Testi
Elezioni
04.07.1999
Mein Streitgespräch mit Bundesrat Pascal Couchepin in der SonntagsZeitung vom 4. Juli 1999
Interview: Andreas Durisch, Othmar von Matt
Herr Bundesrat Couchepin, was ist Ihr Hauptvorwurf an Herrn Blocher?
Pascal Couchepin: Zunächst möchte ich Sie im Bundeshaus herzlich willkommen heissen.
Christoph Blocher: Vielen Dank. Es ist ja schliesslich Volksbesitz.
Couchepin: Zu Ihrer Frage: Herr Blocher provoziert in seinen Reden fast immer negative Emotionen. Das ist mein Hauptvorwurf. Dadurch stellt man in der Schweiz Folgendes fest: eine sinkende Toleranzgrenze und gleichzeitig eine sinkende Qualität des politischen Dialogs und der politischen Kultur. Ein sehr deutliches Beispiel dafür ist die Absicht, mit einer Initiative Regierung und Parlament institutionell von der Debatte über Initiativen auszuschliessen.
Blocher: Mit diesen Vorwürfen kann ich nichts anfangen. Diese Initiative ist nicht für die Politik, aber vielleicht für die Politik des Bundesrates negativ.
Couchepin: Ich kann das erklären.
Blocher: Ich auch. Wofür habe ich mich in den letzten Jahren eingesetzt? Für eine souveräne Schweiz, für ein Land, das die Zukunft selbst bestimmen kann. Deshalb bin ich gegen einen Beitritt der Schweiz zur EU. Für den Bundesrat ist dies natürlich eine negative Emotion, weil er der EU beitreten möchte. Er kann es nicht ertragen, dass in diesem Land jemand so entschieden eine andere Meinung vertritt. Weshalb meine Politik negativ sein soll, kann ich nicht sehen. Richtig ist allerdings, dass ich hin und wieder provoziere.
Couchepin: Man kann Ihre Ziele teilen oder nicht. Das ist Teil der normalen politischen Debatte. Man kann für Europa sein oder gegen den EU-Beitritt. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Gravierend ist allerdings Ihr Stil. Mit Ihrer konstanten Feindseligkeit provozieren Sie Emotionen. Gegen Brüssel etwa. Als ob Brüssel ein Feind der Schweiz wäre. Diese Provokationen dürften zwar Teil Ihres Erfolgsrezeptes sein - für die Schweiz allerdings stellen sie eine Gefahr dar. Sie sehen die Welt nur in Freunden und Feinden. Wer Ihre Meinung nicht teilt, ist praktisch ein Verräter. So schaffen Sie negative Emotionen. Über das Ziel kann man diskutieren. Aber die Mittel, die Sie benutzen, zerstören letztlich das eigentliche Ziel.
Blocher: Jetzt sind wir wieder bei der berühmten Stildiskussion.
Couchepin: Es geht um mehr. Der Stil zeigt den Menschen.
Blocher: Diese Diskussion kenne ich. Auf Ihrer Seite reagiert man auf Widerspruch sehr empfindlich. Ich spreche dabei nicht von Feinden, sondern von Gegnern. Das ist nicht dasselbe. Politik lebt von dieser Auseinandersetzung. Ich kritisiere die Politik des Bundesrats, weil dies Teil meiner Aufgabe ist. Ich wurde gewählt, dass ich meine Politik vertrete. Damit muss sich der Bundesrat wenigstens argumentativ verteidigen, kann nicht lediglich entgegnen: «L'état c'est moi.» Blocher darf nichts sagen; Vive le roi! Immer stärker ist beim Bundesrat eine pseudomonarchische Stimmung festzustellen. Man darf zwar grundsätzlich gegen höhere Steuerabgaben und Gebühren sein - aber man darf diejenigen nicht nennen, die sie dauernd erhöhen.
Couchepin: Nochmals, mein Vorwurf bezieht sich nicht auf Ihre Ziele. Mit Ihrer Sprachregelung, dem Freund-Feind-Konzept, richten Sie allerdings den Dialog und die Demokratie vollständig zu Grunde. Das ist eine Tatsache.
Blocher: Also bin ich der Feind der Administration. Blocher ist gefährlich.
Couchepin: Nein. Die Initiative ist sehr gefährlich. Persönlich glaube ich übrigens, dass Sie diese Initiative eher zufällig unterschrieben haben. Sie haben sich wohl gesagt: Die Initiative wäre noch etwas, rechneten allerdings nicht mit diesem Echo. Aber damit wurde eine Grenze überschritten, die weit über den bisherigen Stil hinausgeht. Man will demokratisch gewählten Institutionen - Bundesrat und Parlament - verbieten, sich zu einer Initiative zu äussern. Die Demokratie ist aber ein fragiles politisches Ökosystem, dessen Gleichgewicht man erhalten muss. Geht man mit Gewalt gegen ein solches System vor und nimmt ihm gewisse Elemente weg, dann ist das ganze Gefüge in Gefahr. Die Initiative ist deshalb extrem gefährlich, weil sie das Gleichgewicht der Demokratie bricht.
Ist es der erste Schritt zu einem Staatsstreich?
Couchepin: Diese Frage könnte man erst im Nachhinein beurteilen. Man hat die Initiative in den letzten Tagen mit verschiedenen Gesetzen aus dem Jahre 1933 verglichen. Ich finde Vergleiche mit einer so tragischen Zeit nicht gut. Die Geschichte lehrt uns allerdings: Leute wie Sie, Herr Blocher, haben immer gesagt, der erste Schritt sei völlig ungefährlich. Man verstehe sie miss. Sie wollten genau das Gegenteil dessen, was man nun behaupte. Diese Worte haben eine zersetzende Wirkung. Jemand sagte mir: Wenn ihr die Initiative bekämpft, dann bekommt sie erst recht Gewicht. Das ist mir egal. Ich will, dass die Leute von Beginn an wissen, was sie allenfalls unterschreiben. Ich sage ihnen lediglich: Die Behörden und der Bundesrat finden die Initiative schlecht. Wir eröffnen keine Hexenjagd. Nur müssen die Leute wissen, was ihre Unterschrift bedeutet.
Blocher: Diese Initiative, die verlangt, dass künftig Volksinitiativen innert 6 Monaten zur Abstimmung gebracht werden müssen, verbietet es Bundesrat und Parlament nicht, Stellung zu beziehen. Offenbar hat der Bundesrat den Initiativtext nicht einmal gelesen, sondern nur das Inserat. Die Initiative sagt, es bedarf keiner Stellungnahme; selbstverständlich kann der Bundesrat Stellung nehmen. Es ist eine anerkannte Tatsache, dass Volksinitiativen in Bern lange «herumgeteiggt» werden, im Schnitt etwa vier Jahre. Man taktiert, um das Begehren vom Tisch zu bringen, oder wartet den günstigsten Zeitpunkt ab. Ein Beispiel: Warum konnte man die Initiative für den EU-Beitritt, die von meinen Gegnern stammt, nicht nach einem Jahr zur Abstimmung bringen? Weil man weiss, dass das Volk diese Initiative ablehnen würde. Also sucht man irgendeinen günstigen Zeitpunkt. Das aber ist ein Missbrauch. Erschreckend ist die Reaktion des Bundesrates. Vor allem der Vergleich mit dem deutschen Ermächtigungsgesetz von 1933. Dieses wollte genau das Gegenteil, nämlich die uneingeschränkte Macht der Regierung. Ob dieser Vergleich tatsächlich aus dem Bundesrat stammt, weiss ich nicht.
Herr Couchepin, war dieser Vergleich im Gesamtbundesrat ein Thema?
Couchepin: Die Initiative wurde kurz diskutiert. Wir waren alle der Meinung, dass es sich um eine gefährliche Initiative handelt.
Blocher: Wenn man dieser Initiative einen Vorwurf machen kann, dann vielleicht den, dass sie der Verwaltung etwas weniger Macht gibt. Das mag für den Bundesrat gefährlich sein, nicht aber für das Land. Dass der Bundesrat glaubt, dem Volk sagen zu müssen, welche Volksinitiativen es unterschreiben soll und welche nicht, ist eine unglaubliche Verachtung der Mündigkeit des Bürgers. Und ich, der an diese Mündigkeit glaubt, werde als gefährlich bezeichnet. Ich habe jedenfalls noch nie gesagt, Herr Couchepin sei mein Feind, er sei gefährlich. Das wäre schlechter Stil.
Couchepin: Ich sagte lediglich, die Initiative sei gefährlich. Die direkte Demokratie funktioniert auf der Basis eines Informations- und Argumentationsaustausches. Es ist eine Art politischer Marktplatz. Was bleibt, wenn Bundesrat und Parlament nicht mehr Stellung nehmen können? Es erhalten jene die Macht, welche die finanzielle Potenz haben, die Medien mit politischer Werbung vollzustopfen. Deshalb limitieren Sie mit dieser Initiative die Möglichkeit des Volkes, die Informationen zu erhalten, die es wünscht. Es ist eine antidemokratische Initiative.
