Testi
Periodo Consiglio federale
24.02.2005
Vortrag, gehalten von Bundesrat Blocher anlässlich der Esprix-Preisverleihung vom 24. Februar 2005 im KKL Luzern
24.02.2005, Luzern
Es gilt das gesprochene Wort
Meine Damen und Herren
Soeben haben wir Preise verliehen. Preise für eine hervorragende Leistung. Das Hervorragende, das über den Durchschnitt hinausragende, macht das Wesen des Wettbewerbes aus. Wer hervorragt, gewinnt. Doch wie steht der Mensch persönlich zum Wettbewerb?
Machen wir uns nichts vor:
1. Einleitung
Niemand setzt sich gerne dem Wettbewerb aus. Denn Wettbewerb heisst Konkurrenz, und das riecht nach Anstrengung, mehr Leistung, höherem Innovationsdruck und darüber hinaus droht immer das Schicksal, gleichwohl vom Rivalen überholt, ja gar aus dem Rennen geworfen zu werden. Neben diesem düsteren Befund ist uns allerdings eine zweite Erkenntnis bewusst: Jeder profitiert in sämtlichen Lebenslagen vom Wettbewerb. Darum wollen alle möglichst viel Wettbewerb - aber nur beim andern... Als Kunde bekomme ich dank Wettbewerb qualitativ bessere und günstigere Produkte oder Dienstleistungen - und zwar in einer Vielzahl und in einer Verschiedenartigkeit, die sich ein Einzelner nicht ausdenken könnte.
Der ganze technische Fortschritt auf der Basis unserer Wettbewerbsgesellschaft bescherte uns ein Leben voller Vorzüge und Möglichkeiten wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Weil wir aus dieser Fülle von Angeboten auswählen können, haben wir die Möglichkeit das Bessere, ja sogar das Beste zu erweben.
Sie alle, die Sie nominiert wurden für den Esprix 2005, und ich denke, auch die Mehrheit hier im Publikum, wissen um die kreative Kraft des Wettbewerbs. Wer heute prämiert wurde, ist ein Ausgezeichneter. Eben darum nennt sich diese Veranstaltung ein "Forum für Excellence". Exzellent meint eben herausragend. Wenn jeder ausgezeichnet würde, verlöre dieser Preis umgehend seine Bedeutung.
Doch Preisverleihungen verströmen immer einen Beigeschmack. Schliesslich sitzt eine Jury zusammen und die Kriterien der Vergabe scheinen manchmal etwas schwer nachvollziehbar zu sein. Die Frage muss man sich ernsthaft stellen: Ist diese Jury überhaupt entscheidend, um eine "Exzellenz" auszumachen? Wer ist "exzellent", herausragend? Im freien Markt sind es nie ein paar wenige, die das bestimmen, sondern die Kunden - täglich, dauernd, unermüdlich. Die beste, weil unbestechlichste Jury war und ist stets der freie Markt. Und damit ist nichts Abstraktes gemeint, sondern die Summe aller Konsumentinnen und Kunden. Es ist gleichsam eine Publikumsbefragung. Wer in diesem Umfeld erfolgreich agiert, verdient unsere ungeteilte Anerkennung. In diesem Sinne sind heute im Kunst- und Kongresszentrum in Luzern tatsächlich eine Vielzahl von Preisträgern versammelt. Nämlich alle Unternehmer und Mitarbeiter von Unternehmen, die sich jeden Tag erfolgreich dem freien Wettbewerb stellen. Und weil wir wissen, dass nur der Wettbewerb Wohlstand und Arbeitsplätze sichern kann, ist es ein primäres Anliegen, dass der Staat dafür sorgt, dass die Unternehmen sich frei entfalten können.
2. Plädoyer für den Wettbewerb
Ich will Ihnen heute ein paar Gedanken zum Thema Politik und Wettbewerb näher bringen. Und zwar aus der Sicht einer Person, die sich dreissig Jahre parallel in der Politik und in der Wirtschaft -als Unternehmer in einem weltweiten Wettbewerb - bewegt hat und durchaus ihre einschlägigen Erfahrungen sammelte mit den Prinzipien des funktionierenden oder eben eingeschränkten Wettbewerbs.
Wie alle Menschen ruft auch kein Unternehmen freiwillig und freudig nach mehr Wettbewerb. Im Gegenteil, einige Unternehmer wollen sich die Konkurrenz vom Halse halten, geschweige denn fördern. Es ist sogar so, dass ein Unternehmen, wenn es seine Arbeit ernst nimmt, nach einer Monopolstellung strebt. Es gibt Unternehmen, die diese Position erreichen. Doch haben wir es mit einem Monopol auf Zeit zu tun und im Gegensatz zu staatlichen Monopolen besteht die Möglichkeit für andere, diese Vorrangstellung streitig zu machen und in letzter Konsequenz den Monopolisten abzulösen. Der deutsche Nationalökonom Wilhelm Röpke warnte vor einer möglichen Verwechslung: "Ein Vorsprung berechtigt uns nicht, von einem Monopol zu sprechen, sofern er nur vorübergehend ist und jeder Nachfolgende dem Vorauseilenden dicht auf den Fersen bleiben kann." Ein einmal erreichtes Monopol kann sogar träge machen. Denken Sie an die damalige Uhrenindustrie, die sich in einem geschützten Markt glaubte und über diesem Irrtum unter ging. Ich könnte Ihnen eine Vielzahl anderer berüchtigter Beispiele nennen, wo ein Unternehmen durch eine Erfindung über lange Zeit scheinbar ewige Gewinne einfuhr, also gleichsam von den Dividenden seiner kreativen Vorgänger lebte und darob die Weiterentwicklung verschlief und sich plötzlich überrundet sah. Dieses Schicksal kann leider einen Staat und seine Einrichtungen nicht ereilen. Er kann die Weiterentwicklung glückselig verschlafen - denn die Folgen tragen nicht die Verantwortlichen. Wenn es sie überhaupt gibt. Weil in diesem Geflecht letztlich alle Verantwortung tragen müssten, läuft es am Ende stets darauf hinaus, dass keiner Verantwortung übernimmt: Denn die Verantwortung ist unteilbar. Darin liegt die Krux der staatlichen Institutionen. Insbesondere in der Konkordanz. Bezahlen muss schliesslich der Bürger. Und zwar jeder Einzelne. Weil er in einem überschuldeten, aufgeblasenen Staatsgebilde leben muss, das seine Misserfolge mit neuen Steuern und Abgaben schönfinanziert und damit die Bürger für sein Versagen büssen lässt.
3. Lob dem Herausragenden
"Wettbewerb ist immer ein Prozess, in dem eine kleine Gruppe eine grössere dazu zwingt, etwas zu tun, was ihr nicht gefällt; sei es, härter zu arbeiten, Gewohnheiten zu ändern oder ihrer Arbeit einen Grad an Aufmerksamkeit. zu widmen, der ohne Wettbewerb nicht nötig wäre." (Friedrich August von Hayek). Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen, ist es nicht verwunderlich, dass die bedrängte Mehrheit diese herausfordernde Minderheit in die Schranken weisen will. Das geschieht häufiger und versteckter als man vermuten würde. Denken sie an die Gewerkschaften, aber vor allem an die Politik. Wie schnell wird einem Exponenten, der etwas aus dem Rahmen fällt, die Flügel gestutzt. Sie kennen die faden Begründungen: "Er ist ja allein mit seiner Auffassung." "Alle anderen sind dafür, nur er ist dagegen." "Er meint, er könne es besser als die anderen." So werden alle, die ihren Kopf über das Mittelmass hinausstrecken, sofort um denselben gekürzt. Der Kampf für das Bessere ist darum immer auch eine Schlacht für die Freiheit.
4. Harmonisierung
Ein umso gefährlicherer Begriff, weil er über eine vordergründig positive Ausstrahlung verfügt, ist die "Harmonisierung". (Gelegentlich tarnt sich die "Harmonisierung" auch als "Integration", die in ihrer Konsequenz aber auf das Gleiche hinausläuft.) Harmonisierung erschwert das Vergleichen, denn eine harmonisierte Welt ist gleichgeschaltet und nivelliert. Wer nichts anderes kennt, kann schwerlich nach Alternativen verlangen. In einer harmonisierten Welt - so wunderbar dieses Projekt in der Theorie klingen mag - fehlen die Ausweichmöglichkeiten für Bürger. Wer den Wettbewerb in der Politik einschränkt - und sei es auch nur zur Harmonisierung - liefert Minderheiten schutzlos der jeweiligen Mehrheit aus. Auf dem Spiel stehen allerdings nicht nur die Ausweichmöglichkeiten der Minderheiten, sondern auch die Vergleichsmöglichkeiten der Mehrheit. Was nichts anderes heisst, als dass der freie Wettbewerb ausgeschaltet wird, denn nur er kann Vergleichsmöglichkeiten schaffen.
