Testi

Periodo Consiglio federale

05.07.2005

Ein Nein am 25. September wäre negativ

Justizminister Blocher plädierte gestern mit den Bundesräten Deiss und Calmy-Rey für die erweiterte Personenfreizügigkeit. Sonst werde die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland schnell vorangehen, sagt Blocher. 05.07.2005, Berner Zeitung (Markus Brotschi) Warum sind Sie für die Personenfreizügigkeit mit den neuen EU-Ländern? Bundesrat Christoph Blocher: Es ist ein Wagnis, und die ganze Sache ist so gestaltet, dass man das Wagnis eingehen kann. Wir haben zahlreiche Schutzmassnahmen, um zu verhindern, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Wir haben zunächst noch Kontingente, den Vorrang von Schweizer Arbeitskräften gegenüber den neuen EU-Ländern bis 2011 sowie das neue Ausländergesetz mit Restriktionen gegenüber Leuten von ausserhalb der EU. Sind die Schweizerinnen und Schweizer so wagemutig, dass sie am 25. September ja stimmen? Das wird man sehen. Die Weltwirtschaft ist in einer schwierigen Situation. Der Konkurrenzdruck ist enorm. Zum Beispiel sind die Löhne in Tschechien im industriellen Bereich tiefer als in Schanghai. Die Schweizer haben Angst, dass sie ihre Stelle verlieren könnten. Das muss man ernst nehmen. Euphorisch stehen Sie nicht hinter der Vorlage. Wer euphorisch hinter dieser Abstimmungsvorlage steht, macht einen Fehler. Er sagt etwas, das ohnehin niemand glauben kann. Wenn wir die Personenfreizügigkeit nicht vorsichtig handhaben werden wir in eine Situation geraten wie damals, als wir die volle Freizügigkeit mit allen Ländern der Welt hatten. Das war vor der so genannten Schwarzenbach-Initiative. Damals hat der Bundesrat eine vorsichtigere Ausländerpolitik beschlossen, und die war im grossen Ganzen auch erfolgreich. Dies wollen wir in Zukunft gegenüber den aussereuropäischen Ländern auch tun. Es wäre für Sie keine Katastrophe, wenn am 25. September ein Nein heraus käme? Eine Katastrophe ist es nicht. Wenn es das wäre, dürfte man gar nicht abstimmen. Man müsste bei einem Nein einen neuen Weg suchen. Das wäre schwierig. Ich bezweifle eine bessere Lösung als die Vorliegende. Ein Nein wäre also keine Katastrophe, aber schlimm? Es wäre negativ. Werden Sie sich im Abstimmungskampf engagieren? Ich bleibe meiner Auffassung treu, die ich schon vor meiner Wahl in den Bundesrat hatte. Der Bundesrat hat keine Kampagnen zu führen, ich werde mich auch in keine Kampagnen einspannen lassen. Aber ich werde, dort wo ich auftrete, die Situation darlegen und sagen, warum man es wagen sollte. Aber ich gehe an keine Podiumsgespräche und lasse mich nicht in Abstimmungskomitees einspannen. Ist es für Sie schwierig, dass Ihre eigene Partei gespalten ist? Nein, es ist eine natürliche Folge: Bei einem Wagnis gibt es Leute, die nein sagen und solche, die es wagen wollen. Das muss man ertragen können. Ich bin jetzt Bundesrat. Schlimm wäre es, wenn die Partei einzelnen Mitgliedern einen Maulkorb erteilen würde. Ich habe mich eigentlich gefreut, dass meine Partei das offen darlegt und beiden Seiten die Möglichkeit gibt, ihre Position offen zu vertreten. Sie treten am Rütlirapport auf. Werden Sie dort zur Personenfreizügigkeit reden? Warum auch? Der Rütlirapport erinnert an denselben vor 65 Jahren, ist ein festlicher Akt. Damals war beschlossen worden, die Verteidigung der Schweiz auf ihre stärkste Stelle zu konzentrieren. Es war erfolgreich, die Schweiz blieb selbständig, frei und demokratisch - ohne Krieg! Das ist denkwürdig. Welche Branchen werden am stärksten von der Personenfreizügigkeit profitieren? Die Wirtschaft erhält ein grosses Reservoir von Leuten, aus denen sie auslesen kann. Das dürfte sich für alle Gebiete bezahlt machen. Die Frage ist natürlich, ob das dann nicht zu mehr Arbeitslosigkeit führt. Das Arbeitsangebot in der Schweiz ist ja beschränkt. Wenn die Schweiz ein gutes Wirtschaftswachstum sowie gute Rahmenbedingungen hat etwa beim Steuerniveau, und die neuen EU-Länder so ein starkes Wirtschaftswachstum wie heute beibehalten - dann wird in den neuen EU-Ländern das Lohnniveau steigen und die Arbeitslosigkeit sinken. Wie gross wird der Lohndruck durch Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern in der Schweiz werden? Der Lohndruck wird dort, wo die flankierenden Massnahmen wirken, beschränkt sein. Es gibt ein gewisses Niveau, das nicht unterschritten werden kann. In anderen Berufsgattungen wird die Personenfreizügigkeit eher eine dämpfende Wirkung auf die Lohnsteigerung haben. Aber wenn wir die Personenfreizügigkeit nicht einführen, dann wird die Verlagerung von Arbeitsplätzen aus der Schweiz schnell vorangehen. Diese Entwicklung zeigt sich in Deutschland jetzt ganz enorm. Viele Firmen wandern ab in Billiglohnländer. In welchen Bereichen wird es Lohndruck geben? Jene, die über dem Lohndurchschnitt liegen, wird es mehr treffen als jene, die unter dem Durchschnitt liegen. Im Bereich der Banken, Versicherungen, der Chemie, qualifizierten Berufen, da wird das Angebot an Arbeitskräften relativ gross sein, denn in den neuen EU-Ländern gibt es gut ausgebildete Leute. Wie schätzen Sie die Wirkung der flankierenden Massnahmen ein? Das wird man sehen. Die können wirkungsvoll sein. Sie dürfen aber auch nicht zu starr sein, sonst haben wir einen regulierten Arbeitsmarkt und damit einen grossen Vorteil der Schweizer Wirtschaft Preis gegeben. Wollen Unternehmer immer die günstigsten Arbeitskräfte einstellen? Nein, die besten. Natürlich, wenn man die besten zu besseren Preisen bekommt, wird man nicht nein sagen. Aber die Qualität ist das wichtigere Kriterium als der Preis. Sonst könnten wir unqualifizierte Arbeitskräfte holen. Das wäre sicher billiger, aber sie wären vom Ausbildungsstand nicht einsetzbar. Ist Ihr vorsichtiges Ja auch das Ja des Unternehmers Christoph Blocher? Ich habe jetzt nur als Bundesrat zu sprechen. Aber ich bin Exportunternehmer gewesen und habe auch ausländische Arbeitskräfte eingestellt. Wir haben diese auch immer bekommen. Nur in der Überhitzungsphase von 1989/90 reichten die Kontingente nicht mehr aus. Was sagen Sie Ihrem Parteikollegen Hans Fehr, der die Ängste vor Überfremdung schürt? Ich muss ihm gar nichts sagen. Es hat doch jeder in diesem Land die Freiheit zu sagen, was er denkt. Steht der Bundesrat diesmal - nicht wie bei Schengen/Dublin - einstimmig hinter der Vorlage? Wir geben keine Stimmenverhältnisse bekannt. Werden Sie in den nächsten Monaten doch noch bei den Gegnern auftreten und verklausuliert ein paar Statements gegen die Vorlage von sich geben? Nein, das habe ich auch sonst noch nie gemacht und mache es auch in Zukunft nicht.