Sehen Sie hier totalitäre Tendenzen?
Couchepin: Zumindest wird das demokratische Ökosystem in Frage gestellt.
Blocher: Ich freue mich ausserordentlich, dass der Bundesrat plötzlich zum Verfechter der direkten Demokratie geworden ist. Dahinter verbirgt sich allerdings etwas anderes.
Couchepin: (unterbricht energisch) Sie sprechen mitten in einem Gespräch davon, dass ich irgendetwas verberge. Das ist genau der Stil, gegen den ich protestiere! Nehmen Sie meine Worte einfach so, wie ich sie sage.
Blocher: (unterbricht) Sie haben mir doch genau dasselbe vorgeworfen.
Couchepin: Nein. Ich spreche nur von den objektiven Zielen der Initiative. Ich werfe Ihnen persönlich keine diktatorischen Ambitionen vor.
Blocher: Ein Blick zurück zeigt, wie ernst der Bundesrat diese direkte Demokratie nimmt. Ein Beispiel: Am 5. März 1997 hat Arnold Koller verkündet, der Bundesrat wolle eine Solidaritätsstiftung schaffen. Koller hat ausdrücklich versichert, es brauche dafür einen eigenen Verfassungsartikel: Volk und Stände könnten darüber abstimmen. Inzwischen behauptet man im Bundesrat, man könne die Stiftung auch lediglich durch ein Gesetz einführen.
Couchepin: Sie werfen uns vor, verfassungswidrig zu handeln?
Blocher: Wenn Sie dies tun: Ja!
Couchepin: Mit welchem Recht? Wer, wenn nicht der Bundesrat, respektiert die Verfassung? Wollen Sie etwa sagen: Ich, Christoph Blocher, bin die Verfassung, das Volk und noch dazu das Parlament?
Blocher: Im Verfassungsartikel, den das Parlament mit dem Währungsartikel zu Fall brachte, stand rein formell, dass das Gesetz bestimmt, wie die Reserven der Nationalbank verteilt werden - damit Volk und Stände materiell wieder nichts zu sagen gehabt hätten.
Couchepin: War dies etwa kein neuer Verfassungsartikel?
Blocher: Aber nicht ein Verfassungsartikel, der gesagt hätte, wie die Goldreserven aufgeteilt werden müssen.
Herr Blocher, 1995 haben Sie, Ueli Maurer und Toni Bortoluzzi im Parlament dafür gestimmt, dass die Armee-Halbierungs-Initiative dem Volk gar nicht erst vorgelegt wurde.
Couchepin: Als Parlamentarier sind wir leider dazu verpflichtet, die Rechtsgültigkeit von Initiativen wie Richter zu entscheiden. 1995 lag dem Bundesrat ein Gutachten vor, das besagte, die Armee-Halbierungs-Initiative sei nicht rechtsgültig. Deshalb habe ich für die Rechtsungültigkeit gestimmt.
Damit haben Sie sich für das Gegenteil dessen eingesetzt, was Sie heute fordern.
Blocher: Nein. Wenn ich als Parlamentarier über die Rechtsgültigkeit entscheiden muss, dann muss ich entscheiden. Genau das will unsere Volksinitiative: dass wir Parlamentarier dies nicht entscheiden. Wir sind doch keine Richter.
Couchepin: Sie wollen die Prüfung der Rechtmässigkeit abschaffen?
Blocher: Ja.
Couchepin: Dann entfernen wir uns definitiv vom Rechtsstaat. Das heisst: Sie wollen nicht nur den demokratischen Dialog aufheben, sondern auch noch verhindern, dass die Rechtsgültigkeit von Initiativen diskutiert wird. Sie versuchen, über diese Volksinitiative ganz einfach konzentrierte Macht zu erlangen, in der Dialog und Information keine Rolle mehr spielen.
Blocher: Nein, Herr Couchepin, das Volk entscheidet darüber. Sie können mir zehnmal unterschieben, dies und jenes sei «exclu», verboten, ausgeschlossen. Der Initiativtext ist klar.
Herr Couchepin, bietet diese Initiative der FDP vier Monate vor dem Wahlkampf eine gute Gelegenheit, sich von der immer mächtigeren SVP zu distanzieren?
Couchepin: Ich gehöre jener Partei an, welche diesen Staat gegründet und sein demokratisches System aufgebaut hat…
Blocher: (unterbricht) Wir waren auch dabei.
Couchepin: Aber sicher. Wir waren die Architekten, und Sie haben mitgemacht. Vorausgesetzt, Ihre Vorfahren waren Freisinnige.
Blocher: Natürlich. Die Freisinnigen sind unsere Grossväter (lacht).
Couchepin: Meine Partei verteidigt das demokratische System aus Berufung. Was nun Christoph Blocher betrifft: Seine Absichten kann ich nicht einschätzen, da ich weder Psychoanalytiker noch Pfarrer bin. Ich stelle allerdings fest, dass er in eine für die Demokratie sehr gefährliche Richtung geht mit dieser Initiative. Deshalb bekämpfe ich sie. Nun möchte ich Ihnen aber noch eine Frage stellen, Herr Blocher. In einigen Monaten stimmen wir wahrscheinlich über die bilateralen Verträge ab. Sagen Sie Ja oder Nein zu diesen Verträgen? Warum erklären Sie sich nicht?
Blocher: Ich entscheide mich dann, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Herr Blocher, die Bevölkerung würde aber von Ihnen auch gerne hören, ob Sie für oder gegen die bilateralen Verträge sind.
Blocher: Warten Sie ab. Sie werden meine Haltung noch zu hören bekommen. Meine Antwort ist klar: Ich finde die Verträge schlecht. Ob man das Referendum ergreift, hängt von den Zusatzbedingungen ab, die das Parlament genehmigt oder ablehnt. Ich entscheide, wenn ich die Konsequenzen sehe - nach einer sorgfältigen Abwägung. Das dürfte zwischen August und Oktober sein, also vor den Wahlen.
Die Meinungsverschiedenheiten, die sich in diesem Gespräch zeigen, sind beträchtlich. Herr Couchepin, muss die SVP in die Opposition?
Couchepin: Dies ist das grosse Problem von Herrn Blocher. Er ist der eigentliche Chef einer Partei, die zwar eine Oppositionsrolle ausübt, gleichzeitig aber in der Regierung bleiben will. Dieses Doppelspiel, Herr Blocher, können Sie nicht permanent spielen.
Blocher: Die Sache ist klar: Ich bin gewählter Parlamentarier und Mitglied einer Partei, die ein sehr konkretes Programm hat. Wir nehmen dieses Programm ernst und wollen es durchsetzen. Wir sind im Bundesrat vertreten. Doch das verpflichtet uns nicht, stets gleicher Meinung wie der Bundesrat zu sein. Wir leben in einem Land der direkten Demokratie, dessen Regierung aus vier Parteien gebildet ist. Alle Parteien haben schon gegen den Gesamtbundesrat gestimmt. Erst kürzlich bei der Mutterschafts-Versicherung zum Glück auch die FDP. In der direkten Demokratie ist jede Partei Oppositions- und Regierungspartei. Ich weiss allerdings, was hinter diesen Gedanken steckt.
Couchepin: Sicher kennen Sie auch schon die Antwort.
Blocher: Warten Sie ab. Ich sage immer: Jede Partei muss stets dazu bereit sein mitzuregieren. Man darf nicht freiwillig in die Opposition gehen. Werden wir allerdings von den Freisinnigen zusammen mit den Sozialisten aus der
Regierung geworfen, müssen wir auch dazu bereit sein.
Couchepin: Alle Ausführungen, die Sie in diesem Gespräch gemacht haben, waren oppositioneller Natur, Herr Blocher. Mit Aggressionen gegen den Bundesrat und mit der Anklage, er respektiere die Verfassung nicht. Sie sprechen die Sprache eines Oppositionsführers, die weit über die sektorielle Opposition hinausgeht, wie sie bei allen Parteien vorkommt. Übt eine Partei permanent Opposition aus und bekämpft - wie mit dieser Initiative - permanent den Bundesrat, muss sich diese Partei fragen: Wo haben wir unsere ehrliche Position? Können wir den Oppositionsdiskurs weiterführen, gleichzeitig aber von der Macht profitieren? Diese Doppelzüngigkeit wiegt schwer.
Blocher: Herr Bundesrat, Sie sassen heute für eine Diskussion mit mir an denselben Tisch. Dass ich Sie dabei nicht loben würde, war ja klar. Sässe hier allerdings ein Sozialist…
Couchepin: (unterbricht energisch) Ich würde gegen ihn antreten. Kein Zweifel.
