Testi
Economia
15.03.2001
15.03.2001
SAir-Krise und FDP-Filz
Mein Beitrag für den Tages-Anzeiger vom 15. März 2001 Die SAirGroup steckt in der Krise. Dass es so weit kommen konnte, hängt eng mit einem anderen Krisenfall zusammen: dem Freisinn. Von Christoph Blocher, Herrliberg Die bestürzenden Ereignisse der letzten Wochen um die Swissair zeigen drastisch die Folgen einer unheilvollen Verfilzung. Das Problem Swissair ist zugleich - und vielleicht mehr noch - ein Problem Freisinn. Die verheerenden Auswirkungen einer unernsten Auffassung von Wirtschaft wie von Politik lassen sich heute nicht mehr beschönigen und bedürfen der schonungslosen Kritik. Es steht zu viel auf dem Spiel: Für die Wirtschaft und für die Politik des Landes. Man wird auch nicht darum herumkommen, in diesem Zusammenhang Namen von Schweizer Firmen, Managern und Politikern zu nennen, deren kläglicher Leistungsausweis allzu lange bengalisch beleuchtet wurde, heute aber als gewaltiger Scherbenhaufen für jedermann sichtbar zu Tage tritt. Der Sturzflug der einstigen Swissair Zur Katastrophe verdammt war die unternehmerische Strategie der SAir-Group, bei maroden ausländischen Fluggesellschaften einzusteigen und das Fluggeschäft unter ständigem Abbau der Qualität mit 14 Airlines aufzublasen. Unternehmensleitung, Politik, Staat, Banken, Wirtschaftsverbände und Medien haben die Swissair geschickt zum nationalen Symbol hochstilisiert, um das Unternehmen der Kritik weitgehend zu entziehen. Dieses wird seit Jahren praktisch ausnahmslos von Freisinnigen geleitet, und die Verknüpfung mit Staat und Politik wird bewusst auch in der Führungsebene gehegt und gepflegt. Schon der Freisinnige Hannes Goetz stand für die verfehlte und vom gesamten Verwaltungsrat abgesegnete "Hunter-Strategie". Im SAir-Beirat sind hauptsächlich FDP-Leute eingebunden, aber auch das Departement Leuenberger durch dessen Generalsekretär. Eric Honegger (FDP) - von Beruf Historiker, später Verbands- und Parteisekretär und schliesslich vollamtlicher Politiker - sass sieben Jahre im Ausschuss des Verwaltungsrates. Honegger verfügte noch in seinem 54. Lebensjahr über keinerlei Erfahrung, geschweige denn über einen Leistungsausweis im freien Markt und hatte in seinem Leben noch nie einen Bleistift verkaufen müssen. Dennoch machten ihn seine freisinnigen Freunde zum Verwaltungsratspräsidenten der SAir-Group, wo er die katastrophalen Fehlentscheide des Managements seit Jahren mitverantwortet. Image im Vordergrund Die Schaffung eines fleckenlosen Images gegen aussen war für die SAir-Group wichtiger als der innere Zustand. Eine Kommunikationschefin, die von Berufs wegen die Fassade zu reinigen hatte, überstrahlte Inhalt und Substanz des Unternehmens. Wer am 9. März 2001, dem Tag der Bekanntgabe des Kollektivrücktritts des Verwaltungsrates, auf der Homepage der SAir-Group die Frage anklickte, warum er bei der SAir investieren solle, erhielt die Antwort: "Ebit expected to be 15% higher in 2000 than in 1999." Oder auf gut Deutsch: Der Betriebsgewinn der SAir-Group wurde noch am 9. März für das Jahr 2000 um 15% höher vorausgesagt als 1999! Journalisten wickelte die Swissair bis vor wenigen Jahren um den Finger, indem sie zum halben Preis fliegen durften. Verwaltungsräte und eine Grosszahl von "wohl Gesinnten" geniessen das Privileg von Freiflügen. Der kritische Aviatikjournalist Sepp Moser wurde auf Anraten des freisinnigen Imageberaters Klaus J. Stöhlker kurzerhand auf die "Beraterliste" genommen, um ihn so zum Schweigen zu bringen. Eigentümlich waren die milden, schonungsvollen Analysen des Wirtschaftsblattes "Neue Zürcher Zeitung". Der gegenwärtige NZZ-Verwaltungsratspräsident heisst Eric Honegger und ist dank seinem Vorgänger Ueli Bremi (FDP) dorthin gelangt. Selbstverständlich werden NZZ-Redaktoren umgehend beteuern, der Verwaltungsrat der Zeitung habe noch nie Einfluss