05.07.2005

«Ich lasse mich nicht einspannen»

Obwohl die SVP dagegen ist, will Christoph Blocher die erweiterte Personenfreizügigkeit "wagen". Euphorisch stimmt sie ihn allerdings nicht. 05.07.2005, Neue Luzerner Zeitung (Isabel Drews) Was passiert, wenn die Schweiz am 25. September Nein zur Ausweitung der Personenfreizügkeit auf die neuen EU-Länder in Osteuropa sagt? Christoph Blocher: Wenn die Abstimmung bachab ginge, wäre unsere Situation mit der EU ziemlich schwierig. Doch weder die Schweiz noch die EU gingen deswegen unter.Keine Katastrophe also, aber dennoch schlimm? Blocher: Es würde sich negativ auf die Schweiz auswirken. Eine neue Lösung wäre wohl nicht besser. Wie stark werden Sie sich im Abstimmungskampf engagieren? Blocher: Sie müssen wissen: Ich bleibe meiner Auffassung treu. Die Landesregierung hat keine Kampagnen zu führen. Ich gehe nicht an Podiumsgespräche und ich werde mich nicht in ein Abstimmungskomitee einspannen lassen. Aber dort, wo ich auftrete, werde ich darlegen, warum man dieses Wagnis eingehen sollte. Denken Sie, dass Sie ein gefragter Redner sein werden? Blocher: Das weiss ich nicht. Das werden wir sehen. Aber wie werden die nächsten Monate ablaufen: Werden Sie doch noch bei den Gegnern auftreten? Blocher: Nein. Ist es für Sie schwierig, dass die eigene Partei gespalten ist? Blocher: Nein. Bei einem Wagnis gibt es immer solche, die sagen, dass es zu gross sei. Es gibt aber auch andere, die es eingehen wollen. Diese geteilte Meinung kann eine gesunde Partei ertragen. Das schlimmste wäre, wenn sie der einen oder der anderen Seite einen Maulkorb anhängen würde. Zudem: Ein Bundesrat vertritt den Bundesrat. Das bringt mit sich, dass Partei und Bundesrat manchmal nicht die gleiche Meinung vertreten. Welche Vorteile bringt die Personenfreizügigkeit? Blocher: Der Wirtschaft bringt sie ein grosses Reservoir an Arbeitskräften, aus dem sie die besten auslesen kann. Was sagen Sie ihrem Parteikollegen Hans Fehr, Geschäftsführer der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), der vor einer steigenden Arbeitslosigkeit warnt? Blocher: Ich muss ihm nichts sagen, er kann selber denken. Aber rechnen Sie damit, dass die Arbeitslosigkeit zunehmen wird? Blocher: Die Arbeitslosigkeit wird gegenüber heute eher ansteigen. Aber die Kontingente, der Vorrang der Schweizer vor den Arbeitskräften aus den neuen Ländern, der bis ins Jahr 2011 dauern wird, sowie das neue Ausländergesetz, dass für Arbeitskräfte aus Ländern ausserhalb der EU restriktiver wird, sollte die steigende Arbeitslosigkeit in Grenzen halten. Wie stark wird der Druck auf die Löhne zunehmen? Blocher: Der Lohndruck wird dort, wo die flankierenden Massnahmen greifen, beschränkt sein. Bei anderen Berufsgattungen werden die Lohnsteigerungen gedämpft. Wenn wir die Personenfreizügigkeit aber nicht einführen, werden viele Unternehmen in Billiglohnländer abwandern, so wie es gegenwärtig in Deutschland der Fall ist. Diese Gefahr ist grösser als ein gewisser Lohndruck. In welchen Branchen wird der Lohndruck am grössten sein? Blocher: In den gehobeneren Berufen wird der Lohndruck grösser, etwa bei Banken, Versicherungen oder im Kaufmännischen. Denn sie werden weniger durch die flankierenden Massnahmen geschützt als andere Branchen. Wie schätzen Sie die Wirkung der flankierenden Massnahmen ein? Blocher: Das werden wir sehen. Sie können sehr wirkungsvoll sein, dürfen aber nicht zu starr sein, sonst erhalten wir einen regulierten Arbeitsmarkt. Damit würden wir einen grossen Vorteil der Schweizer Wirtschaft preisgeben. Und der Landwirtschaft, wird sie einfacher zu Billiglohnarbeitern kommen? Blocher: Um Kurzarbeitskräfte zu holen, wie sie die Landwirtschaft benötigt, sind wir nicht auf die Personenfreizügigkeit angewiesen. Aber das Kontigent, das aus den Billiglohnländern zur Verfügung steht, sollte für die Landwirtschaft reichen. Ist Ihr vorsichtiges Ja auch das Ja des Unternehmers Blocher? Blocher: Ich habe nur als Bunderat zu sprechen.

05.07.2005

Druck auf die Löhne dürfte zunehmen

Die Schweiz müsse ihren Arbeitsmarkt auch für die neuen EU-Länder öffnen, sagt Bundesrat Blocher. Er plädiert für ein behutsames Vorgehen. 05.07.2005, Tages Anzeiger (Annetta Bundi) Die SVP lehnt die Ausweitung der Personenfreizügigkeit ab, Ihrer Ansicht nach soll man diesen Schritt wagen: Weshalb? Blocher: Die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Länder ist für die Schweiz wirtschaftlich von Vorteil, weil wir unsere Arbeitskräfte damit künftig aus einem grösseren Reservoir rekrutieren können. Das erhöht das Qualitätsniveau. Die öffnung des Arbeitsmarktes birgt aber nicht nur Chancen, sondern auch Risiken: Wie gross ist die Gefahr, dass Osteuropäer den Schweizern Stellen streitig machen und die Arbeitslosigkeit bei uns wächst? Blocher: In den zehn neuen Ländern der EU ist das Wohlstandsniveau derzeit relativ tief und die Erwerbslosigkeit hoch. Daher wird unser Arbeitsmarkt mit der Ausweitung der Personenfreizügigkeit sicher etwas unter Druck geraten, das muss man offen sagen. Wir haben aber zahlreiche Schutzmassnahmen getroffen, um diesem Druck entgegen zu wirken. So sollte es möglich sein, einen allzu starken Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Wenn die neuen EU-Länder auch in Zukunft wirtschaftlich stark wachsen, wird dort das Lohnniveau bis 2011 steigen, gleichzeitig werden Arbeitslosigkeit und Migrationsdruck abnehmen. Müssen wir uns auf eine Nivellierung der Löhne gefasst machen? Blocher: In gewissen Branchen, etwa im Banken- und Versicherungsbereich oder bei den Ingenieuren und der Industrie, dürfte der Druck auf die Löhne wohl zunehmen. Es wäre daher falsch, Euphorie zu verbreiten. Wir müssen bei der öffnung des Arbeitsmarktes sehr vorsichtig ans Werk gehen, sonst führt dies zu Zuständen, wie wir sie vor der Abstimmung über die Schwarzenbach-Initiative hatten. Werden Sie sich in den nächsten Wochen für den freien Personenverkehr mit den neuen EU-Ländern einsetzen? Blocher: Ich bleibe meiner Auffassung treu: Der Bundesrat hat keine Abstimmungskampagnen zu führen. Deshalb werde ich nicht an Podienveranstaltungen teilnehmen und mich auch nicht in eine Kampagne einspannen lassen. Dort, wo ich auftrete, werde ich aber darlegen, wie die Situation ist und warum wir die Ausweitung der Personenfreizügigkeit wagen sollten. Das ist meine Aufgabe. Ihre Partei, die SVP, ist in dieser zentralen Frage anderer Meinung: ärgert Sie das? Blocher: Nein. Die Zustimmung zur Personenfreizgügigkeit ist ein Wagnis, da kann man natürlich zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. Dass es in der SVP nun zwei Gruppen gibt, muss die Partei ertragen können. Das Schlimmste wäre, wenn sie den Abweichlern einen Maulkorb verpassen würde. Das tut sie nicht. Ich erachte es als Zeichen der Stärke, dass sie eine offene Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern zulässt. Wäre es sehr schlimm, wenn das Volk die Personenfreizügigkeit ablehnen würde? Blocher: Das Vehältnis zwischen der Schweiz und der EU würde zweifellos schwierig, das ist klar. Allerdings würde ich nicht von einer Katastrophe sprechen. Wie schlimm ein Entscheid ist, hängt ja auch davon ab, was man nachher daraus macht. Ende Juli halten Sie auf dem Rütli eine Rede, zum Gedenken an den 1940 von General Guisan verlesenen «Rütlirapport». Werden Sie bei dieser Gelegenheit auf die Personenfreizgügigkeit zu sprechen kommen? Blocher: Es geht um ein Gedenken an ein wichtiges Ereignis der Schweizer Geschichte. Ich wüsste nicht, warum ich die Personenfreizügigkeit erwähnen sollte.