Das gilt insbesondere auch für die steuerliche Harmonisierung. Auf den ersten Blick mag es unfair erscheinen, dass jemand in einer anderen Gemeinde und einem anderen Kanton günstigere oder höhere Steuern bezahlen muss. Nur wird hier einmal mehr die verhängnisvolle Sehnsucht nach Gleichheit sichtbar. In der Steuerpolitik ist es jedenfalls so, dass Gemeinden und Kantone einem weit stärkeren Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind als etwa Bern mit seinen Bundessteuern für natürliche Personen. Und zwar deshalb, weil die Gemeinden und Kantone dem Wettbewerbsföderalismus unterstehen. Menschen stimmen nicht nur mit dem Wahlzettel ab, sondern mit ihren Füssen: Sie verlagern ganz einfach ihren Wohn- bzw. Unternehmenssitz - was man ihnen nicht verübeln darf. Ich teile die Auffassung gewisser wirtschaftlicher Think Tanks keineswegs, man sollte im Sinne der Effizienz, den Föderalismus abschaffen. Gewiss: Es gäbe dann nicht mehr unterschiedliche Steuersätze, aber es würden dann alle gleich viel, was in der Realität heisst: viel mehr bezahlen.
Nicht nur die Marktwirtschaft, sondern auch die Demokratie muss eine Staatsform der Alternativen sein, sonst macht sie keinen Sinn. Eine Wahl allein genügt nicht. Jede Wahl muss eine Auswahl beinhalten. Die Schweiz kann sich glücklich schätzen mit ihren direktdemokratischen Rechten. So findet auch in Sachfragen ein Ideen- und Argumentenwettstreit statt, der gerade in einer Konkordanzdemokratie dringend nötig ist. Dazu braucht es allerdings eine freiheitliche Gesinnung. Die Mehrheit darf die Minderheitsmeinung nicht einfach verbieten oder nicht zu Wort kommen lassen oder sie moralisch abqualifizieren!
5. . oder der Sozialismus auf Samtpfoten
Ob "soziale Gerechtigkeit", "Service public", "Chancengleichheit", "Harmonisierung" oder "soziale Marktwirtschaft": All diesen schönen Begriffen liegen sozialistische Vorstellungen zugrunde - unabhängig davon, ob der Einzelne darin den Sozialismus erkennt oder nicht. Und es ist erstaunlich und beängstigend zugleich, wie sich dieser Tarnsozialismus bis weit ins bürgerliche Lager hinein ausbreiten konnte. Dabei gäbe es alarmierende Anzeichen genug: 1985 betrugen die Gesamtausgaben des Bundes 23,57 Milliarden. Im Jahre 2003 befinden wir uns bei 50 Milliarden. Den konsequenten Ausbau zum Sozialstaat lässt sich im Bereich "Soziale Wohlfahrt" am Deutlichsten ablesen. Dieser stieg zwischen 1985 und 2004 von 5 auf 13,4 Milliarden Franken. Der Sozialstaat verschlingt heute etwa einen Viertel des gesamten Budgets. Gemessen am volkswirtschaftlichen Ertrag (BIP) hat sich die Sozialausgabenquote von 19,3 (1990) auf 28,8 (2002) erhöht. Wachstumsraten, die weit über jenen der Wirtschaft mitsamt der Teuerung liegen. Wer angesichts dieser Zahlen von "Sozialabbau" spricht, hat jeden Bezug zur Realität verloren. Der Staat hat sich in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren massiv ausgeweitet. Dieser Staat ist nicht gratis: Er fordert Prämien, Gebühren, Steuern. Er hat eine gewaltige Umverteilungsmaschine eingerichtet. Er reguliert. Er schränkt ein. Er zerstört Freiheit. Er verunmöglicht Wettbewerb. Dieser Staat ist längst nicht mehr sozial. Sozial sind die gewinnbringenden Unternehmer, die sich dem Wettbewerb stellen und Arbeitplätze schaffen und erhalten
6. Der Staat hat seinen Preis
Der Wettbewerb ist der Schweiz so wichtig, dass sie eine Kommission eingesetzt hat, die Wettbewerbskommission, auch bekannt unter dem Kürzel Weko. Dazu kommt die Einrichtung des Preisüberwachers, der in letzten Jahren jeweils ein Vertreter der SP vorgestanden ist, einer Partei also, die man nicht als übertrieben marktfreundlich bezeichnen könnte.
Immerhin wartete der designierte Preisüberwacher Rudolf Strahm mit einer - wenigstens für ihn - überraschenden Einsicht auf: Der Staat funktioniere als Preistreiber, wenn auch "meist unbewusst", wie der staatlich besoldete Preisüberwacher zu beruhigen versuchte. In der Tat. Es sind gerade staatliche Dienstleistungen bzw. staatliche Dienstleister ("Service public"!), die für ein überdurchschnittliches Kostenwachstum sorgten. Ob Bahn oder andere Transporte, ob Fernsehgebühren oder Flughafentaxen, ob Wasser oder Kehricht, es wird kräftig aufgeschlagen. Heute nehmen Bund, Kantone und Gemeinden jährlich rund 23 Milliarden Franken an Gebühren ein. Allein die Gemeinden haben seit 1990 ihre Gebühren um 80 Prozent erhöht. Ganz "unbewusst" wie Rudolf Strahm vermutet? Immerhin lassen sich bei den Gebühren erstaunliche regionale Unterschiede ausmachen, die sich so keiner erklären kann. Tröstlich für den Bürger ist, dass es überhaupt zu solchen Vergleichsmöglichkeiten kommt. Dem Föderalismus sei Dank. Nur dieser schafft Transparenz. Nur dieser erlaubt Ausweichmöglichkeiten. Nur durch föderalistische Unterschiede entsteht in staatlichen Einheiten so etwas wie Wettbewerbsdruck.
Stellen Sie sich nun eine durchharmonisierte Schweiz vor, wie sie sich die meisten Politiker erträumen. In einer "harmonischen" Schweiz würde einem Preisüberwacher diese Preisdifferenzen gar nicht auffallen. Denn es gäbe keine Differenzen mehr. Sondern einen zentralistisch definierten Einheitspreis. Denken Sie daran, wenn nächstes Mal wieder jemand über den Föderalismus schimpft.
7. Wettbewerbsföderalismus statt falscher Konsens
Der Föderalismus garantiert die Rivalität zwischen politischen Einheiten mit dem Ergebnis, dass möglichst hohe Lebensqualität durch möglichst wenig Steuermittel geschaffen wird. Die Schweiz muss ihren Wettbewerbsföderalismus nicht abbauen, sondern stärken, was nur auf kantonaler und kommunaler Ebene geschehen kann. Darum: Möglichst wenig staatliche Lenkung, möglichst wenig Staat auf nationaler Ebene. Dafür weitgehende Autonomie in Finanz- und Steuerfragen für die Kantone und Gemeinden. Das heisst aber auch, dass es keine Gleichheit der Lebensbedingungen geben kann. Wer diese Illusion auf Kosten des Föderalismus und des Wettbewerbs anstrebt, gefährdet insgesamt den Wohlstand, beschneidet unnötig Freiheiten und schwächt die Eigenverantwortung.
Eine der Hauptaufgaben des Wettbewerbs besteht darin, falsche Pläne und Wege aufzuzeigen. "Der Wettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren., das den Menschen dazu brachte, unwissentlich auf neuartige Situationen zu reagieren." (Friedrich August Hayek) Nicht Übereinstimmung, sondern Wettbewerb bringt eine Gesellschaft weiter. Nur in einem möglichst grossen Freiraum kann ein Land und seine Bürger auf die Herausforderungen der Zeit reagieren oder noch besser eigenständig vorangehen. Die Übereinstimmung, der Konsens, klingt zwar wohlig nach Familienglück und Kaminfeuer - doch lauert hinter jedem Konsens ein fauler Kompromiss. Die Gewährung von Freiheit ist eine primäre Forderung der heutigen Zeit. Und hier vor allem: Die Freiheit des Bürgers gegenüber dem Staat!
Machen wir uns ein zweites Mal nichts vor: Heute gilt - selbst in betuchten, selbst in bürgerlichen Kreisen,- in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft das Streben nach Konsens und kollektiver Verantwortung als höchste Daseinsform. Folglich gilt jeder, der dieses Konsensdiktat nicht von vornherein bejubelt, als "gefährlich" oder gar "extremistisch". Diese verordnete Gesinnung bringt uns nicht voran. Denn Konsens kann genauso gut Kungelei bedeuten. Ein einträchtiges Kollektiv kann genauso gut in Verflechtungen enden, die den Boden bereiten für Vetternwirtschaft und Mauscheleien. Mit Wettbewerb hat dies nichts zu tun!
8. Entflechtung von Staat, Wirtschaft und Verwaltung
Wir haben eine Reihe scheinprivater Betriebe in der Schweiz, die zwar auf dem Papier unabhängig sind, aber entweder dem Staat als Aktionär gehören oder in einem derart regulierten Umfeld handeln müssen, dass wir nicht ernsthaft von Markt oder Wettbewerb reden können. Letzteres gilt für den Gesundheitsmarkt, der diesen Namen eigentlich gar nicht verdient. Wir haben im Weiteren ein Monopolfernsehen, das sich zu 70 Prozent von staatlich sanktionierten Zwangsgebühren alimentieren lässt und ein zweites privates Fernsehen auf Landesebene faktisch verunmöglicht. Unter solchen Voraussetzungen kann bei SF DRS keiner aufrichtig von journalistischer Unabhängigkeit mehr sprechen. Dazu kommen noch weitere Unternehmen, die bloss dem Namen nach eigenständig agieren. Denken Sie an die Swiss, die Osec, den Flughafen Zürich, die Skyguide usw. usf. In den genannten Bereichen findet praktisch kein Wettbewerb statt - entsprechend teuer kommen diese Leistungen dem Steuer- und Gebührenzahler zu stehen.
