Testi
21.12.2005
03.12.2005
Zum Stellenwert der schweizerischen Unabhängigkeit
Referat von Bundesrat Christoph Blocher anlässlich der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz vom 3. Dezember 2005 03.12.2005 An der Delegiertenversammlung der SVP sprach Bundesrat Christoph Blocher über den Stellenwert der schweizerischen Unabhängigkeit, deren Wert man am Besten mit einem Vergleich der Schweiz und der EU ermessen könne. Während die Eidgenossenschaft zum Ziel habe, die Unabhängigkeit der Kantone zu wahren, strebe die EU die Harmonisierung an. Herr Parteipräsident Herr Bundespräsident Meine Damen und Herren Sie haben mich gebeten, an der heutigen SVP-Versammlung ein Referat zum Stellenwert der schweizerischen Unabhängigkeit zu halten. Das will ich gerne tun. Schliesslich ist es mein Auftrag als Bundesrat, Massnahmen zur Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz zu treffen. So steht es in der Bundesverfassung. Den Wert der schweizerischen Unabhängigkeit kann man am besten ermessen, wenn man die Schweiz und die EU miteinander vergleicht. Wo sind die Unterschiede zwischen der Schweiz und der EU? Was machen wir anders als die EU? Dazu muss man sich fragen: Was ist das Ziel der EU? Was ist das Ziel der Schweiz? Wozu sind diese Bündnisse geschaffen worden? Das Bündnis der Kantone in der Eidgenossenschaft hat zum Ziel, die Unabhängigkeit und die Unterschiedlichkeit der einzelnen Kantone zu wahren. Es war nie das Ziel der Eidgenossenschaft, dass alle Kantone gleich werden sollen. In einem Land mit vier Kulturen würde so etwas ohnehin völlig an der Realität der Menschen vorbeigehen. Die Eidgenossenschaft entstand, weil man die eigene Identität nach aussen, gegen Grossmächte und grosse Reiche, verteidigen wollte. Ganz anders in der EU: Ziel der EU ist die Harmonisierung, die Gleichheit. Die Verbindung der verschiedenen Länder soll immer enger werden. So steht es in der Präambel der neuen EU-Verfassung. Immer mehr Unterschiede sollen ausgeglichen werden. Die EU hat letztlich zum Ziel, dass in ganz Europa das Gleiche gelten soll. Die Verbindung der Kantone zur schweizerischen Eidgenossenschaft und die Verbindung der europäischen Länder zur EU verfolgen also zwei völlig unterschiedliche Ziele. Die Unabhängigkeit der Schweiz äussert sich darin, dass sie die Freiheit hat, eigene Wege zu gehen, d.h. auch aus der Vereinheitlichung der Europäischen Union auszubrechen. Im Gegensatz zu unseren Nachbarländern haben wir die Freiheit, Gesetze zu erlassen und beizubehalten, die nicht den Einheitsregeln der EU entsprechen. In welchen Bereichen ist das heute von Bedeutung? Ich kann Ihnen dazu einige Beispiele nennen: 1. Direkte Demokratie Die Schweiz ist eine direkte Demokratie. Die schweizerische Bundesverfassung kann nicht geändert werden, ohne dass in einer Volksabstimmung eine Mehrheit des Volkes und der Kantone zustimmt. Auch bei Gesetzesänderungen oder beim Abschluss internationaler Verträge kann das Volk mitreden. Ganz anders in der EU: Das Volk ist grundsätzlich von solchen Entscheiden – und seien sie noch so wichtig – ausgeschlossen. Die Deutschen durften sich nicht dazu äussern, ob sie ihre Währung behalten wollen. Die Engländer hatten kein Recht zu sagen, ob sie mit der Osterweiterung einverstanden sind. Zur EU-Verfassung wurde nicht in allen Staaten eine Abstimmung durchgeführt. Aus Schweizer Sicht tönt dies so: Die Politiker hatten gnädigerweise entschieden, dass das Volk zu diesem grossen Projekt der Verfassung seine Meinung abgeben darf. Das Resultat der Abstimmung ist bekannt. Die direkte Demokratie hat den grossen Vorteil, dass im Sinne des Volkes und nicht nur im Sinne der Politiker entschieden wird. Warum ist die Mehrwertsteuer in der Schweiz viel tiefer als in der EU? Weil bei uns der Steuersatz in der Verfassung verankert ist. Bei jeder Steuererhöhung muss das Volk gefragt werden, ob es einverstanden ist. Oftmals ist es nicht einverstanden. Wenn die Politiker das Volk nicht fragen müssen, steigen die Steuern viel stärker an. Die EU schreibt den Ländern vor, dass der Mindestsatz 15% betragen müsse. Da können sie abstimmen, solange sie wollen. Es gilt das, was die EU bestimmt. 2. Wirtschafts- und Währungspolitik Mit dem Vertrag von Maastricht 1993 hat die EU eine Wirtschafts- und Währungsunion eingeführt. Die Mitgliedsländer haben damit ihre Unabhängigkeit insbesondere in der Währungspolitik aufgegeben. Die nationalen Währungen wurden durch den Euro als Einheitswährung abgelöst. Die Schweiz bleibt dagegen frei, ihre eigene Währung weiterzuführen. Der Schweizer Franken hat gegenüber dem Euro einen Zinsvorteil, der für unser Land und unsere Wirtschaft von grosser Bedeutung ist. Ohnehin sind wir frei, die Leitzinsen so auszugestalten, wie es den Bedürfnissen unserer Wirtschaft entspricht. Wenn die Wirtschaft gut läuft, kann die Schweizerische Nationalbank die Zinsen erhöhen. Wenn die Wirtschaft schlecht läuft, kann sie die Zinsen senken. Die EU-Länder müssen sich demgegenüber den Beschlüssen der europäischen Zentralbank unterwerfen. Doch wie entscheidet diese Zentralbank, wenn ein Land in einer Rezession ist und