10.06.2005

Eigentum und Verantwortung

Referat an der Delegiertenversammlung des Schweizerischen Hauseigentümerverbandes in Gossau 10.06.2005, Gossau Es gilt das gesprochene Wort Sehr geehrte Damen und Herren Ich könnte mir vorstellen, was Sie als Haus- und Grundeigentümer heute von mir erwarten: Vielleicht möchten Sie beispielsweise hören, wie es weiter geht mit der Besteuerung des Hauseigentums, dem Eigenmietwert, vielleicht erwarten Sie konkrete Vorschläge für ein vereinfachtes Bauen mit weniger Vorschriften und vieles mehr, was Sie als Haus- und Grundeigentümer beschäftigt, behindert und ärgert. In der Tat: Der Schutz des Haus- und Grundeigentums ist ein wichtiges Anliegen. Und genau aus diesem Grund gibt es eine Organisation wie den Schweizerischen Hauseigentümerverband. Sie sind dazu da, sich für Ihre Interessen einzusetzen. In aller gebotenen Schärfe. In aller gebotenen Unbequemlichkeit. Dies scheint mir zentral. Denn das Eigentum und sein Schutz sind von grösster Bedeutung. Nicht bloss für die Eigentümer selbst, sondern für Wohlstand und Freiheit unserer ganzen Bevölkerung. I. Plädoyer für mehr Eigentum Es ist nicht zu bestreiten, das Privateigentum wird heute oft leichtfertig eingeschränkt. Ich glaube, dass weit herum - gerade auch in der Politik - die grundsätzliche Schutzbedürftigkeit des Eigentums nicht mehr erkannt wird. Ich bin zudem überzeugt, dass wir den tieferen Sinn des Eigentums wieder in den Köpfen verankern müssen. Wir haben den Menschen klar zu machen, wie wichtig und vorteilhaft es für eine Gesellschaft insgesamt ist, dass möglichst viele Bürger über privates Eigentum verfügen. Es geht darum, den Leuten aufzuzeigen, dass es erstrebenswert ist, Eigentum zu erarbeiten, zu erklären, dass es für einen Staat lebenswichtig ist, dass seine Bürger durch Arbeit, Einsatz und Geschick an Eigentum kommen und es verwalten und vermehren können. Denn die öffentlich hergestellte Meinung geht zumindest unterschwellig in eine ganz andere Richtung. Es wird heute von einzelnen Parteien und Medien eine Neidstimmung verbreitet, die auf die Grundlagen unseres Wohlstandes abzielen. Wir sind soweit, dass Unternehmer mit schuldbewusster Miene an die Öffentlichkeit treten, wenn sie einen Gewinn zu verkünden haben. Das sind doch absurde Verhältnisse. Es wird heute vielerorts eine Sozialneidstimmung kultiviert, dass ein Hausbesitzer sich fast wie ein Halunke vorkommen muss. Dabei hat er etwas erreicht. Er hat bewiesen, dass er bereit und fähig ist Verantwortung zu übernehmen: Nämlich Verantwortung für sich selber und sein Dach über dem Kopf. Wer ein Haus baut, zeigt, dass er sein Leben selber in die Hand nehmen will. Nicht, dass dies für den Mieter anders wäre. Aber der Hauseigentümer muss beides: Die Verantwortung des Mieters und des Vermieters zu übernehmen. II. Der liberale Rechtsstaat Die Gründerväter unseres Bundesstaates von 1848 haben das Eigentum ganz selbstverständlich geachtet. Das Primat des privaten Eigentums erschien diesen Mannen so selbstverständlich, dass sie den Schutz des Eigentums nicht einmal in der Bundesverfassung speziell erwähnten. Erst im Jahre 1969 ergänzten Juristen die Verfassung und garantierten den Schutz des Eigentums. Aber wissen Sie warum? Um nicht nur die Eigentumsgarantie zu gewährleisten, sondern sie gleichzeitig einzuschränken. Um das Eigentum mit einer Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften in seinen Möglichkeiten zu beschneiden. Um als Staat das private Eigentum massiv einzuschränken, liess er es per Verfassung schützen. Auch das sollte uns zu denken geben. 1848 legten die liberalen Gründerväter das Fundament einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Dass die Schweiz heute zu den wohlhabendsten Ländern der Welt zählt, ist nicht selbstverständlich. Denn an natürlichen Voraussetzungen war unser Land immer arm. Reich war und ist es lediglich an Möglichkeiten, die ein freiheitliches, demokratisches, staatsskeptisches Regierungssystem bietet. In der gleichen Zeit, als sich die Schweiz als liberaler Staat konstituierte, bereiste der Deutsche Friedrich Engels - Freund und Förderer von Karl Marx - Europa und analysierte jedes Land nach seinen ökonomischen Gegebenheiten. Er kam zum Schluss, dass praktisch jedes Land zu Wohlstand gelangen könne, ausser der Schweiz. Sie werde immer arm bleiben und er nannte für ihn unwiderlegbare Gründe: Die Schweiz verfüge über keine Bodenschätze. Es fehle der Meeranschluss und diese unmögliche Topographie (der Alpenriegel) verhindere ohnehin ein allgemeines Gedeihen. Darum könne sich auch kein anständiger Binnenmarkt herausbilden und schliesslich herrschten in diesem sonderbaren Land noch eine Art "Stammeskämpfe". Engels meinte damit die kantonale Vielfalt und die föderalistischen Selbstbehauptungsversuche der Kantone. Engels hatte nicht unrecht mit seiner ökonomischen Analyse. Doch er vergass die Kraft der Freiheit und der Gestaltungs- und Schaffenswillen der Bürger, sonst hätten er und Marx sich das "Kommunistische Manifest" sparen können. In deren Theorie produziert der Sozialismus die beste aller Gesellschaften. Doch Menschen leben in der Wirklichkeit. Und die sieht etwas anders aus: Die Schweiz ist noch immer arm an Voraussetzungen, aber reich geworden durch die Möglichkeiten der freien Entfaltung. 