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15.11.2007

Kein Freipass für Suizidhilfe

Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Weltwoche vom 15. November 2007 15.11.2007, Beitrag von Bundesrat Christoph Blocher in der Weltwoche Wie muss dem Sterbetourismus in die Schweiz begegnet werden? Ein Aufsichtsgesetz löst nicht nur das Problem nicht, sondern birgt weitere Gefahren. Fest steht, Töten ist auch in der Schweiz verboten. Es ist strafbar gemäss Artikel 111 ff. des Schweizerischen Strafgesetzbuches, denn der Schutz des menschlichen Lebens gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Staates. Darum haben Bundesrat und Parlament bisher wohlweislich alle Vorstösse für eine Legalisierung der direkten aktiven Sterbehilfe abgelehnt. Liberale Regelung Rund 20% aller Suizide werden heute in der Schweiz mit Hilfe einer Suizidhilfeorganisation begangen. In etwa 7% aller Fälle handelt es sich um Personen mit Wohnsitz im Ausland. Der Grund liegt in der besonderen Regelung der Suizidhilfe, die die Schweiz seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches im Jahr 1942 kennt: Suizidhilfe ist dann - aber nur dann - straflos, wenn sie aus uneigennützigen Motiven erfolgt und nicht die Grenze zur aktiven direkten Sterbehilfe überschreitet. Wer hingegen Suizidhilfe leistet, um sich einen Vorteil zu verschaffen, zum Beispiel um ein Erbe anzutreten, macht sich in jedem Fall strafbar. Die umliegenden Länder haben dagegen ein absolutes Verbot der Suizidhilfe auch dann, wenn diese uneigennützig ist. Das ist der Grund, warum einzelne Sterbewillige die Suizidhilfe schweizerischer "Sterbehilfeorganisationen" in Anspruch nehmen, was dann als Sterbetourismus bezeichnet wird. Als die Väter des Strafgesetzbuches in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Suizidhilfe in Artikel 115 regelten, konnten sie die heutige gesellschaftliche Entwicklung nicht voraussehen. Mit der Entstehung der Suizidhilfeorganisationen und dem Aufkommen des Sterbetourismus haben zweifellos die Missbrauchsgefahren zugenommen. So stellt sich gerade bei besonders schutzbedürftigen Personen, insbesondere bei psychisch Kranken, die Frage, ob sie wirklich urteilsfähig sind und nicht durch Dritte beeinflusst werden. Weiter stellt sich etwa die Frage, ob Suizidhilfeorganisationen in jedem Fall uneigennützig tätig sind und nicht die Grenze zur verbotenen direkten aktiven Sterbehilfe überschreiten. Absolutes Verbot der Suizidhilfe? Was ist also angesichts dieser Missbrauchsgefahren zu tun? Möchte man jede Suizidhilfe unterbinden, müsste durch Änderung des Strafgesetzbuches auch die uneigennützige Suizidhilfe verboten werden. Bisher wurde in der Schweiz jedoch von keiner Seite eine Aufhebung dieser liberalen Regelung der Suizidhilfe gefordert. Es besteht vielmehr ein breiter Konsens, dass diese bewährte Regelung nicht angetastet werden soll. Bei konsequenter Anwendung bietet und gebietet das geltende Recht, insbesondere das Straf- und Gesundheitsrecht, den zuständigen Behörden in den Kantonen und Gemeinden die Kontroll- und Interventionsverpflichtung, wie dies der Bundesrat in seinem Ende Mai 2006 veröffentlichten Sterbehilfe-Bericht ausführlich dargelegt hat. Ein Aufsichtsgesetz? Immer wieder wird in der Öffentlichkeit ein Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung von Suizidhilfeorganisationen gefordert. Es ist verständlich, dass dies gewisse Ärzte, Strafvollzugsleute, aber auch Politiker fordern: Es entlastet von der persönlichen Verantwortung. Der Bundesrat lehnt hingegen die Schaffung eines Aufsichtsgesetzes ab, denn wer das Töten regelt, erlaubt es. Ein solches Gesetz ist auch unnötig, weil die ärztliche Tätigkeit - und damit ein zentraler Punkt der Suizidhilfe - bereits der staatlichen Aufsicht untersteht: Der Arzt muss den Patienten eingehend untersuchen und den Sterbewunsch eindeutig diagnostizieren, bevor er das tödliche Mittel verschreibt. Verletzt er seine Pflichten, hat die zuständige Gesundheitsbehörde die notwendigen Massnahmen zu ergreifen, die bis zum Entzug der Berufsausübungsbewilligung reichen können. Ein Aufsichtsgesetz löst nicht nur das Problem nicht, sondern birgt zweifelsfrei grosse Gefahren für den Schutz des Lebens. Durch eine Regelung der Zulassung und Beaufsichtigung der Suizidhilfeorganisationen würde der Staat diese zusätzlich legitimieren und die Verantwortung für deren Tätigkeit übernehmen. Gerade dort, wo das bestehende Gesetz durch die Behörden heute schon mangelhaft durchgesetzt wird, verleitet ein solches Gesetz zweifelsfrei dazu, die einzelnen Fälle nicht mit der notwendigen Konsequenz und Gründlichkeit abzuklären. Die Organisation wäre gleichsam mit einem staatlichen Gütesiegel ausgezeichnet. Damit würde der Staat letztlich die organisierte Suizidhilfe allgemein sowie auch den Sterbetourismus fördern! Erfolgversprechender und unbestritten erscheint hingegen der Ausbau des Angebots der Palliativmedizin. Hier geht es um Unterstützung und Betreuung todkranker Patienten. Sie soll diesen Menschen ermöglichen, in Würde zu leben und zu sterben. Am Tötungsverbot sollte auch in der Schweiz nicht gerüttelt werden. Um das menschliche Leben zu schützen, ist es unbedingt nötig, die bestehenden Gesetze konsequent anzuwenden.