ein anderes Land in der Hochkonjunktur? Wie sind die Zinsen dann festzulegen? Der Euro verunmöglicht eine Währungspolitik, welche den Bedürfnissen der nationalen Volkswirtschaften entspricht. Einheitsbrei statt Eingehen auf Unterschiede. Die Unabhängigkeit der Schweiz heisst Handlungsfreiheit. Diese erlaubt uns, eine eigenständige Aussenwirtschaftspolitik zu führen. Möglicherweise wird die Schweiz schon bald mit den USA über ein Freihandelsabkommen verhandeln. Als EU-Mitglied könnte sie solches nicht eigenständig unternehmen. Die EU sagt, mit wem Freihandel betrieben wird. Ein anderes Beispiel: Der Bundesrat hat kürzlich das Freihandelsabkommen mit Südkorea genehmigt. Die Schweiz erhält damit freien Zugang zu einer der zehn grössten Volkswirtschaften der Welt. Bisher haben weder die EU noch die USA ein solches Abkommen abschliessen können. Jedes Jahr exportieren Schweizer Unternehmungen im Wert von über einer Milliarde Franken nach Korea. Hier wird der Vorteil der Unabhängigkeit ganz konkret spürbar. 3. Sicherheits- und Verteidigungspolitik Als weiteren Bereich, den die EU vereinheitlicht hat, ist die Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu nennen. Die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik umfasst sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der EU betreffen. Dazu gehört auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte. Die EU wird so zu einem Verteidigungsbündnis. Doch nicht nur das. Die EU hat sich in der "Europäischen Sicherheitsstrategie" vom Dezember 2003 auch die Stärkung der Sicherheit in ihrer Nachbarschaft zum Ziel gesetzt. Dabei werden die Länder im Osten der EU, der Balkan und der Mittelmeerraum genannt. Es ist aber auch davon die Rede, "Einfluss im Weltmassstab" ausüben zu wollen. Die EU nimmt Züge eines Imperiums an, das sich nicht auf das eigene Territorium beschränkt, sondern auch ausserhalb Einfluss nehmen will. Ich will nicht beurteilen, ob das richtig ist oder nicht. Es war schon immer so, dass grosse Machtblöcke Einfluss auf andere Länder nahmen. Doch lässt sich die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU nicht mit der schweizerischen Neutralität vereinbaren. Innerhalb der EU büsst die Schweiz ihre bewährte, jahrhundertealte und immerwährende Neutralität ein. Diese Politik hat uns als Kleinstaat immer wieder davor bewahrt, in die Kriege der Grossmächte hineingezogen zu werden. Sie sehen in diesen drei Bereichen beispielhaft, welcher Stellenwert der schweizerischen Unabhängigkeit zukommt. Es wären noch viele weitere Gebiete zu erwähnen, etwa die Arbeitsmarktpolitik, das Bankkundengeheimnis, die Sozialpolitik, die Agrarpolitik oder die finanziellen Konsequenzen eines Verzichts auf die Unabhängigkeit. Es ist klar, dass der Bundesrat bei der Verabschiedung seines europapolitischen Berichtes, der für nächstes Jahr angekündigt ist, sich mit diesen Fragen auseinandersetzen muss. Es ist auf eine objektive Darstellung zu hoffen. Die Handlungsfreiheit unseres Landes schafft wesentliche Voraussetzungen für die Gewährleistung und Stärkung von Wohlstand und Sicherheit. Leider wurde der Spielraum, welchen die Schweiz dank ihrer Unabhängigkeit hat, in den letzten Jahren viel zu wenig ausgenutzt. Zu gross war in Verwaltung und Politik das Verlangen, sich der EU anpassen zu wollen. Der Drang, gleich sein zu wollen wie die anderen, war zu stark. EU-kompatibel wollte man sein, gleich wie die EU. Es ist erfreulich, dass der Bundesrat beschlossen hat, die künftigen, bilateralen Verträge nur noch zuzulassen, wenn diese die Handlungsfreiheit der Schweiz nicht beeinträchtigen, d.h. im Klartext, nur bilaterale Verträge ohne institutionelle Bindung. Es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass die Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit der Schweiz wieder viel mehr genutzt wird, um von der EU abweichende Gesetze zu erlassen. Als Unternehmer hatte ich nie Erfolg, weil ich gleich war wie die Konkurrenz. Ich war dort erfolgreich, wo ich anders war, wo ich besser war. Genauso muss es mit unserem Staat sein. Die Staaten stehen in einem Wettbewerb darum, wer die besten Rahmenbedingungen für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung bietet. Die Schweiz hat dank ihrer Unabhängigkeit die Möglichkeit, sich diesem Wettbewerb zu stellen. Wir müssen nach Wegen suchen, wie wir uns von den anderen Ländern unterscheiden können. Das Ziel der Politik darf nicht darin bestehen, gleich zu werden wie die EU, sondern besser zu werden. Nur dann macht die Unabhängigkeit Sinn. Nur dann zieht die Schweiz einen echten Nutzen aus ihrer Unabhängigkeit. Oder wenn sie noch mehr Fremdwörter wollen! EU-Kompatibilität, d.h. gleich zu sein wie die EU ist kein Ziel. Ziel muss sein: EU-Kompetitivität –Wettbewerbsfähig gegenüber der EU müssen wir sein. Natürlich braucht diese Haltung Kraft und Mut. Ich treffe sie in der Schweizer Wirtschaft und bei vielen Leuten an. Damit dies auch in der Politik so geschieht, dafür haben wir beiden Bundesräte im Bundesrat, die Parlamentarier im Parlament und sie in der SVP-Partei zu sorgen. Im Interesse und zum Wohl unseres Landes!
