Testi

 

06.01.2005

«Unschweizerisch? Sie, Herr Blocher?»

06.01.2005, WochenZeitung (Urs Bruderer und Johannes Wartenweiler) Herr Blocher, redet man in der Schweiz über die richtigen Probleme? Zunehmend. Die letzte grosse Debatte war die Hirschhorndebatte. Die war für Sie gross. Ich habe sie gar nicht bemerkt. Wie unterscheidet man kleine von grossen Problemen? Grosse Probleme haben grosse Auswirkungen, wenn man sie löst. Für die Schweiz wären das zum Beispiel die Sanierung des Bundeshaushalts oder die Reduktion von Abgaben. Das grösste Problem Ihres Departements ist das Asylwesen. Ihre Bilanz dazu nach einem Jahr fiel - mit Verlaub - heuchlerisch aus. Wir sahen Bilder von Ihnen mit grossen Säulendiagrammen im Rücken, die rückläufige Asylzahlen illustrierten. Doch der Rückgang hat nachweislich nichts mit Ihnen zu tun. Das Bild habe nicht ich verbreitet. Lassen wir den Herrn Blocher einmal weg. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren haben wir beim Eingang der Asylsuchenden eine bessere Entwicklung als die anderen europäischen Länder. Das befriedigt mich, und das scheint - sage ich vorsichtig - einen schweizeigenen Grund zu haben. Wohl die Folge einer restriktiveren Politik, die nicht nur mein Verdienst ist. Über den Grund könnte man streiten. Erstaunlich ist, dass ausgerechnet Sie sich hinter Statistiken verstecken und den Blick auf die Realität vergessen. Migration findet statt, Sie aber betreiben Bilanzkosmetik und treiben die Leute, die hierher kommen, in die Kriminalität und in die Schwarzarbeit. Das behaupten Sie. Wir prüfen jeden Monat, wie viele Illegale in der Schweiz aufgegriffen werden, wie viele davon Nichteintretensentscheide sind und wie viele kriminell sind. Sowohl die Zahl der Aufgegriffenen als auch der Prozentsatz der Kriminellen ist kleiner als gesamthaft bei den Asylsuchenden. Die Dunkelziffer, da gebe ich Ihnen recht, können wir nicht kennen und da können auch Sie behaupten, was Sie wollen. Genau wie Kirchen und die Hilfswerke, die uns nie konkrete Namen und Zahlen nennen. Vielleicht ist die Behauptung statistisch nicht zu belegen. Trotzdem kann man sich die Realität vor Augen führen, wenn man will. Ihr Motto ist doch «Lappi tue d’ Augen uuf»? Jawohl. Wieso haben Sie noch nie ein Asylbewerberheim angeschaut? Wieso reden Sie nicht mit Asylbewerbern? Ich habe schon viel mit Asylbewerbern gesprochen. Auch Asylheime besucht - allerdings nicht in diesem Jahr, weil ich viel anderes anschauen musste. Wir sprechen jetzt von Ihrem wichtigsten Dossier. Darum habe ich auch die meiste Zeit meines Departements damit verbracht. Sie hatten ein Jahr lang keine Zeit für ein Gespräch mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, einem der wichtigen Player. Die Flüchtlingshilfe will, dass man über das redet, was klappt: Die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge. Ich kümmere mich um das, was nicht klappt, und das sind die Leute, die Asyl suchen ohne Asylgrund. Das ist nicht das Dossier der Flüchtlingshilfe, auch wenn sie sich da dauernd einmischt. Ich habe das Gefühl, dass diese Leute keinen Unterschied zwischen echten Flüchtlingen und Asylmissbrauch machen wollen . Sie schirmen Ihre Leute von der Flüchtlingshilfe ab. Woher haben Sie diese Erfindung? Der Besuch des Symposiums, das die Flüchtlingshilfe und die UNHCR in Bern organisierten, wurde Ihren Leuten verboten. Ich habe die Teilnehmerzahl reduziert. Aber dies ändert nichts daran, dass ich bei Kongressen, Symposien etc. zurückhaltend bin. Beim Thema Migration haben Sie Angst vor der Wirklichkeit. Symposien und Kongresse sind nicht die Wirklichkeit. Viele Leute aus der Bundesverwaltung gehen sehr gern an sehr viele Kongresse statt die eigentliche Arbeit zu erledigen. Das ist angenehm, es wird viel gesprochen und wenig Konkretes erreicht. Wieso gehen Sie dem Gespräch mit der Flüchtlingshilfe aus dem Weg? Es hatte nicht oberste Priorität. Sie meinen, die Flüchtlingshilfe sei so wichtig? Das ist sie leider nicht. Das Treffen ist auf den Januar 2005 geplant. Leider betreibt die Flüchtlingshilfe vor allem Obstruktion gegen jede Massnahme zur Abhaltung von Leuten, die keine Flüchtlinge sind. Konstruktives ist bis heute nicht gekommen. Die Flüchtlingshilfe kritisiert einige Ihrer Massnahmen als widerrechtlich. Wir haben die Kritik geprüft. In einigen Punkten war sie angebracht, da haben wir korrigiert, in anderen Punkten war sie falsch. Wenn die Flüchtlingshilfe tatsächlich Obstruktion betreiben würde... Viel Obstruktion, ja. ...dann müssten Sie sich erst recht mit ihr an einen Tisch setzen, um das zu verhindern. Sie meinen, das sei so. Man muss nicht jede Obstruktion verhindern. Auch darf man sich nicht durch Obstruktion von den Prioritäten abbringen lassen. Bei einem Treffen im Januar werden wir auch darüber sprechen müssen. In Ihrer Bilanz nach einem Jahr im Bundesrat scheint Sie ihre sonst gesunde Skepsis verlassen zu haben. Kaum kritische Töne, kaum ein Eingeständnis, dass nicht alles lief, wie geplant. Dabei sank zum Beispiel die Glaubwürdigkeit des Bundesrats nach Ihrer Wahl auf ein historisches Tief. Wie erklären Sie sich das? In meiner Bilanz habe ich fast nur Probleme aufgezählt und allenfalls von ersten Lösungsansätzen gesprochen, euphorisch war das nicht. Zur Glaubwürdigkeit des Bundesrates: Ich glaube das nicht. Man ist für eine Führung oder man ist gegen sie, ihre Glaubwürdigkeit ist nie messbar. Und Glaubwürdigkeit bekommt eine Regierung, die Offenheit zeigt, sagt, was sie denkt und tut, was sie sagt. Dies ist besser geworden!. Der Bundesrat ist offener, man merkt etwas von Auseinandersetzungen. Der Bundesrat hat die zentralen Abstimmungen verloren. Das Steuerpaket war eine Kanterniederlage. Für Sie vielleicht. Nein, für Sie. In den letzten zwei Jahren hat die Bevölkerung praktisch alles verworfen, was eine Veränderung gebracht hätte. Die sozialdemokratischen Initiativen im Jahr 2003 wurden im Multipack verworfen, aber auch sowohl die Steuersenkungsvorlage als auch die Mehrwertsteuererhöhung. Die Mutterschaftsversicherung wurde angenommen. Interessanterweise erstaunlich knapp, obwohl keiner mehr diese Vorlage bekämpfte. Eher eine Blamage. Sie deuten einen Sieg in eine Blamage um. 45 Prozent und eine Mehrheit der Deutschschweizer war gegen eine Mutterschaftsversicherung, die eigentlich etwas Angenehmes ist für die Menschen. Warum sind die Leute bei allen Veränderungen skeptisch? Vielleicht, weil alles, was in den letzten Jahren beschlossen wurde, schlecht herausgekommen ist. Auch die Einbürgerungsvorlagen hat das Volk übrigens zum dritten Mal verworfen. Darüber sollte man doch besser schweigen, Herr Blocher. Natürlich sagen Sie das. Das haben Sie nach der Abstimmung gesagt. Ja, und zu Recht, weil das Volk entschieden hat. Also bleiben wir dabei. Weil