Testi
Personale
04.07.1999
27.06.1999
«Selbst wenn ich schweige, bin ich ein Thema»
Christoph Blocher über Macht, politische Gegner und seine Auseinandersetzung mit Bundesrat Couchepin Interview mit der Sonntagszeitung vom 27. Juni 1999Von Othmar von Matt Herr Blocher, fehlen Ihnen heute die politischen Gegenspieler? Christoph Blocher: Meine Gegenspieler sind diejenigen, die eine falsche Politik betreiben. Und auch wenn sie ihre Politik nicht mehr begründen können, machen sie trotzdem eine falsche Politik. Es fehlt doch jemand wie Peter Bodenmann, der Sie dezidiert herausfordert. Blocher: So gesehen gebe ich Ihnen Recht. Ich habe bald keine namhaften politischen Gegner mehr. Früher tat dies Helmut Hubacher. Peter Bodenmann ist im Wallis verschwunden, Elmar Ledergerber im Zürcher Stadtrat. Und Franz Jaeger verkündet heute aus der Hochschule gute Wirtschaftspolitik. Freut Sie das? Blocher: Mehr würde mich eine gute Politik freuen. Aber auch ohne namhafte Gegenspieler kommen Steuererhöhungen, Asylmissbrauch und zu viele Regulierungen zu Stande. Ein gutes Zeichen ist allerdings, dass die Bevölkerung langsam genug hat von dieser Politik. Politik lebt allerdings von Gegensätzen. Und ich bin froh, wenn die Gegner antreten. Wie Ursula Koch? Blocher: Ich bin zweimal gegen Frau Koch angetreten. In der ersten "Arena" beschränkte sie sich auf das Pöbeln. Pöbeln war ihr politisches Programm, bis ihr die Werbeleute davon abgeraten haben. In der zweiten Sendung bemerkte ich, dass Frau Koch überhaupt kein Konzept hat. Nicht einmal ein falsches. Und wie steht es mit Franz Steinegger? Blocher: Die Freisinnigen sind nicht unsere Gegner. Im Moment weiss ich allerdings nicht, ob Steinegger eine Partei vertreten muss, welche die Orientierung verloren hat. Oder ob ihm selber die Orientierung abhanden gekommen ist. Dezidiert geäussert hat sich in den letzten Tagen Volkswirtschaftsminister Pascal Couchepin. Ist er Ihr neuer Gegenspieler? Blocher: Bisher war Herr Couchepin nie mein Gegenspieler, er war politisch ein Mann ohne Meinung. Aber wenn er jetzt als Bundesrat den Gegenpart spielen will, soll er das tun. Ich bin gerne bereit, den Ball aufzunehmen. Seine Reaktionen verraten jedoch höchste Nervosität. Couchepin äusserte sich über Ihre Rolle im Zusammenhang mit der Initiative, die fordert, dass Volksinitiativen in sechs Monaten vors Volk kommen müssten. Blocher: Er hat auf ein harmloses Inserat zur Initiative, die ich gutheisse, reagiert. Wenn er nun davon spricht, Blocher sei mit seiner wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Tätigkeit ein ganz gefährlicher Mann, so zeigt dies seine bedenkliche demokratische Gesinnung. Er fühlt sich in seiner Macht bedroht. Aufs Höchste besorgt ist allerdings auch der Gesamtbundesrat. "Die Initiative führt die direkte Demokratie ad absurdum und stellt die politische Kultur der Schweiz in Frage", sagt er in einer Erklärung. Blocher: Das ist lächerlich. Es ist Tatsache, dass Volksinitiativen relativ lange in Bern "herumgeteiggt" werden. Ein Volksbegehren soll rasch zur Abstimmung gebracht werden. Es ist gar nicht nötig, dass Bundesrat und Parlament dazu Vorschlag und Gegenvorschlag machen müssen. Gemäss der Volksinitiative müssen Bundesrat und Parlament keine Stellung nehmen. Aber sie dürfen es selbstverständlich. Überrascht Sie die heftige Reaktion? Blocher: Ich hätte nie erwartet, dass sich der Gesamtbundesrat dazu hinreissen lässt. Damit schiesst er ein Eigentor, denn seine Reaktion gibt der Initiative riesigen Auftrieb. Irgendwie ist es unheimlich: Wo immer in der politischen Schweiz von heute etwas geschieht, taucht Ihr Name auf. Blocher: Das tut mir leid. Selbst wenn ich schweige, bin ich offenbar ein Thema? Schritt für Schritt bauen Sie Ihre Macht aus. Wann haben Sie Ihr Ziel erreicht, die Macht in der Schweiz zu übernehmen? Blocher: Ein solches Ziel verfolge ich nicht. Die Schweizer sind demokratisch, und darum wird in diesem Land nie jemand die Macht übernehmen. Ich muss wieder einmal darauf zurückkommen, was ich eigentlich tue: Erstens bin ich erfolgreicher Unternehmer. Mein Weg dazu ist transparent nachzuvollziehen, und das gibt Neider. Zweitens bin ich Politiker und vertrete seit Jahren konsequent meine Meinung. Was soll daran suspekt sein? Die Ballung wirtschaftlicher, politischer und finanzieller Macht - verbunden mit der Tendenz zu einfachen Antworten, wie Bundesrat Couchepin sagt. Blocher: Ich gebe mir grosse Mühe, einfach zu reden. Was soll daran gefährlich sein? Im Gegensatz zu Herrn Couchepin besitze ich keine Macht. Keine institutionelle Macht. Blocher: Ihm stehen Steuergelder und eine Verwaltung zur Verfügung. Seit dem Wahlerfolg der Zürcher SVP im April reagiert die Classe politique nervös und empfindlich. Sobald jemand ein bisschen aus dem Durchschnitt herausragt, versuchen ihn die Tonangebenden zu köpfen. Diese Tendenz lässt sich in der Schweizer Geschichte immer wieder beobachten. Ihr Understatement ist bemerkenswert. Sie verfügen über beträchtliche Macht. Blocher: Ich bin mir