12.11.2007

Sprachgrenzen

Referat von Bundesrat Christoph Blocher im Institut National Genevois, Genf, 12. November 2007 12.11.2007, Genf Genf. Bundesrat Christoph Blocher sprach am Institut National Genevois zum Thema "Sprachgrenzen". Er zeigte in seinem Referat auf, wie - trotz vorhandener Sprachgrenzen - in der föderalistischen Schweiz die sprachliche Vielfältigkeit gelebt und auch geschützt wird. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Meine Damen und Herren 1. Persönliche Sprachgrenzen Ihr ehrwürdiges Institut hat mich eingeladen zum Thema "Sprachgrenzen" zu reden. Schon beim ersten Satz weiss ich, was es heisst, Sprachgrenzen überwinden zu müssen: Ich muss nämlich Französisch sprechen. Das ist nicht meine Muttersprache. Es ist nicht die Sprache, die man auf meiner Seite, sondern auf der anderen Seite der Sprachgrenze spricht. "Frontière" heisst auf Lateinisch "limes". Man könnte also auch sagen: Ich bin in meiner Ausdrucksweise limitiert. 2. Gegenseitige "Leihgaben" Nicht alle Grenzen sind überbrückbar. Sprachgrenzen jedoch sind es immer. Denn Sprachen kann man auch ausserhalb des Sprachgebietes lernen. Oft vermischen sich ferner die Wörter der eigenen Sprache mit der fremder Sprachen. Menschen kommen einander so näher. Dies kann bisweilen bedrohlich werden. So fragte einmal ein Franzose angesichts der vielen Anglizismen vorwurfsvoll: "Parlez-vous "franglais"?" So gibt es auch viele deutschschweizerische hochdeutsche Wörter, die den Deutschen fremd sind, weil die Romandie die hochdeutsche Sprache der deutschen Schweiz beeinflusst hat. Wenn etwa ein Deutscher auf "Gleis" 7 auf den Zug wartet und den "Schaffner" wegen seiner "Fahrkarte" anspricht, wartet ein Deutschschweizer – auch wenn er Hochdeutsch spricht – nicht auf dem "Gleis", sondern auf dem "Perron" und spricht nicht den "Schaffner", sondern den "Kondukteur" an. Und er fragt ihn nicht etwa wegen der Fahrkarte, sondern wegen des "Billets". Er sagt aber nicht "conducteur" – auf gut Französisch – sondern "Konduktör", und auch nicht "billet" wie der Welsche, sondern "Bilet" wie der Schweizerdeutsche. Daraus sieht man: Jede Nation schenkt der anderen einen Teil ihrer Sprache und damit einen Teil ihrer Kultur. So erfreut uns die französische Küche auch in verbaler Gestalt: "Sauce", "Baguette", "Bouillon", "Dessert", "Suppe", "Glacé" – wer möchte diese "Delikatessen" (ein französisches Lehnwort, das wir im Sinne von "comestibles de choix" benutzen) missen? Unser kulinarischer Beitrag Richtung Westen war da etwas bescheidener und rustikaler: "les Röstis" und "le Rollmops". Aber eben: La cuisine française setzt nicht nur bei den Zutaten, sondern auch bei der Zubereitung Massstäbe: ein "tranchiertes" Fleisch scheint einfach etwas Besseres zu sein als ein profan "geschnittenes". Was wir ja wörtlich wohl als "coupé" übersetzen würden. Zum Schluss noch ein Exportschlager aus jüngerer Zeit. In den 80er Jahren wurde das Wort "Waldsterben" geprägt und später durchaus passend ins Französische mit "le Waldsterben" aufgenommen: Schliesslich fand "le Waldsterben" tatsächlich in den deutschen Feuilletons und nicht in der Natur statt, was die französische Sprache anscheinend erkannte! Oder ein anderes aufschlussreiches Beispiel. So sprechen die Romands ebenfalls von "le Sonderfall" Schweiz. Will man damit auch verbal eine Distanz schaffen und "le Sonderfall" als Deutschschweizer Erfindung markieren? Warum soll die Schweiz kein "cas particulier" sein? Allerdings gehört mittlerweile auch in der französischen Schweiz der EU-Beitritt nicht mehr zum öffentlichen Glaubensbekenntnis. Insofern müsste auch "le Sonderfall" kein sprachlicher "Sonderfall" mehr sein. 3. Keine Sprachnation Wir haben von Grenzen und ihrer Überwindung gesprochen. In der Schweiz wurde die Sprache nie mystifiziert. Einen Satz wie "Die deutsche Sprache ist die Orgel unter den Sprachen" wäre bei uns undenkbar. Schliesslich definiert sich unser Staat weder über die Religion noch die Sprache, sondern über die gemeinsame Geschichte, den Freiheitskampf, die direkte Demokratie, den Willen zur Unabhängigkeit, die Neutralität. Die Schweiz soll auch keine Sprachnation sein. Wir sind darauf bedacht, dass sich vor allem die Sprachminderheiten gegenüber der deutschsprachigen Mehrheit nicht benachteiligt fühlen. Wir dürfen wohl sagen, dass wir solche Zerreissproben wie in anderen Staaten, ich nenne hier einmal Belgien, nicht kennen. Warum? Dort herrscht eine ziemlich scharfe kulturelle, aber auch politische Trennung zwischen den niederländisch sprechenden Flamen und den französischsprachigen Wallonen. Wobei im Norden die Separationstendenzen weit ausgeprägter sind, zumal von dort aus wesentliche Transferleistungen nach Wallonien geleistet werden müssen. 