02.12.2005
«Schreiben, was ist!»
Gastreferat von Bundesrat Christoph Blocher, anlässlich der Verleihung der BZ-Lokaljournalistenpreise 2005 und der Espace Media-Preise Swiss Press Photo 2005, am 2. Dezember 2005, Schweizerisches Landesmuseum Zürich 02.12.2005, Zürich Zürich, 02.12.2005. In seinem Referat anlässlich der Verleihung der BZ-Lokaljournalistenpreise und der Espace Media-Preise Swiss Press Photo 2005 ging Bundesrat Christoph Blocher auf die Schwierigkeit ein, die Realität zu erkennen. In diesem Zusammenhang verglich er die Arbeit eines Journalisten mit der eines Politikers. Journalisten gehören einer wenig beneidenswerten Berufsgattung an: Jeden Tag müssen Sie eine Zeitung füllen, gleichgültig, ob sich viel oder wenig ereignet hat; Sie sollen die Wirklichkeit beschreiben, auch wenn Ihnen diese Wirklichkeit bewusst oder unbewusst vorenthalten wird. Es gibt wahrlich einfachere Jobs als jene des Journalismus. Ich muss mich geradezu beherrschen, nicht einem seelsorgerischen Ton zu verfallen… Das Grossartige im Kleinen Wer den Journalisten beim Schopf packt, also bei der Berufsbezeichnung selbst, erkennt in ihm unschwer den Tagesarbeiter. Der „Journalist“ arbeitet für das Heute, pour le jour, für den Tag. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Der Lokaljournalist, der an diesem festlichen Anlass – und ich will hier gleich anfügen – zu Recht gefeiert wird, ist der Berichterstatter über das Kleinräumige und Alltägliche. Der Lokaljournalist sieht das Grossartige im Kleinen. Er beschreibt das Immerwährende im Flüchtigen, das Einzigartige im Alltäglichen. Die Arbeit von Lokaljournalist und Pressefotograf deckt sich mit dem Grundanliegen des grossen Schweizer Malers Albert Anker: „Im Kleinen ist die Grösse der ganzen Welt abgebildet.“ Im Kleinen die Grösse der ganzen Welt abzubilden, ist eine sehr schwierige Aufgabe, denn im Journalismus ist es wie in der Politik: Am Einfachsten haben es jene Politiker, die unverfänglich über das grosse Weltgeschehen schwadronieren, von „Weltaussenpolitik“ berichten und diese gestalten wollen, ohne dafür befugt zu sein und so tun, als würden sie damit schon den Welthunger, die Klimaveränderung und andere globale Probleme lösen. Sie reden schön, sind gute Menschen und werden nicht an ihren Taten gemessen. Schwieriger wird es dort, wo es konkret wird, wo es um Handfestes geht. Wirklich bewähren muss sich nämlich der Lokalpolitiker. Ihn misst man an den konkreten Ergebnissen. An so schmucklosen Dingen wie dem Steuerfuss oder der Investitionsrechnung. Auf ihn sind die prüfenden Augen der Bürgerinnen und Bürger gerichtet. Täglich. Und Ausreden werden nur selten geduldet. Stimmt die Finanzrechnung nicht, kann kein Gemeinderat der Welt-Vogelgrippe oder der Globalisierung die Schuld geben. Der Lokalpolitiker wird immer wieder auf den Boden der Realität geholt. Zu Recht. Und es sind nicht zuletzt die Lokal-Journalisten, die den Politiker am Boden der Realität festzunageln haben und ihn zur täglichen Pflichterfüllung zwingen. Das ist Ihre Aufgabe. Einfach ist dies nicht, aber wichtig. Schreiben, was ist Wir Politiker stellen so etwas wie das redselige Abbild des Journalisten dar. Auch wir sind dem täglichen Überlebenskampf ausgeliefert, nicht frei von Eitelkeiten und müssen mit unseren erbittertsten Gegnern zusammenarbeiten – ob wir es wollen oder nicht. Die Haupttätigkeit des Journalisten ist das Schreiben, während sich der Politiker aufs Reden verlegt hat. Der Exekutivpolitiker sollte daneben allerdings auch noch handeln. Und um sachgerecht handeln zu können, muss zuerst das Problem erkannt werden. Wer sich in der Führung auskennt, der weiss, wie schwierig es ist, die Realität zu erkennen. Wie ist es wirklich? lautet die bange Frage jedes guten Vorgesetzten. Wer nicht weiss, wie es ist, kann das Problem nicht einmal erkennen, geschweige denn lösen. Der Mensch neigt leider dazu, den wahren Zustand zu übersehen, zu beschönigen oder zu verdrängen. Vor allem so genannt moralisch hochstehende Menschen neigen zur Verdrängung, weil sie Angst davor haben, die Wirklichkeit könnte schlechter sein, als das, was sie selbst wollen. Besonders dann, wenn diese Moralisten selbst im Geschehen stecken, tun sie alles, um die Wirklichkeit zu beschönigen, damit sie selber in besserem Licht