Testi

 

16.06.2007

125 Jahre im Dienste der Natur und des Artenschutzes

Ansprache von Bundesrat Christoph Blocher am Jubiläumstag 125 Jahre Jagd Schweiz und Diana Suisse und 25. Eidg. Jagdhornbläserfest, 16. Juni 2007, in Château-d’Oex 15.06.2007, Château-d’Oex Château-d’Oex. Anlässlich des Jubiläumstages 125 Jahre Jagd Schweiz und Diana Suisse und des eidgenössischen Jagdhornbläserfestes würdigte Bundesrat Christoph Blocher die wertvollen Arbeit der Jäger, die diese unentgeltlich im Dienste der Natur und des Artenschutzes verrichteten. Er plädierte überdies für eine intelligente Naturschutzpolitik und rief die die Jäger auf, sich - wie bereits die Naturschutzorganisationen - in die Politik einzubringen. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. 1. Würdigung einer freiwilligen Leistung Ich möchte Ihnen zuallererst die Glückwünsche des Bundesrates überbringen und Ihnen zu Ihrem Jubiläum 125 Jahre Jagd Schweiz gratulieren. Dass ich Ihnen die Grüsse der Gesamtregierung überbringe, beweist die Wertschätzung, die der wertvollen Arbeit der Jäger entgegengebracht wird. Denn 125 Jahre Jagd Schweiz heisst 125 Jahre im Dienste der Natur und des Artenschutzes. Diese Arbeit sollte endlich entsprechend gewürdigt und verdankt werden. Denn was Sie leisten, gehört zu den wichtigen Aufgaben unserer Landschaftspflege. Und Sie tun es auf gut schweizerische Art und Weise: Nämlich freiwillig. Sie organisieren sich selber und Sie tun es unentgeltlich – im Gegenteil: der Staat verdient sogar noch an Ihrer freiwilligen Arbeit durch eine Vielzahl von Gebühren. Und wenn Sie mich fragen, der Staat tut dies (wie in anderen Bereichen auch) immer unverschämter. 2. Auch Tell war ein Jäger Leute, die nichts verstehen, meinen, Jagd heisse, ich hole mir eine Waffe, gehe in den Wald und erschiesse das nächstbeste Wild, das mir vor die Flinte kommt. Wer ein solches "Ballermänner"-Image verbreitet, hat von der schweizerischen Jagd keine Ahnung. Das Patent bekommt nur, wer eine entsprechende Prüfung abgelegt hat und dafür geeignet ist. Dann beginnt die eigentliche Arbeit. Ein Jäger beobachtet den Wildbestand über ein ganzes Jahr. Die Weidmänner werden zu wahren Kennern des Wildes und ihrer Lebensräume. Ohne dafür Jahre an der Universität verbringen zu müssen. Sondern durch die Anschauung. Durch die Erfahrung. Die Jäger haben sich schon zu einer Zeit um die Erhaltung und die Vermehrung des Wildes gekümmert, als die Grünen noch gar nicht wussten, dass sie grün sind. Und wo immer die Jagd eingeschränkt oder gar abgeschafft wird, muss der Staat Angestellte finanzieren, die dann die Arbeit der Jäger ausüben. Das kann doch nicht die Lösung sein. Übrigens: Auch Wilhelm Tell war ein braver Gebirgsjäger, bis ihn Gessler und seine Schergen in den Widerstand trieben. Oder wie Tell es sagte, als er den Tyrannen Gessler in der Hohlen Gasse erwartete: "Ich lebte still und harmlos – das Geschoss war auf des Waldes Tiere nur gerichtet." 3. Weg vom ideologischen Naturschutz Heute weiss man: Nicht nur eine Übernutzung der natürlichen Ressourcen gefährdet die Artenvielfalt, sondern auch ein Nutzungsverbot und die mangelnde Pflege! Es ist der Mensch, der die Artenvielfalt ermöglicht. Die Erhebung Biodiversität Schweiz des Jahres 2006 hat ergeben, dass es an vielen Orten grosse Defizite beim Schutz der Artenvielfalt gibt. Selbst die Naturschutzorganisationen rufen "Alarm" aus: Die geschützten Moore vertrocknen, die Flächen wachsen ein. Der Wald erobert und beeinträchtigt die Lebensräume von seltenen Pflanzen und Tieren. Ich kann mich gut erinnern, wie in den 80er Jahren das grosse "Waldsterben" ausgerufen wurde und jetzt beklagen die gleichen Kreise die drohende "Verwaldung"! Sie sehen, wohin diese ideologischen Ansätze führen: Von einem Extrem ins andere. 4. Nötige Fragen und Klärungen Ich meine, man müsste ein paar grundsätzliche Gedanken zum Naturschutz anbringen: Einerseits verbietet man die Nutzung (durch die Ausscheidung von Schutzgebieten und durch Jagdverbot), dann aber fordert man die "aktive Aufwertung", Pflegemassnahmen und Schutzmassnahmen – eine solche Politik ist illusorisch und inkonsequent. Nutzungsverbot heisst sehr oft eben auch einseitige Nutzung. Jagdverbot heisst nicht gleichzeitig Aufwertung. Es kann auch Armut bedeuten. Es muss aber auch diskutiert werden, wie viel Nutzung die Erhaltung der Artenvielfalt benötigt! Wir müssen uns klar werden darüber, was unter einer "intakten Natur" zu verstehen ist? Intakte Natur und nachhaltige Nutzung schliessen sich nicht aus. Im Gegenteil, sie bedingen einander. Artenvielfalt ist nicht zum Nulltarif zu haben. Eine intelligente Naturschutzpolitik versucht aber, die Nutzungsinteressen der Land- und Forstwirtschaft sowie der Jagd und Fischerei einzubinden, nicht sie auszuschliessen. Mit diesen Fragen und Gedanken verbindet sich allerdings auch ein Auftrag an Sie: Die Jäger müssen sich einbringen in der Politik. Die Naturschutzorganisationen machen dies erfolgreich vor – aus Sicht der Jäger wohl oft zu erfolgreich. Denn Naturschutzorganisationen und Jäger wollen nicht immer dasselbe, obschon beide sich den Schutz und den Erhalt der Natur auf die Fahne schreiben. Die Jäger sind also stärker gefordert, ihre Sicht geeint zu vertreten und sich mit Gleichgesinnten zusammen zu tun. Ich denke da vor allem an die Landwirte und Förster. Die Jäger bringen persönlich, finanziell und tatsächlich einen grossen Einsatz. Vielerorts sind sie deshalb nicht so stark in der Politik vertreten. Diejenigen, die vor allem Geld holen und fordern, drängt es begreiflicherweise umso mehr in die Politik! 5. Eine intelligente Naturschutz-Politik Ich glaube, eine intelligente Naturschutz-Politik (Förderung der Artenvielfalt) darf sich nicht auf den Schutz einzelner spektakulärer Tierarten konzentrieren. Eine intelligente Naturschutz-Politik muss weit mehr berücksichtigen. Unsere vielfältige Kulturlandschaft mit all den Pflanzenarten und Wildtieren sind ein Reichtum erster Güte. Die Nutzer – Bauern, Förster, Jäger und Fischer – haben sie geschaffen und gepflegt. Die Erhaltung der Artenvielfalt in den Alpen benötigt eine gut funktionierende Berglandwirtschaft und Forstwirtschaft sowie die Jagd. Darum braucht es eine (Jagd-)Politik, die davon ausgeht, dass es keine intakte Natur gibt ohne eine angemessene Nutzung durch den Menschen. Unser Wald ist kein Ergebnis von Wildwuchs, von einer sich selbst überlassenen Natur. Sondern er wird von Forstwarten, von Holzunternehmen, Bauern, Jägern gleichermassen genutzt und gepflegt. Ihnen als Jäger gebührt Dank für Ihren Teil. Ich schätze Ihre Arbeit und hoffe, Sie werden Ihren Dienst weiter in gut schweizerischer Art und Weise verrichten: Für die Natur und für den Menschen.