Blocher: Dann wären wir ja plötzlich auf der gleichen Seite. Allerdings nur, wenn Sie nicht sozialistisch sind.
Couchepin: (lacht) Das können Sie selber beurteilen.
Herr Blocher, können Sie mit Adolf Ogi als Ihrem Vertreter im Bundesrat überhaupt noch leben?
Blocher: In der Wirtschafts- und Steuerpolitik ist Herr Ogi für uns ein sicherer Wert. In der zentralen Frage der Unabhängigkeit, der Neutralität und der Landesverteidigung haben wir tatsächlich grosse Differenzen.
Entscheidende Differenzen?
Blocher: Entscheidende Differenzen. Es sind dieselben Differenzen, welche die SP mit Bundesrat Otto Stich hatte. Herr Stich war gegen den EU-Beitritt und gegen den EWR, die SP flammend dafür.
Couchepin: Nein, das stimmt nicht. Herr Stich hat sich nie gegen den EWR ausgedrückt. Er war immer loyal.
Blocher: Auch Herr Ogi ist loyal. Der Bundesrat muss sich einfach über eines im Klaren sein: Die Regierung wird nicht aus vier Parteien gebildet, weil alle Parteien gleicher Meinung, sondern obwohl alle verschiedener Meinung sind.
Couchepin: Es gibt zwei Dinge, die man von einer Regierungspartei erwarten darf. Erstens: dass sie nicht systematisch Oppositionspolitik betreibt. Das tun Sie aber …
Blocher: …wir betreiben keine systematische Opposition…
Couchepin: …Ihre Opposition ist systematisch. Zweitens darf man erwarten, dass ein Bundesrat von seiner Regierungspartei mit seinen Vorschlägen nicht konstant im Stich gelassen wird. Die SVP hat aber Herrn Ogi in letzter Zeit bei all seinen Vorstössen attackiert. Letztlich geht es also um eine Frage der doppelten Zweideutigkeit: Sie sind mit Ihrer SVP in der Opposition und wollen doch an der Macht teilhaben. Zudem widerspricht Ihre Meinung fundamental jener Ihres Bundesrates. Und dennoch sagen Sie: Ich will Adolf Ogi im Bundesrat behalten.
Blocher: Dann müssen Sie uns aus dem Bundesrat werfen.
Couchepin: Es geht um eine Frage der Redlichkeit auf Ihrer Seite.
Blocher: Eine Partei in der Opposition könnte innerhalb von vier Jahren grosse Erfolge feiern. Das weiss ich. Trotzdem betone ich immer: Wir müssen in der Regierung mitwirken, aber in den zentralen Positionen fest bleiben. Denn in einer Konkordanz-Regierung fehlt die Opposition. Sie ist aber für eine Regierung wichtig. In den Siebziger- und Achtzigerjahren bildete die Presse die Opposition. Damals hatten wir eine Mitte-rechts-Regierung, und die Journalisten waren, wie übrigens heute noch, mehrheitlich Mitte-links. Heute ist das leider nicht mehr so. Presse, Parlament und Bundesrat bilden heute in den wichtigen Fragen eine Koalition. Deshalb sehe ich die Opposition in den wichtigen Fragen - Unabhängigkeit, Steuerklima, Asylpolitik - als meine Aufgabe.
Couchepin: Noch einmal: Letztlich ist es eine Frage der Ehrlichkeit. In den letzten drei Jahren war die SVP siebenmal gegen wichtige Vorlagen der Regierung - und dabei habt ihr fünfmal verloren.
Blocher: Ich habe die Niederlagen nicht gezählt.
Couchepin: Manchmal deutet die Zahl auch auf die Qualität hin. Wer sich gegen alle grossen Projekte einer Regierung stellt, muss sich fragen, ob er noch - konstruktiv und lösungsorientiert - in dieser Regierung mitarbeiten kann. Oder ob er schlicht und einfach ein Profiteur von Opposition und Macht ist.
Herr Blocher, im Herbst wird die SVP sehr wahrscheinlich Wahlsiegerin sein. Können Sie dann noch akzeptieren, in der Regierung mit nur einem Bundesrat vertreten zu sein, der nicht einmal Ihre Linie vertritt?
Blocher: Darüber zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Würde die SVP im Herbst Bundesratsparteien mit zwei Bundesräten tatsächlich überholen, müssten wir bereit sein, mit zwei Bundesräten anzutreten. Das ist meine persönliche Meinung. Was wird dann geschehen? Der wahrscheinlichste Fall ist, dass kein zweiter SVP-Vertreter in den Bundesrat gewählt wird. Das Parlament wählt heute lieber einen Kommunisten als einen SVPler. Aber Herrn Ogi wird das Parlament wahrscheinlich wieder wählen.
Couchepin: Wird die SVP ihn denn zur Wiederwahl empfehlen?
Blocher: Davon bin ich überzeugt.
Das heisst: Die SVP ist zufrieden mit Ogi?
Blocher: Wir sind Realisten. Nicht zufrieden mit ihm sind wir in den zentralen Positionen Neutralität und Souveränität. Hier besteht ein offener Konflikt, den wir auch darlegen dürfen. Das Parlament würde heute aber keinen SVP-Vertreter wählen, der gegen den EU-Beitritt ist.
Couchepin: Sie sind also bereit, alle Opfer zu bringen, nur um in der Regierung zu bleiben? Um Macht zu haben?
Blocher: Es geht nicht um Macht.
Couchepin: Um was sonst?
Blocher: Um eine bessere Politik. Wären wir in der Opposition, müssten wir in allen Fragen systematisch Opposition betreiben. Das tun wir heute nicht.
Couchepin: Sie wollen kein Oppositionssystem?
Blocher: Es wäre wahrscheinlich besser, wenn jene Parteien eine Regierung bilden würden, welche die grössten Übereinstimmungen haben. Das ist meine persönliche Meinung. Heute ist die Konkordanz degeneriert. Man wählt Parteivertreter, die möglichst nicht die Parteimeinung vertreten, und klagt nachher darüber, dass Differenzen bestehen. Und wenn Sie, Herr Couchepin, glauben, mit der SP besser regieren zu können als mit der SVP - tun Sie das!
Couchepin: Es liegt an Ihnen, das zu entscheiden. Sie betonen immer, Neutralität und der EU-Beitritt seien die Hauptfragen dieses Landes. Das denke ich auch.
Blocher: Hier haben wir auch die Hauptdifferenzen.
Couchepin: Sie haben hier allerdings auch die Hauptdifferenzen mit Ihrem eigenen Bundesrat - und sagen trotzdem: Das geht gut. Weshalb haben Sie ein so grosses Interesse daran, in der Regierung vertreten zu sein? Zu guter Letzt geht es doch um eine rein opportunistische Politik.
Blocher: Schön, das ausgerechnet aus Ihrem Munde zu hören!
Couchepin: Wer mit dem Anspruch antritt, sein Programm durchzusetzen, in den Hauptfragen mit seinem Bundesrat aber nicht einverstanden ist, kann nicht mehr im Ernst behaupten, er wolle sein Programm wirklich durchsetzen.
Blocher: Natürlich. Die Frage ist: Setzen wir das Programm besser durch, wenn Herr Ogi in der Regierung sitzt - oder wenn kein SVP-Vertreter in der Regierung sitzt?
Herr Couchepin, was sagen Sie nun Franz Steinegger, Ihrem Parteipräsidenten? Soll die FDP im Herbst noch Listenverbindungen mit der SVP eingehen?
Couchepin: Die Diskussion von heute ist sehr wichtig. Sie erlaubt uns zu beurteilen, ob Herr Blocher und seine Vertreter bereit sind, eine problemlösungsorientierte Politik zu betreiben. Und ob sie einverstanden sind, ihre politischen Gegner zu respektieren - und wie ihre Haltungen gegenüber der Regierung aussehen.
Zu welchem Schluss kommen Sie nach diesem Gespräch?
Couchepin: Ich bin Bundesrat. Aber ich würde Herrn Steinegger raten, dass die FDP-Kantonalparteien in jedem Kanton beurteilen sollen, ob allfällige SVP-Verbündete eine positive Haltung haben oder nicht.
Blocher: In Zürich dürfte die FDP also keine Listenverbindung mit der SVP eingehen?
Couchepin: Es ist Sache der Kantonalparteien, dies zu entscheiden. Ich entscheide weder für Zürich noch für Herrn Steinegger.
Die Differenzen, die sichtbar werden, stimmen aber insgesamt nachdenklich?
Couchepin: Natürlich sind diese Differenzen bedenklich.
