht", sagt der Politologe Hans Hirter, "damit schüchtert er seine Gegner ein." Blocher selbst reiht sich unbescheiden in die Aussenseiter der Schweizer Geschichte ein. Er verweist auf General Guisan, der die Nationalsozialisten weit entschiedener bekämpfte, als dies der schwankende Bundesrat tat. "In Notsituationen nahmen in diesem Land immer Leute aus dem Volk das Heft in die Hand", sagt er: "Die Bürger suchen sich Leute aus, denen sie vertrauen." An SVP-Veranstaltungen wird der protestantische Pfarrerssohn denn auch wie ein Erlöser gefeiert. Zum Beispiel bei einem "Puurezmorge" kürzlich in Zürich-Oerlikon. Nach seinem Referat umringen ihn Fans, die sich auf SVP-Prospekte Autogramme kritzeln lassen - darunter auffallend viele Frauen. "Sie müend z Bern usemischte" und "Nume Sie chönd d SVP im Bundesrat verträte", beschwören sie ihn. "Ich weiss", sagt Blocher, "dass ich gewisse Anhänger zu fast allem anstiften könnte. Es ist meine Verantwortung, dies nicht zu tun." Gleich zweimal erwähnt er am "Puurezmorge", dass es in der Schweiz für "wahre Flüchtlinge" Platz haben müsse. Eine Leerformel, gewiss, aber eine, die ihm keinen Applaus einträgt. Als Gegenmacht im Lande versteht sich Blocher durchaus. Nicht umsonst thront seine Villa, mit ihren Terrassen und Kandelabern, wie ein zweites Bundeshaus über dem Zürichsee. Er erzählt von amerikanischen Politologen, die ihn kürzlich besucht haben. "Sie wunderten sich, dass ich weder Präsident noch Minister sei. Denn überall, wo sie hinkämen, sprächen alle nur von diesem Blocher." Er lacht sein spitzbübischstes Lachen. "Die Schweiz ist im Grunde genommen eine Art Anarchie. Die Regierenden sind nicht unbedingt die Einflussreichsten." Eine Ausgangslage, die der Milliardär perfekt zu nutzen weiss. Trotzdem ist Blocher nicht der Anführer einer unterdrückten Mehrheit, wie er sich selbst gerne sieht. Mit dem Nein zum EWR-Beitritt gewann er 1992 zwar eine der wichtigsten Abstimmungen der letzten Jahrzehnte. Doch seit Mitte der Neunzigerjahre verlor er beinahe alle Urnengänge, bei denen die SVP alleine gegen die übrigen Bundesratsparteien antrat - zentral jene über den Uno-Beitritt. Der Basler Historiker Georg Kreis kritisiert: "Wenn Blocher den Volkswillen generell für sich in Anspruch nimmt, geht er mit den Abstimmungsergebnissen manipulativ um." Traum von einer rechten Mehrheit Solche Grenzen seiner Macht ärgern Blocher. Der amtsälteste Nationalrat verliert nur ungern, auch im Bundeshaus. "Wie die meisten Rechtsaussen-Politiker verachtet er das Parlament", vermutet FDP-Nationalrat Franz Steinegger. Und bestimmt widerstrebt ihm ein zentraler Wesenszug der schweizerischen Demokratie: die Politik des Interessensausgleichs und Konsenses. Von einem allfälligen zweiten SVP-Bundesrat fordert er einen harten Rechtskurs: "Er muss damit rechnen, wieder abgewählt zu werden. Ansonsten hat er seine Arbeit nicht richtig gemacht." Ein neues Regierungsmitglied müsste von der Partei "sehr eng" begleitet werden. Das Vorbild ist pikanterweise Ruth Dreifuss, die als Innenministerin fast nur SP-Leute um sich scharte. Was Blocher anstrebt, ist eine rechte Regierungsmehrheit - nicht alleine, das wäre unrealistisch, aber gemeinsam mit einem gleichgeschalteten freisinnigen Juniorpartner. Ob als Minderheit weiterhin zwei Genossen geduldet würden, ist dem Herrliberger egal. "Konkordanz- und Koalitionsregierungen haben Vor- und Nachteile, ich stehe fifty-fifty dazwischen." Entscheidend sind die Mehrheitsverhältnisse. Solange ihm diese aber nicht passen, zieht er sich lieber auf seine Rolle als Volkstribun zurück. "Ich dränge schon deswegen nicht in den Bundesrat", sagt der gescheiterte Anwärter von 1999, "weil ich ausserhalb viel mehr Einfluss habe." Dort, im ausserparlamentarischen Raum, übernimmt er heute eine Funktion, die bis in die Neunzigerjahre hinein die Linke monopolisierte: die radikale Kritik an der Staatsmacht. Blocher zerrt ans Licht, was die Regierung lieber zudecken würde. Und er benützt - ganz im Sinne linker Systemkritik - Einzelprobleme, um die angebliche Morschheit des Ganzen zu beweisen. Etwa wenn er mit dem Zuwachs bei der Invalidenversicherung Stimmung gegen den Wohlfahrtsstaat macht. So sind es heute nicht mehr politisch engagierte Schriftsteller, die Pamphlete gegen die real existierende Schweiz verfassen, sondern der Politiker Blocher polemisiert. Einmal jährlich im Albisgüetli liest er dem Land die Leviten - in einer Rede, für die er jeweils an die zwanzig Entwürfe schreibt. Es könnte durchaus von Blocher stammen, was Peter Bichsel 1969 über die mangelnde eidgenössische Debattenkultur schrieb: "Die Opposition wird nicht einer Irrlehre oder eines Irrtums bezichtigt, sondern der Unanständigkeit. Mit dem Satz: ‹Das gehört sich nicht› richtet man gegen sie mehr aus als mit Argumenten." Geisselte Bichsel einst die Ausgrenzung der Linken, wettert Blocher heute gegen den Moralismus der Anti-SVP-Front. Natürlich wird dieses Land nicht von "Sozialisten" regiert, wie Blocher suggeriert - das zeigen schon die sozialpolitischen Rückschritte der ablaufenden Legislatur. Unbestreitbar aber ist, dass die Medien linksliberale Positionen freundlicher kommentieren als jene der SVP. Und ebenso stimmt, dass die Presse pfleglich mit dem Bundesrat umgeht - nicht, weil die Journalisten die Regierung über alles schätzten, sondern, weil sie nicht der SVP nützen wollen. Demokratiepolitisch dürfte dies die gravierendste Folge des EWR-Showdowns sein. Die damaligen Verlierer, Bundesrat und Medien, halten seither gegen den damaligen Sieger zusammen. "Wir überlassen Blocher das Monopol, heikle Seiten des multikulturellen Wohlfahrtsstaates aufzuzeigen", ärgert sich Franz Steinegger. Diese Funktion verleiht Blocher hohe Glaubwürdigkeit, obwohl er selten solide Gegenkonzepte liefert und bei seinen Kampagnen bisweilen grobe Schnitzer macht. Weil dies aber zur Opposition gehört - da waren auch die Marxisten der Siebzigerjahre keine Ausnahme -, schadet es Blocher nicht. Vielleicht ist gerade dies das Bemerkenswerteste an der Karriere des SVP-Politikers, dass ihm heute kaum noch etwas gefährlich werden kann. Nicht nur die finanziellen Mittel nützen ihm. Unschlagbare Vorteile Die Geschlossenheit: In den letzten zwanzig Jahren hat Blocher erst die Zürcher, dann die eidgenössische Partei angetrieben, ihre Programmatik auszudiskutieren. "Das provozierte Streit, dafür haben wir heute eine klare Position." Nämlich: Weniger EU, weniger Ausländer und weniger Staat. Flügelkämpfe liefert sich die SVP einzig in der Agrarpolitik. "Hier brauchen wir eine Klärung", sagt Blocher. Der Pragmatismus: So sperrig sich der Herrliberger in seinen Kernforderungen gibt, so flexibel agiert er in vielen anderen Fragen. Damit vermindert er Angriffsflächen, etwa beim Service public. Der Staat, so Blocher, müsse die Grundversorgung zwar nicht selbst erbringen, aber garantieren. Es würde ihn auch nicht stören, wenn sich seine Basis für die linke Post-Initiative ausspräche, die in jedem Dorf eine Poststelle erhalten will. "Die absolut ideologische Position - alles privatisieren - teile ich überhaupt nicht." Weniger stur als viele seiner Parteikollegen sei Blocher auch in der Ausländer- und Asylpolitik, urteilt SP-Nationalrat Rudolf Strahm. "In seinem Innersten ist er kein Xenophob. Das Schüren der Ausländerfeindlichkeit dient ihm zur Machtvermehrung." Das Handwerk: Blocher beherrscht das politische Metier wie wenige andere. Er spürt brisante Themen auf, weiss sie rechtskonservativ zu analysieren und mit einem Paukenschlag zu lancieren. Im politischen Schlagabtausch blüht er auf, wobei er weit lieber gegen Franco Cavalli oder Jean Ziegler antritt als gegen einen konturlosen Mittepolitiker. Bei all diesen Einsätzen kann er von seiner Erfahrung zehren. "Mit dem Alter wird man zwar körperlich schwächer, dafür macht man alles viel schneller." Auch wenn SVP-Präsident Ueli Maurer sagt, Blocher sei für die Partei "heute nicht mehr so wichtig wie früher", ist er doch das alle überragende Animal politique. Freund und Feind wird er auch noch eine Weile erhalten bleiben. "Im Nationalrat höre ich 2027 auf. Dann bin ich genauso alt wie Adenauer, als er ging." Er meint es nicht nur im Spass. Der Patron: Anders als vielen freisinnigen Managern schadeten die Wirtschaftsskandale der vergangenen Monate Blochers Ansehen kaum. Zwar entlässt auch er Angestellte und streicht gleichzeitig Gewinne ein, doch gelingt es den Gewerkschaften nicht, dies zu skandalisieren. Er wirkt wie ein Patron, nicht wie ein kaltblütiger Unternehmer. Nicht einmal die Geschäfte mit dem gescheiterten Financier Martin Ebner belasten ihn. Erstens habe er die Beziehungen zu Ebner nie bestritten, ein Fehler, den Politiker häufig begingen. Zweitens sei Ebner bei den Kleinanlegern gar nicht so verpönt: "Er wird eher als tragischer Held gesehen." Der Dorfkönig: Sein Reichtum wird Blocher kaum je vorgehalten, diesem "Dorfkönig von helvetischem Format" (Georg Kreis). Ohne mit der Wimper zu zucken, bezahlt er in seiner Herrliberger Stammbeiz mit einer 1000er-Note. FDP-Ständerat Hans-Rudolf Merz sagt: "Wenn ich mich so wie er in einem Mercedes herumchauffieren lassen würde, wäre ich politisch erledigt." Blocher, der es vom Bauernlehrling zum Milliardär geschafft hat, lässt man es durchgehen - vielleicht, weil er sich immer noch wie ein Bauer gebärdet. Der Privatmann: Von Blocher sind keine Skandälchen zu berichten. Anders als rechtspopulistische Führer wie Le Pen oder Haider scheint er eine geerdete Persönlichkeit zu sein. Wenn er will, versprüht er Charme und Witz. Nicht einmal sein traditionelles Frauenbild kommt ihm im persönlichen Umgang in die Quere. "Auf dieser Ebene fühlte ich mich immer respektiert", sagt