4. Föderalismus als Minderheitenschutz Die Schweiz wurde – wieder im Gegensatz zu Belgien – nie als Einheitsstaat konzipiert. Unser Land ist aus einer Vielzahl von Kleinstaaten zusammen gewachsen, ohne aber je deren Hoheit in wichtigen Fragen und Belangen zu zerstören. Ein zentralistisches System würde die Schweiz in ihrer Existenz gefährden. Auch wegen der drohenden Missachtung von Sprachgrenzen. Das muss in dieser Deutlichkeit festgehalten werden. Allerdings kennt die Schweiz auch kein übermächtiges Zentrum wie etwa in Belgien die Hauptstadt Brüssel. Genf und die Gegend am Lac Léman sind wirtschaftlich einer Region Basel oder Zürich ebenbürtig. Das Verwaltungszentrum in Bern – der Hauptstadt – hat dagegen keine überragende Bedeutung. Selbstverständlich erleben wir auch heute Gegensätze im Land. Gleichmacher und Harmoniesüchtige mögen dies bedauern. Ich meine zum Glück. Denn sie sind der Beweis für die Vielfältigkeit einer Nation. Gegensätze werden nur in Diktaturen ausgemerzt. Glücklicherweise verteilen sich aber in der Schweiz die Gegensätze so, dass sie sehr selten nur einer Sprachgemeinschaft angehören. Wir haben Sozialisten in allen Landesteilen und Bürgerliche, die deutsch oder französisch oder italienisch parlieren. Wir haben Katholiken und Protestanten hüben wie drüben! Katholische Fribourgeois und katholische Appenzell-Innerrhoder, reformierte Schaffhauser und Genfer Calvinisten. Die religiösen Unterschiede sind heute eher durch einen Stadt-Land-Gegensatz abgelöst worden, der sich wiederum nicht mit den Sprachgebieten deckt. Die Vielfältigkeit der Schweiz, die eben auch teilweise harte Gegensätze einschliesst und mögliche Konflikte nicht ausschliesst (und nicht ausschliessen soll), wird durch den Föderalismus und die direkte Demokratie aufgefangen. Der Föderalismus ermöglicht den Gemeinden und Kantonen weitgehende Autonomie und damit eben die eigene Sprache, Religion, Kultur und Wesensart. Kantonsgrenzen sind gerade hier nicht die Ursache, die zu Konflikten führen. Insbesondere nicht in der Frage der Sprache. Der Föderalismus ist vor allem ein Schutz für Minderheiten, während der Zentralismus als dominierende Kraft der Minderheit keinen Schutz geben kann. Das sollten wir nie vergessen, wenn wieder einmal das Klagelied über den "Kantönligeist" losbricht. Gerade Sie, als Bürgerinnen und Bürger einer Sprachminderheit, haben ein elementares Interesse an einem starken Föderalismus. Ich weiss nicht, ob die Minderheiten diesen Zusammenhang immer sehen. 5. Wenn die Politik sich einmischt Mit dem Föderalismus, mit der grundsätzlichen Frage nach dem Staatsaufbau, sind wir zwangsläufig bei der Politik angelangt. Auch Bundesbern – die Zentralgewalt – fühlt sich berufen, in die Sprachenfrage einzugreifen. Besonders umstritten ist der Punkt, welche Fremdsprache in der Primarschule unterrichtet werden soll. Frühenglisch? Frühdeutsch? Frühfranzösisch? Warum nicht Frühlatein? Oder vielleicht doch eher Frühchinesisch, schliesslich soll China die Supermacht von morgen werden? Wie auch immer: Es sollen die Kantone sein, die solche Fragen zu lösen haben. Warum dürfen die Urner, ans Tessin angrenzend, nicht zuerst Italienisch lernen? Was aber, wenn ein Kind von Uri in den Nachbarkanton Nidwalden umzieht, in dem Frühfranzösisch unterrichtet wird? Ich frage Sie: Geht deswegen die Welt unter? Müssen wir wegen möglicher Einzelfälle ein eigentlich gut funktionierendes System aufs Spiel setzen? Je konsequenter föderal wir sind, desto besser lösen wir die Probleme: Nämlich dort, wo sie drücken, viel näher bei den Menschen und den jeweiligen Gegebenheiten am besten angepasst. 6. Sprachgrenzen überwinden Es gibt Sprachgrenzen. Ob wir sie wollen oder nicht. Es gibt künstliche und natürliche Sprachgrenzen, nötige und überflüssige. Es gibt Sprachgrenzen, die wir zu respektieren haben und noch viel mehr solche, die wir überwinden können, ohne diese abzuschaffen.

