Testi

 

12.01.2006

Eine gefährliche Situation

«Christoph Blocher glaubt, dass der jetzige Bundesrat besser entscheidet als der vorherige. Der Justizminister über Freundschaft in der Regierung, praxisferne Konzernchefs, Fehler der Linken und den Fluch, wieder Unternehmer sein zu müssen.» 12.01.2006, Facts, Othmar von Matt Herr Blocher ... nein. Entschuldigung. Herr Bundesrat... (Lacht) Danke vielmals, ich hatte es ganz vergessen. Hört sich für Sie «Bundesrat Blocher» noch aussergewöhnlich an? Nein. Ich bin Bundesrat, und in diesem Amt fest zuhause. Ein wenig aussergewöhnlich war es die ersten Tage. Mussten Sie auch selbst einmal über den «Bundesrat Blocher» lachen? Nein, ich hatte nie eine andere Vorstellung von einem Bundesrat. Ich wusste: Ich habe ein neues Amt. Jetzt heisst es halt «Herr Bundesrat», zuvor hiess es «Herr Nationalrat». Welche Phasen haben Sie erlebt in Ihren zwei Jahren als Bundesrat? In der ersten Phase schloss ich mich für drei Monate ein. Die Leute fanden es komisch, dass ich nicht kommunizierte, aber ich musste sehen, was mich erwartet. Ich arbeitete zwanzig Stunden pro Tag, vertiefte mich in alle Probleme. Dann wusste ich, was ich mache. Ich musste viele Vorlagen ändern. Welche Phasen kamen dann? Ich musste den Weg suchen, mich durchsetzen. Das war nicht einfach. Vorallem auch gegen die Verwaltung. Jetzt kenne ich die Leute, die Mitarbeiter. Seit einem Jahr bin ich gut installiert. Dann wurde die Arbeit auch im Bundesrat intensiver. Zu Beginn hatte ich dafür nicht so viel Zeit und Kraft. Sie mischen sich stark ein. Ich rede nicht in andere Departemente hinein. Aber ich sehe mir alles sehr genau an, was wir im Bundesrat beschliessen. Und ich beurteile es. Das betrachte ich als meine Aufgabe. Ich trage Mitverantwortung. Wie charakterisieren Sie Ihre Stellung im Bundesrat heute? Ich bin einer von sieben. Es ist nicht so, dass ich eine dominante Stellung einnehme. Aber ich trage, wie jeder, ein besonderes Spektrum in diesen Rat - vielleicht das Unternehmerische, Wirtschaftliche, Finanzielle. Und man merkt, dass heute zwei SVP-Leute im Bundesrat sitzen. Die SVP-Politik wird stärker vertreten als früher. Mit Ihnen in der Leaderrolle? Nein. Ich muss alles über die Überzeugung schaffen, nicht, weil ich ein Leader bin. Nach aussen hin rumpelt das ein bisschen, das spürt man. Es gibt natürlich Erschütterungen, wenn jemand, der zuvor in der Opposition war, seine Ideen stark in der Regierung einbringt. Aber wir haben eine gute, sehr zielgerichtete Diskussion im Bundesrat. Sie loben die SVP-Vertretung. Das heisst: Samuel Schmid ist für Sie inzwischen kein «halber Bundesrat» mehr? In der Grundausrichtung decken wir uns. Obwohl natürlich nicht jeder in jedem Geschäft dieselbe Auffassung hat. Wie hat sich der Bundesrat verändert, seit Sie dabei sind? Bundesräte, die schon vor 2003 dabei waren, sagen mir, man diskutiere viel intensiver. Zudem haben wir keine schwerwiegenden Fehlentscheide getroffen. Wir gründeten keine Swiss, schafften keinen Solidaritätsfonds und keine Expo mit Milliardenverlusten. Das ist schon viel. Prästieren das die Bundesräte gut? Ich habe das Gefühl, ja. Auch Moritz Leuenberger? Das müssen Sie ihn fragen. Wir haben verschiedene Auffassungen, er ist ein Sozialdemokrat, ich bin ein Bürgerlicher. Ich entscheide nicht im Bundesrat. Es wird abgestimmt. Zwischen Ihnen und Leuenberger herrscht auch persönlich nicht gerade tiefe Freundschaft. Freunde waren wir nie. Das müssen wir aber auch nicht, um im Bundesrat zu sitzen. Auch mit den anderen war ich nie befreundet. Es wäre auch nicht gut, wenn dies sieben Freunde wären. Ich halte nichts von Kameraderie. Hass und Verachtung ist aber nicht vorhanden. Was hat Sie in diesen zwei Jahren im Bundesrat am meisten überrascht? Dass ich Anträge einbringen konnte - und mit vielen durchdrang. Das hätten Sie nicht erwartet? Ich kam von aussen, hatte den Bundesrat oft kritisiert. Es hätte sein können, dass sich die Bundesräte sagen: Jetzt zeigen wir es ihm, hören ihn nicht an, diskutieren nicht mit ihm, lehnen jeden Antrag von ihm ab, jede Vorlage. Phasenweise geschah das. Es gab einzelne Entscheide, bei denen ich das spürte. Gesamthaft gesehen war das aber nicht der Fall. Einzelne Bundesräte machten das vielleicht, die Mehrheit aber nicht. Ich kann keinen wesentlichen Antrag aus dem eigenen Departement nennen, mit dem ich deswegen gescheitert wäre. Dieser Bundesrat entscheidet besser als der vorangegangene. Warum? Geheimes, Hinterrückiges, Hinterhältiges ist viel grausamer als es offene Diskussionen sind. Ich habe mit früheren Bundesräten über Interna gesprochen. Wer sagt, damals sei alles wunderbar gewesen, täuscht sich. Es gab Zeiten, in denen es im Bundesrat Tränen absetzte. Das gab es in den letzten zwei Jahren nie. Hier ist etwas geschehen. Oft erfährt man heute das Abstimmungsresultat im Bundesrat. Das ist unkorrekt, aber mehr Transparenz könnte nützen. Natürlich muss man aufpassen, dass das System nicht zu sehr belastet wird. Hat der Bundesrat entschieden, darf man nicht mehr gegen diesen Beschluss antreten. Daran halte ich mich. Ganz am Anfang war es ein wenig schwierig, weil ich Vorlagen meiner Vorgängerin vertreten musste. Das waren Übergangsschwierigkeiten, die es bei einem Politiker mit einer starken Meinung geben darf. Sie sind mit dem Bundesrat zufrieden - und sogar SVP-Präsident Ueli Maurer ist es. Das heisst: Die Politik läuft nach Ihrem Gusto. Wenn man so tut, als ob dieser Bundesrat nicht funktionsfähig sei, dann kennt man die Fakten nicht. FDP-Präsident Fulvio Pelli sagt aber, der Zufall regiere die Schweiz. Das ist halt in der direkten Demokratie so. Das ist das Resultat eines Kräfteverhältnisses. Und das ist gar nicht so schlecht - und ist nicht neu, war immer so. Viele ausländische Politiker können es fast nicht verstehen, dass die Schweiz so funktioniert. Der Beweis ist, dass es funktioniert. Sie steht sogar besser da als die meisten Länder mit sauber strukturierter Regierung und Opposition und einem starken Präsidentensystem. Die Bürger haben zudem mehr Freiheiten als in anderen Staaten. Ist das jetzt ein klares Bekenntnis zur Konkordanz? Wir haben sie. Sie hat Vor- und Nachteile. Hätten wir die direkte Demokratie nicht, wäre ich aber nie für die Konkordanz. Dann fehlte uns die Opposition. Unsere Opposition ist eigentlich das Volk, es ist der Richter. Deshalb funktioniert die Konkordanz. Und dafür bin ich. Ein Plädoyer für zwei Sozialdemokraten in der Regierung? Solange es die Konkordanz gibt, zählt die Grösse der Partei. Die SP-Bundesräte bleiben in der Regierung. Dagegen habe ich nie etwas eingewendet. Die «SonntagsZeitung» schrieb aber, Sie arbeiteten an einem Hinauswurf der SP-Bundesräte. Warum sie dies schreiben, ist mir schleierhaft. Ich wüsste nicht, wo ich das gesagt haben sollte. Ich arbeite nicht darauf hin. Komischerweise sagt niemand, dass die Sozialdemokraten dies tun. Sie wollen Blocher und die SVP aus der Regierung haben, und erklären dies. Suchen Sie die bürgerliche Vorherrschaft? Nein. Aber jeder, der eine Meinung und eine Überzeugung hat, will diese durchsetzen. Natürlich will ich etwas durchsetzen, wenn ich überzeugt bin davon. Welche längerfristigen Ziele haben Sie mit der Schweiz? Es ist nicht so, dass wir schon sehr viel erreicht haben. Wir haben zwar Projekte, die das Aufgabenwachstum bremsen sollen. Aber im Moment stecken wir in einer gefährlichen Situation. Der Wirtschaft geht es viel besser. Dies gibt höhere Einnahmen. Trotzdem haben wir eine grosse Überschuldung. Und sehen wir uns die finanzielle Situation ausserhalb des Bundeshaushaltes mit den grossen Pensionskassen an, wird klar: Wir haben noch vieles vor uns. Damit die Schweizer Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt, wir Vollbeschäftigung und Arbeitsplätze halten können, müssen wir sehen, dass der Staat weniger reguliert. Da stehen wir noch am Anfang. Was muss geschehen und wie lange dauert es? Das kann ich nicht sagen. Ich spüre, dass die Einsicht wächst. Immer mehr Leute sind von der Selbstverantwortung überzeugt. Ein Wandel hat vor allem bei den Jungen eingesetzt. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass wir Boden fassen. Wie wichtig das ist, zeigt das Beispiel Deutschland: Man kann ein Schiff kaum mehr wenden, ist es zu lange in die falsche Richtung gefahren. Früher haben Sie selbst einen deutschen Kanzler als Vorbild erwähnt: Konrad Adenauer, der 14 Jahre im Amt blieb. Ihnen verbleiben also noch zwölf Jahre - bis 2017. Was liegt da noch drin? Ich sagte, mein Rücktritt sei aufs Jahr 2026 vorgesehen. (Lacht) So alt war Adenauer, als er zurücktrat. Damit hätten Sie eine deutlich längere Regierungszeit als Adenauer. Ja, aber Adenauer war Kanzler. Das zählt doppelt. Sie benötigen länger? Ja, weil ich nur Bundesrat bin. Wichtig ist, dass man sein Gedankengut einbringt. Man muss gar nicht immer ein klares Projekt haben. Gedanken sorgen für ein Umdenken, hin zu den Eigenschaften, die die Schweiz stark gemacht haben. Sie war ein ökonomisch armes Land, das reich wurde. Die Schweiz hat mit ihrer direkten Demokratie einen hohen Freiheitsgrad. Und es gibt Kreise, die die direkte Demokratie zerstören wollen. Sie finden, Demokratie sei nicht zeitgemäss. Diese Ideen kommen nicht nur von den Linken, die in die EU und damit alles aufgeben wollen. Diese Ideen kommen vor allem aus der Wirtschaft und von Avenir Suisse. Ja. Die Kreise, die das denken, sind weit weg von der Praxis. Dahinter stecken auch Topmanager von globalen Konzernen. Ja, das stimmt. Ich sage nicht, dass wir auf die Knie sinken sollen, sobald Manager aus globalen Konzernen einen Gedanken äussern. Natürlich höre ich in wirtschaftlichen Dingen stark auf sie, doch in Sachen direkter Demokratie liegen sie falsch. Sie glauben, ohne direkte Demokratie werde ein Staat liberal, habe eine kleinere Ausdehnung. Direkte Demokratie aber bremst den Staat tendenziell. Wie soll die Schweiz aussehen, wenn Sie zurücktreten - 2017 oder 2026? Das weiss ich nicht. (Lacht). Soweit muss ich jetzt nicht denken. Das ist Ihnen egal? Nein, egal ist es mir nicht. Aber ich kann nicht sagen, wie sie zu jenem Zeitpunkt genau aussieht. Was soll denn einst im Geschichtsbuch über Sie stehen? Das kann man sowieso erst in 150 Jahren beurteilen. Ich arbeite nicht an meiner Geschichtsschreibung. Eine Schweiz als unabhängiges, freiheitliches Land, das nicht jeden Trend im Ausland mitmacht, hat grosse Chancen. Diese Chancen nehmen zu, das spürt man. Die Vereinheitlichung, die die EU als Ziel hat, ist nicht die Lösung. Auch das spürt man immer mehr. Es ist enorm wichtig, dass alle Bürger an der Staatsgestaltung mitwirken. Ich bin davon überzeugt, dass man dem Staat wenig Macht geben soll, damit sich der Bürger entfalten kann. Ich hoffe, die Situation ist bei meinem Rücktritt besser, als sie es 2003 war, als ich Bundesrat wurde. Hat sie sich seither gebessert? Sie ist schon besser. Wenig nur. Aber sie ist besser. Lässt sich das jetzt mit fünf multiplizieren in der Ära Blocher? Das hängt nicht von einer Person ab, sondern von der Zeitströmung, der geistigen Verfassung, der Diskussionskultur. Deshalb lege ich solchen Wert auf Auseinandersetzungen, Transparenz und Wettbewerb der Ideen und Grundauffassungen. Kommen Ihnen die Zeiterscheinungen entgegen? Sie ändern sich in meine Richtung. Man ist skeptisch gegenüber dem Anspruch, der Staat solle alles regeln. Die Leute realisieren, dass das auf die Dauer nicht geht. Deshalb die unglaubliche Nervosität der Sozialdemokraten und der Grünen. Sie realisieren, dass ihnen die Felle davonschwimmen. Nur machen Sie einen Fehler: Sie fokussieren auf mich. Sie geben mir viel zu viel Macht und Bedeutung. Sie stellen Ihr Licht jetzt unter den Scheffel. Man kann mir den Vorwurf machen, dass ich meine Ideen konsequent vertrete. Aber eine Person alleine kehrt ein Land nicht. Schon gar nicht in der Schweiz. In Ihrem Büro soll eine Karikatur von Raymond Burki hängen. Sie zeigt Sie auf einem Wagen, mit der Peitsche in der Hand, wie Sie den Bundesrat dirigieren. Sie ist zwar jetzt nicht zu sehen... (zeigt nach rechts, wo die Karikatur hängt) Doch, diese da. Er hat sie gezeichnet, als ich Bundesrat wurde. Und sie wurde mir geschenkt. (Ein schelmisches Lachen überzieht sein ganzes Gesicht). Diese Karikatur gefällt Ihnen offensichtlich sehr gut. Ja. Es gibt ein Anker-Bild, auf dem sieben Kinder mit diesem Wagen zu sehen sind. Burki hat die Kinder durch Bundesräte ersetzt und sagte, ich soll den Fuhrmann spielen. Aber ich hätte sie auch aufgehängt, wenn er mich anders dargestellt hätte. Er hat Sie nun einmal in einer sehr dominanten Rolle gezeichnet. Ja, ja. Ich komme sogar zweimal vor. Als Blocher, der auf dem Bild ist und als Blocher, der das Bild zeigt. Sehen Sie, am unteren Rand: Da zeige ich die Karikatur. Das beweist: Diese Rolle gefällt Ihnen sehr. Nein. (Überlegt) Nein. Nein. Da haben Sie nicht recht. Ich wäre zufrieden, müsste ich im Bundesrat nichts sagen. Wie bitte? Liefe es, wie ich es für richtig halte, würde ich lieber nichts sagen. Reagieren andere, mache ich nichts. Machen andere nichts, reagiere ich. Aber ich muss mich zwingen. Jedesmal. Schon wieder muss ich etwas machen. Gopfnomal. Ich spiele keine Rolle. Ich muss mich wehren gegen diese Rolle. Und der Fluch lastet auf mir, hier wieder Unternehmer sein zu müssen. Ich wäre froh, es nicht mehr sein zu müssen. Immerhin schreiben Sie zu allem und jedem Mitberichte. Ja. Aber nicht aus Lust. Sondern aus Pflicht. Aber ich bin froh, wenn ich etwas nicht entscheiden muss. In der Schweiz sind grosse Ängste vorhanden vor dem Kurs der Regierung mit Ihnen. Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss sagte in FACTS: «Blocher macht mir Angst. Ich fürchte, dass er unsere Institutionen gefährdet.» Vor einem Gegner hat man halt Angst. Ich hatte auch Angst vor Frau Dreifuss, gottvergessene Angst davor, was sie alles kaputt machte mit ihrer Politik. Selbst der frühere Präsident der Freisinnigen Franz Steinegger sagt inzwischen, die Rechtsbürgerlichen suchten nicht mehr den Konsens. «Sie wollen die neoliberale Revolution.» Steinegger machte mir auch Angst, wie er die Dinge schleifen liess. Er scheiterte ja als Präsident der FDP. Dabei hätten wir diese Partei benötigt. Haben Sie selber auch Ängste? Natürlich. Ich habe immer Ängste, schon immer gehabt. Das ist in der Verantwortung so. Ich habe aber nicht mehr schlaflose Nächte, als ich sie als Unternehmer hatte. Da stand ich alleine, war verantwortlich für 3000 Familien. Dies ist im Bundesrat anders. Hier trage ich nur einen siebtel der Verantwortung. Angst darf man haben. Es gibt keinen angstlosen Zustand, wenn man in der Führung steht. Macht Angst Sinn? Angst bewahrt vor Fehlentscheiden und vor leichtfertigem Handeln. Angst ist ein gutes Hindernis dafür, sich zu stark nach aussen zu wenden. Aber Angst ist nichts Angenehmes. Finanzielle Ängste habe ich heute nicht mehr, ich bin als ehemaliger Unternehmer ja vermögend. Aber ich habe Angst, dass im Land etwas schief geht. Dass die Konkurrenz für dieses Land zu gross wird. Dass wir Fehlentscheide treffen. Das ist der normale Zustand.