Bei einem Blick ins Sponsorenregister der heutigen Veranstaltung fällt auf, dass mit der Suva ein staatlicher Monopolist aufgeführt ist und mit der Swisscom ein Unternehmen, an welchem der Bund nach wie vor Hauptaktionär ist. Es ist schön, dass sich diese beide Unternehmen engagieren und diesen mit eigenen Worten "Schweizer Qualitätspreis für Wettbewerbsfähigkeit" mitfinanzieren. Darf ich trotzdem anfügen, dass dem Wettbewerb insgesamt eine rigorose Entflechtung dieser beiden Unternehmen vom Staat mehr bringen würde? Das durchzusetzen ist allerdings nicht Aufgabe der Swisscom oder der Suva, sondern der Politik. Es ist auch schön, dass im letzten Jahr ausgerechnet die Suva selbst sich als Preisträgerin des Esprix feiern konnte. Oder anders gesagt: Die Jury hat die Suva ausgezeichnet. Ob die Suva auch den Preis erhielte vom Markt und den Kunden, könnte nur entschieden werden, wenn sie der Konkurrenz ausgesetzt wäre. Doch die Suva kann beruhigt sein, der Bundesrat hat eine Privatisierung abgelehnt.
Erinnern Sie sich noch an die gute alte Service-Public-Zeit? Als es nur eine PTT gab im Lande? Zuständig für Post und Telekommunikation? Wer einen Telefonapparat wollte, durfte ein schickes graues Modell mit runder Wählscheibe nach Hause tragen. Das heisst, er bezahlte viel Geld dafür oder er mietete es für einen stolzen Preis monatlich. Ich erinnere mich an Bekannte, die uns Besucher in verdunkelte Hinterzimmer führten und ein italienisches Telefonmodell zeigten, das sie unter Einsatz ihrer bürgerlichen Freiheitsrechte über die Grenzen geschmuggelt hatten. Vergangene Zeiten. Dank Liberalisierung und Wettbewerb. Studien haben ergeben, dass wir heute durchschnittlich 40 Prozent günstiger telefonieren. 1978 zahlte man noch 9.60 Franken, um in die USA zu telefonieren. Wohlverstanden: 9.60 Fr. pro Minute. Der Vorteil solcher Preise war, das man sich wenigstens auf das Wesentliche im Gespräch konzentrierte. Heute telefonieren Sie am Wochenende für 10 Rappen pro Minute in die Vereinigten Staaten. Mit der Liberalisierung kam der Wettbewerb, mit dem Wettbewerb bessere Produkte und günstigere Tarife.
9. Dienen statt beherrschen
Das schweizerische Erfolgsmodell basierte auf einem massvollen Staat mit freier, prosperierender Wirtschaft. Leider sind wir in den letzten 20 Jahren von diesem Pfad abgekommen! Ganz anders die neuen Mitgliedsstaaten der EU. Sie haben den Sozialismus erlebt. Seit dem Zusammenbruch setzen sie nun konsequent auf eine liberale Marktwirtschaft. Selbst sozialdemokratisch geführte Staaten in Skandinavien oder Deutschland haben liberale Reformprogramme eingeleitet. Nur die Schweiz macht weiter in Richtung Sozialismus. Nirgendwo in der Welt ist die Behördenmacht, die Staatsintervention und die staatliche Reglementierung in den letzten Jahren stärker gewachsen als in der Schweiz. Unsere Staatsquote ist sogar stärker gewachsen als in allen afrikanischen und südamerikanischen Ländern. Sie ist stärker gewachsen als in Kasachstan.
Meine Damen und Herren,
ich meine, die Zeichen der Zeit sollten erkannt werden: Die Politik hat sich in den vergangenen Jahren in einer behaglichen und sicheren Kammer eingerichtet. Jeder Kompromiss wurde mit Geld - also Steuergeldern erkauft. Der gemütliche Konsens brachte aber höhere Abgaben für die Bürger an den Staat und 130 Milliarden Franken Schulden. Der gemütliche Konsens war nicht geeignet, um wirtschaftliche Spitzenleistungen zu beflügeln. Plötzlich stellt die Schweiz fest: Wir hinken in Wachstum und Produktivität hinterher. Das ist alarmierend. Sollten wir nicht handeln? Ich meine - wir sollten. Natürlich können wir zuwarten bis die Folgen (Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Zerfall und Armut) noch drastischer werden. Besser wäre eine rechtzeitige Besinnung: Der Erfolg ist wieder in den Mittelpunkt zu stellen und nicht zu verdammen. Geschäftsleute, Manager, die mit ihrem Unternehmen Geld verdienen, sind sozial und jedenfalls moralisch hochstehender als Politiker, die nonstop von Helfen, Fördern und Geld verteilen reden. Den Sozialarbeiter in Ehren. Tugendhafter als Geschäftsleute ist er deswegen nicht. Ich meine, dass Mut, Bereitschaft zum Risiko, Verantwortung für Erfolg, Durchsetzungsvermögen als schulische Tugenden wieder erkannt werden müssten, wenn wir das Steuer noch drehen wollen. Wir haben zu erkennen, dass das Wuchern des Staats dasLand teuer und unbeweglich gemacht hat, und dabei die Freiheit der Bürger unzulässig einschränkte. Nicht der Interventionismus,nicht der Kollektivismus bringt unsere Welt weiter. Sondern der Kampf um das Bessere. Die Gewissheit, dass der Beste gewinnen muss. Also Wettbewerb. Es wäre schön, wenn die Preisverleihung als EIN Esprit etwas in dieser Richtung bewirken könnte!
Nur der freie Wettbewerb bringt eine Gesellschaft weiter. Denn nur in diesem Freiraum kann eine Minderheit Alternativen entwickeln, aufzeigen und Kraft ihrer Qualität möglicherweise auch durchsetzen. Je weniger Freiheit, desto weniger Raum bleibt, etwas anderes anzustreben als den herrschenden Status quo. Die Feinde der Freiheit - und nichts anderes sind jene Leute, die sich gegen den Wettbewerb und gegen die Konkurrenz aussprechen - tun dies meist nicht aus höheren Motiven, sondern aus Angst vor dem eigenen Versagen. Wer das Leistungsprinzip leugnet, fürchtet sich nur zu oft vor seiner Unfähigkeit. Oder wie es der grosse Ökonom Ludwig von Mises ausdrückte: "Wer seinen Mitmenschen nicht zu dienen in der Lage ist, will sie beherrschen." Und das einfachste Mittel über die Mitmenschen zu verfügen, liegt in den langen Fluren der Politik und in den Möglichkeiten der staatlichen Verfügungsgewalt. Mit einem Federstrich in der Verwaltung können Sie einen ganzen Wirtschaftszweig lahm legen oder zumindest in einer Art belasten, dass er sich im internationalen Markt nicht mehr behaupten kann. Dieser Federstrich (ein Gesetz, eine neue Vorschrift, eine zusätzliche Abgabe) setzt keine besondere Geistesgabe voraus. Mit der Macht der Behörde ausgestattet, kann das zu verheerenden Auswirkungen führen.
10. Schlusswort
Der amerikanische Präsident George Bush hat in seiner Inaugurationsrede 28 mal von Freedom (Freiheit) gesprochen. Kein schlechter Wert bei einer Redezeit von 20 Minuten. In den Ansprachen schweizerischer Politiker suchen Sie das Wort "Freiheit" meistens vergeblich. Unserem Land, einst als Wiege der Freiheit besungen, scheint das Fundament seines Wohlstandes vergessen gegangen zu sein. Ich bin nicht der Meinung, dass wir die Freiheit gleich zum missionarischen Projekt überhöhen sollten. Aber verschweigen muss man sie auch nicht. Irgendwo zwischen null und 28 Erwähnungen läge ein guter Mittelwert.
Meine Damen und Herren,
So wünsche ich den Preisträgern, aber auch allen anderen hier vertretenen Unternehmen, viel Freiheit, wenig staatliche Eingriffe, tiefe staatliche Abgaben, viel Eigenverantwortung und Eigeninitiative, die Sie dazu bringen, den Kampf im internationalen Wettbewerb zu bestehen und dann wird Ihnen der Publikumspreis sicher sein- meist in der Form eines anständigen Unternehmensgewinnes.