09.06.2007

Justizreform

Referat von Bundesrat Christoph Blocher am Kongress des Schweizerischen Anwaltsverbandes, 9. Juni 2007, in Luzern 09.06.2007, Luzern Luzern. In seinem Referat am Kongress des Schweizerischen Anwaltsverbandes informierte Bundesrat Christoph Blocher über den bereits umgesetzten Teil der Justizreform und den Stand der Projekte, die sich noch im Entwurf befinden. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen und Herren 1. Ziele der Justizreform Vor etwas mehr als sieben Jahren haben Volk und Stände mit der deutlichen Annahme der Verfassungsänderung vom 12. März 2000 den Startschuss gesetzt zu einer umfassenden Justizreform. Diese setzt sich zum Ziel, den Rechtsschutz zu verbessern, das Bundesgericht funktionsfähig zu erhalten und die Grundlagen für ein einheitlicheres schweizerisches Prozessrecht zu schaffen. Gestärkt werden soll die Justiz auf Kantons- wie auf Bundesebene. 2. Was umfasst die Justizreform? Auf Verfassungsebene gibt es folgende Neuerungen: * In Art. 29a BV wird mit der Rechtsweggarantie ein neues Grundrecht verankert. Dieses gewährt den Bürgerinnen und Bürgern bei praktisch allen Rechtsstreitigkeiten den Zugang zu einem unabhängigen Gericht. * Die Stellung und die Zuständigkeiten des Bundesgerichts sowie der Zugang zum höchsten Gericht werden neu umschrieben (Art. 188-191 BV). * Die Justizreform legt die verfassungsrechtlichen Grundlagen für das Bundesstrafgericht und das Bundesverwaltungsgericht (Art. 191a BV). * Die Kantone werden verpflichtet, für die Beurteilung von Streitigkeiten aus allen Rechtsbereichen (Zivilrecht, Strafrecht, öffentliches Recht) Gerichte einzusetzen (Art. 191b BV). * Der Bund erhält die Kompetenz, das Straf- und das Zivilverfahren einheitlich zu regeln (Art. 122 und 123 BV). Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben werden auf Gesetzesstufe in drei Teilen umgesetzt: durch * die Totalrevision der Bundesrechtspflege, welche das Bundesgerichtsgesetz, das Verwaltungsgerichtsgesetz und das Strafgerichtsgesetz umfasst * den Erlass einer Schweizerischen Strafprozessordnung * und den Erlass einer Schweizerischen Zivilprozessordnung * und den Erlass einer Jugendstrafprozessordnung 3. Was ist bereits gemacht? Seit dem 1. Januar 2007 sind alle Verfassungsbestimmungen der Justizreform in Kraft. Ebenfalls seit dem 1. Januar 2007 ist die neue Bundesrechtspflege in Kraft. Mit der Rechtspflegereform sind Organisation und Verfahren des Bundesgerichts, seine Vorinstanzen sowie die Rechtsmittel, die an das oberste Gericht führen, umfassend neu geregelt worden. Diese Massnahmen bezwecken, das Bundesgericht zu entlasten, den Rechtsschutz zu verbessern sowie die Verfahren zu vereinfachen. Damit ist ein wichtiger Teil der Justizreform auf Gesetzesstufe heute bereits umgesetzt: Seit dem 1. Januar 2007 präsentiert sich das Bundesgericht in Lausanne mit einer strafferen Leitungsstruktur. Die neuen Einheitsbeschwerden und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde sind an die Stelle des alten komplizierten Rechtsmittelsystems getreten. Direktprozesse vor Bundesgericht sind nur noch in wenigen Fällen möglich. Unser höchstes Gericht kann sich wieder auf seine eigentliche Funktion, die Gewährleistung der einheitlichen Rechtsanwendung und der Rechtsfortbildung, konzentrieren. Auf den 1. Januar 2007 hat ferner das Bundesverwaltungsgericht - vorerst in Bern - seine Arbeit aufgenommen. Das neue Gericht hat die alten eidgenössischen Rekurs- und Schiedskommissionen abgelöst und die Aufgaben der Beschwerdedienste der Departemente sowie die meisten Rechtspflegeaufgaben des Bundesrates übernommen. Die erste Bilanz des Bundesverwaltungsgerichts darf sich sehen lassen: Ende April 2007 hat das Gericht trotz Umstellung auf eine ungewohnte Informatik bereits 2000 Fälle erledigen können. Bereits seit dem 1. April 2004 urteilt das Bundesstrafgericht in Bellinzona in Strafsachen, die der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen. Es handelt sich dabei etwa um Straftaten von Bundesbeamten oder um Fälle von Wirtschaftskriminalität. Das Bundesstrafgericht hat ferner die Aufgaben der früheren Anklagekammer des Bundesgerichts übernommen. So beurteilt es namentlich Beschwerden gegen die Bundesanwaltschaft oder entscheidet über Zwangsmassnahmen in Strafverfahren des Bundes. Die neuen Bundesgerichte gewähren als unmittelbare Vorinstanzen des Bundesgerichts umfassenden Rechtsschutz und entlasten dadurch unser höchstes Gericht. Ferner setzt der Bund durch die neuen Gerichte in seinem Zuständigkeitsbereich die allgemeine Rechtsweggarantie des Art. 29a BV um. 4. Was ist noch "unterwegs?" In parlamentarischer Beratung befinden sich der Entwurf für eine Schweizerische Strafprozessordnung (StPO) und der Entwurf für eine Schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) und der Jugendstrafprozessordnung (JStPO). Ferner steht den Kantonen noch viel Arbeit bei der Umsetzung der Vorgaben der Justizreform bevor. Weit fortgeschritten sind die Arbeiten zur StPO: Der Nationalrat berät die Vorlage als Zweitrat in der laufenden Sommersession. Ziel ist, dies noch in dieser Legislatur abzuschliessen und auf den 1.1.2010 in Kraft zu setzen. Eine Vereinheitlichung des Strafprozessrechts ist aus folgendem Grund geboten: Moderne Formen der Kriminalität halten sich nicht an Staats- oder Kantonsgrenzen. Oft sind deshalb Behörden mehrerer Staaten oder Kantone mit der Aufklärung eines Deliktes beschäftigt. Demgegenüber bestehen in der Schweiz 29 verschiedene Strafprozessordnungen, nämlich 26 kantonale und 3 eidgenössische. Diese Rechtszersplitterung führt zu komplizierten, langen und teuren Verfahren. Die StPO wird die 26 kantonalen Prozessgesetze und den Bundesstrafprozess (BStP) ersetzen. Bewusst ausgeklammert wurden der Verwaltungsstrafprozess und der Militärstrafprozess, da es sich dabei um besondere Verfahrensarten handelt. Parallel zur StPO entsteht ferner eine schweizerische Jugendstrafprozessordnung. Die einheitliche Verfahrensordnung soll namentlich die Effizienz bei der Verbrechensbekämpfung steigern. Die StPO knüpft so weit als möglich an Bewährtes an. Die kantonalen Strafprozessordnungen weisen indessen teilweise erhebliche Unterschiede auf. Der Bundesgesetzgeber hat sich deshalb oft für die eine oder andere Variante entscheiden müssen. Das gilt in erster Linie für die Frage des Strafverfolgungsmodells. Der Entwurf zur StPO basiert auf dem so genannten Staatsanwaltsmodell II: Die Staatsanwaltschaft leitet die Untersuchung, ordnet Zwangsmassnahmen an, erlässt Strafbefehle oder erhebt Anklage und sie vertritt die Anklage auch vor Gericht. Diese Machtfülle der Staatsanwaltschaft steht für Effizienz der Strafverfolgung, birgt aber die Gefahr des Machtmissbrauchs. Um die Macht der Staatsanwaltschaft zu kontrollieren und zu beschränken haben Kantone und Bund Zwangsmassnahmengerichte einzuführen. Diese entscheiden etwa über die Untersuchungshaft. Im Übrigen hat der Angeschuldigte umfassende Informations-, Verteidigungs- und Mitwirkungsrechte. Auf gutem Weg ist auch die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts. Die Rechtskommission des Ständerats hat die Beratungen abgeschlossen. Der Ständerat behandelt die Vorlage in der laufenden Sommersession. Die Schweiz ist das letzte Land in Europa, dessen Zivilprozessrecht noch nicht vereinheitlicht ist. Jeder Kanton hat seine eigene Zivilprozessordnung. Die kantonalen Ordnungen haben sich zwar im Laufe der Zeit immer mehr angenähert. Trotz dieser Annäherung haben die verbliebenen Unterschiede gewichtige Nachteile: Prozessieren ausserhalb des eigenen Kantons ist immer mit erheblichen Zusatzrisiken und Kosten verbunden, denn prozessrechtlich ist man dort eigentlich schon im Ausland. Zudem wird der Zugang zur Justiz verteuert und erschwert - zum Nachteil der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, zum Nachteil aber auch unserer Wirtschaft. Die zukünftige ZPO ersetzt die 26 verschiedenen kantonalen Prozessordnungen durch eine grundsätzlich abschliessende Kodifikation. Die Kantone bleiben indessen weiterhin zuständig für die Organisation der Gerichte, deren sachliche Zuständigkeit und die Kostentarife. 5. Sind die Ziele erreicht? Folgende Ziele wurden bisher erreicht: * Die rechtlichen Grundlagen für die Verbesserung des Rechtsschutzes sowie die Optimierung des Justizsystems auf kantonaler und auf Bundesebene wurden in Kraft gesetzt (Rechtsweggarantie, BGG, VGG, SGG). * Es wurden zwei neue erstinstanzliche Bundesgerichte ins Leben gerufen und mit der nötigen Infrastruktur versehen. Das Bundesgericht ist neu organisiert worden. * Der Bund verfügt über die Kompetenz zur Vereinheitlichung des Straf- und Zivilprozessrechts. Die bundesrätlichen Entwürfe sind auf breite Zustimmung gestossen. Die parlamentarische Beratung ist auf gutem Wege. Für folgende Fragen ist eine Beurteilung noch verfrüht: Werden die gesetzlichen Massnahmen die gewünschten Wirkungen zeitigen? Wird sich der Rechtsschutz tatsächlich verbessern? Funktioniert das Justizsystem auf Bundesebene effizienter? Können die Kantone die Vorgaben der Justizreform rechtzeitig und mit vernünftigem Aufwand bewältigen? Erst eine umfassende Evaluation der Wirkungen der Justizreform wird hier verlässliche Antworten bringen können. 6. Schluss Eine gut funktionierende Justiz ist von unschätzbarem Wert. Sie schafft bei den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch bei der Wirtschaft Vertrauen. Die Justizreform will hier einen Beitrag für gute rechtliche Rahmenbedingungen leisten.