dieser Macht gar nicht bewusst. Was ist denn diese Macht? Sie haben sich eine Holding aufgebaut: mit Auns, SVP, "Schweizerzeit". Eine Holding, die Sie gezielt einsetzen und finanziell so massiv unterstützen, wie dies keiner anderen Partei möglich wäre. Blocher: In die Auns stecke ich kein Geld, sondern einen Teil meiner Arbeitskraft. Auch in die "Schweizerzeit" investiere ich kein Geld. Bei der Gründung habe ich zwei Aktien zu je tausend Franken gezeichnet. Auch an die Schweizer SVP zahle ich nur ordentliche Beiträge, genauso wie an die Zürcher SVP. Denn die Partei darf finanziell nicht von mir abhängig werden. Doch es gibt Abstimmungskampagnen und generelle Kampagnen, die ich gezielt unterstütze. Wie viel investieren Sie in Kampagnen? Blocher: Im Schnitt ein paar Hunderttausend Franken pro Jahr. In der EWR-Abstimmung waren es 1,5 Millionen. Bei den Wirtschaftsverbänden befürchtet man, Sie übernähmen die Macht. Blocher: Das höre ich aus den Verbänden ebenfalls. Ich will dort weder eine leitende Stellung einnehmen, noch habe ich die Zeit dazu. Hingegen fordere ich als Unternehmer seit langem, dass die Verbände eine konsequente Wirtschaftspolitik betreiben: eine gute Ordnungspolitik. Nur drang ich mit dieser Forderung bisher nicht durch. Neu ist, dass zahlreiche - auch grosse - Schweizer Unternehmen ebenfalls diese Meinung vertreten. Dennoch kam der Verdacht auf, Sie steckten hinter der Fusionsforderung. Blocher: Die Idee der Fusion stammt nicht von mir. Und ich bin nicht einmal sicher, ob sie eine wesentliche Verbesserung bringt. Die Bemühungen kommen aus der Maschinenindustrie und der Chemie, aber auch aus anderen Branchen. Immerhin soll Ihnen das Vorort-Präsidium angeboten worden sein. Blocher: Davon weiss ich nichts. Präsident werden Sie also nie? Blocher: Käme ein solches Angebot, müsste ich sagen: Es tut mir Leid. Das kann ich nicht auch noch machen. Denn ich müsste entweder die Politik oder das Unternehmen aufgeben. Beides kommt für mich im Moment nicht in Frage. Wenn Sie die Schweiz nach Ihrem Gusto gestalten könnten: Wie sähe sie aus? Blocher: Zunächst einmal: Ich möchte keine Schweiz, die ich gestalten könnte. Ich möchte eine sehr demokratische Schweiz, in der die wesentlichen Entscheide bei der Bevölkerung liegen. Und inhaltlich? Blocher: Was würde ich dem Volk zur Abstimmung unterbreiten? Vorlagen, welche die traditionellen Stärken der Schweiz betonen: jene der souveränen, der neutralen Schweiz. Einer Schweiz, welche die dauernde Neutralität nach aussen hin stärkt, die in freundschaftlicher Beziehung zu allen Ländern dieser Welt lebt - wirtschaftlich, kulturell, politisch. Es dürfte allerdings keinerlei Einbindungen in eine fremde Macht geben, damit die Schweiz ihr Schicksal als Kleinstaat eigenständig bestimmen kann. Und innenpolitisch? Blocher: Ich bin für eine liberale Politik. Die Menschen in diesem Land sollen - bei Vollbeschäftigung - ihren Verdienst nicht der Umverteilung preisgeben. Es ist ein Staat von eigenverantwortlichen Bürgern. Der Staat sorgt für jene, die nicht für sich selber sorgen können. Mit dieser Stossrichtung ginge es den Schweizerinnen und Schweizern auch in Zukunft gut. Je zahlreicher die Länder in der Globalisierung Massenkonstruktionen suchen, desto grösser sind unsere Chancen. Sie wollten eine Thatcher-Schweiz, in welcher der Staat keine Rolle mehr spielt, die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, wirft Ihnen die SP vor. Blocher: Es ist heute eine Tatsache, dass eine niedrige Staatsquote die entscheidende Grösse für Vollbeschäftigung und einen konkurrenzfähigen Standort ist. Und die Reformen von Frau Thatcher waren nötig, um England aus einer tiefen Krise zu holen. Sie musste dafür zuerst die allmächtigen Gewerkschaften brechen. Herr Blair tut doch jetzt nichts anderes, als ihre Politik fortzusetzen. Verfolgen Sie in der Schweiz ein ähnliches Ziel? Die Gewerkschaften zu brechen? Blocher: Nein. In England hatten die Gewerkschaften eine unglaubliche Macht. Das ist bei uns nicht so. Der Staat hat grundsätzlich nicht zu bestimmen, ob es Gewerkschaften gibt oder nicht. Wie wichtig ist Ihnen der soziale Friede? Er droht zu zerbrechen. Blocher: Das glaube ich nicht. Der soziale Friede ist das Ergebnis des Ausdiskutierens von Standpunkten. Heute weiss bei Kompromissen aber niemand mehr, zwischen welchen Positionen sie entstanden sind. "Wir sind nicht mehr bereit, Kompromisse nach links zu machen - nur weil man gerne Kompromisse hat", sagten Sie nach dem Wahlsieg in Zürich. Stehen Sie tatsächlich für Ausdiskutieren ein? Blocher: Absolut. Ich habe noch nie eine Einladung zu einer Diskussion abgelehnt. Wenn es letztlich nach Ihrem Willen geht? Blocher: Dass sich ein Politiker für seine Ansichten einsetzt, ist seine Aufgabe. In zentralen Dingen kämpfe ich, bis der letzte Entscheid gefallen ist. Ist er aber gefallen, halte ich mich daran. Christoph Blocher ganz ungefährlich? Blocher: Gefährlich nur für jene, die nicht ertragen, dass es Menschen gibt, die ihre Meinung unerschrocken vertreten.