Blocher: Ich finde sie nicht bedenklich. Aber es ist typisch, dass der Bundesrat sie als bedenklich beurteilt. Zu Ihren Bedingungen einer Regierungsbeteiligung, Herr Couchepin: Ich werde weiterhin Respekt vor den Aufgaben und dem Auftrag der Regierung, der Verwaltung, des Parlamentes und des Souveräns haben. Wie bisher.
Couchepin: Wie bisher? Das sind zwei Worte zu viel.
Blocher: Ich hatte bisher Respekt und werde ihn weiterhin haben.
Couchepin: «Wie bisher», das ist zu viel.
Blocher: Ich kenne meine eigene Meinung besser als Sie.
Couchepin: Ich beobachte Sie von aussen.
Blocher: Gewisse Bundesräte ertragen Kritik nicht, weil sie glauben, «L'état, c'est moi!».
Damit sprechen Sie Herrn Couchepin an?
Blocher: Das würde ich sagen. Die Töne, die ich dieser Tage von ihm gehört habe, sind für mich ein Zeichen dafür, dass ihm der Respekt vor der eigenen Aufgabe fehlt. Für uns gilt: In der Frage der Souveränität der Schweiz, der Steuersenkungen und im Kampf gegen den Asylmissbrauch werden wir, ob in der Regierung oder nicht, keine Konzessionen machen. Und ich werde, wie Sie das gefordert haben, Herr Couchepin, problemorientiert sein bis zum Letzten.
Couchepin: Ich sprach von Lösungsorientierung. In all diesen von Ihnen angesprochenen Punkten sieht der Bundesrat Lösungen vor.
Blocher: Zuerst muss man die Probleme erfassen, bevor man sie lösen kann.
Couchepin: Aber Sie schaffen die Probleme und wecken negative Emotionen, bis keine Lösungen mehr möglich sind. Das ist die Schwäche Ihrer ganzen Argumentation.
Blocher: Ich habe zu all diesen Fragen Lösungen. Oft allerdings andere als Sie.
Couchepin: Sie bieten für diese pluralistische Gesellschaft keine realistischen politischen Lösungen an.
Blocher: Das ist eine Behauptung.
Couchepin: Natürlich, das ist eine politische Behauptung.
23.04.1999
Gold-Initiative: Christoph Blocher will Goldreserven nicht der Solidaritäts-Stiftung geben
Interview mit der Aargauer Zeitung vom 23. April 1999
Das Nationalbankgold will er nicht in die Solidaritätsstiftung einzahlen. Christoph Blocher, Zürcher SVP-Nationalrat, will mit einer von der Delegiertenversammlung abzusegnenden Volksinitiative dafür sorgen, dass dieses "Volksvermögen" beim Volk bleibt und in den AHV-Fonds fliesst.
Mit Ihrer Initiative wollen Sie das Nationalbank-Gold zugunsten der AHV sichern. Wollen Sie damit die AHV sanieren, oder ist die Idee aus der Opposition gegen die bundesrätliche Solidaritätsstiftung geboren?
Blocher: Ich will das Volksvermögen, das in der Nationalbank liegt, wieder dem Volk zuführen. Man könnte dieses Geld dem Volk auch direkt verteilen. Dann würde jeder Schweizer und jede Schweizerin vom Briefträger 3000 Franken erhalten. Wir möchten das Geld aber in den AHV-Fonds legen. Damit ist die AHV besser gesichert, und die Lohnabhängigen müssen weniger Lohnabzüge hinnehmen oder weniger Mehrwertsteuern bezahlen.
Demzufolge stimmt der Vorwurf nicht, Sie würden die Initiative aus Opposition zur Solidaritätsstiftung lancieren?
Blocher: Wir sind nicht für die Solidaritätsstiftung. Sie ist Ausdruck einer erpressten Situation. So verschleudert man Volksvermögen in eine Einrichtung, durch die man jedes Jahr neu unter Druck gesetzt werden kann.
Die SP will das Nationalbank-Gold je zur Hälfte für die AHV und für die Solidaritätsstiftung verwenden...
Blocher: Unsere Idee muss offensichtlich gut sein, sonst würden wir jetzt nicht von der SP kopiert. Allerdings machen sie es nur halbbatzig. Weshalb nicht alles Geld in die AHV - hat der AHV-Fonds denn zuviel Geld?
Bei der 11. AHV-Revision will der Bundesrat auf 500 Millionen für eine grosszügige Renten-Flexibilisierung verzichten. Eilen Sie jetzt mit diesen Gold-Millionen wie der Ritter in strahlender Rüstung der angeschlagenen Sozialministerin zu Hilfe?
Blocher: Selbst mit der vom Bundesrat vorgeschlagenen 11. AHV-Revision hat der AHV-Fonds jetzt zuwenig Mittel, um die Renten auszuzahlen. Wir müssten diesen Fonds auch dann verstärken, wenn wir die AHV nicht revidieren würden. Je mehr Mittel wir aus den Goldreserven einlegen können, desto kleiner werden Lohnabzüge und Mehrwertsteuerprozente.
Die AHV steht 1998 mit 1,4 Milliarden in der Kreide. Da reichen Ihre Goldmillionen zur Sanierung aber auch nicht aus?
Blocher: Wir haben bei der Nationalbank zu hohe Goldreserven in der Höhe von über 20 Milliarden. Man könnte sogar noch weitere Milliarden, die nicht benötigt werden, in den AHV-Fonds legen. Wenn man aber diese 20 Milliarden klug anlegt, reicht das Geld aus, um den aktuellen Fehlbetrag von 1,4 Milliarden zu decken.
Selbst wenn man diese 20 Milliarden in homöopathischen Dosen veräussert und den Erlös von 300 bis 400 Millionen in die AHV steckt?
Blocher: Bei 20 Milliarden bleiben nicht nur 300 Millionen jährlich als Gewinn. Ein Blick auf die Renditen der letzten Jahre der Pensionskassen zeigt, dass daraus 1,5 bis 2 Milliarden jährlich resultieren könnten, wenn dieses Geld richtig angelegt ist. Das entspricht fast einem Lohnprozent.
Wo und wie würden Sie die AHV sanieren, damit auch künftige Generationen ihren Rentenbatzen haben werden?
Blocher: Wir müssen eine Wirtschaftspolitik betreiben, die zu einer hohen Beschäftigung in der Schweiz führen wird. Das heisst weniger Gesetze, Steuern, Abgaben und Gebühren. Dann wird die Schweiz sehr attraktiv, und sowohl Wirtschaft wie auch Bürger werden trotz tieferen Steuersätzen wieder mehr Steuern zahlen.
Also nicht bei der AHV sparen...
Blocher: Nein. Wir müssen die AHV, wie sie sich heute darstellt, konsolidieren. Wir dürfen sie aber nicht ausbauen, weil die Leute so etwas nicht bezahlen können.
Ist nicht zu befürchten, dass neue Begehrlichkeiten geweckt werden, wenn plötzlich Jahr für Jahr Millionen auf dem Tisch liegen?
Blocher: Natürlich; solche Begehrlichkeiten müssen jedoch strikte abgelehnt werden.
Im Sozialversicherungsbereich sind gegenläufige Tendenzen auszumachen: Politiker fordern Einsparungen; faktisch werden die Leistungen aber in vielen Bereichen ausgebaut. Heizen Sie mit dieser Gold-Initiative letztere Tendenz nicht noch an?
Blocher: Nein. Wenn man für die AHV kein Geld benötigen würde, müsste das überschüssige Nationalbankgold direkt an die Bürger verteilt werden. Das ist aber nicht der Fall. Wir müssen das grosse Loch im AHV-Fonds stopfen. Die Gefahr besteht hingegen tatsächlich dort, wo man Goldreserven bereits via Solidaritätsstiftung verteilt, bevor man sich darüber einig geworden ist, was man überhaupt damit machen soll. Nicht zuletzt deshalb hat man den amerikanischen Kreisen noch in derselben Nacht die Stiftungsidee in englischer Sprache mitgeteilt und so Begehrlichkeiten geweckt. Dagegen wehren wir uns. Das Volksvermögen gehört dem Volk.
* * *
Zur Sache: Die Volksinitiative der SVP
"Die Schweizerische Nationalbank überträgt aus ihrem Bestand die für geld- und währungspolitische Zwecke nicht benötigten Währungsreserven, beziehungsweise deren Erträge auf den Ausgleichsfonds der Alters- und Hinterlassenenversicherung." Mit dieser Neuerung soll nach Ansicht der Schweizerischen Volkspartei (SVP) die Verfassung ergänzt werden. Dies einerseits, weil heute eine "erhebliche Kluft" zwischen festgeschriebener und tatsächlich gelebter Währungsordnung bestehe. Mit dem Bundesrat ist auch die SVP einig, dass die Goldbindung des Schweizer Frankens aufzuheben sei. Dadurch könnten 1300 Tonnen Gold neuen Verwendungszwecken zugeführt werden.