08.06.2007

Kriminalität, Sicherheit, Ausländer – eine Standortbestimmung

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Informationsveranstaltung SVP, 8. Juni 2007, in Riehen BS 08.06.2007, Riehen Riehen. An der Informationsveranstaltung der SVP in Riehen (BS) sprach Bundesrat Christoph Blocher über Ursachen und Ausmass der Jugendgewalt und informierte über verschiedene Massnahmen zur Bekämpfung dieses Problems. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen Sehr geehrte Herren 1. Das Ausmass der Taten In der Stadt Zürich vergewaltigt eine Bande von Jugendlichen ein dreizehnjähriges Mädchen. Alle zwölf Verdächtige haben polizeiliche Vorakten, unter anderem wegen Raubdelikten. Die Medien und Behörden versuchen die Herkunft der Täter zu vertuschen. Erst Tage später schreibt der Tages-Anzeiger: „Unter den zwölf Verhafteten sind sechs Schweizer. Es soll sich um eingebürgerte Jugendliche aus dem Balkan und der Türkei handeln; die restlichen stammen ebenfalls aus dem Balkan sowie je einer aus Italien und der Dominikanischen Republik.“ Das sind keine Amtsgeheimnisse (TA 18.11.2006). Im November 2006 wird eine Massenvergewaltigung in Steffisburg (BE) bekannt. Die Beschuldigten: Zwei albanische Brüder (15 und 16 Jahre alt), ein Pakistani (15), ein Schweizer tamilischer Herkunft (16), ein Brasilianer (18) und zwei weitere 18jährige Ausländer. Das sind keine Amtsgeheimnisse (Blick, 15.11.2006) Ebenfalls im November 2006 wird die Schändung der katholischen Kirche von Muttenz bekannt. Die jugendlichen Täter aus dem Balkan (alle nichtchristlichen Glaubens) haben den Innenraum mit Kot und Urin besudelt. Das sind keine Amtsgeheimnisse, sondern öffentlich bekannte Taten. (Basellandschaftliche Zeitung, 21.11.2006) Bereits im Juni 2006 ereignete sich im bündnerischen Rhäzüns eine brutale Schändung eines 5jährigen Mädchens. Die Täter: Zwei Jungen (10 und 13 Jahre alt) stammen aus dem Kosovo. Alles öffentlich bekannt. Im März 2007 wurde ein weiterer Fall bekannt und zwar aus dem Kanton Freiburg. Junge bis jugendliche Täter sollen sogar über mehrere Monate minderjährige Mädchen vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen haben. Die Täter stammen laut dem Freiburger Justizdirektor Erwin Jutzet mehrheitlich aus dem Balkan. Auch dies ist öffentlich bekannt. Einen Monat später werden drei weitere Vorfälle publik: In der Gemeinde Bettlach (So) sollen gleich mehrere minderjährige Mädchen Opfer von sexuellen Übergriffen geworden sein. Was ist diesen öffentlich zugänglichen Meldungen gemeinsam? Und was bestätigen eingehende Untersuchungen aus Fachkreisen? 1. Das Ausmass der Jugendgewalt und die Brutalität haben erschreckend zugenommen. 2. Viele der jugendlichen Täter sind schlecht integrierte Ausländer, namentlich aus dem Balkan. 3. Es herrscht allgemeine Hilflosigkeit gegenüber dieser Entwicklung. Alle fühlen sich zuständig – also ist niemand wirklich zuständig. Alle halten die anderen für schuldig – also trägt keiner Verantwortung. 4. Nach wie vor versuchen Amtsstellen, aber auch gewisse Medien und politische Kreise das Thema Gewalt von jungen Ausländern zu leugnen, zu vertuschen oder zu verharmlosen. 2. Arbeitsgruppe zur Jugendgewalt Die Gewalt unter Jugendlichen beschäftigt viele Menschen. Die Bürgerinnen und Bürger – vor allem auch Eltern und andere Erziehungsverantwortliche – sind beunruhigt über die Entwicklungen in der Jugendkriminalität. – Dies gilt nicht nur für Ausländer, sondern allgemein. Ausserdem sind verschiedene Fachleute, Direktbetroffene, Ämter an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement gelangt. Die eingangs erwähnten Vorfälle haben uns weiter bestärkt, die Jugendgewalt zur Kernaufgabe im Jahr 2007 zu erklären. Es besteht Handlungsbedarf. Die Jugendgewalt hat massiv zugenommen. Zugenommen hat nicht nur das Ausmass. Beängstigend ist, dass die Gewalt härter, brutaler und gnadenloser geworden ist. Es wird auf Schwache eingeprügelt, auch wenn das Opfer bereits wehrlos am Boden liegt. Und es gibt immer mehr auch organisierte Gewalt durch Gruppen und Banden, die sich oft ad hoc zusammensetzen und aktiv werden. Die Gesamtzahl der Jugendstrafurteile wegen Gewaltdelikten hat von 2000 bis 2005 um mehr als 80 % zugenommen, hat sich also fast verdoppelt (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, S. 261). Jugendstrafurteile nach Delikt, 2000-2005 (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 14) 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Einfache Körperverletzung 265 381 401 466 519 638 Raub (Art. 140 StGB) 209 241 259 322 332 374 Drohung (Art. 180 StGB) 148 208 218 244 298 317 Bekanntlich lässt sich von Strafanzeige- bzw. Strafurteilsstatistiken nicht ohne weiteres auf die tatsächliche Häufigkeit von Straftaten schliessen (sog. Dunkelfeldproblematik), so dass über das Ausmass und die Entwicklung der Jugendgewalt keine vollständige Klarheit besteht. Die Dunkelziffer dürfte aber erheblich sein: Oftmals getrauen sich die Opfer nicht, die Strafbehörden einzuschalten, häufig aus Furcht vor weiteren Repressalien. Vor diesem Hintergrund scheint es weitgehend sinnlos, sich über Steigerungsraten zu streiten. Fakt ist: Jugendgewalt besteht in einem beunruhigenden Ausmass und Jugendgewalt nimmt stark zu. Grundsätzlich stellen wir fest, dass die Hemmschwelle bei Jungen stark gesunken ist; sie schlagen schneller zu. Dabei spielt zum Teil übertriebener Alkoholgenuss eine Rolle, aber auch die omnipräsenten Gewaltdarstellungen im Alltag. Die Ausländerfrage spielt mit hinein. Die Zahlen und die Erfahrungen der Fachleute sprechen ein klare Sprache: Auffallend hoch ist der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“. Und dort wieder vor allem von Jugendlichen aus dem Balkan. Das ist die übereinstimmende Aussage der Verantwortlichen. Jugendstrafurteile nach Aufenthaltsstatus, 2005 (Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle Total Schweizer/innen Ausländer/innen mit Wohnsitz in der Schweiz Anzahl Anzahl % Anzahl % Einfache Körperverletzung 638 270 42,3 347 54,4 Raub 374 161 43,0 198 52,9 Drohung 317 147 46,4 159 50,2   Setzt man die Anzahl der Verurteilungen zur Anzahl der Angehörigen der entsprechenden Wohnbevölkerung in Beziehung, so akzentuieren sich die Unterschiede: Bei verschiedenen Delikten werden jugendliche Ausländer mit Wohnsitz in der Schweiz um ein Mehrfaches häufiger straffällig als Schweizer ihrer Altersgruppe (vgl. die Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 10). Aber auch unter den Jugendlichen ausländischer Herkunft bestehen beträchtliche Unterschiede. So machen gemäss den neuesten Zahlen aus dem Kanton Zürich bei Delikten gegen Leib und Leben Jugendliche aus Balkanländern 52,6 Prozent von allen ausländischen tatverdächtigen Jugendlichen aus. (Neue Zürcher Zeitung, 9.2.2007. Daten aus der Kriminalstatistik der Kantonspolizei Zürich.) So weit die ersten Erkenntnisse. So weit die ersten Schlüsse. So weit die erste Einkreisung des Problems. 3. Das übliche Reaktionsschema Als ich ein erstes Mal über die Ergebnisse einer dazu gebildeten dieser Arbeitsgruppe sprach, lief das übliche Reaktionsschema ab (wir kennen den Vorgang ja aus anderen Zusammenhängen): Die einen verharmlosen den Sachverhalt oder streiten ihn rundweg ab. Aus diesen Kreisen tönt es dann, die Jugendkriminalität habe im Vergleich zum Vorjahr gar nicht zugenommen. Es komme einfach auf das Zählverfahren an. Interessant. Die Kriminalität ist also bloss eine Frage der Buchhaltung. Andere rufen sofort: Aber halt! Der Justizminister ist für diese Frage gar nicht zuständig! „Eigenmächtige Einmischung“, betitelte eine Sonntagszeitung ihren Kommentar. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität sei doch Sache der Kantone. Der Bundesrat dürfte ja gar nichts unternehmen gegen die Jugendgewalt. Eine dritte Gruppe beschwichtigt: Wir haben doch schon alles bestens geregelt. Wir verfügen über die nötigen Gesetze. Keine der vorgeschlagenen Massnahmen sei wirklich neu. Die Ausweisung von notorischen Jugendstraftätern etwa werde bereits praktiziert. Besonders beliebt ist es auch nach wie vor, jeden Hinweis auf den auffallend hohen Ausländeranteil unter jugendlichen Straftätern als „fremdenfeindlich“ abzutun. Auf die gleiche Weise wurde jahrelang der Asylmissbrauch verschlampt. Auf die gleiche Weise wurden sämtliche Ausländerprobleme geleugnet. Schlimmer noch: Wer die Ausländerkriminalität beim Namen nannte, wer die hohen Sozialkosten von Ausländern kritisierte, wer auf die Gewaltbereitschaft von Leuten aus dem Balkan verwies, wer auf die grossen Probleme in Schulen mit hohem Ausländeranteil zu sprechen kam, wurde sofort selbstherrlich von den Linken, den Medien und Gerichten in die fremdenfeindliche Ecke gestellt. Beim Thema Jugendgewalt läuft es ähnlich ab. Die einen sagen: Das Problem ist herbeigeredet. Die Anderen sagen: Doch, doch, wir haben ein Problem – aber schuld sind die anderen. Die Jugendämter sprechen von der Verantwortung der Schule. Die Schulen von der Verantwortung der Eltern. Die Eltern von der Verantwortung der Schulen. Die Politik von der Verantwortung der Polizei. Die Polizei von der Verantwortung der Politik. Das Fazit der ganzen Aufregung: Am Ende passiert gar nichts. 