17.10.2007

Ein schwarzes Schaf ist nun einmal schwarz!

«Christoph Blocher spaltet die Schweiz. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE wehrt sich der rechtskonservative Justizminister gegen den Vorwurf des Rassismus - seine Politik sei das Ergebnis direkter Demokratie.» 17.10.2007, Spiegel Online, Mathieu von Rohr Herr Bundesrat, der ganze Wahlkampf dreht sich nur um Ihre Person. Anhänger und Gegner - alle sprechen nur von Ihnen. So extrem personalisiert war die Schweizer Politik noch nie. Ich finde das auch nicht gut, dass ich so im Mittelpunkt stehe bei diesen Wahlen, aber dafür sind meine Gegner verantwortlich. Die haben jetzt vier Jahre lang massiv auf meine Person geschossen - wegen meiner Politik. Ihre Gegner kritisieren die Plakate der SVP als fremdenfeindlich. Eines zeigt drei weiße Schäfchen, die auf einem Schweizerkreuz stehen, und die ein viertes, schwarzes Schaf wegkicken - "für mehr Sicherheit". Sogar die Uno hat dagegen protestiert. Hat Sie diese Aufregung etwa verwundert? Am meisten hat mich verwundert, dass das Plakat vier Wochen hing, ohne dass es irgendjemand anstößig fand. Was sagen Sie zum Vorwurf des Rassismus? Den Ausdruck "Schwarzes Schaf" gibt es in jeder Sprache. Wie soll da jemand ernsthaft auf die Idee kommen, dass damit Afrikaner gemeint sein könnten? Alle wissen: Das "schwarze Schaf" sind die kriminellen Ausländer, die man ausschaffen muss. War denn die Anspielung schwarzes Schaf - dunkle Haut bei der Auswahl des Motivs nicht beabsichtigt? Nein, man hat damals überlegt, ob es diesen Anschein erwecken könnte. Jemand schlug vor, man könne ja das eine Schaf weiß machen und die anderen schwarz. Aber ein schwarzes Schaf ist nun einmal schwarz. Wissen Sie, das macht ja auch nichts, wenn das diskutiert wird. Das Plakat zeigt das Anliegen. Die politischen Gegner sprechen lieber über den Stil, als über den Inhalt. Ihre Gegner, allen voran die Sozialdemokraten, wollen erreichen, dass das neue Parlament Sie im Dezember aus der Schweizer Regierung, dem Bundesrat, wählt. Haben Sie Angst davor? Die Möglichkeit besteht theoretisch sehr wohl. Wenn Sie aber fragen, ob ich Angst habe oder ob es für mich eine Katastrophe wäre, abgewählt zu werden, dann nein, ich denke nicht jeden Tag daran. Es würde Sie nicht schmerzen, in die Opposition zu gehen? Wenn man mich abwählt, muss ich sofort in die Opposition gehen. Ich sähe in dieser Position heute viel mehr Möglichkeiten als früher. In der Schweiz ist die Opposition verlockend, weil man durch Referendum und Volksinitiativen Volksabstimmungen erzwingen kann. Der Wahlkampf war sehr hart, die gegenseitigen Angriffe heftig. Ihre Schweizerische Volkspartei (SVP) ist Teil einer gemeinsamen Regierung aller großen Parteien - die Sozialdemokraten, die auch daran beteiligt sind, rufen seit einem Jahr zu Ihrer Abwahl auf. Hat das traditionsreiche Schweizer Modell einer Konkordanz-Regierung noch eine Zukunft? Die Frage ist in der Tat, ob die Konkordanz hält. Wenn die Sozialdemokraten offen zu meiner Abwahl aufrufen, muss man diskutieren: Wer soll denn raus? Das kann die SVP sein. Aber es kann natürlich auch die SP sein. Ich glaube nämlich nicht, dass die Mitteparteien raus wollen. Aber die sind dann das Zünglein an der Waage. Möchten Sie also die Sozialdemokraten aus der Regierung werfen? Wieso glauben Sie das? Weil sie mehr vom Staat abhängig ist. Unser Hauptkampf ist die Limitierung der staatlichen Macht. Dazu müssen Sie nicht unbedingt in der Regierung sein. Aber die Sozialdemokraten, die für den Ausbau des Staates kämpfen - das ist natürlich schwierig, wenn man nicht in der Regierung ist. Ein Komitee, dem auch prominente Vertreter ihrer Partei angehören, möchte in der Schweiz den Bau von Minaretten verbieten und hat dazu ein Volksbegehren gestartet. Wie stehen Sie dazu? Blocher: Dazu kann ich mich nicht offiziell äußern, denn mein Departement wird diese Initiative rechtlich beurteilen müssen. Aber die Frage wird sein, ob ein Minarett zwingend zu einer Moschee gehört. Wenn nicht, worum handelt es sich dann? Wir werden dies zu prüfen haben. Außerdem kenne ich kein muslimisches Land, das Kirchtürme zulässt. Die Schweiz ist aber eine Demokratie, und es herrscht Religionsfreiheit. Wir müssen den Muslimen sagen - erstens: Wir sind eine Demokratie. Zweitens: Wir sind eine christliche Nation. Ihr hättet es doch