24.12.2005

«Meine Freunde sind entäuscht von mir»

Was er auch tut, er macht es mit Herzblut. Mit einem inneren Feuer. Und mit messerscharfem Verstand. Christoph Blocher bewegt. Nicht nur die Politik. Sondern auch die Menschen. Sie hassen oder lieben ihn – etwas dazwischen gibt es kaum. Als Oppositioneller schaffte er vor zwei Jahren den Sprung in den Bundesrat. "Und ich bin froh, dass ich mich für dieses Amt entschieden habe", sagt der 65-Jährige heute. Seine Bilanz der ersten 24 Monate fällt positiv aus. Die Regierungskollegen hätten ihn weder ausgegrenzt noch blockiert. "Ich konnte viel erreichen, sogar mehr als ich erwartet habe." 24.12.2005, Schweizer Illustrierte, Christine Zwygart Christoph Blocher ist Unternehmer. Und wie ein Wirtschaftsboss führt er auch seine Polizei- und Justizdirektion. Die reduzierte die Kosten um jährlich 80 Millionen Franken, "und zwar ohne Leistung abzubauen". Und auch im Asylwesen habe er viel bewirkt: Dank dem neu revidierten Asylgesetz könne die Schweiz die gravierenden Missbräuche beseitigen. Und: "Der Bundesrat hat in den letzten zwei Jahren keine Dummheiten beschlossen", betont Blocher. Sicher sei nicht alles so entschieden worden, wie er es gern gehabt hätte. "Aber grosse Böcke wie damals die Milliarden für die Swiss und die Expo – solche Sachen haben wir uns nicht geleistet." Der Blick zurück lässt viele Momente wieder aufleben. Auch seinen Wahltag im Dezember 2003. "Ich hoffe, dass Gott hilft, dass es gut herauskomme", sagte Blocher damals. Hat Gott geholfen? "Ja natürlich!" Sie haben vor zwei Jahren orakelt, dass Sie Freunde enttäuschen werden. Haben sich Ihre Befürchtungen bewahrheitet? Ja natürlich. Als Bundesrat muss ich manchmal Entscheide vertreten, die ich persönlich nicht teile. Meinen Freunden muss ich zumuten, dass ich nicht mehr auf ihrer Seite kämpfe. Tut das weh? Das tut mir manchmal leid. Denn ich merke, dass sie enttäuscht sind und mühe damit haben. Aber ich muss ihnen das halt einfach zumuten. Sie spalten die Schweiz. Man liebt oder hasst Sie – egal sind Sie niemandem. Damit lebe ich schon seit über 30 Jahren. Persönlichkeiten haben eben eine starke eigene Meinung. Die einen können sich damit identifizieren, andere nicht. Wie jeder Mensch möchte ich geliebt und nicht gehasst werden. Aber ich gehe meinen Weg. Denn nur wer keine Meinung hat, ist bei allen ein bisschen beliebt. Aber solche Menschen werden dafür nicht respektiert. Als was fühlten Sie sich mächtiger: Als Bundesrat oder zuvor als Nationalrat? In den ganz grossen Fragen und Auseinandersetzungen hatte ich als Nationalrat mehr Gewicht. Das Nein zum europäischen Wirtschaftsraum EWR – die wichtigste Abstimmung der letzten 50 Jahre – hätte ich als Bundesrat wohl nicht erkämpfen können. Auf der anderen Seite habe ich in den letzten zwei Jahren viel in die Regierung hineintragen können. Es ist also eine durchzogene Bilanz. Trotzdem bin ich mir heute sicher, dass meine Position im Bundesrat stärker ist. Hand aus Herz, Sie wünschten sich manchmal doch auch, Sie hätten die Wahl in den Bundesrat nie angenommen. Natürlich. Mehr als einmal. Aber ich verscheuche den Gedanken. Ich habe mich dafür entschieden, und ich wäre ein Feigling nun zu sagen, anderswo wäre es schöner. Da gebe ich mit jeweils einen Schubs und sage zu mir selber: Frage Dich nicht was schöner wäre, sondern mach was wichtig ist. Christoph Blocher ist Kunstsammler. Und sein Büro im Bundeshaus eine Offenbarung. Der Holzfäller von Ferdinand Hodler, ein Werk („Im Schneesturm“) von Rudolf Koller und zwei Stilleben von Albert Anker – letztere aus Blochers Privatbesitz. "Ich habe doch das schönste Büro der ganzen Eidgenossenschaft", sagt der Bundesrat und lacht. Landschaften sammelt er leidenschaftlich. Eben erst wurde das Hodlers Werk „Eiger, Mönch und Jungfrau über dem Nebelmeer“ für 4,8 Millionen Franken versteigert. Ob er wohl… "Das ist mir zu teuer gewesen. Obwohl es in zehn Jahren vielleicht einen Wert von 20 Millionen hätte." Das wisse man bei der Kunst eben nie.Sein Lieblingsbild ist im Moment ein Werk von Albert Anker, das einen Grossvater mit seinen beiden Enkeln zeigt. " Ein grosartiges Bild, das die Bedeutung des Alters und der Jugend phantastisch gegenüber stellt", schwärmt der Bundesrat. Immer wenn er in seine Villa nach Herrliberg ZH zurück kommt, stellt er sich zuerst vor dieses Bild – weil es so etwas tröstliches habe, sagt der vierfache Grossvater.   Haben Sie noch Zeit für Ihre Familie und Ihre Enkel? Wenig, aber die Sonntage halte ich mir in der Regel immer frei. Es ist wenig Zeit, die wir miteinander verbringen. Aber meine Kinder sind ja auch schon gross und brauchen mich nicht mehr jeden Tag. Dafür geniessen wir dann jede gemeinsame Minute. Sie gehen sonntags oft spazieren. Was machen Sie sonst zum Entspannen? Ich bin ein grosser Musikliebhaber. Wenn ich nachts nicht schlafen kann stehe ich auf und höre Mozart oder Mendelsson. Das sind jeweils wunderschöne Stunden. Ich habe aber auch Zeit zum Lesen, denn ich schaue kein Fernsehen und höre kein Radio. Morgens gehe ich laufen und joggen. Mit zunehmendem Alter zwar immer ein bisschen langsamer, ich geniere mich auch nicht zwischendurch zu gehen. Sie feierten Ihren 65. Geburtstag. Und Sie wollen 2007 nochmals bei den Wahlen antreten. Haben Sie Angst vor dem Ruhestand? Ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich schon 65 Jahre alt bin. Mein Temperament und meine Kraft erlauben es mir, immer noch etwas zu leisten. Den meisten bin ich ja sogar viel zu aktiv! Man könnte also nicht meinen, ich sei der Älteste hier im Betrieb. Heute brauche ich aber mehr Ruhezeit, ganze Nächte ohne Schlaf durcharbeiten wir früher kann ich nicht mehr. Dafür verfüge ich heute über eine grosse Erfahrung, und vieles geht mir leichter von der Hand.   Christoph Blocher ist Politiker. Durch und durch. Die Wahl in den Bundesrat hat sein Leben verändert. Aber einiges ist doch gleich geblieben. "Ich hätte meine Arbeit nicht gut gemacht, wenn mir die Linken und Grünen heute applaudieren würden", sagt er. Respekt genüge, Liebe sei nicht notwendig. Und auch die jüngste Umfrage, wonach nur 37 Prozent des Volkes ihn in die Regierung wählen würde, nimmt er gelassen. "Immerhin steht ein guter Drittel noch hinter mir. Ich habe so manches angerissen – da ist dieses Resultat doch eigentlich ganz gut." Er könne nicht jeden Tag seine Beliebtheit abfragen, sondern müssen ein Departement führen und konsequent seinen Weg gehen.   Seit zwei Jahren leben Sie unter der Woche in Bern. Wie gefällt es Ihnen? Meine schönste Zeit in Bern ist früh am Morgen. Dann gehe ich zu Fuss von meiner Wohnung in der Altstadt ins Büro. Und unterwegs treffe ich immer wieder die gleichen Menschen. Die Frau, die in der Bäckerei die Regale auffüllt. Die Lieferanten, die Ware bringen. Die Mann, der vor seinem Laden die Laube wischt. Die Marktfrauen, die den Tag vorbereiten. Wir grüssen einander, wechseln auch mal ein Wort. Das ist für mich eigentlich der erholsamste Teil des Tages. Der Kontakt mit dem Leben. Sie sagen selber, Sie hätten kaum noch Kontakt zu den Menschen. Gerade das war jedoch immer Ihre Stärke. Ich bin im Bundeshaus, in meinem Büro, schon ein bisschen abgeschirmt. Ich sage immer, hier ist meine geschützte Werkstatt, abgeschottet von der Aussenwelt. Und das finde ich nicht so gut. Ich frage mich immer wieder, wie ich diese Kluft überwinden kann. Wenn ich heute irgendwo als Bundesrat hinkomme, haben die Leute sofort Hemmungen mich anzusprechen. Auf der anderen Seite ist es aber auch schön, ihre Dankbarkeit zu sehen. Ich sage meinen Amtsdirektoren immer wieder, dass wir näher ans Leben heran gehen müssen. Haben Sie einen Herzenswunsch? Ich wäre schon froh, wenn man mich irgendwann in der Politik nicht mehr braucht. Dann würde ich wandern und mich meiner Kunst widmen. Aber das Paradies ist uns ja leider verwehrt. Und vielleicht sind paradiesische Sachen plötzlich auch nicht mehr so schön, wenn man sie immer hat.