07.05.1999
Unsere vier Kinder sind auf der richtigen Spur
Interview mit CASH vom 7. Mai 1999 Christoph Blocher über seine Nachfolge bei der Ems-Chemie, seine Bücher schreibenden Geschwister und über die erste Pflicht der Politik, Nein zu sagen Christoph Blocher startet mit neuem Schub in die Spätphase seiner Karriere. CASH sprach mit ihm über seine Familie, die Nachfolge bei der Führung der Ems-Chemie, über seine Wirtschaftspolitik und über Antisemitismus. Interview: Markus Gisler, André Kienzle Herr Blocher, Sie werden nächstes Jahr sechzig Jahre alt. Wie lange bleiben Sie noch CEO der Ems-Chemie Holding? Christoph Blocher: Ich bin daran, über die Nachfolgeregelung nachzudenken. Was kommt dabei heraus? Blocher: Ich habe vier Kinder. Die Älteste, 29 Jahre alt, hatte ihr Ökonomiestudium vor vier Jahren abgeschlossen, arbeitete dann für die amerikanische Firma Johnson & Johnson und leitet heute das Marketing bei Rivella. Der Sohn, 28, schliesst demnächst seine Dissertation als ETH-Chemiker ab, verdient danach noch den Hauptmann ab und steigt dann ebenfalls in die Wirtschaft ein. Die jüngere Tochter, 24, steht vor dem Abschluss des ETH-Studiums, und die Jüngste, 22, studiert ebenfalls Ökonomie. Sie sehen: Unsere Kinder sind auf der richtigen Spur. Ob sie das Unternehmen auch führen können oder wollen, wird man in den nächsten zwei Jahren besser sehen. Wir spüren, Sie wollen Ihr Unternehmen in der Familie behalten. Blocher: Natürlich. Das geht wohl jedem Vater so. Erzwingen will ich nichts, aber wenn ich sehe, dass es geht, dann ja. Zumindest die Berufsrichtung meiner Kinder stimmt. Keines studiert Psychologie oder Altphilologie, keines sagt: "Nur ja nichts mit Wirtschaft zu tun haben!" Das wäre wohl ganz grässlich für Sie? Blocher: Gar nicht. Ich selber hätte sehr gerne gehabt, wenn ein Kind zum Beispiel Geschichte studiert hätte, aber dann könnte es nicht ins Unternehmen einsteigen. Jetzt ist alles möglich: alle vier Kinder oder nur eins oder zwei oder drei - oder gar keines. Nachfolgeregelungen sind ja vor allem auch Erbschaftsfragen. Blocher: Wenn ich heute sterben würde, müsste die Familie 180 Millionen Franken Erbschaftssteuern bezahlen. Das könnte sie gar nicht, ohne einen Teil des Unternehmens zu verkaufen. Deshalb muss ich eine klare Lösung finden. Wenn die Kinder alle nicht in Frage kommen - was sein kann - , dann lautet die Frage: Behält man die Mehrheit des Unternehmens in der Familie und ein Dritter führt es, oder müsste - was ich nicht möchte - das Unternehmen verkauft werden. Diese Themen diskutieren Sie auch mit Ihren Kindern. Was sagen sie dazu? Blocher: Wir haben keinerlei Hemmungen, über die Nachfolgefrage zu reden. Bis jetzt war der Tenor immer: Hör zu, Vater, wir sind selbst wer. So haben wir sie auch erzogen, nach Selbstverantwortungsprinzipien. Keines erhält ein Auto, bis es selber verdienen kann. Mein Sohn musste bis 27 darauf verzichten. Zahlen Sie ihm wenigstens die Ausbildung? Blocher: Seit er Halbtagsassistent ist, zahlt er alles selber. Nicht, dass ich geizig wäre, ich sagte meinen Kindern aber immer: Man muss das Leben selber gestalten, ich sorge für eure Ausbildung bis zum Abschluss, ohne Luxus, nachher steht ihr auf euren eigenen Beinen. Stolz und unabhängig von mir. Aber wenn Sie morgen unter das sprichwörtliche Tram kämen - was wir Ihnen natürlich nicht wünschen - was wäre dann? Blocher: Dafür ist gesorgt. Dann läuft die Ems-Chemie makellos ein bis zwei Jahre weiter. In dieser Zeit muss eine Lösung getroffen werden. Mein VR-Ausschuss muss dieses Szenario nur aus der Schublade herausziehen. Wir folgern daraus: Blocher bleibt auf absehbare Zeit CEO der Ems-Chemie. Blocher: Ja. Mir geht es gesundheitlich gut, und ich habe noch genügend Kraft. Aber in den nächsten paar Jahren muss die Nachfolge geregelt werden - doch Sie sehen ja, in der Familie reift es schon. Haben Ihre Kinder eigentlich die gleiche politische Sicht wie der Vater? Blocher: In den grundsätzlichen politischen Fragen haben wir keinerlei Differenzen. Wobei ich keinen Druck ausübe. Es gibt Fragen, in denen wir nicht übereinstimmen. Während des Studiums waren die beiden Älteren ziemlich grosszügig, was staatliche Ausgaben angeht. Seit sie verdienen, sind sie sehr auf meiner Linie. Auf jeden Fall sind alle vier gegen den EU-Beitritt, was mich freut. Ich habe keinerlei Probleme mit den Kindern, keines ist bei den Sozialdemokraten gelandet - bis jetzt (lacht). Wenn Sie weiterhin als Ems-Konzernchef amten, bleibt Ihnen wohl keine Zeit, um Ihre Memoiren zu schreiben. Blocher: Das ist auch gut so. Bald alle Ihre Geschwister haben ein Buch geschrieben - nur Sie nicht, obschon im Grunde nur Sie der Inhalt sind. Blocher: Kürzlich war ein grosser deutscher Verlag bei mir und bat mich, meine Memoiren zu schreiben. Ich sagte: "Hört mir bloss auf mit dem 'Chabis'." Bevor jemand nicht hundert Jahre tot ist, lässt sich gar nicht beurteilen, ob ein Lebenswerk überhaupt von geschichtlichem Wert war. Wie beurteilen Sie diese literarische Vergangenheitsbewältigung Ihrer Geschwister? Blocher: Meine zehn Schwestern und Brüder sind sehr verschieden. Das neueste Buch von meiner ältesten Schwester (der Sozialarbeiterin Judith Giovannelli-Blocher, die Red.) fand ich interessant. Ich habe mein Elternhaus aber nicht so erlebt wie sie. Wie blicken Sie zurück auf Ihre Jugend? Blocher: Ich bin acht Jahre jünger - in der Jugend ein riesiger Unterschied. In meiner Erinnerung bin ich in einem sehr fröhlichen