4. Probleme erkennen und benennen Der erste Schritt zur Problemlösung ist immer der gleiche: Zuerst muss das Problem erkannt werden und zweitens muss das Problem beim Namen genannt werden. Wie sieht es mit dem Anstieg der Jugendkriminalität aus? Es gibt Zahlen, soweit sich diese polizeilich erfassen lassen. Doch die Dunkelziffer ist relativ hoch. Einerseits stellt man fest, dass die Opfer sich aus Furcht vor Repressalien oft nicht getrauen, die Polizei einzuschalten. Andererseits bestehen namentlich in Schulen Hemmungen, die Polizei einzuschalten. Wie sieht es mit der Zusammensetzung bei den Jugendstraftätern aus? Der Anteil von Tätern mit „Migrationshintergrund“ ist sehr hoch. Dabei handelt es sich vor allem um Jugendliche mit Identitätsproblemen. Diese führt zu Unsicherheit und Minderwertigkeitsgefühlen. Unsicherheitsgefühle werden sehr oft durch Gewaltanwendung kompensiert. Wenn wir die Probleme lösen wollen, muss man sie ansprechen dürfen, ohne dass einem Rassismus vorgeworfen wird. Durch Verdrängen löst man keine Probleme. Wie sieht es mit den Erziehungsverantwortlichen aus? Wir leiden heute unter den Spätfolgen antiautoritärer Erziehungsformen. Die Kinder werden alleine gelassen. Die Eltern setzen Grenzen oder stellen Schranken oft zu spät auf. Oft erst, wenn die Kinder und Jugendlichen am Rand der Kriminalität stehen. Und verstehen Sie mich richtig: Die Erziehungsfrage betrifft uns alle. Schweizer und Ausländer. Es beginnt damit, dass nicht mehr feststeht, wer verantwortlich für die Erziehung ist. Ist es die Schule? Sind es die Eltern? Ist es „die Gesellschaft“? Eltern haben begonnen, einen Teil der Erziehung an die Schule auszulagern – das überfordert die Lehrer. Man kann nicht verlangen, dass die Schule allein für die Erziehung verantwortlich ist. Fachleute sprechen von einer eigentlichen „Erziehungsverweigerung“ der Eltern. Bei aller Idealisierung der externen Kinderbetreuung: Die Eltern sind und bleiben verantwortlich für das, was ihre Kinder tun. Sie sind auch in die Pflicht zu nehmen. Wie jeder Obhutspflichtige müssen auch Eltern zur Rechenschaft gezogen werden: Mit Schadenersatzzahlungen, bei ausländischen Kindern bis hin zur Ausweisung der ganzen Familie. Natürlich kann sich auch die Schule nicht aus der Erziehungsaufgabe abmelden. Die Lehrpersonen brauchen darin aber Unterstützung, was oft fehlt. In schweren Fällen hat die Schule mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Lange Zeit hatten viele Lehrpersonen ein gestörtes Verhältnis zur Polizei; sie duldeten keine Polizei im Schulumfeld. Erste Versuche zeigen, dass wir Gewaltprävention auch in den Schulen brauchen: Erziehung zum gewaltfreien Zusammenleben an Schulen durch dafür ausgebildete Personen wie etwa Polizisten, ähnlich der Verkehrserziehung. Passieren Straftaten auf den Pausenplätzen, muss die Schule die Polizei rufen: Verletzung von Regeln ist konsequent zu sanktionieren. Dort, wo die Situation sehr problematisch ist, sind regelmässige Polizeipatrouillen sinnvoll. 5. Was ist zu tun? Wo haben wir also anzusetzen? Ein Missstand ist, dass die Strafverfolgung nicht immer effizient funktioniert. Es scheint nicht in erster Linie ein Problem der Gesetze zu sein, sondern des Vollzugs. Die Verfahren dauern zu lange, die angeordneten Sanktionen greifen oft zu kurz und verfehlen deshalb ihre Wirkung, die Koordination staatlicher Tätigkeiten ist mangelhaft. Die Folgen sind gravierend: Polizisten und andere Vollzugsleute sind frustriert, weil sie sehen, dass nichts passiert. Das lähmt die Arbeit. Resignation ist weit verbreitet. Auch bei Lehrern. Tatsache ist auch, dass die Behörden zu wenig gut vernetzt sind; oft weiss die eine Behörde nicht, was die andere tut. Migrations-, Einbürgerungs- und Polizei-, Zivilstands- und Schulämter müssen besser zusammenarbeiten und gemeinsame Ziele verfolgen. Die ersten Ergebnisse bringen uns zu folgenden Schlüssen: 1.Die Eltern sind durch geeignete Massnahmen zu unterstützen: Eine Vielzahl von Studien geht heute davon aus, dass eine Ursache für Jugendgewalt durch Beziehungsdefizite in den Generationenbeziehungen zu erklären ist – also gestörte Beziehungen zwischen Jugendlichen und ihren Eltern, Lehrern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen. Auch die COCON Studie des Jacobs Centers for productive youth development bestätigt, wie wichtig die emotionale Verbundenheit zwischen Eltern und Kindern ist und wie prägend für den Entwicklungsstand des Mitgefühls und der Verantwortungsbereitschaft von Jugendlichen. Zu prüfen ist aber auch eine verstärkte Verpflichtung der Eltern zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung in der Erziehung. Denkbar wäre z.B. eine Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung der Eltern bei Vernachlässigung elementarer Erziehungspflichten. 2. Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden muss verbessert werden: Das gilt zunächst einmal für Migrations-, Einbürgerungs- und Polizeibehörden. Es darf nicht sein, dass diese Amtsstellen unabhängig voneinander vorgehen und die eine Behörde nicht weiss, was die andere tut. Hier ist vermehrte Koordination unabdingbar. Zentral erscheint aber die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Polizei: Hier ist zu prüfen, ob für die Lehrkräfte bei Delikten einer bestimmten Schwere eine Anzeigepflicht geschaffen werden soll. Wenn auf Pausenplätzen gravierende Straftaten begangen werden, muss die Polizei darüber informiert werden. Diese Massnahmen haben aber nur dann Erfolg, wenn die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer pädagogischen und erzieherischen Funktion gezielt geschult und unterstützt werden sowie im Zusammenspiel mit präventiven und intervenierenden und repressiven Massnahmen im Rahmen der Schulsozialarbeit umgesetzt werden. 3. Die Präventionsarbeit muss intensiviert werden, vorab an der Schule. Gewalt ist nicht nur als Thema in den Unterricht einzubauen, denkbar scheint insbesondere auch der Beizug erfahrener Polizeibeamter nach dem Vorbild des sog. Verkehrsunterrichts. Viele Präventionsmassnahmen erfordern ferner die aktive Beteiligung der Familien. Aus diesem Grund müssen Bemühungen vermehrt darauf ausgerichtet werden, auch fremdsprachige und wenig gebildete Familien ausländischer Herkunft für Präventionsmassnahmen zu erreichen. 4. Die Integration ausländischer Jugendlicher muss stärker forciert werden. Namentlich Sprachkenntnisse müssen so früh als möglich vermittelt werden. Wo die Integration aber konsequent verweigert wird, müssen effiziente ausländerrechtliche Massnahmen zur Verfügung stehen. Das muss bis zur Ausweisung führen können. 5. Die Strafverfahren sollen nach Möglichkeit verkürzt werden: Jugendliche müssen für begangenes Unrecht so rasch als möglich sanktioniert werden. Erfahrungen in der Jugendarbeit belegen, dass grosse zeitliche Distanzen zwischen Straftat und Sanktionsmassnahmen zusätzlich zu problematischem Verhalten führen. Dabei geht es nicht darum, um jeden Preis eine hohe Strafe zu fordern. Es müssen "massgeschneiderte", dem Täter angepasste Sanktionen verhängt werden. 6. Das neue Jugendstrafgesetz ist jetzt seit dem 1.1.2007 in Kraft. Es sieht eine breite Palette von Sanktionsmöglichkeiten vor, es können nun auch härtere Strafen verhängt werden (Freiheitsentzug bis zu vier Jahren: Art. 25 JStG; statt wie bisher Einschliessung bis zu einem Jahr: Art. 95 StGB alte Fassung). Die weiteren Entwicklungen in diesem Bereich sind genau zu beobachten. Sollte sich das neue Gesetz als unzureichend erweisen, sind möglichst rasch entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Wir wollen, dass Kriminelle und Integrationsverweigerer die Konsequenzen ihres Handelns spüren. Wir wollen, dass auch jugendliche Problemausländer hart angefasst werden, zum Schutz all jener Immigranten, die sich bemühen in unserem Land, die arbeiten, Leistung erbringen, sich an die Gesetze halten und sich mit der Schweiz identifizieren. Wir wollen, dass die Jugendkriminalität als gesellschaftliche Fehlentwicklung angegangen wird. Da sind wir alle gefordert: Schweizer und Ausländer. Eltern und Schulen. Behörden und Private. 1Neuere gesamtschweizerische Zahlen mit vergleichbarem Detaillierungsgrad sind nicht verfügbar.