auf die journalistische Arbeit genommen. Dies dürfte stimmen. Wirksamer als Befehle wirken in solchen Fällen der vorauseilende Gehorsam und die politische Korrektheit, die fast immer mehr mit Politik als mit Korrektheit zu tun hat. Das Fazit ist ernüchternd: Mit falschen Konzepten haben die falschen Leute die Schweizer Fluggesellschaft zum Sanierungsfall verkommen lassen. Zu Schaden kamen auch die Steuerzahler; allein der Werteverlust der Aktien seit 1998 beträgt für die öffentliche Hand 529 Millionen Franken! Die Unternehmensführung hat den Scherbenhaufen geschaffen, das politische Beziehungsnetz hat ihn ermöglicht und die Medien haben das sich abzeichnende Debakel fein säuberlich zugedeckt. Dies gilt nicht nur für die NZZ und die vielen freisinnigen Regionalblätter, sondern auch für den "Tages-Anzeiger" oder die gesamte Ringier-Presse mit deren heuchlerischen nationalistischen Kampagnen zur angeblichen Rettung der Swissair. Erwähnenswert sind auch die Querverbindungen zu den kreditgebenden Banken: Der Präsident der CS, Lukas Mühlemann, ist Verwaltungsrat der SAir, Philippe Bruggisser war Verwaltungsrat der CS und SAir-Präsident Honegger ist Verwaltungsrat bei der UBS. Mitbetroffen von der Misere ist selbstverständlich auch der Unique Zurich Airport; die dortigen Verflechtungen wären ein eigenes Kapitel wert. Swissair kein Einzelfall Wie der Swissair gelang es auch den Managern der Firma Sulzer, ihr Versagen und ihre Massenentlassungen mit Berufung auf die fehlende EWR- und EU-Zugehörigkeit vor den unkritischen Medien zu rechtfertigen. Die Verfilzung von FDP, SP und Gewerkschaften boten einen sicheren Wall gegen jede Neuausrichtung von Sulzer. FDP-Nationalrat Erich Müller - glückloser Finanzchef und Verwaltungsrat der Sulzer - sang zusammen mit Alt-Bundesrat Friedrich (FDP) als Redner bei Manifestationen der SP das Lob des EU-Beitritts. Kreuzverflechtungen zwischen freisinnigen Verwaltungsräten, die sich gegenseitig beaufsichtigen, behinderten gerade bei Sulzer eine objektive Beurteilung der Geschäftsführung. Die einst stolze, heute aber nur noch serbelnde Weltfirma gilt zu Recht geradezu als Inbegriff des freisinnigen Wirtschaftsfilzes. Den freien Fall des erfolglosen Ex-Sulzer-Chefs Fritz Fahrni (FDP) verhinderte ein zuverlässiges Beziehungsnetz zwischen Wirtschaft und Staat: Als Professor an der Universität St. Gallen und an der ETH doziert der gescheiterte Manager seinen Studenten heute, wie man ein Unternehmen führt - nunmehr auf Kosten der Steuerzahler! Die Reihe wäre fortzusetzen, etwa mit dem Niedergang der Firma Von Roll, der Biber Holding, der Solothurner und Appenzeller Kantonalbank oder der Calida unter dem zeitweisen Präsidium von Nationalrätin Lili Nabholz (FDP). Die Zugehörigkeit von Politik und Partei war wichtiger als die Fähigkeit. Geradeso gut hätte man den Schreibenden wegen seiner Parteizugehörigkeit zum chirurgischen Chefarzt wählen können. Freisinnige Vetternwirtschaft Bei so viel unternehmerischem Versagen ist es unmöglich, der SP mit der Forderung nach weniger Staat entgegenzutreten. Wenn die FDP es täte, müsste sie befürchten, dass ihr von der Gegenseite der Spiegel vorgehalten würde. Ein vorbeugendes Rezept dagegen besteht im politischen Konsens zwischen SP und FDP, der von den Medien gefeierten "Koalition der Vernunft". Die mangelnde Widerstandskraft des Freisinns entspricht nicht einem Wechsel des Parteiprogramms oder besonderer Führungsverantwortung, sondern einzig der eigenen Schwäche. Dabei findet eine problematische "Entsorgung" freisinniger Würdenträger in gut bezahlte Staatspfründen statt. Auch wenn diese aus liberaler Sicht ordnungspolitisch völlig verfehlt sind, will die FDP solche Pöstchen unbedingt besetzen. Was bei der SP zum politischen Programm gehört, wurde beim Freisinn zur üblen Gewohnheit. Ein besonders stossendes Beispiel bot