Elternhaus aufgewachsen. Weil wir so viele Kinder waren, gingen wir absolut frei von Überbetreuung durchs Leben. Als kleiner Junge wurde ich morgens vor die Türe gestellt und war mir selber überlassen. Wir trieben einen Haufen Schabernack. Ich konnte auch einen völlig unkonventionellen Lebensweg einschlagen, zuerst Bauer werden, dann studieren. Meine Schwester dagegen hatte ihr Leben lang das Gefühl, als Frau sei sie zu kurz gekommen. Sie sagt, der Vater hätte ein Mädchen nie studieren lassen. Dabei studierte eine Schwester Theologie und wurde Pfarrerin, eine andere machte die Mittelschule und wurde Lehrerin, eine absolvierte die A-Matur und wandte sich der Kunstgeschichte zu. Dieser Vater steigt aus allen Büchern als strenge, protestantisch-trockene Figur auf. Wie sehen Sie sich im Vergleich zu Ihrem Vater? Blocher: Mein Vater, ein Calvinist, war ein strenger Mann. Er war ein Freund von Karl Barth (dem Anführer des Kirchenkampfes gegen die Nationalsozialisten in Deutschland, die Red.). Die Theologie war ihm wichtig. Innerlich hat er wohl sein Leben lang darunter gelitten, dass er Pfarrer sein musste, denn er hatte sehr viele andere Interessen. Aber - und das finde ich das Grossartige an ihm - er hielt bis zum Schluss durch und blieb seiner Sache treu. Er hatte eine klare eigene Meinung, war ein geistig vielseitig orientierter Mensch, gross und hager. Er war nicht von leichter Natur, hatte oft an den Dingen zu beissen. Schon sein Vater war Pfarrer gewesen, seine Mutter eine deutsche Professorentochter. Gleichen Sie nun eher dem Vater oder der Mutter? Blocher: Meine Mutter stammt aus gesundem Säuliämter Boden, aus einer Bauern- und Ziegelbrennerfamilie, sie war klein und rundlich - ziemlich genau das Gegenteil vom Vater. Die einen Geschwister gleichen eher dem Vater, die anderen mehr der Mutter. Sie gleichen wohl eher der Mutter. Blocher: Ja, wie auch mein Bruder, der Pfarrer ist und der zu reden gibt. Meine älteste Schwester und der andere Bruder, der das Buch "Mein Bruder Christoph" geschrieben hat, gleichen mehr dem Vater. Ihre Geschwister scheinen permanent mit ihrer Jugend zu hadern. Sie auch? Blocher: Gar nicht. Für mich ist das Elternhaus abgeschlossen. Doch wenn ich das Buch meiner Schwester lese, kämpft sie mit ihren 68 Jahren noch immer damit, wie es denn gewesen wäre, wenn sie anders erzogen worden wäre. Haben die Geschwister Blocher noch Kontakt unter sich? Blocher: Solange die Mutter noch lebte, immer wieder. Jetzt beschränkt sich der Kontakt auf diejenigen, die ähnlich denken. Die anderen kennen mich eigentlich nur noch aus der Zeitung. Aber die Familie ist Ihnen wichtig. Blocher: Ja, nur habe ich jetzt meine eigene. Was bedeuten Ihnen Freunde? Blocher: Ich habe wenige Freunde, aber gute. Es sind Leute, die an meinem Leben teilnehmen und ich an ihrem, nicht solche, die nur um mich herumschwirren und mir gratulieren, wenn ich die Wahlen gewonnen habe. Meine Freunde halten auch zu mir, wenn ich in der Tinte sitze. Viele würden wahrscheinlich staunen, wenn sie deren Namen wüssten. Vertreten diese Freunde andere politische Haltungen? Blocher: Es sind keine Leute aus dem politischen Vordergrund. Sie würden politisch wohl ganz anders eingestuft als ich. Auch ich habe ganz andere politische Stärken, als allgemein behauptet wird. Welche denn? Blocher: Es heisst immer, dass ich gut reden könne -einer, der so redet, dass ihn das Volk versteht - , und ich könne auf die Pauke hauen. Wollen Sie etwa behaupten, dass dies nicht stimmt? Blocher: All das ist absolut belanglos. Meine Stärke ist, dass ich ein klares Konzept für die politische Arbeit habe. Also genau das Gegenteil von dem, was alle sagen: "Der hat ja nur Schlagwörter." Schlagwörter sind bei mir das Ende, nicht der Anfang. Am Anfang stehen Szenarien, Analysen und viele Diskussionen über die richtige Richtung, viele Selbstzweifel und Sorgen. Das klingt nach Arbeit in Ausschüssen. Blocher: Ich bin nicht so sehr für institutionalisierte Abläufe. Lieber im Freundeskreis zusammenhokken, diskutieren und überlegen. Ich habe aus Studienzeiten viele Freunde, die im Hintergrund an politischen Fragen herumdenken. Ergo gibt es so etwas wie einen geheimen Ausschuss in der SVP! Blocher: Aber nicht in festen Ausschüssen, sondern in abendfüllenden Gesprächen und langen Telefonaten. So eine Albisgütli-Rede wird monatelang vorbereitet. Das Problem nicht institutioneller Abläufe heisst: Wer steuert sie? Blocher: Da kommt meine zweite Stärke: die Durchsetzung. Ich leiste jetzt seit 22 Jahren Knochenarbeit als Präsident der zürcherischen SVP. Ich sitze mit Fraktionen zusammen, streite, überzeuge, sage, wie man es machen sollte bis zum Befehl an die Ortssektionen runter: "Hängt mal die Plakate auf!" - Und wenn die Wahlen vorbei sind: "Jetzt hängt sie wieder ab." Ihre Devise lautet folglich: Wie in der Wirtschaft braucht es auch in der Politik einen Chef, und der sind Sie. Blocher: Ich bin es nicht allein, aber ich bin der Präsident, ich schaue dass ich einen Sekretär und Leute habe, die vorwärts machen, ich suche die richtigen Köpfe aus. Ich schaffe ein Klima, damit die Regierungsräte gewählt werden können, die fähig sind und nicht einfach nach dem Freundschafts- und Anciennitätsprinzip obenauf schwingen. Das ist meine Stärke. Nicht gut reden. Ich kann gar nicht gut reden. Sie führen die Partei wie Ihr Unternehmen. Beherrschen Sie sie auch wie Ihr Unternehmen? Blocher: Es gibt Leute, die sagen: Die SVP hat nur einen, den Blocher. Wer