erscheinen. Der Mensch glaubt allgemein, man müsse den Ist-Zustand nur so beschreiben, wie man ihn gerne hätte, dann sei alles gut. Wird einem dann später dieses selbst fabrizierte Trugbild als Wirklichkeit in Zeitung und Fernsehen vorgesetzt, nimmt man diese schmeichelnde Ersatzrealität natürlich gerne für bare Münze. Glücklicherweise funktioniert dieses selbstbetrügerische System nur kurzfristig. Die Wirklichkeit trotzt allen Manipulationsversuchen. Je früher sie wieder zum Vorschein kommt, desto weniger folgenreich spielt sich dieser Läuterungsprozess ab. Wer im Lokalen wie im Überregionalen Zeuge solcher menschelnder Verschönerungs- oder Verdrängungsvorgänge wird, merkt etwas von der oppositionellen Kraft, die allein in der Schilderung der Wirklichkeit liegt. Besonders der Lokaljournalist, der ganz nahe bei der Wirklichkeit arbeitet, gerät fast automatisch in den Zwiespalt, entweder gegen sein besseres Wissen an der Verschleierung der Tatsachen mitzuwirken oder die Wahrheit aufzudecken und damit in Opposition zur Macht und den Mächtigen zu geraten – was mitunter gefährlich sein kann. Tun Sie’s trotzdem oder gerade deswegen! Schreiben, was ist! So lautet Ihr grosser Beitrag als Journalist. Schreiben, was ist! Der Titel meines Referats ist gleichzeitig das journalistische Vermächtnis des Spiegel-Begründers Rudolf Augstein. Denn, so der grosse Publizist weiter: „Richtig informieren, heisst auch schon verändern!“ Aber wenn richtig informieren auch schon verändern heisst, was bewirkt dann das falsche Informieren? Nun: Auch falsche Informationen sollen verändern. Sie sollen die Wirklichkeit verändern, d.h. fälschen. Und zwar zugunsten des Manipulators. Darin liegt das schlichte Motiv der Verfälscher. Das wissen kriegsführende Generäle, Diktatoren, Monarchen, Regierungen… und Informationsbeauftragte. Aber das wissen auch Sie als Journalisten. Falsche Informationen haben das Ziel, die Wirklichkeit zu vertuschen. Das ist schliesslich ihr Sinn. Nicht selten versuchen gerade Politiker Fehler und Misserfolge zu beschönigen, um ihre Arbeit ins beste Licht zu rücken. Eine verständliche Absicht. Denn auch Politiker lieben den Applaus der grossen Menge. Sie glauben, ihr ganzes politisches Überleben hänge von der öffentlichen Zustimmung ab. Da werden schon mal ein paar Tatsachen zurechtgebogen oder verschwiegen oder geschönt. Aber das gilt nicht nur für die Politik. Selbst in der Wirtschaft, der Kirche, der Gesellschaft, selbst im Privaten sind Menschen nicht gefeit davor. Schreiben als subversive Tätigkeit Sagen, was ist! Schreiben, was ist! Die Wirklichkeit abbilden, kann da – wie gesagt – plötzlich sehr subversiv und gefährlich sein. Sie sehen: Journalist ist ein gefährlicher Beruf. Ich meine nicht dann, wenn auch Sie die Tatsachen verdrehen, sondern eher dort, wo sie die Fakten so darstellen, wie sie sind. Gute Journalisten sind Detektive, Wühler, Unruhestifter, nicht eben angenehme Zeitgenossen. Liebesbedürftige kommen nicht auf ihre Rechnung. Diese sind in der Politik besser aufgehoben. Deshalb frage ich Sie: Können Sie sich mit Ihrer Mission identifizieren? Wollen Sie diese Mühsal tatsächlich auf sich nehmen? Zu beneiden sind Sie wirklich nicht, denn man macht Ihnen das Leben oft genug schwer. Was bekommen Sie als Informationen? Meist bloss geschönte Berichte, verführerische Pressetexte, filtrierte Auskünfte. Die Worte von offiziellen Sprechern haben Sie zu deuten wie das Orakel von Delphi. Häufig verabreicht man Ihnen nur Halbwissen, was in der Regel schlimmer ist als gar keine Information. Schreiben, was ist oder pädagogische Erziehung? Vielleicht hören Sie das alles nicht so gern, denn „Schreiben, was ist“ entspricht nicht dem Zeitgeist. Diese Devise mag Ihnen vielleicht sogar etwas langweilig erscheinen. Viele Journalisten sind ja wie gute Pädagogen. Sie wollen die Welt, die Menschheit, die Schweiz, den Bundesrat, die Politiker, den Blocher verändern und verbessern – und plötzlich sind Sie keine Journalisten mehr, sondern betreiben, vielleicht ohne es zu wollen, selber Politik. Damit untergraben Sie die Grundlagen Ihrer journalistischen Arbeit. Sie verlieren an Glaubwürdigkeit, an Respekt und – vor allem – an Einfluss. Sie verlieren Ihr Kapital – Ihr Einfluss ist die Macht des Faktischen! Denn nur so treffen