18.02.2005
Ansprache, anlässlich der Eröffnungsfeier der Basler Mustermesse
18.02.2005
Es gilt das gesprochene Wort
Your Royal Highness
Meine Damen und Herren Regierungsrätinnen und Regierungsräte
Herr Messepräsident
Meine Damen und Herren
Die Basler sind feine Menschen: Nur drei Tage nach den Schnitzelbänklern darf jeweils auch ein Bundesrat in Basel sprechen. äusserer Anlass ist die Eröffnung der traditionsreichen Basler Mustermesse - der muba. Zur Abwechslung ist sogar ein Zürcher Bundesrat genehm.
Dass dieses Jahr gerade mir die Ehre zufällt, die Grüsse und Anerkennung der Landesregierung für die muba zu überbringen, freut mich besonders - besonders auch, weil Dänemark das Gastland ist.
Gruss an Dänemark
Mit Dänemark verbindet die Schweiz viel. Vielleicht auch deshalb, weil Kleinstaaten sich schon immer gut verstanden haben. Kleinstaaten haben ja eine grundsätzlich andere Optik auf das Weltgeschehen als die Grossen. Die Optik von unten, die Optik von der Seite her und darum wohl eine skeptische Distanz zu allem, was einfach nur gross ist und zu allem, das seine Bestimmung in noch mehr Grösse zu finden glaubt. Auch in Bezug auf Europa denken Schweizer und Dänen ähnlich. Dänemark ist zwar Mitglied der Europäischen Union, aber in vielem auch wieder halb draussen. Und die Schweiz ist draussen, aber in vielem auch halb drinnen.
Mit Ihrem Staate - Your Royal Highness - fühle ich mich seit Kindsbeinen verbunden. Ich schätzte Ihr Land längst bevor ich es besuchen durfte, denn in unserer dreizehnköpfigen Familie waren Volks- und Kunstmärchen ein wichtiges familiäres Bildungsgut. So lehrte uns unser Vater: "Die wirklich tiefe Wahrheit findet ihr in den Märchen." Verstanden habe ich das als Kind natürlich nicht. Dafür später umso besser.
Hans Christian Andersen
Einen nicht unwesentlichen Anteil verdanke ich dabei Dänemarks grossem Dichtersohn Hans Christian Andersen, dessen Geburtstag sich heuer zum 200. Mal jährt. Ich weiss nicht, ob ich ohne Ihren grossen Dichter in der Vergangenheit meine zahlreichen folgenschweren Entscheidungen in Wirtschaft, in der Unternehmensführung und der Politik richtig getroffen hätte.
Hans Christian Andersen ist durch seine Märchen bekannt geworden. Diese sind von so tiefen allgemeingültigen Wahrheiten durchdrungen, dass mancher staunt, dass es sich hierbei nicht um alte Volkslegenden, sondern um Kunstmärchen handelt. Wer kennt sie nicht? Die Geschichte vom hässlichen Entlein? Oder die verwöhnte Prinzessin auf der Erbse? Oder die kleine Meerjungfrau? Andersen nannte seine Sammlung bescheiden "Märchen und Erzählungen für Kinder." Wirklich nur für Kinder ?
Ich zumindest ziehe eine Erzählung von Andersen ganzen Bibliotheken der Managerliteratur vor. Ich würde dieses Märchen sogar allen Führungskräften und Managern dringend zur Lektüre empfehlen, denn dieses Märchen zeigt uns Führungsleuten Gefahren auf und gibt Mut zu selbstständigen Entscheiden. Ich spreche von der Geschichte mit dem Titel "Des Kaisers neue Kleider".
Des Kaisers neue Kleider
Lassen Sie mich darum anlässlich der Eröffnungsfeier der muba, wo Politik und Wirtschaft, wo die Schweiz und Dänemark einander die Hand reichen, dieses Märchen kurz in Erinnerung rufen - auch wenn es vielleicht das erste Mal ist, dass ein Bundesrat mit einem richtigen Märchen die muba eröffnet:
Ein eitler Kaiser liebte nichts mehr als seinen Putz zu zeigen. Das war ihm weit wichtiger als alle Staatsgeschäfte. Dies realisierten zwei schlaue Geschäftemacher und so priesen Sie sich an, sie würden die schönsten Kleider anfertigen, die es überhaupt gibt. Und diese Kleider seien nicht nur die schönsten, sondern auch besonders, denn sehen könne sie nur, wer für sein Amt taugt und nicht unverzeihlich dumm sei. Als dieser Kaiser - eitel und eingebildet, wie er war - dies hörte, wollte er diese Gewänder natürlich umgehend für sich erstehen. Er beauftragte die wunderlichen Schneider, ihm das schönste Kleid zu fertigen.
Die Betrüger liessen sich zuerst üppig bezahlen, taten dann so, als ob sie die Kleider herstellten und übergaben sie anschliessend dem Hofstaat. Weder Minister noch Beamte noch der Kaiser selbst wollten aus Angst vor der Blamage zugeben, dass sie die neuen Kleider gar nicht sahen. Wer will schon freiwillig als dumm und untauglich gelten?
Schliesslich veranstaltete der Kaiser eine grosse Prozession, um sich im neuen Gewand zu präsentieren. Alle Ausrufer des Reiches - wohl auch alle Zeitungen, Fernsehstationen und Radios, sofern es sie damals schon gegeben hätte - verkündeten dem ganzen Volk, der Kaiser komme nun in seinen prächtigsten Kleidern und das besondere an ihnen sei, dass nur gescheite und fähige Menschen diese Pracht erkennen könnten.
Für dumme und untaugliche Menschen seien diese nicht zu erkennen. Und so geschah es, dass das ganze Volk lauthals die Schönheit der Kleider pries - bis ein kleines unschuldiges Kind ausrief: "Aber er hat ja gar nichts an! Der Kaiser ist nackt!" - "Hört die Stimme der Unschuld!" sagte darauf sein Vater und die Umstehenden erzählten weiter, was das Kind gesagt hatte. Bis am Ende das ganze Volk rief: "Er hat ja gar nichts an."
Die Geschichte endet hier leider Gottes nicht. Denn Hans Christian Andersen kannte die Menschen nur zu gut, offenbar vor allem jene in führenden Positionen. Er kannte die Gefahr der Eitelkeit und den blinden Stolz von Regierenden. Hören wir, wie die kleine Erzählung endet:
"Er hat nichts an!" rief zuletzt das ganze Volk. Und das kroch in den Kaiser, denn ihm schien, sie hätten recht, aber er dachte: Jetzt muss ich während der Prozession durchhalten. Und dann hielt er sich noch stolzer, und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.
Zu viele nackte Kaiser - zuwenig unschuldige Kinder
Ja, meine Damen und Herren, nach Jahren der Tätigkeit als Industrieller und Politiker stelle ich fest, die nackten Kaiser sind gar nicht so selten. Auch in unserem Land, wo es schon lange keine Kaiser mehr gibt. Wie oft habe ich ähnliches in Unternehmen, im Staat, bei Politikern und bei Regierungen erlebt. Wie oft liegt die offensichtliche Wirklichkeit vor unseren Füssen und trotzdem wird die Realität im grossen Chor verneint. Besonders dann, wenn die political correctness, der gute Ton, "alles, was Rang und Namen hat", der Mainstream und die veröffentlichte Meinungs-Harmonie dies gebieten und die Realität ausblenden. Und das Traurige ist, diese Kaiser - auch die selbsternannten - geben sich noch stolzer, selbst wenn jemand auftritt und den wahren Sachverhalt darstellt: "The show must go on" - wie in Andersens Märchen. Diese gespenstischen Szenen haben sich oft wiederholt. Zahlreiche Fehlentscheidungen aus Wirtschaft und Politik könnten hier aufgetischt werden. Sollen wir sie nennen? Nein - "hier schweigt des Sängers Höflichkeit".
Es sind oft nicht nur zu viele eitle, eingebildete nackte Kaiser, sondern auch zu wenig unschuldige Kinder, die von Anfang an rufen, er ist ja nackt. Oft fürchten sich Führungskräfte vor der Wirklichkeit, obwohl Sie wissen, nur eine ungeschminkte Analyse der Wirklichkeit kann zu brauchbaren Lösungen führen. Und oft ist niemand da, der die Führungskräfte dazu zwingt. Die Wirklichkeit ist ja oft unangenehm. Wer aber auf der Basis von Wunschvorstellungen entscheidet, trifft zwangsläufig ins Leere.
Unternehmen werden ganz selbstverständlich gemessen an dem, was sie tun. Wer in der Wirtschaft die Wirklichkeit leugnet, den bestraft der Markt, den bestrafen die Kunden und die Konkurrenz. Darum verschwinden die nackten Kaiser in der Wirtschaft schnell.
Nackte Kaiser in der Politik
Aber - meine Damen und Herren - wie ist es mit den nackten Kaisern in der Politik? Wie steht es mit der Demokratie, den Bürgern, den Medien? Haben wir genügend Kritiker, haben wir genügend Kinder, die den Mut haben, zu rufen: "Hört doch auf, der Kaiser ist nackt."
Und sollte einer tatsächlich rufen, werden die Verantwortlichen nicht noch stolzer, noch aufgeblasener herummarschieren? Und wieviele tragen dahinter die unsichtbare Schleppe weiter? Wo gibt es sie nicht? Die Realitätsfremden und Opportunisten, die Fehlentwicklungen unterstützen! Hans Christian Andersen's Märchen vom nackten Kaiser ist hoch aktuell und leider bleibt es aktuell.