die ehemalige SVP-Generalsekretärin Myrtha Welti, die vor drei Jahren aus der Partei ausgetreten ist. Warum bloss diese Skepsis? So läuft für den SVP-Politiker alles bestens. "Der Wind im Land weht immer stärker von rechts, was auf Kosten der Solidarität geht", bestätigt Georg Kreis. Warum denn diese Skepsis in Blochers Gesicht? Im Rat oder im Fernsehen tritt er gelegentlich fahrig auf - als sei er es überdrüssig, stets das Gleiche zu sagen. "In den Sitzungen der Wirtschaftskommission", erzählt ein Nationalrat, "schwatzt es manchmal nur noch mit ihm, ziemlich autoritär." Plagt ihn die Erfolglosigkeit an den Urnen, wo er nur noch Beinahe-Mehrheiten schafft? "Für die parteiinterne Motivation", sagt der Winterthurer SVP-Nationalrat Jürg Stahl, "brauchen wir wieder einmal einen Abstimmungssieg." Oder realisiert er, dass der Aufstieg seiner SVP die bürgerlichen Koalitionspartner schwächte, während die SP stetig zulegte? Er überlege sich oft, sagt Blocher, ob er mit einem konzilianteren Stil mehr erreicht hätte. "Seit der EWR-Abstimmung kam zwar die Partei voran, nicht aber die Schweiz. Der Bundesrat hielt am EU-Beitritt fest, wir kämpften dagegen an - dies hat das Land in vielen innenpolitischen Fragen blockiert." Selbstverständlich gelangt er sogleich zur Einsicht, er habe richtig gehandelt, anders wäre es nicht gegangen. Trotzdem erstaunt dieses Fragende an einem, der sonst auf alles eine rechte Antwort hat. Nichts scheint ihm gesichert, auch nicht die Zukunft seiner SVP, wenn er dereinst abtritt. "Ich habe nie behauptet, diese Partei existiere ewig. Vielleicht kommen später andere Leute in anderen Parteien, oder es gibt eine neue Partei, die meine Anliegen vertritt." Blochers Redetricks Zürich. - "Eigentlich macht Blocher beim Reden alles falsch", sagt SVP-Chef Ueli Maurer, "er verhaspelt sich, nestelt an seinem Veston herum." Blocher selbst hat jedes Mal Lampenfieber: "Wenn ich nach vorne gehe, tragen mich manchmal meine eigenen Beine kaum." Wenn er aber zu reden beginnt, fesselt er seine Klientel. "Das Wichtigste", sagt Blocher, "ist nicht der Mund, sondern sind die Augen. Ich schaue die Leute an und merke sofort, ob meine Worte ankommen oder langweilen." Blocher liest selten ab, sondern hat bloss einen Zettel mit dem Titel der Veranstaltung vor sich. Zudem benützt er eine einfache, bildhafte Sprache, was er jahrelang vor seinen vier Kindern eingeübt hat. "Als sie noch klein waren, trug ich ihnen meine Reden vor, und sie mussten aufstrecken, wenn sie etwas nicht begriffen hatten." Dies sei meist dann der Fall gewesen, wenn er eine Sache nicht präzis genug durchdacht hatte. "Nur wer etwas im Kern begriffen hat, kann es einfach darstellen." Ein brillanter Redner sei er nicht, sagt Blocher selber, doch beschäftige er sich ständig mit der Materie. Dass eine einfache Sprache Differenzierungen erschwert, streitet er nicht ab. "Als Parteipolitiker darf ich parteiisch sein: Ich bin ja kein Richter, sondern ein Fürsprecher. Wenn ich zum Entscheid gelangt bin, dass 60 Prozent für eine Position sprechen, vertrete ich sie - zu 100 Prozent." (bae)

29.09.2003

Die Regierungen in der Schweiz sind konstant, aber sie sind nicht stark

Streitgespräch zwischen Christoph Blocher (SVP) und Franz Steinegger (FDP) in der "Aargauer Zeitung" vom 29. September 2003 Einst Juniorpartnerin der bürgerlichen Parteien, ist die SVP zur wichtigsten Kraft im bürgerlichen Lager geworden. Nach den Wahlen vom 19. Oktober dürfte sich die SVP auch in der Westschweiz etabliert haben. Wandelt sich die SVP von der Oppositions- zur Regierungspartei? Ein Gespräch zwischen Christoph Blocher (SVP) und Franz Steinegger (FDP). MARKUS GISLER, SYBILLE OETLIKER, BERNARD WüTHRICH Herr Steinegger, viele langjährige Parlamentsmitglieder sähen es gerne, wenn Sie Nachfolger von Bundesrat Villiger würden. Und Sie, Herr Blocher, sind doch eigentlich der beste Bundesratskandidat der SVP, wenn die Partei einen zweiten Regierungssitz will. Sie könnten also beide ab Januar Kollegen in der neu gewählten Regierung sein. Franz Steinegger: Ich habe keine Berührungsängste zu Herrn Blocher. Er ist einer meiner liebsten politischen Gegner. Mit ihm ist es interessant, sich zu streiten. Er hat klare Positionen, mit denen man sich auseinander setzen kann. Sind Sie Kandidat für den Bundesrat, Herr Blocher? Christoph Blocher: Nein. 1999 stellten Sie die Wiederwahl von Ruth Dreifuss mit Ihrer Kandidatur in frage. Blocher: Die Ausgangslage war derart aussichtslos, dass ich es mir leisten konnte, zu kandidieren. Ansonsten halte ich an meiner Aussage fest: Sollte mich das Parlament in den Bundesrat wählen, würde ich die Wahl annehmen. Sie, Herr Steinegger, bleiben dabei, dass Sie sich erst nach den Wahlen entscheiden, ob Sie für die Nachfolge von Kaspar Villiger zur Verfügung stehen? Steinegger: Ja. Die SVP, Herr Blocher, stellt immer wieder die beiden SP-Sitze im Bundesrat in frage. Wäre Ihnen eine rein bürgerliche Regierung lieber? Blocher: Die SVP steht für die Konkordanz ein. Das heisst, für eine Regierungsformel, in der die drei grössten Parteien zwei Sitze haben und die kleinste einen. Solange wir noch die kleinste Partei waren, haben wir diese Regel auch anerkannt. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, vor 1999 einen zweiten Sitz in der Regierung zu fordern. Nach unserem Wahlerfolg vor vier Jahren mussten wir aber unseren Anspruch auf einen zweiten Sitz im Bundesrat anmelden. Die anderen Parteien haben dies abgelehnt. Sie wollten der kleinsten Partei zwei Sitze geben. Also galt die politische Wahl, das heisst für die SVP gegen die SP anzutreten. Sie ist unsere politische Gegenspielerin. Die anderen Parteien haben Sie in die Opposition getrieben? Blocher: Natürlich. Steinegger: Ausschlaggebend für den Anspruch auf einen Sitz im Bundesrat ist die Frage der Repräsentanz und nicht der Wähleranteil im Nationalrat. Es kommt auf die Stärke einer Partei in der Bundesversammlung an. In dieser Gesamtbetrachtung aber fällt die SVP nicht wesentlich stärker ins Gewicht als die CVP. Und deshalb hat es sich bislang nicht aufgedrängt, der SVP einen zweiten Sitz zu gewähren. Kommt dazu, dass die SVP bislang in der Westschweiz kaum Fuss fassen konnte. Das wird nach den Wahlen anders sein? Steinegger: Ich bin nicht Prophet und weiss nicht, wie das Wahlergebnis vom Oktober aussehen wird. Im Dezember könnte sich aber eine interessante Konstellation ergeben. Gegen einen zweiten SVP-Sitz bereits dieses Jahr spricht allerdings die Erfahrung, dass das Parlament in der Schweiz nicht gerne bestehende Regierungsmitglieder abwählt. Grundsätzlich sollte aber die Stärke in der Bundesversammlung massgebend sein. Die SVP hat als Oppositionspartei ihre grössten Erfolge verbucht. Was würde ein zweiter Sitz im Bundesrat für Sie bedeuten, Herr Blocher? Blocher: Nochmals, die SVP hat die Oppositionsrolle nicht gesucht. Sie wurde ihr von den anderen Parteien aufgezwungen. Bei der letzten Wahl eines SVP-Bundesrates hat nicht einmal der von uns favorisierte Kandidat gewonnen. Stattdessen wählte das Parlament mit Samuel Schmid jemanden, der in zentralen Fragen - Asyl, Verwendung des Nationalbankgoldes, Auslandeinsätze der Armee - eine andere Position vertritt als die Partei. Hätten wir einen zweiten Sitz in der Regierung und Mitglieder, die voll und ganz unser Gedankengut einbringen, käme es im Bundesrat wahrscheinlich öfter zu Kompromissen, welche die SVP mittragen könnte. Steinegger: Es stimmt nicht ganz, dass die SVP erst seit 1999 in der Opposition ist. Diese Rolle nimmt Ihre Partei schon länger wahr, Herr Blocher. Nämlich seit Beginn der 90er-Jahre. Entzündet hat sich der Konflikt vor allem an der Europa-Frage. Ich halte es für äusserst problematisch, im Bundesrat zu sein und gleichzeitig Fundamental-Opposition zu machen. Ich muss allerdings der SVP eines zugute halten: Nach der Ablehnung des EWR haben die Unterlegenen, allen voran der Bundesrat, die "Sieger" nicht korrekt behandelt. Üblicherweise setzt sich die Regierung nach Ablehnung einer Vorlage an einen Tisch mit den Gewinnern, um zu diskutieren, was weiter geschehen soll. Das wurde 1992 nicht gemacht. Im Gegenteil. Der Bundesrat hat sein EU-Beitrittsziel weiterverfolgt und die bilateralen Verhandlungen aufgenommen. Das hatte dann zur Folge, dass die SVP auf Oppositionskurs fahren konnte. Was hätte denn der Bundesrat anders machen sollen? Steinegger: Man hätte den EU-Beitritt wirklich in den Hintergrund stellen müssen und die Gegner des EWR bei den Verhandlungen zu den Bilateralen zwingen müssen, Farbe zu bekennen. Es gab nie ein echtes Gespräch zwischen Bundesrat und Siegern der EWR-Abstimmung. Blocher: Es ging beim EWR um eine ganz wesentliche Weichenstellung für die Schweiz. Der Bundesrat interpretierte ja den EWR auch nicht als irgendein Freihandelsabkommen. Adolf Ogi sprach damals vom "Trainingslager" für einen späteren EU-Beitritt, Nationalrätin Vreni Spoerri von einer "Verlobung" mit der EU. So wurde die EWR- de facto zur EU-Abstimmung. Kam noch dazu, dass der Bundesrat kurz vor der Abstimmung noch das Beitrittsgesuch in Brüssel deponiert hat. Ein fataler politischer Fehler? Steinegger: Ja. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, Herr Blocher, dass Sie im Frühjahr 1992 noch gar nicht so sicher waren, ob Sie den EWR-Beitritt wirklich ablehnen wollten. Sie waren damals erst dezidiert gegen einen EU-Beitrittt der Schweiz. Erst als der Bundesrat am 18. Mai 1992 das EU-Beitrittsgesuch einreichte, wurden Sie zum klaren EWR-Gegner. Blocher: Ich gebe ohne weiteres zu, dass ich an jenem Abend mit Otto Fischer zusammen eine gute Flasche Wein getrunken habe. Ich muss aber auch sagen: Dieser Entscheid des Bundesrates war wenigstens konsequent. Zum EWR: Leider haben der Bundesrat und eine Mehrheit des Parlamentes innerlich das Volksnein zum EWR nie akzeptiert. Man sprach von einem schwarzen Tag, einem Fehler und schlimmer noch, die Regierung hat auch später das Volksverdikt nie richtig zur Kenntnis genommen. Die EU-Frage wurde auch im Bundesrat nie richtig ausdiskutiert, weil er sich seit langem in der Frage uneinig ist. Dies hat die Schweiz während zehn Jahren blockiert. Jede aussenpolitische Handlung - Bilaterale, Luftverkehrsvertrag etc. - steht seither unter dem Generalverdacht, die Regierung tue es nur, um später der EU beizutreten. Steinegger: Fakt ist, dass die SVP dank der Europa-Debatte ihren erfolgreichen Oppositionskurs fahren konnte. Blocher: Wir sind auch wegen Steuer- und Asyl-Fragen in die Opposition geraten. Doch unsere Kritik wird nie ernst genommen, obschon wir jedesmal knapp die Hälfte des Volkes hinter uns wissen. Hat das Nein zum EWR die Schweiz aussenpolitisch nicht isoliert? Blocher: Aussen- und wirtschaftspolitisch hat die Schweiz weiterhin eine starke Stellung. Beim EWR wurde damit gedroht, ein Nein sei der wirtschaftliche Niedergang der Schweiz. Tatsache ist heute: bei allen Wirtschaftsindikatoren ausser beim Wachstum weist die Schweiz im europäischen Vergleich Spitzenwerte auf. Das Wachstum in der Schweiz wurde nicht erhöht, weil in den letzten zehn Jahren die Politiker die Staats- und Steuerquote mehr als die anderen Länder erhöht haben. Stets gegen den erbitterten Widerstand der SVP! Selbst Bundesrat Villiger hat kürzlich vorgerechnet, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer um ein Prozent rund 12 000 Arbeitsplätze kostet. Herr Steinegger was ist Ihre Bilanz zum EWR-Nein? Steinegger. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass dies ein Fehler war. Der EWR war eine vernünftige Lösung; andere Länder - Norwegen, Liechtenstein, Island - leben gut damit und wurden nicht von der EU vereinnahmt. Die bilateralen Verträge waren institutionell und finanziell zweifellos teurer für die Schweiz, als es der EWR gewesen wäre. Wir sind darauf angewiesen, klare Spielregeln mit der EU zu haben. Im Moment ist es der Bilateralismus. Soll die Schweiz sich dem Schengen- und Dublin-Abkommen der EU anschliessen? Steinegger: Die Frage lässt sich so derzeit nicht beantworten. Ich stelle lediglich fest, dass über diese Punkte zwischen der EU und der Schweiz diskutiert wird. Ich bin nicht genau im Bild über den Verhandlungsstand und frage mich gelegentlich, wer überhaupt dar-über im Bild ist. Ich fände es dringend nötig, dass Parteien und Fraktionen sich jetzt genau ins Bild setzen, um zu prüfen, ob sie dereinst das Verhandlungsergebnis mittragen werden oder nicht. Es muss unbedingt vermieden werden, dass der Bundesrat ein fertiges Verhandlungsergebnis präsentiert, das dann von den Parteien abgelehnt wird. Das wäre für die Schweiz sehr schlecht. Grundsätzlich könnten Sie sich ein Mitmachen der Schweiz bei Schengen und Dublin vorstellen? Steinegger: Ich glaube, dass es für die Schweiz wichtig ist, bei Dublin mitzumachen. Das Asylproblem kann heute kein europäisches Land mehr im Alleingang lösen. Was Schengen betrifft, so wird in der Öffentlichkeit immer in den Vordergrund geschoben, dass keine Grenzkontrollen mehr stattfinden sollen. Viel wichtiger ist aber, dass Schengen einen Informationsaustausch zwischen der Polizei der Mitgliedländer gibt, und daran hat die EU genauso ein Interesse wie die Schweiz. Beide sind auf die Zusammenarbeit angewiesen. Blocher: Wichtiger als den Stand der Verhandlungen zu kennen und über Details zu streiten, scheint mir die Grundsatzfrage: Was wollen wir eigentlich? Was wollen Sie, Herr Blocher? Blocher: Eine unabhängige und neutrale Schweiz, das heisst nein zu einer Schweiz ohne Grenzen, nein zu Schengen! Die EU zwingt der Schweiz Schengen nicht auf, aber sie will von der Schweiz Konzessionen im Bereich Bankkundengeheimnis und Zinsbesteuerung. Darüber müssen wir also reden. In Bezug auf Schengen will die EU gar nichts von uns. Umso besser. Was das Dublin-Abkommen betrifft, enthält es einen Informationsaustausch im Bereich der Asylpolitik. Das hilft, löst aber das Asylproblem nicht. Wichtig wäre, dass die Politik eine Meinung und Haltung dazu hat. Stattdessen lehnt sie sich zurück und sagt, "mal schauen, wie das Verhandlungsergebnis aussehen wird". Steinegger: Wir wissen einfach nicht, wie die Verhandlungen mit der EU ausgehen. Da ist es doch logisch, dass der Bundesrat dazu nicht abschliessend Stellung nehmen will. Ist der Bundesrat zu schwach? Steinegger: Wir haben in der Schweiz einen starken Bundesrat. Blocher: Das stimmt doch nicht. Schon wegen der direkten Demokratie nicht. Unsere Verfassung ist auf eine schwache Regierung aus. Steinegger: Es gibt doch in keinem andern Land auf der Welt die Möglichkeit, eine Regierung vier Jahre lang nicht in- frage zu stellen. Blocher: Die Regierungen in der Schweiz sind konstant, aber nicht stark. Ein Grossteil der Entscheide liegt beim Volk. Unser System geht vom Misstrauen des Bürgers gegenüber der Regierung aus. Die Opposition ist das Volk und das ist gut so. Deswegen wollen wir auch keinen Staatspräsidenten. Sie sind eh nichts anders als Nachfolger der Monarchen. Wir brauchen aber einen souveränen Bundesrat, der klar sagt, welche Politik er verfolgen will. Das tut die Regierung derzeit nicht? Blocher: Seit der zweiten Hälfte der 80er-Jahre ist eine klare Positionseringung und -erstreitung zur Frage der Stellung der Schweiz in der Welt unterblieben. Es wird nur noch taktisch entschieden. Teilen Sie diese Einschätzung Herr Steinegger? Steinegger: Nein. Ich würde die Regierung nicht so stark kritisieren. Ich finde allerdings, dass die zunehmende Doppelbelastung zwischen internationaler Präsenz und Anwesenheit im Parlament besser geregelt werden müsste. Wir müssten versuchen, Massnahmen einzuführen, welche den Bundesrat weit mehr als bisher dazu zwingen, verstärkt für das gesamte Landesinteresse zu arbeiten. Die Bundesräte sollten sich vermehrt mit der Regierungsaufgabe als Ganzem befassen, statt blosse Departementsvorsteher zu sein. Jedesmal, wenn grössere Probleme auf die Schweiz zukommen, die departementsübergreifend zu lösen sind - die Aufarbeitung des Holocaust zum Beispiel -, entsteht bei uns ein Vakuum und die Landesregierung erscheint schwach und zerstritten. Blocher: In der Tat sind unsere Bundesräte immer mehr zu Ministern geworden. Sie verlieren den Überblick, weil sie sich zu sehr um operative Details kümmern. Die Schweiz ist jetzt schon seit einem Jahr Mitglied der UNO. Herr Blocher, Sie kämpften gegen den Beitritt. Ist es denn jetzt so schlimm, dass wir zur UNO gehören? Blocher: Der Beitritt war ein Fehler, doch nun hat das Volk entschieden und das akzeptiere ich. Steinegger: Ich bin froh, dass wir in der UNO sind. Das bringt der Schweiz mehr Vorteile als Nachteile. Wo ich ab und zu Bedenken habe, ist, wenn die Schweiz nun meint, sie müsse sich zu allen Weltfragen äussern und Partei ergreifen. Blocher: Die UNO-Mitgliedschaft gefährdet unsere Neutralität. Sie wird immer mehr preisgegeben. Wir müssen die Neutralität ernst nehmen, sonst schwächen wir die Schweiz. Steinegger: Für die Sicherheit der Schweiz ist die UNO-Mitgliedschaft sehr wichtig. Der internationale Terrorismus zum Beispiel kann nur in internationaler Zusammenarbeit bekämpft werden. Man kann doch nicht zu Bin Laden sagen: "Mach uns nichts, wir sind neutral." Blocher: So primitiv meine ich das natürlich nicht. Neutralität ist ein Konzept, das die Regierung davor schützen soll, Handlungen zu veranlassen, die den Feind ins Land ziehen. Es ist doch kein Zufall, dass Amerika am stärksten vom Terrorismus gefährdet ist. Was sind die konkreten Auswirkungen der EU-Osterweiterung für die Schweiz? Steinegger: Ich denke, dass die positiven Punkte überwiegen. Der Binnenmarkt, der sich erweitert, ist der grösste der Welt und wir als Exportland sollten die Chance nicht vergeben, uns daran zu beteiligen. Wir müssen allerdings klare Richtlinien erlassen über die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus den neuen EU-Ländern. Per Saldo eröffnet die Osterweiterung der Schweiz mehr Chancen als Gefahren. Blocher: Bei den neuen EU-Ländern handelt es sich um arme Länder mit hoher Arbeitslosigkeit und tiefem Lohnniveau. Die EU-Mitgliedschaft wird ihre Wirtschaft wachsen lassen. Davon profitieren auch wir. Das grosse Problem ist aber der freie Personenverkehr. Das ist ein Quantensprung. Wir haben den freien Personenverkehr noch nicht einmal mir der heutigen EU und wir können die Freizügigkeit sicher nicht auf die neuen EU-Länder ausweiten. Was wir brauchen, sind Kurzarbeitsverträge für Personen aus diesen Ländern. Die Schweizer Wirtschaft, sagen Sie, wird von der Osterweiterung profitieren. Soll die Schweiz dafür auch etwas zahlen? Blocher: Warum denn? Die Schweiz profitiert auch von Amerika und was geben wir als Gegenleistung? Nichts! Die neuen EU-Staaten profitieren doch auch von der Schweiz. Oder: Wir profitieren vom chinesischen Markt. Niemand käme aber auf die Idee, zu sagen, wir müssten in einen Kohäsionsfonds für China zahlen oder die Personenfreizügigkeit mit China verlangen. Schliesslich profitieren diese Länder auch vom geöffneten Schweizer Markt. Steinegger: Das Problem ist natürlich, dass wir unseren Markt nicht vollständig öffnen, vor allem nicht für die für Länder wie Polen so wichtigen Landwirtschaftsprodukte. Mit anderen Worten heisst das: Wir bekommen offene Märkte in Osteuropa und schotten unseren Markt aber teilweise weiter ab. Deshalb in ich der Meinung, wir müssten bereit sein, darüber zu diskutieren, uns beispielsweise an einem Infrastrukturfonds für Osteuropa zu beteiligen.