Sie die Realitätsverweigerer, die Wirklichkeitsbeschöniger, die Manipulatoren – einfach all jene, welche glauben, sich mit Geheimniskrämerei, moralistischer Weltfremdheit und selektiver Wahrheit an der Macht halten zu können, weil sie so mit schönem Mäntelchen ihre Mängel und ihre Unfähigkeit verdecken. Dazu bedarf es allerdings eines offenen Klimas in Medien, Politik und Gesellschaft. Wo dieses nicht vorhanden ist, werden Sie kritisiert, bestraft und beiseite geschoben. Demokratische Macht baut jedoch auf das Fundament der Transparenz. Und hier meine ich, hätten die Journalisten einen besonderen Vorteil. Sie haben es besser als die Leute, die in der Macht, in der Politik stehen. Diese dürfen nicht alles sagen, was sie denken, oft nicht einmal sagen, was ist. Der Journalist darf und soll sich solche Freiheiten nehmen. Nichts Neues unter der Sonne Die Darstellung von dem, was ist, kann gefährlich sein. Viele Menschen mussten sogar ihr Leben lassen, nur, weil sie sagten, was ist. Die Weltgeschichte kennt viele Scheiterhaufen. Aber diese Menschen haben Geschichte gemacht. Nun, soweit müssen Sie heute wohl nicht mehr gehen, obschon auch im Jahre 2005 noch ein paar Restrisiken für Ketzer bestehen. Auch Demokratien, selbst die unsrige, sind nicht gefeit vor Unterdrückungen. Am Schlimmsten ist es dort, wo nur eine Meinung herrscht und keine andere zugelassen wird. Dort, wo sich die Herrschenden und die Meinungsmacher, die Politiker und Journalisten, wo alle zusammen sich auf eine einzige Meinung verständigt haben und jeden, der nur etwas von dieser Doktrin abweicht, gleich auf den medialen Scheiterhaufen führen. Hier wird die gefälschte Darstellung der herrschenden Zustände zur Lüge, auf die sich alle geeinigt haben. Dieser Gefahr ist auch eine Zeit ausgesetzt, welche theoretisch die Meinungsvielfalt predigt und angeblich lebt. Gegen diese Bedrohung ist keine Demokratie geschützt. Sie wissen alle, wovon ich rede. Sie kennen sie alle: Den Mainstream, in dem auch die Journalisten oft und gerne schwimmen. Ihnen ist aus der Geschichte das Schicksal von Galileo Galilei sicher bekannt. Mit seinem Fernrohr entdeckte der florentinische Gelehrte vier Monde des Jupiters. Sie tauchten hinter dem Planeten auf und verschwanden wieder. Sie umkreisten ihn. Der Legende nach forderte Galileo die Kardinäle auf, durchs Fernrohr zu blicken – um zu sehen, was ist! Doch die Kardinäle weigerten sich. Mit guten Gründen. Denn sie waren weder dumm noch astronomisch ungebildet. Sie fürchteten sich bloss, vor den unwiderlegbaren Fakten und deren Folgen. Die Kirche bangte um ihre moralistische Lufthoheit. Wenn da einer sagt, wie es ist, glaubten sie die ganze kirchliche Autorität in Gefahr. Wer der herrschenden Moral entgegen tritt, muss entweder zum Schweigen gebracht, beseitigt werden oder widerrufen. Zum Widerlegen bleibt da keine Zeit. Galileo widerrief: „Mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben schwöre ich ab.“ Da man die Wirklichkeit nicht widerlegen kann, muss der, der sie verkündet, vernichtet werden. Meine Damen und Herren, sehr geehrte Lokaljournalisten und Pressefotografen. Sie sind es, die mit den Methoden Galileos arbeiten. Sie halten die Lupen, Ferngläser und Fotolinsen in Ihren Händen. Hinterfragen Sie, seien Sie kritisch, misstrauen Sie den Mächtigen und der Macht. Entziehen Sie sich dem opportunistischen Sog. Aber tun Sie es nicht, um Ihre eigene oder irgendeine politische Meinung durchzusetzen, sondern tun Sie es, um darzustellen, was ist! Verschreiben Sie sich keiner Gesinnung, dann werden Sie vielleicht nicht geliebt, aber anerkannt oder gar gefürchtet sein. Leuchten Sie die Themen aus, zwingen Sie die Herren Kardinäle von heute vor die Linsen. Und die Herren und Damen Kardinäle – ob weltliche, kirchliche oder atheistische – sie werden sich zieren. Genauso wie damals. Vielleicht wird man Sie wegen Ihres Schreibens oder wegen Ihrer Bilder der Ketzerei verdächtigen. Macht nichts. Sie schreiben und dokumentieren nicht für sich selbst, nicht für die Inquisition, nicht für die Kardinäle, sondern für das Publikum, für die Bürgerinnen und Bürger, die ein Anrecht haben, zu wissen, was ist. Dass Sie für ihre Arbeit speziell geehrt werden, ist selten genug. Heute ist ein solcher Anlass. Ich freue mich mit Ihnen.