01.06.2007

Will die Schweiz wirklich ein durchlöchertes Patentrecht?

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung SGCI Chemie Pharma Schweiz, 1. Juni 2007, in Basel 01.06.2007, Basel Basel. Bundesrat Christoph Blocher hat sich an der Generalversammlung der SGCI Chemie Pharma Schweiz gegen einen Abbau des Patentschutzes und gegen Parallelimporte für patentgeschützte Waren ausgesprochen. Die weltweit führende Rolle der schweizerischen Forschung gerade auf dem Gebiet der Chemie und Pharma gelte es zu behaupten, sagte der Justizminister. Daher müssten die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in der Schweiz erhalten und weiter verbessert werden. Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen und Herren Ich freue mich, der SGCI Chemie Pharma Schweiz die Glückwünsche des Bundesrats zum 125-jährigen Bestehen zu überbringen. Ich bin besonders gerne zu Ihnen gekommen, denn meine frühere unternehmerische Tätigkeit verbindet mich persönlich mit Ihnen und Ihrer Gesellschaft. Ausgerechnet an Ihrer Jubiläumsgeneralversammlung fragen Sie mich besorgt und zu Recht „Will die Schweiz wirklich ein durchlöchertes Patentrecht?“. 1. Einleitung Wir alle hier drin wissen: Das Patentrecht ist für ein Land wie die Schweiz von allergrösster Bedeutung. Die Schweiz hat keine Bodenschätze. Sie ist ein rohstoffarmes Land. Wir verfügen über keinen allzu grossen Binnenmarkt. Da unser Land an kein Meer anstösst, müssen auch lange Transportwege für Güter in Kauf genommen werden. Gerade die schweizerische Chemie- und Pharmaindustrie ist eine Branche, die in besonderer Weise die Bedeutung von Forschung und Entwicklung und die Bedeutung und die Notwendigkeit des Schutzes des geistigen Eigentums für die wirtschaftliche Tätigkeit kennt. Die derzeitigen Versuche im Parlament – und publizistisch begleitet vom „Blick“ bis zur „NZZ“ – die Patentrechte unter dem Stichwort „Parallelimporte“ auszuhöhlen, sind tatsächlich schwer verständlich, angesichts der Tatsache, dass die erfolgreichen Branchen der Schweizer Wirtschaft (wie Chemie und Pharma, die Uhrenindustrie, die innovativen Firmen der Biotechnologie und des Apparatebaus, welche einen Grossteil der Wertschöpfung in der Schweiz ausmachen) auf die Forschung und Entwicklung und damit auf einen wirksamen Schutz des geistigen Eigentums angewiesen sind. Allein die chemische und pharmazeutische Industrie ist mit einem Anteil an den schweizerischen Gesamtexporten von 34 % von allen Industriezweigen die wichtigste Exportbranche und steigerte von 1980 bis 2006 ihren Export um jährlich durchschnittlich 24,7 %! Allein in den letzten 10 Jahren stieg die Produktion um 124 %. (Als Vergleich dazu dient der Maschinenbau mit einem Produktionswachstum von lediglich 7,3 %). Die Unternehmen der schweizerischen chemischen und pharmazeutischen Industrie gehören zu den weltweit innovativsten Unternehmen der Branche. Sie investieren einen erheblichen Anteil ihres Umsatzes in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Verfahren. In der Spezialitätenchemie sind es rund 4 %, bei den Pflanzenbehandlungsmitteln 8 % des Umsatzes, beim Saatgut 12 % und bei den pharmazeutischen Produkte 18 % des Umsatzes. Von den 9,7 Milliarden privaten firmeninternen Forschungsausgaben in der Schweiz fallen rund 4.3 Milliarden oder die Hälfte auf Chemie und Pharma. Jetzt habe ich hier nur von Zahlen gesprochen. Von der volkswirtschaftlichen Bedeutung und von der Bedeutung für die Beschäftigungssituation, das heisst für den Werk- und Arbeitsplatz Schweiz, habe ich noch gar nichts gesagt! Geradezu gespenstig muss für Menschen, die wissen, dass eine starke Wirtschaft uns nicht einfach in den Schoss fällt, die jetzige Diskussion um die Abschaffung der nationalen Erschöpfung erscheinen! 2. Chemische Industrie Die weltweit führende Rolle der schweizerischen Forschung gerade auf dem Gebiet der Chemie und Pharma gilt es zu behaupten. Das erfordert nicht nur Anstrengungen der Unternehmen, sondern auch des Staates! Daher müssen die Rahmenbedingen für die Forschung und Entwicklung in der Schweiz erhalten und weiter verbessert werden. Ohne Patente gäbe es hier keine durch Unternehmen finanzierte Forschung. Bei der jetzigen Patentrechtsrevision handelt es sich um eine zentrale wirtschafts- und gesellschaftspolitische Vorlage, denn sie passt das Patentrecht dem technologischen Fortschritt und den internationalen Entwicklungen der vergangenen Jahre an. Ziel ist, das innovative Klima sowie das Wirtschaftswachstum in der Schweiz zu erhalten und zu fördern. Und dazu gehört vor allem Ihre Branche. 3. Schutz von Biotech-Erfindungen Schwerpunkt der jetzigen Revision ist darum der Patentschutz der Bio- und Gentechnologie. Sie stellt einen angemessenen Patentschutz für biotechnologische Erfindungen sicher. 4. Schutzumfang bei Gensequenzen Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es allerdings einen schwierigen Diskussionspunkt. Dieser betrifft den Schutzumfang bei Gensequenzen. Der vom Bundesrat vertretene Lösungsansatz ist ein Kompromiss innerhalb der Wirtschaft. Die forschende Industrie auf der einen Seite wollte einen möglichst umfassenden Schutz. Die Forschungsinstitute und mehrheitlich auch die kleinen und mittleren Unternehmen auf der anderen Seite sprachen sich für weitgehende Einschränkungen aus. Sie fürchteten, durch Patente zu stark in der Forschung behindert zu werden. Nach langem Ringen konnten sich Industrie, Forschungsinstitute und KMU auf einen Ansatz verständigen. Nunmehr ist diese wirtschaftspolitische Vorlage aber auf gutem Weg. Die Opposition seitens der Grünen, Sozialdemokraten und Fundamentalisten wird auch in einer Volksabstimmung unterliegen. Da bin ich überzeugt. 