Während der Bundesrat 500 dieser 1300 Tonnen in eine Solidaritätsstiftung investieren wollte, wurde auf Antrag der Zürcher SVP an einem Parteitag im Mai 1998 in Aarau beschlossen, dieses Geld der AHV zu erschliessen. An der Delegierten-Versammlung in Schwyz soll jetzt eine entsprechende Volksinitiative abgesegnet werden, nachdem die parlamentarischen Möglichkeiten ergebnislos ausgeschöpft wurden.
15.04.1999
Blocher bricht nach drei Abstimmungsniederlagen - LSVA, Neat-Finanzierung, Hauseigentümerinitiative - sein Schweigen.
Interview mit der "Basler Zeitung" vom 15. April 1999
Nach einer Schweigepause meldet sich SVP-Nationalrat Christoph Blocher zurück. Er fordert den Schluss der Bombardements und einen Grosseinsatz von unbewaffneten Schweizer Hilfstruppen im Kosovo-Konflikt. Zugleich kritisiert er die Rettungsaktion von Ruth Dreifuss - und attackiert die geplante Solidaritätsstiftung aufs Gröbste.
Interview: Catherine Duttweiler und Pierre Weill
Herr Blocher, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die Bilder der Kosovo-Flüchtlinge sehen?
Christoph Blocher: Dieser Konflikt ist entsetzlich. Das kommt davon, wenn eine Seite einen Bodenkrieg und die andere Seite einen Luftkrieg mit sinnlosen Bombardierungen führt - dann fliehen die Menschen.
Wie hätten Sie versucht, den Konflikt zu lösen?
Blocher: Man hätte diese Bombardierungen nicht durchführen dürfen. Denn die Nato und die USA, die in der Lage wären, diesen Krieg zu führen, sind nicht wirklich bereit dazu. Ich verstehe dies, denn einen Krieg dort zu führen und zu gewinnen heisst, dass man unglaubliche Menschenopfer erbringen muss, und zwar auf beiden Seiten. Die Serben sind dazu bereit, aber die Nato-Staaten wollen diese Opfer nicht erbringen. Wenn man dazu nicht bereit ist, kann man eigentlich nur töten - wie dies jetzt der Fall ist.
Sie würden die Bombardierungen also einstellen?
Blocher: Es ist schwierig zu sagen, ob es jetzt richtig wäre, aufzuhören und einen Waffenstillstand zu schliessen. Ich würde meinen, ja. Man sollte Russland entgegenkommen, das Friedensbemühungen unternimmt. Die Amerikaner haben die Nato aktiviert, weil ein Vorstoss bei der UNO durch das Veto der Russen und der Chinesen blockiert worden wäre. Die USA haben Russland tief gedemütigt. Damit haben die USA den Russen gezeigt, dass ihr Land keine Weltmacht mehr ist. Einen Schwachen aber sollte man nie demütigen.
Wo kann die Schweiz helfen, angesichts des riesigen Flüchtlingselends?
Blocher: Noch nie ist in den letzten zehn Jahren die Neutralität so im Vordergrund gestanden. Diese wäre jetzt ganz wichtig. Leider werden wir als Neutrale nicht mehr ganz ernst genommen, weil der Bundesrat dauernd seine Sympathien in Erklärungen ausdrückt. Es gibt nichts als die humanitäre Hilfeleistung. Das heisst, man muss unverzüglich für die Kriegsflüchtlinge sorgen. Allerdings nicht, indem man sie hier integriert!
Sondern?
Blocher: Kriegsflüchtlinge müssen unverzüglich aufgenommen werden in Flüchtlingslagern. Für ihre primitivsten Bedürfnisse muss gesorgt werden: Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf. Wir verfügen in der Schweiz über Formationen, die derartige Hilfe leisten könnten, beispielsweise unsere Betreuungseinheiten.
Die Schweizer Armee soll also ganze Einheiten ins Grenzgebiet entsenden, anstelle der drei Superpumas?
Blocher: Jawohl, wenn es nötig ist. Wir müssen so viele unbewaffnete Truppen schicken, wie es braucht. Drei Pumas können nicht genügen. Katastrophenhilfe durch Truppen eines neutralen Staates ist glaubwürdig, denn es gibt immer Flüchtlinge auf beiden Seiten, auch bei den Serben.
Sie beharren darauf, dass die Hilfstruppen unbewaffnet sind. Die Schweizer Festungswächter, die bereits im Krisengebiet weilen, sind zum eigenen Schutz leicht bewaffnet, aber Piloten und Mechaniker der Superpumas müssen von ausländischen Soldaten beschützt werden. Das ist doch absurd!
Blocher: Nein. Was heisst Selbstschutz? Es ist eine romantische Vorstellung, wenn man glaubt, eine Pistole genüge. Wenn sie selber eine Pistole mitnehmen, dann hat der Angreifer schwere Waffen, dann müssen sie Schützenpanzer haben und so weiter. Die Amerikaner sagen heute eindeutig: "Humanitärer Einsatz und Intervention mit bewaffneten Truppen decken sich nicht."
Was soll mit jenen Flüchtlingen passieren, die innerhalb der nächsten Wochen in die Schweiz einreisen, etwa weil sie hier in der Schweiz Verwandte haben?
Blocher: Grundsätzlich sollen diese Flüchtlinge in Lagern untergebracht werden. Wenn man sie genau registriert und es wirklich Familien gibt, die sie privat aufnehmen wollen, wäre ich einverstanden, dass sie später privat untergebracht werden. Aber wir dürfen sie nicht integrieren! In der Schweiz glaubt man, wir müssten den Flüchtlingen in einer Woche Deutsch lehren und sie in die Schule schicken. Dabei dürfen wir keinerlei Anstrengungen unternehmen, dass diese Flüchtlinge hier bleiben.
Laut der Asyl-Initiative, die Sie im Februar lanciert haben, müssten vorläufig aufgenommene Flüchtlinge, beispielsweise aus dem Kosovo, interniert werden. Sie würden also von ihren Familien getrennt. Diese Forderung finden wir angesichts des grossen Elends unhaltbar.
Blocher: Überhaupt nicht. Es gibt einfach keinen Rechtsanspruch für Flüchtlinge und Asylsuchende, die aus sicheren Ländern kommen, aber Flüchtlingshilfe schliesst dies nicht aus.
Die Kosovo-Albaner kommen nicht aus einem sicheren Land. Ziehen Sie Ihre Initiative zurück?
Blocher: (lacht) Sie können ja schreiben, er lacht, aber er sagt nichts...
Wieso wehren Sie sich so gegen die Einwanderung? Die Schweiz ist überaltert. Die AHV hat Probleme. Wäre es wirklich so katastrophal, wenn jetzt junge, gut ausgebildete Leute hierher kämen?
Blocher: Ich kenne kein Land, das so viele Ausländer hat wie die Schweiz. Ich wehre mich gegen eine unkontrollierte Masseneinwanderung. Ich kenne Kleinbasel nicht, aber nehmen Sie zum Beispiel Zürich, den Schulkreis Limmattal. Da sind 75 Prozent der Schüler Ausländer und in gewissen Klassen werden acht, neun Sprachen gesprochen. Wenn viele Leute kommen, die nicht ausgebildet sind und aus völlig anderen Kulturen stammen, schafft das Probleme. Diese Last tragen nicht wir, die tragen andere - auch wenn Frau Dreifuss 20 Flüchtlinge mit in die Schweiz bringt. Ich habe gedacht, sie nähme sie wenigstens zu sich nach Hause. Das ist eine eigenartige Geschichte.
Würden Sie denn in Ihrer Villa einige Zimmer für Flüchtlinge räumen?
Blocher: Nein, aber ich habe keine zwanzig Flüchtlinge in die Schweiz mitgenommen und mache auch keine Propaganda damit. Das wäre ja widerrechtlich.
Wieso widerrechtlich? Die symbolische Aktion der Bundespräsidentin war mit den Behörden abgesprochen.
Blocher: Darf die Bundespräsidentin mehr als andere Menschen? Kann ich auch auf Staatskosten ein Lager anschauen und dann zwanzig Flüchtlinge mitnehmen - um zu zeigen, dass ich ein guter Mensch bin? Es geht doch gar nicht mehr darum, dass die Flüchtlingsfrage gelöst wird. Es geht nur um die eigene reine Weste, darum, dass man sagen kann: "Schaut her, ich habe geholfen." Deshalb schickt man lächerlicherweise auch drei Pumas.
Aber diesen zwanzig Menschen hat Ruth Dreifuss wirklich geholfen. Ihnen geht es jetzt besser als vorher.
Blocher: Zu Lasten von anderen.
Von wem?
Blocher: Von allen Schweizern.