22.12.2005

Man muss den Leuten nicht aufs Maul schauen

Die Swisscom-Debatte hat die Privatisierungsdiskussion im Land neu entfacht. 2006 wird sie an Schärfe gewinnen. Bundesrat Christoph Blocher nennt die nächsten Kandidaten -nur die SBB will er schonen. 22.12.2005, Cash, Jürg Wegelin, Bruno Affentranger Sie haben mit dem Swisscom-Entscheid des Bundesrates einen Coup gelandet. Nicht der Weg sei das Ziel, sondern das Ziel sei das Ziel, sagen Sie. Haben Sie Ihr Ziel erreicht? Der Bundesrat hat entschieden, nicht ich. Auf dem Weg der Verselbständigung der Swisscom sind wir erst in der ersten Etappe angelangt. Aber die Schweizer Bevölkerung ist nun zumindest sensibilisiert, dass die Auslandstrategie der Swisscom viel zu riskant ist. Sie sagen aber immer, die Politik solle sich nicht in unternehmerische Entscheide einmischen. Kann der Bundesrat die Auslandrisiken der Swisscom besser abschätzen, als Jens Alder, der dieses Unternehmen führt? Ich bin weiterhin der Meinung, dass der Bundesrat sich nicht in unternehmerische Entscheide einmischen sollte. Aber in diesem Fall ist der Bund tatsächlich als Mehrheitsaktionär der Unternehmer, auch wenn er dies nicht sein sollte. Es ist deshalb seine Pflicht, dass er als Besitzer der Swisscom – als Unternehmer – bestimmt. Die akkumulierten Gewinne sind an die Aktionäre, d.h. hier den Bund auszuzahlen, statt mit diesem Geld im Ausland risikante Investitionen zu tätigen. Glauben Sie wirklich, dass Sie das Volk im Abstimmungskampf für eine Privatisierung gewinnen können? Ich bin überzeugt, dass man dem Stimmbürger erklären kann, was hier auf dem Spiele steht. Wir können ihm garantieren, dass die Grundversorgung auch mit einer privatisierten Swisscom gewährleistet sein wird. Aber abenteuerliche Investitionen im Ausland sind Verlust des Geldes der Bürger. Sie beanspruchen für sich, den Puls des Volkes spüren zu können. Bei der Abstimmung über das Strommarktgesetz hat sich jedoch gezeigt, dass die Mehrheit der Stimmbürger gegenüber Liberalisierungen sehr skeptisch eingestellt ist. Beim Strommarktgesetz war der Vorteil der Privatisierung zu wenig klar. Man muss den Leuten nicht immer nur aufs Maul schauen, sondern sagen, was man für richtig erachtet. Wenn das Volk nicht will, dass private Investoren die Swisscom übernehmen, muss halt die staatlich beherrschte Swisscom sich in Zukunft auf den Schweizer Markt beschränken. Andernfalls tragen die Schweizer das Risiko. Konsequenterweise müsste der Bund ja nun die Ruag verkaufen. Die Waffenschmiede ist ebenfalls mit Risiken behaftet. Auf die Dauer macht die staatliche Beherrschung der Ruag tatsächlich keinen Sinn. Die Risiken sind hier jedoch für den Bund bei weitem nicht so gross wie bei der Swisscom. Es gibt jedoch politische Risiken. Die Ruag ist in der Vergangenheit wiederholt wegen ihren Geschäften mit der Türkei oder sensiblen Nahost-Lieferungen ins Gerede geraten. Aber da stehen nicht 17 Milliarden Franken auf dem Spiel wie bei der Swisscom. Doch zum gegebenen Zeitpunkt wird man auch die Ruag privatisieren können. Und die Post? Auch der gelbe Riese ist im Ausland engagiert. Für bestimmte Postgeschäfte ausserhalb des Monopolbereichs, wie zum Beispiel die Paketpost, ist eine Verselbständigung denkbar. Aber ich finde dieses Problem nicht derart brennend. Die Risiken sind nicht allzu gross. Eine SBB-Privatisierung steht für Sie somit ebenfalls nicht zur Diskussion? Auch in ferner Zukunft nicht. Es können ja nicht mehrere Bahnen mehrere Gleisstränge von Bern nach Zürich bauen und miteinander in Konkurrenz treten. Denkbar wäre jedoch, dass neben der SBB und der BLS zusätzliche Betriebsgesellschaften dieses Netz nutzen. Das Schienennetz muss jedoch auf jeden Fall in den Händen des Staates bleiben. Sind Sie ein Privatisierungsfundamentalist? Nein, sicher nicht. Wo ein Monopol unausweichlich ist, bin ich für staatliches Eigentum. Wo Wettbewerb vorhanden, ist staatliches Eigentum in der Regel wettbewerbsbehindernd. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, ob eine Privatisierung Sinn macht oder nicht. Aus ordnungspolitischen Gründen ziehe ich allerdings wenn immer möglich marktwirtschaftliche Lösungen vor. Im Ausland werden ja zum Teil auch die Autobahnen privat betrieben. Hier haben wir doch ebenfalls ein natürliches Monopol. Nicht unbedingt. Denn die Autofahrer haben im Ausland stets die Möglichkeit, auf das übrige Strassennetz auszuweichen. In der Schweiz wäre dies jedoch undenkbar. Das Land bietet zu wenig Platz. Auch wenn Sie nicht der Liberalisierungsturbo sind, als den man Sie immer darstellt. Ihre Partei geht in dieser Frage viel forscher vor. So wettert die SVP dauernd gegen das SRG-Monopol. Aber sie tut dies nicht, weil sie Radio und Fernsehen privatisieren will. Die SVP findet vielmehr, dass mit dem Gebührenmonopol der SRG das Entstehen einer schlagkräftigen Konkurrenz verhindert wird. Und mit dem derzeit diskutierten Recht wird dieser Zustand auf Jahre hinaus zementiert. Hier ist der Zug für eine gesamtschweizerische, private Konkurrenz abgefahren. Die SRG braucht es jedoch. Die italienische Schweiz zum Beispiel, könnte sich selber keinen solchen Sender leisten. Die italienische Schweiz braucht als Minderheitenregion ein eigenes Fernsehen. Braucht aber der Bundesrat auch ein eigenes Fünfstern-Hotel, das Bern Hotel Bellevue? Bei genügend Konkurrenz nicht. Der Bund hat jedoch dieses Hotel in Bundeshausnähe erworben. Ein Grenzfall. Immer mehr Hotels schliessen, zum Beispiel das Hotel Schweizerhof. Diese Liegenschaft am Bahnhofplatz steht teilweise leer. Der Bund besitzt ebenfalls viele schlecht genutzte Liegenschaften, wie zum Beispiel das Kasernenareal in Bern. Als einer der grössten Schweizer Liegenschaftsbesitzer könnte der Bund die Bewirtschaftung an Private abtreten. Warum nicht? Viele Liegenschaften braucht der Bund nicht. Und jene die er braucht, könnte er ebenso gut mieten. Mit dem neuen Finanzmodell werden diese Ueberlegungen aktuell. ... er muss sie ja nicht gleich verschenken. Es ist Weihnachten, Zeit sich etwas zu wünschen. Wie sähe Ihr Wunsch-Bundesrat aus? Ich bin mit dem Bundesrat in seiner heutigen Zusammensetzung nicht unglücklich. Der Eindruck, die Landesregierung funktioniere schlecht, ist falsch. Es ist normal, dass nicht alle Bundesräte meine Vorschläge gutheissen und gleich denken wie ich. Wir leben in einem Konkordanzsystem. Hört man da ein Votum für die SP im Bundesrat heraus? Ja. Auch die SP gehört zu dieser Konkordanz. Ginge es mit einem Konkurrenzsystem mit Regierung und Opposition schneller vorwärts? Nein, schauen sie doch ins Ausland. Dort kommen die Reformen nicht schneller voran. Für eine gute Politik sind in erster Linie die Personen wichtig, die in der Regierung sitzen. Aber geben Sie es doch zu: Sie würden lieber ohne die Sozialdemokraten im Bundesrat regieren. Nein, das stimmt nicht. Wir haben ein Konkordanzsystem, in dem alle Parteien entsprechend ihrem Wähleranteil vertreten sein müssen. Würden wir auf ein Regierungs- Oppositionsmodell ändern, ist es klar, dass ich für eine bürgerliche Regierung wäre.