18.09.2003

«Natürlich, ich habe Angstträume»

Interview in der "WOZ" vom 18. September 2003 Was inspiriert diesen Mann eigentlich? Wie schafft er es, dass seine Partei so geschlossen auftritt? Die WOZ zu Besuch bei einem ihrer mächtigsten politischen Gegner. von Urs Bruderer und Constantin Seibt Ihrem Bruder sagten Sie einmal: "Überhaupt ist es so - der Sieger ist im Grunde der Verlierer." Christoph Blocher: Da steckt eine tiefe Wahrheit dahinter. Am Abstimmungssonntag nach der EWR-Abstimmung ging ich als Sieger abends um halb acht nach Hause und ins Bett, ich war so kaputt. Suchen Sie dieses Verlierergefühl? Christoph Blocher: Sie können noch weitergehen. Es gibt Leute, die gehen als die grossen Sieger durch die Welt. Wenn Sie genau schauen, haben die meistens gar nichts erschafft, sondern schwimmen nur obenauf. Wer wirklich etwas bewegt, muss oft untendurch. Nehmen Sie Winston Churchill. Mit seinem Durchhaltewillen, der an Sturheit grenzte, hat er für die Befreiung Europas gesorgt. Danach wurde er abgewählt, er konnte nicht einmal den Friedensvertrag unterschreiben. Vordergründig war er der Verlierer, in Wirklichkeit aber der Sieger. Sie sind vordergründig ein grosser Sieger. Christoph Blocher: Ich sehe es nicht so. Jeder Erfolg der Partei macht mir auch Angst: Können wir jetzt machen, was wir müssen? Die Verantwortung wahrnehmen? Suchen Sie diese Angst? Christoph Blocher: Nein. Wie kommen Sie auf diese Idee? Sie haben Churchill erwähnt, den Sie in fast jeder Rede zitieren. Auch ein anderes Ihrer Vorbilder, Generalfeldmarschall Rommel, kämpfte im Zweiten Weltkrieg. Die Liste liesse sich verlängern. Sehnen Sie sich nach harten Zeiten? Christoph Blocher: Nein. Suchen Sie Angst, Not, Gefahr? Christoph Blocher: Nein. Ich nehme die Zeiten so, wie sie sind. Sie sagten auch schon, es sei für ein Volk sehr hart, eine lange Zeit des Wohlstands aushalten zu müssen, wie die Schweiz sie seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Christoph Blocher: Das stimmt. Auch die Unternehmen gehen immer in den guten Zeiten kaputt. In guten Zeiten macht man leichter Fehler. Die Fusionitis der neunziger Jahre war ein für gute Zeiten typischer Grössenwahn. Heute hören Sie von "Fokussierung auf die Kernkompetenz", blöde Wörter, die nichts anderes heissen als: "Wir machen nur noch, was wir können." Sie haben auch schon gesagt, es gehe die halbe Lebenswirklichkeit verloren, wenn es einem gut geht. Mögen Sie gute Zeiten nicht? Christoph Blocher: Doch, natürlich. Ich bin auch nur ein Mensch. Aber ich weiss auch, dass sie schwerer zu ertragen sind, weil die disziplinierenden Lebensbedingungen fehlen. Disziplinierende Lebensbedingungen fanden Sie auch, als Sie in den siebziger Jahren Präsident der SVP des Kantons Zürich wurden. Die Partei lag bei zirka zehn Prozent. Warum entschieden Sie sich damals nicht für die FDP, die voll im Saft war? Christoph Blocher: Weil ich ein 68er bin, nur einer von der anderen Seite. Während Moritz Leuenberger und Thomas Held mit dem berühmten Mao-Buch unter dem Arm unterwegs waren, war ich Mitbegründer des liberal gesinnten Studentenringes. 1972 haben alle drei bürgerlichen Parteien von Meilen gleichzeitig bei mir angeklopft, nachdem sie mich an einer Gemeindeversammlung reden gehört hatten. Die FDP hätte vom Gedankengut her zu mir gepasst, doch waren mir die zu hochnäsig. Was danach folgte, war eine der brillantesten Managementleistungen der Schweiz: der Aufbau der SVP zur grössten Partei. Christoph Blocher: Da war die Partei am Boden, sonst wäre ich nie zum Präsidenten gewählt worden. In guten Zeiten wählt man einen Verwalter, nicht jemanden, der etwas bewirken will. Damals gab es Leute, die meinten, die SVP sollte sich nach links öffnen. So hätten wir die Glaubwürdigkeit und die letzten Wähler aber auch noch verloren. Ich sah das, und das war eine wichtige Weichenstellung. Das Problem war, dass die SVP damals fast ausschliesslich eine Bauern- und Gewerbepartei war. Ganze Bereiche lagen brach, die Bildung, die Aussenpolitik, die Finanzpolitik kam nur am Rande vor. Ich musste die Partei im Gedankengut prägen. SVP-Politiker sind deutlich disziplinierter als Mitglieder anderer Parteien. Wie bringt man das hin? Christoph Blocher: Unser Vorteil ist, dass wir konzeptionell arbeiten, also langfristig und grundsätzlich. Die SVP hat sich ihre Positionen intern erstritten. Diese Arbeit haben die anderen Parteien nie gemacht. Ich gebe zu: Ich war und bin in dieser Beziehung die treibende Kraft. Mit wie vielen Leuten haben Sie das gemacht? Christoph Blocher: Am Anfang braucht es nicht mehr als zwei, drei. Sie können nicht mit sechzig Personen ein Papier formulieren. Aber nachher müssen Sie in die Breite gehen, ins Parteibüro, in die Parteileitung, den Vorstand und die Delegiertenversammlung, wo dann 400 Leute gemeinsam beschliessen. Wer waren damals die beiden anderen Köpfe? Christoph Blocher: Sie fragen jetzt nach zwei, andere sagen, es braucht nur einen… In Zürich war Ruedi Ackeret wichtig. Professor Karl Spühler hat viel gemacht. Heute arbeitet Christoph Mörgeli an diesen Dingen oder, im Sozialbereich, Toni Bortoluzzi und andere. Die Partei wurde immer grösser und mit ihr die Fraktion… Christoph Blocher: Ein grosses Problem. …Politiker sind eitel, wollen sich profilieren. Auffälligkeit erzeugt man durch Dissens. Wie schaffen Sie es, dass die Zürcher SVP im Kantonsrat wie betoniert auftritt? Christoph Blocher: Das ist uns gut gelungen. Am Tag nach den Wahlen 1999, als wir von 45 auf 72 Sitze zulegten, war mir klar, dass wir zusammensitzen müssen. In einer zweitägigen Fraktionssitzung gingen wir alle Punkte durch, die wir verwirklichen wollten, und stimmten darüber ab. Dann haben wir das Programm in der Zeitung veröffentlicht, mit Köpfen und Unterschrift. Politiker anderer Parteien klagen, dass SVP-Vertreter in der Kommission eine Meinung vertreten und nach der Fraktionssitzung das Gegenteil. Christoph Blocher: Das kommt vor. In den Kommissionen werden die Leute mit Information von der Verwaltung zugedeckt, und manchmal sind die Mitglieder nicht in der Lage, das sofort zu durchschauen. Man sollte zuerst in der Fraktion arbeiten und nachher erst in den Kommissionen. Dann würden die Politiker in der Kommission keine eigene Meinung vertreten, sondern als Sprachrohr der Partei auftreten. Christoph Blocher: So, wie es heute läuft, ist die Versuchung riesig, sich auf die Seite der Verwaltung zu stellen. Die liefert ihnen die Begründungen, denken müssen Sie gar nichts. Wie stimmt man die Leute eigentlich um? Christoph Blocher: Indem man eine Sache tiefer durchschaut. Es hat auch mit Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft zu tun. Heute gelingt es mir leichter als früher, weil die Leute wissen, dass meine Politik bis jetzt erfolgreich war. Ich habe das nicht so gern. Die Leute müssen inhaltlich überzeugt sein, sonst kippen sie, sobald der Erfolg einmal ausbleibt. Gibt es eigentlich Freundschaft in der Politik? Christoph Blocher: Im Volksmund gibt es die Steigerung: Feind, Todfeind, Parteifreund. Da steckt wie immer ein Körnchen Wahrheit drin. Aber ich habe gute Freunde auch in der eigenen Partei. Unter den Überzeugten ergibt sich auch eine menschliche Beziehung, man macht viel durch, wird zu einer Art Schicksalsgemeinschaft. Bei welchen Leuten in der Partei hören Sie genauer hin? Wer inspiriert Sie? Christoph Blocher: Sie müssen verstehen, dass ich darüber nicht rede. Jeder, den ich nenne, ist einer zu viel, jeder, den ich nicht nenne, einer zu wenig. Man tut ja oft so, als ob ich in der SVP eine Herde blökender Schafe hinter mir hätte. Das ist nicht so. Als Politiker muss man oft geben. Um dies zu können, muss man aber auch hören, aufnehmen, und, ganz wichtig, Sie müssen auch Informationen von ausserhalb der Partei haben. Ich habe Leute aus der Wirtschaft, aus der Kultur, aus der Wissenschaft von ausserhalb der Partei. Nur darf ich die nicht nennen, weil ich so umstritten bin, dass die verschossen wären, wenn ich öffentlich sage, dass ich eine Beziehung zu ihnen habe. Das klingt beneidenswert nach Filmstar. Christoph Blocher: Wieso? Nach einem bösen Helden mit sehr viel Macht. Christoph Blocher: Die "classe politique" lehnt doch alles ab, was von Blocher kommt. Nun, es kommt darauf an, wie Sie es servieren. Kellnerqualitäten haben Sie jedenfalls nicht. Christoph Blocher: Servieren hat seine Zeit, und Fordern hat seine Zeit. Wenn Sie den Mainstream ändern wollen, dürfen Sie nicht servieren. Dann müssen Sie die Leute von den Geleisen werfen. Das stimmt, und da sind Sie seit 25 Jahren dran… Christoph Blocher: Und es gelingt nie, wollen Sie sagen. Es ist auf jeden Fall ein sehr entschlossener Versuch. Warum wollen Sie grosse Änderungen in diesem angenehmen, nicht sehr sensationellen Land? Christoph Blocher: Ich finde die Schweiz ein sensationelles Land. Sie nicht? Ich schon! So ein kleines Land, mit vier Kulturen, zweihundert Jahre ohne Krieg und hohem Wohlstand trotz schlechten ökonomischen Voraussetzungen. Ich finde das alles sensationell und glaube nicht, dass wir grosse Änderungen brauchen. Auf der WOZ haben wir seit ungefähr zwei Jahren die Devise "Nicht jammern". Bei Ihnen haben wir den Eindruck, dass Sie uns im Jammern längst überholt haben. In Ihren Reden zeichnen Sie die Schweiz als ein Land, das seine Bürger schröpft… Christoph Blocher: Das stimmt aber auch! …und in dem die Freiheit bedroht ist… Christoph Blocher: Und das auch! Fühlen Sie sich in Ihrer Freiheit bedroht? Christoph Blocher: Ich weniger, weil ich mich in einer beneidenswerten Lage befinde. Freiheit ist auch eine Frage des Status. Aber wenn ich nicht mehr mitentscheiden kann, fühle auch ich mich eingeschränkt. Fühlen Sie sich geschröpft? Christoph Blocher: Das sowieso. Aber ich kann die Schröpfung besser ertragen als einer, der mit Mitteln nicht gesegnet ist. Wer wird denn unerträglich geschröpft? Christoph Blocher: Der Mittelstand wird geschröpft. Wer ist der Mittelstand? Christoph Blocher: Ich definiere so: Wer zu wenig arm ist, um auf staatliche Unterstützung zählen zu können, aber nicht so reich, dass er nach Monaco zügeln muss, weil er sich den Wohnsitz in der Schweiz nicht mehr leisten kann, der gehört zum Mittelstand. Die Definition ist nach oben offen. Christoph Blocher: Nicht ganz. Sie müssen nicht nach Monaco. Christoph Blocher: Darum gehöre ich auch zum Mittelstand. Und unfrei fühlen Sie sich auch? Christoph Blocher: Nehmen wir das neuste Beispiel. Bis jetzt konnten Gemeindebürger sagen, wen sie ins Bürgerrecht aufnehmen. Jetzt hat das Bundesgericht das verboten. Das ist eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit… Sie reden einem Verhältnisblödsinn das Wort. Einbürgerungswillige müssen sich bewerben. Vor einer Kommission geht das, da gibt es gerechte Prüfungen. Aber vor 3000 Leuten, was soll man da machen? Eine Werbekampagne? Den 3000 Bürgern fehlen die Grundlagen für den Entscheid, und Entscheidungen ohne Grundlage sind eine Idiotie. Christoph Blocher: Erstens hat man eine Grundlage, man kennt die Leute, man kann sie kennen, in den Gemeinden, an der Gemeindeversammlung… Jetzt reden Sie an den Realitäten vorbei. Christoph Blocher: Dass Sie nicht