150 Jahre nach Gründung des liberalen Rechtsstaates und 150 Jahre nach Marx können wir sagen: Die Freiheitsrechte der liberalen Gründerväter (Wahlfreiheit, Selbstbestimmung, freier Handel, Schutz des Eigentums) begründeten Wohlfahrt und Wohlstand unseres Volkes. Wo sich aber in der Welt der Marxismus ausbreiten konnte, zeigte sich das Gegenteil: Verarmung, Knechtschaft und eine ruinierte Umwelt. III. Eigentum schafft Eigenverantwortung Warum diese frappanten Unterschiede? Der liberale Bundesstaat förderte das Privateigentum. Der Sozialismus verstaatlicht Eigentum. Doch ohne privates Eigentum erlischt auch die Verantwortung. Wo alle verantwortlich sein sollten - wie es in verstaatlichten Verhältnissen der Fall ist - übernimmt am Ende gar keiner Verantwortung. Das sind keine philosophisch abgehobenen Erkenntnisse, sondern harte Fakten. Ein Autovermieter sagte mir kürzlich: Mietautos bleiben nur etwa ein Drittel so lange im Verkehr wie privat erworbene Fahrzeuge. Warum? Weil der Eigentümer zu seinem Auto schaut - was beim gemieteten Auto nicht der Fall ist. Er fühlt sich nicht verantwortlich. Ohne Eigentum ist marktwirtschaftliches Handeln nicht denkbar. Darum hat der Staat das Eigentum im Interesse aller zu schützen! Umgekehrt ist es die freie Marktwirtschaft, die erlaubt zu Eigentum zu kommen und zwar durch neutrale Fähigkeiten wie Tüchtigkeit, Fleiss und Erfolg. Je freier die Wirtschaft desto offener ist der Zugang zum Eigentum für alle. Wo der Staat die Wirtschaft dominiert und reguliert, steigt dagegen der Missbrauch, die Günstlingswirtschaft und die Korruption. Es ist nachweislich so, dass die Bestechlichkeit zunimmt, wenn öffentliche Gelder, öffentliche Auftraggeber oder öffentliche Vergaben im Spiel sind. Weil in diesem Bereich keiner direkt mit seinem Eigentum hinstehen muss. Und wer nicht selber mit seinem Eigentum betroffen ist, der lässt sich eher auf ein Gemauschel ein, das sich nicht strikt am Markt orientiert. Im privaten Sektor liegen die Interessen anders: Dort möchte man eine möglichst gute Arbeit zu möglichst guten Preisen zu möglichst schnellen Terminen. IV. Der Staat und das private Eigentum Dem Zivilgesetzbuch können wir entnehmen: "Wer Eigentümer einer Sache ist, kann in den Schranken der Rechtsordnung über sie nach seinem Belieben verfügen. Er hat das Recht, sie von jedem, der sie ihm vorenthält, herauszuverlangen und jede ungerechtfertigte Einwirkung abzuwehren." Dieser Artikel 641 klingt auf den ersten Blick äusserst verheissungsvoll: Jeder soll über sein Eigentum nach "Belieben", wie es heisst, verfügen können - allerdings "in den Schranken der Rechtsordnung". Dass es sich um sehr enge Schranken handelt, oft sogar Fesseln, weiss jeder Hausbesitzer aus leidvoller Erfahrung: Es beginnt mit der öffentlichen Raumplanung und Zonenordnung. Es folgen mühsame Bewilligungsverfahren und mögliche Einsprachen, die einen Bau über Jahre verzögern oder gar verhindern können. Falls die Baubewilligung tatsächlich erteilt wird, müssen unzählige Vorschriften befolgt werden, die den Bau massiv verteuern. Dazu kommen Anschlussgebühren, Erschliessungskosten und diverse zusätzliche Belastungen wie etwa für das Grundbuchamt oder involvierte Rechtsanwälte. Das ist der eine Teil. Zum anderen zeigt gerade der Erwerb von Wohneigentum die Absurdität unseres Steuersystems. Zunächst bezahlt ja jeder Erwerbstätige brav seine Einkommenssteuer. Was ihm übrigbleibt, kann er zur Bildung von Vermögen verwenden. Auch hier langt der Fiskus ein zweites Mal zu, nämlich mit der Vermögenssteuer. Schafft es der Bürger trotzdem genug Geld anzusparen, um beispielsweise eine Eigentumswohnung zu erwerben, muss er künftig den Eigenmietwert als fiktives Einkommen zusätzlich versteuern - wobei die Wohnung nach wie vor als Vermögen deklariert werden muss. Wird die Immobilie später einmal verkauft oder vererbt, sind wieder Abgaben fällig. Diese offensichtliche und absurde Mehrfachbesteuerung hätte letztes Jahr nicht gerade beseitigt, aber immerhin etwas gelockert werden sollen. Leider wurde die bitternotwendige Entlastung des Mittelstandes verhindert. Und sie wird realistischerweise in den nächsten Jahren nicht erfolgen. V. Ethik des Mehrens Ich erwarte nicht, dass der Staat das Wohneigentum aktiv fördert. Wir wären schon dankbar genug, wenn die "Unterstützung" des Staates so aussähe, dass er den Bürger wenigstens nicht behindert in seiner Absicht Selbstvorsorge zu betreiben. Stattdessen greift der Staat immer ungenierter in die Eigentumsverhältnisse ein. Während in den USA Erfolg anspornend auf den Noch-Nicht-Erfolgreichen wirkt, geht die Tendenz in Europa zur Gleichung: Wenn ich etwas nicht habe, dann soll der andere es auch nicht haben, oder wenigstens nicht mehr haben als man selber. Es ist unschwer zu erkennen: Das amerikanische Modell führt zu einem positiven Effekt. Leistung soll sich lohnen, Leistung darf sich lohnen. Massgebend ist der Erfolg. Die USA überzeugt uns darum auch mit konstant hohen Wachstumsraten. Weil eben der allgemeine Konsens sich auf eine Ethik des Mehrens verständigt hat. Dass sich in der Schweiz Unternehmer schon bald für ausgewiesene Gewinne entschuldigen müssen, sie jedenfalls mit schlechtem Gewissen zu verbreiten haben, gehört zu den verheerendsten Entwicklungen der neueren Zeit. Dabei ist der Gewinn das Entgelt für Leistung, das äussere Zeichen des Erfolgs und gleichzeitig der Treibstoff für eine prosperierende Zukunft. Der Gewinn ist das Blut des Unternehmens. Mit Gewinn entstehen Investitionen, Arbeitsplätze, Wachstum, wovon die ganze Volkswirtschaft profitiert. Die erfolgreiche Schweiz hat sich immer an solchen liberalen Prinzipien orientiert. Mittlerweile hat sich aber eine Ethik des Umverteilens breit gemacht. Als "sozialer Ausgleich" getarnt, läuft dieser darauf hinaus, den Leistungswilligen zu bestrafen und den Erfolglosen zu belohnen. Wir haben es mit einer Nivellierung zu tun, die den allgemeinen Wohlstand insgesamt senkt, weil die falschen Anreize gesetzt werden. Würde ein Lehrer bei der Beurteilung seiner Schüler auf das Prinzip Umverteilung setzen, die Auswirkungen wären katastrophal. Man stelle sich vor, die Schüler erhielten nicht ihre spezifische Note, sondern die berechnete Durchschnittsnote. Der faule Schüler würde belohnt und sähe keinen Grund ein nächstes Mal mehr zu leisten. Der gute Schüler wiederum kommt sich als Betrogener vor und würde in Zukunft weniger arbeiten: Weil es sich nicht auszahlt. Der Faule bleibt faul. Der Fleissige wird bestraft. Also wird er auch faul. Die Bilanz dieser Umverteilung: Der Ausgleich findet tatsächlich statt: Denn nun sind alle gleich schwach, gleich blöd, gleich faul. Was für die Schüler gilt, gilt im Umverteilungsstaat generell. Die Menschen funktionieren so. VI. Auf marxistischen Pfaden Wenn wir historisch denken, so eröffnete uns das Gründungsjahr der Schweiz, 1848, zwei mögliche Wege: Ich habe sie bereits genannt. Den liberalen Bundesstaat oder den Weg des Sozialismus. Über Jahrzehnte hat die Schweiz sich an den liberalen Grundsätzen orientiert. Mit Erfolg. Namentlich in den letzten 15, 20 Jahren sind wir vom Pfad abgekommen und die hiesige politische Elite orientierte sich lieber am Umverteilungsprinzip. Die europäischen Staaten und auch die Schweiz haben vom Sozialismus viel mehr verwirklicht, als wir denken. In seinem 1848 veröffentlichten Werk "Das Kommunistische Manifest" beschreibt Marx, welche "Massregeln" zu treffen seien, um das Eigentum in den Händen des Staates zu "zentralisieren". An oberster Stelle seiner "Massregeln" setzte Marx die Enteignung des Grundeigentums - bei uns findet diese Enteignung nicht offen, aber schleichend statt: Durch direkte und indirekte Abgaben. Durch eine endlose Liste von Zwangssteuern, Zwangsgebühren, Zwangsabgaben und Zwangsprämien. Heute definiert der Staat, was mit fünfzig Prozent unseres Einkommens zu geschehen hat. Sie sehen also, Marx wäre mit der Schweiz schon halbwegs zufrieden: Denn der Staat "enteignet" seine Bürger bereits zu 50 Prozent. Weiter forderte Marx 1848 eine "starke Progressivsteuer". Auch in diesem Punkt bekämen wir durch den kommunistischen Theoretiker nur Lob. Die Steuerprogression ist hierzulande schon längst verwirklicht. Sie dient der Umverteilung und wird mit dem Begriff der "Sozialen Gerechtigkeit" jeglicher Diskussion entzogen. Bei all dem öffentlichen Gezänk um Managergehälter wird meistens unterschlagen, was nach Abzug aller Steuern von diesen Gehältern überhaupt noch zur freien Verfügung bleibt. Ein Beispiel: Der UBS-Chef zahlt von seinem verfügbaren Einkommen (11,8 Mio.) 8,5 Mio. Franken an den Fiskus. Dann wollte Marx das Erbrecht abschaffen und damit die Kontinuität von Besitz, von Unternehmen, von mündigem Kapital unterbinden. Die Marxisten von heute wollen das Erbrecht nicht abschaffen, dafür eine massive Erbschaftssteuer einrichten - was ja auf das gleiche Resultat hinausläuft. Jede Generation soll von neuem enteignet werden. Weiter wollte Marx möglichst viele Unternehmen, Produktionsstätten und Güter verstaatlichen. Zum Glück führten nicht nur kommunistische Staaten, sondern auch westeuropäische Länder die Folgen von Staatsunternehmen vor Augen. Die Befürworter der Staatswirtschaft reden in diesen Fällen von "Service public" - ein flauschiger Begriff, der natürlich vor allem dazu dient, die Fragwürdigkeit solcher "öffentlichen Dienstleister" zu vertuschen. Wir müssen wieder lernen, die Politik in ihrer jeweils äussersten Konsequenz zu sehen. Der Sozialismus will letztlich die freie Marktwirtschaft und das private Eigentum beseitigen. Nochmals Karl Marx: "Ihr werft uns mit einem Worte vor, dass wir euer Eigentum aufheben wollen. Allerdings, das wollen wir." Man kann Marx zugute halten, dass er seine Absichten wenigstens offen legte. VII. Privates Eigentum ist sozial Woher kommt diese fast instinktive Feindseligkeit gegenüber dem Eigentum? Offensichtlich verschafft Eigentum dem Eigentümer ein Mass an Unabhängigkeit, das sich der staatlichen Bevormundung konsequent entziehen kann. Wer über die Bürger folglich uneingeschränkt herrschen will, muss sie in seine Abhängigkeit bringen. Das geschieht nicht notwendigerweise gewaltsam, sondern - noch viel öfter - schleichend, durch Gewöhnung, durch falsche Anreize, durch den steten Ausbau der staatlichen Bevormundung, die sich in einer schlichten Zahl - der Staatsquote - ablesen lässt. Ein Staatswesen ist dann gesund, wenn es über einen starken Mittelstand verfügt. Aus dem Mittelstand heraus kommen neue Unternehmer. Der Mittelstand schafft langfristig Arbeitsplätze. Der Mittelstand ist hungrig, weil er noch etwas erreichen will. Man muss ihm nur die Möglichkeit lassen, seine Ideen und Pläne zu verwirklichen. Es kann nicht sein, dass der Staat den Mittelstand erst kaputtsteuert und sich dann wundert, wenn die Einkünfte ausbleiben. Nehmen Sie als Hauseigentümerverband, nehmen sie als Bürger dieses Landes ihren politischen Auftrag wahr: Eigentum ist wichtig. Eigentum ist gut. Eigentum ist sozial. Eigentum ist verantwortungsvoll. Wir müssen dafür schauen, dass das Ansehen von Leistung und Erfolg (und was ist das Eigentum anderes als der Ausdruck von Leistung und Erfolg) wieder gestärkt wird. Es gilt eine Politik für jene Menschen zu machen, die unser Land voranbringen wollen. Der Liberalismus schuf Vollbeschäftigung (auch für 20 Prozent Ausländer), zahlt höchste Löhne und belohnt Erfolg. Die unabhängige, liberale Schweiz legte den Grundstein für einen beispiellosen wirtschaftlichen und sozialen Erfolg. Je freiheitlicher, je liberaler, je weniger sozialistisch eine Gesellschaft ist, desto mehr Wohlstand schafft sie - für alle! Sie alle haben einen enorm wichtigen Auftrag zu erfüllen: Schützen Sie das Eigentum. Verteidigen Sie den Grundwert des Eigentums. Die Menschen müssen arbeiten können. Sie müssen etwas bekommen für ihren Einsatz. Leistung soll sich lohnen. Eigentum schafft Sicherheit, Unabhängigkeit und Freiheit. Wir leben in einer verunsicherten Zeit. Aber auch die Gründerväter lebten in einer schwierigen Phase der Geschichte. Nach dem Bürgerkrieg setzten sie inmitten eines monarchistischen Europas auf drei Prinzipien: Auf die Selbstbestimmung, auf das private Unternehmertum und auf die Freiheit. Das gilt nach wie vor. Schauen Sie die ehemaligen sozialistischen Staaten an. Sie setzen konsequent auf diese liberalen Werte! Und wir? Wir sollten uns auch wieder auf unser liberales Erbe besinnen: Setzen wir die schweizerische Erfolgsgeschichte gemeinsam fort.