5. Parallelimporte In den Medien werden diese wirtschaftlich wichtigen Reformen in Kernbereichen des Patentrechts kaum mehr erwähnt. Hingegen wird ein anderes Phantom an die Wand gemalt, das der Parallelimporte. Dabei wird die Preisinsel Schweiz bemüht! Und hier – meine Damen und Herren – droht eine veritable Durchlöcherung des Patentrechtes. Dabei tut man so, als ob die nationale Erschöpfung im Patentrecht schuld an den wirklich oder angeblich zu hohen Preisen in der Schweiz sei. Darum wird ein Wechsel zur internationalen Erschöpfung gefordert. Ein Preissenkungspotenzial in Milliardenhöhe wird herbeigeredet. Packen wir doch den Stier an den Hörnern: Haben wir höhere Preise und wenn ja, warum? Ist das wirklich auf das Patentgesetz zurückzuführen? Hier ist klar zu stellen: 1. Die Schweiz ist ein wohlhabendes, hoch entwickeltes Land. Solche Länder haben ein hohes Preisniveau. Sudan hat tiefe Preise, die Schweiz hat hohe! Wollen Sie tauschen? 2. Im weiteren wissen Sie aus Ihrer Tätigkeit mit Ihren Produkten: Jedes Land hat ein anderes Preisniveau. Kein Produkt verkauft man in jedem Land zum gleichen Preis. 3. Dass viele Detailhandelspreise in der Schweiz auch ein höheres Preisniveau als die umliegenden Länder haben, hat viele Gründe: o Der Detailhandel ist von ganz wenigen Gross-Detailhandels-Unternehmen mit sehr hohemMarktanteil beherrscht! Dadurch wird die Schweiz von vielen nicht beliefert: Was bei Migros und Coop nicht im Sortiment ist, wird oft gar nicht in unser Land geliefert. o Im landwirtschaftlichen Bereich gibt es mit vielen Produkten einen Schutz vor Tiefpreisen! o Eine der Hauptgründe sind aber Sondernormen, die man erlassen hat, um den Konsumenten eine hohe technische Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz und vieles mehr tatsächlich oder angeblich zu gewährleisten, was der Bundesrat mit dem Projekt: „Abschaffung technischer Handelshemmnisse oder Cassis de Dijon-Prinzip“ nun zu umgehen versucht. o Unbedeutend für die Konsumpreise ist dagegen der Abbau des Patentschutzes und der gesetzliche Zwang Parallelimporte für patentgeschützte Waren zuzulassen. Dafür würde die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit des Eigentümers massiv gesetzlich eingeschränkt. Man hofft, dies würde für die Konsumenten zu billigeren Produkten führen. Kurzfristig mag dies sogar zutreffen. Wenn Sie jemandem Eigentum ganz oder teilweise wegnehmen – sei dies geistiges oder Sacheigentum – und es verteilen, bringt es den Nutzniessern dieser Verteilung – mindestens kurzfristig – einen Vorteil. Das haben die Kommunisten anfänglich auch gemerkt. Wenn aber der Staat das Eigentum nicht mehr schützt, verliert jeder das Interesse Eigentum zu erarbeiten. Allgemeine Verarmung und wirtschaftlicher Niedergang sind die logische Konsequenz. Auch hier lässt der Kommunismus grüssen. Die Gegner des umfangreichen Patentschutzes rufen jetzt nach der internationalen Erschöpfung. Dass sich so viele Parlamentarier daran beteiligen, ist umso erstaunlicher, als kein einziges Industrieland auf der Welt eine solche internationale Erschöpfung kennt. Nur Länder, die wirtschaftlich rückständig sind, haben die internationale Erschöpfung. Es ist erstaunlich, dass das Parlament dies für die Zulieferprodukte in der Landwirtschaft bereits ins Landwirtschaftsgesetz aufgenommen hat und sich eine Verbilligung der landwirtschaftlichen Produktionskosten erhofft. Der Bundesrat hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den verschiedenen Argumenten, für und wider die nationale Erschöpfung auseinandergesetzt. Er ist immer zum gleichen Schluss gekommen: Ein Systemwechsel bei der Erschöpfung würde vor allem dem Forschungs- und Entwicklungsstandort Schweiz schaden. Der ökonomische Nutzen, der im besten Fall erwartet werden könnte, ist unbedeutend und würde die Nachteile eines Wechsels nicht aufwiegen. Deshalb sprach sich der Bundesrat immer für die nationale Erschöpfung aus. Diese Haltung bekräftigte er seither mehrfach. Wohlverstanden: Der Bundesrat befürwortet nicht die hohen Preise in der Schweiz. Er ist für einen Abbau der Hochpreisinsel Schweiz, soweit dies staatlich möglich ist. Doch will er diesen durch gezielte, spürbare und sinnvolle Massnahmen und nicht durch Enteignung privater Rechte erreichen. 6. Schluss Der Bundesrat befürwortet die nationale Erschöpfung im Patentrecht. Sie ist für ihn ein Garant für den Innovationswettbewerb und damit auch ein wichtiges Element einer wohlfahrtsfördernden Wirtschaftpolitik. Der Eingriff in die nationale Erschöpfung im Bereich der Landwirtschaft weist in eine falsche Richtung. Meine Damen und Herren, der Bundesrat ist bereit, sich für den Patentschutz einzusetzen. Er allein kann aber nicht die ganze Überzeugungsarbeit leisten. Wenn Ihnen daher am Pharmastandort Schweiz gelegen ist, sollten Sie ebenfalls gegen Löcher im Patentschutz ankämpfen. Beteiligen Sie sich an der jetzt laufenden Vernehmlassung zur Frage der Erschöpfung im Patentrecht. Rechte und Errungenschaften gilt es zu verteidigen und – falls man die Rechte nicht hat – dafür zu kämpfen!