Ihnen das unangenehm ist und sie das Ihren Lesern nicht zumuten wollen! Sie haben dem Bürokratismus den Kampf angesagt. Das ist sicher nicht falsch, und wahrscheinlich können Sie das auch gut. Aber erstens nervt, wie laut Sie das tun. Und zweitens ist das kein politisches Programm. Sie übersehen die Ernsthaftigkeit des Anliegens. Ich kämpfe für eine bürgernähere Verwaltung, die weniger Leerlauf produziert. Das gehört zur Führung. Auch eine meiner Aufgaben. Die Presse hat dies anscheinend besonders interessant gefunden. Kein Wunder, wenn Sie den Journalisten den Begriff der «geschützten Werkstatt» vorwerfen. Ich habe seit ich in Bern bin, das Gefühl, dass ich in einer geschützten Werkstatt arbeite. Geschützte Werkstätten sind Einrichtungen für Leute, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Chance haben. Ich gebe zu, dass es ein lustiger Begriff ist und ich ein Wortspiel gemacht habe. Ich meine den Begriff wörtlich: Abgeschirmt von aussen, von der Realität geschützt. Ihre Auslegung können mir nur böswillige Menschen unterschieben. Wenn ich - um von einem Bereich zu reden, den ich kenne - sehe, welche Massnahmen zur Wirtschaft beantragt oder beschlossen werden, dann muss ich sagen, darauf kann man nur in einer geschützten Werkstatt kommen. Man kann alles beschliessen, wenn man die Welt draussen nicht sehen will. Nochmals: Beamtenschelte ist kein politisches Programm. In meiner Bilanz habe ich etwas anderes an den Anfang gestellt. Die materielle Lebensgrundlage eines Landes ist die Wirtschaft. Funktioniert sie nicht, bricht alles zusammen. Da kommen Schwierigkeiten auf uns zu, weil wir nicht mehr so konkurrenzfähig wie früher sind. Der zu grosse, teure Staatsapparat ist ein Grund dafür. Die Steuern und Abgaben, die wir mehr erhöht haben als andere Industriestaaten, sind ein anderer. Als Empiriker kann man dazu nur festhalten, dass es keinen nachweisbaren Zusammenhang gibt zwischen Wirtschaftswachstum und Staatsquote. Aber sicher doch. Die OECD ist der Sache in einer Studie nachgegangen und konnte den Zusammenhang nicht finden. Welche Studie Sie meinen, weiss ich nicht. Ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftsproblemen und Staatsquote ist sehr wohl nachweisbar. Natürlich muss man vergleichbare Staaten nehmen. Dass China ein grösseres Wachstum hat als die Schweiz, ist natürlich nicht nur auf die tiefere Staatsquote zurückzuführen - da haben Sie recht. Die Studie verglich europäische Länder. Sie müssen aufs Niveau achten. Auf unserem hohen Niveau kann man weniger wachsen, als auf tieferem. Es irritiert Sie nicht, dass der empirische Nachweis nicht gelang? Es ist bekannt, dass jene Länder, die die Staatsbelastung - vor allem für die Firmen - gesenkt haben, eine bessere wirtschaftliche Entwicklung hatten. Wann ist Ihre Mission erfüllt? Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie sagen würden, dass es Sie nicht mehr braucht im Bundesrat? Erfüllt ist eine Führungsaufgabe nie. Das Leben geht weiter, es gibt immer neue Probleme. Wann es ausgerechnet mich nicht mehr braucht, das weiss ich nicht. Ich habe mich zur Verfügung gestellt, ich wurde gewählt, und jetzt mache ich meine Sache, ohne mich zu fragen, ob es auch ginge, wenn ein anderer auf diesem Stuhl sässe. Ihre Frau und Ihre Parteikollegen preisen Sie öffentlich wie einen Messias. Ist Ihnen das nicht manchmal peinlich? Davon merke ich nichts. Ich merke mehr von denen, die mich preisen wie den Leibhaftigen! Ihr Bruder verglich sie mit dem Rheinfall, mit einer Naturgewalt, die einem Volk in der Not erwachsen muss. Das war ein guter Artikel. Er schilderte damit meine Intuition und Tatkraft und stellte diese dem rein Intellektuellen gegenüber. Viele Leute staunen, was dieser Blocher alles bewegt. Und vieles läuft bei mir - das gebe ich zu - intuitiv. Der Rheinfall ist auch nicht gemacht, er passiert. Ihre Unbescheidenheit ist unschweizerisch. Ihnen würde es in den Kopf steigen. Mir nicht. Geben Sie doch zu: Zu achtzig Prozent werden mir Schandtitel und teuflische Eigenschaften angehängt, nicht prophetische. Da soll noch einer unbescheiden werden? In einem Film haben Sie kürzlich ihre Villa vorgeführt und sich als Schlossherr inszeniert. Glauben Sie, dass die Schweizer das gern sehen? Vorführung und Inszenierung hassen die Leute wie die Pest. Aber dieser Film zeigt, wie wir leben. Meine Waffe ist Transparenz und Offenheit. Sie stört das, die allermeisten Leute stört das nicht. Ich fragte Sie nur nach Ihrer Einschätzung der Wirkung beim Publikum. Das habe ich mir gar nicht überlegt. Wer für Offenheit und Transparenz ist, hat das zu zeigen, was ist, ohne sich zu fragen, was andere denken könnten. Im Film ist auch nichts gestellt. Wir werfen Ihnen nichts dergleichen vor. Sie sagen, ich hätte da etwas vorgeführt. Der Filmer hat etwas vorgeführt - unser Leben! Interessant daran ist, dass ausgerechnet SVP-Bundesrat Blocher eine Tendenz zur Amerikanisierung der schweizerischen Politik fördert. Sie sind auch der erste, der dem Land eine First Lady präsentiert. Machen Sie das bewusst? Meine Frau ist meine Frau und anscheinend darum interessant. Da kann ich nichts machen. Ausserdem hat sie im Hintergrund immer aktiv politisiert, meine Partei weiss das. Zuerst wollte der Betreffende einen Film über meine Frau machen. Das wollte sie nicht. Dann wollte er einen Film über uns beide machen. Ich fand das gar nicht so dumm. Die Leute sollen wissen, was für eine Frau ein Bundesrat hat. Und die Leute sind - wie Sie auch - voller Vorurteile. Also sagte ich dem Regisseur: "Machen Sie den Film. Sie können drei Monate filmen, was Sie wollen". Nur zu nahe ran durfte er nicht. Jetzt sieht man halt, wie wir wohnen. Ist das schlimm? Was wäre zu nahe gewesen? Ins Schlafzimmer, fand ich, musste er nicht. Ein gestelltes Sofagespräch wäre auch nichts gewesen. Wenn wir einen veritablen Ehestreit gehabt hätten, hätte es diese Szene vielleicht gegeben. War es unschweizerisch, was Sie da gemacht haben? Ich habe es nicht gemacht. Er hat es gemacht. Sie haben Ja gesagt dazu. Vielleicht ist es unschweizerisch, Ja zu sagen. So unschweizerisch kann es nicht gewesen sein, bei dem unglaublichen Echo, das der Film hatte. Sie haben im letzten Jahr mehrmals das Konkordanzsystem in Frage gestellt. Wäre es nicht unschweizerisch - oder eine Ironie, wenn ausgerechnet Sie die Abschaffung einer Eigenheit der Schweizer Demokratie herbeiführen würden? Unschweizerisch? Wenn Sie in der Geschichte zurückgehen, finden Sie, dass es die Konkordanz in der Schweiz erst seit gut 60 Jahren gibt. Heute schaffe ich in dieser Konkordanz und unternehme nichts dagegen. Wenn sie aber unhaltbar werden sollte, weil man einander so wahnsinnig blockieren würde, dann müsste man die Systemfrage stellen. Es haben ja beide Systeme Vor- und Nachteile.