09.06.2005

Von Bern aus gesehen: Demokratie und Föderalismus in der Europäischen Union

Ansprache anlässlich des Bremer Tabakkollegiums vom 9. Juni 2005 in Horgen (Schweiz) 09.06.2005, Horgen Es gilt das gesprochene Wort Meine Herren, Sie haben mich heute eingeladen einerseits wohl - Als Bürger eines Landes, dessen Bevölkerung sich bis heute einem Beitritt zur EU widersetzt hat, zu sprechen. - Ich spreche heute zu Ihnen aber auch als Mitglied der Schweizer Regierung, die zwar vor 13 Jahren in Brüssel ein EU-Beitrittsgesuch eingereicht und in selbem Jahr den Beitritt der Schweiz zum «strategischen Ziel» erklärte, aber es bei der Einreichung dieses Gesuches belassen musste und das strategische Ziel wieder offen gelassen hat. - Drittens hören Sie jenen Politiker, der in den vergangenen 20 Jahren unzählige Auseinandersetzungen für eine unabhängige, direktdemokratische und föderalistische Schweiz - und damit natürlich auch gegen einen EU-Beitritt - geführt hat. Solche Streiter - meist in Opposition zum Regierungskurs - werden üblicherweise mit allerlei Unflätigkeiten eingedeckt: Vom hoffnungslosen Romantiker und Idealisten zum altväterlichen Eidgenossen, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat; vom Bewunderer des Sonderfalls Schweiz bis zum bornierten Isolationisten, vom redegewandten Volkstribun bis zum gefährlichen Populisten finden sie alle freundlichen und weniger freundlichen Kosenamen. Doch sie dürfen eines wissen: Bevor ich in die Regierung eingetreten bin, leitete ich ein international tätiges und erfolgreiches Unternehmen. Wir exportierten 92% unserer Produkte ins Ausland - 60% in die EU-Staaten. Ich habe hunderte von Fabriken in allen Erdteilen gebaut - allein über 70 in China - habe alle diese Länder meist mehrmals bereist und bin stets nach Hause zurückgekehrt in der Überzeugung: Es lohnt sich, für eine selbstständige, unabhängige, demokratische und föderalistische Schweiz einzustehen. Ich bin und war stets der Meinung, dass dies für uns Schweizer - vom Standpunkt der Freiheit und des wirtschaftlichen Wohlergehens aus gesehen - der bessere Weg ist, als uns in einen grossen Staatenbund einzugliedern, um dort unser Selbstbestimmungsrecht, unsere Staatsform, unsere Errungenschaften ganz oder teilweise abzugeben. Ich achte die Souveränität aller Länder, auch die des eigenen Landes. Aber - und das gilt es ebenso entschieden zu sagen - ich bin für eine weltoffene Schweiz. Das war und ist die Schweiz auch. Wir wollen mit allen Staaten auf respektvoller, freundschaftlicher und deren Selbstständigkeit achtender Ebene verkehren. Auch sind wir offen für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, schliessen miteinander Verträge ab, arbeiten zusammen, wo es sinnvoll ist, aber stets ohne uns für die Zukunft institutionell einzubinden. Die Schweiz mit ihren 26 Kantonen, 3000 Gemeinden, ihrer geteilten Verantwortung, ihrer langsamen Gesetzgebung - was zum Glück auch für gesetzgeberische Dummheiten gilt - scheint für Aussenstehende sehr unübersichtlich. Man könnte diese Staatsform kaum konstruieren wollen. Die Schweiz ist eben ein historisch gewachsener Staat. Kein staatsrechtliches Lehrbuch kann einen solchen Staat rational erklären. Und trotzdem: Wir halten daran fest. Schon deshalb, weil dieses System funktioniert - auf jeden Fall mindestens so gut wie die staatsrechtlich vorbildlich organisierten Staaten. Was ist die Schweiz? Müsste ich das Charakteristische der Schweiz mit einem Satz bezeichnen, so würde ich sagen, die Schweiz ist die Staatsform des Misstrauens! Die Bürger trauen dem Staat, der Regierung, den Politikern wenig. Darum wählen sie zwar, aber achten gleichzeitig darauf, dass sie dem Gewählten nicht zu viel Macht und nicht zu viele Kompetenzen überantworten. Die Bürger schränken umgehend die Befugnisse der Politik ein. Über mehr oder weniger wichtige Dinge wollen sie selbst entscheiden - an der Urne - auf jeder Ebene, in der Gemeinde, den Kantonen und im Bund. Etwas vereinfacht gesagt: In der Schweiz ist das Volk auch die Opposition. Die Demokratie ist nicht nur die Möglichkeit zu wählen, sondern auch die Möglichkeit, Nein zu sagen! «Geht das?» werden Sie vielleicht fragen. Bis jetzt hat es jedenfalls funktioniert. Und im Vergleich mit anderen Staaten dürfen wir uns durchaus sehen lassen. Unvereinbarkeiten Bis ich in die Regierung eintrat, hatte ich in Deutschland natürlich vor allem mit Wirtschaftsleuten und nicht mit Ministern zu tun. Interessanterweise musste ich keinem deutschen Unternehmer unter vier Augen erklären, warum die Schweiz nicht der EU beitreten sollte. Meistens lieferten diese mir sogar Argumente, warum wir gut daran täten, draussen zu bleiben. Aber je mehr Repräsentanz angesagt ist, je grösser der offizielle Charakter eines Treffens ist, je politischer der Abend, desto wichtiger wird es auf die spezifisch schweizerische Rolle in Europa hinzuweisen. Ich will und muss es auch hier tun, denn gerade unter vier Augen befinden wir uns an diesem Anlass nicht. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn sich jetzt in Deutschland die Parteien uneins sind über die künftige Höhe der Mehrwertsteuern, streiten sich bloss die Politiker. In der Schweiz darf die Politik die Mehrwertsteuern nicht einmal um einen Zehntel Prozent erhöhen ohne Zustimmung der Mehrheit des Volkes und der Mehrheit der Kantone. Was glauben Sie, weshalb wir einen Mehrwertsteuersatz von 7,6 Prozent aufweisen im Gegensatz zu den mindestens 15 Prozent in den EU-Ländern? Etwa weil die Politiker es so wollten? Nein. Die Schweiz hat nicht die besseren Politiker als Deutschland und die Politik neigt überall dazu - das bestätigt meine Arbeit in der Regierung erneut - statt Probleme strukturell zu lösen - was eben mit unpopulären Entscheidungen verbunden wäre - die Misere mit neuen Einnahmen zu überdecken. In der Schweiz verfügt jedoch der Souverän - das Volk - über das letzte Wort bei den Steuern. Für die Ausgaben dagegen ist unser Parlament zuständig. Und hier zeigt sich ein entsprechend anderes Bild. Seit Jahren liegt das Ausgabenwachstum weit über dem realen volkswirtschaftlichen Wachstum, was zu massiven Defiziten im Staatshaushalt führte. Allein auf Bundesebene stiegen die Schulden von 38,5 Milliarden im Jahre 1990 auf 127 Milliarden. Das entspricht einer Verdreifachung. Bei all diesen Entwicklungen lässt sich eine weitere Beobachtung anstellen: Je kleinräumiger die politische Einheit ist, desto besser wirtschaftet sie. Die kommunalen Zahlen sind gesünder als die kantonalen und diese erfreulicher als die nationalen. Das dezentrale oder eben föderalistische System ist dem zentralistischen