letztes Jahr die Neubesetzung der Chefstelle der unsinnigen staatlichen Handelsförderung Osec. Als Direktor kam im Departement Couchepin Balz Hösly unter, FDP-Fraktionspräsident im Kanton Zürich, der als Manager bei der freisinnig geführten "Winterthur" versagt hatte. Weil Bundesbern glaubt, man könne Imageprobleme am besten durch Bürokratisierung lösen, wurde mit "Präsenz Schweiz" ein staatliches Fremdenverkehrsbüro mit 14 Angestellten und einem Vierjahresbudget von 46 Millionen gegründet. Für diese ordnungspolitisch ebenfalls verwerfliche Institution wurde der ehemalige FDP-Generalsekretär Johannes Matyassy zum Direktor mit Botschaftertitel ernannt. Als Präsident amtet Paul Reutlinger aus dem Swissair-Beziehungsfeld, obwohl er an der Sabena-Sanierung gescheitert war. Auf die Forderung der SVP, dass dieser Präsident ungeeignet sei und nach seinen Fehlleistungen ersetzt werden müsse, antwortete der Freisinnige Franz Steinegger staatsmännisch, das komme überhaupt nicht in Frage, sonst würde man keine verdienten Persönlichkeiten mehr finden… Die Medien als unheilvolle Helfer FDP-Präsident Franz Steinegger - auch er Verwaltungsrat der NZZ und ehemals Verwaltungsrat bei der PTT - wirkt als Verwaltungsratspräsident der Suva, die er als Parlamentarier eigentlich zu beaufsichtigen hätte. Steinegger erhielt auch das Präsidium der Expo.02, denn die Ringier-Boulevardblätter hatten ihn erfolgreich in dieses fürstlich bezahlte Amt gejubelt - schliesslich sitzt Steinegger im Verwaltungsrat der Luzerner Zeitung AG, an der Ringier massgeblich beteiligt ist. So wurde dafür gesorgt, dass die Aufsicht durch Bundesrat und Parlament kaum mehr möglich ist und die miserable finanzielle Lage der Expo weiterhin durch die NZZ und die Ringier-Blätter beschönigt wird. In den 1970er- und noch in den 1980er-Jahren besass unser Land mit einer kritischen Presse eine wirkliche vierte Gewalt. Auch die FDP stand damals - fast wie heute die SVP - im gesunden Gegenwind der Medien und war eine überzeugende Gegenspielerin der sozialistischen Ideologie. Heute ist die freisinnige Partei gehätscheltes Liebkind der Medien, was wiederum zum Glaubwürdigkeits- und Wählerverlust beigetragen hat. Die heutige Stärke der SVP und ihrer Exponenten ist nicht zuletzt auch auf die unerbittliche Kritik der Medien zurückzuführen. Diese hat dazu geführt, dass sie von verhängnisvollen Verfilzungen ausgeschlossen und ausgegrenzt blieb. Dadurch ist die SVP glaubwürdig, unabhängig und kampffähig geworden. Sie hat die Kraft, unerschrocken gegen die Linke anzutreten, aber auch gegen Missstände in den eigenen Reihen. So wird sie die unanständige Bonus-Selbstbedienung bei der Staatsbank ZKB unter keinen Umständen dulden, auch wenn einer der drei Präsidenten der SVP angehört. In jenen Kantonen, wo auch die SVP einen anderen, bequemeren Kurs fährt und sich dafür von den Medien rühmen lässt, ist sie in die gleiche Verstrickung geraten; entsprechend schwach ist dort ihre politische und wirtschaftliche Leistung. Verfilzung als freisinniges Problem Am 7. April wird die FDP Schweiz einen neuen Parteipräsidenten wählen. Es fragt sich, ob es ihm gelingen wird, den Freisinn wieder zu einer bürgerlichen, wirtschaftsnahen und dem Staatsinterventionismus kritisch gegenüber stehenden politischen Kraft zu formen. Dazu genügen allerdings ein paar wirtschaftsliberale Kernsätze aus dem Lehrbuch und die angekündigte Verpackung in einen angeblich "hemdsärmeligeren" Stil nicht. Als grösstes Hindernis auf diesem Weg wird sich die enge Verfilzung von FDP, Staat und Wirtschaft erweisen, deren negative Auswirkungen gegenwärtig geradezu mit Händen zu greifen sind. Wenn der neue freisinnige Parteipräsident mit dem freiheitlichen Gedankengut wieder ernst machen will, hat er in erster Linie entschieden anzutreten gegen die lähmende, ja korrumpierende Verfilzung zwischen