das sagt, hat keine Ahnung. Klar: Wenn einer vorne stark zieht, dann treten die anderen weniger in Erscheinung. Wir haben im Übrigen sehr gute Köpfe. Christoph Mörgeli hat mit seiner Vorrede vor dem Bundesrat am Ustertag in zehn Minuten alles in den Schatten gestellt. Der hat intellektuelle Substanz. Man sagt, er könnte Ihr Nachfolger sein. Blocher: Zum Beispiel. Dann Ruedi Ackeret, Ersatzbundesrichter und Präsident unserer Programmkommission - sein SVP-Programm stellt in der Substanz die Programme aller anderen Kantonalparteien in den Schatten. Und dann hat es halt auch Bauern und Gewerbler, die bringen ihre vernünftige Meinung ein und halten eine klare Linie durch. Es können nicht alle Chefnaturen sein, die vorne stehen, davon braucht es immer nur ein paar. Erhebt die SVP jetzt den Anspruch, die Wirtschaftspartei der Schweiz zu sein? Blocher: Ich stelle keinen solchen Anspruch. Mir wäre es am liebsten, wenn die SVP überflüssig würde, weil die anderen Parteien die richtige Politik vertreten, nämlich weniger Steuern, Abgaben, Gebühren, einen Staat, der dem Bürger weniger wegnimmt, in dem die Wirtschaft sich entwickeln kann, einen Staat mit weniger Gesetzen und Bürokratie. Parteien mit der Kraft, zu all den ungebührlichen Ansprüchen Nein zu sagen, die sich weigern, uns in den EU-Bürokratismus zu führen. Parteien, die sagen: Dieses drückende Asylproblem wird jetzt gelöst, statt nur immer zu begründen, warum man es nicht lösen könne. Wenn die anderen das endlich machen würden, wären wir ja überflüssig. Sind Sie primär Unternehmer oder Politiker? Blocher: Das Unternehmen muss vorgehen. Das entspricht meinem konservativen Wertbild. Der Mensch muss zuerst schauen, dass er für sich über die Runden kommt. Schafft er das, kann er auch für eine Familie sorgen. Schafft er etwas mehr, kann er als Unternehmer für ein Unternehmen sorgen, und wenn er noch Reserven hat, kann er daneben im Milizsystem für die Politik im Lande sorgen - dann ist es langsam fertig. Wenn ich im Unternehmen keine Ordnung mehr halten könnte, müsste ich aus der Politik aussteigen. Für viele Bürgerinnen und Bürger sind Sie der mächtigste Schweizer. Blocher: Ich empfinde dies nicht so, wobei ich zugebe, dass meine Unabhängigkeit als Unternehmer eine meiner Stärken ist. Ich darf immer sagen, was ich will, mir kann praktisch nichts passieren. Meine Kunden befinden sich vor allem im Ausland, die sagen nicht: Jetzt kaufen wir bei dem nichts mehr. Genau so funktioniert es aber in den CVP-Kantonen. Schert einer aus, werden ihm die Aufträge gestrichen. Ihre Gegner bezeichnen das nicht als Ihre Stärke, sondern als Schizophrenie. Der Politiker Blocher predigt den Alleingang gegen die EU, doch als Unternehmer ist er in Europa längstens integriert. Blocher: Das ist ein idiotisches Argument. Überlegen Sie mal: Ich habe doch nicht die geringste Mühe, in den USA 15 Prozent meines Umsatzes zu erzielen, ohne gleich zu fordern, die Schweiz müsse den Vereinigten Staaten beitreten. Ich bin überhaupt nicht für eine geschlossene, isolierte Schweiz - weder politisch, wirtschaftlich noch kulturell. Ich bin sehr froh, dass meine Kinder während der Schulzeit ihre Austauschjahre machten und in die Welt hinausgingen. Aber ich bin völlig dagegen, dass wir uns in ein Grossgebilde einbinden lassen, in dem wir unser Schicksal nicht mehr selber bestimmen können. Die Vereinigten Staaten von Amerika funktionieren einwandfrei. Warum sollte ein vereinigtes Europa als mächtiger Wirtschaftsblock nicht ebenso einwandfrei funktionieren? Blocher: Europa ist nicht gleich USA. Die Amerikaner haben nur eine Sprache und ziehen im Schnitt alle sechs Jahre um - die sind flexibel. Wenn im Silicon Valley Hochkonjunktur ist, ziehen sie nach Kalifornien, wenn es in Ohio gut läuft, zügeln sie dorthin. Aber dass die Deutschen wegen eines konjunkturellen Rückgangs nach Spanien umziehen - das können Sie vergessen. Das ist auch gar nicht nötig. Blocher: Es ist aber die ökonomische Idee: Wenn Europa eine Einheitswährung hat, unter der die Länder ihre Konjunkturen nicht mehr mit einer eigenen Geldpolitik steuern können, dann werden die Konjunkturunterschiede nur über den freien Personenverkehr ausgeglichen. Das funktioniert jedoch nicht. Der Europäer bleibt einfach in der Arbeitslosigkeit. Darum diese hohe Arbeitslosigkeit in Europa, das ist doch leicht zu begreifen. Die Europäer müssen nicht so mobil sein wie die Amerikaner, weil sie eine bessere Arbeitslosenversicherung haben. Wollen Sie etwa die ALV abbauen, um grössere Mobilität zu erzwingen? Blocher: Das ist politisch nicht durchsetzbar, auch wenn es Flexibilität erzeugen würde. Die Amerikaner haben es gemacht und die Fristen für den ALV-Bezug gekürzt. Doch ich sage nicht, was die EU tun oder lassen soll, sondern es geht mir um die Schweiz. Für die Schweiz wäre es falsch, in die EU zu gehen und der EU nützt es auch nichts, ausser dass dann noch ein weiteres Land EU-Beiträge bezahlt. Wird die SVP gegen die bilateralen Verträge das Referendum ergreifen? Blocher: Diese Frage ist im Herbst zu entscheiden. Ich halte die Verträge für schlecht. Die EU stellte sich auf den Standpunkt: Wenn die Schweiz künftig in die EU will, kann sie die Nachteile davon heute schon übernehmen. Und das hat man hier leichtfertig geschluckt. Ob man die Verträge deshalb aktiv bekämpfen soll, bleibt zu sehen. Denn die Frage ist ja, was denn die Konsequenz aus einem Volksnein zu den bilateralen Verträgen wäre. Ein Bundesrat würde deswegen in