31.05.2007

Aktuelle Fragen zur Aktienrechtsrevision

Referat von Bundesrat Christoph Blocher an der Generalversammlung von SwissHoldings, 31. Mai 2007, in Bern 31.05.2007, Bern Bern. Das neue Aktien- und Rechnungslegungsrecht wird Schweizer Unternehmen laut Bundesrat Christoph Blocher für Investoren noch attraktiver machen. Der Justizminister legte an der Generalversammlung von SwissHoldings erneut die Eckpfeiler der Gesetzesrevision und die Positionen des Bundesrats dar. Es müsse sichergestellt werden, dass das Geset-zeswerk den modernen Erfordernissen entspreche und dass die Rechtssicherheit, die Kontrolle und d Es gilt sowohl das mündliche wie das schriftliche Wort, der Redner behält sich vor, auch stark vom Manuskript abzuweichen. Sehr geehrte Damen und Herren Seit Jahren wird eine Revision des Aktienrechtes gefordert. Allerdings sind die Wünsche an eine solche Revision sehr unterschiedlich, oft diametral entgegengesetzt. 1. Stossrichtung der Revision Der Bundesrat verfolgt mit der Revision des Aktienrechtes vier Ziele: a) Die Corporate Governance ist zu verbessern. b) Die Kapitalstrukturen sind flexibler auszugestalten. c) Für die Generalversammlung sollen die neuen elektronischen Kommunikationsmittel genutzt werden können. d) Die veraltete Ordnung der Rechnungslegung soll für alle Rechtsformen modernisiert und vereinheitlicht werden. 2. Zur Corporate Governance Zuerst zur Corporate Governance: Die Corporate Governance regelt die Beziehungen zwischen den verschiedenen Organen in einer Aktiengesellschaft. Es geht dabei namentlich um eine angemessene Kontrolle des Verwaltungsrats durch die Generalversammlung. Es muss sichergestellt sein, dass die Aktionäre über genügend Informationen verfügen und dass sie ihre Rechte gebührend wahrnehmen können. Der Regelungsbedarf ist verschieden, je nach dem, ob es sich um eine Familiengesellschaft mit einem einzigen oder wenigen Aktionären einerseits oder eine Publikumsgesellschaft mit stark pulverisierten Eigentümern und tausenden von Aktionären andererseits handelt. 2.1 Zu den Publikumsgesellschaften: Als Hauptmangel wird empfunden, dass die Eigentümer Mühe haben, ihre Eigentumsrechte gebührend wahrzunehmen. Es kann daher zu einem Ungleichgewicht zwischen Eigentümern des Risikokapitals und Entscheidungsträgern kommen. Doch müssen sich die Aktionäre einer Publikumsgesellschaft dessen bewusst sein: Geteiltes Eigentum ist eben nie volles Eigentum. Mit der Revision soll dafür gesorgt werden, dass Eigentümer, d.h. Aktionäre, dort, wo sie bestimmen können und bestimmen müssen, auch dazu in die Lage versetzt werden. Es braucht deshalb Vorschriften zur Transparenz, zur Vertretung der Aktionäre in der Generalversammlung, zur Stimmabgabe, zur Rechnungslegung. Der Staat verpflichtet die Gesellschaften zur Einhaltung formeller Regeln. Für die Richtigkeit von Rechnungen, Stimmabgaben, Strategien etc. haben die Gesellschaften selbst zu sorgen! 2.2 Was die sogenannten privaten Gesellschaften - im Gegensatz zu den Publikums-Aktiengesellschaften meist kleineren Gesellschaften - anbelangt, ist der Schutz der Aktionäre oft prekär. Dies gilt selbst für Aktionäre, deren Vermögen zu einem grossen Teil in einem Unternehmen gebunden ist (namentlich durch Erbfall). Die Minderheiten können oft auch nicht aus der Gesellschaft ausscheiden, weil es keinen Markt für ihre Beteiligungen gibt. Auch hier muss der Gesetzgeber gewährleisten, dass die Aktionäre sich über die Situation ihres Unternehmens ausreichend informieren können. Weiter sind den Aktionären geeignete Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihr Eigentum schützen können, insbesondere beim Ausscheiden. 2.3 In der Kritik am Vorentwurf spiegeln sich die verschiedenen Interessen: So finden Aktionäre - namentlich Minderheitsaktionäre - die heutigen gesetzlichen Hürden für die Ausübung der Aktionärsrechte als zu hoch angesetzt. Dies obwohl die Hürden für die Ausübung der Rechte der Minderheitsaktionäre bereits in der letzten Aktienrechtsrevision gesenkt wurden. Verschiedene Aktionärsrechte – so etwa für eine Sonderprüfung – könnten wegen zu hoher Quoren oft kaum geltend gemacht werden. Auf der anderen Seite verlangen die Vertreter des Managements – begreiflicherweise – eine hohe Hürde, d.h. ein relativ hoher Aktien-Anteil um ein solches Recht ausüben zu können. Sie fürchten den Missbrauch! Der Bundesrat findet, dass die im Entwurf vorgesehenen Rechte für den Schutz des Eigentums der Aktionäre erforderlich sind. Ein guter Schutz des Eigentums kann Investoren motivieren, in der Schweiz zu investieren. Die genaue Höhe der Schwellenwerte, die erreicht werden müssen, um eine Sonderprüfung zu verlangen, wird nochmals einer genauen Prüfung unterzogen. Wohlwissend, dass die Festlegung eines Quorums eine Gratwanderung bedeutet. 2.4 Interessengegensätze zeigten sich in der Vernehmlassung auch bei der Neuregelung der Stimmrechtsvertretung in der Generalversammlung. Die Wirtschaftsverbände, welche stark vom Management grosser Firmen dominiert sind, stehen der Abschaffung des Organ- und des Depotvertreters ablehnend gegenüber. Sie fürchten, dass dadurch Zufallsentscheide in der Generalversammlung begünstigt werden. Doch was sind schon „Zufallsentscheide“? Nicht jedes Ergebnis, das gegen den Antrag des Verwaltungsrates ausfällt, ist ein Zufallsentscheid und auch nicht jeder knappe Entscheid ist ein Zufallsentscheid, den es zu verhindern gilt. Wenn die Aktionäre ohne konkrete Weisungen Dauervollmachten unterzeichnen oder einem Organvertreter ohne Weisungen ihre Stimmrechte überlassen, so ist das für die Kontrolle in der Gesellschaft mindestens so problematisch wie allfällige „Zufallsentscheide“. Namentlich bei schlecht geführten Unternehmen und in schlechter Situation hat sich dies verhängnisvoll ausgewirkt. 