Vielleicht hätte Andersen sein Märchen 2005 etwas anders geschrieben. Die Macht der modernen Massenmedien, welche ganze Gesellschaften leiten und irreleiten können, machen Zwischenrufe schwieriger aber notwendiger. Rufer in der Wüste, die sich getrauen, gegen den Mainstream anzutreten und die Wirklichkeit beim Namen zu nennen, werden oft an den Pranger gestellt.
Sie kennen die vielseitigen Abmahnungen: "Er ist der einzige, der eine andere Meinung hat." Oder: "Alle anderen Parteien sind anderer Meinung." Oder: "Das darf man so nicht sagen." Oder: "So direkt darf man auch wieder nicht sein." Oder: "Wo bleibt den hier der Respekt vor Amt und Würde?"
Bestrafung der Mahner
Oft drischt die öffentlichkeit auf den armen "Wahrheitsrufer" ein, obwohl sie genau weiss, dass er Recht hat. Wie oft wird einer der Unzucht bezichtigt, nur weil er die nackte Wahrheit sagt! Heute besteht ein Skandal meistens nicht darin, dass einer eine Dummheit begeht, sondern der Skandal besteht darin, dass einer die Dummheit rügt und diese beim Namen nennt. Ich meine, auch in unserer Gesellschaft laufen zu viele nackte Kaiser herum. Oft erkennen Sie dies an ihren Leerformeln und Worthülsen. So sprechen Sie vom "Image", um die eigene Inhaltslosigkeit zu verdecken. Das Fordern von "Nachhaltigkeit" verdeckt oft die Untauglichkeit eines Vorschlages. Von "globaler Verantwortung" spricht, wer sich der Verantwortung im eigenen Bereich entzieht. "Solidarität" meint oft, dass andere für die eigene fehlende Selbstverantwortung bezahlen sollen.
Wo sind die unschuldigen Gemüter, die in solchen Momenten laut sagen: "Seht her, dass ist alles nur Luft und Schall und Rauch"?
Messen eliminieren nackte Kaiser
Meine Damen und Herren, es ist schön, dass an einer Messe wie der muba nackte Kaiser von vornherein verloren haben. An eine Messe wie dieser kommen nur Aussteller, die ihre Produkte zeigen dürfen. Hier muss sich jeder der Wirklichkeit aussetzen. Es wird ganz selbstverständlich geprüft und erprobt. Käufer und Konsumenten wollen keine Luftschlösser, keine schönen Versprechen. Sie wollen reale, nützliche, brauchbare, schöne Produkte. Dazu dient dieser grosse, offene Marktplatz. Die Mustermesse bietet das ideale Forum, um sich zu messen und zu mustern und sich mustern zu lassen. Wer hierher kommt, zeigt seine Produkte. Wer hierher kommt, weiss, dass auch andere, sogar direkte Konkurrenten, ihre Produkte der öffentlichkeit präsentieren. Wer also an die muba kommt, scheut weder die Konkurrenz noch den kritischen Einkäufer. Es wird begutachtet. Und dann eventuell gekauft. Dafür steht heute stellvertretend für alle Gewerbe- und Handelsmessen die Basler Mustermesse.
Wenn das alles doch für politische Produkte auch gelten würde. Wissen Sie, so eine grosse politische Mustermesse, wo die besten Rezepte für das Wirtschaftswachstum, wo Probleme, Lösungen, Entscheide, aber vor allem auch Taten der Politiker auf einem Marktplatz aneinander gemessen würden. Das brächte Bewegung in die Politik und verscheuchte die nackten Kaiser.
muba als Ort der Begegnung im IT-Zeitalter
Die wirtschaftliche Bedeutung einer Messe liegt auf der Hand. Messen dienen aber auch der Kontaktpflege und der Aufnahme neuer Kontakte. Obschon die Messen bis ins Mittelalter zurückgehen, sind sie noch heute besonders bedeutsam, denn menschliche Kontakte können nicht durch moderne Kommunikationsformen ersetzen werden.
Denn hinter jeder, auch noch so modernen Kommunikation stecken schliesslich Menschen. Die persönliche Begegnung, das Erfassen und Begreifen kann durch keinen Flachbildschirm, durch kein Internet, keinen digitalen Austausch ersetzt werden.
Dank
Angesichts der Wichtigkeit von solchen Messen danke ich Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich den Organisatoren auch im Namen der Landesregierung für die Durchführung der muba.
Ich danke dem Gastland Dänemark, dass es der Einladung Folge geleistet hat und freue mich auf weitere freundschaftliche Beziehungen und mit Respekt gedenke ich Ihrem grossen Dichtersohn Hans Christian Andersen für seine klugen Märchen. Meine Damen und Herren, Ihnen wünsche ich gute Kontakte und vor allem viele gute Geschäfte!
07.01.2005
Eröffnungsansprache von Bundesrat Christoph Blocher vom Freitag, 7. Januar 2005, an der Schweizerischen Kleintierausstellung in Bern
07.01.2005, Bern
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Kleintierzüchter,
Liebe Freunde der Kleintierzucht,
Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher,
Es ist mir eine Ehre, dass ich heute - als Schirmherr dieser Ausstellung der Kleintierzüchter - zu Ihnen sprechen darf.
I Stille Schaffer
Es sind verschiedene Gründe, die mich dazu bewogen haben, als Schirmherr zu amten. Aber besonders hat mir eine Bemerkung gefallen, wie sie mir der Präsident der Entente Européenne, Herr Urs Freiburghaus, in seiner Einladung an mich geschrieben hat: "Die Kleintierzüchter gehören zu den stillen Schaffern in unserem Lande." "Stille Schaffer" sind Sie also. Mir haben die "stillen Schaffer" schon immer gefallen. Ich weiss: Es sind die "stillen Schaffer", welche die Schweiz zu Wohlstand gebracht haben und es sind die stillen Schaffer, die unser schönes Land noch heute zusammen halten.
Es war und ist mein Anliegen, wieder mehr Politik zu machen für die "stillen Schaffer". Für die vielen "lauten Nichtschaffer", die sich oft in der Medienwelt vordrängen, wird ja schon vieles getan! Weil sie vor allem dafür sorgen, dass sie wahrgenommen werden.
II Freudentag
Darum ist heute ein Freudentag, dass Sie - die 8000 Aussteller - sich und ihre Leistung präsentieren und ihr stilles Schaffen einem grossen Publikum bekannt machen.
Es beweist Sinn für Gemeinsamkeit und ist Zeichen der Stärke, dass sich die vier Fachverbände der Schweizerischen Gesellschaft für Kleintierzucht (SGK) zu einer gemeinsamen Ausstellung entschlossen. Es ist schon imposant, wenn 8000 Ausstellerinnen und Aussteller mit 15'000 Kaninchen, Hühnern, Enten, Gänsen, Tauben und Ziervögeln ihre Zuchterfolge präsentieren. Dies nennt man sinnvolle Freizeitbeschäftigung.
Zahllose interessierte Gäste aus dem In- und Ausland werden nach Bern reisen, um sich auf den neuesten Stand der Züchtungen zu bringen. Diese grosse Schau für kleine Tiere hat mehr Ausstrahlung als die zahlreichen Schauen für "grosse Tiere" aus Politik, Wirtschaft und Kultur.
III Small is beautiful
"Small is beautiful" heisst ein selbstbewusstes Wort: Die Schönheit steckt im Kleinen. Gerade die Schweiz weiss um die Vorzüge eines Kleinstaates. Sogar die Elefanten der so genannten Elefantenrunde wirken in unserem Lande nach Abstimmungen kleiner als die Elefanten im grossen Afrika.
Weil die Schweiz klein ist, hat sie schon lange die Grösse des Kleinen entdeckt. Und Sie zeigen in diesen Tagen, welche Grösse, welche Schönheit und welche Anmut in so kleinen Lebewesen steckt. Wir sehen: Nicht alles, was vermeintlich gross ist, hat auch Grösse. Nicht alles, was gross ist, ist deswegen schon besser, schöner und intelligenter. Sonst wären die Dinosaurier ja nicht ausgestorben.
IV Artenvielfalt
Ich schätze an Ihrer Arbeit, mit welcher Hingabe Sie zu den Tieren schauen und sich in freundschaftlichem Wettbewerb messen. Sie tun aber auch viel für den Erhalt einzelner, seltener Rassen und Sie sichern damit die Artenvielfalt. So werden etwa auf privater Basis seltene Vogelarten gezüchtet und damit deren Weiterbestand gewährleistet. Sie tun dies alles ohne staatliche Besoldung - ehrenamtlich, als engagierte und fachkundige Bürgerinnen und Bürger. Darum soll an dieser Stelle auch einmal unsere Wertschätzung für Ihre Tätigkeit zum Ausdruck kommen.