21.12.2005

Der Bund ist der falsche Eigentümer

Bundesrat Christoph Blocher zu Swisscom-Entscheid, Kollegialitäsprinzip und Südafrika 21.12.2005, Südostschweiz, Flurina Valsecchi Bundesrat Blocher verteidigt den Swisscom-Entscheid vehement und erklärt, warum der Bundesrat einen Südafrika-Bericht nicht kommentieren will. Herr Bundesrat Blocher, was schenken Sie Ihrer Kollegin und Ihren Kollegen zu Weihnachten? Nichts. Wir schreiben einander und ich habe allen Bundesräten einen Kalender von Albert Anker geschickt. Bundesräte gönnen einander auch unter dem Jahr nichts, wenn wir etwa an die Handhabung des Kollegialitätsprinzips denken. Wie interpretieren Sie dieses Prinzip? Das Kollegialitätsprinzip besagt, dass das Bundesratskollegium gemeinsam Entscheide fasst. Wenn diese einmal getroffen sind, tritt man nicht mehr dagegen an. Aber man spürt natürlich, dass ein Bundesrat Beschlüsse, denen er selbst nicht zugestimmt hat, nicht mit demselben Enthusiasmus vertritt. Allerdings sollte man das Kollegialitätsprinzip nicht überstrapazieren, indem man so tut, als hätte ein Bundesrat keine eigene Meinung. Das wäre Heuchelei. Wird das Prinzip eingehalten? Ich habe den Eindruck, dass es im Moment nicht schlecht funktioniert. Es wird sehr offen und sachlich diskutiert. Nachher fassen wir gemeinsam Beschlüsse. Diese bleiben dann mehr oder weniger geheim. Sie interpretieren das Kollegialitätsprinzip nach dem Motto «Der Zweck heiligt die Mittel». Die Swisscom-Affäre zeigt aber, dass dies dem Bundesrat und dem Land schadet. Ich betone: Es gibt keine Swisscom-Affäre. Der Bundesrat hat einen weittragenden Entscheid zu einer Firma gefällt, bei der vorher alle die Augen verschlossen haben. Ohne diesen Beschluss wären wir mit der Swisscom wie einst mit der Swissair in den Abgrund gelaufen. Was den Zweck anbelangt, der die Mittel heiligt: Manchmal tut er das. Doch bei der Swisscom sehe ich den Zusammenhang nicht. Der Bundesrat hat sich während eineinhalb Jahren mit der Swisscom befasst und dann entschieden. Sie nutzten gewissermassen Notrecht, um die Entwicklung bei der Swisscom zu stoppen. Nachdem schon die ersten beiden Auslandengagements der Swisscom grosse Verluste gebracht hatten, fuhr die Firma erneut eine sehr abenteuerliche Auslandstrategie. Diese war für den Bundesrat zu risikoreich. Sie wollten einen Fehlentscheid verhindern. Richtig. Wir haben festgestellt, dass der Bund für die Swisscom, die anscheinend ins Ausland muss, um voranzukommen, der falsche Eigentümer ist. Dieses Risiko kann die Schweiz nicht tragen. Im ersten Moment hat man das nicht verstanden. Das ist bei Richtungswechseln so. Doch jetzt ist es anders! Obwohl die meisten zuerst den Kopf schüttelten, ist man nun doch zur Einsicht gekommen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Woher nehmen Sie die Gewissheit, zu wissen, was gut ist für die Schweiz? Als Bundesrat habe ich den Auftrag, ständig darüber nachzudenken, was gut und richtig ist fürs Land. Diese Erkenntnisse muss ich dann umsetzen. Und dafür die Verantwortung tragen. Sie sagen, die Politik sei realitätsfremd. Was meinen Sie damit? Diese Realitätsfremde erlebe ich jeden Tag. Wir leben in einer «geschützten Werkstatt». Damit meine ich – wir – die ganze Bundesverwaltung – mich eingeschlossen. Mit einer «geschützten Werkstatt» schützt man normalerweise Menschen vor der Unbill des Lebens. Ich merke, wie wir weit vom pulsierenden Leben weg sind. Wir werden realitätsfremd. Früher erlebte ich als Unternehmer konkret die Auswirkungen von neuen Bau- oder Umwelt-Vorschriften. Seit ich im Bundesrat bin, merke ich nicht mehr, was unsere Entscheide draussen im Alltag bewirken. Wie wollen Sie dieses Problem lösen? Ich ringe um Lösungen. Generell ist es wichtig, dem Staat nicht zuviel Macht zu geben, damit er nicht überall hineinbefehlen kann. Konkret heisst dies, dort wo Legiferieren nicht wirklich nötig ist, soll man darauf verzichten. Aber wir müssen auch mehr hinaus ins Leben. Haben Sie als Bundesrat auch schon Fehler gemacht? Ja natürlich. Zum Beispiel ist die Bearbeitungsdauer von Gesuchen bei der die Asylrekurskommission immer noch viel zu lang. Vielleicht müssten wir gesetzlich mehr tun. Gemäss Ihren Aussagen haben Sie jährlich 80 Millionen Franken eingespart, ohne dabei Leistungen abzubauen. Folglich müssten all Ihre Vorgänger geschlafen haben? Ich kritisiere meine Vorgänger nicht. Ich habe die Abläufe vereinfacht. Dadurch brauche ich weniger Mitarbeiter und