Wirtschaft, Staat und auch den Medien. Gerade die Exponenten der FDP haben sich neben denen von CVP und leider auch denjenigen aus dem "staatsgläubigen" Teil der SVP sehr weitgehend in diese schädliche Verflechtung verstrickt. Der Freisinn ist krank, darum hat er in den letzten Jahren verloren: an Wählerstärke, an Parlamentssitzen und - vor allem - an politischer Bedeutung und Glaubwürdigkeit. Das Schicksal des politischen Hauptverbündeten kann der SVP nicht gleichgültig sein. Wie konnte es so weit kommen? Wie ist es fast unbemerkt geschehen, dass die FDP-Politiker zwar theoretisch jahrelang ihr grundsätzliches liberales Denken, die Freiheit der Bürger und die Selbstverantwortung anpriesen, aber im politischen Alltag das Gegenteil taten? Noch 1979 hat die FDP mit der prägnanten Parole "mehr Freiheit und Selbstverantwortung, weniger Staat" einen erfolgreichen, betont antisozialistischen Kurs verkündet. Diesen vermochte sie aber schon nach den ersten Angriffen von links nicht durchzustehen. Statt sich in die proklamierte Botschaft zu vertiefen und ihr zum Durchbruch zu verhelfen, begann sich die FDP zu rechtfertigen und bald schon zu distanzieren. Im Bestreben, möglichst viele Wähler zu gewinnen, hat die FDP ihr inhaltliches Profil seither ständig mehr verwässert und dabei immer mehr Wähler verloren. Franz Steinegger - langjähriger Präsident ohne Parteierfolge - sprach schliesslich vom Ende des Links-rechts-Gegensatzes, um die Bürger darüber hinwegzutäuschen, wie erschreckend viele freiheitliche Grundsätze die FDP schon aufgegeben hatte. Die Annäherung an sozialistische Positionen belohnte die SP, indem sie Steinegger bekniete, ihn als Bundesrat von SP-Gnaden vorschlagen zu dürfen. Den kopflosen Wahlgag einer "Steuerstoppinitiative" hat die FDP still und leise kompostiert und damit viele steuermüde Mitbürger enttäuscht. 1999 brachte es die FDP sogar fertig, die Volksinitiative zur Reduktion des Eigenmietwerts abzulehnen. In ihrer "Vision Schweiz 2007" fordert die FDP den Beitritt der Schweiz zu EU, Uno und Nato und will mit solcher und anderer Betriebsamkeit "reformbereite Wählergruppen anbinden". Etwa mit Ketten oder mit Fesseln? Durch das staatsgläubige, interventionistische Denken und Handeln der Freisinnigen ist die einst von Persönlichkeiten wie Hans Letsch, Otto Fischer oder Heinz Allenspach mutig vertretene Ordnungspolitik zunehmend verludert. Dies hat die Freiheit und den Wohlstand der Bürger, die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und das Ansehen unseres Landes in der Welt geschmälert. Was wäre zu tun? Es ist zwar nicht an der SVP, der FDP wieder auf die Beine zu helfen, aber es kann der SVP auch nicht gleichgültig sein, wie ihr Hauptverbündeter politisiert. Dringend notwendig wäre ein gesetzliches Verbot, dass Parlamentarier in von Bundesrat und Parlament zu beaufsichtigenden Organisationen und Gesellschaften Führungs-Funktionen ausüben, etwa bei Expo, Suva, Eisenbahnen, Nationalbank und dergleichen mehr. Dasselbe müsste in den Kantonen gelten. Das gebietet die Gewaltentrennung! Im Interesse der Wirtschaft sollten die Unternehmen keine Politiker in die Verwaltungsräte wählen, nur weil sie Politiker sind. Dies durchzusetzen, ist allerdings nicht Sache des Staates, sondern der Unternehmen. Dem Freisinn wäre am besten geholfen, wenn er alle diese Verbindungen kappen würde, speziell auch diejenigen zu den Wirtschaftsverbänden (die wiederum ein Kapitel für sich darstellen). Dies allein böte Unabhängigkeit für Partei und Wirtschaft. Nur diese Grundsätze führen wieder zur Loyalität gegenüber der Sache statt der Loyalität gegenüber Parteifreunden. So erhielte die FDP wieder die Möglichkeit, sich für mehr Freiheit und Selbstverantwortung sowie für weniger Staat einzusetzen und diese Maxime nicht nur zu verkünden, sondern auch zu leben. Daran könnte der Freisinn genesen!