der Schweiz ja sicher nicht zurücktreten. Dann verhandeln einfach die Gleichen nochmals. Wenn sich Ihr jüngster Erfolgstrend in den Nationalratswahlen im Herbst fortsetzt, steht Bern ein Erdrutsch bevor. Blocher: Zuerst mal darf man diesen Wahlerfolg nicht überschätzen. Im Grunde genommen ist nichts passiert, ausser dass die SVP in fünf Kantonen einen Stimmenzuwachs erzielte. Das Ausmass ist wahrscheinlich einer glücklichen Konstellation zuzuschreiben. Vor allem der Kosovo-Krieg hat unsere Asylpolitik, das Festhalten an der Neutralität und unseren Kampf gegen den Einsatz bewaffneter Truppen im Ausland aktualisiert und gezeigt, dass unsere über Jahre verkündete Politik richtig ist. Einen gesamtschweizerischen Erdrutsch werden wir im Herbst deswegen aber nicht auslösen. Mein Ziel ist, die grösste Partei des Kantons Zürich zu bleiben, vielleicht gibt es ein Mandat mehr. Erzählen Sie uns einmal Konkretes aus Ihrem Wirtschaftsprogramm. Blocher: Ich setze mich massiv für eine bessere Ordnungspolitik ein. Wir müssen endlich aufhören mit dieser Flut von neuen Gesetzen und der zunehmenden Bürokratie. Im Baubereich ist das so, jetzt beginnt es im Bildungsbereich bei den Fachhochschulen. Es muss ein Ende haben mit der ständigen Erhöhung der Staatsquote über Steuern, Gebühren, Abgaben. Das leidige Krankenversicherungs-Gesetz muss man aufbrechen - weg von der obligatorischen Krankenversicherung. Doch stattdessen kommt die Mutterschaftsversicherung - wieder eine neue Zwangsversicherung. Ordnungspolitik heisst bei Ihnen offensichtlich Nein sagen. Blocher: Der renommierte liberale Ökonom August von Hayek sagte: "Die wichtigste Aufgabe in der Politik ist Nein zu sagen gegen die Begehrlichkeiten an den Staat." Heute wird jedoch eine mehr oder weniger sozialistische Politik betrieben, deren Grundsatz lautet: Mehr Geld wegnehmen und umverteilen. Das vernichtet unsere Arbeitsplätze. Würden Sie Abstriche am bestehenden staatlichen System verlangen? Blocher: Wir sind für Steuersenkungen, das wäre der Anfang. Weniger Einnahmen bedeutet auch weniger Ausgaben. Welche würden Sie zuerst streichen? Blocher: Zuerst würde ich mal das Volksvermögen richtig bewirtschaften. Die Nationalbank, der AHV-Fonds, die Suva - sie müssen mal nachzählen, wie viel Klotz da sinnlos herumliegt, da kann man fast nicht zusehen. Da wären bei einer intensiven Bewirtschaftung jährlich hunderte Millionen herauszuholen. Zweitens müsste der Staat eine Menge seiner ungenutzten Vermögen verkaufen und wäre mehr in die Miete zu ziehen. Was allein die SBB für Grundstücke besitzt - und überhaupt nicht bewirtschaftet. Welche weiteren konkreten Schritte schlagen Sie vor? Blocher: Zweitens sind die Ausgaben zu kürzen, zum Beispiel die Milliarde für das Asylwesen. Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht um eine Geldkürzung für die Flüchtlinge, sondern für diesen Leerlauf in der Asylbürokratie, die sowieso 90 Prozent aller Asylanträge ablehnt. Dann bin ich für die Abschaffung des Obligatoriums zur Krankenversicherung. Das ist sehr wichtig. Gerade die schlechter Verdienenden würden zuerst an der Krankenversicherung sparen. Und gerade die geraten in Existenznot, wenn sie sich ein Bein brechen. Was macht Ihr Staat mit denen? Blocher: Ihrer nimmt sich die Fürsorge an. Heute existiert einfach für alle eine Zwangsversicherung mit einem sehr hohen Leistungsangebot. Der Grundsatz soll sein: mehr Selbstverantwortung. Würden Sie die Fürsorge stärken? Blocher: Fürsorge heisst: Der Staat sorgt für die Notfälle. Sozialstaat heisst hingegen: Der Staat sorgt für alle, egal ob es der individuelle Fall wirklich benötigt oder nicht. Und überall hängt daran eine Verwaltung, die man ebenfalls kürzen kann. Man kann sehr viele Dienstleistungen an die Wirtschaft auslagern. Dies alles sind ordoliberale Ansätze. Dafür haben Sie die SVP. Sie haben aber auch noch die Auns. Wir sehen in der Auns Ihre Abkapselungspartei. Blocher: Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) ist keine Partei, sondern eine Lobby für die Unabhängigkeits- und Selbstbestimmungsinteressen in unserem Land. Vor allem hat es in der Auns aber zahlreiche rechtsextreme Exponenten, die einen Schatten auf Ihren Ruf werfen. Blocher: Das stimmt nicht. Wir hatten zwei, drei solche Rechtsextreme, die haben wir ausgeschlossen. Natürlich hat es auch einige Anhänger der Schweizer Demokraten drin, mit denen uns die Unabhängigkeit und die Neutralität verbinden. Was ist für Sie eigentlich ein Rechtsextremer? Blocher: Jemand mit einem übersteigerten Nationalitätsbewusstsein, für den alle anderen Nationen nichts wert sind. Das gilt bei uns nicht. Aber wir sagen, dass wir die Souveränität in unserem Land nicht aufgeben. Ich verkehre mit meinen Nachbarn auf der Basis gegenseitiger Achtung, aber wir ziehen deshalb trotzdem nicht alle in ein und dasselbe Haus. Der Rechtsextreme jedoch sagt: Alle Nachbarn sind minderwertige Kerle, die man ausmerzen muss. Es geht uns nicht primär um diesen krankhaften Nationalismus gegen die Nachbarhäuser, sondern viel mehr um den Rassismus und den Antisemitismus im Innern des Hauses Schweiz. Blocher: Bis zu der Affäre mit dem World Jewish Congress (WJC) habe ich in der Schweiz keinen Antisemitismus festgestellt, mit Ausnahme von ein paar Spinnern. Auch in der Auns nicht. Nachher fingen leider auch in der Schweiz gewisse Leute an, einzelne Juden zu verunglimpfen und alles zu verallgemeinern - sie setzten den WJC mit den Juden gleich. Ich habe stets davor