auch nicht gern, wenn wir bei euch Kirchtürme bauen würdet. Sie sind ein umstrittener Politiker, aber Sie sind bei Ihren Anhängern enorm populär. Sie treten in großen Hallen auf, vor Hunderten Bürgern und sprechen über aktuelle Themen. Ich ernte oft Staunen von meinen europäischen Ministerkollegen, wenn ich ihnen von solchen Auftritten erzähle. Die Bürger kommen, um mir zuzuhören, und sie können Fragen stellen, ohne Zensur. Das ist der Wert der direkten Demokratie. In Europa haben viele Bürger ein Ohnmachtsgefühl angesichts der Politiker, die abgehoben weit oben agierten. Im letzten deutschen Wahlkampf habe ich die Hälfte der Politikeraussagen auch nicht verstanden. Darum muss ich mich anstrengen, so zu sprechen, dass die Leute mich verstehen. Aber ich habe die Leute gern und leide eher ein wenig unter dem Abgehobenen. Die Europäische Union streitet mit der Schweiz über Unternehmenssteuern. Die EU betrachtet die niedrigen Steuern für Holdinggesellschaften in einigen Kantonen als unerlaubte staatliche Beihilfen. Halten Sie es für möglich, dass die EU nach den Wahlen Sanktionen gegen die Schweiz ergreift? Blocher: Die Gefahr ist nicht abzuwenden. Die Schweiz hat natürlich auch Möglichkeiten. Aber ich würde jetzt nicht so weit gehen zu fragen, wer wem womit schaden kann. Ich glaube nicht, dass die EU das macht. Die Deutschen wollen es vielleicht, aber die anderen Staaten sind sich uneinig. Die haben kein Interesse daran, dass wir mit Sanktionen belegt werden, weil es sie früher oder später auch treffen müsste. Wird die Schweiz am Ende einen Kompromiss mit der EU schließen? Es ist zu befürchten, dass man wieder einen schließt.    

14.10.2007

Der vergangene Samstag war ja vielleicht ein heilsamer Schock

Bundesrat Christoph Blocher über die Krawalle von Bern und die Folgen für die Politik 14.10.2007, SonntagsZeitung, Denis von Burg und Andreas Windlinger Herr Blocher, ausländische Medien berichteten sehr negativ über die Krawalle von Bern und die SVP - die "New York Times" gar auf der Titelseite. Hat unser Image gelitten? Man muss nicht meinen, ein paar Artikel, in denen viel Falsches steht, würden das gute Image der Schweiz zerstören. Die "New York Times" war der Schweiz noch nie wohl gesinnt. Sie hat auch die Erpressungskampagne wegen des Verhaltens der Schweiz im 2. Weltkrieg orchestriert. Im Ausland hält man das Schafplakat für rassistisch. Die SVP-Kampagne, die zeigt, dass kriminelle Ausländer kein Bleiberecht haben sollen, ist hervorragend. Die Ausländer sind willkommen, aber die "schwarzen Schafe" - die Kriminellen eben - nicht. Jede Sprache kennt den Ausdruck "schwarzes Schaf". Jeder versteht ihn. Es hat wochenlang niemand Anstoss genommen. Erst als die politischen Gegner von den kriminellen Ausländern ablenken wollten, haben sie den Rassismusvorwurf erhoben und ihn ins Ausland getragen. Bundespräsidentin Calmy-Rey hat der SVP Mitschuld an den Krawallen zugeschoben. Sie will als SP-Mitglied wohl nicht zugeben, dass die Berner Sozialdemokraten und die Grünen eine schwere Verantwortung tragen. Sie haben die Gegendemonstration angezettelt, illegal durchgeführt und unterstützt. Diese und die unfähige rot-grüne Stadtregierung sind die Schuldigen! Die SVP wollte sich nicht auf eine Kundgebung auf dem Bundesplatz beschränken. Wenn jemand nachts um zwei Uhr auf dem Trottoir erschossen wird, kann man nicht sagen, das Opfer sei mitschuldig, man müsse ja nicht nachts um zwei Uhr aufs Trottoir gehen! Die Meinungsäusserungsfreiheit ist vom Staat zu verteidigen. Die SVP hat noch nie eine linke Demonstration gewaltsam unterbunden. Selbst die Bundesräte Schmid und Couchepin warnten vor einem Umzug. Die SVP-Manifestation mit einem schönen, friedlichen Umzug war bewilligt. Die Stadt versicherte bis zuletzt, sie könne die Sicherheit garantieren, und verlangte keine Änderung. Dass Herr Couchepin davon abriet, liegt auf der Hand. Sein Beweggrund war nicht die Sicherheit. Für die SVP, die die direkte Demokratie hochhält, ist die Beteiligung der einzelnen Bürger von Bedeutung. Absagen, weil Krawallanten drohen, ist ein Zeichen der Schwäche des Staates! Als die Polizei während des Umzugs die SVP bat, die Route zu ändern, hat sie eingewilligt. Kamen die Krawalle der SVP im Wahlkampf nicht gerade recht? Die SVP tat alles, um Krawalle zu verhindern. Von ihren Leuten gingen keine Aggressionen