die Verwaltung wird effizienter. Ich wollte mit meinem Programm die Kosten um 20 Prozent senken. Am Schluss sind 22 Prozent herausgekommen. Da habe ich einen Fehler gemacht; ich hätte das Ziel bei 30 Prozent ansetzen müssen. Das heisst, dass Sie ein zweites Sparprogramm durchziehen werden? Nein, ich werde dieses Programm nun verwirklichen. In ein paar Jahren muss man die ganze Verwaltung aber wieder genau anschauen. Im Oktober kam eine Nationalfonds-Studie zum Ergebnis, dass die Schweiz das Uno-Waffenembargo gegen das Apartheid-Regime Südafrikas im Stil unterlaufen hat und mit diesem intensive Geschäfts- und Militärbeziehungen unterhielt. Warum weigert sich der Bundesrat, diesen Bericht zu kommentieren? Der Bundesrat nimmt diese Studie zur Kenntnis. Es gibt darin nur eine kleine Passage, die meine Person anbelangt. Und diese Passage ist so mangelhaft, dass ich annehmen muss, dass andere Passagen in der Studie auch falsch sind. In dieser Studie steht, dass der südafrikanische Nachrichtendienst Kontakte zu Ihnen als sehr wertvoll eingestuft hat. Eben sehen Sie. Ich hatte nie mit dem südafrikanischen Nachrichtendienst zu tun. Ich kenne auch jene Person nicht, mit welcher ich gemäss diesem Bericht hätte gesprochen haben sollen. Ich bin von den Autoren der Studie auch nie zu diesem Thema kontaktiert worden. Wahrscheinlich wurde jede Person, die in der Schweiz damals eine führende Position eingenommen hatte, in Südafrika als wertvoll eingestuft. Immerhin waren Sie Gründungspräsident der Arbeitsgruppe Südliches Afrika. Ja, eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, Militärs, Politikern und Privatpersonen. Haben Sie in irgendeiner Form das Apartheidsregime unterstützt? Nein. Diese Arbeitsgruppe hat sich mit der strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung des südlichen Afrikas beschäftigt, dazu gehörte nicht nur Südafrika, sondern auch die Nachbarstaaten. Die Apartheid hat uns nicht interessiert. Ihre Arbeitsgruppe hätte gegen das Apartheidsregime Stellung beziehen müssen. Das war nicht Gegenstand unserer Arbeit. Natürlich war uns die Apartheid fremd. Sie fordern von Journalisten, dass diese schreiben, was ist. Sagen Sie uns doch, wie die Verhältnisse zwischen der Schweiz und diesem Regime waren. Wenn die Ergebnisse der Studie aus Ihrer Sicht falsch sind. Ich habe nicht gesagt, der Bundesrat müsse schreiben, was ist, sondern die Journalisten. Sie könnten mit gutem Beispiel vorangehen. Nein, Sie als Journalisten müssen schreiben, wie es ist. Wir im Bundesrat müssen entscheiden, ob wir uns mit dem Regieren beschäftigen sollen, oder ob wir über etwas diskutieren sollen, was sich vor mehr als 20 Jahren ereignet hat. Und da muss man sich schon fragen, ob dieses Thema wirklich von solch grosser Bedeutung ist. 100 Parlamentarier aus allen Parteien fordern vom Bundesrat in einer Interpellation eine Beurteilung der Studie. Ja, tatsächlich? Also, dann müssen wir dies wohl prüfen… Der Bund soll 72 Millionen Franken für die Euro 08 bezahlen, allein die Sicherheitskosten sind sechs Mal höher als noch vor zwei Jahren angenommen. Sie als SVP-Politiker müssten sich klar gegen diese Kostenexplosion wehren? Wir dürfen so wenig Geld wie möglich ausgeben; da können Sie sicher sein, dass der Druck vorhanden ist. Aber es ist eine Tatsache, dass Grossveranstaltungen seit dem 11. September 2001 enorme Mittel benötigen, damit die Sicherheit gewährleistet werden kann. Die Alternative zur finanziellen Unterstützung des Bundes wäre, dass man auf die Euro 08 verzichtet, oder dass man ein viel grösseres Sicherheitsrisiko eingeht. Es wäre unverantwortlich, ein Sicherheitsrisiko einzugehen. Und der Verzicht ist keine Option? Man hätte die Sache damals genauer untersuchen müssen. Jetzt wäre es aber der falsche Zeitpunkt, auf die Euro 08 zu verzichten. Wir müssen aufpassen, dass aus der Euro 08 kein zweiter Fall Expo wird. Vor allem den Bereich Werbung müssen wir kontrollieren, damit dieser nicht ins Uferlose läuft. Das hat der Bundesrat aber so beschlossen. Sie rufen die Bevölkerung stets zu Eigeninitiative auf, die Porta Alpina wäre ein gutes Beispiel dafür. Warum haben Sie im Bundesrat gegen das Projekt gestimmt? Ich bin der Meinung, dass man stets zuerst ein abgeschlossenes Projekt haben sollte, bevor man mit dem Bau beginnt. Der Bundesrat hat aber beschlossen, dass man diese Vorfinanzierungen bewilligt, und diesen Entscheid trage ich mit. Darum müssen wir darüber nicht mehr reden.