gleicher Meinung sind, ist klar. Vielen Bürgern liegt daran, da zu bestimmen, Sie können das gut oder schlecht finden, aber die sind unfrei. Ich gehe weiter. Wir haben x Sachen, die wir wegen internationaler Verträge nicht tun können. Wollen Sie aus allen internationalen Verträgen aussteigen? Christoph Blocher: Da und dort wäre es vielleicht gut. Auf jeden Fall sollten wir uns nicht dauernd mit neuen Verträgen binden. Das sind ja oft Verwaltungsverträge. Die Schweizerinnen und Schweizer haben nichts dazu zu sagen. Sie vermischen Ebenen. Wir sprachen von der persönlichen Freiheit der Bürger. Dass die Schweiz als Land freiwillig Verträge eingeht mit anderen Ländern, ist klar. Christoph Blocher: Ich rede von den Bürgern. Die Politiker können vielleicht noch entscheiden, die Verwaltungsleute auch. Aber die Bürger nicht mehr. Das sind doch normale Entscheidungen. Die Verträge haben Vorteile und Nachteile - sie schaffen Rahmenbedingungen. Es gibt keine Freiheit im leeren Raum. Christoph Blocher: Das stimmt. Aber bei uns fallen immer mehr Entscheidungen in der Verwaltung, sodass der Bürger nicht mehr frei entscheiden kann. So verlieren wir Freiheit an den Staat. Das geht bis in die kleinen Dinge, den Abfall, das Abwasser, Gebühren et cetera. Die Bürokratie fällt über einen her wie der Schnupfen, klar, aber ob das eine wirkliche Einschränkung der Freiheit ist? Christoph Blocher: Ich empfinde es so. Sie empfinden es weniger. Ich nehme an, Sie haben weniger Sachen, wo sie in der Freiheit eingeschränkt sind, als ich als Unternehmer, der bauen muss, der exportieren muss, der Leute anstellen muss, Abrechnungen erstellen, Statistiken ausfüllen. Und Reden halten. Wie bereiten Sie sich darauf eigentlich vor? Christoph Blocher: Die meisten Reden halte ich frei, aber die Albisgüetlirede zum Beispiel schreibe ich auf. Innerlich arbeite ich an der Rede monatelang, bis ich die Konzeption habe. Dann setzte ich mich und schreibe mit Bleistift. Ich bin immer unzufrieden, schreibe einen Entwurf nach dem anderen. Der zirka achtzehnte, den ich nehmen muss, weil keine Zeit mehr bleibt, ist der wenigst schlechte. Denken Sie beim Redenschreiben an die Wirkung? Christoph Blocher: Meine Hauptsorge ist immer, ob man mich versteht. Man sagt, ich rede so einfach. Das musste ich lernen. Als ich noch jung war und meine Kinder klein, hielt ich ihnen meine Reden. Sie mussten aufstrecken, wenn sie etwas nicht verstanden. So habe ich gemerkt, wo ich zu kompliziert formulierte oder, häufiger, wo etwas nicht durchdacht war. Und wie fühlen Sie sich vor 1500 Leuten? Christoph Blocher: Nach dem ersten Satz bin ich innerlich bei der Sache. Davor habe ich jedes Mal unglaublich Lampenfieber. Auf dem Weg zum Pult habe ich oft das Gefühl, die Beine können mich vor lauter Zittern nicht mehr tragen. Träumen Sie davon? Christoph Blocher: Natürlich, Angstträume. Ich stehe vor den Leuten, und es kommt mir nichts in den Sinn. Oder ich sage etwas, das ich gar nicht sagen will. Was halten Sie eigentlich für typisch links? Christoph Blocher: Links steht für viel Staat, rechts steht für wenig Staat. Der Linke glaubt ans Kollektiv und will möglichst viel regeln. Das Kollektiv soll alles richten. Rechts obwiegt der Glaube an den Einzelnen, an den Bürger. Darum sagt der Bürgerliche "Nein" zu zu viel Kollektiv. Die Praxis sieht häufig anders aus. Da haben Sie nicht Unrecht. Zum Beispiel ist die SVP eine wesentlich kollektivere Partei als die SP. Christoph Blocher: In welcher Beziehung sind wir kollektiver? Zum Beispiel in Sachen Geschlossenheit beim Abstimmungsverhalten. Derart ent- und geschlossene Parteien gab es auf linker Seite zuletzt unter jenen Leuten, die mit der Mao-Bibel unterwegs waren. Christoph Blocher: Ich habe diesen Leuten nie Geschlossenheit vorgeworfen, sondern dass sie, geschlossen oder nicht, in die falsche Richtung liefen. Wer nicht an der Spitze steht, hat in der Geschlossenheit beschränkte Aussicht: Er sieht den Vordermann, spürt den Hintermann. Christoph Blocher: Wenn jemand stets eine völlig andere Meinung vertreten will, geht er besser in eine andere Partei. Sie definieren Freiheit als eine Frage von mehr oder weniger Staat. Es geht aber auch um Lebensmöglichkeiten. Wer hart arbeitet, um dann die Pensionierung zu geniessen, führt ein unfreieres Leben als jemand, der in der Hängematte liegt. Es gibt auch die Möglichkeit der Freiheit ausserhalb des Ganzen. "Wenn man einen Beinbruch hat und ein paar Wochen an Krücken geht", sagten Sie einmal, "dann wird das arbeitsfreie Leben plötzlich interessant." Christoph Blocher: Ich habe dieses Beispiel früher an mir selber erlebt, als ich mich an die arbeitsfreien Tage zu gewöhnen begann. Wissen Sie, von mir aus kann einer den ganzen Tag in der Hängematte liegen. Aber wenn die andern das bezahlen müssen, dann wehre ich mich. Diese Mentalität verstehen wir nicht, dieses Gefühl, irgendwie betrogen zu werden. Christoph Blocher: Die Selbstverantwortung verlangt, dass nicht andere für jemanden sorgen, der selbst für sich sorgen könnte. Wir haben einfach einen zu grossen Staat, zu hohe Zwangsabgaben. Es gibt kein System mit perfektem Wirkungsgrad, eine gewisse Verschwendung ist immer da. Christoph Blocher: Man muss Verschwendung bekämpfen, auch wenn man sie nicht ganz verhindern kann. Das ist auch in einem Betrieb so. Nach Ihren Erfolgen könnten Sie sich zur Ruhe setzen. Weshalb widerstehen Sie der Versuchung des arbeitslosen Lebens? Christoph Blocher: Dass ich nicht mehr muss, macht ja den Reiz der Sache aus. Das gibt mir Unabhängigkeit und damit Wirkung. Ich frage mich auch nicht immer, ob ich es andersherum schöner hätte. Ich mache einfach, was ich im Moment für richtig halte. Ist das eine moralische Haltung? Christoph Blocher: Sicher keine moralistische. Moralisten schauen nur darauf, dass sie eine reine Weste haben. Sie machen alles nur, um gute Menschen zu sein. Wer dagegen eine hohe Moral hat, tut das Gegenteil: Er macht etwas, um das Gute zu ermöglichen - ohne ans eigene Ansehen zu denken. Fragen Sie sich manchmal, ob Sie ein guter Mensch sind? Christoph Blocher: Nein. Aber ich frage mich immer wieder, ob es richtig ist, was ich tue oder was ich tat. Diese ewigen Zweifel begleiten mich ununterbrochen. Warum merkt man davon nichts? Christoph Blocher: Wieso soll man das zur Schau stellen? Wer seine Aufgaben gemacht hat, innerlich, der muss nicht seine Zweifel ausbreiten, sondern mit dem Ergebnis kommen. Zweifel auszubreiten, wo Entscheide gefragt sind, ist feige. Sie sagten auch schon, zu differenzieren sei eine Feigheit. Christoph Blocher: Nein, das nicht. Vor einem Entscheid muss man alle Aspekte einer Sache zur Kenntnis nehmen. Hinter jedem Entscheid lauert ja ein Fehlentscheid. Man kann auch ohne Differenzierung zu einer Meinung kommen, nur hält die dann in der Diskussion nicht stand. In der Politik kenne ich fast alle Argumente meiner Gegner im Voraus Führt das mit der Zeit nicht zu einer Art Pingpong? Christoph Blocher: Vor Abstimmungen wird es manchmal fast langweilig. Politik scheint Sie unterdessen ohnehin zu langweilen, oder? Christoph Blocher: Ich fand Politik nie besonders interessant, von allem Anfang an, vor allem das Parlament nicht. Ich erlaube mir oft, nicht dort zu sein. Ich habe in der Politik eine andere Bedeutung bekommen: Ich gebe heute Richtungen vor. Wer, abgesehen von Ihnen, macht das noch? Christoph Blocher: In meiner Partei ist Christoph Mörgeli einer, der stark so arbeitet. Ist er nicht ein bisschen zu scharf und ein bisschen zu hors-sol? Christoph Blocher: Ich habe gern, wenn die Jungen so sind. Sonst werden sie im Alter fertige Philister. Und in den anderen Parteien? Christoph Blocher: Im Moment gibt es nicht sehr viele. Auf der Linken gab es früher den Bodenmann. Warum können das nur so wenige Leute? Christoph Blocher: Ich bin nicht gescheiter als die und auch nicht fähiger. Die befassen sich einfach weniger mit der Sache und heucheln dafür ein bisschen mehr. Auch darum muss ich manchmal aus dem Parlament und nach Hause. Ich halte jedes Klima gut aus, nur nicht das Heuchelklima. Wo wird denn mehr geheuchelt, in der Politik oder in der Wirtschaft? Christoph Blocher: In der Politik, eindeutig. Heucheln heisst ja immer die Lebenswirklichkeit verneinen. In der Politik hat das keine Konsequenzen, in der Wirtschaft gehen Sie so unter. Viele Unternehmen haben über Ethik gesprochen, um eigenen Dreck zuzudecken. Aber sie gingen unter. Man sieht Ihnen eine gewisse Freude an, wenn Sie das erzählen. Christoph Blocher: Ich habe Freude, dass es schief geht, wenn die Lebenswirklichkeit nicht befolgt wird. Schadenfreude kennen Sie nicht? Christoph Blocher: Nein. Geht der Entscheid, sich besonders unheuchlerisch zu geben, nicht auch an der Lebenswirklichkeit vorbei? Christoph Blocher: Wenn einer sagt, er lüge einfach nie, ist das ebenso falsch, wie wenn einer sagt, er lüge immer. Wenn jetzt eine Frau vorbeikommt und ich finde sie furchtbar hässlich, dann lüge ich vielleicht und sage ihr das nicht. Wieder ist das Motiv entscheidend. Der Zweck heiligt die Mittel. Gilt das auch bei politischen Kampagnen? Christoph Blocher: Ja. Aber nicht jeder Zweck heiligt die Mittel, und nicht jedes Mittel wird vom Zweck geheiligt. Wo ist die Grenze? Christoph Blocher: Die muss man selber finden. Bei Provokationen zum Beispiel? Christoph Blocher: Bei Ehrverletzungen und Ähnlichem. Das Messerstecherinserat zum Beispiel muss enorm Spass gemacht haben. Christoph Blocher: Es brachte die Sache auf den Punkt. Da war gar nichts einzuwenden! Die "Filzläuse" waren auch sehr komisch, das Wort "Weichsinnige" auch, die "Zweisinnigen" waren tödlich gut. Christoph Blocher: Wir sind manchmal nächtelang zusammengesessen, bis wir die richtigen Worte fanden. Wer ist wir? Christoph Blocher: Leute aus der Partei und andere, die Ehefrauen waren auch schon dabei. Und wie arbeiten Sie da? Christoph Blocher: Die "Linken und Netten" zum Beispiel entstanden so: Ich habe gefragt, warum es mit unserer Justiz und Verbrechensbekämpfung so schlecht stehe, wo wir Bürgerliche doch die Mehrheit haben. Dann hat einer den Franz Hohler zitiert "Si si halt alli so nätt", und dann kam einer auf die Idee: "Das haben wir den Linken und den Netten zu verdanken." Sie arbeiten bewusst an Ihrer Sprache. In der Ems-Chemie haben Sie Begriffe wie Vision oder Strategie verboten. Christoph Blocher: Ich verbiete Modewörter, Begriffe, die von allen benutzt werden und von allen anders. "Strategie" war einmal so ein Wort. Da habe ich gesagt, wir reden nicht mehr von Strategie, wir reden von Plänen. Das ist viel bodennäher. Heute können wir "Strategie" wieder brauchen, dafür ist "Fokussierung" verboten. Ich habe lieber, wenn die Leute sagen: "Ich beschränke mich auf etwas." Und wenn einer das sagt, weil er weiss, dass der Blocher das gern hört, frage ich als Zweites: "Und was lassen Sie weg?" Eine ungenaue Sprache führt zu einer schlechten Führung. Wie kommt es eigentlich, dass die bestbezahlten und vielleicht auch mächtigsten Leute zwar nicht bei ihren Anzügen, aber in ihren Köpfen nach einer Mode gehen? Was läuft da schief? Christoph Blocher: Mit der Mode gehen ist halt wunderbar einfach. Sie stossen nirgends an.