Ist das nicht kleinlich? Die Schweiz als reiches Land vermag doch wenigstens einer kleinen Gruppe zu helfen?
Blocher: Natürlich. Ich habe nicht gesagt, dass wir es nicht vermögen. Es geht um die Haltung, die dahinter steckt, diese Wichtigtuerei. Dreifuss kann jetzt sagen, sie habe zwanzig Leute gerettet. Dabei hat sie keinen Streich dafür getan, nicht einmal das Flugticket hat sie selber bezahlt.
Sie selber hatten nie das Bedürfnis, etwas für die Flüchtlinge zu tun?
Blocher: Wichtig zu tun?
Nein, Hilfe zu leisten!
Blocher: Wichtigtuerei, darum geht es. Ob und wo ich Hilfe leiste, ist meine Privatsache, sonst würden Sie es auch an die grosse Glocke hängen (lacht).
Die Betreuung der Flüchtlinge muss finanziert werden. Könnten Sie sich vorstellen, dass diese Gelder aus der geplanten Solidaritätsstiftung für die Hilfe verwendet würde?
Blocher: Dafür brauchen wir keine Solidaritätsstiftung. Dies ist nur eine weitere Heuchelaktion. Man will solidarisch sein - indem man dem Volk ein paar Milliarden Franken wegnimmt.
Man nimmt dem Volk nicht Geld weg, man fragt es.
Blocher: Wie fragt man es? Jetzt haben sie schon mal einen Dreh gefunden, dass keine Verfassungsabstimmung über die Solidaritätsstiftung durchgeführt werden muss. Nein, für die Unterstützung von Flüchtlingen und Asylbewerbern brauchen wir keine Solidaritätsstiftung.
Die Solidaritätsstiftung soll auch im Inland Arme und Jugendliche unterstützen. Sind Sie auch dagegen?
Blocher: Ich kenne diese Mätzchen. Jetzt versucht man, die Stiftung dem Volk schmackhaft zu machen. Jetzt sagt man plötzlich, das hat alles nichts mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust zu tun. Zudem wehre ich mich dagegen, dass man Geld verteilt, das dem Schweizervolk gehört.
Falls aber das Schweizervolk in einer Abstimmung der Stiftung zustimmt, entfällt dieses Argument.
Blocher: Natürlich. Wenn das Schweizervolk ja sagt, bekämpfe ich die Solidaritätsstiftung nicht mehr. Aber ich werde mich vorher mit Händen und Füssen dagegen wehren. Wenn wir diese Stiftung realisieren, wird die Schweiz jedes Jahr unter Druck gesetzt werden.
Wie soll die Schweiz unter Druck gesetzt werden, und von wem?
Blocher: So wie sie es bisher gemacht haben.
Was wollen Sie damit sagen? Der Verwendungszweck der Gelder ist genau umrissen.
Blocher: Diese Gelder wurden versprochen, als die Stiftung angekündigt wurde. In derselben Nacht wurde den amerikanischen Kreisen übermittelt, was wir tun werden. Der Vizepräsident der USA hat am Weltwirtschaftsforum in Davos auf diese Stiftung gepocht. Andere Kreise pochen darauf. Es sind die gleichen, die uns sagten, wir müssten für die Wiedergutmachung für den Zweiten Weltkrieg zahlen. Es sind die gleichen.
Wer denn?
Blocher: Es ist der Jüdische Weltkongress.
Dieser kann gar nicht mehr klagen, denn er ist Teil der Globallösung, auf die sich die Banken mit den Sammelklägern und dem Jüdischen Weltkongress geeinigt haben. Alle Beteiligten sind verpflichtet, keine weiteren Klagen zu erheben.
Blocher: Sie müssen nicht mehr klagen, Druck ausüben kann man immer. Und es können auch andere Kreise Appetit bekommen. Deshalb werden wir in zehn Tagen die Lancierung einer Volksinitiative beschliessen: Wir fordern, dass die überschüssigen Goldreserven der Nationalbank nicht in die Solidaritätsstiftung, sondern in die AHV geleitet werden.
Warum sollen die Überschüsse ausgerechnet für die AHV verwendet werden? Ihr Vorschlag ist sicherlich populär, aber ordnungspolitisch völlig falsch: Sie betreiben damit reine Symptombekämpfung. Das strukturelle Defizit der AHV bleibt erhalten.
Blocher: Ich habe nicht gesagt, dass wir damit sämtliche Probleme der AHV lösen. Tatsache ist, dass wir für die AHV entweder weitere Lohnabzüge oder zusätzliche Prozente bei der Mehrwertsteuer brauchen. Wenn Sie den Goldüberschuss in den AHV-Fonds einzahlen und nur die Erträge verwenden, sparen wir etwa 0,5 bis ein Lohnprozent ein. Man könnte das Geld aber auch noch anders zurückführen. Man könnte das Geld dem Volk verteilen: Jeder Schweizer würde 3000 Franken erhalten; doch dies könnte wegen der höheren Kaufkraft zu Inflationsproblemen führen. Man muss das Geld also so einsetzen, dass es allen zugute kommt. Beim AHV-Fonds ist dies so.
Weshalb spielen Sie die beiden Vorschläge zur Verwendung des Goldes gegeneinander aus? Was spricht gegen den Kompromissvorschlag der SP, Nationalbank-Gold sowohl für die AHV als auch für die Solidaritätsstiftung zu verwenden?
Blocher: Ja, die Linken waren sehr beunruhigt über meinen Vorschlag. Das habe ich bemerkt...
Der Vorschlag, Nationalbank-Gold für die AHV zu verwenden, kommt ursprünglich von der SP selbst!
Blocher: So, das ist mir neu. Warum aber nur ein Teil dessen, was dem Volk gehört, diesem zukommen lassen?
Sie scheinen wenig kompromissbereit. Sie lancieren ihre Initiative gegen die Solidaritätsstiftung, weil Sie dringend ein populäres Wahlkampfthema suchen - denn mit Ihren bekannten Positionen in der Europa- und Asylpolitik sind derzeit nicht allzu viele Stimmen zu holen.
Blocher: Woher nehmen Sie das? Ich führe jetzt seit 22 Jahren die Zürcher SVP, und ich muss Ihnen sagen, wir haben weit unten angefangen. Wir legen alle vier Jahre zu. Wir haben mit vier Zürcher Nationalräten angefangen, heute haben wir neun, und es sieht nicht so aus, als würden wir nächsten Sonntag die Zürcher Kantonswahlen verlieren...
Wir reden nicht vom Kanton Zürich, wo Sie zweifellos Erfolge vorzuweisen haben. Wir reden von der nationalen Ebene. Also: Lancieren Sie Ihre seit eineinviertel Jahren gut gelagerte Initiative erst jetzt, weil Sie AHV und Solidaritätsstiftung zum Thema im Nationalratswahlkampf machen wollen?
Blocher: Nein. Wir haben zuerst den parlamentarischen Weg ausgeschöpft, daher die Verzögerung. Aber offenbar haben wir ein gutes Thema gewählt, wenn Sie es für wahlkampfwürdig halten (lacht).
Uns fällt auf, dass Sie in letzter Zeit auf der nationalen Ebene kaum präsent waren. Es ist beispielsweise bekannt, dass Sie gegen die neue Bundesverfassung sind - aber aus dem Abstimmungskampf haben Sie sich völlig herausgehalten!
Blocher: Das ist nichts Neues. Es fällt in letzter Zeit nur mehr auf, weil bei jeder Vorlage darauf geachtet wird, wo der Blocher steht. Ich war im Laufe meiner Zeit bei Dutzenden von Vorlagen anderer Meinung als der Bundesrat, ohne den Kampf überall zu führen. Man muss wissen, was wesentlich und wichtig ist.
Beim Kernthema Ihrer Politik, der Europafrage, haben Sie sich aber ebenfalls um eine Stellungnahme gedrückt: Sie haben sich noch immer nicht festgelegt, ob Sie die bilateralen Verträge mit einem Referendum bekämpfen wollen!
Blocher: Das sage ich, wenn es soweit ist!
Die Vernehmlassungsfrist ist am Dienstagabend abgelaufen.
Blocher: Ich lasse mir Zeit bis im Herbst, bis die Vorlagen im Parlament verabschiedet sind. Es gibt Dinge, die ich sehr früh einleite. Bei der Frage der Entsendung von bewaffneten Truppen ins Ausland etwa engagiere ich mich frühzeitig. Dieser Kampf muss an vorderster Front geführt werden - in einer Volksabstimmung. Das Gesetz, welches bewaffnete Truppen im Ausland vorsieht, ist dem Volk vorzulegen. Bei den bilateralen Verträgen aber verschiesse ich doch nicht das Pulver, bevor ich überhaupt weiss, was im Detail darin steht. Es kommt ja jeden Tag etwas Neues hervor. Dass das schlechte Verträge sind, ist mir klar. Aber es könnte ja sein, dass man auch schlechte Verträge schlucken muss!