26.12.2004

«Angstmacherei? Soll ich die negativen Folgen totschweigen?»

Justizminister Blocher über schlaflose Nächte, den Rüffel von Bundespräsident Deiss und die Folgen der Personenfreizügigkeit. 26.12.2004, Sonnntags Blick (Patrik Müller und Hubert Moser) Herr Bundesrat, Joseph Deiss und der Gesamtbundesrat haben Sie gerügt, weil Sie das Personal schlecht gemacht haben. Was sagen Sie dazu? Das Personal wurde nicht schlecht gemacht, aber Mängel in der Verwaltung genannt, die durch die Führung ausgemerzt werden müssen: fehlende Bürgernähe, mangelnder Realitätssinn, zu geringe Flexibilität und überdotierung. Es gilt auch Doppelspurigkeiten zu beseitigen. Eine Mentalitätsveränderung halte ich für unausweichlich. Der Personalverband hat mitgeteilt, die Angestellten fühlten sich von Ihnen desavouiert. Leider hat der Verband nicht zugehört. Es geht um Abläufe, Organisation, Führung. Darum werden in der nächsten Jahreshälfte alle Stabsfunktionen in meinem Departement genau unter die Lupe genommen. Ich will wissen, wo Kostensenkungen und Leistungssteigerungen möglich sind. Vor allem aber will ich das Bewusstsein für Eigenwirtschaftlichkeit und Kosten in jeder Einheit meines Departements stärken und erhöhen. Bis jetzt hat die SVP vor allem mit Asylthemen Stimmung gemacht. Sind nun die Beamten die neue Zielscheibe? Nicht die SVP, sondern ich als Bundesrat durchleuchte die Verwaltung. Weil es nötig ist. Vor einem Jahr sagten Sie in der "Weltwoche", in der Verwaltung könne man 30 Prozent der Kosten sparen. Glauben Sie noch immer, jeder dritte Beamte sei überflüssig? Ich habe von Kosten gesprochen, nicht von Beamtenstellen. 30 Prozent Kostensenkung halte ich nach wie vor für realistisch. Ich arbeite in meinem Departement auf dieses Ziel hin und hoffe, dass ich es in vier Jahren erreiche. Allerdings muss dies durch die Bundesverwaltungsreform begleitet sein. Hier spricht Unternehmer Blocher. Welcher Job gefällt Ihnen eigentlich besser, Unternehmer oder Bundesrat? Unternehmer zu sein war natürlich faszinierender. Ich hatte mehr Bewegungsspielraum und konnte unmittelbar etwas bewirken. Aber die Tätigkeit war auch belastender. Heute habe ich während der Nacht nicht mehr so viele Angstträume. Sie schlafen besser, seit Sie Bundesrat sind? Ja. Früher hatte ich manche schlaflose Nacht, weil die Verantwortung drückte. Ich wusste: Ein falscher Entscheid, und 3000 Mitarbeiter verlieren ihre Stelle und das Unternehmen geht zugrunde. Hat ein Bundesrat weniger Verantwortung als ein Unternehmer? Nein. Aber ich spüre, dass nicht mehr die ganze Verantwortung auf meinen Schultern lastet. Im Staat sind die Entscheidungen breiter abgestützt. Der Entscheid eines Einzelnen hat nicht so weitreichende Folgen wie in einem Unternehmen. Macht einer eine Dummheit, gibt es meist mehrere Instanzen, die den Fehler wieder korrigieren können. Und Fehlentscheide bezahlen die Steuerzahler - leider. Aber es kommt auch heute vor, dass ich schlecht schlafe. Wann? Die grossen Probleme unseres Landes lassen mich manchmal nicht schlafen. Dann hinterfrage ich plötzlich alles - ganz grundsätzlich. Wie stark beschäftigt Sie die Ems-Chemie heute? Führen Sie die Firma am Sonntag vom Familientisch aus? Nein, ich habe das Unternehmen abgegeben. Fertig. Es gibt auch keinen Familientisch, an dem ich das besprechen könnte. Meine Tochter und mein Sohn wohnen nicht bei uns. Klar, wenn sie mit ihren Familien zu Besuch sind, höre ich gern zu, was sie so zu erzählen haben. Wir nehmen Ihnen nicht ab, dass Sie bloss Grossvater spielen. Aber es ist so. In der wenigen Zeit kümmere ich mich lieber um die Enkel. Wenn Sie die Firma abgeben, müssen Sie das ganz tun. Im DOK-Film auf SF DRS traten Sie und Ihre Frau wie ein Königspaar auf und präsentierten Ihren Reichtum. Das ist unschweizerisch. Der Film zeigt wie wir leben und sind. Ich habe nichts zu verstecken. Meine Waffe ist die Transparenz. Das wird gerade vom Publikum geschätzt, das zeigen die Reaktionen. Klar melden sich auch Neider. Es sind solche, die ebenfalls vermögend sind - deren Villa aber zwei Zimmer weniger hat. Im Film haben Sie gesagt, der Schweiz gehe es schlechter als vor zehn Jahren. Wie haben Sie das