27.11.2005
Ähnliche Weichenstellung wie damals bei der Swissair
Justizminister Christoph Blocher über die Swisscom, Trusts und Reformen 27.11.2005, Sonntagszeitung, Reto Gerber, Arthur Rutishauser In einem Interview mit der Sonntagszeitung äusserte sich Bundesrat Christoph Blocher über die Gründe für den Verkauf der Bundesbeteiligung an der Swisscom. Zur Sprache kamen auch andere Betriebe, an denen der Bund ebenfalls beteiligt ist, wie Post, SBB und Ruag, sowie deren allfällige Privatisierung. Zusätzlich beantwortete Bundesrat Christoph Blocher Fragen zur Führung des Justizdepartements sowie zu der grossen Anzahl von Vorlagen im Dienste der Wirtschaft, die das Departement erarbeitet hat. Herr Blocher, der Bund will seine Beteiligung an der Swisscom verkaufen. Weshalb? Die Swisscom will expandieren, eine internationale Grossfirma werden. Da kann der Bund nicht Eigentümer sein. Warum? Stellen Sie sich vor, die Swisscom hätte Telekom Austria gekauft und wäre in Schwierigkeiten geraten; die Schweiz hätte bezahlt. Die kleinste Sanierung in Österreich hätte zu einer Krise nicht für die Swisscom, sondern zwischen der Schweiz und Österreich geführt. Das Gleiche gilt für jede andere Grossakquisition. Das Risiko für die Schweiz ist viel zu gross. Es kann nicht der Sinn sein, dass die schweizerische Eidgenossenschaft in fremden Ländern den Service public auch noch sicherstellt. In welchem Zeitrahmen soll der Bund aussteigen? Wenn bis Ende 2005 eine Vorlage erarbeitet ist, dann könnte diese – wie die bilateralen Verträge – im Schnellverfahren beschlossen werden. Das dürfte inklusive Referendum in einem Jahr zu machen sein – wenn man will. Solange der Bund die Mehrheit hat, darf die Swisscom keine Ausland-Akquisitionen tätigen. Sind denn solche Akquisitionen nicht sinnvoll? Die Swisscom steht an einer ähnlichen Weichenstellung wie damals die Swissair in guten Zeiten: Auch die Swisscom ist heute – wie damals die Swissair – eine gute, florierende Gesellschaft, auch dank früherer geordneter Märkte mit Monopolen, Kartellen und Absprachen. Nun ändert sich das, und wie damals die Swissair hat die Swisscom viel Geld und gute Erträge. Also will man grösser werden und expandiert ins Ausland und kauft Firmen. Bei der Swissair führte dies zum Zusammenbruch. Wo ist das Bundesrisiko? Stellen Sie sich vor, der Bund wäre an der Swissair mit 66 Prozent beteiligt gewesen wie heute bei der Swisscom! Natürlich kann dies auch gelingen. Aber das Risiko ist sehr hoch – für die Swisscom, aber noch viel mehr für die Schweiz. Denn sie steht in einer politischen «Garantenstellung» als Grossaktionär! Sie haftet – nicht rechtlich, aber politisch – praktisch unbeschränkt. Was halten Sie persönlich davon, dass die Swisscom ins Ausland expandieren und dazu über 20 Milliarden Franken Schulden machen will? Es stimmt: Die Swisscom hat zu viele Eigenmittel. Ein Verhältnis Eigenmittel zu Fremdmitteln von maximal 60 zu 40 ist anzustreben und wäre immer noch sehr komfortabel. Die Swisscom sagt, sie könnte 22 Milliarden Franken Fremdmittel aufnehmen. Aber statt 20 Milliarden im Ausland zu investieren, soll sie diese Mittel zurückzahlen. Sie könnte zum Beispiel vom Bund die Beteiligung von heute 17 Milliarden zurückkaufen oder auch ausschütten, dann löst sich ihr Eigenmittelproblem ohne gewaltige Risiken. Kann der Bund eine Expansionsstrategie verhindern, wenn der Verwaltungsrat das Gegenteil tut? Ein Verwaltungsrat, der gegen den Willen des Mehrheitsaktionärs handelt und dessen ernsthafte Beweggründe kennt, muss sich das gut überlegen. Das Gesetz sieht Massnahmen vor, zum Beispiel eine ausserordentliche Generalversammlung. Im negativen Fall sieht das Gesetz die Verantwortlichkeitsklage vor. Aber im Vordergrund steht das Gespräch. Ich glaube nicht, dass ein verantwortungsvoller Verwaltungsrat dies beiseite schiebt. Was geschieht, wenn der Swisscom-Verwaltungsrat oder das Management zurücktreten? Meinungsverschiedenheiten zwischen Eigentümern – also Unternehmern und dem Management – sind nichts Ausserordentliches. Wenn das Management zurücktritt, muss es ersetzt werden. Hat der Vorschlag, sämtliche Swisscom-Aktien abzustossen, politisch eine Chance? Jens Alder glaubt nicht daran. Ich bin überzeugt, dass das Schweizervolk diese hohen Risiken nicht tragen will. Die Grundversorgung der Schweiz ist so oder so