Sie bereiten auch Menschen, die keine Züchter sind, in diesen Tagen grosse Freude - jung und alt. Wenn wir heute von "Burgunder" sprechen, meinen wir nicht den Wein, sondern die prachtvolle Kaninchenzüchtung. Daran dürfen Sie Freude haben, auch wenn die Promillegrenze auf der Strasse gesenkt wurde. Und da zu einem guten "Burgunder" auch eine "Havanna-Zigarre" gehört, haben Sie ja auch eine "Havanna-Züchtung". Diese trägt lange Ohren!
V Schweizerhuhn
Ich habe auch gelernt, dass Sie spezifische, in der Schweiz gezüchtete Tierrassen haben und zwar sowohl bei den Kaninchen als auch bei den Tauben und dem Geflügel. Gestaunt habe ich über eine Hühnerrasse, die schlicht und einfach "Schweizerhuhn" heisst. Das "Schweizerhuhn" ist weiss gefiedert mit rotem Kamm. In der Beschreibung heisst es: "Das Schweizerhuhn ist ein widerstandsfähiges und frohwüchsiges Huhn." Was könnte man sich bessere Eigenschaften wünschen für ein Schweizerhuhn, als dass es "widerstandsfähig" und "frohwüchsig" ist. Möge dieses Huhn Vorbild für alle Kinder sein!
So kann ich Ihnen nicht nur interessante Begegnungen, Freude und Erfolg wünschen, sondern auch zurufen: Der Dank des Landes ist Ihnen gewiss.
06.01.2005
06.01.2005, WochenZeitung (Urs Bruderer und Johannes Wartenweiler)
Herr Blocher, redet man in der Schweiz über die richtigen Probleme?
Zunehmend.
Die letzte grosse Debatte war die Hirschhorndebatte.
Die war für Sie gross. Ich habe sie gar nicht bemerkt.
Wie unterscheidet man kleine von grossen Problemen?
Grosse Probleme haben grosse Auswirkungen, wenn man sie löst. Für die Schweiz wären das zum Beispiel die Sanierung des Bundeshaushalts oder die Reduktion von Abgaben.
Das grösste Problem Ihres Departements ist das Asylwesen. Ihre Bilanz dazu nach einem Jahr fiel - mit Verlaub - heuchlerisch aus. Wir sahen Bilder von Ihnen mit grossen Säulendiagrammen im Rücken, die rückläufige Asylzahlen illustrierten. Doch der Rückgang hat nachweislich nichts mit Ihnen zu tun.
Das Bild habe nicht ich verbreitet. Lassen wir den Herrn Blocher einmal weg. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren haben wir beim Eingang der Asylsuchenden eine bessere Entwicklung als die anderen europäischen Länder. Das befriedigt mich, und das scheint - sage ich vorsichtig - einen schweizeigenen Grund zu haben. Wohl die Folge einer restriktiveren Politik, die nicht nur mein Verdienst ist.
Über den Grund könnte man streiten. Erstaunlich ist, dass ausgerechnet Sie sich hinter Statistiken verstecken und den Blick auf die Realität vergessen. Migration findet statt, Sie aber betreiben Bilanzkosmetik und treiben die Leute, die hierher kommen, in die Kriminalität und in die Schwarzarbeit.
Das behaupten Sie. Wir prüfen jeden Monat, wie viele Illegale in der Schweiz aufgegriffen werden, wie viele davon Nichteintretensentscheide sind und wie viele kriminell sind. Sowohl die Zahl der Aufgegriffenen als auch der Prozentsatz der Kriminellen ist kleiner als gesamthaft bei den Asylsuchenden. Die Dunkelziffer, da gebe ich Ihnen recht, können wir nicht kennen und da können auch Sie behaupten, was Sie wollen. Genau wie Kirchen und die Hilfswerke, die uns nie konkrete Namen und Zahlen nennen.
Vielleicht ist die Behauptung statistisch nicht zu belegen. Trotzdem kann man sich die Realität vor Augen führen, wenn man will. Ihr Motto ist doch «Lappi tue d’ Augen uuf»?
Jawohl.
Wieso haben Sie noch nie ein Asylbewerberheim angeschaut? Wieso reden Sie nicht mit Asylbewerbern?
Ich habe schon viel mit Asylbewerbern gesprochen. Auch Asylheime besucht - allerdings nicht in diesem Jahr, weil ich viel anderes anschauen musste.
Wir sprechen jetzt von Ihrem wichtigsten Dossier.
Darum habe ich auch die meiste Zeit meines Departements damit verbracht.
Sie hatten ein Jahr lang keine Zeit für ein Gespräch mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, einem der wichtigen Player.
Die Flüchtlingshilfe will, dass man über das redet, was klappt: Die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge. Ich kümmere mich um das, was nicht klappt, und das sind die Leute, die Asyl suchen ohne Asylgrund. Das ist nicht das Dossier der Flüchtlingshilfe, auch wenn sie sich da dauernd einmischt. Ich habe das Gefühl, dass diese Leute keinen Unterschied zwischen echten Flüchtlingen und Asylmissbrauch machen wollen .
Sie schirmen Ihre Leute von der Flüchtlingshilfe ab.
Woher haben Sie diese Erfindung?
Der Besuch des Symposiums, das die Flüchtlingshilfe und die UNHCR in Bern organisierten, wurde Ihren Leuten verboten.
Ich habe die Teilnehmerzahl reduziert. Aber dies ändert nichts daran, dass ich bei Kongressen, Symposien etc. zurückhaltend bin.
Beim Thema Migration haben Sie Angst vor der Wirklichkeit.
Symposien und Kongresse sind nicht die Wirklichkeit. Viele Leute aus der Bundesverwaltung gehen sehr gern an sehr viele Kongresse statt die eigentliche Arbeit zu erledigen. Das ist angenehm, es wird viel gesprochen und wenig Konkretes erreicht.
Wieso gehen Sie dem Gespräch mit der Flüchtlingshilfe aus dem Weg?
Es hatte nicht oberste Priorität. Sie meinen, die Flüchtlingshilfe sei so wichtig? Das ist sie leider nicht. Das Treffen ist auf den Januar 2005 geplant. Leider betreibt die Flüchtlingshilfe vor allem Obstruktion gegen jede Massnahme zur Abhaltung von Leuten, die keine Flüchtlinge sind. Konstruktives ist bis heute nicht gekommen.
Die Flüchtlingshilfe kritisiert einige Ihrer Massnahmen als widerrechtlich.
Wir haben die Kritik geprüft. In einigen Punkten war sie angebracht, da haben wir korrigiert, in anderen Punkten war sie falsch.
Wenn die Flüchtlingshilfe tatsächlich Obstruktion betreiben würde...
Viel Obstruktion, ja.
...dann müssten Sie sich erst recht mit ihr an einen Tisch setzen, um das zu verhindern.
Sie meinen, das sei so. Man muss nicht jede Obstruktion verhindern. Auch darf man sich nicht durch Obstruktion von den Prioritäten abbringen lassen. Bei einem Treffen im Januar werden wir auch darüber sprechen müssen.
In Ihrer Bilanz nach einem Jahr im Bundesrat scheint Sie ihre sonst gesunde Skepsis verlassen zu haben. Kaum kritische Töne, kaum ein Eingeständnis, dass nicht alles lief, wie geplant. Dabei sank zum Beispiel die Glaubwürdigkeit des Bundesrats nach Ihrer Wahl auf ein historisches Tief. Wie erklären Sie sich das?
In meiner Bilanz habe ich fast nur Probleme aufgezählt und allenfalls von ersten Lösungsansätzen gesprochen, euphorisch war das nicht. Zur Glaubwürdigkeit des Bundesrates: Ich glaube das nicht. Man ist für eine Führung oder man ist gegen sie, ihre Glaubwürdigkeit ist nie messbar. Und Glaubwürdigkeit bekommt eine Regierung, die Offenheit zeigt, sagt, was sie denkt und tut, was sie sagt. Dies ist besser geworden!. Der Bundesrat ist offener, man merkt etwas von Auseinandersetzungen.
Der Bundesrat hat die zentralen Abstimmungen verloren. Das Steuerpaket war eine Kanterniederlage.
Für Sie vielleicht.
Nein, für Sie.
In den letzten zwei Jahren hat die Bevölkerung praktisch alles verworfen, was eine Veränderung gebracht hätte. Die sozialdemokratischen Initiativen im Jahr 2003 wurden im Multipack verworfen, aber auch sowohl die Steuersenkungsvorlage als auch die Mehrwertsteuererhöhung.
Die Mutterschaftsversicherung wurde angenommen.
Interessanterweise erstaunlich knapp, obwohl keiner mehr diese Vorlage bekämpfte. Eher eine Blamage.
Sie deuten einen Sieg in eine Blamage um.
45 Prozent und eine Mehrheit der Deutschschweizer war gegen eine Mutterschaftsversicherung, die eigentlich etwas Angenehmes ist für die Menschen. Warum sind die Leute bei allen Veränderungen skeptisch? Vielleicht, weil alles, was in den letzten Jahren beschlossen wurde, schlecht herausgekommen ist. Auch die Einbürgerungsvorlagen hat das Volk übrigens zum dritten Mal verworfen.
Darüber sollte man doch besser schweigen, Herr Blocher.
Natürlich sagen Sie das.
Das haben Sie nach der Abstimmung gesagt.