gemeint? Die Staatsschulden sind explodiert, die Wettbewerbsfähigkeit hat sich verschlechtert, und die Wirtschaft, die unsere Lebensgrundlage ist, wächst nicht mehr. Diese Entwicklung ist beunruhigend, auch wenn die Bürger davon nichts direkt spüren. Noch nicht. Die Schweiz verliert nach und nach ihre Stärken. Ich bin pessimistisch für den Standort Schweiz. Wenn die Politik sich nicht ändert. Vor zwölf Jahren hat das Stimmvolk den EWR-Vertrag abgelehnt. Sie versprachen damals, die Schweiz werde im Alleingang wirtschaftlich erfolgreich sein. Da haben Sie sich geirrt. Dank der Ablehnung des EWR gehört die Schweiz immer noch zur Spitzengruppe. Die schlechte Entwicklung in den letzten zehn Jahren hat mit dem EWR-Nein nichts zu tun. Sondern mit der Politik: Wir haben Steuern und Abgaben erhöht, mehr als jedes andere Industrieland. Und die Regulierung hat noch zugenommen. Das tönt wie die übliche neoliberale Leier. Tatsache ist doch: In der EU wächst der Wohlstand, bei uns herrscht Stagnation. Die meisten EU-Länder haben ein wesentlich tieferes Wohlstandsniveau. Da ist Wachstum einfacher. Gerade die neuen EU-Länder machen vieles richtig: tiefe Steuern, wenig Regulierung. österreich wiederum wächst vor allem dank des Ostmarktes. Glauben Sie, die Schweizer Wirtschaft würde wachsen, wenn wir in der EU wären? Das Gegenteil wäre der Fall. Wir müssten Milliarden nach Brüssel zahlen, den Schweizer Franken aufgeben, das Bankgeheimnis abschaffen, die Mehrwertsteuer verdoppeln. Der Bundesrat will die Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Länder ausdehnen. Sie haben vor dem Nationalrat erklärt, die Arbeitslosigkeit in der Schweiz werde "tendenziell auf europäisches Niveau" steigen. War das ein Versprecher? Nein, warum? Europäisches Niveau heisst zehn Prozent Arbeitslose! Wir haben heute vier Prozent. Es ist doch logisch, dass wir mehr Arbeitslose haben werden, wenn man das Arbeitskräfteangebot vergrössert und nicht gleichzeitig mehr Stellen schaffen kann. Das muss man im Auge behalten. Schon heute haben wir gewisse Probleme wegen der Personenfreizügigkeitist mit den alten 15 EU-Ländern: Die Arbeitslosigkeit nicht sinkt, trotz konjunktureller Erholung. Wenn Sie mit zehn Prozent Arbeitslosigkeit drohen, torpedieren Sie die bundesrätliche Vorlage. Mit dieser Angstmacherei fallen Sie Ihren Kollegen in den Rücken. Die zehn Prozent haben Sie genannt. Aber: Was heisst Angstmacherei? Soll ich die negativen Folgen, die auf der Hand liegen, totschweigen? Als Bundesrat will ich die Vor- und Nachteile einer Vorlage aufzeigen. Dass die Unternehmen und die Volkswirtschaft gewichtige Vorteile haben, wenn wir die Personenfreizügigkeit ausweiten, ist doch unbestritten. Mehr Arbeitnehmer bedeutet: grössere Auswahl, höhere Qualität, günstigere Saläre. Das sind Vorteile für die Wirtschaft. Die Nachteile werden doch verhindert, indem die Schweiz den Arbeitsmarkt schrittweise öffnet und flankierende Massnahmen gegen Lohndumping erlässt. Die übergangsregelung dämpft den Zustrom, aber nur bis 2011. Die flankierenden Massnahmen helfen auch - aber sie regulieren dafür den Arbeitsmarkt zum Nachteil der Wirtschaft. Nochmals: Sie gefährden mit Ihrer Argumentation die Freizügigkeitsvorlage. Ein Nein wäre verheerend, dann könnte die EU die Bilateralen I kündigen. Eine ehrliche, nüchterne Betrachtung kann eine gute Vorlage nicht gefährden. Bei einem Nein wäre tatsächlich eine schwierige Situation zu überwinden. Die EU und die Schweiz können die Verträge schon jetzt jederzeit kündigen. Aber weder die EU noch die Schweiz haben ein Interesse daran. Lassen Sie die Stimmbürger abwägen. Werden Sie sich im neuen Jahr wieder so stark in andere Departemente einmischen? Ich mische mich nicht ein. Im Bundesrat trage ich Gesamtverantwortung und dafür setze ich 50 Prozent meiner Zeit ein. Sind Sie mit dem Justizdepartement unterbeschäftigt? Ich habe zwei Aufträge: Die Gesamtverantwortung in der Regierung wahrnehmen und mein Departement führen. Ich mache das zu je 50 Prozent. Für die Bundesratssitzung vom letzten Mittwoch habe ich sechs Mitberichte verfasst. Keiner ist länger als eine Seite. In diesem Sinne werde ich auch im kommenden Jahr weiterarbeiten.