Beim EWR haben Sie nicht so lange zugewartet...
Blocher: ...weil die Sache eindeutig war. Wir sagten damals: Entweder wir erhalten ein Vetorecht, oder der EWR wird bekämpft...
...und diesmal ist Ihr Spielraum für einen Abstimmungskampf viel kleiner. Der Bundesrat ist geschickt vorgegangen und kann beim heikelsten Dossier, dem Personenverkehr, nochmals Stellung beziehen, bevor die Personenfreizügigkeit in die entscheidende Phase tritt. Ihnen sind die Hände gebunden!
Blocher: Mir sind nirgends die Hände gebunden!
Sie haben in letzter Zeit mehrere Niederlagen an der Urne einstecken müssen, während der Bundesrat die letzten zehn Volksabstimmungen gewonnen hat. Am Sonntag werden Sie mit Ihrer Opposition gegen die neue Bundesverfassung vermutlich erneut unterliegen. Sind Sie deshalb so schweigsam geworden?
Blocher: Ja, die Bundesverfassung, das ist schon eine traurige Angelegenheit (grinst). Ich muss Ihnen sagen, ich habe, seit ich Nationalrat bin, zu achtzig Prozent Niederlagen eingesteckt.
Auch wenn Sie diese scheinbar locker wegstecken: Sie haben in letzter Zeit wenig Erfolg gehabt. Auch Ihre "Jubiläumsspende" ist gescheitert: Anstelle von 50 Millionen Franken sind nur 3,5 Millionen zusammengekommen.
Blocher: Das war zumindest eine der wenigen echten solidarischen Aktionen im Jubiläumsjahr!
Dann ist es also aus einem anderen Grund in letzter Zeit so ruhig geworden: Sie haben eine Kunstpause eingelegt - um danach wieder umso wirkungsvoller ins Rampenlicht zu treten!
Blocher: Ich lege hier gewiss nicht meine Taktik offen. Aber vielleicht liegen Sie gar nicht so falsch.
12.02.1998
Die folgende Fassung beinhaltet im Gegensatz zur publizierten Version den ungekürzten Text.
Interview mit FACTS vom 12. Februar 1998
Herr Blocher, kandidieren sie im Herbst 1999 noch einmal für den Nationalrat?
Christoph Blocher: Das habe ich im Sinn, ja.
Sie machen aber Ihre Politik ausserhalb des Parlaments - mit der AUNS. Warum setzen Sie nicht vollumfänglich auf die wirkungsvollere ausserparlamentarische Opposition?
Blocher: Ich mache überall dort Politik, wo ich etwas bewirken kann. Wenn es geht im Bundeshaus, was man vielleicht weniger merkt. Wenn die Entscheide aber im Volk fallen, und wenn ich merke, dass ich im Parlament nichts bewirken kann, muss ich ausserhalb arbeiten. Bei der ganz grossen Frage der Unabhängigkeit und Neutralität unseres Landes kann ich im Bundesrat und Parlament nichts mehr ausrichten. Die wollen in die EU.
Die AUNS ist in der Offensive. Mit einer Millionenkampagne werben Sie um neue Mitglieder und bauen eine schlagkräftige Zentrale auf. Was bezwecken Sie damit?
Blocher: Von einer Kampagne weiss ich nichts. Ich habe einen Rechenschaftsbericht über die Schweiz fünf Jahre nach dem EWR-Nein in jede Haushaltung geschickt. Dies kostete Fr. 840'000.-, davon habe ich Fr. 600'000.-- persönlich bezahlt. Sie haben recht: Das bringt viele neue Mitglieder. Diese Organisation kann nicht mehr ad interim von einem Sekretariat betreut werden. Zudem kommen jetzt dann ganz wichtige Abstimmungskämpfe, z.B. über den EU-Beitritt.
Sie wollen aus der AUNS doch mehr machen als nur ein Abstimmungskomitee?
Blocher: Natürlich wollen wir die AUNS weiter ausbauen. Weil wir die gesamte Presse gegen uns haben, brauchen wir viele Mitglieder aus der ganzen Schweiz, die Flugblätter verteilen und unser Gedankengut unter die Leute bringen. Das steht im Vordergrund.
Die AUNS wurde einst als Kampftruppe gegen den EWR- und EU-Beitritt gegründet. Jetzt haben Sie Themen wie die Schwerverkehrsabgabe, die AHV-Finanzierung und die Volkswahl des Bundesrates aufgeschaltet. Planen Sie eine neue, rechtskonservative Oppositionspartei?
Blocher: Ihre Fragestellung ist falsch. Die AUNS wird weder zur Schwerverkehrsabgabe noch zur AHV-Finanzierung Stellung nehmen, weil es hier nicht um die Unabhängigkeit der Schweiz geht. Wir wollen aus der AUNS keine Partei machen. Ich will ein überparteiliches Gremium, das die Interessen einer unabhängigen und neutralen Schweiz wahrt - nichts anderes.
Immerhin wollen Sie die Volkswahl des Bundesrates notfalls mit der AUNS durchbringen.
Blocher: Dieses Thema könnte die AUNS tatsächlich interessieren. Wir sind gegen einen Bundesrat, der sich ausschliesslich dem Parlament verantwortlich fühlt und sich im Ausland erst noch für Volksentscheide entschuldigen geht.
Jeder vierte Schweizer würde, so eine Umfrage, für eine AUNS-Partei stimmen. Was zögern Sie?
Blocher: Ich bin Mitglied der SVP und versuche dort mit aller Kraft dafür zu sorgen, dass unsere Partei auf einer guten Linie bleibt. Bisher hatte ich keinerlei Grund, mich von dieser Partei abzusetzen.
Ogi hat am letzten SVP-Parteitag jene Parteigänger kritisiert, die "einfach gegen alles Neue antreten". Fühlen Sie sich betroffen?
Blocher: Nein. Es ist ein altes Thema, dass Herr Ogi meint, eine Partei müsse immer ganz genau das vertreten, was der Bundesrat will. Das halte ich für falsch. Wir sind gegenüber unserem Bundesrat auch grosszügig und ertragen politische Differenzen. Er offenbar nicht ganz.
Ist Adolf Ogi ein guter Bundesrat?
Blocher: Was ist ein guter Bundesrat?
Bundesrat Ogi beispielsweise ist, ganz im Gegensatz zu Ihnen, für den EU-Beitritt, für die Solidaritäts-Stiftung und für die Schwerverkehrsabgabe.
Blocher: Der ganze Bundesrat ist da auf der falschen Linie. Herr Ogis persönliche Meinung zu diesen Themen interessieren hier leider nicht. Denn er ist in einer Kollegialbehörde eingebunden.
Ist Ogi ein gutes Parteimitglied?
Blocher: Bis jetzt kann ich mich jedenfalls nicht beklagen.
Für Sie ist die SVP doch nur noch der parlamentarische Arm der AUNS.
Blocher: Nein. Mit den Themen, die ich in Bern behandle wie etwa die Bundesfinanzen, die Politik der Nationalbank oder die Solidaritäts-Stiftung, beschäftigt sich die AUNS überhaupt nicht. Ich weiss, dass sehr viele Leute den Wunsch haben, aus der AUNS eine Partei zu machen. Das hat damit zu tun, dass die Leute generell mit den traditionellen Parteien unzufrieden sind. Ich aber lehne die Parteibildung der AUNS ab.
Welches ist denn Ihr politisches Karriereziel?
Blocher: Ich habe keines.
Aber dieser Blocher will doch in die Geschichtsbücher eingehen.
Blocher: Was in die Geschichtsbücher eingeht, kann man erst in hundert oder zweihundert Jahren beurteilen. Vielleicht ist dann alles nebensächlich, was wir heute tun.
07.12.1997
Meine Kolumne für die SonntagsZeitung vom 7. Dezember 1997
Vor 5 Jahren - am 6. Dezember 1992 - haben das Schweizervolk und die Stände bei einer ungewöhnlich hohen Stimmbeteiligung von 78,3 % - der höchsten seit 1947 - den EWR-Vertrag abgelehnt. Die Schweiz hat sich für die Freiheit und die Selbstbestimmung entschieden. Offenbar war das Schweizervolk der Meinung, dass die Schweiz die zweifelsohne schwierige Zukunft in Eigenverantwortung besser meistern kann, als wenn sie in einen grosseuropäischen Bundesstaat eingegliedert wird.