2.5 Ein meines Erachtens überproportionales Gewicht nimmt die Neuregelung betreffend Vergütungen des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung ein. Was ist vorgesehen? Der Vorentwurf sieht vor, dass die Statuten Bestimmungen betreffend der Entschädigung des Verwaltungsrates vorsehen können. Hier ist allenfalls zu prüfen, ob dies nicht eine „Muss – Vorschrift“ sein sollte. Allerdings ist eine solche Vorschrift – je nach dem Abstraktionsgrad – nicht besonders aussagekräftig. Die stark von Seiten der Manager beeinflussten Stellungnahmen erachten die Generalversammlung als nicht in der Lage, über eine Regelung der Entschädigung zu befinden. Die Vertreter der Aktionäre auf der anderen Seite möchten sogar eine zwingende Kompetenz der Generalversammlung, um die Saläre im Detail festzulegen. Wieder andere fordern gesetzlich festgelegte Höchstgrenzen der Entschädigungen. Der Vorschlag des Bundesrats stellt einen praktisch gangbaren und meines Erachtens die Eigentümer schützenden Kompromiss dar: Durch die jährliche Einzelwahl des Verwaltungsrates können die Aktionäre, die über die Bezüge der Verwaltungsräte und die des Managements Bescheid wissen, unter Ausschluss von stimmverfälschenden Organ- und Depotstimmrechten indirekt über die Saläre in Kenntnis der Leistung abstimmen. Bereits heute kennen 7 SMI-Gesellschaften die jährliche Wahl des Verwaltungsrats. Einzelne Gesellschaften haben angekündigt, zur jährlichen Wahl überzugehen. Missstände bei diesem System sind mir nicht bekannt. Zum Seitenanfang Zum Seitenanfang 3. Zu den Kapitalstrukturen Im Bereich der Kapitalstrukturen wird für die Unternehmen mehr Spielraum geschaffen: * Mit dem neuen Rechtsinstitut des Kapitalbands kann dem Verwaltungsrat die Kompetenz eingeräumt werden, das Aktienkapital zu erhöhen oder herabzusetzen. * Der gesetzliche Mindestnennwert von Aktien wird aufgehoben: Er muss aber grösser sein als Null. Er kann auch unter einem Rappen liegen. Dies ermöglicht es, die Aktien beliebig zu splitten. Damit bleibt stets eine Herabsetzung des Nennwerts offen. * Aufgrund der Stellungnahmen in der Vernehmlassung hat der Bundesrat beschlossen, auf eine Abschaffung der Inhaberaktie vorläufig zu verzichten. Bevor nicht andere Industriestaaten, namentlich auch die europäischen, die Inhaberaktie abgeschafft haben, sieht die Schweiz keinen Grund, die sehr beliebte und auch in vielen Kleingesellschaften heute noch gängige Inhaberaktie abzuschaffen. 4. Zu den Neuerungen betreffend die Generalversammlung Bei der Vorbereitung und Durchführung der Generalversammlung sollen zukünftig die neuen elektronischen Kommunikationsmittel genutzt werden dürfen. Dadurch können die Kosten gesenkt werden. Weiter wird durch die Nutzung des Internets auch eine aktive Teilnahme der Aktionäre an der Generalversammlung gefördert. 5. Zur Neuregelung der Rechnungslegung Für die Aktionäre und für die Investoren ist die Rechnungslegung ein vorrangiges Mittel zur Information über ein Unternehmen. Nur mit den Aufschlüssen der Rechnungslegung können sie ihr Eigentum wahrnehmen und entsprechend handeln. Aufgrund der Rechnungslegung kann aber auch darüber entschieden werden, welche Investitionen zu verantworten sind und welche nicht! Es ist zu bemerken: Die Realität der Rechnungslegung ist schon lange besser als die gesetzliche Regelung. Dies gilt vor allem für die Publikumsgesellschaften. Bedeutungsvoll ist jedoch für alle Rechtsformen eine harmonisierte und einfache Neuregelung zu schaffen. Für Publikumsgesellschaften ändert sich jedoch kaum viel. In der Vernehmlassung wurde geltend gemacht, dass die Neuregelung zu unerwünschten Steuerfolgen führen könnte. Insbesondere ist die Vorschrift auf Kritik gestossen, wonach Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen in der Handelsbilanz rückgängig zu machen sind und detailliert verbucht werden müssen. Der Bundesrat hat dieser Kritik Rechnung getragen und beschlossen, dass nicht anerkannte Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen im Unterschied zum Vorentwurf nur als Gesamtbetrag im Anhang zur Jahresrechnung offen zu legen sind. Das Kapitel Rechnungslegung wird entsprechend neu überarbeitet. 6. Wie geht es weiter? Der Bundesrat hat das EJPD beauftragt, bis Ende 2007 eine Botschaft vorzulegen. An der Vorlage wird grundsätzlich festgehalten. Sie wird aber im Lichte der Vernehmlassung überarbeitet. 7. Schlusswort Lassen Sie mich meine Ausführungen mit einem Zitat eines amerikanischen Financiers beenden. Bernard Baruch - ein Berater von John F. Kennedy - hat einmal gesagt: "Es gibt tausende Möglichkeiten, sein Geld auszugeben, aber nur zwei, es zu erwerben: Entweder wir arbeiten für das Geld - oder das Geld arbeitet für uns". Die Revision des Aktienrechts ist dann geglückt, wenn diejenigen, die für Geld arbeiten und diejenigen, für die das Geld arbeitet, zusammenfallen. Das Zweite – dass das Geld für uns arbeitet – ist mit den Pensionskassenregelungen, wo die Leute für ihr Alter durch das Kapitaldeckungsverfahren arbeiten, immer wichtiger geworden. Ich bin überzeugt, dass das neue Aktien- und Rechnungslegungsrecht dazu beiträgt, dass es für Investoren noch attraktiver wird, ihr Geld in Schweizer Unternehmen "arbeiten" zu lassen. Und gleichzeitig ist sicherzustellen, dass ein den modernen Erfordernissen entsprechendes, einfaches Gesetzeswerk vorliegt, damit die Rechtssicherheit, die Kontrolle, die Bedürfnisse der kleinen und der grossen Gesellschaften gewahrt sind.