aus. Aber die friedliche Manifestation der SVP wurde zu einer anschaulichen Demonstration der Realitäten. Die Situation erinnert an den SVP-Wahlkampffilm "Himmel oder Hölle": Auf der einen Seite 10000 friedliche Menschen in Feststimmung - die Schweiz der SVP -, auf der anderen Seite gewalttätige Krawallanten und eine rot-grüne Stadtregierung, die versagt hat. Die Aufgabe war fast nicht zu bewältigen. Sie wäre zu lösen gewesen. Obwohl vorgängig alles bekannt war, duldete die Berner Regierung ausdrücklich eine unbewilligte links-grüne Gegenveranstaltung nur wenige Hundert Meter vom Bundesplatz. Zweitens schätzte sie die Veranstalter der Gegendemo fälschlicherweise als friedlich ein, wohl weil diese aus dem rot-grünen Umfeld kamen. Hauptveranstalter war ein grüner Stadtrat! … die Polizei hätte die Stadt abriegeln müssen... Drittens war die Strategie mangelhaft. Viertens: Die polizeiliche Devise "Dialog, Deeskalation, Durchgreifen" taugt für solche Fälle nicht, vor allem, wenn man mit dem Durchgreifen zu lange wartet. Das funktioniert kaum bei ungezogenen Kindern, geschweige denn bei Leuten, die ein solch kriminelles Potenzial haben. Und fünftens: Dass der zuständige Vorsteher am Schluss noch sagt, man habe das Ziel erreicht, ist eine Beleidigung für den Bürger. Tatsache ist, dass unschuldige Bürger wahllos zusammengeschlagen und verletzt wurden und grosser Sachschaden entstand. Die Stadt will den Polizeieinsatz jetzt untersuchen. Genügt das? Der Samstag war ja vielleicht ein heilsamer Schock und zeigt, dass die Stadt Bern und vielleicht auch andere Behörden im Hinblick auf die Euro 08 Lehren daraus ziehen müssen. Idealismus und Nachgiebigkeit haben in dieser Situation keinen Platz. Dialog und Deeskalation machen zu Beginn Sinn; wenn es aber brenzlig wird, muss die Polizei früh, entschieden und notfalls hart durchgreifen. Das erfordert der Schutz der Sicherheit der Bürger und unserer Grundrechte. Hoffentlich waren die Krawalle auch politisch heilsam. Inwiefern? Die Ausschreitungen haben gezeigt, dass die rot-grüne Berner Stadtregierung - selbst in einer einfachen Situation - unfähig ist, ihre Bürger zu schützen. Das ist ein unglaublicher Vorfall, der klar macht, wie wichtig Wahlen sind. Am Sonntag müssen sich die Wähler entscheiden, ob sie wirklich rot-grüne ideologische Rezepte oder doch lieber bürgerliche Lösungen wollen. Es gibt nicht nur Sicherheitsfragen. Was ist Ihr Programm für die nächsten vier Jahre? Wenn die SVP stabil bleibt oder zulegt, ist das ein Auftrag für eine akzentuierte bürgerliche Politik: Die Abkehr vom EU-Beitritt - direkt oder indirekt - muss gesichert werden. Das Ziel, die Bundesausgaben um 20 Prozent zu senken, muss umgesetzt werden, und die Zwangsabgaben sind substanziell zu senken. Die Privatisierung der Swisscom ist dringend. Grosse Sorgen macht mir die Stromversorgung, ohne zwei neue AKW wird das nicht gehen. Und wir haben die Kriminalität insbesondere bei den Ausländern in den Griff zu kriegen. Dieses Programm ist in einer Konkordanzregierung mit der SP kaum umsetzbar. Es ist schrittweise und mit Mehrheitsentscheiden - sofern die Bürgerlichen geschlossen sind - zu machen. Natürlich wäre es einfacher in einer rein bürgerlichen Regierung. Trotz der dann drohenden Linken Referendumsflut? Wenn man intelligent und konsequent politisiert und das tut, was im Interesse der Bevölkerung ist, muss man keine Angst haben vor Referenden. Nur muss man dann von Anfang an schon an die Bevölkerung denken und nicht erst im Abstimmungskampf. Sie müssten zuerst die SP aus dem Bundesrat werfen. Die SVP bekennt sich klar zur Konkordanz, auch wenn diese Nachteile hat. Ein Teil der SP und die Grünen wollen heute die SVP aus dem Bundesrat werfen. Der Entscheid liegt bei den beiden Mitteparteien. Muss die Frage einer bürgerlichen Regierung nach den Wahlen aufs Tapet kommen? Meiner Meinung nach müssen alle diese Fragen in ernsthaften Verhandlungen diskutiert werden. Ob die Parteien dazu führungsmässig in der Lage sind, bezweifle ich. Im Wahlkampf vermittelten die Mitteparteien eher das Bild eines Kampfes ums Überleben. Und Links und Grün haben nur einen Programmpunkt: "Gegen Blocher". Das sind eher schwache Voraussetzungen. Wie gross ist umgekehrt das Risiko, dass man Sie und so die SVP aus dem Bundesrat wirft? Wenn die SVP verlieren sollte, deutlich höher als 50 Prozent.