Ja, und zu Recht, weil das Volk entschieden hat.
Also bleiben wir dabei.
Weil Ihnen das unangenehm ist und sie das Ihren Lesern nicht zumuten wollen!
Sie haben dem Bürokratismus den Kampf angesagt. Das ist sicher nicht falsch, und wahrscheinlich können Sie das auch gut. Aber erstens nervt, wie laut Sie das tun. Und zweitens ist das kein politisches Programm.
Sie übersehen die Ernsthaftigkeit des Anliegens. Ich kämpfe für eine bürgernähere Verwaltung, die weniger Leerlauf produziert. Das gehört zur Führung. Auch eine meiner Aufgaben. Die Presse hat dies anscheinend besonders interessant gefunden.
Kein Wunder, wenn Sie den Journalisten den Begriff der «geschützten Werkstatt» vorwerfen.
Ich habe seit ich in Bern bin, das Gefühl, dass ich in einer geschützten Werkstatt arbeite.
Geschützte Werkstätten sind Einrichtungen für Leute, die auf dem normalen Arbeitsmarkt keine Chance haben.
Ich gebe zu, dass es ein lustiger Begriff ist und ich ein Wortspiel gemacht habe. Ich meine den Begriff wörtlich: Abgeschirmt von aussen, von der Realität geschützt. Ihre Auslegung können mir nur böswillige Menschen unterschieben. Wenn ich - um von einem Bereich zu reden, den ich kenne - sehe, welche Massnahmen zur Wirtschaft beantragt oder beschlossen werden, dann muss ich sagen, darauf kann man nur in einer geschützten Werkstatt kommen. Man kann alles beschliessen, wenn man die Welt draussen nicht sehen will.
Nochmals: Beamtenschelte ist kein politisches Programm.
In meiner Bilanz habe ich etwas anderes an den Anfang gestellt. Die materielle Lebensgrundlage eines Landes ist die Wirtschaft. Funktioniert sie nicht, bricht alles zusammen. Da kommen Schwierigkeiten auf uns zu, weil wir nicht mehr so konkurrenzfähig wie früher sind. Der zu grosse, teure Staatsapparat ist ein Grund dafür. Die Steuern und Abgaben, die wir mehr erhöht haben als andere Industriestaaten, sind ein anderer.
Als Empiriker kann man dazu nur festhalten, dass es keinen nachweisbaren Zusammenhang gibt zwischen Wirtschaftswachstum und Staatsquote.
Aber sicher doch.
Die OECD ist der Sache in einer Studie nachgegangen und konnte den Zusammenhang nicht finden.
Welche Studie Sie meinen, weiss ich nicht. Ein Zusammenhang zwischen Wirtschaftsproblemen und Staatsquote ist sehr wohl nachweisbar. Natürlich muss man vergleichbare Staaten nehmen. Dass China ein grösseres Wachstum hat als die Schweiz, ist natürlich nicht nur auf die tiefere Staatsquote zurückzuführen - da haben Sie recht.
Die Studie verglich europäische Länder.
Sie müssen aufs Niveau achten. Auf unserem hohen Niveau kann man weniger wachsen, als auf tieferem.
Es irritiert Sie nicht, dass der empirische Nachweis nicht gelang?
Es ist bekannt, dass jene Länder, die die Staatsbelastung - vor allem für die Firmen - gesenkt haben, eine bessere wirtschaftliche Entwicklung hatten.
Wann ist Ihre Mission erfüllt? Wie müsste die Schweiz aussehen, damit Sie sagen würden, dass es Sie nicht mehr braucht im Bundesrat?
Erfüllt ist eine Führungsaufgabe nie. Das Leben geht weiter, es gibt immer neue Probleme. Wann es ausgerechnet mich nicht mehr braucht, das weiss ich nicht. Ich habe mich zur Verfügung gestellt, ich wurde gewählt, und jetzt mache ich meine Sache, ohne mich zu fragen, ob es auch ginge, wenn ein anderer auf diesem Stuhl sässe.
Ihre Frau und Ihre Parteikollegen preisen Sie öffentlich wie einen Messias. Ist Ihnen das nicht manchmal peinlich?
Davon merke ich nichts. Ich merke mehr von denen, die mich preisen wie den Leibhaftigen!
Ihr Bruder verglich sie mit dem Rheinfall, mit einer Naturgewalt, die einem Volk in der Not erwachsen muss.
Das war ein guter Artikel. Er schilderte damit meine Intuition und Tatkraft und stellte diese dem rein Intellektuellen gegenüber. Viele Leute staunen, was dieser Blocher alles bewegt. Und vieles läuft bei mir - das gebe ich zu - intuitiv. Der Rheinfall ist auch nicht gemacht, er passiert.
Ihre Unbescheidenheit ist unschweizerisch.
Ihnen würde es in den Kopf steigen. Mir nicht. Geben Sie doch zu: Zu achtzig Prozent werden mir Schandtitel und teuflische Eigenschaften angehängt, nicht prophetische. Da soll noch einer unbescheiden werden?
In einem Film haben Sie kürzlich ihre Villa vorgeführt und sich als Schlossherr inszeniert. Glauben Sie, dass die Schweizer das gern sehen?
Vorführung und Inszenierung hassen die Leute wie die Pest. Aber dieser Film zeigt, wie wir leben. Meine Waffe ist Transparenz und Offenheit. Sie stört das, die allermeisten Leute stört das nicht.
Ich fragte Sie nur nach Ihrer Einschätzung der Wirkung beim Publikum.
Das habe ich mir gar nicht überlegt. Wer für Offenheit und Transparenz ist, hat das zu zeigen, was ist, ohne sich zu fragen, was andere denken könnten. Im Film ist auch nichts gestellt.
Wir werfen Ihnen nichts dergleichen vor.
Sie sagen, ich hätte da etwas vorgeführt. Der Filmer hat etwas vorgeführt - unser Leben!
Interessant daran ist, dass ausgerechnet SVP-Bundesrat Blocher eine Tendenz zur Amerikanisierung der schweizerischen Politik fördert. Sie sind auch der erste, der dem Land eine First Lady präsentiert. Machen Sie das bewusst?
Meine Frau ist meine Frau und anscheinend darum interessant. Da kann ich nichts machen. Ausserdem hat sie im Hintergrund immer aktiv politisiert, meine Partei weiss das. Zuerst wollte der Betreffende einen Film über meine Frau machen. Das wollte sie nicht. Dann wollte er einen Film über uns beide machen. Ich fand das gar nicht so dumm. Die Leute sollen wissen, was für eine Frau ein Bundesrat hat. Und die Leute sind - wie Sie auch - voller Vorurteile. Also sagte ich dem Regisseur: "Machen Sie den Film. Sie können drei Monate filmen, was Sie wollen". Nur zu nahe ran durfte er nicht. Jetzt sieht man halt, wie wir wohnen. Ist das schlimm?
Was wäre zu nahe gewesen?
Ins Schlafzimmer, fand ich, musste er nicht. Ein gestelltes Sofagespräch wäre auch nichts gewesen. Wenn wir einen veritablen Ehestreit gehabt hätten, hätte es diese Szene vielleicht gegeben.
War es unschweizerisch, was Sie da gemacht haben?
Ich habe es nicht gemacht. Er hat es gemacht.
Sie haben Ja gesagt dazu.
Vielleicht ist es unschweizerisch, Ja zu sagen. So unschweizerisch kann es nicht gewesen sein, bei dem unglaublichen Echo, das der Film hatte.
Sie haben im letzten Jahr mehrmals das Konkordanzsystem in Frage gestellt. Wäre es nicht unschweizerisch - oder eine Ironie, wenn ausgerechnet Sie die Abschaffung einer Eigenheit der Schweizer Demokratie herbeiführen würden?
Unschweizerisch? Wenn Sie in der Geschichte zurückgehen, finden Sie, dass es die Konkordanz in der Schweiz erst seit gut 60 Jahren gibt. Heute schaffe ich in dieser Konkordanz und unternehme nichts dagegen. Wenn sie aber unhaltbar werden sollte, weil man einander so wahnsinnig blockieren würde, dann müsste man die Systemfrage stellen. Es haben ja beide Systeme Vor- und Nachteile.
26.12.2004
Justizminister Blocher über schlaflose Nächte, den Rüffel von Bundespräsident Deiss und die Folgen der Personenfreizügigkeit.
26.12.2004, Sonnntags Blick (Patrik Müller und Hubert Moser)
Herr Bundesrat, Joseph Deiss und der Gesamtbundesrat haben Sie gerügt, weil Sie das Personal schlecht gemacht haben. Was sagen Sie dazu?
Das Personal wurde nicht schlecht gemacht, aber Mängel in der Verwaltung genannt, die durch die Führung ausgemerzt werden müssen: fehlende Bürgernähe, mangelnder Realitätssinn, zu geringe Flexibilität und überdotierung. Es gilt auch Doppelspurigkeiten zu beseitigen. Eine Mentalitätsveränderung halte ich für unausweichlich.
Der Personalverband hat mitgeteilt, die Angestellten fühlten sich von Ihnen desavouiert.