22.12.2004

Eine schonungslose Analyse ist nötig

«Die ungeschminkte Wirklichkeit zu sehen und anzuerkennen, ist Voraussetzung für gute Lösungen der Probleme», erklärt der Justizminister im Gespräch mit der «Südostschweiz». Die aktuelle Situation erachtet er als «für die Zukunft unseres Landes nicht sehr hoffnungsvoll». 22.12.2004, Südostschweiz (Flurina Valsecchi) Herr Bundesrat, wie steht es momentan um unser Land? Die Situation für die Zukunft unseres Landes ist nicht sehr hoffungsvoll. Unhaltbar ist besonders die die Situation der Staatsfinanzen, bei deren Sanierung wir kaum vorankommen. Wir sollten dringend die Steuern und Abgaben senken sowie Regulierungen abbauen. Auch die Verwaltung ist zu teuer und zu kompliziert. Was mein Departement betrifft: Die Asylpolitik ist zu verbessern. Es sind zu viele Personen hier, die keine Flüchtlinge sind. Diese Situation werden wir verbessern. Ein insgesamt recht düsteres Bild. Als Unternehmer bin ich gewohnt, Dinge anzusprechen, die nicht funktionieren und die zu verbessern sind. Es gibt aber auch viel Funktionierendes, doch das ist weniger wichtig. Wichtig ist es die Probleme in ihrer ganzen Tiefe und Schärfe zu erkennen. Wie würden Sie die Schweiz auf einer Skala von Null (schlecht) bis Zehn (hervorragend) bewerten? Ich gäbe der Schweiz eine Vier. Es besteht also Handlungsbedarf. Wie stark kann der Staat dabei nach unternehmerischen Prinzipien geführt werden? Sehr stark. Die Führungsgrundsätze sind stets die selben: Im Staat, im Unternehmen, im Militär oder in der Familie. Am Beginn steht die schonungslose Problemanalyse, und hier hapert es oft. Als Unternehmer ist man gezwungen, diese Analyse vorzunehmen und Lösungen zu suchen. Denn wenn sie es falsch machen, gehen sie unter. In der Politik aber war dieses schonungslose Hinterfragen des Ist-Zustands stets ein Problem. Winston Churchill war zum Beispiel in den dreissiger Jahren allein mit seiner Analyse, dass Deutschland einen Krieg entfachen würde. Er wurde ausgegrenzt und hat schliesslich doch Recht bekommen. Und am Schluss hat ihn das Volk abgewählt. Das macht nichts. Es kann ja nicht das Ziel sein, stets in der Gnade des Volks zu stehen. Hat denn das Volk damals falsch entschieden? Ja natürlich. Churchill hat Europas Freiheit gerettet und nach dem Krieg vor dem Kommunismus gewarnt. Das Volk hat also nicht immer Recht? Das habe ich nie behauptet. Wenn das Volk aber entschieden hat, dann gilt dieser Entscheid selbst wenn es sich irrt. Zur Zeit streben Sie im Volk einen «Mentalitätswandel» an. Was genau verstehen Sie darunter? Da ist im vergangenen Jahr bereits viel geschehen. Heute werden Probleme viel offener diskutiert als vor einem Jahr. Denken Sie an Tabu-Themen wie die Ausländerpolitik oder die IV-Problematik darüber schreiben auch die Medien offener als früher. Einen solchen Mentalitätswandel meine ich. Denn wenn Sie ein Problem, das die Leute beschäftigt, unter dem Deckel halten, erzeugt dies eine furchtbare Stimmung. Die ungeschminkte Wirklichkeit zu sehen und anzuerkennen, ist die Voraussetzung für gute Lösungen der Probleme. Und wie genau kam dieser Mentalitätswandel zu Stande? Das ist schwer zu sagen. Ich sage nicht, dass es so ist, weil ich nun Bundesrat bin. Aber die Tatsache, dass ich gewählt wurde, war bereits ein Zeichen für diesen Umbruch. Denn normalerweise wählt man solche Politiker wie mich nicht in den Bundesrat. Stehen Sie selbst am Anfang dieser Entwicklung oder sind Sie als Folge davon Bundesrat geworden? Vielleicht stehe ich am Anfang dieser Entwicklung. Die Frage bleibt aber dennoch schwierig zu beantworten. Vielleicht bin ich auch nur das Produkt dieser Zeit. Das ist die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. Letztlich ist die Frage auch nicht so wichtig. Hauptsache ist, dass der Mentalitätswandel geschieht. Sie fordern, dass man ohne Tabus in alle Richtungen denken soll. Hat nicht besonders Ihre Partei viele Ideen und Utopien des politischen Gegners einfach a priori abgeblockt? Ich warne vor Utopien, bin aber dafür, verschiedene Lösungsansätze zu prüfen. Als Unternehmer weiss ich um den Wert kreativer Lösungsvorschläge. Ich bin zunächst offen nach allen Richtungen, mache sehr viel Brainstorming und lade die verschiedensten Gruppen zum Gedankenaustausch ein. Bei der Asylpolitik waren das unter anderem von der Flüchtlingshilfe und bis zum ehemaligen Flüchtlingsdelegierten Peter Arbenz alle. Als Bundesrat sind Sie also offener für andere Meinungen als Sie es als Parteipolitiker waren? Als Partei ist man immer parteiisch, das sagt bereits der Name. Meine Stärke war jedoch auch als Parteipolitiker, mir andere Meinungen anzuhören. Und auch da haben wir um Positionen gerungen. Wenn wir eine Lösung erarbeitet hatten, trugen wir diese jedoch viel massiver vor. Sie sprechen viel von «Realitätsverweigerern». Inwiefern nehmen Sie die Realität in allen Facetten wahr? Zum Beispiel auch die Realität, dass das Volk Nein sagte zur AHV-Revision oder zum Steuerpaket. Demokratie ist die Möglichkeit Nein zu sagen. Ich nehme diese Äusserungen des Volks sehr wohl zur Kenntnis. Vielleicht will man uns sagen: Wir haben genug von all diesen neuen Vorlagen, legt uns gescheiter mal nichts vor. Auch das könnte eine Interpretation sein. Auch für ein Nein zum Steuerpaket? Weshalb nicht? Das Volk hat sich mit seinem Nein gegen Steuersenkungen ausgesprochen. Bei der Mehrwertsteuer-Erhöhung zu Gunsten der AHV hat das Volk allerdings auch Nein gesagt. Realität ist trotzdem, dass Sie mit Ihren Ansichten einen sehr grossen Teil des Volks nicht repräsentieren. Das habe ich auch nie behauptet. Jeder Politiker vertritt bloss einen gewissen Teil des Volks. Auch wenn ich früher Abstimmungen gegen den Bundesrat gewonnen habe, stand auf der Gegenseite oft eine starke Minderheit. Das Volk war gespalten, und ich habe einfach eine Seite davon vertreten. Wie soll man denn mit solchen starken Minderheiten umgehen etwa nach einer Volksabstimmung? Viel muss man nicht sagen. Ich habe festgestellt, dass eine Minderheit, die wie der Bundesrat denkt, gepflegt wird. Wenn die Minderheit jedoch gegen den Bundesrat ist, dann wird sie überhaupt nicht beachtet. Zum Beispiel? Bei der Abstimmung zur Mutterschaftsversicherung gab es eine starke Minderheit. Da habe ich nichts davon gehört, dass man pfleglich mit dieser Minderheit umgehen soll. Vielmehr wurde das Volk für seine Reife gelobt. Hingegen war die Mehrheit bei den Einbürgerungsvorlagen auf der Seite der Regierung. Diese wurde dann sehr wohl "gepflegt". Da hat sich ein historisch tiefer Röstigraben aufgetan. Ist es nicht besonders heikel, wenn die sprachliche Minderheit auch an der Urne derart minorisiert wird? Die Deutschschweizer Kantone wurden am selben Sonntag bei der Mutterschaft überstimmt. Die könnten ja noch mehr aufbegehren, weil sie sogar als Mehrheit in diesem Land überstimmt wurden. Immerhin waren Zürich, Bern und Basel für die Mutterschaftsversicherung. Doch grundsätzlich: Bedarf denn der nationale Zusammenhalt nicht der besonderen Pflege? Was wollen Sie denn pflegen? Was wollen Sie denn sagen? Etwa, dass der Entscheid doch nicht so ganz gilt. Man muss einfach vorsichtig sein, dass man gegenüber einer Minderheit keine falschen Konzessionen macht. Die wichtigste Aussage ist, dass man den Volksentscheid respektiert. Wie sieht es mit dem Zusammenhalt zwischen den Regionen aus? Rein ökonomisch macht die Unterstützung der Randregionen keinen Sinn. Die Randregionen erhalten sich selbst. Wenn man Man muss mit weniger starren Vorgaben und steuerlichen Anreizen ideale Bedingungen schafft. Dann haben sie gute Chancen. Ein Qualitätstourismus auf hohem Niveau ist zum Beispiel eine ideale Option für die Randregionen. Trotzdem ist die ökonomische Situation vieler Randregionen besorgniserregend. So schlecht geht es den Randregionen nicht. Wenn der Leidensdruck grösser wäre, würden sie mehr unternehmen. Die Regionen müssen auf ihre eigenen Stärken setzen und nicht einfach den Bund um Geld angehen. Weshalb sind Sie denn gegen Naturpärke, damit könnten die Regionen voll auf ihre eigenen Stärken setzen? Ich glaube nicht daran, dass die Bewohner der Randregionen allesamt in Naturpärken leben wollen. Das wäre für die Entwicklung der Gebiete hinderlich. Vor Ort stossen solche Projekte jedoch auf Zustimmung. Wenn die Kantone das machen wollen, sollen sie es selbst tun. Wenn es aber nur darum geht, in Bern Geld abzuholen, ist das die falsche Strategie.