29.07.2003

Zürich muss in Bundesbern offensiver auftreten

Christoph Blocher und Ruedi Jeker über den kritischen Zustand des Finanzplatzes Zürich, Rahmenbedingungen für Unternehmen und das Gezänk um den Flughafen. Streitgespräch mit Ruedi Jeker in der "Bilanz" vom 29. Juli 2003 Von Medard Meier und Hanspeter Vetsch BILANZ: Unser Magazin hat vor vier Jahren eine erste Spezialausgabe zum Wirtschaftsstandort Zürich veröffentlicht. Damals hing der Zürcher Himmel voller Geigen, heute herrscht Katerstimmung. Was ist schief gelaufen, Herr Jeker? Ruedi Jeker: Der Standort Zürich steht zunehmend nicht mehr mit Basel, Zug oder Genf im Wettbewerb, sondern muss sich gegen starke internationale Konkurrenz behaupten. Das hinterlässt Spuren. Wir sind deshalb daran, für die im Wirtschaftsraum Zürich ansässigen Unternehmen möglichst gute Rahmenbedingungen zu schaffen, aber das ist politisch alles andere als einfach, da die Schweizer Weltmeister darin sind, beim Umsetzen von Reformen auf halber Strecke stecken zu bleiben. Viele wollen das noch immer nicht wahrhaben. Christoph Blocher: Zürich ist wie ganz Europa von einer Rezession betroffen - darüber müssen wir nicht reden. Aber Zürich hat zusätzlich massiv hausgemachte Probleme. Der Zusammenbruch von falsch geführten und strategisch falsch ausgerichteten Unternehmen ist ein gewaltiges Desaster. Die illusionären Strategien einiger Finanzhäuser - Stichwort Allfinanz - sind ebenso zusammengebrochen wie der Wirtschafts-Polit-Filz - Stichwort Swissair. Dass das Zürich empfindlich trifft, zeigt sich allein an der Tatsache, dass Zürich mehr Arbeitslose als der Rest der Schweiz hat. Neben dieser wirtschaftlichen Dimension gibt es eine politische: die aufgeblähten Staatsausgaben, gegen die die Zürcher SVP seit Jahren kämpft. So hat es der Kanton Zürich verpasst, die Steuern zu senken, was den Unternehmen Auftrieb gegeben hätte. Dafür haben sich im Kanton Zürich die Staatsausgaben innert zehn Jahren von 5,1 Milliarden auf 11,7 Milliarden Franken im Jahr 2003 erhöht. Das ist unverantwortlich. Jeker: Ich gehe mit Herrn Blocher einig, dass wir strukturelle Probleme haben. Solange die Strukturbereinigung der Finanzbranche läuft, werden wir mit einer relativ hohen, gar steigenden Arbeitslosenrate leben müssen. Zu den Steuern muss ich Herrn Blocher jedoch entgegenhalten: Es ist mir auch klar, dass jeder Steuerfranken, den ein Unternehmen zahlen muss, einer zu viel ist - aber so einfach darf man es nicht sehen. Eine neue Studie belegt, dass ich als Unternehmer in Deutschland 200000 Euro ausgeben muss, damit ein Kadermitarbeiter schliesslich 100000 Euro in seiner Tasche hat. In den USA sind es 153000 Euro und in unserer Region 130000 Euro. Das beweist, dass man nicht allein auf die Unternehmenssteuern abstellen kann, sondern die gesamte Belastung durch Abgaben in Betracht ziehen muss. Im Bereich der Unternehmensbelastung können wir noch besser werden, aber was die Belastung durch Abgaben insgesamt anbelangt, sind wir sehr kompetitiv. Blocher: Es ist ausserordentlich gefährlich, wenn wir uns mit einem derart negativen Beispiel wie Deutschland vergleichen. Von den Vermögenssteuern wird nicht gesprochen. Früher haben wir uns mit den Allerbesten verglichen - das muss die Schweiz auch heute noch und Zürich erst recht. Zürich hat für die Schweiz etwa denselben Stellenwert wie Deutschland für Europa - Deutschland ist der Wirtschaftsmotor Europas, Zürich ist der Wirtschaftsmotor der Schweiz, da rund ein Viertel der Wertschöpfung unseres Landes im Kanton Zürich generiert wird. Wenn es also dem Standort Zürich schlecht geht, geht es der Schweiz schlecht. Und wir wissen, dass es Zürich nicht gut geht. Ich sage nochmals, dass die Besteuerung der Unternehmen im Kanton Zürich einer der Gründe dafür ist, dass wir nicht vorankommen. Sogar der Sozialdemokrat Schröder hat erkannt, dass er die Steuern senken muss. Und was tut Zürich?! Die Regierung verschiebt das Inkrafttreten der Unternehmenssteuerreform um ein weiteres Jahr. Zug und Schwyz können sich da nur ins Fäustchen lachen. Jeker: Das sind Kantone, die ungleich weniger Ausgaben für Infrastrukturen haben als Zürich. Wer am Tellerrand sitzt und nur die Vorteile von Zürich geniesst, hat leicht reden. Wenn beispielsweise der Zimmerbergtunnel gebaut ist, bin ich von Zug in 14 Minuten im Hauptbahnhof Zürich - man stelle sich einmal diesen Standortvorteil für Zug vor, den grösstenteils Zürichs Steuerzahler berappt haben werden! Nochmals: Wir sind mit unserer Steuerpolitik noch nicht dort, wo wir sein sollten und wo wir auch hin wollen, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Sie haben, Herr Blocher, davon gesprochen, dass die Schweiz und Zürich sich mit den Besten vergleichen müssten. Wer liefert die Benchmark? Blocher: Im Steuerbereich ist die ganze Schweiz und hier insbesondere Zürich ins Hintertreffen geraten. Wir waren früher vor Japan, vor den USA. Und England ist uns dicht auf den Fersen, London hat Zürich bereits überholt. Zudem ist der Rückstand aller anderen kleiner geworden. Grund dafür ist der Umstand, dass die Schweiz in den letzten zehn Jahren die Zwangsabgaben - also Steuern und Gebühren - von allen Industrieländern am stärksten erhöht hat. Gerade in einer Zeit, in der die Wirtschaft leidet, sind diese durch eine Mitte-links-Steuerpolitik verursachten, überhöhten Zwangsabgaben Gift für einen Standort. Dank dem Föderalismus sind wir wenigstens im Bereich der bürokratischen Hindernisse etwas besser als viele, insbesondere Deutschland, doch es gibt in der Schweiz noch immer zu viel Bürokratie. Wo ich Herrn Jeker Recht gebe: Die Zentrumslasten Zürichs sind ein Problem. Sie werden sich mit dem Neuen Finanzausgleich nochmals erheblich verschärfen. Müsste Zürich egoistischer werden, Herr Jeker? Jeker: Nein, so würde ich das nicht sagen. Aber Zürich muss sich in Bundesbern offensiver positionieren. In Kontakten mit dem Bundesrat und den Eidgenössischen Räten müssen wir unsere Haltung zum Beispiel zu Flughafenfragen, zum Neuen Finanzausgleich oder zum Ausbau der Schieneninfrastruktur unmissverständlich darlegen. Blocher: Der Kanton Zürich soll nicht bluffen, aber klar machen, dass er 25 Prozent der Bundeseinnahmen nach Bern schickt und ein entsprechendes Gewicht hat. Die Kosten der Nutzniesser der Zentrumslasten sind zu verrechnen. Jeker: Das kann ja durchaus ohne Arroganz, sondern mit einem gewissen Charme geschehen. Wir müssen darum kämpfen, dass wir unsere nach wie vor vorhandenen Standortvorteile politisch wieder besser abstützen können. Ein Beispiel dafür ist der Finanzplatz: 14 bis 15 Prozent unserer Wertschöpfung kommen von den Finanzdienstleistern. Leicht auszurechnen, was für uns eine Lockerung des Bankkundengeheimnisses bedeutet. Ein anderes Beispiel ist der Flughafen, bei dem es nochmals um 10 bis 15 Prozent unserer Wertschöpfung geht. Die Bundespolitik ist hier gefordert, dass wir bessere Rahmenbedingungen erhalten und Unternehmen unterstützen können. Stichwort Flughafen. Neben den wirtschaftlichen Problemen sorgt er vor allem wegen der Lärmdebatte für schlechte Stimmung in und um Zürich. Vermiest es Ihnen auch die Laune, wenn schon bald die Jets über Ihr Haus in Herrliberg donnern, Herr Blocher? Blocher: Ich wohne zwar auf der anderen Seite des Pfannenstiels, aber die Angelegenheit an sich kann einem schon die Laune verderben. Es ist doch ein absoluter Stumpfsinn, Lärm demokratisch verteilen zu wollen. Der Flughafen ist ein gutes Beispiel, um aufzuzeigen, wie der Kanton Zürich nach aussen auftreten sollte: nicht hochnäsig und rücksichtslos, aber bestimmt. Der Flughafen ist doch keine rein zürcherische Angelegenheit! Die ganze deutsche Schweiz und auch die angrenzenden Gebiete in Deutschland sind wirtschaftlich auf ihn angewiesen. Zürich muss das ausspielen und keinen diskriminierenden Vertrag annehmen, wie ihn uns Deutschland aufzwingen will. Es ist eine tiefe Tragik, dass Zürich in Bern einen Bundesrat hat, der dies nicht einsieht. Die Zürcher Regierung muss in der Flughafenfrage viel härter auftreten. Jeker: Es ist leicht zu sagen, Zürich unternehme in Sachen Flughafen zu wenig. Es geht keineswegs nur um die Diskussionen auf Bundes-, interkantonaler und internationaler Ebene. 