Aufbau überlegen. Das kleine Beispiel über die Höhe der Steuersätze zeigt, dass die schweizerische Demokratie neben den Wahlterminen eben auch Abstimmungen über Sachgeschäfte kennt. Jede Änderung an der Verfassung ist dem obligatorischen Referendum unterstellt, muss also zwingend dem Souverän vorgelegt werden. Sie sehen: Die Schweizer stimmen dauernd ab, sind ununterbrochen in politischen Diskussionen und Streitereien über die «beste Lösung» verwickelt. Und ich will es Ihnen sagen: Wer die Partizipation der Bürger an seinem Staat wichtig findet, muss daran seine helle Freude haben. Und damit ist das schweizerische Abseitsstehen von der EU eigentlich schon erklärt: Unsere direkte Demokratie, unser Föderalismus ist unvereinbar mit einem Beitritt zur Europäischen Union. Wer in die EU will, nimmt in Kauf, die nationale Klammer dieses Mehrkulturenstaates aufzulösen. Sollen wir dies tun? Ich habe die Frage entschieden mit Nein beantwortet. Ich spreche hier nicht für jedes einzelne Mitglied der Regierung. Ich spreche in meinem eigenen Namen. Doch täusche ich mich nicht, wenn ich sage, ein EU-Beitritt hätte vor dem Volk heute keine Chance. Die «Verfassung» Europas Lassen sie mich einige Worte zur «Verfassung Europas» sagen. Kürzlich sagte mir ein deutscher Bekannter: Die Debatte in Frankreich um die neue EU-Verfassung spreche nicht unbedingt für einen Volksentscheid an der Urne. Die Buntheit der Gegner und Kritiker hätte zuweilen groteske Formen angenommen. Ich will dieser Beobachtung nicht widersprechen. An vorderster Front gegen die Verfassung kämpfte die äusserste Linke, weil sie um ihren nationalen Wohlfahrtsstaat fürchtete. Sie sah in der Verfassung ein neoliberales Machwerk. Da etwa Fragen des Freihandels und der Zölle künftig allein durch die europäischen Instanzen geklärt werden dürfen. Ich finde, aus ihrer Sicht hat die Linke sogar Recht mit ihrer Ablehnung. Die Sozialisten spüren, wir können das von uns aus gesehen Richtige nicht mehr tun. Ich finde es zwar falsch, was sie tun wollen, aber ich verstehe ihr Ohnmachtsgefühl. Von liberaler Seite kamen konträre Bedenken: Nicht wenige sehen in einer starken europäischen Verfassung die Grundlage für den Ausbau eines in der Konsequenz zentralistischen Behördenstaates, der die wirtschaftlichen Freiheiten letztlich wieder gefährden würde. Ich müsste mich verleugnen, wenn ich den liberalen Skeptikern in ihrer Einschätzung nicht zustimmen würde. Demokratische Puristen wiederum wehren sich dagegen, dass eine Verfassung ohne ausdrückliche Zustimmung der Bevölkerung ratifiziert werden soll. Ich habe von «demokratischen Puristen» gesprochen. Man könnte diese auch schlicht als Schweizer bezeichnen. So gesehen leben Schweizer nämlich nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa, jedenfalls auch in Bayern. Dort hat nämlich ein CSU-Abgeordneter eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, da er der Überzeugung ist, Bundestag und Bundesrat seien nicht berechtigt, die Verfassungsordnung des Grundgesetzes durch ein anderes Verfassungssystem zu ersetzen. Dies sei ausschliesslich dem Souverän durch eine Volksabstimmung vorbehalten. Auch in diesem Fall kommt man als Schweizer kaum darum herum, dem Kläger und seiner Begründung Recht zuzubilligen. Für einen Schweizer ist es schicht unerträglich, dass über ein so weit reichendes Regelwerk die Bürger nicht abstimmen können! Die Konservativen wiederum äusserten dahingehend Bedenken, mit einer gesamteuropäischen Verfassung werde die nationale Souveränität beschnitten. Sie fürchten die Entmachung der nationalen Parlamente. Und in der Tat wird es so sein, dass die Verfassung der EU über den Gesetzen der einzelnen Staaten zu stehen kommt. Insofern müssen wir auch den nationalkonservativen Standpunkt dieser Kritik anerkennen. Die Befürworter eines starken Europas sind ihrerseits enttäuscht, dass die Verfassung zu wenig weit geht, zu wenig Kompetenzen nach Brüssel bringt, zu wenig für die «Einheit» Europas erreicht. Sie ahnen es, auch diesen Einwänden muss ich vom Standpunkt der EU-Politiker recht geben. Wenn Sie nun meinen, wie ich dazu kommen kann, allen recht zu geben, den Kritikern von rechts und von links, den Liberalen und Eurokraten, wenn Sie mir zudem vorwerfen, wo alle recht hätten, habe am Ende keiner recht - dann muss ich Ihnen, wenn auch ungern. zugestehen: Auch Sie haben mit Ihrer Kritik vollkommen recht. Diese Konfusion liegt in der Natur der Sache selbst: Europa weiss nicht, wohin der Weg gehen soll. Wohin sich die Europäische Union als Ganzes politisch entwickelt, ist unklarer denn je. Die Expansion scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Trotz wirtschaftlicher Divergenzen strebt die EU heute vornehmlich nach territorialer Grösse. Wie sie die Osterweiterung verkraften wird, ist noch völlig ungewiss. Ungeachtet dessen wird bereits der Beitritt der Türkei forciert. Auch hier stellt sich die Frage, was die Ziele der EU sind: nicht nur geographisch, sondern auch wirtschaftlich, rechtlich und - was oft verdrängt wird: Über die kulturelle Dimension Europas kann - politisch korrekt - nicht gesprochen werden. Ich meine, das liege nicht an der Unfähigkeit der Leute. Ich glaube, es liegt vielmehr daran, dass man alle Staaten auf einen bestimmten Weg bringen will. Jeder Staat hat seinen Weg und der ist anders als in anderen Staaten. Also ist vielleicht die Einwegstrategie falsch. Vielleicht könnte man sich auf folgenden Gedanken einigen: Gegen den Willen der Menschen lässt sich kein Wunsch-Europa installieren. Und eine Zwangseinheit darf keine Option mehr sein in diesem fragilen und kulturell ausdifferenzierten Europa. Es kann ja nicht in unserem Sinn sein, ein zweites Jugoslawien zu schaffen. Für ein Europa der Bürger Dass in Deutschland - aber nicht nur dort - die Europäische Verfassung allein durch das Parlament bestätigt wird, zeigt die Furcht vor der eigenen Bevölkerung. Wer es aber nicht schafft, die Bürgerinnen und Bürger von einer gemeinsamen europäischen Verfassung zu überzeugen, verliert die Legitimation solche Projekte zu verwirklichen. Dass man politische Gebilde nicht gegen den Willen der Menschen durchsetzen und behaupten kann, sollte die jüngste Geschichte ausreichend gezeigt haben. Die Machtkonzentration der EU wird ihr nicht gut bekommen. Die EU-Osterweiterung dürfte die divergierenden Tendenzen zusätzlich verstärken. Über eine mögliche europäische Verfassung sollten jedenfalls die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in den einzelnen Staaten befinden können. Was bei uns eine Selbstverständlichkeit bedeutet, ja vom Gesetz her zwingend ist, scheint in