11.10.2007

«Ich frage mich täglich, was gut ist fürs Schweizer Volk, für unser Land»

«Bundesrat Christoph Blocher (er feiert exakt heute seinen 67. Geburtstag) ist gefragt, geliebt und gehasst wie keiner. Wie er dem ständigen Druck standhält und warum er sich dies alles antut, erzählte er den ON letzten Freitag während seines Besuches auf dem Hauptplatz Rapperswil.» 11.10.2007, Obersee Nachrichten, Andreas Knobel Obersee Nachrichten: Herr Bundesrat, Sie kommen nach Rapperswil, um Ihre vieldiskutierte Sendung für Blocher-TV aufzunehmen. Suchen Sie sich einfach die schönsten Plätzchen für diese Interviews aus? Nein nein, eingeladen hat mich Matthias Ackeret, der Interviewer. Er arbeitet hier am Hauptplatz. Und Rapperswil ist mir recht, ich wohne schliesslich auch in der Nähe, heute in Herrliberg, früher in Meilen. Rapperswil war immer eine "verliebte" Stadt für mich, denn meine Frau Silvia kommt ursprünglich aus Wald. Da liegt Rapperswil am See natürlich im Einzugsgebiet für verliebte Leute! (lacht) Hat Sie die Kritik an der Sendung eigentlich erstaunt? Ja, ich hätte nie gedacht, dass dem eine so grosse Bedeutung beigemessen wird. Der Präsident der Sozialdemokraten meinte sogar, man solle diese Sendung verbieten. Und der Präsident des Presserates warnte, man müsse das genau untersuchen. Ist es so gefährlich, wenn ein Bundesrat eine Viertelstunde pro Woche redet? Und nicht auf dem staatlichen Sender! Schliesslich kam noch die Frage auf, wer das Ganze bezahle. Das könne sich nicht jeder leisten. Also: Der Internetbetreiber bezahlt die Aufnahmekosten, ich verlange nie Honorare, muss aber eine Viertelstunde Zeit pro Woche opfern. Zuguterletzt war die Sendung sogar im Bundesamt für Kommunikation und im Bundesrat ein Thema. Da sieht man, wieviel in unserem Land der Freiheit schon reguliert wird. Wäre diese Sendung auch lanciert worden, wenn sich nicht plötzlich alles um "Geheimplan" und "Abwahl" drehen würde? Ich habe sie gar nicht selber lanciert. Norbert Neininger vom Schaffhauser Fernsehen ist schon vor einem halben Jahr auf mich zugekommen. Ich sagte zu unter der Bedingung, dass ich nicht zuviel Zeit verliere. Sie müssen einfach jeweils dorthin kommen, wo ich gerade bin - und heute bin ich gerade in Rapperswil. Vom Marketing her war das optimal, die Sendung wäre sonst nie so bekannt geworden! Natürlich war das optimal. Dass während dieser Zeit so auf mich geschossen wurde, hat die Sendung www.teleblocher.ch bekannt gemacht. Man könnte Blocher-TV doch ausweiten: Statt nur statische Interviews auch mal ein Quiz, Showblöcke - und natürlich Werbeblöcke. Nein, bleiben wir bei diesem einfachen, aber interessanten Konzept: Ein Konzept, wo die gleiche Persönlichkeit einen Kommentar zum Geschehen abgibt. Das ergibt eine Konstanz, die viele Leute interessieren dürfte. Gerade Auslandschweizer schauen gerne im Internet rein. Ein anderer Bundesrat könnte dies aber nicht mehr machen, weil es sonst ein Abklatsch wäre. Von mir aus können sie das auch machen. Herr Leuenberger zum Beispiel schreibt ja Bücher und Blogs. Mir fehlt dazu die Zeit. Das einfache Format ohne Spektakel ist also ganz bewusst gewählt? Ja, das Konzept ist betont langweilig. Umso mehr muss der Inhalt bieten! Sie sind in aller Munde. Der Wahlkampf scheint sich plötzlich nur noch um Sie zu drehen. Ehrt Sie oder nervt Sie das? Weder noch! Natürlich: Blocher, Blocher und nochmals Blocher - da braucht man eine dicke Haut, man kann nicht auf jeden "Schlötterlig" eintreten. Man muss bei der Sache bleiben, sonst verzettelt man sich. Daran habe ich mich bis jetzt gehalten. Es geht mir schliesslich um die Schweiz und ihre Bürger! Ist für Sie der Fall Roschacher nach der "Sondersession" zu Ihrer Genugtuung abgehakt? Für mich schon lange - es war ja nie etwas dran! Jetzt ziehen sie es noch etwas weiter, sonst würden sie ja zugeben, dass nie etwas dran war. Glauben Sie, dass Politiker und Medien, die sich bei jedem Thema gegen Sie verschwören, Ihnen und Ihrer Partei mehr nützen als schaden? Wenn ich meine Sache recht mache - und ich mache sie recht - werde ich angegriffen, weil man