21.12.2005

«Ich bin ein Verfechter des Kollegialitätsprinzips

Wie er es als Unternehmer gewohnt war, zieht Christoph Blocher auch als Bundesrat alle Jahre Bilanz. Nun ist die Hälfte seiner ersten Amtsperiode vorbei, und der Justizminister ist im Grossen und Ganzen zufrieden: Die Landesregierung – und auch sein Departement – sei auf dem richtigen Weg, findet der SVP-Politiker. Im kommenden Jahr soll die Verwaltung bürgernäher und noch kostengünstiger werden. 21.12.2005, Schaffhauser Nachrichten, Norbert Neininger Schaffhauser Nachrichten: Herr Bundesrat Blocher, wir merken gar nichts... Bundesrat Christoph Blocher: ... wovon? Nun, Ihr Selbstvertrauen sei so gross, dass ein entsprechendes Messinstrument heftig ausschlagen müsste, schreibt die «Neue Zürcher Zeitung» auf ihrer Website heute nach Ihrer Bilanzpressekonferenz in eigener Sache. Blocher: So, schreiben die das? Ich habe heute Rechenschaft über meine Arbeit abgelegt. Bilanz ziehen, sagen was erreicht und nicht erreicht ist, braucht scheinbar ein übersteigertes Selbstbewusstsein. Das machen Sie ja jedes Jahr, Bilanz ziehen, warum eigentlich? Blocher: Das bin ich aus meiner Unternehmertätigkeit so gewohnt: Man berichtet regelmässig über die Erreichung seiner Ziele. Denn das Ziel ist das Ziel! Und wie fällt Ihr Fazit in eigener Sache aus? Blocher: Nun, das ganze Jahr über bin ich immer etwas unzufrieden mit meiner Leistung und Ende des Jahres, wenn ich die Entwicklung als Ganzes beurteile, stelle ich fest: Das läuft ja ganz gut. In den wichtigen Fragen sind wir vorangekommen, wir schreiten voran bei der Sanierung des Bundeshaushaltes. Im eigenen Departement ist es gelungen, Ausgaben stark zu senken, sie werden 2008 um 18 Prozent tiefer sein, als sie es 2003 waren. Auch die Asylpolitik ist verbessert worden, was die Zahlen beweisen. Beim Wirtschaftsrecht haben wir Fortschritte gemacht. Ich habe alle wichtigen Vorlagen beim Bundesrat und im Parlament durchgebracht. Alles habe ich noch nicht erreicht. Ich bin generell mit der Führung noch nicht zufrieden. Und die Verwaltung – ich eingeschlossen – sind weit weg vom Alltag der Bürgerinnen und Bürger. Dagegen möchte ich etwas tun im kommenden Jahr. Sie haben mit Ihrer Sparpolitik die - wie Sie gerne sagen - «geschützte Werkstatt» Bundesverwaltung ziemlich durcheinander gewirbelt. Und damit wurden Sie wohl zum Feindbild des Bundespersonals... Blocher: Nun, es gibt auch Leute in meinem Departement, die das positiv beurteilen und auch die Vorzüge der gestrafften Abläufe schätzen. Aber es gibt natürlich auch andere, die davon ausgegangen sind, dass sie eine Lebensstelle haben, und zwar unabhängig von ihrer Leistung. In anderen Departementen hat man es wohl besser? Blocher: Was ist besser? Besser ist doch, wenn man effizient arbeiten kann. Ich fördere die guten Mitarbeiter, und das schätzen diese, beim Bund sind ja traditionsgemäss die schlechten Mitarbeiter etwas zu gut und die guten etwas zu schlecht bezahlt. Und wie beurteilen Sie die Leistung des Gesamtbundesrates? Blocher: Es ist nicht an mir dies zu beurteilen. Aber die Arbeit darf sich sehen lassen. Es wird um Entscheide gerungen, und beschlossen. Sagen Sie – dabei herrscht doch „Mais“ im Bundesrat... Blocher: Nein, das stimmt nicht. Wenn das so wäre, könnten wir gar nicht richtig regieren. Dabei haben wir doch keinen einzigen groben Fehlentscheid getroffen in den letzten zwei Jahren. Vielleicht sind die anderen etwas zartbesaiteter als Sie und vertragen Ihre Art nicht so gut... Blocher: Das kann schon sein. Aber wenn wir hinter geschlossenen Türen tagen, geht es meist ruhig und sachlich her und zu. Journalisten und Politiker machen dann etwas anderes daraus. Auseinandersetzung ist die Voraussetzung für gute Entscheide. Die Öffentlichkeit nimmt das, den Medien vertrauend, so wahr: Leuenberger und Blocher haben immer Krach, dafür sind Blocher und Calmy Rey die besten Freunde... Blocher: Das sagen und schreiben Leute, die nicht dabei sind. Natürlich haben Herr Leuenberger und ich unsere Meinungsverschiedenheiten, schliesslich gehören wir verschiedenen Parteien an. Ein Herz und eine Seele ist kein Bundesrat mit einem anderen. Das soll auch nicht sein. Dennoch: Das tönt jetzt alles nach Harmonie und Freundschaft, dabei ist es doch eine Tatsache, dass Sie Ihrer Kollegin und Ihren Kollegen heftig dreinreden, wenn Sie Ihre so genannten Mitberichte verfassen. Das gab es so doch vorher nicht... Blocher: Das kann schon sein. Sehen Sie, wir sitzen zu siebt an einem Tisch, und da müssen wir als Gremium entscheiden, und wir sind dann auch verantwortlich für unsere Entscheide. Und wenn etwas auf den Tisch kommt, mit dem ich nicht einverstanden bin, dann verfasse ich einen Mitbericht und tue meine Meinung kund. Ich rede nicht drein, aber ich rede mit. Es geht mir dabei immer nur um die Sache, nie um die Person. Inzwischen schreiben übrigens die anderen Bundesräte ebenfalls immer häufiger solche Mitberichte. Aber mit weit weniger spektakulären Folgen: Die Suva-Diskussion oder die Swisscom-Debatte wurde doch von ihnen angestossen... Blocher: Das sagen Sie. Ich bin verpflichtet, dort einzugreifen, damit der Entscheid richtig gefällt wird. Dafür bin ich ja gewählt. Über die Zukunft der Swisscom hat der Bundesrat während mehr als einem Jahr – nicht öffentlich – gesprochen. Immer wieder. Der November-Entscheid kam nicht über Nacht. Ich suche im Uebrigen diese schwierigen Auseinandersetzungen überhaupt nicht, das macht mir keineswegs Spass, und ich muss mich jedesmal überwinden. Aber genau dazu wurde ich doch gewählt. Wenn man Sie so hört, bekommt man ja den Eindruck, Sie seien ein Befürworter des Kollegialitätssystems... Blocher: Ich bin ein Verfechter des Kollegialitätssystems, ich weiss gar nicht, warum man meint, ich sei dagegen. Und Sie möchten kein Präsidialsystem? Blocher: Nein, an unserem System sollten wir wirklich nichts ändern. Unser System hat Vor- und Nachteile, aber mit anderen Systemen fahren andere Staaten keineswegs besser. Unsere Konkordanzdemokratie funktioniert aber nur, solange wir eine direkte Demokratie bleiben, in der das Volk die Opposition bildet. Natürlich ist unser System mit den Vernehmlassungen langsam, und man muss um die Lösungen ringen und manchmal auch miteinander streiten, gegebenenfalls auch laut. Ohne Auseinandersetzungen besteht die Gefahr, dass es schlechte und damit teure Lösungen gibt. Das war früher, als noch genügend Geld in der Kasse war, kein Problem. Heute brauchen wir gute und kostengünstige Lösungen. Was sind denn unsere grössten Probleme? Blocher: Die steigende Staatsverschuldung und die hohen Staatsausgaben, welche uns daran hindern, die Steuern zu senken. Deutschland hat ja jetzt auch ein Konkordanzsystem... Blocher: Und da sehen Sie ja gerade, wohin das führt, wenn man keine direkte Demokratie hat, bei der das Volk opponieren kann: Dann werden die Steuern in grossem Einmut unter grossen Parteien angehoben. Bei uns wurde schon eine Erhöhung um 0,8 Prozent Mehrwertsteuer vom Volk abgelehnt... Dafür plant der Bundesrat jetzt den Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer, der dann insgesamt zu einer Steuererhöhung führen dürfte. Blocher: Das ist noch nicht beschlossen. Herr Merz will die Mehrwertsteueradministration vereinfachen, das ist das Ziel. Das ist ja dringend nötig, oder? Blocher: Diesen Eindruck gewinnt man durchaus, wenn man mit Leuten aus den Unternehmen redet, ja. Da muss eine Vereinfachung und Entbürokratisierung einsetzen. Sie wollen mehr Selbstverantwortung und mehr Freiheit, keineswegs mehr Freiheit herrscht im Strassenverkehr, oder? Blocher: Nein, das habe ich ja öffentlich gesagt – ich bekämpfe die zunehmende Kriminalisierung der Gesellschaft, die dadurch entsteht, indem