22.12.2004

Wenn die Schweiz unterginge, dann wäre sie selber schuld daran

22.12.2004, TagesAnzeiger (Verena Vonarburg und Iwan Städler) Herr Blocher, nachdem Sie am Montag Bilanz über Ihr erstes Jahr als Bundesrat gezogen haben, möchten wir mit ihnen in die Zukunft blicken: Wie sieht ihre Wunsch-Schweiz in zehn Jahren aus? Welche Aufgaben soll der Staat noch erfüllen, welche nicht mehr? Der Staat sollte sich auf das dringend Nötige beschränken und alles andere sein lassen. Zum Beispiel? Es gibt viele Beispiele. Die unzähligen Berichte, die vielen Kongresse, die vielen Reisen, das alles braucht es nicht. Der Staat muss aber vor allem dafür sorgen, dass das Land nicht immer mehr international eingebunden wird; sonst bestimmen andere über uns. Eine zentrale Staatsaufgabe ist auch die Garantie der Sicherheit und der Staat muss überdies mit Fürsorgeleistungen zu denjenigen schauen, die sich nicht selbst helfen können. Die Umverteilungen hingegen kann man zurücknehmen. An welche «Umverteilungen» denken Sie? Wenn ich zum Beispiel mit dem Zug von Zürich nach Bern fahre, subventioniert mich der Staat über jedes Billet mit etwa hundert Franken. Ist das nötig? Die SBB sollten sich so organisieren, dass das Billet ohne Staatsgeld vielleicht sogar billiger würde. Wo wollen Sie den Sozialstaat beschneiden? Die vielen Zwangsversicherungen, die wir abschliessen müssen, müssten nicht sein. Welche Zwangsversicherungen möchten Sie abschaffen? Die Krankenkasse sollte nicht obligatorisch sein. Ich sollte, wenn ich wollte, auch ohne Krankenkasse leben können. Nun müssen wir alle Jahre mehr zahlen. Je höher die Prämien sind, umso mehr gehen die Leute auch zum Arzt. Wir müssen die Selbstverantwortung der einzelnen wieder in den Vordergrund schieben. Nicht nur in diesem Fall. Auch bei der AHV? Die AHV ist keine schlechte Versicherung. Sie ist zwar eine Zwangsversicherung, aber jeder spart für sein Alter. Die AHV würde ich zuletzt antasten. Sie gerät in ein riesiges Defizit, weil die Gesellschaft immer älter wird. Wie wollen Sie dieses Problem lösen? Die Leute werden länger arbeiten müssen. Wenn sie so gesund sind wie heute, können sie dies auch tun. Ich kann mit 65 gut noch arbeiten, während viele in meinem Alter eigenartigerweise schon pensioniert sind. Sie wollen also das Rentenalter erhöhen? Ich spreche nicht von einem höheren Rentenalter im nächsten Jahr. Aber längerfristig wird es wahrscheinlich in diese Richtung gehen. Pascal Couchepin will zusätzlich die Einnahmen erhöhen. Ich nicht. Mehr Steuern sind gefährlich. Man könnte die AHV auch entlasten, indem man junge Ausländer in die Schweiz holt. Ich habe nichts dagegen. Aber wir müssen genügend Arbeitsplätze haben, sonst bringt das nichts. Wieviele Flüchtlinge und welche Art Ausländer soll die Schweiz in zehn Jahren aufnehmen? Diejenigen, die wir beschäftigen können. Und darüber hinaus die echt Verfolgten. Gewisse Ausländer lassen sich offensichtlich leichter integrieren als andere. Wollen Sie das steuern? Wenn man auswählen kann, nimmt man die Besseren. Welches sind die Besseren? Das ist eine sehr heikle Frage. Natürlich lässt sich ein Deutscher besser integrieren als ein Sudanese. In diese Richtung geht unsere Ausländerpolitik ja bereits: Wer von ausserhalb der EU kommt, muss gutqualifiziert sein. Solche Leute sind leichter zu integrieren. Wieviel Geld würde der Bund sparen, wenn Sie Ihre Wunsch-Schweiz verwirklichen könnten? Mindestens 30 Prozent. Das ist keine Utopie. Erinnern Sie sich an 1990? Damals war es auch schön, oder? Wenn wir heute 30 Prozent Staatsausgaben streichen, sind wir immer noch über dem Level von 1990! Aber leider ist die Frage müssig: Wir bewegen uns in die gegenteilige Richtung. Und das lähmt die Wirtschaft. Ihr Schloss steht in Rhäzüns. Wie wird dieses kleine Dorf in zehn Jahren aussehen? Hat es noch eine Post, einen Laden, eine Bahnstation? Es sieht hoffentlich noch gleich aus wie heute. Ob es noch eine Post gibt, kann ich nicht sagen. Wenn nicht, müssen die Leute eben nach Bonaduz oder Thusis. Schlimm wäre das nicht. Ist es eine Staatsaufgabe, Randregionen zu unterstützen? Ich würde den Randregionen vor allem möglichst viel Autonomie gewähren und mit dem Unterstützen aufpassen. Zu viel Unterstützung führt dazu, dass man nur auf das Geld wartet, statt sich auf seine eigenen Stärken zu besinnen. Glauben Sie tatsächlich, dass die Randregionen ohne jegliche Unterstützung überleben können? Es kann sein, dass man da und dort doch noch etwas an Unterstützung leisten muss. Aber wenn man die Regionen schon zum Vornherein unterstützt, kommt es nicht gut. Wie wird die Landwirtschaft in zehn Jahren aussehen? Die Landwirtschaftspolitik soll auch die Randregionen erhalten helfen, aber das heisst nicht einfach: Geld ausschütten. Aber ganz ohne Abgeltung geht es auch nicht. Die Landwirtschaft muss von vielen staatlichen Barrieren befreit werden, damit der Bauer freier handeln und günstiger produzieren kann. Und der Umweltschutz soll keine Rolle mehr spielen? Der Umweltschutz wird auch in zehn Jahren denselben Stellenwert haben wie heute. Man kann ihn aber übertreiben; hier sehe ich eine Gefahr. Wenn wir am Ende nicht mehr arbeiten können, weil der Umweltschutz alles behindert, dann ist das gefährlich. Welche Rolle spielt Ihre Wunsch-Schweiz in zehn Jahren mitten in Europa? Soll sie alle paar Jahre bilateral verhandeln? Man muss nicht ständig bilateral verhandeln. Wenn man Probleme hat, muss man diese miteinander lösen. Das halten wir seit 700 Jahren so. Es ist aber falsch, krampfhaft nach Themen zu suchen, worüber sich noch verhandeln liesse. Heute wird das in Bern leider so gemacht. Wir sollten aber als Hort der Selbstbestimmung und der direkten Demokratie am Wettbewerb der Systeme teilnehmen. Wenn sich alle zusammenschliessen, ist das nicht mehr möglich: Dann fehlt die Möglichkeit, es anders, besser zu machen. Und wenn die Schweiz als Kleinstaat gegen die grosse EU nicht bestehen kann? Wenn die Schweiz untergeht, wäre sie selber schuld daran, Wenn sie dann so geschwächt wäre, könnte sie immer noch beitreten.. Wir haben aber überaus grosse Chancen, wenn wir dies nicht tun. Wir sollten immer fragen: Wie können wir es besser machen als die EU? Im Moment haben wir leider wenig Selbstbewusstsein und fragen stattdessen ständig: Wie macht es die EU? Dann wollen wir es nachmachen. Das spüre ich überall in der Politik. Sie waren einst Oppositionsführer und sitzen jetzt im Bundesrat. Welche Rolle eignet sich besser, um Ihre Ziele zu erreichen? «Oppositionsführer» haben Sie gesagt. Ich habe mich nie so bezeichnet. Aber es stimmt, ich habe oft Opposition gemacht. Auf die Länge kann ich in der Regierung wohl mehr korrigieren. Erfreulicherweise wird nicht alles abgeblockt, was ich einbringe. In der Asylpolitik etwa konnte ich rasch auf die Gesetzgebung und den Vollzug einwirken. Das hätte ich als Oppositioneller nicht so tun können. Aber in den ganz grossen Fragen, in denen ich im Bundesrat unterliege und die vors Volk kommen, habe ich natürlich ein Handicap. Das ist die andere Seite. Wie setzt sich der Bundesrat Ihrer Wunsch-Schweiz zusammen? Ich würde nichts ändern. Wir haben uns nun einmal für die Konkordanz entschieden. Ein neues System drängt sich nur auf, wenn man sich gegenseitig völlig blockieren würde. Dann würde ich vorschlagen, dass die Linken regieren und die Rechten die Opposition bilden. In einem solchen Fall wäre die Opposition viel wirksamer als heute. Die Linke könnte dann nicht so links sein, wie sie möchte. Es gibt allerdings keine Anzeichen, dass es soweit kommt. Eigentlich hätte die SVP zusammen mit der FDP heute schon die Mehrheit im Bundesrat. Warum spielt dieser Bürgerblock nicht? Es gibt keinen solchen Block. Schauen Sie sich doch die Abstimmungen im Parlament an: Dei FDP stimmt bei weitem nicht immer mit der SVP. Auch im Bundesrat bilden die Bürgerlichen keine homogene Gruppe. Das Reden von einem Bürgerblock ist ein Ammenmärchen der Journalisten. Kandidieren Sie 2007 wieder als Nationalrat? Gewisse Kreise der SP, Grünen und der CVP sagen: 2007 wählen wir den Blocher als Bundesrat ab, dann sind wir ihn los. Wir haben ihn ja vor allem in den Bundesrat gewählt, damit er nicht mehr im Parlament ist. Auf diesen Angriff muss man gewappnet sein. Sie werden also erneut für den Nationalrat kandidieren, um sich für eine Abwahl abzusichern. Das müssen wir nicht jetzt entscheiden. Dafür haben wir bis 2007 Zeit.