gewarnt. Ich habe stets gesagt, ich kritisiere den Jüdischen Weltkongress, und wenn ich den kritisiere, dann nicht, weil sie Juden sind. Kürzlich schrieb mir jemand, ich würde Ursula Koch nur kritisieren, weil sie jüdisch sei. Das ist doch dummer Mist. Ich kritisiere sie, weil sie eine sozialistische Politik betreibt, und zwar eine himmeltraurige. Im Übrigen bin ich für eine offene Diskussion. Man sollte offen über diese Probleme sprechen. Sie selber äusserten sich aber noch nie klar zum heiklen Thema Rassismus und Antisemitismus. Deshalb haftet Ihnen in den Augen vieler Schweizer, die in politischen Sachfragen mit Ihnen durchaus übereinstimmen könnten, ein Geruch des Rassismus und Antisemitismus an. Blocher: Wie kommen Sie auf die Idee, dass ich ein Antisemit sein könnte? Sagen Sie mir das mal! Weil ich klar Stellung bezogen habe gegen dieses erpresserische Manöver von Seiten des WJC, wird mir das unterschoben. Die Antisemitismus-Bedenken gegenüber Ihrer Adresse sind aber viel älter als die WJC-Debatte. Blocher: Das höre ich zum ersten Mal. Ich trat gegen die Erpressungen des WJC an. Wie viele sagten mir, wir tun es nicht, sonst gelten wir als Antisemiten. Da war bei mir der Zapfen ab. Wenn jeder nur seine reine Weste sucht, kann man mit dem Antisemitismus-Vorwurf jeden politisch mundtot machen - aber mich nicht! Deshalb nannte ich die Dinge beim Namen: Nicht weil, sondern obwohl sie Juden sind, trete ich gegen die erpresserischen Manöver an. Sie reagieren heftig. Wollen Sie kein Rassist und Antisemit sein? Blocher: Ich bin keiner und der Vorwurf ist verletzend. Und dennoch gab es bisher noch nie eine programmatische Rede von Christoph Blocher über Rassismus und Antisemitismus. Wann klären Sie diese uralte Frage endlich? Blocher: Rassismus und Antisemitismus sind nicht das Hauptproblem der Schweiz. Da tut man den Schweizern Unrecht. Wir glauben allerdings nach Treu und Glauben beobachten zu können, dass sowohl die Rassismus- als auch die Antisemitismus-Bedenken seit einer ganzen Dekade über Ihnen und der SVP schweben. Blocher: Das ist eine bösartige Unterstellung. Lesen Sie alle meine Reden, Vorträge und Interviews. Es sind ausschliesslich meine politischen Gegner, die den Antisemitismus-Vorwurf benützen, um mich mundtot zu machen. Sie merken, dass mich das trifft, denn ich bin auf keinen Fall ein Antisemit. Antisemitismus finde ich etwas Furchtbares. Ich weiss, wovon ich rede: Mein Vater war Mitglied der bekennenden Kirche von Karl Barth (siehe oben, die Red.). Erpressungen muss man jedoch grundsätzlich entgegentreten, auch wenn sie vom WJC kommen.
20.04.1999
Keine Kompromisse mehr nach links
Christoph Blocher zu den neuen Machtverhältnissen im Kanton Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 20. April 1999 Erdrutschartig haben sich die Gewichte im Kanton Zürich zugunsten der SVP verschoben. Mit 60 von 180 Kantonsratssitzen stellt die Partei die klar stärkste Fraktion und wird in den Kommissionen markant mehr Gewicht haben als heute. Die NZZ wollte von Parteipräsident Christoph Blocher wissen, wie die SVP in der neuen Position agieren wird und wie sie sich die Zusammenarbeit mit den anderen bürgerlichen Parteien vorstellt. Die Fragen stellte Lorenz Baumann. Herr Blocher, die SVP hat auf der ganzen Linie gesiegt. Worauf führen Sie diesen Erfolg zurück? Blocher: Wir stellen seit ungefähr einem Jahr einen Wandel in der Bevölkerung fest, vor allem auch bei den jungen Leuten. Man besinnt sich auf die Werte, die die Schweiz stark gemacht haben, und weiss, dass diese Werte erhalten bleiben müssen, wenn die Schweiz stark sein soll. Die Angst vor "Tabu-Themen" Wie stark ist Ihre Ausländerpolitik ins Gewicht gefallen? Blocher: Wir führten in den letzten Jahren einen mühsamen Kampf gegen Asylrechtsmissbrauch und illegale Einwanderung. Echte Flüchtlinge sollen aufgenommen werden, für die anderen darf die Schweiz nicht attraktiv sein. Flüchtlinge sind zu integrieren, die anderen aber auf die Rückkehr vorzubereiten. Wir haben dieses Thema zum Schwergewicht gemacht, weil wir wissen, dass hier ein ungelöstes Problem besteht. Dafür wurden wir von den andern Parteien getadelt, was uns genützt hat. Sie sagten am Sonntag nach den Wahlen, andere Parteien scheuten sich vor sogenannten Tabu-Themen. Weshalb gibt man der SVP dieses Feld preis? Blocher: Weil Ausländerpolitik unangenehm ist. Man wird von den Massenmedien und der classe politique hart kritisiert. Das Bundeshaus ist eine Gesellschaft für sich, abgeschottet von der übrigen Bevölkerung. Wenn Sie in diesen Kreisen einen Posten wollen - das Parlamentspräsidium oder ein Kommissionspräsidium -, dann dürfen Sie die Tabu-Themen nicht ansprechen. Die SVP hatte die Kraft, es trotzdem zu tun. Welche Politik vertritt die SVP im Kosovo-Konflikt? In welcher Form sollen die Schweiz und der Kanton Zürich helfen? Blocher: Sofern es notwendig ist, soll die Schweiz ihre Kräfte zur Verfügung stellen zum Bau und Betrieb von Flüchtlingslagern an Ort und Stelle. Wenn Flüchtlinge nach Zürich kommen und wir in Albanien Lager betreiben, müssen wir diese Leute sofort in diese Lager zurückschaffen. Solange die Lager nicht stehen, müssen wir auch hier Flüchtlinge aufnehmen, diese aber nicht integrieren, damit sie später wieder heimkehren. Gestärkte innerparteiliche Position Der Wahlerfolg gibt Ihnen Rückendeckung für die Auseinandersetzung mit anderen Kantonalparteien... Blocher: Die Ergebnisse in Zürich haben nicht nur Signalwirkung für die