Leider hat der Verband nicht zugehört. Es geht um Abläufe, Organisation, Führung. Darum werden in der nächsten Jahreshälfte alle Stabsfunktionen in meinem Departement genau unter die Lupe genommen. Ich will wissen, wo Kostensenkungen und Leistungssteigerungen möglich sind. Vor allem aber will ich das Bewusstsein für Eigenwirtschaftlichkeit und Kosten in jeder Einheit meines Departements stärken und erhöhen.
Bis jetzt hat die SVP vor allem mit Asylthemen Stimmung gemacht. Sind nun die Beamten die neue Zielscheibe?
Nicht die SVP, sondern ich als Bundesrat durchleuchte die Verwaltung. Weil es nötig ist.
Vor einem Jahr sagten Sie in der "Weltwoche", in der Verwaltung könne man 30 Prozent der Kosten sparen. Glauben Sie noch immer, jeder dritte Beamte sei überflüssig?
Ich habe von Kosten gesprochen, nicht von Beamtenstellen. 30 Prozent Kostensenkung halte ich nach wie vor für realistisch. Ich arbeite in meinem Departement auf dieses Ziel hin und hoffe, dass ich es in vier Jahren erreiche. Allerdings muss dies durch die Bundesverwaltungsreform begleitet sein.
Hier spricht Unternehmer Blocher. Welcher Job gefällt Ihnen eigentlich besser, Unternehmer oder Bundesrat?
Unternehmer zu sein war natürlich faszinierender. Ich hatte mehr Bewegungsspielraum und konnte unmittelbar etwas bewirken. Aber die Tätigkeit war auch belastender. Heute habe ich während der Nacht nicht mehr so viele Angstträume.
Sie schlafen besser, seit Sie Bundesrat sind?
Ja. Früher hatte ich manche schlaflose Nacht, weil die Verantwortung drückte. Ich wusste: Ein falscher Entscheid, und 3000 Mitarbeiter verlieren ihre Stelle und das Unternehmen geht zugrunde.
Hat ein Bundesrat weniger Verantwortung als ein Unternehmer?
Nein. Aber ich spüre, dass nicht mehr die ganze Verantwortung auf meinen Schultern lastet. Im Staat sind die Entscheidungen breiter abgestützt. Der Entscheid eines Einzelnen hat nicht so weitreichende Folgen wie in einem Unternehmen. Macht einer eine Dummheit, gibt es meist mehrere Instanzen, die den Fehler wieder korrigieren können. Und Fehlentscheide bezahlen die Steuerzahler - leider. Aber es kommt auch heute vor, dass ich schlecht schlafe.
Wann?
Die grossen Probleme unseres Landes lassen mich manchmal nicht schlafen. Dann hinterfrage ich plötzlich alles - ganz grundsätzlich.
Wie stark beschäftigt Sie die Ems-Chemie heute? Führen Sie die Firma am Sonntag vom Familientisch aus?
Nein, ich habe das Unternehmen abgegeben. Fertig. Es gibt auch keinen Familientisch, an dem ich das besprechen könnte. Meine Tochter und mein Sohn wohnen nicht bei uns. Klar, wenn sie mit ihren Familien zu Besuch sind, höre ich gern zu, was sie so zu erzählen haben.
Wir nehmen Ihnen nicht ab, dass Sie bloss Grossvater spielen.
Aber es ist so. In der wenigen Zeit kümmere ich mich lieber um die Enkel. Wenn Sie die Firma abgeben, müssen Sie das ganz tun.
Im DOK-Film auf SF DRS traten Sie und Ihre Frau wie ein Königspaar auf und präsentierten Ihren Reichtum. Das ist unschweizerisch.
Der Film zeigt wie wir leben und sind. Ich habe nichts zu verstecken. Meine Waffe ist die Transparenz. Das wird gerade vom Publikum geschätzt, das zeigen die Reaktionen. Klar melden sich auch Neider. Es sind solche, die ebenfalls vermögend sind - deren Villa aber zwei Zimmer weniger hat.
Im Film haben Sie gesagt, der Schweiz gehe es schlechter als vor zehn Jahren. Wie haben Sie das gemeint?
Die Staatsschulden sind explodiert, die Wettbewerbsfähigkeit hat sich verschlechtert, und die Wirtschaft, die unsere Lebensgrundlage ist, wächst nicht mehr. Diese Entwicklung ist beunruhigend, auch wenn die Bürger davon nichts direkt spüren. Noch nicht. Die Schweiz verliert nach und nach ihre Stärken. Ich bin pessimistisch für den Standort Schweiz. Wenn die Politik sich nicht ändert.
Vor zwölf Jahren hat das Stimmvolk den EWR-Vertrag abgelehnt. Sie versprachen damals, die Schweiz werde im Alleingang wirtschaftlich erfolgreich sein. Da haben Sie sich geirrt.
Dank der Ablehnung des EWR gehört die Schweiz immer noch zur Spitzengruppe. Die schlechte Entwicklung in den letzten zehn Jahren hat mit dem EWR-Nein nichts zu tun. Sondern mit der Politik: Wir haben Steuern und Abgaben erhöht, mehr als jedes andere Industrieland. Und die Regulierung hat noch zugenommen.
Das tönt wie die übliche neoliberale Leier. Tatsache ist doch: In der EU wächst der Wohlstand, bei uns herrscht Stagnation.
Die meisten EU-Länder haben ein wesentlich tieferes Wohlstandsniveau. Da ist Wachstum einfacher. Gerade die neuen EU-Länder machen vieles richtig: tiefe Steuern, wenig Regulierung. österreich wiederum wächst vor allem dank des Ostmarktes. Glauben Sie, die Schweizer Wirtschaft würde wachsen, wenn wir in der EU wären? Das Gegenteil wäre der Fall. Wir müssten Milliarden nach Brüssel zahlen, den Schweizer Franken aufgeben, das Bankgeheimnis abschaffen, die Mehrwertsteuer verdoppeln.
Der Bundesrat will die Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Länder ausdehnen. Sie haben vor dem Nationalrat erklärt, die Arbeitslosigkeit in der Schweiz werde "tendenziell auf europäisches Niveau" steigen. War das ein Versprecher?
Nein, warum?
Europäisches Niveau heisst zehn Prozent Arbeitslose! Wir haben heute vier Prozent.
Es ist doch logisch, dass wir mehr Arbeitslose haben werden, wenn man das Arbeitskräfteangebot vergrössert und nicht gleichzeitig mehr Stellen schaffen kann. Das muss man im Auge behalten. Schon heute haben wir gewisse Probleme wegen der Personenfreizügigkeitist mit den alten 15 EU-Ländern: Die Arbeitslosigkeit nicht sinkt, trotz konjunktureller Erholung.
Wenn Sie mit zehn Prozent Arbeitslosigkeit drohen, torpedieren Sie die bundesrätliche Vorlage. Mit dieser Angstmacherei fallen Sie Ihren Kollegen in den Rücken.
Die zehn Prozent haben Sie genannt. Aber: Was heisst Angstmacherei? Soll ich die negativen Folgen, die auf der Hand liegen, totschweigen? Als Bundesrat will ich die Vor- und Nachteile einer Vorlage aufzeigen. Dass die Unternehmen und die Volkswirtschaft gewichtige Vorteile haben, wenn wir die Personenfreizügigkeit ausweiten, ist doch unbestritten. Mehr Arbeitnehmer bedeutet: grössere Auswahl, höhere Qualität, günstigere Saläre. Das sind Vorteile für die Wirtschaft.
Die Nachteile werden doch verhindert, indem die Schweiz den Arbeitsmarkt schrittweise öffnet und flankierende Massnahmen gegen Lohndumping erlässt.
Die übergangsregelung dämpft den Zustrom, aber nur bis 2011. Die flankierenden Massnahmen helfen auch - aber sie regulieren dafür den Arbeitsmarkt zum Nachteil der Wirtschaft.
Nochmals: Sie gefährden mit Ihrer Argumentation die Freizügigkeitsvorlage. Ein Nein wäre verheerend, dann könnte die EU die Bilateralen I kündigen.
Eine ehrliche, nüchterne Betrachtung kann eine gute Vorlage nicht gefährden. Bei einem Nein wäre tatsächlich eine schwierige Situation zu überwinden. Die EU und die Schweiz können die Verträge schon jetzt jederzeit kündigen. Aber weder die EU noch die Schweiz haben ein Interesse daran. Lassen Sie die Stimmbürger abwägen.
Werden Sie sich im neuen Jahr wieder so stark in andere Departemente einmischen?
Ich mische mich nicht ein. Im Bundesrat trage ich Gesamtverantwortung und dafür setze ich 50 Prozent meiner Zeit ein.
Sind Sie mit dem Justizdepartement unterbeschäftigt?
Ich habe zwei Aufträge: Die Gesamtverantwortung in der Regierung wahrnehmen und mein Departement führen. Ich mache das zu je 50 Prozent. Für die Bundesratssitzung vom letzten Mittwoch habe ich sechs Mitberichte verfasst. Keiner ist länger als eine Seite. In diesem Sinne werde ich auch im kommenden Jahr weiterarbeiten.