22.12.2004

Ein Marschhalt ist nicht schlecht

22.12.2004, Der Bund (Patrick Feuz, Jürg Sohm) Das Jahr 2004 war für den Bundesrat ein relativ erfolgloses Jahr. Das Stimmvolk hat Avanti, Mietrecht, AHV-Revision und Steuerpaket abgelehnt. Ist der Aufbruch zur «bürgerlichen Wende», wie sich diese die SVP erhofft hat, schon gestoppt? In dieser Frage ist so viel falsch, dass man zuerst die Frage korrigieren müsste. Das mit der «bürgerlichen Wende» stammt jedenfalls nicht von mir. Aber von der SVP. Die SVP hat lediglich gesagt, die Wende wäre nötig. Ich selber habe nie daran geglaubt. Nur weil eine Partei einen Vertreter mehr in der Regierung hat, ist das noch lange keine Wende. Festzuhalten ist, dass das Volk ausnahmslos Vorlagen von der alten Regierung und dem alten Parlament abgelehnt hat. Die Vorlagen vom 16. Mai wurden von bürgerlichen Politikern durchaus als Aufbruch zu einer rechteren Politik aufgegleist und interpretiert. Sie haben Recht. 2003/2004 hat das Volk alle Vorlagen mit Veränderungen von links und rechts abgelehnt. Es könnte die Botschaft sein: Wir trauen neuen Lösungen nicht. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Die Schweiz ist in einer Umbruchsituation. In solchen Zeiten ist es es zunächst nicht so schlecht, wenn einmal vorerst nichts ändert. Wenn es einem Unternehmen schlecht geht und die Richtung nicht stimmt, ist auch ein Marschhalt nötig. Was kommt nach dem Marschhalt? Jetzt muss man die einzelnen Probleme isoliert anschauen und überlegen, wie man die Polarisierung überwinden kann. Der Bundesrat muss vermehrt das Gespräch mit den Parteien suchen. Natürlich bringt das nicht überall Erfolg. Bei der AHV gibt es dringenden Handlungsbedarf. Da kann man nicht allzu lange warten. Wie müsste eine mehrheitsfähige Vorlage aussehen? Ein Fehler war wohl, dass man zu viel auf einmal bringen wollte. Einzelteile wie zum Beispiel das AHV-Alter 65 für alle hätten vermutlich Chancen, angenommen zu werden. Also ein gestaffeltes Vorgehen? Ja.Wenn man zu viel in eine Vorlage packt, ist die Gefahr natürlich grösser, dass sie verworfen wird. Sie wollen den Druck aufrechterhalten, dass der Staat die Steuern senkt. Wie muss hier eine mehrheitsfähige Lösung aussehen? Hier gilt das gleiche wie bei der AHV. Die Entlastung der Familien und der Hauseigentümer - wobei es für bestimmte Gruppen auch Mehrbelastungen gegeben hätte - war vermutlich zu viel auf einmal. Am dringendsten wäre eine Unternehmenssteuerreform. Das brächte der Wirtschaft am meisten und würde Arbeitsplätze schaffen. Für sich allein wäre dies wahrscheinlich auch mehrheitsfähig. Sie beklagen die «Verregulierung» als Haupthindernis für das Wirtschaftswachstum. Warum aber wehren Sie sich gegen Parallelimporte etwa im Medikamentenbereich, also gegen eine Deregulierung? Weil dies ein grosser Eingriff in die Eigentumsfreiheit wäre. Ein Unternehmer muss bestimmen können, was mit seinen Produkten passieren soll. Wenn man den Patentschutz schwächt, wird niemand mehr forschen und entwickeln. Wo wollen Sie denn mit der Deregulierung konkret ansetzen? Bauen Sie einmal ein Haus oder eine Fabrik: Die Vorschriften, die Ihnen dabei gemacht werden, sind unglaublich. Oder schauen Sie einmal, was den Unternehmern im Umweltschutz alles auferlegt wird. Sie wollen die Umwelt nicht mehr schützen? Die Frage ist, ob man die Umwelt nicht einfacher schützen kann als mit solchen Regulierungen. Nehmen Sie die CO2-Abgabe: Da werden die Unternehmen mit einer gewaltigen Bürokratie konfrontiert. Wir können das alles machen, aber dann darf man sich nicht beklagen, wenn die Wirtschaft nicht wächst. Soll den späteren Generationen schlechte Luft zugemutet werden? Nein. Es braucht Verbote und Grenzwerte. Das ist einfacher. Verbote? Klar. Man kann festschreiben, wie viel CO2 ausgestossen werden darf. Ich war auch nie gegen die Katalysatorpflicht bei Autos. Das ist eine kleine Regulierung. Wir verstehen die Idee mit dem Verbot gegen schlechte Luft nicht. Sie können im Bauwesen jedes Detail vorschreiben und Einsprachen ermöglichen, oder Sie können einfach die Grenzwerte und Grenzabstände vorschreiben und fertig. Bei der schlechten Luft können Sie auch sagen, wieviel ausgestossen werden darf. Aber der CO2-Ausstoss ist doch nicht mit Verboten zu regulieren. Warum nicht? Vielleicht nicht mit Verboten im herkömmlichen Sinn. Aber man kann eine Ausstossmenge definieren und dann Anreize schaffen, dass mehr mit Klima schonendem Diesel statt mit Benzin Auto gefahren wird. Beim Auto haben wir die Schadstoffe durch die Katalysatorpflicht reguliert. Autos ohne Katalysator sind verboten. Das Ziel der CO2-Abgabe ist es, dass weniger Auto gefahren wird, weil das Benzin verteuert wird. Das ist auf den ersten Blick bestes liberales Verursacherprinzip. Erstens stimmt es aber wahrscheinlich nicht, dass dann weniger Auto gefahren wird. Und zweitens profitiert von dieser Lösung nur, wer in Zürich neben dem Hauptbahnhof wohnt. Der aus dem Münstertal ist der Dumme. Das CO2-Gesetz ist zudem ein gutes Beispiel für die unglaubliche Beratungsfirmen-Bürokratie in der Verwaltung. Auf dem Papier sieht alles schön aus. Aber für die Unternehmen ist dies hinderlich. Wir können es machen, aber dann schwächen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit. Auf Ihren Antrag hin will der Bundesrat abklären lassen, wie die Bundesausgaben um bis zu 40 Prozent gekürzt werden könnten. Was soll eine so realititätsfremde übung bringen? Wenn Sie die Staatsausgaben senken wollen, müssen Sie wissen, was im Staat wichtig ist und was nicht. Im Laufe der Jahre sammelt sich immer Unwichtiges an. Um das herauszufinden, müssen Sie mit einer hohen Sparvorgabe starten. Nur so gibt es den Zwang, die Kosten der einzelnen Aufgaben herauszufinden und diese Aufgaben dann zu bewerten und zu gewichten. Sie können dann immer noch sagen, wir begnügen uns mit Einsparungen von 20 oder 10 Prozent. Wo sehen Sie vertretbare, kräftige Schnitte? Ich will diese Frage nicht beantworten. Sobald einer ruft, das ist die Lösung, ist die Übung schon gestorben. Deshalb müssen Sie das Ziel vorgeben und in einem Prozess Varianten erarbeiten. Damit setzen Sie sich dem Vorwurf aus: grosse Sparsprüche, keine konkreten Vorschläge. Wer das Richtige will, muss diesen primitiven Vorwurf ertragen. Sie möchten am liebsten öffentliche Bundesratssitzungen. Mehr Transparenz in Ehren: Wenn alle Bundesräte einfach auf ihren Showpositionen beharrten, wäre konstruktive