Bedrohliche Prognosen
Dieses Resultat kam zustande, obwohl die offizielle Schweiz - die "classe politique" -, allen voran der Bundesrat, das Parlament und die Parteien, die Presse, die Massenmedien, die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände, zahlreiche Hochschullehrer und wissenschaftliche Institute, Manager internationaler Konzerne, volkswirtschaftliche Berater der Grossbanken, Kulturschaffende - kurz: alles, was Rang und Namen hatte - in einem fast unheimlich eintönigen und gedankenlosen Chor schwerwiegende Nachteile für den Fall des EWR-Neins prophezeite. Die wirtschaftlichen Konsequenzen wären fürchterlich, hiess es. Konkret wurde eine massive Abwanderung schweizerischer Firmen in den EU-Raum, ein wirtschaftlicher Vertrauensverlust in unser Land, der Zerfall des Schweizerfrankens mit grässlichen Folgen für Zinsen und Inflation, Börseneinbrüche etc. vorausgesagt. Kurz: Wer den Mut hatte, zum eigenen Weg zu stehen, musste bereit sein, negative Auswirkungen in Kauf zu nehmen. Und siehe da: Das Volk entschied sich trotzdem für die Selbständigkeit.
Warum diese Fehlprognosen?
Wer heute - 5 Jahre nach dem EWR-Nein - unvoreingenommen Bilanz zieht, merkt, dass es sich bei all diesen katastrophalen Prognosen um gigantische Fehlurteile gehandelt hat. So ziemlich genau das Gegenteil der angedrohten Prognosen ist eingetreten.
Man fragt sich, wie es eigentlich dazu kommen konnte, dass alle sogenannt führenden Kreise damals diese Fehlprognosen so einhellig gemacht und vielleicht sogar selbst geglaubt haben. Warum konnte es passieren, dass alle grossen Zeitungen, die meisten Politiker, Massenmedien, Kulturschaffende, die Grosskonzerne, die Gewerkschaften bis hin zur Mehrzahl der Wissenschaftler an so unsinnige Prognosen glaubten oder diese zumindest verkündeten? Und warum hat ein "unwissendes" ("Die Dummen haben nein gestimmt") Volk diese Gehirnwäsche überstanden?
Der Kaiser ist nackt
Kennen Sie das berühmte Andersen-Märchen von des Kaisers neuen Kleidern? Vom Kaiser, der splitternackt durch die Strassen stolzierte, weil ihm seine Berater neue Kleider aufgeschwatzt hatten, die angeblich nur von gescheiten Leuten gesehen wurden. Wer wollte schon zugeben, dass er diese Kleider nicht sah? Auch der Kaiser selbst hütete sich davor. So lobten nun all die führenden Leute des Kaiserreiches die prächtigen neuen Kleider des nackten Kaisers. Keiner wollte als dumm gelten, jeder wollte bei den sogenannt gescheiten dabeisein. So wollte es der Trend. So war es "in". So gehörte es sich. Wer etwas auf sich gab, stimmte in den unkritischen Chor mit ein: "Wie prächtig sind doch diese Kleider!" Bis endlich ein kleines Kind, unschuldig, unverdorben und ohne Hemmungen - wie Kinder das oft tun - die Wahrheit beim Namen nannte: "Seht doch den Kaiser, er ist ja ganz nackt!" Damit war der Spuk vorbei.
Der Mythos der Integration
Spätestens heute kommt es aus: Die EU ist für die führenden, sich gescheit gebenden Kreise ein nackter Kaiser. Sie ist für die offizielle Schweiz und die Medien längst zu einem Mythos geworden, der das kritische, eigenständige Denken einschläfert. Das machte und macht blind für die Tatsache, dass die EU-Struktur auf dem veralteten Machbarkeitswahn und auf das überholte planwirtschaftliche Denken der sechziger Jahre zurückgeht. In ihrer Blindheit kann die offizielle Schweiz die Stärken eines übersichtlichen, dezentralen Kleinstaates nicht mehr erkennen, weil sie von der Grösse und Aufgeblasenheit zentraler Strukturen geblendet ist. Was als zeitgemäss und zukunftsträchtig angepriesen wird, ist in Wirklichkeit längst überholt. Die Gescheit-sein-Wollenden realisieren nicht, dass die Zugehörigkeit unseres Landes zur EU die künftigen Probleme der Schweizerinnen und Schweizer in keiner Art und Weise lösen kann. Man verkennt, dass es der Schweiz ausserhalb der EU wesentlich besser geht als den EU-Staaten. Es wird auch unkritisch darüber hinweggesehen, dass die vor 5 Jahren gestellten negativen Prognosen nicht nur nicht eingetroffen sind, sondern so ziemlich genau das Gegenteil. Blind für die Wirklichkeit!
Glaube an die Freiheit statt an die Prognosen
Nun fragen sie wieder - auch die "SonntagsZeitung": "Wie sieht es denn aus mit der Schweiz im Jahre 2010?" Erneut werden die gleichen Prognostiker wichtigtuerisch die gleichen Fehlurteile abgeben wie vor 5 Jahren. Auch ich werde gefragt. Ich frage mich: Wie wird die Schweiz im Jahre 2010 aussehen? Ich weiss es nicht. Kann und muss ich das überhaupt wissen? Nein - muss ich nicht.
Aber eines weiss ich: Mit der politischen Freiheit ist auch die wirtschaftliche Freiheit des Volkes besser gesichert. Eine unabhängige und souveräne Schweiz hat die Chance, innovativer, wirtschaftlich leistungsfähiger und konkurrenzfähiger zu sein als die schwerfällige Europäische Union. Geht die Schweiz ihren eigenen Weg, wird es den Schweizern besser gehen, d.h. Wohlfahrt, Freiheit und Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger werden auch im Jahre 2010 grösser sein, als wenn sich unser Land den Machtstrukturen der Europäischen Union unterordnen müsste. Die Konsequenzen eines EU-Beitrittes - auch dies lässt sich unschwer feststellen - wären:
- das Ende der tatsächlichen direkten Demokratie in allen EU-Belangen
- die Abtretung politischer Macht des Volkes an die Regierungen in Bern und Brüssel
- den Verzicht auf eine eigenständige Aussen- und Sicherheitspolitik
- den Verzicht auf die Neutralität
- EU-Machtpolitik anstelle Schweizer Selbstbestimmung
- Einschränkung der Handlungsfreiheit
- Anheizung der Arbeitslosigkeit
- Reduktion des Wohlstandes
- Lohneinbussen
- höhere Schuldzinsen
- höhere Hypothekarzinsen
- zusätzliche und höhere Steuern
- Heraufsetzung der Mehrwertsteuer von 6,5 % auf mindestens 15 %
- Verzicht auf den Schweizerfranken und Verlust von Volksvermögen
- Aufhebung der Grenzkontrollen und der nationalen Einwanderungspolitik
- weniger Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger
- Rückkehr zu feudalistischen Zuständen in der Politik durch Reduktion der
Entscheidungsträger und
- Einschränkung des Mitspracherechtes des Volkes.
Weitermachen
Aus all diesen Gründen lohnt sich der Kampf für die Freiheit und Unabhängigkeit. Der Einsatz dafür ist heute zur zentralen Aufgabe geworden. Aber Freiheit und Unabhängigkeit allein genügen nicht, um dem Land eine erfolgreiche Zukunft zu sichern. Freiheit und Unabhängigkeit sind nicht die Lösung aller Probleme. Aber sie sind die Voraussetzung dafür.
Sicher wird die Zukunft schwierig werden. Dass die Schweiz um den Wandel nicht herumkommt, steht fest. Den Strukturwandel hat sie durchzustehen, und sie hat gleichzeitig die Fehler des Umverteilungsstaates zu korrigieren. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz dies kann. Je übersichtlicher und je beweglicher eine Volkswirtschaft ist, desto besser kann sie mit den Herausforderungen des Wandels und des Umbaus verfehlter Strukturen fertig werden. Schnelle, kleine Boote sind hierfür geeigneter als die unbeweglichen grossen Tanker.
Zentralisierung und die Gleichmacherei sind sowohl für die Wirtschaft wie für die Politik keine Rezepte. Fest steht, dass die Schweiz mit der Lösung der neuen Aufgaben weiter ist als ihre europäischen Nachbarn. Deshalb dürfen wir aber nicht stillstehen. Wir haben den Wandel weiter voranzutreiben. Probleme dürfen nicht einfach verwaltet, sondern sie müssen gelöst werden. Das gilt insbesondere für das Hauptproblem, unsere maroden Staatsfinanzen.
Diese Aufgabe ist anspruchsvoll und verlangt viel von der Wirtschaft und von der Politik. Sie verlangt vor allem viel Flexibilität, Kreativität, Konsequenz, Standfestigkeit und Durchsetzungsvermögen. Für das Jahr 2010 bin ich zuversichtlich, weil es in der Schweiz viele Menschen gibt, die die Nacktheit des Kaisers sehen und sich auch getrauen, das zu sagen.