gewährleistet. Aber Grosskonzerne im Ausland mit Milliarden auf Kosten der Bürger zu kaufen, das will die Volksmehrheit kaum. Das Schweizervolk will doch nicht, dass die Eidgenossenschaft im Ausland den Service public gewährleistet, Arbeitsplätze schafft und Milliardenrisiken eingeht. Kann sich der Bund im Sinne eines Kompromisses auch die Beteiligung mit einer Sperrminorität vorstellen? Solche Details sind zu diskutieren. Eine Sperrminorität – das heisst wohl 331/3 Prozent – mildert die politische Garantenstellung nicht. Was auch die Swisscom täte, vor allem im Ausland, würde der Schweiz angelastet. Wie wird, auch mit Blick auf ein mögliches Referendum, dem Volk die Angst vor einer Übernahme der Swisscom durch einen ausländischen Grosskonzern genommen? Natürlich kann man in den Statuten vorsorgen. Aber der Bund behält das Recht der Grundkonzession. Das ist massgebend. Aber die Schweizer müssten sich entscheiden, ob sie eine sichere Versorgung mit Milliardenrisiken im Ausland oder eine sichere Versorgung durch Unternehmen im Wettbewerb wollen. Neben der Swisscom ist der Bund noch an der Post, den SBB und der Ruag beteiligt. Soll dies alles privatisiert werden? Die Trennung von der Swisscom passiert nicht aus «Privatisierungsgründen». Die Beteiligung ist für den Bund und die Swisscom ein zu hohes Risiko. Und für die Versorgung ist die Beteiligung unnötig. Bei den SBB dagegen kann man das Schienennetz nicht privatisieren. Schienen haben Monopolcharakter. Dort muss man aber die Defizite runterbringen. Immerhin beträgt das Defizit des öffentlichen Verkehrs jährlich 7,6 Milliarden – mehr als doppelt so viel, wie der Bund für die ganze Landwirtschaft bezahlt. Bei der Post fängt der Konkurrenzdruck an zu spielen. Ein Bundesbesitz ist hier weniger fragwürdig, sofern die Post im Inland bleibt. Das Ziel ist es, eines Tages die Ruag zu privatisieren, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Auch die Elektrizität ist weit gehend in staatlicher Hand. Bei der Elektrizitätswirtschaft ist eine staatliche Netzwerkgesellschaft mit freiem privatem Zugang oder eine gemeinsame private Gesellschaft mit klaren Zugangsregeln das Richtige. Dies ist in Vorbereitung. All das fällt nicht in Ihre Zuständigkeit. Was machen Sie als Mann der Wirtschaft im Justizdepartement für die Wirtschaft? Ich bin im Gesamtbundesrat für alle Geschäfte mitverantwortlich. In den vergangenen zwei Jahren haben wir zudem im Departement eine grosse Zahl von Vorlagen erarbeitet, die unserer Wirtschaft dienen. Beispielsweise die umfassende Revision des Aktienrechts mit der gesamten Corporate Governance, die noch im Dezember in den Bundesrat kommt. Was ist denn da neu? Zum Beispiel die Transparenz der Entschädigungen. Für die börsenkotierten Firmen ist das bereits beschlossen. Die Revisionsgesellschaft muss diese Angaben prüfen. Neu kann auch der Aktionär einer privaten Gesellschaft Auskunft darüber verlangen, wie viel der Verwaltungsrat und der Konzernchef verdienen. Das ist bei vielen Familiengesellschaften von Bedeutung. Nicht die Öffentlichkeit, sondern der einzelne Aktionär muss dies wissen können. Was ändert sich in der Rechnungslegung? Wir unterscheiden nicht mehr zwischen Aktiengesellschaft, GmbH, Gesellschaft oder Einzelfirma. Die Grösse ist massgebend, nicht mehr die Gesellschaftsform. Für die grossen Gesellschaften gibt es erhöhte Publizitätsanforderungen, verlangt werden eine Geldflussrechnung und ein Lagebericht. Es werden aber nur Mindestanforderungen gestellt. Darüber hinaus gilt die Autonomie der Gesellschaft. Konkret? Grossunternehmen müssen wie bis anhin verschärfte Anforderungen erfüllen. Zu den «Grossen» gehören alle börsenkotierten Firmen und Unternehmen mit mehr als 20 Millionen Franken Umsatz, 10 Millionen Bilanzsumme und 50 Mitarbeitern. Die kleineren Gesellschaften geniessen mehr Freiheiten als Grossunternehmen. Bei KMU können Minderheitsgesellschafter einen Abschluss gemäss dem Prinzip «True and Fair View» fordern. Tun sie das nicht, gelten einfachere Vorschriften. Welche Neuerungen haben Sie noch in der Hinterhand? Wir unterschreiben voraussichtlich das Haager Trust-Abkommen. Der Trust ist eine ausländische Gesellschaftsform, deren Absicherung in der Schweiz vernachlässigt ist. Auf die Anerkennung von Trusts warten die Banken schon lange. Weshalb sind Trusts wichtig? Bislang anerkennt