Regierungsarbeit viel schwieriger. Ich weiss natürlich, dass es kaum je öffentliche Bundesratssitzungen geben wird. Ich will mit dieser Forderung nur sagen: Es gibt nichts zu verbergen. Die heutige Praxis führt zu Indiskretionen, die nur die halbe Wahrheit enthalten und in der öffentlichkeit zu Fehlbeurteilungen führen. Eine Regierung, die öffentlich wäre, würde an Vertrauen gewinnen. öffentliche Positionen sind nicht Showpositionen. Die Bundesräte wären unter ständigem Druck ihrer Partei und Klientel und könnten viel weniger Hand bieten zu mehrheitsfähigen Lösungen. Der einzige Unterschied zwischen dem Bundesrat und Parlament liegt darin, dass der Bundesrat kleiner ist als das Parlament. Wie die Parlamentsfraktionen fahren auch die Bundesräte oft mit Maximalpositionen ein. Am Schluss geht es darum, einen Kompromiss zu haben. Die Bundesräte müssen genau wie die Parlamentarier Konzessionen machen. Die Positionen und ihre Verfechter darf man kennen, und auch die Abstriche an diesen Positionen sollten öffentlich sein. Sie sagen, bisher hätten die Parteien nicht die profiliertesten Köpfe in den Bundesrat geschickt. Sie sagen damit, Sie seien der einzige profilierte Kopf im Bundesrat. So einen Unsinn habe ich nie behauptet und werde es auch nie tun. Im Bundesrat sitzen heute sieben verschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Positionen und unterschiedlichem Charakter. Das ist ein schwieriges Gremium. Das war schon immer so. Wir müssen jetzt nicht so tun, als seien früher sieben Gleichgesinnte Fritzen in einem Saal gesessen und hätten sich gegenseitig gelobt. Es gab schon früher Zeiten, da ging es im Bundesrat heftig zu und her und solche, da ging es weniger heftig zu - letztere waren nicht die besten Zeiten. Am Anfang meiner Bundesratstätigkeit gab es eine gewisse Reserve gegenüber einer harten Diskussion. Heute ist das nicht mehr so. Es wird gestritten und gerungen. Das ist gut und führt zu besseren Ergebnissen. Ihre Frau hat öffentlich die Idee lanciert, das Parlament solle eine rein bürgerliche Regierung wählen. Kann die Konkurrenz in der schweizerischen Referendumsdemokratie funktionieren? Natürlich kann sie funktionieren. Die Frage ist, ob man das will. Die Konkurrenz wie die Konkordanz haben ihre Vor- und Nachteile. Aber es ist langsam langweilig, dass wir immer wieder darüber sprechen. Die Frage wurde eigentlich bei den letzten Bundesratswahlen entschieden. Die SVP forderte damals zwei Sitze und sagte, andernfalls ginge sie in die Opposition. Die anderen wollten die SVP verständlicherweise nicht in die Opposition ziehen lassen, weil das für sie eine unangenehme Situation gewesen wäre. Wo liegen die Vorteile der Konkurrenz? Jene regieren, die gleicher Meinung sind - wenn sie es dann wirklich wären. Sie müssen ihre Entscheide dauernd an der Opposition messen. Diese starke Rücksichtnahme gibt auch gute Entscheide. Vor allem weiss man in der Konkurrenz, wer die Verantwortung trägt. Das ist heute nicht immer so klar. Später kann dann das Volk wenn nötig als Korrektiv wirken. Aber die Konkordanz hat natürlich auch grosse Vorteile: Die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Positionen findet schon im Bundesrat statt - wenn sie stattfindet. Man kann mit beiden Regierungsformen leben. Wären Sie persönlich als Bundesrat für eine Konkurrenzregierung zu haben? Jetzt nicht. Ich bin heute in der Konkordanz. Aber wenn das Parlament sich für die Konkurrenz entscheidet, würde ich sagen, dann bin auch ich dafür. Sei es in der Regierung oder in der Opposition. Das ist ja im Grunde das gleiche. Die Unterschiede sind nur graduell. Wer glaubt, die Arbeit in der Opposition sei ganz anders als in der Regierung, versteht weder die Opposition noch die Regierung. Die Opposition hat im Gegensatz zur Regierung weniger Verantwortung. Natürlich. Die Regierung trägt die Verantwortung. Darum sollte man die Opposition in die Regierung nehmen. Das macht man ja. Die Parteien haben es in der Opposition aber viel schwieriger als in der Regierung. Sie müssen alles selbst erarbeiten, haben keinen Zugang zum Verwaltungswissen und im Gegensatz zum Ausland keine eigenen Medien. In den letzten Jahren war die Presse auf jeden Fall immer auf Seite der Regierung. Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie als Bundesrat eines Tages mit Genugtuung zurücktreten könnten. Ich werde wahrscheinlich nie mit Genugtuung zurücktreten können. Ich war 30 Jahre Unternehmer und bin nie mit Genugtuung vor die Presse getreten, sondern habe immer über Probleme gesprochen, die wir gelöst haben oder noch lösen mussten. Dann fragen wir so: Wie müsste die Schweiz aussehen, dass Sie wenigstens mit ein bisschen Genugtuung zurücktreten? Wenn die Schweiz sagen würde: Wir sind bereit, eine bessere und erfolgreichere staatliche Ordnung zu machen als die anderen Staaten. Das heisst weniger Geld ausgeben, den Bürgern mehr Freiheit geben, eine höhere Selbstverantwortung haben und damit ein höheres Wirtschaftswachstum und viele Arbeitsplätze erreichen - also ein ökonomisches Wunderwerk gegenüber den anderen Staaten schaffen, die immer noch regulieren und hohe Ausgaben machen. Diese Schweiz würde zweitens die direkte Demokratie beachten. Heute ist das nicht Mode. Gewisse Wirtschaftsleute wollen die Demokratie einschränken, und Herr Couchepin hat auch seine eigenen Demokratie-Ideen. Drittens müssten wir die Kraft haben, unser Land in Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten und nicht grossen Organisationen beitreten. Sie sagen, die direkte Demokratie sei kein Hindernis für eine florierende Wirtschaft. Gleichzeitig bekämpft die SVP das Verbandsbescherderecht. Es ist nicht die direkte Demokratie, die verantwortlich ist für die hohe Regulierung, wie das Wirtschaftsvertreter behaupten. Diese haben nicht erkannt, dass die Zahl der Interventionisten in Bern viel grösser ist als in der Bevölkerung. Das Volk hat zu vielen Interventionen gar nie etwas sagen können. Und viele Interventionen hat es verworfen, darunter manche Steuererhöhung. Das Verbandsbeschwerderecht ist kein Instrument der Demokratie. Sie glauben also, das Volk für Ihre Vision eines schlanken Staates gewinnen zu können? Sicher nicht in allen Teilen. Der Schritt, der zu tun wäre, ist relativ gross. Vor allem dort, wo die Leute auf etwas verzichten müssen. Es ist mir klar, dass es schwierig ist, den Leuten etwas wegzunehmen. Es ist aber schon gut, wenn wir nicht dauernd Neues verteilen.