03.03.2001
Vom christlich Schwätzen
Meine Kolumne in der Zürichsee-Zeitung vom 3. März 2001 Von Christoph Blocher, Herrliberg, Dr. iur., Unternehmer und SVP-Nationalrat Ohne Diskussion wollte das Parlament letzten Herbst seine eigene Entschädigung erhöhen. Obwohl das Volk 1992 eine Erhöhung der Parlamentsentschädigung wuchtig verworfen hatte, erhöhten sich die Parlamentarier ihre eigenen Taggelder einmal mehr, diesmal von 300 auf 400 Franken, und die jährliche Festentschädigung des Präsidenten auf 40'000 Franken pro Jahr. Es war nicht nach dem Programm der parlamentarischen Regisseure, als der die Sache stets auf den Punkt bringende Parlamentarier Mörgeli aus Stäfa beantragte, das Geschäft in einer Diskussion zu behandeln. Es gehe nicht an, "dass das Parlament seine eigenen Entschädigungen mit äusserster Diskretion, ja beinahe verschämt" behandle. Er rief die Problematik in Erinnerung, dass die Parlamentsentschädigung dem Referendum entzogen werde und dass mit der massiven Erhöhung immer mehr auf ein Berufsparlament hingearbeitet werde. Selbstverständlich wurde der Antrag Mörgeli wuchtig verworfen, denn das Parlament ist sich über alle Parteigrenzen hinweg nie so einig, wie wenn es darum geht, seine eigenen Pfründen zu verbessern. Es war dann der damalige erste Vizepräsident, Peter Hess, der mit einem für ihn untypischen Temperamentsausbruch am Fernsehen die Notwendigkeit der Erhöhung der Parlamentsentschädigungen vertrat. Als Mörgeli sagte, die geltenden Entschädigungen seien für ihn - der das Mandat als Drittelamt ausübe - mehr als hoch genug und übertreffe das Gesamtjahreseinkommen vieler Schweizer erheblich, fuhr Hess den jungen Parlamentarier schulmeisterlich an: Mit einem Drittelamt nehme Mörgeli sein parlamentarisches Amt nicht ernst genug, für ihn - Hess - erfordere das ein wesentlich grösseres Engagement! So wollte er das Parlamentsmandat als eine so unheimliche Belastung darstellen, die bei treuer Pflichterfüllung eine andere Tätigkeit praktisch verunmögliche. Hess vergass allerdings zu erwähnen, dass für ihn die spärlich bemessene Freizeit spielend für die Betreuung von über 40 Verwaltungsratsmandaten ausreichte. Es wurde Dezember, und Peter Hess wurde mit einem Glanzresultat zum Parlamentspräsidenten gewählt. Hätte er die hohen Entschädigungen bekämpft, wäre das Resultat wohl schlechter ausgefallen. In seiner Ansprache beschwor er das Gemeinwohl und verurteilte jede Interessensvertretung. Dann folgte die würdige Feier für den Präsidenten. Mit Kutschen und Schimmeln liess sich der höchste Schweizer durch die Hauptstadt seines Kantons fahren. Das sollte die Würde des Amtes unterstreichen, die Würde des Parlamentes, die Würde, die Würde, die Würde... Zwei Monate später erwähnte ein Zeitungsartikel, dass zwei der Firmen, in denen Hess im Verwaltungsrat sitzt, krimineller Machenschaften im Zusammenhang mit dem Zigarettenschmuggel angeschuldigt seien. Hess trat sofort aus den Verwaltungsräten dieser Firmen aus und versprach scheinheilig, dass das Problem der Nichtdeklaration von Verwaltungsratsmandaten - ein völlig unerhebliches Nebenproblem - angegangen werden sollte. Ich rieb mir die Augen: Entweder ist das Geschäftsgebaren dieser Tabakfirmen nicht kriminell, dann hat man aber auch nicht zurückzutreten. Oder diese Tätigkeit ist wirklich kriminell, dann hat man zurückzutreten - vor allem aber als Nationalratspräsident. Nun geht im Bundeshaus das moralische Reinemachen los. Vom Gemeinwohl ist viel die Rede. Es wird so richtig schön geheuchelt. Besonders gut kann dies die Partei mit dem C davor. Ich werde unweigerlich an Zwingli erinnert: "Christ sein heisst nicht christlich schwätzen..."
19.01.2001
Si tu cherches la guerre, elle te trouvera
Discours de l'Albisgüetli, 19 janvier 2001
19.01.2001