vielen europäischen Ländern ein Gnadenakt der Regierenden zu sein. Dabei muss die EU sich dringend demokratisch legitimieren, damit die Entfremdung zwischen den elitären Technokraten und den Bürgern nicht noch weiter voranschreitet. Es gibt ja spöttische Stimmen, die nicht ohne Recht behaupten, die EU würde die Beitrittsbedingungen für die EU nicht erfüllen. Die Schweiz in Europa und der Welt Es ist immer wieder erstaunlich, mit welcher Inbrunst Politiker die ferne Zukunft gestalten wollen, während ihnen schon die Bewältigung gegenwärtiger Aufgaben und Probleme nicht gelingt. Ich nenne den überschuldeten Staatshaushalt, die explodierenden Sozial- und Gesundheitskosten, die stark gestiegene Kriminalität, die übermässig wachsenden Ausgaben der öffentlichen Hand, die zunehmende Regulierung und Bürokratisierung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, das stetige Ansteigen der Arbeitslosenraten. Da hilft uns auch ein EU-Beitritt nicht weiter. Denn ein Blick nach Europa zeigt, dass die EU keines der genannten Probleme gelöst hat, die wir angeblich nur mit Hilfe dieser Union lösen sollten. Die weitere Entwicklung der Europäischen Union ist völlig ungewiss: Kann sie ihre vielen Versprechungen erfüllen? Wird die zunehmende Zentralisierung und Machtkonzentration wirklich zum Wohl des europäischen Zusammenlebens sein? Wo liegen die Grenzen der territorialen Expansion, jetzt da sogar die Türkei als Beitrittskandidat gehandelt wird? Und vor allem: Wie wird die EU, die sich so gerne auf die europäischen Werte beruft, mit einem Land umgehen, das aus freiem Willen und mit guten Gründen nicht Mitglied werden möchte? Denn die Gleichung heisst nicht Schweiz gegen Europa, sondern freundschaftliche Koexistenz. Die Schweiz müsste bei einem EU-Beitritt ihre in vielerlei Hinsicht einzigartige Stellung opfern. Aber wofür? Am liebsten wäre mir eine EU im Sinne einer gehobenen Freihandelszone. Einem solchen Europa gehören wir de facto bereits an. Eine politische Integration widerspricht jedoch unserer Geschichte und ist letztlich unvereinbar mit der direkten Demokratie. Wir hoffen, die Repräsentanten der EU respektieren diesen Entscheid und beweisen damit, dass sie die europäischen Werte nicht nur in ihren Sonntagsreden hoch halten. Die Volksrechte, die Neutralität und der Föderalismus bilden die historischen Grundlagen unseres Kleinstaates. Nur die Unabhängigkeit kann diese Grundlagen garantieren und nur so können wir den inneren Zusammenhalt dieses polykulturellen Landes sichern. A N H A N G Währungen Es gibt aber auch handfeste wirtschaftliche Einwände gegen eine zu starke Föderation in Europa. Die Väter der Europäischen Union versprachen sich grosse wirtschaftliche Vorteile. Nun zeigt sich aber auch, dass die politische Ausgestaltung der EU die ökonomischen Ziele immer stärker behindert. Aus einer gehobenen Freihandelszone hat sich ein Europa der Institutionen und damit zwangsläufig auch der Bürokraten herausgebildet. Produkt dieser Vermischung ist der Euro. In den 90er Jahren kam die Idee auf, über eine wirtschaftliche Integration ein geschlossener europäischer Grossstaat mit gemeinsamer Aussen- und Sicherheitspolitik und einem gemeinsamen Rechtsraum mit überstaatlicher Verfassung zu bilden. Ich denke, das wachsende Misstrauen gegenüber der EU kommt daher, dass die Europa-Promotoren schon früher ein Wunsch-Europa schufen, das der Wirklichkeit nicht standhalten konnte. Um die politische Konstruktion zu fördern, kreierte man eine Einheitswährung. Der Euro ist eine politische, nicht eine ökonomische Schöpfung. Sie wurde mit Versprechen verbunden, die so nicht eingetroffen sind. Frankreich und Deutschland trennten sich von ihren jeweiligen Währungen, weil man den Menschen mehr Wohlstand, grösseres Wachstum und niedrigere Arbeitslosenzahlen in Aussicht stellte. Diese Versprechen sind offensichtlich nicht in Erfüllung gegangen. Wobei man dafür nicht bloss die «Weltkonjunktur» oder sonst einen abstrakten Schuldigen verantwortlich machen kann. Es hat sicher auch mit der Einheitswährung zu tun, die eben aus liberaler Sicht eine politische Währung ist und keine ökonomische Notwendigkeit. Als Schweizer kann ich die eigene Währung - den Schweizer Franken - und mit ihm die Möglichkeit einer unabhängigen Währungspolitik nicht hoch genug einschätzen. Er hat uns tiefe Zinsen und eine anhaltend niedrige Inflation gebracht. Letztes Jahr wurde in Schweden die Einführung des Euro deutlich abgelehnt, da dort selbst die Sozialdemokraten von der Wichtigkeit einer souveränen Geldpolitik überzeugt waren. So weit sind unsere Linken noch lange nicht. Nach Dänemark war Schweden der zweite Staat, der über den Euro abstimmen durfte. Beide Länder lehnten die Einführung ab. Ich glaube, auch Deutschland hätte den Euro abgelehnt. In Grossbritannien hütet sich selbst die europhile Labour-Party eine Debatte über die Einführung des Euro anzufangen. Für uns ist der unabhängige Schweizer Franken zudem eine wichtige Anleger-Währung, die für den Finanzplatz von existenzieller Bedeutung ist. Wir wollen also den Schweizer Franken so wenig aufgeben wie die Briten ihr Pfund. Der politisch motivierte Euro kann den unterschiedlichen Volkswirtschaften nicht gerecht werden. Der Euro erweist sich als monetäres Korsett. Für Deutschland zu eng, für Spanien zu weit, für Finnland gerade richtig. Ja, er kann nicht anders sein als ein solches Korsett: Schliesslich musste sich der Euro bestimmte Kriterien setzen, die im so genannten «Stabilitätspakt» definiert wurden. Wir alle wissen, dass dieser Pakt gebrochen wurde, noch bevor er überhaupt eingeführt war. Von kreativen Buchhaltungen gewisser Staaten, um dem Euro zu bekommen, will ich hier nicht sprechen. Mittlerweile haben vor allem die grossen Volkswirtschaften Deutschland und Frankreich den Stabilitätspakt missachtet, obwohl gerade die beiden Länder zu den ideellen Euro-Promotoren gehören. Statt der ordentlichen Verfahren und Milliardenbussen wurden in diesem Frühjahr einfach die Konvergenzkriterien gelockert. So sieht weder eine unabhängige Geldpolitik noch eine seriöse Finanzpolitik aus. Für ein Europa der Bürger Seit Anfang der 90er Jahre hat die EU kräftig an Glanz verloren. Diverse Verträge (Maastricht, Amsterdam, Nizza) haben Europa verdichtet. Die im Vertrag von Nizza (2001) neu eingeführte Stimmengewichtung geht vor allem zu Lasten der Kleinstaaten. Das Einstimmigkeitsprinzip wurde weitgehend abgeschafft wie auch das Veto-Recht. Die EU-Kommission verlangt nach mehr Macht, was die Mitbestimmung der einzelnen Länder folgenschwer einschränken würde. Das Demokratiedefizit wächst mit der Grösse der Union.