man Bagatellvergehen bestraft. Könnte da der Justizminister nicht mehr tun? Blocher: Doch, ich tue auch etwas, beispielsweise beim Datenschutz oder beim Ausländergesetz, wo Fahrlässigkeit und Vergehen mit Zusatzbussen bestraft wurden. Es kommt beim Bestrafen auf das Motiv an: Wo Bussen ausgeprochen werden, um dem Staat Geld zu verschaffen, müssen wir einschreiten. Bussen sollen zu mehr Sicherheit führen, das ist ihr Sinn und Zweck. Hier versuche ich, einen Mentalitätswandel herbeizuführen, das ist wesentlicher, als die Symptome zu bekämpfen. Wenn Sie die Steuern senken, beschafft sich halt der Staat über Bussen und Gebühren mehr Mittel... Blocher: Genau das darf nicht passieren. Wenn wir für alles und jedes Gebühren bezahlen müssen, braucht es keine Steuern mehr. Wir müssen die Steuern und die Ausgaben der öffentlichen Hand zugleich senken. Sind Sie eigentlich ein Befürworter eines Steuersystems, wie es der Kanton Schaffhausen hat oder wie es jetzt Obwalden eingeführt hat und wo ab einer bestimmten Einkommenshöhe die Progression abnimmt? Blocher: Ich möchte den Kantonen ja nicht dreinreden, aber das, was jetzt Obwalden beschlossen hat, finde ich richtig, ja. Die Progression ist ja auch ungerecht. Sie sind, wie gehört, mit Ihrer Leistung zufrieden. Wenn man nun aber den Umfragen glauben darf, die eine Boulevardzeitung machte, würden Sie vom Volk abgewählt, wenn das Volk dies könnte. Blocher: Oh, all diese Umfragen. Soll ich auch eine machen? Wissen Sie, eine, wo ich zuoberst wäre. Das nehme ich nicht ernst, und ich wundere mich, dass es andere ernst nehmen. Dazu! Man kann nicht Entscheide treffen und regieren und dann immer und überall beliebt sein wollen. Von Feindschaft aus dem Volke merke ich nichts. Zur Europapolitik, einem der Schwerpunkte Ihrer Partei: Ist es eigentlich klug, wenn die SVP den Rückzug des Beitrittsgesuchs fordert? Das würde doch ihren Kampfgeist schwächen? Blocher: Der Bundesrat hat ja erklärt, dass er einen Beitritt nicht mehr zum Ziel hat. Die Partei findet nun, er müsse durch den Rückzug des Gesuchs zeigen, dass er es ernst meint. Ich meine, es ist schon viel erreicht, wenn der Bundesrat den EU-Beitritt nicht mehr zum Ziel hat. Zu einem anderen Thema: Hat der Bundesrat nun herausgefunden, wie viele CIA-Flugzeuge über unsere Köpfe hinweggeflogen sind? Blocher: Natürlich fliegen CIA-Flugzeuge über die Schweiz, und sie machen Zwischenlandungen auch auf Schweizer Flugplätzen. Und der Justizminister überprüft diese Flugzeuge nicht? Blocher: Nein, generell nicht. Wir haben nur das Recht, wenn Verdachtsmomente dafür vorliegen würden, dass etwas Ungesetzliches geschieht. Das war bis jetzt nicht der Fall. Würden die USA denn für Gefangenentransporte Bewilligungen brauchen? Blocher: Ja. Und um solche Bewilligungen wurde nicht nachgesucht? Blocher: Nein, darum wird die Sache ja untersucht. Und es gibt noch keine Erkenntnisse? Blocher: Nein, die US-Aussenministerin hat erklärt, dass die USA das Völkerrecht nicht verletzen würden, und das würde heissen, dass es keine solchen Transporte gab. Im kommenden Jahr werden Sie eine Vorlage zur Terrorismusbekämpfung ausarbeiten, werden wir dann amerikanische Verhältnisse bekommen? Blocher: Nein, sicher nicht. Wir müssen unsere Freiheit hochhalten. Der Bürger muss nicht damit rechnen, dass er ohne ganz triftige Gründe abgehört wird. Wir werden hohe gesetzliche Hürden aufstellen. Wollen Sie eigentlich eine zweite Amtsperiode als Bundesrat anschliessen? Blocher: Ja, ich fühle mich durchaus leistungsfähig und hoffe, das auch in zwei Jahren zu sein. Und dabei sichern Sie sich auch ab und werden dannzumal parallel für den Nationalrat kandidieren? Blocher: Nein. Das ist nicht mein Ziel. Aber wenn hier von den Sozialdemokraten Abwahlszenarien vorbereitet werden, ist dies eine Variante, um zu bleiben. Man kann aber feststellen, dass der Wahlkampf für 2007 schon begonnen hat. Das ist ja ein gutes Zeichen, wenn die Linke mich derart heftig attackiert, wohl ein Zeichen für gute Arbeit. Am Ringen um Entscheide im Bundesrat soll das Volk, ginge es nach Ihnen, teilhaben, Sie wollen Transparenz herstellen und jeweils mitteilen, wie die Stimmverhältnisse liegen. Blocher: Das wollen nun plötzlich alle vier Bundesratsparteien. Keine Ahnung, was zu diesem Stimmungswandel geführt haben könnte. Nur das allein bringt nichts. Wichtiger wären die Gründe, die zu einem Entscheid geführt haben und – falls vorhanden – was dagegen sprach. Erst dann weiss der Bürger Bescheid und ist informiert. Wenn man nur halb informiert, hören die so genannten Indiskretionen nie auf. Ich bin immer für grösstmögliche Offenheit. Wenn man die Realität auf den Tisch legt, gibt es nämlich in der Regel keine Diskussionen mehr. Sie sind angetreten, um für mehr Selbstverantwortung und Freiheit zu sorgen. Haben Sie dies wirklich erreicht? Blocher: Nein, nicht vollumfänglich. Aber der Ausbau des Sozialstaates ist gebremst, und die Eigenverantwortung wird mehr und mehr erkannt. Das geschieht zum Beispiel im Bereich der Invalidenversicherung: Als ich 2003 auf das Problem der Scheininvaliden hinwies, hat man mir vorgehalten, dies sei erfunden. Inzwischen hat man das Problem erkannt und arbeitet an Lösungen. Die Probleme werden jetzt diskutiert und nicht mehr verdrängt oder schöngeredet. Denken Sie an das Beispiel der Swisscom: Hätten wir bei der Swissair damals ähnlich konsequent gehandelt wie der Bundesrat heute, wäre das Debakel verhindert worden. Das Verhältnis zwischen uns und den USA war ja schon besser... Blocher: Wir sind auch in dieser Frage strikt neutral. Traditionell sind wir aber Freunde Amerikas und dankbar für die Unterstützung der USA im Zweiten Weltkrieg. Es wäre falsch, wenn wir die USA auf Grund ihrer aktuellen Regierung beurteilen würden; seit dem Terroranschlag im September gehen die USA ja sehr selbstbewusst vor, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht überfahren werden. Dieses Problem kann man mit den amerikanischen Politikern diskutieren, und wir werden verstanden. Die Schweiz ist westlich geprägt, und die Schweizer werden auch auf längere Frist dieses Land der Freiheit wieder schätzen. Im Moment ist das Amerikabild der Schweizer getrübt. Das wird vorübergehen. Darf man eigentlich Geschäfte mit Staaten machen, welche die Menschenrechte missachten, beispielsweise mit China? Blocher: Als Unternehmer habe ich gute Geschäftsbeziehungen zu China gepflegt.. China ist ein imponierendes Land und ein prosperierendes Land, und die Freiheit der Chinesen nimmt zu. Aber natürlich ist man dort bei der Beachtung der Menschenrechte noch nicht auf unserem Niveau. Die Entwicklung ist durchaus positiv, inzwischen ist es üblich geworden, dass die Bürgerinnen und Bürger wie bei uns Kritik an der Regierung üben. Ich erinnere mich im Uebrigen daran, dass chinesische Besucher in unserem damaligen Platzspitz ein Verstoss unsererseits gegen die Menschenrechte sahen. Hat sich eigentlich die sozialdemokratische Politik unter dem Präsidium des Schaffhausers Hans-Jürg Fehr aus Ihrer Sicht sehr verändert? Blocher: Herrn Fehr nehme ich als Politiker wahr, der vor allem ein Ziel hat und verfolgt: meine Abwahl. Er hat – aus welchen Gründen auch immer – meine Person im Visier, und das finde ich eigentlich ziemlich eindimensional. Ich habe mit ihm im Uebrigen nur wenig zu tun und lese manchmal in den Zeitungen, was er sagt und will. Ich kann schon verstehen, dass Herrn Fehr und seiner Partei die Änderung der Bundesratszusammensetzung Mühe bereitet - wer hätte denn schon vor ein paar Jahren gedacht, dass die Schweizerische Volkspartei einmal die grösste Partei der Schweiz sein würde und zwei Bundesräte stellen kann? Herr Bundesrat Blocher, besten Dank für das Gespräch.