95 Prozent der problematischen Flugbewegungen finden über Zürcher Gebiet statt. Dass wir hier gute Lösungen finden, ist nicht nur für den Frieden im Kanton wichtig, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen: Es drohen Entschädigungsforderungen in Milliardenhöhe - auch das sind Gelder, die aus der Volkswirtschaft wegfliessen, wenn wir das Problem nicht sorgfältig zu lösen versuchen. Blocher: Es gibt doch ausser in Zürich niemanden auf der Welt, der auf der einen Seite eine freie Anflugschneise über dünn besiedeltem Gebiet hat und nun über die Stadt Zürich und angrenzende Hügel an- und abfliegen soll. Ein ungeheuerliches Sicherheitsrisiko und ein Emissionsunsinn. Das ist doch… Jeker: ...eine Vermischung unterschiedlicher Themen. Auch mir geht es um ein Maximum an Sicherheit. Aber es geht mir auch darum, zwar klar aufzutreten, aber gleichwohl eine verhandlungsfähige Position einzunehmen und dem Wirtschaftsstandort keinen Schaden zuzufügen. Es ist ein Stück Lebensqualität, einen guten Job zu haben - und es ist ein Stück Lebensqualität, ruhig schlafen zu können. Wir müssen beidem Rechnung tragen. Abgesehen davon war für mich immer klar, dass wir standortmässig nur von der Kombination Unique und Swiss einen optimalen Nutzen haben. Blocher: Das ist doch der Ursprung des Problems. Zürich hat sich nicht auf den Flughafen konzentriert, der für den Standort von ausschlaggebender Bedeutung ist, sondern sich auch für die Swiss engagiert und 300 Millionen Franken investiert. Der Flughafen ist von den alten Seilschaften schon auf ein gigantisches Fehlkonzept der Swissair ausgerichtet worden. Und nun noch das Abenteuer Swiss. Dabei ist es doch wirtschaftlich ganz einfach: Wenn eine Swiss rentiert, dann gibt es eine - allenfalls redimensionierte -, und wenn eine Swiss nicht rentiert, dann braucht es keine, und sie wird vom Markt verschwinden. Zürich und auch der Bund sollen sich auf den Flughafen konzentrieren. Der Flughafen jedenfalls hat die Situation begriffen und vernünftig zu redimensionieren begonnen. Jeker: Da habe ich eine dezidiert andere Haltung. Das Lufttransportsystem als Ganzes ist für Zürich von höchster Bedeutung. Die 300 Millionen Franken, die Zürich einmalig in die Swiss investiert hat, hatten zum Ziel, einen optimalen Nutzen aus dem Flughafen zu gewinnen. Und es bleiben unter dem Strich immer noch die 1,2 Milliarden Franken Sozialkosten, die gespart werden konnten, weil nach dem Ende der Swissair die Swiss gegründet wurde. Ich investiere lieber in eine Chance, als den Löffel wegzuwerfen. Blocher: Der Fehler ist gemacht… Jeker: Es war kein Fehler. Blocher: …und ich frage einfach, was geschieht im Fall, wenn es die Swiss nicht schafft? Wenn das stimmt, was Herr Jeker behauptet, gäbe es nachher von Zürich aus keine Flugverbindungen mehr. Ich behaupte, dass andere private Gesellschaften die Lücke schliessen werden, wie sie ohne Abenteuer Swiss schon früher geschlossen worden wäre. Jeker: Andere Fluggesellschaften würden andere Prioritäten setzen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass jede Interkontinentalverbindung, die gestrichen wird, unseren Standort schwächt. Die exzellente Anbindung Zürichs dank dem Flughafen und der Swiss ist ein enormer Vorteil für den Wirtschaftsstandort Zürich. Schlechtere Verbindungen bedeuten für uns schlechtere Karten. Wenn ich so argumentiere wie Sie, Herr Blocher, kann ich gleich das Bankkundengeheimnis aufheben und sagen, der Markt wirds auch auf dem Finanzplatz richten. Blocher: Das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Das Bankkundengeheimnis ist der Schutz des Bankkunden durch den Staat - und das kann nur der Staat garantieren. Flugverbindungen hingegen sind keine staatlichen Aufgaben mehr. Aber es ist klar, wenn das deutsche Regime wie geplant kommt, werden das weder der Flughafen noch die Swiss überleben. Deshalb sage ich klipp und klar: Man müsste mit Deutschland viel klarer sprechen, einseitige Anordnungen ablehnen, die Verhandlungen über die bilateralen Abkommen mit der EU abbrechen und die Transitverkehrsregelungen zur Disposition stellen. Jeker: Ich unterstütze ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber Deutschland, aber ich halte fest: Wir wollen unsere Ziele über Verhandlungen erreichen. Der Flughafen hat gravierende Probleme, der Finanzplatz hat gravierende Probleme: Wird Ihr Büro im kommenden Winter noch geheizt werden können, Herr Jeker? Jeker: Selbstverständlich werden wir noch heizen können. Fragt sich, um beim Bild zu bleiben, bloss, ob wir im Büro eine Jacke anziehen oder wie bisher auch im Winter im kurzärmligen Hemd arbeiten können. Aber wir müssen mit allen Mitteln um unseren Standort kämpfen. Es ist zu einfach zu sagen, der Markt wird es schon richten. Wir müssen unsere Infrastruktur intakt halten und stellenweise verbessern - der Flughafen ist das Paradebeispiel dafür… Blocher: …wobei stets Ausgaben und Einnahmen im Gleichgewicht sein sollten. Da hat Zürich gesündigt… Jeker: Es geht doch um eine langfristige Betrachtungsweise. Blocher: …und es sündigt weiter. Einst war in Zürich die Rede davon, Zentren wie München oder Stuttgart ein- oder gar zu überholen. Heute ist der Rückstand grösser geworden. Weshalb ist Zürich auf der schiefen Ebene, weshalb kommen nicht mehr Direktinvestitionen? Jeker: Ich muss auf die klassische Arbeitsteilung zwischen Politik und Wirtschaft verweisen: Es ist immer noch die Wirtschaft, die die Wirtschaft betreibt. Die Strukturbereinigungen, die anstehen, müssen endlich konsequent umgesetzt werden. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen zu gestalten. Blocher: Eben! Da gibt es noch viel zu tun. Unternehmen kommen in die Schweiz, wenn die Situation in den Bereichen Steuern und Bürokratismus stimmt. Die Infrastruktur wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Und hier haben wir doch eindeutige Probleme, beispielsweise beim privaten Verkehr, der täglich zusammenbricht. Wir leisten uns zwar den Luxus des ständigen Ausbaus der öffentlichen Verkehrsmittel, doch für den privaten Verkehr wird vergleichsweise wenig gemacht. Jeker: Es stimmt, dass die Umfahrung Zürichs Verzögerungen erfahren hat. Aber wenn wir den öffentlichen Verkehr nicht so gut ausgebaut hätten - Stichwort S-Bahn -, dann möchte ich lieber nicht wissen, wo wir heute stehen würden. Sie sagen, Herr Blocher, was die Politik unternehmen sollte. Was müssen die Unternehmen tun? Blocher: Gute Unternehmen entstehen an Orten mit guten Bedingungen. Schlechte Unternehmen sterben. Es gilt zu berücksichtigen, dass die derzeit im Gang befindliche Redimensionierung nicht nur ein Zeichen der Krise ist, sondern zumindest teilweise auch mit dem Verschwinden einer Blase zu tun hat, die nie eine Daseinsberechtigung hatte. Die Swissair war Grössenwahn, das Allfinanz- und Globalisierungsgetue der Banken war Grössenwahn - das verschwindet jetzt halt wieder. Unter dem Druck der Rezession finden wir wieder zu Qualität und Bescheidenheit zurück - das hat auch sein Gutes. Ein wichtiger Standortfaktor ist die Qualität des Schulwesens. Wie steht es damit in der Region Zürich? Blocher: In seiner Zeit als Regierungsrat hat Ernst Buschor eine Politik der Versuche, einen Aktivismus verfolgt, der letztlich zu Nivellierung und Qualitätsabbau führte. Wir brauchen aber in der Wirtschaft das Gegenteil. Wir dürfen uns nicht am Durchschnitt in Europa orientieren, sondern müssen zu den Besten gehören. Jeker: Ganz klar, wir brauchen hervorragende Ausbildungsstätten. Ganz klar, Leistung darf nicht als etwas Negatives betrachtet werden. Und ganz klar: Es braucht neben guten öffentlichen auch mehr internationale private Schulen. Hier liegt einiges brach. Rahmenbedingungen, Verkehr, Schulen... das klingt nach Langfristmassnahmen. Doch die Probleme sind jetzt da. Hat man geschlafen? Jeker: Nein. Das dringend nötige Grossprojekt Durchgangsbahnhof Zürich beispielsweise startete vor mehr als fünf Jahren, auch im Bereich des Verkehrs kommen langfristig geplante Projekte jetzt zum Tragen. Ich halte nichts von der Unterscheidung zwischen antizyklischem und zyklischem Verhalten. Im Infrastrukturbereich muss man immer aktiv sein - und das sind wir. Blocher: Ich glaube vielmehr, dass es in Zürich zu lange zu gut gegangen ist und deshalb Weichen nicht rechtzeitig gestellt worden sind. Das gilt insbesondere für die Banken und Versicherungen, denen der Erfolg in den Kopf gestiegen ist. Und das gilt auch für den Kanton Zürich, der zu lange zu wenig tat, um den Wirtschaftsplatz attraktiv zu erhalten. Wo steht Zürich in fünf Jahren, Herr Jeker? Jeker: Wir werden noch sehr schwierige Zeiten durchleben. Ich bin aber überzeugt, dass es uns gelingt, dass am Ende die Wirtschaft ihre Stärken wieder ausspielen und der Staat seine strukturellen Schwächen beseitigen kann. Zürich bleibt weiterhin ein starker Wirtschaftsstandort in Europa - auch in fünf Jahren.

17.07.2003

Wie unsozial darf der Sozialstaat sein?