nationalen Wahlen im Herbst, sie sind auch wichtig für die innerparteiliche Auseinandersetzung. Es gab in den letzten Monaten einige Anpasser, die auf Ämter schielten und sagten, man solle eine andere Politik machen. Heute gibt es nichts mehr zu rütteln: Die Politik, die jetzt gewonnen hat, ist die richtige Politik der SVP. Alle andern Kantonalparteien werden merken, welche Politik von der Bevölkerung getragen wird. Das Verhältnis zur FDP Im Zürcher Kantonsrat stellt die SVP neu die stärkste Fraktion. Wie wird sich das Verhältnis der SVP zur FDP verändern? Blocher: Die bürgerlichen Parteien insgesamt sind dank unseren Gewinnen deutlich gestärkt worden. Es ist sogar so, dass FDP und SVP zusammen die absolute Mehrheit haben. Dieser Vorteil lässt sich aber nur ausspielen, wenn die FDP anders politisiert. Sie bekam einen Denkzettel, weil sie laviert hat. Die FDP hat Politiker, die nur auf sich schauen, Leute, die in Einzelfällen fanden, es sei lustiger, mit den Linken zu gehen und mit den Grünen eine Listenverbindung einzugehen. Es wird in Zukunft stark davon abhängen, wie die Freisinnigen politisieren. Wir hoffen, dass diese Partei endlich wieder - wie wir das früher mit Erfolg getan haben - mit uns politisiert, gegen eine sozialistische Politik. Die Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit wären gut. Die SVP ist nun im Übrigen in der Lage, alleine über ein fakultatives Referendum zu bestimmen. In der letzten Legislatur war es allerdings oft die SVP, die bremste, namentlich bei Reformvorhaben. Blocher: Reformen um der Reformen willen können wir nicht unterstützen. Wenn die Verwaltung ausgedehnt und das Recht des Bürgers geschwächt werden soll, machen wir nicht mit. Reformen müssen von einer Werteordnung ausgehen und ein Ziel haben. Im Kanton Zürich sind zu viele technokratische Reformbestrebungen im Gange. Welche konkret? Blocher: Nehmen wir die Verwaltungsreform: Wir müssen am Schluss eine billigere Verwaltung haben, eine effizientere Verwaltung und eine bürgernahe Verwaltung. Wenn nur Reformen kommen mit New Public Management, bei dem niemand weiss, was das ist, wenn die Regierung schlechter kontrolliert werden soll und das Ganze am Schluss noch teurer ist, dann sagen wir Nein. Droht stärkere Polarisierung? Empfindlich geschwächt wurden die Mitte-Parteien, verloren hat die Linke. Droht dem Kanton eine stärkere Polarisierung? Blocher: Wenn die linken Parteien merken, dass es einen Wechsel geben muss, dann werden wir keine Polarisierung machen. Wenn die Linke eine Polarisierung will, werden wir diese aber austragen. Wir sind nicht mehr bereit, Kompromisse nach links zu machen, nur weil man gerne Kompromisse hat. Wir wollen nicht noch mehr Staat, wir dulden den Asylrechtsmissbrauch nicht mehr, wir akzeptieren nicht, dass Rita Fuhrer sich von anderen Parteien abkanzeln lassen muss, weil sie bei den Bosnienflüchtlingen ihre Pflicht tut. Wir haben für unsere Politik vom Volk einen gewaltigen Auftrag bekommen. Der Erfolg in den Wahlen kontrastiert auffällig mit Misserfolgen in zahlreichen Abstimmungen, Stichworte: Lastenausgleich, Herrmann. Worauf führen Sie das zurück? Blocher: Das kann ich nicht sagen. Wir haben beim Lastenausgleich den Kampf nicht geführt, weil wir nicht alles bekämpfen können, das falsch ist, dazu fehlt uns die Kraft. Es ist eine Masche der Regierung, so viele Vorlagen zu bringen, dass der Stimmbürger darin ersäuft. Die Bürger merken später, dass Versprechungen bei Abstimmungen nicht gehalten werden. Solche Niederlagen haben uns glaubwürdiger gemacht. Wird sich die Art des Politisierens im Kantonsrat bei der SVP dank dem grösseren Einfluss in den Kommissionen ändern? Blocher: Mit einer so grossen Fraktion wollen wir früher Einfluss nehmen. Schon am Anfang eines Geschäfts müssen wir daran denken, ob wir ein fakultatives Referendum ergreifen wollen. Wir müssen die Fraktion wie die Partei gemäss unserem Auftrag anders führen. Wir brauchen einen stärkeren Führungsapparat. Unsere Art des Politisierens wird von den Mehrheiten abhängen. Wenn die FDP und die CVP weiterhin mit der SP liebäugeln, werden wir zum Nein-Sagen verdammt sein. Wenn nicht, dann wird die SP zur Nein-Sager-Partei. Kein Platz für Rechtsaussenparteien Wie gewichten Sie die Schlappe der Rechtsaussenparteien? Blocher: Man weiss nicht, welche Wähler von wem zu wem wanderten. 1995 hatten wir 600'000 Parteistimmen, jetzt etwa 900'000. Diese können nicht nur von diesen Parteien kommen. Allerdings: Die Freiheitspartei hat keine eigenen Themen mehr. Wenn die bürgerlichen Parteien richtig politisieren, darf es rechts von ihnen keine Partei geben. Die SVP betrieb vor vier und acht Jahren erfolgreich provokative Wahlkämpfe. Jetzt waren Sie zurückhaltender und noch erfolgreicher. Ein Wandel von Dauer? Blocher: Wir wählen den Stil, den die Zeit braucht. Vor vier und acht Jahren wollten wir schockieren, um ein Thema auf den Tisch zu bringen. Wir sagten: "Das haben wir den Linken und den Netten zu verdanken": den Messerstecher - das hat aufgerüttelt. Jetzt sind die Themen da, wir müssen nur noch argumentieren. Bei den Steuern sagen wir heute: "Steuern runter, damit deinem Schatz mehr zum Leben bleibt" - geradezu eine liebliche Sache. Wenn wir aber merken, dass wir mit dem Thema nicht durchkommen, werden wir wieder provokativ. Es ist alles genau berechnet. Manchmal sind wir auch zu besonderen Methoden gezwungen, weil die Medien die Anliegen eines grossen Teils des Volkes unterschlagen.
19.04.1999