anderer Meinung ist. Denken Sie an die Asylpolitik, an die Ausländerpolitik, wo ich mit meiner eingeschlagenen Richtung Erfolg habe - da wollen meine Gegner das Gegenteil. Sie wollen in die EU, ich kämpfe dagegen, sie wollen Geld ausgeben und Steuern erhöhen, ich mache das Gegenteil. Ich mache meine Aufgaben, und das passt denen nicht. Sie möchten einen Schwächeren, um ihre Ziele durchzusetzen, oder sie möchten die SVP gleich ganz draussen haben. Darum bleibe ich im Bundesrat, damit wir vorankommen. Trotzdem: Sie sind seit Jahren der bekannteste Politiker. Jede Aussage wird auf die Goldwaage gelegt. Es ist ein ständiger Kampf. Ermüdet Sie das oder spornt Sie das an? Ja doch, das zehrt an den Kräften. Ich habe aber diesen Kampfwillen immer noch. Weil ich gradlinig weiter gehe, brauche ich keine Ränkespiele zu veranstalten. Aber zugegeben, dieser Mittwoch, 5. September, als man öffentlich verkündete, Bundesrat Blocher sei in kriminelle Machenschaften involviert, aber die Originale, aus denen das herauskomme könne man erst in einigen Monaten offenlegen (!), war sehr gefährlich. Das habe ich erst am Sonntag darauf richtig realisiert. Denn diese Verleumdungen, die noch vom Bundesrat als Verdächtigung, von der Geschäftsprüfungskommission und der Bundesanwaltschaft in die Welt gesetzt wurden, hätten einen Bundesrat zum Rücktritt zwingen müssen. In diesem Vakuum so stark verdächtigt zu sein, das wäre sehr schwer für mich geworden. Ich bin überzeugt, mich hätte es "glupft", wenn Nationalrat Christoph Mörgeli die Dokumente durch einen glücklichen Zufall nicht auf den Tisch hätte legen können. So ist alles ans Tageslicht gekommen. Dies schadet nun den andern! Wie kann man eigentlich ein Land führen, wenn man an den wöchentlichen Sitzungen stets von Feinden umgeben ist? Bis zum 4. September war das Klima - bei allen unterschiedlichen Meinungen im Bundesrat - soweit ganz gut. Diese Affäre hat die Atmosphäre aber vergiftet! Weil ich aber das Opfer bin, gehe ich auf die Kollegen zu, um weiterarbeiten zu können. So ist es auch in diesem Klima möglich, Beschlüsse zu fassen. Wir kommen schon voran, auch wenn es zurzeit nicht so angenehm ist. Sind Sie kein bisschen enttäuscht oder beleidigt? Immerhin haben Sie einige der Bundesratskollegen hängen lassen? Ja, sogar aktiv hängen lassen! Aber da spielen halt die Wahlen mit folgender Taktik hinein: Man hat vergeblich versucht, Blocher politisch zu bekämpfen. Ergebnislos. Dann dachten die Taktiker: Wenn es nun gelingt, Blocher als Kriminellen zu verunglimpfen, dann müsste er selber gehen. Ein Rücktritt eines kriminellen Bundesrates! So hätte man es verdreht. Und dann hoffte man, der SVP, die im Aufwind ist, zu schaden! Gut, man wird sich wieder zusammenraufen müssen. Aber hier spielt bereits eine moralische Komponente hinein, wenn man Sie ins offene Messer laufen liesse? Schon, aber ich habe mich nie der Illusion hingegeben, dass im Bundesrat ein Freundesbund zusammensitzt. Aber es braucht von meiner Seite eine gewisse Grosszügigkeit! Nach den National- und Ständeratswahlen sehen wir weiter. Der Druck lastet enorm auf Ihnen. Haben Sie nie Lust nach mehr Ruhe? Lust, zurückzutreten und in Rappi am See unbehelligt spazieren gehen? Ja, diese Versuchung kenne ich auch, die hatte ich das ganze Leben. Aber meine Pflicht ruft nach anderem! Sie sind nie schwach geworden? Nein - okay, nie ist übertrieben. Aber ich habe jedenfalls nie aufgegeben. Wissen Sie, es ist auch eine Stärke, wenn Sie ein Amt nicht nötig haben, Unabhängigkeit ist auch viel wert. Ich mache meine Sache und bin für das Land da. Jemand sagte mal, ich hätte eine "beängstigende Unabhängigkeit". Einem Mitarbeiter unseres Verlages haben Sie als Widmung ins Buch geschrieben: Knecht des Volkes. Ist es nicht schwer, zugleich Milliardär, Bundesrat und doch Knecht zu sein? Nein, ich habe keine Mühe damit. Ich überlege mir auch nicht ständig, ob ich Milliardär bin oder nicht … … und auch nicht ständig, ob Sie Knecht sind? Doch, "säb scho, säb scho, moll" - ich frage mich täglich, was das Volk will, was gut ist für das Schweizer Volk, für unser Land!