Mein Artikel in der "Weltwoche" vom 17. Juli 2003 Der Missbrauch der Invalidenversicherung habe in unserem Land beängstigende Ausmasse angenommen, meint Christoph Blocher. Versicherungsbetrug gehöre zur Tagesordnung. Von Christoph Blocher Ärzte, Psychologen, Anwälte, Unternehmer, Journalisten, Politiker, die Ämter, die Soziallobby, alle wissen es: Die Scheininvalidität ist zu einem gravierenden Problem geworden. Doch öffentlich darüber reden? Lieber nicht. Aus falscher Rücksicht. Aus Feigheit. Aus Eigennutz. Aus Bequemlichkeit. Waren 1990 noch rund 160000 Personen IV-Bezüger, sind es 2002 schon knapp 260000. Der Anteil der IV-Renten ist auch im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung rasant angestiegen: Seit 1990 um über fünfzig Prozent. Entsprechend düster sehen die Finanzen aus. Kostete die Invalidenversicherung 1990 noch etwa vier Milliarden Franken, sind es heute bereits zehn Milliarden pro Jahr. Gemäss den zuständigen Ämtern in Bern sollen die Kosten weiterhin um jährlich fünf bis acht Prozent steigen. Das heisst für 2010 IV-Kosten in Höhe von zwanzig Milliarden Franken, für 2020 vierzig Milliarden Franken, sofern nicht Einhalt geboten wird. In den letzten Wochen erreichten mich zahlreiche Briefe von Ärzten, Juristen, Sozialstellen und Privatleuten, die das Missbrauchspotenzial der gegenwärtigen Invalidenversicherung belegen. Ein Anwalt schreibt: «Es gibt nichts Besseres, als ein Mandat im IV-Bereich zu haben. Wird für eine IV-Rente gekämpft, werden die Anwaltsrechnungen – und erst noch grosszügig – durch die IV bezahlt.» Dies gilt ebenso für die zahlreichen Gutachten, Expertisen, Sonderabklärungen und Spezialbehandlungen. Die Losung heisst: zum Nulltarif durch die Instanzen. Wer eine Rente will, bekommt sie auch Ein empörter Unternehmer berichtet von einem jugoslawischen Mitarbeiter (Jahrgang 1960), der am 30. November 1993 seine Firma verlassen habe. Im Jahr 2002 wird ihm mitgeteilt, der ehemalige Mitarbeiter habe nun eine hundertprozentige IV-Rente erhalten, rückwirkend auf den 1. Juli 2001. Kurz darauf macht der Mitarbeiter geltend, dass er eigentlich seit Januar 1994 invalid sei, aber den Antrag aus verschiedenen Gründen nicht gestellt habe. Die AHV/IV versucht darauf, die Pensionskasse des damaligen Arbeitgebers finanziell haftbar zu machen. In einer Dissertation der Universitätspoliklinik Zürich wurde schon vor Jahren die Anerkennungsquote «psychogener Invalidität» erforscht. Bei den 31 untersuchten Fällen empfahlen die Psychiater lediglich sieben Vollrenten und eine Halbrente. Schliesslich erkämpften sich 23 Personen eine volle Rente und vier eine Halbrente. Originalton des Autors Hans R. Früh: «Es zeigt sich eine imponierende Durchsetzungsfähigkeit der Patienten, die ja schliesslich alle eine Vollrente wollten.» Fazit: Wer unbedingt eine Rente will, bekommt sie auch. Es ist ein offenes Geheimnis, dass vor allem grosse Gemeinden geradezu darauf spezialisiert sind, betreuungsintensive Sozialfälle in die Invalidität zu «entsorgen». Hauseigene Sozialexperten weisen den Weg, wie etwa der Psychiatrisch-psychologische Dienst der Stadt Zürich. Dieser erstellt IV/Suva-Gutachten «für Patienten und Patientinnen, die seit langem chronisch krank unerkannt dahingelebt hatten». Es braucht offenbar städtische Angestellte, die den Mitmenschen beibringen, dass es ihnen krankheitsbedingt so schlecht geht, dass belastende Fürsorgefälle in IV-Fälle umgewandelt und damit die Kosten elegant abgewälzt werden können. Solche Amtsanstrengungen zielen besonders häufig auf Drogensüchtige, entlassene Strafgefangene und Kriegsgeschädigte aus Ex-Jugoslawien. Auch andere Institutionen und Firmen sehen in der IV ein praktisches Auffanglager für Probleme aller Art. Das ist zynisch und gegen den eigentlichen Sinn der Invalidenversi-cherung gerichtet. Nicht selten schieben Unternehmen überzählige Mitarbeiter ganz einfach in die Invalidenversicherung ab. Gerade staatliche Regiebetriebe, wie etwa die SBB, betreiben ihre Personal- und Pensionierungspolitik auf Kosten der arbeitenden Allgemeinheit. 2002 erreichten bei den SBB von total 586 Pensionierten nur gerade 28 Personen das ordentliche Rentenalter von 65 Jahren. Dafür wurden beinahe vierzig Prozent (!) im Durchschnittsalter von 51 Jahren als Invalide frühpensioniert. Da muss sich jeder dumm vorkommen, der bis 65 arbeitet und solche Missbräuche noch mit zusätzlichen Steuern und Lohnabzügen querfinanzieren muss. Wie selbstverständlich diese Abschiebepraxis geworden ist, zeigt folgendes Beispiel: Im Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates über die SBB vom 18. November 1999 steht vieldeutig: «Gemäss Atag Ernst & Young AG ist die Tendenz zu beobachten, dass ein Teil der vom Arbeitgeber initiierten vorzeitigen Pensionierungen durch ‹Invaliditätsfälle› gelöst wird. Dies ist aus Sicht des Arbeitgebers interessant, führt aber auf Seiten der Pensionskasse zu nicht budgetierten und versicherungstechnischen Verlusten.» Auf gut Deutsch: Hier ist ein Versicherungsbetrug im Gange, und niemand schreitet ein. Er gehört anscheinend zur Tagesordnung. Nicht nachweisbare Krankheiten Die Zusammensetzung der Invaliden zeigt, dass immer mehr psychische Ursachen (bereits 39 Prozent) eine IV-Rente nach sich ziehen. Eine Vielzahl neuer psychiatrischer Krankheitsbilder («Schmerzsyndrom», «psychosoziale Depression», «Entwurzelungssyndrom», «Kriegstrauma» etc.) oder Erkrankungen an Muskeln und Bewegungsorganen («Rückenschmerzen», «Schleudertrauma») dienen als kaum überprüfbarer Einstieg zur Invalidität. In manchen Spitälern gibt es ganze Abteilungen, die sich auf das diffuse Gebiet der Psychosomatik spezialisiert haben. Die Universitätsklinik Zürich etwa listet «Risikofaktoren für eine Schmerzkarriere» auf. Eine Auswahl: «niedriger Sozialstatus», «geringe Arbeitszufriedenheit», «psychische und soziale Schwierigkeiten», «eine belastende Kindheit», «mangelhafte emotionale Beziehung», «geringe Ge- borgenheit», «häufiger Streit im Elternhaus oder Scheidung». Das sind alles bedauernswerte Umstände. Aber wohin führt das, wenn jede Belastung im Leben zum medizinischen Problem wird? Am Ende wird die ganze Bevölkerung für spitalreif erklärt. Der rasante Anstieg der Invalidität ist auch eine Folge des neuen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) von 1994. Die SVP hat diese kostentreibende Revision als einzige Bundesratspartei bekämpft. Heute beeinflusst der Anbieter (Arzt) die Nachfrage (medizinische Leistung); sicher zum Wohl der Patienten, aber auch im eigenen Interesse. Auffällig ist, dass Gebiete mit hoher Ärztedichte eine weit höhere Invaliditätsrate aufweisen als solche mit niedriger Dichte. Hier wird offenbar ein Ärztekarussell angestossen, bis sich der entsprechend «verständnisvolle» Gutachter findet. Mit weitreichenden Folgen: Statt dass die (Wieder-)Eingliederung in die Arbeitswelt betrieben wird, führt die unerschöpfliche, rein medizinische Ursachenforschung zu einer rentenbeanspruchenden Haltung. Die IV wird zum Sammelbecken sozialer Schwächefälle aller Art. Was, wie Professor Erwin Murer von der Universität Freiburg ausführt, weder «sozial» noch «moralisch gut» ist: «Die Berentung muss Ultima Ratio sein – Eingliederung vor Rente!» Die auf diese Weise in die Invalidenversicherung ab-geschobenen Kosten veranschlagt Murer auf zwei bis vier Milliarden Franken. In den letzten Jahren ging fast jede zweite neu gesprochene IV-Rente an einen Nichtschweizer. Bereits heute werden Zehntausende von Renten ins Ausland bezahlt. In gewissen Ländern ist das allgemeine Lohn- und Preisniveau so tief, dass jemand mit der Schweizer Mindestrente das x-fache eines ortsüblichen Monatseinkommens erhält. Das ist eine verführerische Konstellation, zumal die Kontrolle in den jeweiligen Staaten kaum gewährleistet ist. Selbst die NZZ zitiert Ärzte und IV-Verantwortliche dahin gehend, dass «Angehörige zweier Nationalitäten» auffallend häufig eine IV-Rente beanspruchen würden. Um welche Nationalitäten es sich dabei handelt, wurde – politisch korrekt, feige wie immer – verschwiegen. Ein ehemaliger Leiter für Berufserprobungen bei der Suva sieht die Entwicklung grundsätzlicher: «Am Anfang hatten wir siebzig Prozent berufsgelernte Schweizer abzuklären. Am Schluss, nach 15 Jahren, waren es siebzig Prozent Ausländer. Da habe ich an der ganzen Geschichte zu zweifeln begonnen.» Unqualifizierte, «bildungsferne» Immigranten (viele davon mit Asylstatus oder Illegale) strapazieren nicht nur die schweizerische Fürsorge, die Arbeitslosenkasse, das Bildungswesen und die Justiz, sie landen auch überproportional häufig in der IV. Lukrative Sozialindustrie Ursprünglich wurde die Invalidenversicherung geschaffen, um Behinderte wieder einzugliedern und ihnen ein Existenzminimum zu sichern. Mittlerweile fliessen zehn Milliarden Franken pro Jahr in den IV-Trog. Davon gehen weit über drei Milliarden an Einrichtungen, Organisationen und individuelle Massnahmen. An diesen drei Milliarden hängen gewaltige Interessen. Deshalb kann es nicht verwundern, dass dieser «gemeinnützige» Filz manchen Fürsprecher in Parlamenten, Institutionen und in der Verwaltung findet. «Soziale» Interessen lassen sich eben besonders weihevoll vertreten. Dabei sind es allzu oft die vehementesten Verteidiger des Sozialstaates, die persönlich von diesen Geldern profitieren. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die Milliardenbeträge für das Gesundheits- und Asylwesen. Unser Sozialstaat ist darum schon lange nicht mehr sozial und längst nicht mehr nur auf schwache Randgruppen und Bedürftige ausgerichtet. Er ist vielmehr unter dem Mantel der mitmenschlichen Hilfe und Nächstenliebe zu einem Umverteilungsstaat geworden, mit dem Ziel, das von Privaten erarbeitete Geld zugunsten einer durchorganisierten Staats- und Hilfsorganisationenelite samt ihrer Klientel zu verteilen. Zurück zur Verantwortung Wir haben es beim Sozialmissbrauch mit einem Konglomerat von Faktoren und Ursahen zu tun: renitente Scheininvalide, ein missglücktes KVG, eine gierige Soziallobby, überforderte Mediziner, wachsende Anforderungen vom Arbeitsmarkt, zu späte Massnahmen zur Wiedereingliederung, Psychologisierung der Gesellschaft, eine verfehlte Zuwanderungspolitik und nicht zuletzt der Ausbau der Schweiz zum sozialistischen Umverteilungsstaat. Dieser gefährdet unsere Volkswirtschaft, zerstört produktive Arbeitsplätze, bedroht den allgemeinen Wohlstand und verhindert echte Für- und Vorsorge. Ausser der SVP wollen alle anderen Parteien die Probleme durch immer neue Zwangsabgaben finanzieren und vor den Missbräuchen die Augen verschliessen. Sie setzen damit völlig falsche Signale. Es darf nicht sein, dass der verantwortungsbewusste Bürger für politisches Versagen zur Kasse gebeten wird. Allein in diesem Jahr beschloss das Parlament für die AHV, IV und Mutterschaftsversicherung zusätzliche 4,8 Milliarden Franken Zwangsabgaben. Für eine vierköpfige Familie bedeutet das im Durchschnitt 2600 Franken Mehrabgaben an den Staat pro Jahr. Ist das sozial? Was wir brauchen, ist ein Systemwechsel. Unser Sozialstaat begünstigt den Nutzniesser und bestraft die verantwortungs-bewussten Bürger, die für sich selbst sorgen und arbeiten. Darum gehört die Verantwortung gegenüber sich selbst und gegenüber der Gesellschaft wieder in den Mittelpunkt unserer Sozialpolitik. Christoph Blocher, 62, Unternehmer, seit 1977 Präsident der SVP des Kantons Zürich und seit 1979 Nationalrat.