die Schweizer Gesetzgebung die Trusts nicht ausdrücklich. Wer solche Geschäfte machen und eine klare und sichere rechtliche Basis haben wollte, musste beispielsweise nach London ausweichen. Das ist ein weiteres Instrument der Steuerumgehung. Was versprechen Sie sich davon? Das Geld bleibt in der Schweiz. Es ist eine Dienstleistung mehr, die der Bankenplatz anbieten kann. Wir gehen in der Trust-Gesetzgebung nicht so weit wie gewisse Länder in Asien, eben um der Steuerproblematik auszuweichen. Ein Kostenfaktor für die Wirtschaft ist das kantonal unterschiedliche Recht. Wann kommt die Vereinheitlichung der Strafprozessordnung? Der Rechtsschutz in der Schweiz ist ein Problem. Unternehmen müssen sich mit 26 verschiedenen kantonalen Zivil- und Strafprozessordnungen herumschlagen. Das ist im internationalen Verkehr äusserst kompliziert. Die neue Strafprozessordnung kommt noch vor Ende Jahr in den Bundesrat. Schaffen Sie auch das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt ab? Ja. Mit der neuen Strafprozessordnung gibt es nur noch eine Staatsanwaltschaft des Bundes. Die wem unterstellt ist? Dem Bundesrat. Die Vorlage geht demnächst ins Parlament. Heute agiert die Bundesanwaltschaft unter geteilter Verantwortung, und mehr oder weniger operiert sie im «luftleeren» Raum. Das ist nicht gut. Es braucht eine ungeteilte Aufsicht. Die Erfahrung im In- und Ausland zeigt, dass es die Exekutive sein muss. Ein guter Chef wird von seinen Angestellten geschätzt. Bei Ihnen im Departement sind die Angestellten laut Umfragen unzufrieden. Warum? Wer Musse hat, solche Umfragen auszufüllen, hat offenbar noch zu viel Zeit. Zugegeben, in meinem Departement geht es schnell vorwärts. In den zentralen Diensten habe ich in einem halben Jahr 22 Prozent jährliche Kostensenkung beschlossen. Da klatschen nicht alle Beteiligten. Von einem negativen Betriebsklima zu sprechen ist aber abwegig. Was ist Ihre nächste Baustelle? Das Bundesamt für Migration ist ein grosser Brocken. Die konsequente Asylpraxis trägt Früchte, die Zahlen gehen zurück. Da müssen die zu umfangreichen Asylstrukturen reduziert werden. Wie viele Stellen gehen weg? Wir sprechen nicht von Stellen. Die Kostenreduktion beträgt 200 bis 300 Millionen Franken bis 2008. Zusätzlich werden in den Kantonen Kapazitäten abgebaut. Dies ist führungsmässig sehr anspruchsvoll. Wie viele Personen trifft es in Ihrem Departement? Wir haben in diesem Bereich den Stellenbestand von rund 800 auf 650 gesenkt. Bis 2008 werden es zirka 600 sein. Das löst sich weit gehend über natürliche Abgänge. Sie denken an eine Kandidatur für den Nationalrat, damit Sie - falls sie als BR abgewählt würden - wenigsten noch diesen Sitz hätten. Wie kommen Sie dazu? Die SVP weiss von einer Vereinbarung. Unter Führung der SP und der Grünen, zusammen mit einigen Freisinnigen und CVPlern, will man mich 2007 aus dem Bundesrat werfen, um meinen Einfluss in der Politik zu eliminieren. Es gibt in der SVP eine Gegenstrategie, dass ich wieder für den Nationalrat kandidiere. Aber nur wenn dieses Komplott wirklich besteht. Ich hoffe, dass dies Gedankenspiele bleiben. Wir sehen dann in ein bis anderthalb Jahren weiter. Ich bin bereit, auch nach 2007 als Bundesrat zu amten. Wie soll der Plan, sich in den Nationalrat wählen zu lassen, konkret realisiert werden. Werden Sie nach einer allfälligen Wahl aus dem Bundesrat zurücktreten, um sich dann als Nationalrat neu in die Regierung wählen zu lassen? Über solche Details mache ich mir jetzt keine Gedanken. Es ist nicht mein Ziel, wieder als Nationalrat zu kandidieren, sondern die Arbeit im Bundesrat fortzusetzen. Auf Ränkespiele muss dann zu gegebener Zeit reagiert werden. Was wollen die denn? Seit Sie im Bundesrat sind, hat die SVP weniger Schwung als mit Ihnen als Nationalrat. Sagen Sie das meinen politischen Gegnern. Würden Sie gerne das Departement wechseln? Ich habe im EJPD noch viel zu tun. Aber es geht vorwärts. Doch nach den nächsten Wahlen ist ein Departementwechsel zu überlegen, wenn ein solcher ansteht. Natürlich interessiert mich als Finanz- und Wirtschaftspolitiker vor allem das Finanzdepartement, aber auch das EDI mit der Lösung der Probleme im Bereich Soziales, auch das UVEK mit seinen vielen Baustellen. Aber auch das VBS und so weiter. Sie sehen: Arbeit gäbe es überall. Doch der Bundesrat entscheidet.
26.11.2005